Lächelnd setzt sich der Busfahrergehilfe in die Reihe neben meine: „Where are you from?“ Ich antworte mit „Munich, Germany“ und ergänze dann mit „Bayern München“. Hier in Asien bin ich begeisterter Fan – da spielt Beckenbauer, oder? Nach den Trikots zu urteilen, stehen die Asiaten mehr auf Arsenal, Man U und Barca, aber immerhin hat der FCB Wiedererkennungswert. Nicht beim Gehilfen, der offensichtlich noch viel Verbesserungspotenzial bei Englisch hat, und hier ein Opfer zum Üben gefunden hat. Die erste Frage klang auch mehr wie: „Whe**** *** u *****om?“ aber er wird schon das übliche gemeint haben. Das könnte anstrengend werden. Wir lächeln uns weiter eifrig an. Dann schaut er in sein Smartphone, die App deklamiert: „Paul, what is your favorite music?“. Keep it simple, Chris. Keine Weichspülermusik, möglichst bekannt. Ich probiere es mit Rolling Stones. Die gab’s schon zu Zeiten des Vietnamkriegs, keine amerikanische Imperialistenmusik, hinreichend hart. Er wühlt in seiner Musiksammlung: Backstreet Boys, Westlife. Ich versuche ihm mit einem Luftgitarrensolo meine Vorliebe für etwas härtere Musik klar zu machen, biete noch Led Zeppelin an. Irgendwann drückt er mir seine Ohrstöpsel in die Hand. Bäh, das muss jetzt wirklich nicht sein. Ich halte sie in Ohrnähe, erkenne das Lied nicht, aber vielleicht bin ich nicht wirklich aufgeschlossen. Probieren wir’s andersrum. Ich geben ihm seine Stöpsel wieder, stecke sie aber in mein ipod ein, und fange mal mit den Vaccines an, dann Black Dog von Zeppelin. Er lächelt weiter, wenn auch etwas angestrengter. OK, dann den Gnadenstoß: Flannigan’s Ball von den Dropkicks. Ich will nicht behaupten, dass er mich entgeistert anschaut, aber etwas ungläubig schon. Nach 1:36 stöpselt er sich aus, und gibt mir den ipod zurück. Wir können ja Freunde bleiben, aber musikalisch kommen wir wohl nicht zusammen. Danach schaue ich verstohlen nach – ich habe tatsächlich einen Titel von den Backstreet Boys, tät mich interessieren, wie der zu den 64GB Musik gekommen ist. Wahrscheinlich von irgendwem kopierte Applaus Hits von 19??.
So widme ich mich weiter der vorbeiziehenden Landschaft des Mekong Deltas. Eigentlich wollte ich ja Schiff fahren, Slow Boat, aber das soll wohl nicht passieren. Ist vielleicht auch nur so eine blöde Romantikduselei von Touristen. Der Bus ist schneller, moderner, und wozu haben die Vietnamesen die ganzen Brücken gebaut? Das Schiff ist eher für die armen Leute, und auch da hat der Tourist natürlich Grenzen. Primitiv-romantisch darf’s schon sein, aber bitte nach aktuellem SOLAS*-Stand, mit einer sauberen Toilette zum Sitzen. Immerhin, vom Bus aus sieht man recht viel vom Leben, auch wenn ich von meinem zugewiesenen Platz #1 nach hinten ausgewichen bin. Platz #2 wurde von einem hustenden Vietnamesen gebucht, der eine frappierende Ähnlichkeit zu Jimmy Page hat. Aber die Bazillen will ich dennoch nicht, und lehne mich so gegen die streng verteilten Sitznummer in dem nur zu einem Viertel besetzten Bus auf.
Überraschenderweise wird das Mekong-Delta vom gleichnamigen Fluss dominiert, der sich hier in die Cuu Long, die neun Drachen, aufteilt. Neben den neuen Drachen gibt es aber noch eine wahre Brut an Drachengewürm – Seitenarme, Kanäle, Zuflüsse, Teiche. Dementsprechend gibt es hier auch Brücken ohne Ende. Die, über die wir fahren, sehe ich ja nicht von ihrer Struktur, aber von der Straße aus führen über den parallel laufenden Seitenarm alle 50 Meter wackelige Holz, Eisen Beton- oder Bambusbrücken über den Fluss. Auf den meisten würde ich mich nicht wohlfühlen. Bambus ist auch eine Hauptzutat der verschiedenen fischereibedingten Strukturen hier. Es gibt Fischfallen für Fische, die in eine bestimmte Richtung wollten, Fischfarmen (das ist vielleicht die Aquakultur, von der man in Deutschland oft auf Verpackungen liest: keine gigantischen Farmen, sondern eingenetzte Bereiche im Fluß, die kaum größer sind als mein Wohnzimmer), und verschiedene Arten von Netzen. Am interessanten finde ich eine Variante, wo ein ca. 3×3 Meter großes Netz mit langen Bambusstangen aufgespannt ist, an einer Konstruktion, die irgendwie an ein römisches Katapult erinnert. Ich stelle mir vor, dass das Netz ins Wasser eingetaucht wird, und dann überraschend (für die Fische) aus dem Wasser gezogen wird. Ehrlich gesagt, stelle ich mir eher vor, dass das ganze unter Spannung steht, dann im richtigen Moment eine Comicfigur ein Seil durchtrennt, und Schwupps – die Fische fliegen im hohen Bogen aus dem Fluss.
Auf den Wasserstraßen ist alles mögliche an Booten unterwegs. Einzelboote, die unter der Last von drei vietnamesischen Fischern fast untergehen; kleine Lastkähne mit einer Ladekapazität von ca. 20 Bierkästen, offensichtlich Getränkelieferanten; größere Lastkähne für Schüttgut wie Getreide, kunstvoll verziert, mit Augen am Bug die die bösen Geister fernhalten sollen; und, auf den größeren Flüssen, echte Schiffe mit ca. 50 Meter Länge, die dann auch immerhin nachts fast so beleuchtet sind, wie ich’s von meinem Segelschein kennengelernt habe.
Der Fluss sorgt für eine unheimliche Fruchtbarkeit der Region. Beeindruckend grün leuchten Reisfelder, überall stehen Bananenstauden, Papayabäume scheinen mehr Früchte zu tragen als Blätter. Jedes Fleckchen wird ausgenutzt. Auch die 50cm zwischen Asphalt und der Böschung reichen für drei Reihen Kohl oder ein paar mit Netzen bedeckte Beete für irgendwelche zarten Pflänzchen. Auf der Straße werden noch andere Früchte getrocknet, es wird kein Platz verschwendet. Noch habe ich nicht beobachtet, was passiert, wenn deshalb die Straße zu eng wird. Wird dann über das Trockengut gefahren? Trocknen und Mahlen oder Dreschen in Einem? Immerhin müssen auf einer Straße von der Breite ‚mittlere deutsche Landstraße‘ folgendes nebeneinanderpassen: Ein spielendes Kind, ein Radfahrer, zwei Mopedfahrer (eines davon mit querliegendem Schwein auf dem Gepäckträger), ein langsames Auto, ein überholender Bus, und zwei verschreckte Mopedfahrer auf der Gegenfahrbahn. Teilweise ist das Überholopfer auch ein LKW, wie sie besonders in Cambodia verbreitet waren: Ein Lastkraftwagen im eigentlichen Sinne: Last (Pritsche) – Kraft (Offener Motor vorne) – Wagen (vier Räder). Der Fahrer sitzt offen zwischen L und K.
Auch wenn die Zivilisationsspuren nie verschwunden sind, sie verdichtet sich zusehends, wenn man sich Städten nähert. Meist in der Form von „Garagenläden“, diesem Glanzstück asiatischer Architektur. Das Erdgeschoß ist eine ca. 3-4 Meter breite Garagenhöhle, nachts mit Rolltor oder Schiebegitter zu verschließen, in der einem Gewerbe nachgegangen wird. Jedenfalls sind dafür schwerere Maschinen und Lager vorhanden, die eigentliche Tätigkeit wird auf dem Bürgersteig ausgeübt. Da ist das Licht besser, und der Kunde kann sich besser von den Fähigkeiten des Meisters überzeugen. Auch fällt es dem Gewerbetreibenden leichter, in einen Dialog mit seinen Kunden und anderen Stakeholdern zu treten: Die Konkurrenz schläft nicht, und arbeitet gleich nebenan. Tatsächlich finden sich Häufungen gleicher Gewerbe nebeneinander: Zehn Läden bieten Reifen bzw. deren Reparatur an, dann mehrere Motorenspezialisten, einige Fischernetzlieferanten, achtmal Mobiltelefone….
Und dazwischen die Vietnamesen: ein paar der optischen Vorurteile stimmen tatsächlich. Viele der Frauen laufen tatsächlich in einer Art Seidenpyjama durch die Gegend, da muss man sich erstmal dran gewöhnen. Der stereotypische, spitze Kegelhut ist auch keine Erfindung der Filmindustrie. Die moderne Variante ist in durchsichtiger Plastikfolie eingepackt, das macht sie wahrscheinlich wetterfester, aber auch weniger atmungsaktiv. Es lebe der Fortschritt. Als wir in Can Tho einfahren, sehe ich ein weiteres Zeichen desselbigen: Gegenüber vom Busbahnhof ist ein METRO-Markt. Wenn ich’s mir überlege, das erste nicht produktbezogene Markenzeichen was mir in Südostasien aufgefallen ist. Stimmt nicht – in Phnom Penh habe ich eine Werbung für Kentucky Fried Chicken gesehen. Aber kein McDonalds, keine Hotelketten, keine Markenboutiquen; ich hab sie nicht vermisst.
*SOLAS: Safety of Life at Sea