Planänderung

Einigen von Euch ist bewusst, dass ich als Kind mal vier Jahre zwischen Marbella und Málaga gewohnt habe. Durch die Wunder moderner Technik (Fratzenbuch) bin ich wieder ein wenig in Kontakt mit meinen Freunden von damals, allen voran Erhard, meinem besten Freund aus der Grundschule. Erhard ist in Málaga geblieben, dort Rechtsanwalt mit Familie. Klar, dass ich den besuchen will, und zufälligerweise ist die Marina von Benalmadena (wo wir damals wohnten) eine der günstigeren in der Gegend. Also ein paar Tage an der Costa del Sol verbringen, ein oder zwei Pakete aus Deutschland empfangen, vielleicht ein paar Sachen am Schiff machen lassen, wo man irgendjemand kennt, der jemanden kennt, der sich vielleicht damit auskennt. Erhard versorgt mich seit dem Sommer regelmäßig mit Informationen zu Corona / Einreiseregeln usw. Bislang konnte er immer beruhigen, ‚uns in Spanien geht’s doch am schlechtesten von ganz Europa, warum sollte Spanien da die Einreise beschränken?‘

Vor ein paar Tagen hat Spanien wieder einen Alarmzustand ausgerufen, Ausgangsbeschränkungen und andere Einschränkungen der Bewegungsfreiheit sind damit möglich. Es sind noch zwei Tage Flaute angesagt, danach wollten wir uns mit günstigeren Winden erst nach Ibiza und dann ans spanische Festland begeben. Heute ab 0:00 hat Andalusien (dort liegt Málaga) ein Einreiseverbot bis zum 9.11. erlassen. Das ist jetzt ein kleiner Haken in unserem Plan. Auch die anderen Festlandsprovinzen wie Valencia und Murcia haben Beschränkungen (Haben wahrscheinlich Angst vor den hochinfektiösen Madrilenos, die das lange Wochenende an der Küste verbringen wollten). Ich telefoniere mit Erhard, die vorgesehenen Ausnahmen im Gesetz könnten schwierig für uns zu erfüllen sein, meint der Anwalt. So gehen wir davon aus, dass wir bis zum 9.11. auf den Balearen bleiben müssen. Dann sehen wir weiter. Aber ich will nicht meckern. Für social distancing haben wir keinen so schlechten Platz…

Cala Mitjana

Sechzig Meter nach Mallorca, fünf Millimeter zum halb-leeren Dieseltank

Jetzt habe ich wohl aus Versehen einen Cliff-Hanger produziert. Ihr fragt Euch sicherlich, ob wir es nun endlich nach Mallorca geschafft haben. Spannend, oder? Leider kann man die Frage nicht so klar beantworten. Wir sind tatsächlich am Tag nach dem Post „Mallorca?“ losgefahren – ordentlich Wind bis wir es schon halb nach Malle geschafft hatten. Eigentlich war der Wind gar nicht so viel, aber es war noch wirklich viel Welle wegen des Windes der letzten Tage. Das wirkt dann dramatischer. Auf halber Strecke ist der Wind dann aber leider eingeschlafen, Diesel & Autopilot an; die Seestern ist per Navi programmiert, in eine Bucht an der Westküste Mallorcas einzuschlagen. Es wird die nächsten Tage fast nur Flaute haben – da können wir auch in die Bucht, wir haben noch genug zu essen an Bord. Außerdem ist das Ankern in einer großen, leeren Bucht eher unproblematisch, das Einlaufen in einen unbekannten Hafen kann Tücken haben. Also kommen wir um 21:30 in Font de la Cala an (so zumindest auf Google Maps zu finden), werfen den Anker, und verziehen uns unter Deck.

Für die meisten Leser, die ich in Deutschland unterstelle, mag das wie Hohn klingen, aber es wird draußen langsam wirklich frisch, besonders nachts. Unsere Diesel-Standheizung müssen wir erst wieder in Betrieb nehmen, bis dahin heißt es improvisieren. Konkret: Den Niedergang (die Haustür) zugemacht, und den Motorenraum geöffnet. Da sind 250kg Metall mit ca. 70°C drin, die wärmen die gute Stube noch ordentlich. Auch eine Konsequenz des Herbstes: man versucht das Baden in der Bucht auf die perfekte Zeit abzupassen – zu früh am Morgen oder zu spät am Nachmittag, und es ist nicht mehr einladend. Gut – wann wart Ihr zuletzt in der Isar?

Die für die nächsten Tage angesagte Flaute wird Realität. Wir schlafen am Mittwoch aus, und machen… wenig… so schwimmen wir auch nicht an Land, sind deshalb also noch nicht AUF Mallorca, sondern nur 60 Meter davor. Frank hat unsere Kurzwellen-Antenne wieder angeschlossen, ich habe versucht das Funkgerät zu kapieren. Das Grenzwellen/Kurzwellen Funkgerät ist theoretisch in der Lage, um die ganze Welt zu funken. Es scheint auch zu funktionieren, wir hören BBC News aus dem Oman. Hatte auch schon was aus Madagaskar und Indonesien. Witzig – mit Internet ist es ja kein Problem mehr, sich jede beliebige Website aus Indonesien auf den Rechner zu ziehen. Wer die Technik versteht, ist davon nicht überrascht. Aber mit der Funke – das ist unmittelbar. Die Radiowellen werden tatsächlich an der Ionosphäre reflektiert, und kommen direkt aus Indonesien in unsere Bucht vor Mallorca. Ist dafür noch wirklich so, wie Funker in alten Filmen dargestellt werden. Mal laut, mal leise, mal pfeifen im Hintergrund. Ob das ganze heute noch eine praktische Anwendung hat – mal sehen. Bislang haben wir jedenfalls noch keinen Wetterbericht empfangen können, auch weil’s keine vernünftige Suchmaschine im 30 Meter Band gibt. Und die Pressemeldungen vom DWD – dreimal tägliche Aussendungen auf 5905 und 6180 KHz – sind schon drei Jahre alt.

Am Donnerstag stehen wir vergleichsweise früh auf – schon um 9:30 morgens. Frank hat das Problem unserer Tankanzeige analysiert, auch – ganz unsportlich – die Einbauanleitung angesehen. Dabei ist die Rede von einer Transportsicherung die unbedingt vor dem Einbau zu entfernen sei. Hmmmm. Chris zieht sich das Mechaniker T-Shirt an, liegt bäuchlings über unserer Bilge, lässt nur eine Schraube in die Bilge fallen, und – tatsächlich – da ist noch der Aufkleber „remove before installation“ und der fünf Millimeter lange Stift, der als Transportsicherung fungierte. Die Anzeige der Tankanzeige fällt von voll auf halb. Wir wollen unseren Griechen nicht böse sein – es stand nicht auf Griechisch drauf. Jetzt kann sich der Geber immerhin bewegen, und wir stehen nur noch vor der Frage, wie wir die Tankuhr kalibrieren können (geht nur bei leerem Tank, und eigentlich versuchen wir den zu vermeiden).

Dann noch kurz in die Bucht gesprungen, mit Meerwasserseife gewaschen, und auf geht’s. Wir dieseln die Küste zwei Stunden runter, nach Porto Christo. Beim Anlegen etwas Spannung im Hafenbecken. Just als wir einlaufen wollen, legt eine große blaue Segelyacht ab. 15 Meter vom Steg geht etwas schief. Hektisch springt jemand zum Anker, die Yacht steht wie bestellt und nicht abgeholt in der Mitte des Hafenbeckens. Wir kringeln ein wenig vor dem Hafen, die sollen das erstmal klären. Der Eigner hat sich die Badehose angezogen, springt schnell ins Hafenbecken – Bäh. Offensichtlich bringt er erstmal eine Landleine aus, und hängt dann zwischen Anker und Kai immerhin stabil. Es hilft auch, dass es keinen Wind hat. Der Marinero funkt uns an, das dauert noch, aber wir könnten jetzt reinfahren. Wir legen (kein Wind) ganz entspannt an, und schauen gespannt zu der blauen Yacht. Offensichtlich haben sie sich eine Muring um den Propeller gewickelt, bibbernd springt der Eigner mit Schnorchel immer wieder ins Wasser, bis er endlich alles geklärt hat. Pech. Wir ziehen unserer Lehre: immer schön warten, bis die Muring im Wasser versunken ist, bevor man losfährt. Segeln hat seine Tücken, insbesonders das An- und Ablegen.

Chris landet bei Porto Christo auf Mallorca. (Szene nach zeitgenössischen Berichten nachgestellt)

Somit haben wir in Porto Christo endlich Mallorca betreten, mehr als 48 Stunden nach Verlassen von Maó – und das bei einer vorhergesagten Reisezeit von ca. acht Stunden.

Mallorca?

Heute fahren wir nach Mallorca. Wecker um kurz vor acht gestellt. Plan: duschen, schnell Supermarkt, Mietwagen zurückgeben, ablegen, GO! Wecker um kurz vor acht. Es hätte ihn nicht gebraucht. Der Regen auf meiner Luke hätte mich auch so geweckt. Och neee. Ich prüfe unsere Planungswerkzeuge: Windfinder meint, dass wir so ca. 23 Knoten Wind hätten (und das hat in der Realität schon immer Böen bis 35 Knoten bedeutet), zwar nicht direkt von vorne, aber doch mehr aus Westen als gut ist. „Windy“ (von den gleichlautenden Apps die mit dem roten Hintergrund) hat auch eine Wellenvorhersage: 2 Meter oder mehr, eher direkt von vorne. Also fast schon zuviel Wind mit ordentlich Welle, und dabei noch im Regen stehen? Wir sind hart, aber keine Masochisten. Dennoch will ich den Plan nicht vor der Tatsache torpedieren, deshalb gehe ich auch Duschen; Frank ist vor mir gegangen. Wir überlegen – porque suffrir? Die Hektik verschwindet. Heute fahren wir nicht nach Mallorca.

Deshalb heute auch keine zusammenhängende Geschichte – ein paar Schnipsel von Gedanken die ihren Weg nicht in die vorherigen Beiträge gefunden haben. Keine besondere Reihenfolge, übrigens.

Der Hafen von Mahon ist eigentlich ein langer Fjord, mit langer Küstenlinie. Jetzt in der Nebensaison sind die ganzen Entlastungsmaßnahmen (Anlege-Pontons in der Mitte des Hafens) nicht notwendig, wir liegen also an einem Stück Hafenmauer, welches aktuell an den Club Maritimo de Mahon verpachtet ist. Wir liegen also direkt an der Hafenpromenade, und erkennen, dass es in Mahon lauter Perverse gibt. Ständig joggen irgendwelche Sportbegeisterten vorbei – manche als ob sie auf der Flucht vor den ganzen Kriminellen wären (Ihr erinnert Euch, durch die Ausgangssperre hat’s hier jetzt recht viele)

Ich konnte ja mal ganz gut Spanisch. Von meinem fünften Lebensjahr bis zum neunten habe ich hier gewohnt, sprach Spanisch wie ein Fisch im Wasser (Passt die Metapher?!?). Da ist noch viel im Hirn verbuddelt, wird dann plötzlich wieder aktiviert. Ich erkläre der Bedienung, dass wir ein Problem haben. Sie: „Di me“ – stimmt, das war ‚Sag mir‘. Das Problem – ein leeres Glas Wein – bekommen wir dann auch gelöst. Einfach so beim Zuhören werden wieder Floskeln aktiviert – als wäre es gestern. Aber dann trete ich an den Tresen der Marina Rezeption – 90% des Satzes liegen schon in Spanisch auf der Zunge – aber was war jetzt der Begriff für ‚Liegeplatz‘? Frustriert gebe ich ein „Hablan usted Ingles?“ von mir, und ja – sie spricht auch Englisch. Versaut sind auch Frank und ich von unseren letzten Wochen in Italien. Wir watschen uns selber, wenn wir nach erfolgter Kaffeelieferung mit ‚Grazie mille‘ antworten, oder due Capucchini bestellen.

Auf der anderen Seite der Hafenpromenade ist das Restaurant Wepi – New Age bis Thai Cooking. Geht doch gar nicht, hier im Heimatland der Tapas. Immerhin, sie bieten auch Kaffee mit Croissants zum Frühstück, aber sonst? Gestern Abend sind wir auf ein paar Drinks reingegangen – wir wollten die menorquinische Spezialität „Pomada“ probieren – Gin mit Zitronenlimonade; nicht überzeugend. Danach wollten wir wieder zum Alchemisten, der hatte zu; gut: dann zu einer anderen Kneipe. Auch dort ist die „Pomada“ nicht überzeugend. Dabei laufen wir mehrmals an dem Laden vorbei – unsere 12 € für die Pomadas waren fast deren gesamter Umsatz. Am Ende gehen wir Indisch essen. Damit ist der Bann gebrochen – heute Abend haben wir uns von der Happy Hour ab 18:00 locken lassen, und sind dann bis 22:00 hocken geblieben.
Was aber eigentlich der Punkt ist: wie prekär hier die Lage für manchen Wirte ist. Vorgestern waren wir in einer Tapas-Bar, die am Tag davor halbwegs gefüllt war. Wir waren die einzigen Gäste. Die Tapas waren etwas verkünstelt – der Alchemist konnte es besser – am Ende lassen wir 43 Euro liegen. Aber während wir da saßen, kamen zwei Jungs rein – einer mit Skateboard, der andern mit einem Roller, und es wurde klar dass das hier eine Familie ist – Papa in der Küche, Mutter bedient, mindestens zwei Kinder – ich hoffe nur, dass die sich in den vergangenen Jahren etwas Vor-Corona-Polster anfressen konnten. Mei, aber Frank und ich können uns auch nicht so viel Speck anfressen, um die ganzen Kneipen hier zu retten.  

Spanien, oder zumindest Menorca, scheint musikalisch irgendwie etwas zurückgeblieben – in den meisten Kneipen läuft Musik die ich kenne und gut finde, der eingestellte Radiosender spielt genau meine Musik – wie Scheiße muss das für junge Leute sein?

Wir haben heute im Supermarkt – nach intensiver Beratung – ein Stück Jamon Iberico gekauft. Scheiße, ist der genial. Schon zum dritten Mal haben wir ein paar fein gemaserten Scheiben runtergesäbelt, noch etwas sardischer Rotwein dazu – Life is good.

Wie geht’s der Seestern eigentlich so? So ein Schiff, das ist schon ein komplexes Gebilde. Selbst bei neuen Charter-Yachten gab es immer etwas zu optimieren/reparieren, bei unserer 32 Jahre alten Dame erkennen wir den Wahrheitsgehalt des Spruchs: „Eine lange Segelreise, das ist das Reparieren seines Schiffes an den schönsten Orten der Welt“. Wenn ich nur mit Frank unterwegs bin, merkt man es nicht so sehr, aber als Tatjana hier war, musste man die täglichen Mucken der Technik erklären. Unsere aktuell wichtigsten Probleme: Der Navigationsplotter im Cockpit hat offensichtlich etwas unter dem Regen gelitten. Frank hat ihn mittlerweile in über fünfzig Teile zerlegt, an ein paar Stellen Korrosionsschäden durch Wassereintritt mit WD-40 bekämpft, mal sehen wie lange es hält. Vor ein paar Tagen klemmte der Schalter ‚Anker aufholen‘, als wir beim Anlegen aus Versehen drauf getreten sind. Kabel-Röst-Aromen waren die Konsequenz; das müssen wir auch reparieren. Immerhin – wie für vieles gibt es hierbei ein Back-Up System im Cockpit – es wird etwas komplizierter, aber Anker lichten wird auch die nächsten Male funktionieren.

Telania

Wir sitzen in Ciutadella de Menorca im Restaurante Aquarium beim Mittagessen, als sich eine interessante Szene entwickelt, an der ich Euch teilhaben lassen möchte. Am Tisch schräg neben uns sitzt ein interessantes Paar. Wäre ich jetzt kein moderner Mann, mit allen Wassern des Genderings und der Gleichberechtigung gewaschen, hätte ich vielleicht andere Schlüsse gezogen, aus dem älteren Mann mit der attraktiven jungen Frau, aber nein – das würde ich nie tun. Politisch korrekt trug sich alles sicherlich wie folgt zu:

Telania ist erfolgreiche Unternehmerin, und stellt nachhaltige Funktionskleidung her. Sie ist sich auch nicht zu schade, als Markenbotschafterin aufzutreten, und ist deshalb entsprechend gekleidet. Sie trägt ein weißes Kleid, dessen Hauptfunktion es ist – ähnlich wie eine neon-gelbe Warnweste – Aufmerksamkeit zu erzeugen. Neben der wärmenden Funktion, die sicherlich im Vordergrund steht, ist es eine weitere Funktion, einen Blick auf die anderen Teile der Kollektion durchschimmern zu lassen, in diesem Fall dem nachhaltigen (weil ressourcenschonenden) Bikini. Die Arme ist offensichtlich von Stechinsekten geplagt worden, beide Lippen sind geschwollen. Sie begleitet heute ihren Vater ins Restaurant, der seiner Tochter beweisen möchte, wie cool er ist – Bermudas und Wildlederslipper. Ganz schafft er es nicht (cool zu sein), er wird etwas hektisch als der Ober nicht SOFORT seinem Zahlungswunsch nachkommt. Telania ist es nicht gewohnt, auf Lakaien zu warten, und schlendert (bzw. catwalks) schon mal los. Papa trinkt noch fix ihr Weinglas aus. Telania geht an Bord ihrer – selbstbewusst nach sich selber benannten – Yacht, einer Princess V50 (wer’s Googlen möchte – eine protzige Motorhölle deren Reiz sich uns nicht erschließt). Normalerweise hat Telania sicherlich eine Crew von fünf Leuten, muss sich nicht um die Details kümmern, aber heute (sie ist eine gute Arbeitgeberin) hat sie denen frei gegeben und verbringt etwas Quality Time mit Papa, der vor vierzig Jahren bestimmt mal einen Tretbootführerschein gemacht hat. Papa gibt der Tochter noch ein paar gute Ratschläge zum Ablegen, und geht dann selber vor, um die Murings loszumachen. Ist leider nicht mehr so flink, der Papa, deshalb federt die Yacht in ihre Achterleinen ein, sobald die Murings nach vorne weg sind. Das Schiff treibt auf den Betonkai zu. Telania (die Frau) übernimmt eine tragende Rolle – sie trägt einen der Fender und hält ihn dorthin, wo das Schiff an Land einschlagen würde. Papa hat mittlerweile das Steuer übernommen, über 1000 PS und Bug- und Heckstrahlruder halten Telania (die Yacht) nun in Position. Deshalb ist es auch nicht weiter tragisch, dass sie die falsche Achterleine zuerst lösen – das Hafenwasser wird lautstark aufgequirlt, aber dann zieht sie auch die zweite Leine an Bord. Uns fällt auf, dass die Funktionswäsche für solche Aktivitäten nur bedingt geeignet ist. Wir (und die fünf anderen Tische im Restaurant) stellen die Beobachtung wieder ein, während die Yacht aus dem Hafen tuckert.

Ein wenig wundern uns Frank und ich – wir sind heute im Hafen geblieben, weil der Wind durchaus etwas heftig sein sollte, und aus der falschen Richtung, nämlich direkt aus Westen. Ciutadella liegt im Westen von Menorca, das heißt vor dem Hafen wird sich die Welle gut aufgebaut haben, und so eine Motoryacht mit ihrem flachen, auf Geschwindigkeit optimierten Rumpf dürfte da ganz hässlich schaukeln. Aber offensichtlich ist etwas Vater-Tochter-Bonding halt wichtiger.

Fünfzehn Minuten später – wir haben gerade unseren Kaffee bekommen – taucht eine bekannt aussehende Yacht wieder am Kai auf. Papa ist offensichtlich frustriert, wird später dem Marinero gestenreich erklären, dass es zu wellig war. Das einzige, was Papa beim Anlegen vernünftig macht, ist sich nur langsam auf das festgemachte Segelschiff, die Hermine, neben seinem Platz treiben zu lassen. Seine Tochter übernimmt wieder eine tragende Rolle, trägt den Fender dorthin, wo der größte Schaden zu erwarten sei. Der Marinero kommt, wäre bereit die Achterleinen zu übernehmen, doch welche Achterleinen? Die liegen irgendwo auf dem Boden des Steuerstandes. Papa sammelt den Knäuel, geht damit auf die Badeplattform, gibt dem Marinero ein Ende, und macht dann das andere an seiner Klampe fest. Seelenruhig ist er nicht mehr, fünf Tische freuen sich über’s Entertainment. Der Marinero hat – wie üblich – eine der Muringleinen gehoben, Papa nimmt sie, und macht sie persönlich vorne fest. Schade, dass es die Seite ist, die ihn nicht von der Hermine wegzieht. Der Marinero ist mittlerweile auf die Yacht gesprungen, um die Achterleine selber zu befestigen, zieht damit das Heck der beiden knutschenden Schiffe auseinander. Dass der Marinero an Bord kommt, um zu helfen, ist eher selten, dass er es aus Eigeninitiative macht schon fast ein Affront. Egal. Die zweite Muring (weg von der Hermine) wird übergeben, Papa macht sie fest, und bittet dann den Marinero, ob er ihm helfen kann. Leider nicht zu erkennen, ob es ihm an Kraft mangelt, das Ding anzuziehen, oder ob er den Knoten nicht kann. Telania – die als Unternehmensführerin den Wert begreift, Untergebene aus Fehlern lernen zu lassen – steht etwas teilnahmslos am Heck und hält den Fender dorthin, wo die Yacht zwischendrin droht, an die Hafenmauer zu dotzen. Hafenkino – das Highlight eines jeden Segelurlaubs.

Wie schon angekündigt – heute ist Mietwagen-Tag, wir haben uns Menorca angesehen. Mir gefällt die Insel, eher ruhig und entspannt. Wir besuchen ein paar der Buchten, die wir uns am Vortag vom Meer aus angesehen haben, in der Südostecke der Insel. Als erstes Binibequer Vell – ein 1972 erbautes Feriendorf, welches absichtlich auf ältlich gemacht wurde – und das tatsächlich gelungen. Verwinkelte kleine Gassen zwischen den Ferienwohnungen, absichtlich etwas krumm und schiefe Wände – das ganze vermittelt tatsächlich etwas authentisch historischen Flair. Hat offensichtlich damals auch ein paar Preise eingeheimst. Dann noch die Calas Binisafua und Binidali – in beide haben wir gestern mit der Seestern reingespechtet, heute hätten wir dieses mit der heftigen Brandung nicht gewagt. Es tut auch gut, einfach mal ein wenig herumzukraxeln.

Nach Ciutadella fahren wir noch in das Naturreservat Es Grau im Nordosten der Insel – ein paar Fotos in den letzten Sonnenstrahlen gemacht, und dann wieder nach Mahon zu unserem Schiff zurück. Heute sind wir wegen des Abendessens unentschlossen – erst ein Cocktail im Wepi – direkt gegenüber vom Schiff, dann wollen wir das gleiche im Alquimista probieren – hier gab’s die letzten beiden Abende lecker Tapas und Wein in einem Laden, den man nicht wirklich als stylisch bezeichnen kann. Leider hat der am Sonntag zu. Also wieder am Hafen in die andere Richtung. Im Latitude 40 probieren wir auch den lokalen Traditionscocktail, Pomada, eine (theoretisch 50:50 Mischung aus Gin und Zitronenlimonade), aber sind nicht beeindruckt. Entweder enthält unser Glas erheblich weniger Gin als im Führer beschrieben, oder das ist ein teuflisches Getränk, mit dem Frauen Männer unbemerkt betrunken machen könnten. Gut, dass wir die Seestern direkt neben einem rot blinkenden Seezeichen geparkt haben, da findet man sie auch Nachts schnell wieder. Morgen noch fix in den Supermercado, und dann geht’s auf nach Mallorca.

Übrigens – Menorca ist nachts ganz schön gefährlich geworden: Ab 23:00 sind nur noch Kriminelle und Polizisten unterwegs. Da wir nun mal keine Polizisten sind, wären wir wohl Kriminelle, würden wir uns auf die Straße wagen. Spanien hat als Reaktion auf die zweite Corona-Welle eine Ausgangssperre von 23:00 bis 06:00 erlassen. Es bleibt spannend.

Ein Bootsausflug

Wir sind am Freitag um neun Uhr morgens in Mahon eingelaufen – eigentlich wie geplant. Auch wenn das jetzt keine Puh! Überfahrt war, es tut schon gut, wieder still zu liegen. So auch gleich ein Anlegebier (die Tradition fordert das, egal dass es jetzt morgens ist). Aber insgesamt machen wir an dem Freitag nicht viel, außer Nickerchen und Essen. Immerhin schaffen wir’s noch, die Pläne für die nächsten Tage zu schmieden.

Was macht man so auf Menorca? Ich hab einen Blog einer attraktiven jungen Damen gefunden, die uns die schönsten Sehenswürdigkeiten der Insel anpreist. Dort sind einige Buchten auf der Südostseite der Insel fotografiert, jeweils mit der jungen Dame. Am Ende bedankt sie sich allerdings für die Einladung des menorquinischen Tourismusverbandes – vielleicht isse jetzt nicht ganz objektiv. Wir haben die Windprognose für die Tage angeschaut – Samstag Flaute, Sonntag viel Wind aus genau der falschen Richtung, aber ab Montag dann vernünftige Winde um weiter nach Mallorca zu fahren. Dann könnten wir Sonntag einen Mietwagen nehmen, um die Insel zu erkunden, und Samstag…

Wenn man am Hafenkai langläuft sieht man immer wieder Werbung für Bootsausflüge zu den schönen Buchten der Inseln – Calas genannt. Das wäre doch die Idee – ein Bootsausflug. Nein, wir buchen nicht bei einem der Anbietern, wir machen das im Do-it-yourself Verfahren. So legen wir Samstag vormittag ab, tuckern um die Südostspitze, und fahren zu den ausgesuchten Buchten. Als erstes Cala Covas (auch Cales Coves bezeichnet) – die ist Frank noch von einem vorherigen Segeltörn in Erinnerung (schlechter, weil ihnen da in der Einfahrt der Motor ausgefallen war), und wird im Revierführer als „most spectacular“ beschrieben. Für spectacular sind wir immer zu haben. Langsam tuckern wir in Bucht, die von hohen Klippen umgeben ist. Wir hatten auch überlegt, hier nur ein drive-by shooting zu machen, aber wir finden ein Stück sandigen Grund in dem der Anker gut halten sollte. Lass fallen Anker. Was die Bucht so beeindruckend macht, ist die Tatsache, dass man auf fast allen Seiten von den Klippen umgeben ist. Geht schwer auf ein Foto zu bannen. In den Klippen auch viele Höhlen – scheinbar Gräber von vor langer Zeit. Leider ist die Bucht nach Süden offen, und von den Winden der letzten Tage steht noch etwas Schwell an – es schaukelt. Wir schwimmen ein wenig durch die Bucht, die wir auch mit anderen Touristen teilen (Landeier ? ). Dann machen wir uns auf, gucken uns noch ein paar der Buchten von der Bloggerin an, aber die haben für uns keinen so großen Reiz. Also zurück nach Mahon, ein einzigartiger Naturhafen – lange Zeit ein britischer Flottenstützpunkt. Dadurch sind die Häuser der Altstadt auch knuffig. An den Hängen eher modernere Villen. Man sieht deutlich die soziale Not – an vielen der privaten Anlegestegen der Anwesen liegen keine Yachten.

Zurück in der Marina schaffen wir mal ein Anlegemanöver ohne große Fremdhilfe, da die Marina nicht besetzt ist – es hat auch fast so geklappt wie geplant, wenn nicht Chris an einer Stelle vergessen hätte, den Gang rauszunehmen. Oh well, aber am Ende liegen wir gut. Jetzt mal sehen, dass wir noch ein paar Tapas erlegen.

Socke – tl;dr

Überfahrt von Sardinien nach Menorca:

  • Wind, kein Wind, wieder Wind, kein Wind.
  • Welle, Welle, Welle, Scheiße – war die groß, Welle, Welle, Dusche.
  • 48 Stunden geplant, deutlich schneller vorangekommen.
  • Socke ist ein Falke, den wir als Passagier die letzten sechzig Meilen nach Menorca mitnehmen.
  • NB: Geburtstag gehabt, Danke für alle Wünsche – ja, gefeiert.

Socke

Socke sucht einen Platz für die Nacht – und die übliche Schublade oder Wäscheleine wird es heute wohl nicht werden. Socke ist ein Falke, und was der eine Stunde vor Sonnenuntergang ca. 60 Seemeilen von Land macht ist mir nicht klar. Vielleicht eine Wandersocke, äh, Falke. Ich bemerke ihn das erste Mal, als er von hinten unser Schiff anfliegt, vielleicht versucht auf unseren Solarpanelen zu landen. Ich schnappe mir das Telefon um das ganze Digital festzuhalten, aber da ist er schon weg. Oh well. Einige Zeit später – der Wind lässt etwas nach – lasse ich das Reff aus unserem Vorsegel, da fliegt er auf einmal wieder neben dem Schiff. Vielleicht war er irgendwo auf dem Vordeck gelandet, wo wir ihn nicht sehen konnten, und ist jetzt empört. Er umkreist noch mehrmals das Schiff; ich verliere ihn aus den Augen, bis ich ihn kurz darauf dem Deck neben unserem Besanmast erspähe. Ein schönes Tier, was hier mit gerüffelten Federn versucht sich gegen das Geschaukel und 20 Knoten Wind von der Seite zu halten. In Zeitlupe wieder das Telefon, vorsichtig ein paar Fotos von der Hinterseite unserers Steuerrades gemacht, dann etwas mutiger die Kamera gehoben, und Klick! Jetzt habe ich immerhin den Beweis. Frank rumort unter der Deck, ich weise ihn auf die zoologische Besonderheit hin. Sicher ist der Kleine erschöpft, vielleicht hunrig und durstig. Ob ein Stück Salami artgerechte Ernährung ist? Meist wird ja ins Feld geführt, dass deren natürliche Beute nicht gewürzt usw. ist. Aber ich denke mir dann: Was wäre denn, wenn die Maus kurz vorher ein Stück Fenchel gemopst hat, und danach noch an den Gewürzen war? Das wäre doch der gleiche Effekt. Beim Versuch, Socke die Salami zukommen zu lassen, fliegt er wieder weg. Tja, Buddy, das Schiff ist da, wenn Du’s brauchst.

Wir sind mittlerweile 2/3 der Strecke von Santa Teresa di Gallura nach Menorca gesegelt. Das allgemeine Wettersystem bringt 20-30 Knoten Wind aus Südost, der in der Straße von Bonifaccio zu einem Ostwind umgelenkt wird, und noch etwas beschleunigt wird. (Die Bocce di Bonifaccio ist berüchtigt für ihre Düseneffekte, da pfeift’s gerne etwas mehr). Wir fahren nur mit Vorsegel mit bis zu 35 Knoten wahren Wind – das beschleunigt die Seestern laut Logge auch einmal auf 10 Knoten, allerdings ist unsere Logge schon immer etwas optimistisch gewesen. Aber die Rumpfgeschwindigkeit von ca. 8 Knoten erreichen wir sicher. Sardinien hat an der Stelle eine weite Bucht, wir müssen aber noch um die Isolas Asinara, deshalb ist das Internet schneller weg als erwartet. Dafür nimmt die Welle zu, bei Santa Teresa gibt es noch ein wenig Schutz von dem Maddalena Archipel, aber jetzt hat der Wind ordentlich Strecke gehabt, um die Welle aufzubauen. Es wird etwas unruhig, und dunkel. Am Anfang gibt es immerhin noch Mond – damit hat eine visuelle Orientierung beim Steuern, wie zB immer so steuern, dass die Relingstütze bei den Kanistern in der Mitte der ‚Silberstraße‘ des Mondes auf dem Meer ist. Nachdem wir die Isola Asinara erreichen, gibt es ein Windloch – immerhin so vorhergesagt. Wir werfen den Motor an. Welch‘ Ungeduld, denkt Ihr jetzt vielleicht, man kann doch auch mal etwas langsamer Segeln, und es einfach abwarten. Dachte ich früher auch. Leider ist da noch Welle. Würde man versuchen zu Segeln, hätte man natürlich alle Textilien draußen, um möglichst viel Wind einzusammeln. Es bläst ein laues Lüftlein von Backbord (links), die Segel wehen somit nach rechts aus. Dann kommt eine Welle, die die Seestern nach Steuerbord (rechts) kippen lässt. Durch die Bewegung des Kippens kommt der Wind aus Sicht der Segel nun von rechts, das Segel klappt ein (bzw. das Großsegel schwingt nach links) – bis die Kippbewegung vorbei ist oder sich umkehrt, und dann rucken alle Segel wieder nach rechts; das scheppert dann ordentlich. Nachdem’s das Schiff ein paarmal so gebeutelt hat, sieht man’s ein, rollt das Segel ein, und fährt unter Motor. Wir fahren so bis ungefähr Mitternacht. Dann löst Frank mich ab, und wir beschließen gemeinsam, jetzt wieder Segel zu setzen, da wir halben Wind erwarten, nun auch mit Großsegel. Im Dunkeln, bei ordentlichem Schaukeln bei Seegang, an den Mast vorzugehen, um das Segel zu setzen wird nie mein Lieblingspart des Segelns sein. Ja, man ist eingepickt, kann also eigentlich nicht verloren gehen, aber etwas exponiert kommt man sich schon vor. Deswegen bin ich immer dabei, nachts nur mit Vorsegel zu fahren. Danach versuche ich etwas zu schlafen, Frank steuert bis fünf Uhr morgens.

Die Wellen sind auch hier das bestimmende Element der Überfahrt – durchschnittlich zwei Meter hoch, kommt ab und zu auch ein wirklicher Berg auf einen zu. Vielleicht vier Meter hoch? Schwer zu schätzen. Ist aber auch nicht weiter tragisch, es hebt die Seestern halt ordentlich an, und irgendwann kippt’s kräftig auf die Seite. Aber die Erfahrung des letzten Males hat geholfen – wir haben erheblich besser gestaut, es würfelt nix durcheinander. Ab und zu grüßt auch eine Welle, die sich das Deck mal genauer ansehen will. Das war’s dann wieder mit trockenen Segelklamotten. So geht’s weiter, im Morgengrauen und den ganzen Tag. Wir sehen ein paar Schiffe auf AIS, ab und zu auch wirklich was Kleines am Horizont, ansonsten sind wir Mutterseelenalleine. Bis dann Socke etwas Spannung einbringt.

Tatsächlich haben wir Socke mit unserer Salami-gabe nicht verscheucht, bzw. er ist halt wirklich verzweifelt. Es ist auch offensichtlich für eine doch eher agilen Vogel auch nicht leicht auf einem schwankenden Schiff zu landen, und dann auch noch an einer Stelle wo er sich ausruhen kann. Mehrmals fliegt er an, versucht auf den Salingen zu landen, mal auf dem Vordeck, mal in den Lazybags. Wenn er die Landung überhaupt schafft, kann er sich meist nicht halten; einmal rumpelt er auch eher unsanft mit unseren Wanten zusammen. Am Ende landet er in den Lazybags des Besansegels (nicht gesetzt), und von dort haben wir ihn nicht mehr starten sehen. Hoffentlich hat er dort ein halbwegs gemütliches Plätzchen gefunden, und wacht morgen früh im Hafen von Menorca auf. Vielleicht hat Socke auch gar keine Nachtfluglizenz, und er hätte unabhängig von Erschöpfung keine Chance mehr gehabt, heim zu fliegen. Hoffentlich merken wir’s, aber wahrscheinlich (wenn er jetzt überhaupt noch da ist) macht sich der Racker im Morgengrauen still und leise auf.

Den Teil bis hierher habe ich von meinem Wachbeginn um Mitternacht mit 2:15 getippt. Menorca hat sich als Lichtverschmutzungs-Fleck am Horizont abgezeichnet, wird langsam breiter. Gerade hat mich die „Willkommen in Spanien“ SMS von Vodafone erreicht – 30 Meilen vor der Küste, das muss ein Ausrutscher sein. Aber insgesamt sind wir positiv überrascht, wie zügig das ganze ging. Wir sind in Santa Teresa Mittags losgefahren, bei einer geplanten Überfahrtsdauer von 48 Stunden. Auch bei kleinen Abweichungen sollten wir so bei Tageslicht ankommen. Aber bei dem Wind haben wir tatsächlich eher sechs Knoten im Schnitt geschafft. Aktuell sagt unser GPS noch, dass die Ankunft um sechs Uhr morgens sein wird – da ist’s noch stockdunkel, nicht gut. Aber jetzt lässt der Wind nach, die Welle hat auch nachgelassen, da lassen wir das Schiff doch noch ein wenig langsam dümpeln, bevor ich den Motor bemühe. An Backbord sehe ich nun die grüne Positionslampe der Hirondelle, die wir schon länger auf AIS sehen – offensichtlich das gleiche Ziel wie wir.

Ab jetzt ist die Berichterstattung – sozusagen – live.

03:05 Gerade in die richtige 3G Mobilfunkabdeckung von Menorca gerutscht. Auf einmal hat man einen Schwung Nachrichten zu beantworten. Soziale Kontakte auch ohne Sichtkontakt. Tut gut. Zum Veröffentlichen des Blogs aber noch nicht genug Netz.

03:18 Irgendein Licht ist auch voraus zu erkennen. Noch nicht sicher ob eine Straßenlaterne in einem Bergdorf, oder ein Leuchtfeuer, oder ein Fischerboot welches wir bald rammen werden. I’ll keep you updated. An verschiedenen Stellen des Horizonts sieht man die Lichtkeulen von Leuchttürmen über den Horizont streichen. Ich versuche mir gerade vorstellen, wie das in der Zeit vor GPS und dem ganzen Kram war. Wo man die ganze Nacht von Hand bei welligem Meer versucht hat, den richtigen Kurs zu steuern, nur anhand der Geschwindigkeit geschätzt hat, wie weit man gekommen ist/es noch ist, und dann kommt endlich die Kennung des Leuchtturms in Sicht, die den sicheren Heimathafen markiert.

03:28 Die Hirondelle hat einen Zahn zugelegt, wir sehen jetzt deren Hecklicht. Wahrscheinlich haben sie den Motor angemacht.

03:33 Ist man bei so einer Nachtwache bei wenig Wind und wenig anderen Schiffen eigentlich ausgelastet, fragt Ihr Euch vielleicht? Nein.

03:35 Die Wellen sind zwar weniger, aber immer noch da. Das führt dazu, dass man manchmal schon Lichter an der Küste von Menorca am Horizont sieht, dann aber nicht mehr, weil die Seestern wieder in einem Wellental ist. Aber mittlerweile eindeutig die ‚Lichter der Stadt‘.

03:43 Das GPS meint, dass die Küste noch immer 20 Meilen entfernt ist (37km). So wie der Wind jetzt nachgelassen hat, machen wir immer weniger Fahrt, und bräuchten sechs Stunden. Da für fünf Uhr morgens fast komplett Flaute angesagt ist, kommen wir vielleicht auch nie an. Das wäre auch Kacke. Um halb acht wird’s hell, sechs Knoten machen wir unter Motor, also in ungefähr einer Stunde den Diesel anmachen.

03:53 Der Wind hat etwas gedreht, wir können nicht mehr direkt auf Menorca zufahren ☹. Immerhin machen wir noch etwas Fahrt in Richtung Menorca, auch wenn nicht mehr direkt. Dann wird der Motor halt 10 Minuten früher angelassen.

04:57 Zwischendrin festgestellt, dass wir ja nicht Punkt acht im Hafen sein müssen, und solange etwas Segeln geht… Ich habe mir ein paar Bedingungen gestellt, bei denen es keinen Sinn mehr macht: Wahrer Wind unter 5 Knoten, Geschwindigkeit laut Logge unter 2 Knoten, oder ein klapperndes Segel. Jetzt ist es soweit, und das Netz scheint auch langsam stabil zu sein. Brumm.

edit, 08:00. Socke hat es tatsächlich in unserm Besan-lazybag ausgehalten, und ist heute morgen erst erschreckt ausgeflogen, als wir schon in der Hafeneinfahrt waren. Leb wohl, Kleiner.

edit 2, 12:00. Schwarmintelligenz, Schwager einer Freundin: Eleonorenfalke. Denke Jungtier. Erwachsene sehen dunkel aus zum Jungtier passt auch das moppelige. Er besiedelt Inseln im Mittelmeer und lauert auf Zugvögel.

Champagner beim Oligarchen auf der Megayacht

Die haben doch sicher Champagner an Bord, oder?

Nach dem perfekten Tagesstart wäre eine Flasche Champagner doch genau das Richtige oder? 20. Oktober 2020, 8:30 – die Sonne kitzelt durch das Fenster im Rumpf. Es regt sich nichts, jedenfalls windtechnisch. Das schreit doch förmlich nach einem Morgenbad im Meer. Wir haben uns am vorherigen Nachmittag aus Olbia verzogen, das vorhergesagte Wetter in der Nacht von dem 19. auf den 20. ließ die Bucht besser erscheinen als kiffende Jugendliche an der alten Mole in Olbia. Wieder die Cala di Volpe, wo wir schon Samstagnacht waren. Frank hat ein Cappuccino gemacht, Fische neben dem Schiff bekommen etwas altes Brot und eine Möwe will es Ihnen streitig machen. Wir haben etwas besser geparkt, näher am Strand, und so zieht die Wasserschiläuferin Ihre Bahnen nicht dort, wo wir schwimmen würden. Diesmal aufgerüstet: Flossen, Schnorchel, GoPro – gemütliches Planschen, kurz am Strand anhalten. Gegen 11:00 machen wir uns auf den Weg.

Auf dem Weg nach Norden liegt die Dilbar (nicht Dilbert) vor Anker, laut der deutschen Wikipedia die größte Megayacht der Welt nach BRZ (Bruttoraumzahl, also so ungefähr Verdrängung/Gewicht – nach der englischen Wikipedia nur die drittgrößte, also ignorieren wir das mal). Bestimmt hat Alischer Burchanowitsch Usmanow einen vernünftigen Champagner an Bord. Und das schöne an so einem großen Pott – ganz sicherlich von einer pflichtbewussten Mannschaft besetzt. Ich nehme die Funke und rufe die Dilbar an, Wechsel auf Kanal 69. Ich trage mein Anliegen vor: Es ist heute mein Geburtstag, und vielleicht wollen sie uns ja auf einen Champagner einladen? Stille. Das finde ich jetzt unfreundlich. Aber nein, „could you please repeat?“. Es sind immer wieder Pausen – „what’s the name of your ship?“, „are you familiar with this vessel?“. Frank kringelt sich in stillem Lachen. Alischer ist ein Kumpel von Wladimir Wladimirowitsch, wahrscheinlich bricht gerade Hektik auf der Brücke aus, ob wir nur Spaßvögel sind, oder vielleicht doch der dritte Cousin von Putin, dem man mit etwas Respekt begegnen sollte. Und offensichtlich hat der Kollege am anderen Ende der Leitung Angst: „I’m afraid“. Komplett meint er: „I’m afraid that will not be possible due to security reasons. But we do wish you a Happy Birthday“. Schade. Zwischendurch hatte ich mir noch Gedanken gemacht, was wir jetzt machen, wenn die Ja sagen. Aber tatsächlich hat die Dilbar am Heck eine Badeplatform, die groß genug wäre, dass wir dort längseits anlegen könnten.

Mittlerweile ist genug Wind, entspannt von hinten. Wir rollen das Vorsegel aus, und machen noch eine Runde durch den Archipel de Maddalena. Strahlender Sonnenschein, warm, wir fahren im T-Shirt oder weniger. Gegen 15:00 legen wir uns Tagesziel fest: Santa Teresa di Gallura, eine geschützte Marina an der Nordspitze von Sardinien, genau gegenüber von Bonifaccio. Dort auf Korsika waren wir schon öfters, es hat uns ein wenig gejuckt. Aber tatsächlich waren wir schon zweimal da, in vorherigen Urlauben, und eine Rückkehr aus Korsika nach Sardinien wäre praktisch unmöglich. Neben uns hat eine Gruppe Schweizer angelegt. Sie berichten von einem Funkverkehr den sie mitgehört haben. Ein Katamaran aus Korsika wollte in die Marina, wurde nach dem Covid-Test gefragt, hatten sie nicht – „go away“.

Als Magenstütze (tagsüber haben wir nur ein paar Cantuccini gefrühstückt) macht Frank ein paar Bruschetti. Am Abend suchen wir ein leckeres Fischlokal in Santa Teresa – eine Flasche Cerasuelo di Vittoria von COS atmet schon auf dem Schiff. Ein gelungener Geburtstag – auch an dieser Stelle vielen Dank an alle Gratulanten.

Die Haare

Nach dem letzten Eintrag mit Fotos wurde ich öfters gefragt, ob mir das Schiff die Haare vom Haupt fressen würde, oder was da wäre. Ja, aber nein. Als wir in Marsala ankamen, wucherte es auf meinem Kopf. Besonders markant – die ‚mad scientist‘ schlohweißen Schläfenlocken. Obwohl ich normalerweise im Urlaub gerne zum Frisör gehe – witzig wie man zB in der Türkei dabei gepampert wird – halte ich es jetzt für ein kleines Risiko (außerdem hätten wir eh nicht in die Stadt gedurft). Also den Langhaarschneider (eigentlich für den Bart) geschnappt, in Lee an die Reling gesetzt, und los geht’s. Ich hatte erst angestrebt, 12mm stehen zu lassen. Gar nicht so leicht, bei meinen Wirbeln und überhaupt. Irgendwann bin ich zur Marinadusche gegangen (Vorteil hier: Spiegel), und hab noch etwas versucht eine Gleichmäßigkeit herzustellen. Irgendwann habe ich beim Reinigen des Gerätes vergessen, den Abstandshalteraufsatz wieder draufzutun, angesetzt, Bssst, Haare weg. Oh well, alea iacta est. Ich dreh den wieder montierten Abstandshalter auf drei Millimeter runter und fahre mir kreuz und quer über den Kopf. Ein ganz neues Gefühl. Und wer mich mit längeren Haaren besser fand: sie wachsen ja nach. Oder vielleicht – einfach mal alle abrasieren?

Next steps

Ich habe jetzt 51 Jahre möglichst Risiko-avers verbracht. Damit ist nun Schluss. Morgen geht’s auf, voll ins Risiko(gebiet). Ca. 48 Stunden nach Menorca – don’t expect much communication.