Vergilbte Fotos an der Wand

Wir treffen uns mit meinem besten Freund aus meiner Grundschule (dem „Collegio Aleman de Málaga“ welches eigentlich in den Bergen kurz vor Marbella ist), Erhard, in einem Restaurant in Marbella. Er ist mittlerweile Anwalt in Spanien, mit der SSP „Special Selling Proposition“ sowohl das spanische Recht als auch die Anforderungen einer deutschen Kundschaft zu verstehen (Unique ist es leider nicht mehr, es gibt wohl mittlerweile mehrere Anwälte die Deutsch können). Auch wenn unsere Lebenswege in den letzten vierzig Jahren unterschiedliche Bahnen genommen haben, wir andere Schwerpunkte haben, es bleibt eine Verbundenheit aus der Vergangenheit, unterstützt durch Kinderfotos aus der damaligen Zeit. Erhard hat uns öfters bezüglich der aktuellen Corona-Situation in Spanien beraten, und letzten Endes uns bei der Idee geholfen, eine spanische GmbH zu gründen.

Während meiner Grundschulzeit war Erhards Vater Direktor der deutschen Schule, und irgendwie ist er (der Sohn) der Schule verbunden geblieben, auch wenn seine Kinder mittlerweile erwachsen sind. Heute ist er ehrenamtlich der Vorstandsvorsitzende der Schule – immerhin mittlerweile ganz oben auf dem Organigramm, neben dem auswärtigen Amt. Als ich ihm einige Zeit vorher erzählte, dass ich mal zu der Schule hochfahren wollte, hat er gleich angeboten uns ’sein Baby‘ zu zeigen. So machen wir uns nach einem leckeren argentinischen Mittagsessen auf den Weg in die Berge.

Wenn man das ganze aus der heutigen sicherheitsorientierten Kultur mit Kindern betrachtet, kommt mir einiges unglaublich vor, aber Erhard bestätigt die meisten meiner Erinnerungen. Die deutsche Schule war damals auch ein Internat, aber es kamen auch jeden Morgen aus der gesamten Provinz Málaga mit Schulbussen Kinder in die Ganztagsschule. Diese war in den Bergen, und um die Schule herum war … nichts. Jedenfalls keine Häuser, keine Siedlung, nur Wald und Gestrüpp. Da es eine Ganztagsschule war, hatten wir eine laaaaaaaange Mittagspause, die wir in ebendiesem Wald herumstreifend verbringen durften. Nach zwei Stunden Pause ging von der Schule aus eine laute Sirene, und wir Kinder kamen aus dem Wald zurück. Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, wie wir damals ausgesehen haben müssen. Bei Regen haben wir mit Lehm und kaputten Ziegelsteinen Dämme in dem Straßengraben gebaut, nach manchen kleineren Waldbränden sind wir durch verkohltes Gestrüpp gelaufen. Also an manchen Tagen werden wir wohl komplett lehmverschmiert gewesen sein, an anderen kohlrabenschwarz wie nach dem Aufenthalt in einem Sack Holzkohle. Konflikte wurden ausgetragen, es wurden auch Steine geworfen, und ab und zu wurde mal ein Kind unglücklich getroffen. Die resultierenden Platzwunden waren ein ‚Loch im Kopf‘, was mir damals schon fürchterlich grafisch vorkam (sieht man dann das Hirn?). Wir haben’s überlebt, aber glaubt uns das heute noch jemand? Freunde in meinem Alter kennen sicherlich die humorvollen Bilder aus Facebook oder so: „Unsere Generation war damals auf der Straße unterwegs beim Spielen, unsere Eltern wussten nicht wo wir waren, konnten uns nicht mit dem Handy anrufen, wir mussten bei Freunden klingeln, um mit ihnen zu spielen, und wir verstehen noch, wie ein sechseckiger Bleistift und eine Audio-Kassette zusammenhängen“. So war das auch bei mir, doch meine Straße war der Wald rund um die Schule.

Ich frage Erhard, ob es noch Fotos von der Schule aus der Zeit gibt, als Beweis. Ja, meint er, im Aufenthaltsraum der Praktikanten hängen noch ein paar vergilbte Fotos aus der Zeit. Praktikanten? Ja, die Hilfskräfte im Kindergartenbereich. Wir kommen also zu der Schule, verlassen an einem Freitagnachmittag. Stolz erzählt Erhard, dass sie während der gesamten Pandemie keinen Tag schließen mussten. Zusätzliche Klassenraumfläche wurde mit Container geschaffen, es wurde gelüftet, was das Zeug hielt (Herr Fuchs aus München, der in der Schule arbeitet, erzählt stolz, wie Sie mit Disko-Rauchmaschinen halbwissenschaftlich die besten Lüftungsstrategien ermittelt haben), und die Schulbänke sind präzise-deutsch mit zwei Meter Abstand aufgestellt. Wie schon in einem anderen Beitrag angedeutet – nichts ist hier mehr so wie ich mich daran erinnere. Wald und Gestrüpp ist durch Villen und Ferienkomplexe ersetzt; die Schule hat gebäudetechnisch mächtig expandiert, und die Hälfte meiner Mutmaßungen ist falsch: „Das da – war nicht damals die Kantine?“ „Nein, das gab’s damals noch gar nicht“. Oh well. Die Bilder von damals finden wir tatsächlich. Ich versichere Euch – das Leben war damals nicht so vergilbt, wie es die Bilder heute sind.

Erhard bringt uns zu unserem Schiff zurück, trinkt noch ein Wasser an Bord, aber mit unserem Angebot eines kleinen Segelausflugs in den nächsten Tagen können wir nicht punkten. Sailing is not for everyone.

Ein Frage der Perspektive

Und, wer erkennt sie? Das ist die berühmte Brücke von Ronda.  Die Perspektive ist ungewöhnlich, aber eigentlich ist das die wichtige Funktion der Brücke – sie verbindet die zwei Stadtteile von Ronda die jeweils auf den Berggipfeln beiderseits einer tiefen Schlucht gebaut worden sind. Ich frag mich sowieso, warum man unbedingt auf beiden Berggipfeln ein Stadtteil bauen musste? In die moderne Zeit übertragen ist es wahrscheinlich so, wie wenn Leute billiges Wohnbauland neben dem Gewerbegebiet kaufen und danach eine Bürgerinitiative gründen, die für das Gewerbegebiet Lärmschutz und Immissionsschutzauflagen erwirkt, die praktisch das Gewerbetreiben nicht mehr erlauben. Wie auch immer, jetzt ist die Brücke da, und für uns ist sie auch ganz praktisch. Auf der einen Seite gibt es eine Stierkampfarena zu sehen (von außen), auf der anderen Seite gibt es ein Stadttor mit einer Kneipe. So wechseln wir nach erledigtem Kulturprogramm die Stadtviertelseite (Stadthälftenseite), und nehmen in der Mittagssonne Platz – ich gönne mir einen Tinto Verano. Nach erfolgter Ersterholung laufen wir 50 Meter weiter und gehen essen. Die Spezialität hier sind Montaditos – kleine Stückchen Baguette mit leckeren Schweinereien drauf.

Wir machen heute einen Ausflug in die andalusischen Berge, Hauptziel Ronda. Mit dabei ist Christina, die wir in Fuengirola abgeholt haben (nach Fuengirola geht von Malaga aus ein Zug). Im Treffpunktcafé haben wir noch Erhard getroffen, mein bester Freund aus Grundschulzeiten. Bislang hatte es nicht geklappt mit einem Treffen, und so können wir bei einem schnellen Kaffee ein paar Pläne schmieden. Im fliegenden Wechsel nimmt Christina Erhards Platz am Tisch ein, noch schnell ein Kaffee für Christina, und auf geht’s. Wer mit der Costa del Sol nur Strand in Verbindung bringt, irrt sich. Kurz hinter der Küste geht’s steil in die Berge rauf, die erst saftig grün und dann eher karg sind.

Nach dem Hauptkulturprogramm in Ronda besuchen wir einem Tipp entsprechend noch ein paar Bergdörfer. Durch Zufall führt uns die Straße als erstes nach Júzcar, ein Dorf dessen USP die blau getünchten Häuser sind. Wirkt irgendwie wie Schlumpfhausen, ein Eindruck, dem durch die über zwei Meter große Statue eines Schlumpfes weiter Vortrieb geleistet wird. Die erste Info war, dass in dem Dorf tatsächlich der Film „Die Schlümpfe“ gedreht wurde, eine nachgelagerte Recherche ergibt allerdings, dass es sich um eine Marketingmaßnahme zum Filmstart handelte. Dennoch, ein paar Selfies mit Gargamel, eine schwarze Katze streicheln, und weiter nach Igualeja. Hier ist die Quelle des Flusses Río Genal, es gäbe auch hier eine offene Kneipe, aber erstens müssen wir langsam zurück, und zweitens fängt es an zu regnen, was dem malerischen Eindruck etwas schmälert.

Wir beschließen, in Fuengirola noch gemeinsam Abend zu Essen – am letzten Abend in Spanien hätte Christina gerne Paella gehabt. Schwieriger, als es sich anhört (ein paar Tage später erfahre ich von Erhard, dass ein echter Spanier niemals Paella am Abend essen würde – viel zu schwer), aber am Ende finden wir ein Restaurant, bekommen eine angebrannte Reispfanne mit ein paar Shrimps oben drauf (would not recommend), und unser Gast erwischt noch einen ausgangssperren-konformen Zug zurück nach Malaga.

Ach übrigens: wer lieber die gewohnte Perspektive hat: hier die Brücke von Ronda, wie meistens fotografiert.

In der alten Heimat

Viele von Euch wissen schon lange, dass ich als Kind in Spanien gewohnt habe – und die, die’s noch nicht wussten, wissen es jetzt. Von 1975 bis 1979, im Alter von 5-9. Die Situation damals beschrieben, mit Analogie zu München: Wir haben erst in Arroyo de la Miel (Höhenkirchen) und dann in Benalmadena Costa (Siegertsbrunn) gewohnt. Die Küstenstraße (Rosenheimer Landstr.) war damals noch nicht so gut ausgebaut, die Autopista del Mediterraneo (A8) gab es noch gar nicht. Mein Vater hat in Málaga (München) gearbeitet, ich bin auf der deutschen (preussischen) Schule in den Bergen nahe Marbella (Prien am Chiemsee) gegangen. Jeden Morgen mit dem Schulbus (Simon Gruber Busreisen) über eine Stunde über Landstraßen in die Schule. Meine Schulfreunde waren in der ganzen Provinz Málaga (Oberbayern & Salzburger Land) verstreut, ein Kindergeburtstag benötigte 50-150 km Taxifahrt von Mama. Dort wo ich wohnte, kannte ich nicht viele gleichaltrige Kinder, den die sprachen alle Spanisch (bayrisch), und ich war irgendwie ein Exot (a Preiss, hoid). Entsprechend eines neun-jährigen war mein selbstständiger Aktionsradius noch nicht groß. Ich bin also nicht mal schnell in die Bodega El Pimpi (Weißes Bräuhaus) gefahren um Tapas (Weißwürste) zu essen, und kenne auch Marbella nur von Ausflügen mit den Eltern.

Dennoch macht es mir Spaß, hier rumzufahren (wir haben einen Fiat Panda gemietet). Ich erkenne viele der Ortsnamen wieder, denn die konnte ich schon damals aus dem Fenster des Schulbusses lesen. Es hat sich viel getan hier. Damals waren die Bäume klein und die Häuser groß, und heute ist’s umgekehrt. Es gab auch weniger Häuser, insgesamt. Die deutsche Schule (die auch Internats-Betrieb hatte), stand alleine auf einem Berg, heute ist sie dicht umbaut. Nachdem ich die Mädels nach Málaga zurückgebracht habe, habe ich mich auf die Suche gemacht. Es gab an der Küstenstraße (wo ich jeden morgen auf den Schulbus gewartet hab) ein markantes Gebäude, der Nachtclub „Madrigal“ in einer dreieckigen Form mit abgerundeter Spitze. Es war die rechte Straße hoch, gaanz weit (für einen Siebenjährigen). Die Straße wurde umbenannt, die Mauern um die Grundstücke sind höher geworden, aber vielleicht ist es das Haus dort? Die Dachform, die man über die Mauer erspäht, könnte passen… Nahe der Küstenstraße scheint man sich auf low-budget und low-quality englische Touristen spezialisiert zu haben. Die Bodegas heißen hier fast alle ‚Pub‘, und es gibt auffällig viele Strip-Clubs und Tabledance-Schuppen; Schilder werben für ‚No 1. for hen-parties and stag-nights‘. Ich glaube das war damals nicht so, aber falls doch – wahrscheinlich bin ich deshalb so ein harter Hund mit Street Credibility geworden. Dass zweite Haus (eigentlich in meiner Timeline das erste) gibt es nicht mehr. Ich finde die Straße, auch ein vom gleichen Architekten gebautes Haus direkt an der Straße, aber wir haben am Ende einer längeren Einfahrt etwas ab von der Straße gewohnt. Ich treffe ein paar Leute auf der Straße und quatsche sie an, alleine schon damit sie nicht beunruhigt sind von dem Fremden, der hier Fotos macht – ich bin kein Einbrecher. Sie schütteln alle den Kopf: „Vor vierzig Jahren hier? Krass.“ Aber ein paar der älteren Leute wohnen immerhin schon lange genug hier, um sich zu erinnern, dass es mal vier solche Häuser gab, aber einige wurden halt abgerissen und modern ersetzt. Auch dass ein paar Häuser weiter in die Richtung eine ‚crazy cat lady‘ wohnte, können sie noch bestätigen. Das war Jo, und sie hat jeden Tag die Katzen der Nachbarschaft mit Fisch gefüttert (ich denke, sie hatte ein Abkommen mit dem Fischmarkt zur Zweitverwertung der nicht mehr ganz frischen Reste), und mir mein erstes Haustier, einen Kater namens Bruno vermittelt. Sie ist vor drei Jahren gestorben, meint die freundliche Spanierin.

Überhaupt Spanisch: Als Kind konnte ich es gut, so gut wie halt ein neun-jähriger eine Sprache kann. Bestimmte Themengebiete waren einfach nicht notwendig. Ankerkette? Wanten? Vorstag? Besansegelfall? Keine Ahnung, wie das auf Spanisch heißt – viele Deutsche wissen ja auch heute nicht, was das auf Deutsch bedeutet. Der Rest meiner Spanischkenntnisse kommen langsam wieder. Ich kann zwar immer noch keine Verbformen, aber ein Teil des Vokabulars kommt wieder. Für geduldige Spanier reichts es zum Kommunizieren aus. Übermütig habe ich gestern beschlossen, mein Spanisch mit Lesen zu verbessern; ich habe mir das erste Harry Potter Buch in der Kinderedition gekauft. Musste auf den ersten Seiten ungefähr jeweils 15 Wörter nachschlagen, um’s zu kapieren. Dann nutzte ich die ‚Schau-ins-Buch‘ Funktion von Amazon.co.uk. So werde ich wohl durch’s erste Kapitel kommen. Danach – vielleicht das Buch in Englisch als Kindle-Edition?

An das Autofahren hier muss ich mich auch noch etwas gewöhnen – nicht das die Spanier wild fahren würden. Aber wie halt Straßen gebaut und beschildert sind, ist etwas verwirrend. Linksabbiegen ist häufig rechts rausfahren, auf die Querstraße links abbiegen, und dann mit Ampel quer über die Hauptstraße. Fährt man etwas nach Gefühl, muss man sich von Málaga nach Marbella links halten, um an der Küste zu bleiben. Blöd nur, dass kurz vor Marbella das links halten gelöst ist mit rechts rausfahren, und dann unter der Straße wieder nach links. Die Küstenstraße ist für den meisten Teil eine ‚autobahnähnlich ausgebaute Bundesstraße‘. Es gibt meist Ausfahrten, dann ein kleiner Kreisverkehr, und (würde man gerade durch den Kreisverkehr fahren) wieder die Einfahrt auf die große Straße. Der Kreisverkehr ist beschildert, noch gut von der großen Straße zu sehen. Bis man sich dran gewohnt hat, bekommt man immer einen Schreck: Man ist auf der Straße nach Málaga, hat die Ausfahrt nicht genommen, und sieht dann fast aus dem Augenwinkel das Hinweisschild ‚zweite Ausfahrt im Kreisverkehr nach Málaga‘. Scheiße, denkste Dir, da hätte ich rausmüssen, bis Dir auffällt, dass diese Option einfach wieder auf Deine Straße führt, alles gut. Allgemein ist die Platzierung der Schilder etwas anders, also der Abstand zu der gemeinten Straße. Bin schon oft eine Straße zu früh abgebogen, weil das Schild für die nächste Kreuzung so nah an dieser nahen stand. Aber egal – so bekommt man kostenlos eine kleine Stadtrundfahrt in Viertel, die man sonst nicht gesehen hätte.

Gab es in den Siebzigern schon Tapas? Ich glaube nicht. Aber ich hatte als Kind auch Phasen, wo ich beim Essen nicht gerade abenteuerlustig war (Eine gewisse Zeit habe ich immer ein einfaches Omelett bestellt, irgendwann dann ein Chuleta de Cerdo {Schweineschnitzel} egal ob’s auf der Karte stand oder nicht), deshalb wollte ich sie vielleicht einfach nicht probieren. An ein paar Spezialitäten erinnere ich mich dennoch: Gambas al Pil Pil (Krabben in heißem Öl mit Chili und Knoblauch), Chanquetes (streichholzgroße frittierte Minifische), Coquinas (eine kleine Muschelart). Wenn ich die auf einer Karte sehe – ein walk down memory lane.

Viva Málaga!

Nicht nur ich kenne Leute an der Costa del Sol. Eine ehemalige Arbeitskollegin (Diana) von Frank wohnt mittlerweile in Málaga (der Stadt), und eine andere ehemalige Arbeitskollegin (Christina) von ihm besucht Diana in dieser Woche. So vereinbart er einen Besuch. Am Freitagnachmittag fahren wir nach Málaga. Wir wundern uns, dass Google-Maps uns keine Route zu der Adresse ausspuckt. Ein Teil klappt, aber am Ende gibt es einen durch eine gepunktete Linie bezeichneten Sprung. Es stellt sich heraus, dass Diana und Adriana direkt in der Altstadt von Málaga wohnen, in einer Fußgängerzone. Die Beschilderung ist etwas verwirrend, aber wir finden einen Treffpunkt am Rande der Altstadt, wo wir unser Gepäck ausladen, und ich finde danach ein Parkhaus wo wir den Mietwagen stehen lassen können. Die Wohnung ist genial – nicht unbedingt groß, aber im obersten Stockwerk mit einer kleinen Dachterrasse, und wenn man aus der Haustür kommt, findet man in jede Richtung auf den ersten hundert Metern mehrere Kneipen. So würde ich auch gerne einmal (vielleicht für ein Jahr) wohnen. Wir werden bei Diana übernachten, und haben etwas Wein mitgebracht, für wenn die Kneipen zumachen.

Nach der gastronomielosen Tristesse von Deutschland in Corona-Zeiten ist Málaga ein Kulturschock. Diana hat in der Bodega Bar el Pimpi einen Tisch reserviert, wir schlendern in einer belebten Fußgängerzone dorthin. Zwar müssen die Kneipen hier (nach spanischen Verhältnissen) am Nachmittag schließen – also um 23:00, aber bis dahin ist Betrieb. Es herrscht strenge Maskenpflicht im öffentlichen Raum, also auch in der Fußgängerzone, aber an allen Tischen im Außenbereich und im Innenbereich darf man die Maske abnehmen, allerdings nur zum Essen und Trinken. Da aber immer sofort ein Schälchen mit Oliven auf dem Tisch steht, ist man theoretisch immer beim Essen. Es mag auch sein, dass die Tische etwas ausgedünnt sind, aber nach einem Jahr Einschränkungen kommt es einem vor wie das pralle Leben. „El Pimpi“ ist eine sehr knuffige Kneipe, als wir dort fertig sind wandern wir weiter bis zur Bar „Las Merchanas“. Wir laufen kurz nach zehn dort ein, und haben noch Zeit für eine zügige Flasche Rotwein. Las Merchanas hat als Thema die ‚Semana Santa‘, die heilige Karwoche, die in Andalusien berühmt ist. https://de.wikipedia.org/wiki/Semana_Santa Dann laufen in sogenannten ‚Pasos‘ Prozessionen von Menschen in Kapuzen mit Altären und Abbildungen von Stationen des Kreuzweges durch die Straßen, begleitet von traurigen Märschen, die nun in der Bar gespielt werden. An Wänden und Decken hängen diverse Bilder und Paraphernalien zum Thema. Vor der Bar mit dem aufgeklebten Schild „Distanzzone“ machen wir Gruppenselfies; wir feiern. Als wir kurz vor elf zu Dianas Wohnung flüchten, sieht man immer mehr Leute, die es mit Abstand und Maske noch weniger Ernst nehmen als wir: Viva Málaga. Natürlich kann man trefflich darüber diskutieren, ob das in der Pandemie wirklich schlau ist, aber – es fühlt sich halt doch einfach mal wieder nach Leben an. Was bin ich froh, dass wir endlich wieder unterwegs sind.

Zurück bei in der Wohnung treffen wir auch Adriana, Dianas Partnerin. Frank und ich haben etwas Wein eingekauft, ein paar Flaschen zum Trinken, ein paar als Mitbringsel. Bis vier Uhr morgens sitzen wir abwechselnd im Wohnzimmer und auf der Dachterrasse und trinken viel zu viel. Es ist eine bunt gemischte Gruppe, entsprechend wild die Themenwahl. Diana kommt aus Estland, hat lange in München gearbeitet, und arbeitet nun freiberuflich aus Málaga. Adriana kommt aus Kuba, und ist Architektin an der Küste. Christina wohnt aktuell in Zürich, hat mit Frank bei der gleichen Firma gearbeitet, und kennt ihn auch noch aus der Firmen-Segelgruppe. Sprachwahl: meist Englisch oder Deutsch, aber auch ab und zu Spanisch und ein paar Trinksprüche auf Russisch. Der Samstagmorgen beginnt entsprechend verhalten.

Wir schlafen bis Mittags, und machen dann eine kleine Stadtbesichtigung: erstmal ein Kaffee, Mineralwasser und ein Croissants in einer Bar, und dann erklimmen wir einen kleinen Berg, an dessen Gipfel der Parador de Gibralfaro steht (Luxushotel nach 160 Höhenmetern). Dort genießen wir sowohl den Ausblick als auch ein Cola (nach Bier ist noch niemandem). Rückweg dann an der neu aufgewerteten Hafenpromenade. Gegen vier packen wir unsere Sachen, und machen uns zu fünft auf den Weg nach Marbella; am Sonntag ist ein Ausflug auf dem Boot geplant. Wir finden in Marbella zwar eine tolle Tapasbar, aber trotzdem fließt weniger Wein als am Vorabend.

Sonntag schaffen wir es immerhin um kurz nach 10 gefrühstückt aus dem Hafen. Es ist zwar kein Wind angesagt, aber etwas mit Motor auf dem Wasser, und vielleicht mal sinnlos die Segel rausholen. Wir sind überrascht. Es hat zwar anfangs nicht mehr als acht Knoten Wind, aber da das Meer noch spiegelglatt ist, bewegt sich die Seestern trotzdem. Dazu Sonnenschein – gute Laune pur. Nach dem Anlegebier bringe ich die Mädels zurück nach Málaga, und fahre dann etwas chaotisch durch die Städte meiner Kindheit.

Auf der Flucht

Dr. Richard Kimble segelt – na ja, nicht ganz. Aber ist schon eine seltsame Fahrt. Am Samstagvormittag tanken wir in Ibiza nochmal voll, und machen uns auf den Weg zum Festland. Wir haben beschlossen, in Etappen zu fahren, und nicht in einem Rutsch die ca. 300 Seemeilen von Ibiza bis nach Málaga (Málaga steht hier immer für ‚einen Hafen in der Nähe von‘). Windfinder sagt für den Tag und die Nacht danach Wind von hinten voraus, ab Cartagena bzw. Sonntag Vormittag dann aus der falschen Richtung. Raumer Wind ist irgendwie entspannt – da wir faul sind, setzen wir nur das Vorsegel, dass lässt sich auch nachts halbwegs fahren, und man hat kein potenzielles Problem mit Patenthalsen, oder nachts bei kräftigen Wellen das Großsegel reffen zu müssen. Die ersten drei Stunden bewahrheitet sich die Vorhersage nicht, und wir nutzen das frische Diesel, aber danach setzt der Wind ein. Wir wollen fahren, solange uns der Wind (kostenlos) in die richtige Richtung bläst, also planen wir schon jetzt mit einer Nachtfahrt. Also trotz Sonne und endlich wieder Segeln muss einer ins Bett. Auch nur unter Vorsegel ist es entspannter, so zu fahren, dass der Wind schräg von hinten kommt. Dann weht das Segel definiert in eine Richtung aus, das nennt man ‚kreuzen vor dem Wind‘. Wer Wind legt zu, die Wellen dementsprechend auch. Als erstes fahren wir zum Cabo de la Nao, nördlich vor Alicante. Wer sich die Karte von Spanien ansieht, kapiert schnell, dass ein Frachtschiff z.B. von Gibraltar nach Barcelona eine mehr-eckige Route fährt, die durch die verschiedenen Kaps definiert wird. Um das ganze in geordnete Bahnen zu lenken, gibt es an den Kaps jeweils sogenannte Verkehrstrennungsgebiete, eine auf der Karte definierte Autobahn mit klarer Richtungstrennung. Hobby-Segelschiffe haben da nichts verloren. Leider zeigt unsere elektronische Karte die Gebiete erst beim Reinzoomen, deshalb kachele ich fast in eines hinein. Die VTG existieren immer nur ‚an der Kurve‘, also am Kapp. Vom Cabo de la Nao bis zum Cabo de Palo fahren wir aber ungefähr die gleiche Strecke wie die großen Schiffe. Also gut Ausguck halten, das AIS gut im Auge behalten, und ab und zu doch reagieren, weil es uns mit einem großen Tanker zu knapp wird. Der Wind legt weiter zu, die Wellen auch. Maximal registrieren wir 43 Knoten, das sind dann 80 km/h. Die Wellen will ich nicht abschätzen, aber teilweise heben sie das Schiff an, und drehen es mal einfach eine Achtelumdrehung. Hektisches Wieder-auf-Kurs-Kommen ist angesagt. Und natürlich bedeuten die schräg von hinten kommenden Wellen, dass sich das Schiff mal nach links, nach rechts, nach vorne, nach hinten neigt. Teilweise reicht es dazu, dass das Handy auf dem Tisch plötzlich angeht, weil die Bewegungssensoren denken, dass man es gerade aus der liegenden in die Draufschauposition bewegt hat. Das ist nicht besonders angenehm, aber nööö, das wird kein „Puh!“ Eintrag mehr. Die Seestern kann sowas ab.

Wir hatten erst überlegt, im Mar Menor (vor dem Kap de Palo) zu übernachten, aber der Wind bleibt uns noch ums Kap gnädig, und so finden wir eine Ankerbucht etwas westlich von Cartagena (Punta de Azohia, wer’s im Atlas verfolgt). Nicht Puh!, aber müde sind wir trotzdem – Ein Teller Penne mit Pesto, und ab ins Bett. Für den nächsten Tag gönnen wir uns Ausschlafen, rückblickend vielleicht etwas doof, denn damit verlängern wir die nächsten Etappen jeweils ohne Not. Jedenfalls brechen wir erst mittags auf, können sogar etwas segeln, und gehen am Abend vor den Puertos de Carboneras vor Anker. Ein malerisches Städtchen, mit drei Häfen! Gut, zwei sind nur für das große Kraftwerk und das Zementwerk zuständig, und die eigentliche Stadt besuchen wir auch nicht. Deshalb auch das Gefühl ‚auf der Flucht‘ zu sein: Eigentlich glauben wir, dass wir ‚in Transit‘ zu unserem geschäftlichen Termin auch in einer Stadt anlegen könnten, aber ehrlich gesagt wollen wir uns mit möglich wenig Hafen-Polizeibeamten über die korrekte Auslegung der Richtlinien auseinandersetzen. Also planen wir keine Besuche in Städten und Häfen, sondern ankern in Buchten oder einfach vor dem Hafen. Damit stellt sich aber auch kein richtiges Urlaubsfeeling ein. Die restlichen Tage stehen wir früh auf (zwischen vier und sechs), lichten den Anker, und tuckern meist unter Motor mal ein wenig aufs offene Meer, wo sich dann im Laufe des Vormittags etwas Wind entwickelt; allerdings genau aus der Richtung, in die wir wollen. Man kann natürlich unter Segeln gegen den Wind kreuzen, aber insgesamt kommt man damit nicht schnell voran. Dienstag abend segeln wir so vom Cabo de Gata bis vor den Puerto de Roquetas de Mar. Mittlerweile halten wir uns deutlich auf der Landseite von den Verkehrstrennunggebieten. Etwas spannend wird es dennoch, aber nur im Funk. Die „Max Schulte“, ein Frachter unter singapurianischer Flagge, hat ein Mann-über-Bord Notfall, und bittet Schiffe in der Nähe scharfen Ausguck zu leisten. Interessanterweise kein Mayday Notruf. Per Funk hört man das sich Drama entwickeln. Ein weiteres Schiff in der Nähe beteiligt sich an der Suche, und natürlich wendet die Max Schulte sofort (dauert halt bei der Größe Schiff in voller Fahrt ein paar Kilometer). Irgendwann beginnen dann Funksprüche nach dem Motto: „Habt ihr ihn jetzt wieder gefunden?“, die dann einzeln positiv beantwortet werden. Es gibt kein ‚all ships‘ Entwarnung, das haben wir im Funkkurs anders gelernt. Irgendwann stellt die Max Schulte deutlich klar, dass der Kollege nunmehr gerettet ist; zwanzig Minuten später kommt von der Küstenfunkstelle der ursprüngliche Hinweis „Man overboard in Position xxx.yyy, ships are requested to keep a sharp lookout“ Nicht unglaublich vertrauenserweckend, aber Frank sieht auf dem GPS auch einen Hubschrauber, also hat man wahrscheinlich nicht alles auf Funk gehört. Wir haben übrigens auch evaluiert, ob wir helfen können (dazu sind wir ja nebenbei verpflichtet), aber die genannte Position war drei Stunden von uns entfernt. Kurz vor Roquetas de Mar stellen wir fest, dass der Wind-Gott auch einen seltsamen Sinn für Humor hat. Kurz vor dem Ankern dreht er den Wind nochmal richtig auf. Wir müssen eine Meile vor der Reede noch schnell reffen, und sorgen uns über die damit drohende unruhige Nacht. Kurz nachdem der Anker liegt, geht der Wind aber wieder aus, es bleibt eine ruhige Nacht.

Mittlerweile haben wir uns committed, bis Donnerstagabend in Marbella zu sein, das war der günstigste Hafen, der noch Platz für uns hat. Dazu planen wir, Mittwoch nacht in Puerto de la Mona zu übernachten, und dann am Donnerstag ganz schnöde nach Marbella zu dieseln. Wenn wir um vier aufbrechen, sollten wir noch tagsüber ankommen (Fun fact: an der gesamten spanischen Südküste hat es eine Meeresströmung, natürlich – wie könnte es anders sein – genau von vorne. Also wird jeglicher Erfolg bei der Geschwindigkeit um 1-2 Knoten reduziert, also 20-30% bei guter Geschwindigkeit). Der Ankerplatz in Puerto de la Mona ist nicht gut – der Ankergrund hält nicht besonders, wir sind zu nah am Strand oder an irgendwelchen Felsen, irgendwann geben wir auf, und beschließen die Nacht durchzutuckern, treibstoffsparend langsam. So sind wir tatsächlich ‚am Nachmittag‘ in Marbella; wir laufen um 12:10 ein. Nachdem wir die letzte Etappe der Fahrt keinen Wind hatten, frischt es zum Einparken nochmal kräftig auf. 14 Knoten Seitenwind, aber wir wurschteln uns ohne Eleganz, aber auch ohne Schaden auf den Parkplatz.

Vela del Sol S.L.

Einer der eindeutigsten Gründe für unsere Pause in Ibiza war ja, dass die verschiedenen Regionen Spaniens sich gegeneinander abgeschottet haben. Die Einreise nach Andalusien aus touristischen Gründen war verboten (aus Spanien, aus der EU wegen der geforderten Freizügigkeit aber erlaubt). Mein bester Freund aus der Grundschule ist mittlerweile Anwalt in Marbella, er schlägt schon im Oktober vor, dass wir einfach einen geschäftlichen Grund benötigen, um triftig nach Málaga zu reisen. Im November wollten wir von solchen Fisimatenten noch nichts wissen. Im neuen Jahr überlegen wir uns das ganze nochmal.

Wenn wir sowieso wegen Corona nicht weiterkommen, könnten wir ja auch in Spanien bleiben, und dort ein Geschäft mit unserem Segelboot aufziehen. Wir wär’s mit Eventreisen auf der Seestern? Team-Building? Perfekt – wir überlegen also die Grenzerfahrungs Segel GmbH in Andalusien zu gründen, wählen aber dann doch einen neutraleren spanischen Namen. Es soll die „Vela Sol S.L.“, werden, eine Sociedad Limitada mit 3000€ Stammkapital. Das Stammkapital soll als Sacheinbringung in Form der Segelyacht geleistet werden, deshalb wird man die Seestern wohl in Málaga schätzen müssen. Etwas Beratung und einen Notartermin brauchen wir auch. Unser Anwalt bestätigt uns den Termin, bringt auch in Erfahrung, dass es die Vela Sol im Handelsregister schon gibt, deshalb schwenken wir auf „Vela del Sol S.L.“ um. Unsere höchstoffiziellen Terminbestätigungen müssten ein Passierschein sein, das bestätigt auch die konsultierte Landespolizei.

Einige der Häfen, in denen wir nach einem Platz gefragt haben, wurden ganz nervös, als wir ihnen sagten, dass wir aus Ibiza kämen: „Dann dürft Ihr gar nicht kommen“. Unsere jetzige Marina hat die Frage gar nicht im Prozess. Es hat sie schlicht und ergreifend nicht interessiert, wo wir herkamen, und unsere tollen „Certificados de Desplazamiento“ wurden nicht benötigt.

PS: nach eingehender Beratung haben wir eingesehen, dass die Idee ein Schmarrn ist. Es gibt hier schon Segelanbieter in ausreichender Menge, und das Schiffen wegen eines Grundkapitals von 3.000 € schätzen zu lassen, wäre zu aufwändig. So müssen wir unseren ersten potenziellen Kunden ablehnen – als wir in Marbella anlegen, wandert ein Mann vorbei, und fragt, ob er bei uns Segeln lernen könnte. Also keine GmbH in Spanien – aber, oh well, jetzt sind wir halt in der Provinz Málaga. Kismet.

Bilder aus Ibiza (nicht Fotos)

Das Meer brennt

Anders lässt sich das Löschflugzeug ja nicht erklären. Es donnert über die Bucht von Sant Antoni, in ‚Griffweite‘ der Mastspitzen. Auf der anderen Seite der Hafenmauer landet es auf dem Wasser, saugt Löschwasser auf, zieht wieder hoch, und lässt es ein paar hundert Meter später wieder ab. Das Ganze wiederholt sich sechs Mal, ich schaffe es leider erst beim sechsten Mal Wasserablassen die Kamera (mit SD-Karte!) bereit zu halten.

Spiel mir das Lied vom Tod

„Ieeeeek – Üüüüüük – Ieeeeek Üüüüüük – Ieeeek Üüüüük“. Während ich in meiner Achterkabine liege, übt das Schiff schonmal für die Soundeffekts in „Spiel mir das Lied vom Tod“. Ursache ist der Rückdämpfer in unserer Steuerbord-Achterleine, eine massive Feder, die – wie der Name ja sagt – verhindern soll, dass bei Schaukelbewegungen das Schiff zu heftig in die Leine einruckt. Ieeeeek – Üüüüük, hört man unter Deck. Der Wind spielt also weiter mit dem Schild des Eisenbahn Haltepunktes. Das Bild passt auch im Kopf. Noch immer fühlen wir uns ein wenig in der Wüste. Auch wenn wir mittlerweile einen Plan haben, zumindest auf’s Festland zu kommen, die Weiterfahrt könnte sich von dort auch schwierig gestalten. Drei Bösewichte und Charles Bronson stehen sich gegenüber: „Sieht so aus, als hätten wir ein Pferd zu wenig mitgebracht.“ – „Nein, zwei zuviel“ Bang Bang Bang. Mal sehen, wann wir unser Pferd satteln können, und weiterkommen. Ieeeeek – Üüüüük.

Essen in Beijing

Wie im letzten Beitrag schon angedeutet – in Ibiza haben aktuell die Restaurants offen. Nur bis 17:00, und nur im Außenbereich, aber immerhin. Nach Monaten der Entsagung in München nutzen wir das. Frühstück gerne im Cafe, und um spätestens 16:00 das (Nach-) Mittagsmahl. Leider bleibt die Auswahl eingeschränkt. Die am besten bewerteten Restaurants sehen es als unter ihrer Würde, nur mittags aufzumachen (es sind eh noch wenig Touristen da) oder sind schon pleite (man sieht öfters statt einer Karte im Fenster der Hinweis ‚zu verkaufen‘), und so scheitern wir regelmäßig mit echtem spanischen Essen. Einen sehr bodenständigen Spanier, der auch recht preiswert ist, finden wir. Leider preiswert bei sehr niedrigen Preisen. Am Platz in der Stadtmitte gibt es ein offenes internationales Restaurant, welches uns schaudern lässt: Auf der Karte Curry, Pizza, Schnitzel, Tapas und Thai-Noodles. Danke, Nein. Am Ende landen wir (wie schon im November) bei einem Thailänder gegenüber der Marina. Aktuell hat er als Special „Ente nach Peking Art“. Gut, eigentlich ist es knusprig gebratene Ente, die man dann in Pfannkuchen mit Gemüse und Hoisin-Soße ist, aber dennoch recht schmackhaft. Dann Essen wir halt echte Tapas wenn im Herbst die Läden in München wieder aufmachen.

Spiel mir das Lied vom…

Die Marina hier ist schon schick – modern, sauber, gepflegte Sanitärbereiche, und tagsüber Musik. Die läuft im Sanitärbereich, und per Außenlautsprecher an jedem Steg und Müllhäuschen. Die ersten Tage eher coole Lounge-Musik, die allerdings nach einer halben Stunde eigentlich nur noch Pop-Jammern ist. Gut, dass man die nicht vom Schiff aus hört. Irgendwann hätte man Selbstmordgedanken. Heute haben sie die Playlist gewechselt. Blues Brothers, CCR und die Doors. Besser so.

Wieder an Bord

Wir haben hier in Ibiza ein sehr innovatives Konzept erlebt. Ein Lebensmittelmarkt, wo man jeweils passgenau für nur eine Mahlzeit einkaufen kann, einfach am Tisch bestellt. Der Clou: während man wartet, werden die Zutaten in einem Hinterzimmer schon kombiniert und erwärmt. Man bekommt sie dann auf einer wiederverwendbaren Keramikschale geliefert, direkt an den Tisch. Es wird vor Ort gegessen, also entfallen Plastiktüten für den Heimtransport, und die schmutzige Keramikschale wird dann für einen entsorgt und für den nächsten Einsatz vorbereitet. Angeschlossen ist auch ein Getränkemarkt, der ein analoges Konzept verfolgt. Man zahlt zwar etwas mehr, aber hat dafür auch keinen Stress, keine Arbeit und keinen Abwasch. Ich fragte die in Deutschland zurückgebliebenen, warum es dort so etwas nicht auch gibt, und erntete bissige Kommentare.*

Auch hier in Ibiza gibt es natürlich Einschränkungen: nur Außengastronomie, und nur bis 17:00. Wir gehen also um 15:30 zum Abendessen, „Ritas Cantina“ hat uns auf unserem letzten angelacht. Erst als wir per QR-Code die Karte sehen, stellen wir fest, dass es hier indonesische Spezialitäten gibt, also Bami Goreng statt Tapas. Oh well.

Die Abreise fast etwas gespenstisch. Ich bin ja früher öfters geflogen, und jetzt durch den fast ausgestorbenen Flughafen zu wackeln ist komisch. Die Läden haben zu, die überteuerte Gastronomie hat die Stühle auf den Tischen, und auch in der Lounge (Frank bekam seinen Status verlängert) bekommt man nichts zu Essen oder Trinken (gut, eine abgepackte Breze und eine Flasche Wasser, aber bitte nicht hier vor Ort essen). Beim Einchecken haben wir schon die Anmeldung für die spanische Gesundheitsbehörde vorgelegt, mit dem negativen PCR-Test, kurz vor dem Gate gibt es nochmal einen Dokumenten Check. Ein fälschungssicheres Post-It mit Stempel auf dem Personalausweis belegt meine Unbedenklichkeit. Um möglichst viel authentisches Feeling aufkommen zu lassen, werden wir wegen der Überlastung der Gates (Vorsicht Ironie) am eigentlichen Terminal in einen Bus geladen, und an die vorletzte Außenposition gefahren. Auch die Flugzeug machen also social-distancing. Die Lufthansa hat einen kleinen Regionaljet der Air Dolomiti eingesetzt, so bekommt man den Flieger auch mit 70 Passagieren gefühlt voll. Gut, da alle hier einen negativen PCR-Test benötigen, ist das Risiko wahrscheinlich wirklich gering. Der Flug nach Ibiza ereignislos, aber auch hier der Flughafen gespenstisch leer.

Die 17:00 Sperrstunde für Restaurants gilt auf Ibiza weiterhin, informiert uns die Taxi-Fahrerin, auch wenn es auf der Seite des Auswärtigen Amts nicht mehr explizit aufgeführt ist. Die magische Zeit ist vorbei, also bitten wir sie, noch kurz an der Tanke anzuhalten, zumindest ein kaltes Willkommensbier wollen wir haben. Es ist sonnig, wir genießen im Cockpit ein paar Bier, und sind positiv überrascht von dem Zustand des Schiffs. Keine Zentimeter-dicke Staubschicht, und auch im Schiff hat nichts gemüffelt, keine Hinweise, dass es irgendwo reingeregnet hat. Am meisten hat die deutsche Flagge am Besanmast gelitten, die wir wohl vergessen haben einzuholen. Etwas ausgefranst, und zwischenzeitlich eher quadratisch. Nach Sonnenuntergang wird es im T-Shirt an Deck zu kühl (jammern auf hohem Niveau, in München hagelt es), und wir vertilgen noch ein Willkommens-Wein und ein Willkommens-Rum unter Deck, bis wir um zwei Uhr morgens in die Koje gehen.

Wir haben noch ein paar Arbeiten zu erledigen, bevor’s weitergeht. Frank hat in München diverse Kunststoffteile 3D-gedruckt, jetzt ist die Stunde der Wahrheit, ob die gekrizelten Skizzen vor Verlassen des Schiffs stimmten. Auch ein paar kleine Sache wollen eingebaut werden, und eigentlich wollten wir noch einen Ölwechsel machen lassen. Aber hoffentlich geht’s spätestens Mittwoch oder Donnerstag los. Drückt uns die Daumen.

*ja, ich habe eben das Restaurant erfunden. Vielleicht zum besseren Verständnis, solltet Ihr das erst in ein paar Jahren lesen: In Deutschland war während unseres gesamten Aufenthalts die Gastronomie geschlossen; wir haben alle keine Kneipe oder Restaurant von innen gesehen.

„In Limbo“

Als wir im November nach München zurückflogen, war einer der Gründe, dass es in Ibiza mittlerweile für unsere Reise etwas perspektivlos aussah, und Perspektivlosigkeit wäre vielleicht in München besser zu ertragen. Das hat sich wohl auch bewahrheitet – in zweierlei Hinsicht: tatsächlich lässt sich die Perspektivlosigkeit in der eigenen Wohnung besser ertragen; aber perspektivlos ist es auch geblieben. Wir hatten ja gehofft, dass sich zum Weihnachtsfest und erstmal danach die verschiedenen Einschränkungen lockern würden, weil bis dahin die diversen Maßnahmen die Pandemie sicher niedergekämpft hätten (hohoho), aber auch weil wohl kein Politiker den Leuten Weihnachten und Silvester mit Freunden und Familien untersagen würde; es also vielleicht Anfang Januar noch gut möglich wäre, in Richtung Malaga weiterzusegeln. Was haben wir gelacht. Silvester in kleinster Runde, und auch danach extrem eingeschränktes Leben. Ganz neue Freizeitmöglichkeiten wurden erforscht – ein Spaziergang über die verschneiten Felder im Norden von Münchens, eine Stadtwanderung im Süden von München, leider ohne die erhoffte Leberkässemmel bei einem offenen Metzger. Wir haben beide Kontakt mit unseren Auftrag-/Arbeitgebern gehalten, ich durfte auch bei der virtuellen Weihnachtsfeier der PKF mitmachen, aber ich konnte auch nicht wirklich sinnvoll arbeiten – kein Vorwurf, ich hätte auch niemanden auf ein Projekt gesetzt, der klar sagt, dass er bei der nächsten Lockerung sofort wieder zum Segeln fliegt.

So war die Zeit tatsächlich „in Limbo“, eine im englischen übliche Redewendung, die es wohl auch in Deutsch gibt, wenn man genügend lange recherchiert. Gemeint ist der Limbus, der Vorhof zur Hölle, und im modernen Sinn ein Zustand in der Schwebe. Es hat sich bei mir herausgestellt, dass das komplette Aufräumen nicht dadurch umgesetzt wird, wenn man nur mal genug Zeit hätte, und so kann ich nur sagen: „ich habe viel geschlafen“. Am Ende waren wir fast fünf Monate in Deutschland, und damit fast doppelt so lang wie unsere Segelzeit bis dahin. Corona ist ein Riesenscheißdreck. Ich relativiere das natürlich beim Nachdenken. Ich ärgere mit über eine Unterbrechung eines Urlaubs während andere buchstäblich um ihre Existenz zittern müssen, aber emotional hat es dennoch geärgert. Als allerdings durch die Medien ging, dass die Balearen nun zum Osterurlaub wieder öffnen, haben wir Morgenluft geschnuppert, und wollten mit einem der Flieger nach Ibiza, die hauptsächlich auf dem Rückweg Münchner Osterurlauber wieder nach Hause bringen. Am 18. April haben wir dann einen günstigen Flug ergattert, und beschlossen, dass wir das jetzt einfach mal wieder probieren. Auch wenn uns vielleicht die x-te Welle in Spanien doch alle weiteren Pläne wieder kaputt macht; vielleicht können wir die Seestern zumindest in eine günstigere Pfütze überführen, die in Ibiza ist preislich mit einer 1 ½ Zimmer Wohnung in München zu vergleichen. Am Freitag der PCR Test mit negativem Ergebnis, dann mit etwas mehr Routine die Wohnung für ein paar Monate leerstehen vorbereitet, Kühlschrank wieder leergegessen und geräumt, aber da es diesmal ja kein ganzes Jahr sein soll, auch auf ein paar Maßnahmen verzichtet. Wer weiß, wann wieder zurück sind. Fingers crossed, Insh’allah.

Untergang? Havarie? Nein, alles gut.

Ja, der letzte Eintrag ist schon a bisserl her. Apologies. Dafür hat’s Gründe, einige kennen die auch schon. Bis zum 23. November war die Einreisebeschränkung für Andalusien terminiert, und am Sonntag davor sollte die Entscheidung über eine mögliche Verlängerung verkündet werden. Die Entscheidung fiel – Verlängerung der Beschränkungen bis zum 10. Dezember. Die anderen Provinzen (Valencia, Murcia) verfahren ähnlich. Also konkret weitere 17 Tage im Kreis um Ibiza.

Ich gebe zu: das war mir zu perspektivlos, und perspektivlos, das kann ich in meiner Wohnung in München besser. Aber vielleicht ein paar der Gedanken mal etwas aufgedröselt:

  • Ja, die Wettervorhersage für die nächsten Tage war auch noch gut. Konkret kann man also – in einer Bucht – noch gut Schwimmen gehen; insgesamt ist es so von 10:00 morgens bis 17:00 sicherlich schöner als in Mitteleuropa, in kurzen Hosen und ohne T-Shirt in der Sonne. Sind wir also blöd, da weg zu wollen? Während man in der Mittagssonne sitzt: Ja, blöd. Aber nach 17:00 wird’s dann schattig, man verschwindet ins Schiff.
  • Wir verstehen uns gut – ich könnte mir kaum einen besseren Reisepartner als Frank vorstellen. Aber, nach 10 Wochen haben wir jetzt nicht mehr so den Riesenfundus an aufregenden Themen, die wir abends diskutieren. Mal über ein aktuelles politisches Thema diskutiert, aber der Abend ist länger als das Thema. Frank sitzt mit Hingabe an seinem Projekt, wandelt den analogen Widerstand unseres Tankgebers in digitale Signale um, die dann regelmäßig über ein altes Handy geloggt werden. Weitere Datenquellen auf dem Schiff werden irgendwann folgen, und dann haben wir ein digitales Logbuch (13:27:39: Motor angelassen, 13:31:45: Schiff bewegt sich {wir haben wohl abgelegt}, 13:52:27: Motor aus aber Schiff bewegt sich immer noch – wir werden wohl segeln). Anyway, Frank forscht nach, warum die Callback-Funktion von dem A/D Wandler nicht funktioniert, und ich trinke noch ein Glas Wein und schau in mein Schlaukasterl.
  • Es gibt eine klare -inverse- Korrelation zwischen der Schönheit einer Bucht und der Stärke des Internets. Auf Cabrera freut man sich, wenn emails funktionieren, im Hafen von Mallorca würde Streaming funktionieren.
  • Aber wahrscheinlich ist einer der wichtigsten Punkte, dass wir uns vor Corona eigentlich gedacht haben, dass wir ständig mit unterschiedlichen Freunden unterwegs wären. Die erfahrenen Segler machen bei den Etappen über 24 Stunden mit wenn’s von Insel zu Insel geht; die etwas Unsicheren bekommen eine Buchten-Tour mit leckeren Restaurants zwischendrin. Und da hat uns Corona einen kräftigen Strich durch die Rechnung gemacht. Natürlich verstehe ich das – ein Kurzurlaub mit anschließender Quarantäne ist plötzlich länger.
  • Auch das übliche Sozialleben im Hafen leidet. Normalerweise schlendert man am Nachmittag an den Yachten im Hafen entlang, grüßt artig – wo kommt Ihr her? – und meistens hat man dann am Abend jemand, der mit einem die Hafenkneipe ausprobiert oder noch auf ein Bier im Cockpit vorbeischneit. Da ist die Hemmschwelle jetzt auch höher.

Jedenfalls sind Frank und ich dann am 25. November von Ibiza über Barcelona nach München zurückgeflogen. Es fliegt kaum noch etwas, aber dadurch sind die wenigen Flugzeuge doch eher voll. Gespenstisch der Flughafen von Barcelona – man wandelt alleine durch riesige Hallen. Entgegen der Verlautbarungen des auswärtigen Amtes müssen wir vor Abflug in Barcelona uns für Deutschland registrieren, in München sind dann 10 Tage Quarantäne angesagt. Nach fünf Tagen kann man sich testen lassen, und bei negativem Ergebnis beendet das die Isolation. Frank und ich waren positiv gestimmt, da wir beide negative Ergebnisse hatten. Die Seestern liegt derweil fast in Sichtentfernung vom (geschlossenen) Cafe del Mar.

Wahrscheinlich geht’s Anfang Januar zurück, wenn noch die Reisefreiheit der Weihnachtsferien herrscht, und bevor die Superspreaderevents von Weihnachten und Silvester auf die Statistik durchschlagen. Dann können wir unser Schiff etwas weiter in Richtung Atlantik bringen, zumindest nach Malaga.