Und jetzt erstmal Urlaub

So, gute zwei Monate Reisen liegen nun hinter mir, mit viel erlebtem. Heute habe ich Frank, Peter und Matthias in Bangkok am Flughafen getroffen, und wir sind nach Phuket weitergeflogen, wo wir ab morgen für zwei Wochen ein Segelboot gechartert haben.
Ob ich da so viel erzählenswertes erlebe, oder Strom und Netz für die Veröffentlichung finde – das wird sich zeigen. Ich pflege den Blog sicherlich weiter!

Ein paar Bilder aus Hanoi Teil 2

Erst ein paar Straßenszenen aus Hanoi
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Der Literaturtempel; die erst Universität von Vietnam
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Der Autor enzündet ein paar Räucherstäbchen um mehr Hits durch glückliche Leser für seinen Blog zu generieren
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Die Strecke weiter nach Norden führt direkt durch die Stadt
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An jeder, aber wirklich jeder Gedenkstätte für den Krieg steht ein Huey Hubschrauber
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…und ein paar erfolgbeweisende Wrackteile
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Hier noch ein paar Streubomben – not nice
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Die entscheidende Schlacht gegen die Franzosen bei Dien Bien Phu: Rot sind die Vietnamesen, grün die hier schon arg zurückgedrängten Franzosen
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Karawane zum herabsteigenden Drachen

Der Hyundai County ist die mittlere von drei Transportoptionen für Touristen. Zwischen dem ausgewachsenen Reisebus und Minivans angesiedelt, bietet der kleine Bus Regelplätze für fünfundzwanzig Passagiere. Die in Vietnam sind einheitlich dunkel und hell beige gestrichen, und tragen auf der Seite meist das Logo des Reiseveranstalters. Auf der Strecke von Hanoi nach Halong liefern sich an diesem morgen ca. zwanzig dieser Busse ein kleines Rennen. Immer wieder sieht man den Bus von Oriental Sails, Elizabeth Tours oder Dynasty. Gegen Ende der vierstündigen Fahrt winkt man den Passagieren in den anderen Bussen zu, wenn man sie überholt, und zieht ein übertrieben trauriges Gesicht, wenn man überholt wird. Ein Ausflug an die Bucht des herabsteigenden Drachens – auf hochdeutsch: Halong Bay – ist per se nichts Exklusives. Um 8:00 sollte mich der Bus im Hotel abholen, um 7:45 erreichen mich gleichzeitig meine Frühstücksnudelsuppe und die Nachricht, dass der Bus schon da sei. Er wird drei Minuten warten müssen, bis ich die Fleischscheibchen und die Nudeln aus meiner Suppe vor dem Ertrinken gerettet habe. Danach noch eine kleine Stadtrundfahrt durch Hanoi, bis wir alle Gäste am Hotel eingesammelt haben.
Kevin, unser Reiseleiter, spricht so gut Englisch, dass er sogar Humor kann. Er erzählt von den Mopeds, wettet mit Passagieren, wie viele es davon in Hanoi gibt (ich glaube ihm nicht, dass es drei Mal so viele Mopeds wie Einwohner hat, auch wenn er persönlich behauptet vier zu besitzen). Kevin erzählt und erzählt, von Vietnam, seiner Frau, Korruption, seinen Kindern, dem Krieg, seiner Freundin und unserem Reiseziel. Im Morgengrauen beobachte ich das Treiben auf der Straße. Diese ist gut ausgebaut, ein Zaun in der Mitte trennt die beiden Fahrspuren, ist aber auch ein kleines zusätzliches Hindernis für die Schulmädchen, die auf die andere Seite wollen. Auf halber Strecke gibt es eine Biopause, die Strategie kenne ich. Wir biegen von der Straße auf einen Hof mit Marmorfiguren, ein Gebäude von der Größe eines mittleren Baumarkts beherbergt edle Toiletten. Um zu ihnen zu gelangen, muss man durch Ansammlungen von Marmorfiguren, Seidenkleidern, Schmucktheken, fünfzig junge Damen, die von Hand Kissenbezüge besticken, Kissenbezüge und andere Stickereisachen, Lackschälchen, Jadeschnitzereien, und ein großes Fressparadies. Abfahrt ist erst in zwanzig Minuten, währenddessen wird der Bus gewaschen. Dann geht’s weiter, durch das Delta des Roten Flusses. Hier kommt man noch an Städten vorbei, die noch wachsen, und erkennt eine Besonderheit vietnamesischer Baukunst: Offensichtlich sind laufende Meter Straßenfront aus irgendeiner Sicht ein erheblicher Faktor – hier sieht man Häuser, vier Vollgeschosse hoch, bestimmt fünfzehn Meter tief, aber nur zweieinhalb Meter breit. Die wirken – alleinstehend – völlig absurd. Teilweise sind sie kunstvoll verziert, ich würde sagen: Kitschig. Ornamentierte Säulen, ganze Säulenhöfe, und Kuppeln auf den Dächern die gut zu einem Schloss aus dem 18. Jahrhundert passen würde. Nach insgesamt fünf Stunden erreichen wir die Stadt Halong, wo unser Schiff uns erwartet. Die Ohrstöpsel werden entfernt, ich lerne Naomi aus London kennen, die sich dachte, auch gut mal ein halbes Jahr nicht Sekretärin zu sein. Später gesellen sich zu uns noch Carrie und Corinne aus Southern California (das Southern war ihnen wichtig), und Eleonore, eine in New York studierende Französin. Die Überfahrt ist mit einem kleinen Landungsschiff, welches wir während der Fahrt hinter uns her schleppen werden.
Es gibt einen Welcome Drink, ein Glas des Orangenfruchtsaftgetränk, der hier überall als Saft angeboten wird. Der Salon ist vielseitig dekoriert. Ein paar Sträucher biegen sich unter der Last blinkender LED-Ketten, ein Christmas Merry (sic) Weihnachtsmann klebt an einem Fenster, in einer Nische hängen die ausgeschnittenen Buchstaben ‚Happy New Year‘ und ein paar Halloweenkürbisse hängen auch in der Ecke. Den Osterhasen haben wir bis zum Schluss vergeblich gesucht. Um den Bezug zur großen Seefahrt herzustellen, steht ein Pappmodell der Titanic auf der Kommode. Alles wird gut. Dann ein ausgiebiges Mittagessen, noch etwas Getucker, und wir fahren in eine Bucht, die bereits von gefühlten fünfzig Schiffen belegt ist. Landungsboot, Tropfsteinhöhle, Kayakfahrt, Kevin führt ein strenges Regiment. Danach wieder auf’s Schiff, wieder ein complimentary drink (diesmal ein Tee, aber es werden leckere frische Früchte dazu gereicht), während unser Schiff die Nachtbucht ansteuert. Dort sind’s nur drei Boote unseres Kalibers. Draussen ist es mittlerweile ziemlich kalt, also bleiben wir nach dem ebenso ausgiebigen Abendessen lieber drinnen. Es kommt aber (für mich) keine Riesenstimmung auf, außerdem habe ich seit dem Tag Schnupfen, und als die nette Naomi und Eleonore sich verzupfen, schließe ich mich an.
Am nächsten Morgen trennen sich unsere Wege. Offensichtlich besteht so eine Fahrt in die Halong Bay aus Bausteinen: A) der eben geschilderte erste Tag. B1) Mitteltag bei drei-Tagestour, wenn danach auf der Insel CatBa übernachtet wird. B2) Mitteltag bei drei-Tagestour, wenn danach auf dem Schiff übernachtet wird. C1) Rückfahrt zum Bus nach Halong City mit anderem Schiff. C2) Besuch eines schwimmenden Dorfes, Kochkurs, Mittagessen, Rückkehr zum Bus. Das Schiff selber macht jeden Tag das gleiche: Mittags von der Stadt in die Bucht, Morgens wieder in die Stadt. Ich habe A+C2 gebucht, Naomi leider A+B2+C2. Der Ausflug zu dem schwimmenden Fischerdorf ist nett und fotogen, der Kochkurs verdient den Namen nicht (Fünf fertige Zutaten in Reispapier einrollen, fertig ist die ‚fresh spring roll‘), dafür das echte Mittagessen ausgiebig und lecker. Danach die Rückfahrt nach Hanoi, dort noch ein Tag Sightseeing, und das war’s mit Vietnam.
[ich musste das jetzt kurz machen, der Rest meiner Crew ist eben gelandet, und ich will das schnell veröffentlichen.]

Sprechstunde bei Onkel Ho

Als sich die Bewohner des Viertels Ba Dinh nach den schweren amerikanischen Luftangriffen vom 27.12.1972 wieder ans Licht trauen, stellen sie fest, dass Ihr Huu Tiep See um eine Touristenattraktion reicher ist. Mitten in dem kleinen Teich ragen die Reste des Hecks eines B-52 Bombers aus dem Wasser. Wahrscheinlich haben die Bewohner das damals nicht bezüglich seines touristischen Wertes beurteilt, auch das B-52 Café dürfte erst viel später eröffnet worden sein – sie sahen es wohl als Bestätigung der vietnamesischen Propaganda, die von tausenden abgeschossenen Flugzeugen spricht. Die Amerikaner sehen das natürlich ein wenig anders.
Mein Plan für den Tag sieht einen Ausflug nach Westen vor, wo das Regierungsviertel liegt, und unzählige Erinnerungen an Onkel Ho, wie Ho Chi Minh in Vietnam genannt wird. Ich nehme ein Taxi an den entferntesten Punkt, um danach wieder in Richtung Hotel zurückzulaufen. Unter dem Vorwand fieser Einbahnstraßenregelungen fährt der Taxifahrer viel weiter westlich als nötig, aber am Ende hält er vor einem schwimmbadgroßen Tümpel mit ein paar olivgrünen Flugzeugteilen in der Mitte. Alleine hätte ich das nie gefunden. Da die Stimmung auf seiner Fahrt durch die westlichen Vororte eine wenig gesunken ist, bietet er mir nicht an, mich weiter zu fahren, sondern verzupft sich still. Immerhin bin ich so in einem Viertel, was nicht allzu viel Tourismus im Allgemeinen sehen dürfte. Ich gehe nach den Pflichtfotos der Wrackteile durch die verwinkelten Gassen des Viertels, komme an Märktständen vorbei, die nicht so fotogen sind wie die großen Märkte, aber wahrscheinlich das echte Leben besser widerspiegeln. An einem Stand erstehe ich Pho-Brühwürfel – das ist zwar Schummeln, aber auf einem Segelboot praktikabler als ein paar Kilo Rindsknochen auszukochen. Mit Hilfe einer Karten-App befreie ich mich aus dem Labyrinth, und finde das Ho Chi Minh Museum. Ich habe eigentlich beschlossen, mir das Museum nicht anzusehen, über den allgegenwärtigen Onkel Ho möchte ich mich zwar informieren, aber vielleicht etwas neutraler. Auf dem gleichen Gelände sind aber noch andere Sehenswürdigkeiten, wie das Wohnhaus von HCM, sein Mausoleum und eine Pagode die auf einer einzigen Säule ruht. Es ist ruhig – zu ruhig. Andere versprengte Touristen sind dem bereits auf den Grund gegangen – fast alle Sehenswürdigkeiten im Regierungsviertel sind zu. Onkel Ho hat am Montag keine Sprechstunde. Mein Programm für den letzten Tag wird immer voller, und für heute muss ich umdisponieren.
Ein engagierter, potenzieller Moped Chauffeur schlägt mir Alternativen vor, darunter auch die Long-Bien-Brücke. Die wurde mir auch schon von Poul vorgeschlagen, der im gleichen Hotel wohnt. Ich lehne das Angebot der Mopedfahrt ab, gebe vor laufen zu wollen. Eigentlich will ich mir ein Taxi nehmen, aber am Ende bewältige ich die Strecke doch zu Fuß, durch ein Viertel mit alten Villen, die den kolonialen Glanz der Franzosen widerspiegeln. In einer Garküche, die ich vor acht Wochen nicht einmal betreten hätte, stärke ich mit einer Pho, und mache mich auf den Weg über die Brücke. Die Long-Bien-Brücke wurde vor 114 Jahren von dem Architekturbüro Dayde & Pille aus Paris gebaut, und das Jahrhundert merkt man Ihr auch an. Die zentrale Kastenkonstruktion führt ein Eisenbahngleis, auf Ausleger links und recht haben Mopeds und Fußgänger Platz. Das Trottoir besteht dabei aus dünnen Betonplatten, die zwischen zwei Eisenträgern liegen. Beton als Baustoff, das weiß ich als Ingenieur, ist spröde. Das find‘ ich blöde. Aussparungen zwischen den Platten geben den Blick nach unten frei, ganz nach unten. Manche Platte haben fehlende Ecken, manche kippeln zwischen den Trägern. Ich fühle mich nicht wohl, und bleibe auf dem Asphalt für die Mopeds, die mir hupend entgegenkommen. Manchmal bleibe ich stehen, dann spüre ich, dass die ganze Brücke schwingt, und das noch ohne vorbeifahrenden Zug. An manchen Stellen ist das Geländer so durchgerostet, dass längere Eisenprofile frei in der Luft hängen – denen sieht man das Schwingen mit bloßem Auge an. Ich fühle mich nicht wohler. Mir wird klar, dass ich auf dem Rückweg nicht auf dem Fahrweg der Mopeds laufen kann; im Rücken will ich die nicht haben. Und immerhin, von hier aus habe ich einen Blick auf den Roten Fluss, besser wird’s doch nicht, oder? Also Foto, und todesverachtend auf den Betonplatten (an deren Rand) zurück. Dass hier täglich hunderte Vietnamesen laufen beruhigt mich nicht – diese ganzen Fliegengewichte…
Um die Brücke dann vom Flussufer aus zu fotografieren, muss ich eine Art Stadtautobahn (viel langsamer, aber ähnlich breit) überqueren. Als Aufmunterung dient ein Poster vor der Polizeiwache, auf dem 24 recht grafische Fotos von Verkehrsunfällen abgebildet sind. Ob diese nun zu vorsichtigerem Fahren oder Helmtragen animieren soll, ist mir nicht klar, vielleicht soll es auch nur Mitleid für die Polizisten wecken: Schaut her, was wir für Schweinereien wegräumen müssen! Meine bisherige Erfahrung kann ich beim Überqueren voll einsetzen, auf dem Rückweg schließt sich mir eine verängstigte vietnamesische Familie an.
Dann kurz ins Hotel, und wieder hinaus in die Stadt. Mein Freund Roland hatte auf ein Facebook ein Foto von einer chaotischen Kreuzung gepostet; ich erkenne, dass das von mir auserkorene City-View-Café sein Standpunkt war. Ich trinke dort ein Kaffee, und versuche das Chaos als Video festzuhalten, bevor ich mich dann auf den Weg ins Wasserpuppentheater mache. Wasserpuppen sind eine nordvietnamesische, folkloristische Theaterform, wie Marionetten, die aber nicht hängend an Fäden geführt werden, sondern von unten mit Bambusstangen, die Bühne ist dabei die Oberfläche eines Sees. Die Stangen sieht man wegen des trüben Wassers nicht. Eignet sich natürlich besonders zur Darstellung vom Leben am Wasser. Nach dem Essen nehme ich ein Taxi zum Hotel, wieder fährt der Fahrer ein Spiralmuster – glauben die, dass ich blöd bin? Blöd nicht, aber nicht kommunikationsgewandt genug um mit dem Fahrer nachträglich über das Maß des vom Taxameter einwandfrei belegten Betruges zu verhandeln. In dem Fall sind’s auch nur 30 Cent an geschätzten Mehrkosten. Aber: Mit Dir fahr ich nimmer – merk‘ Dir das! Morgen geht’s in die Halong Bucht, und das Wetter soll besser werden.

Englisch für Tourismus, Grundkurs 2b

Der Angriff kommt überraschend und trifft mich völlig unvorbereitet. Von zwei Seiten werde ich von den Vietnamesen in die Zange genommen; ich habe keine Chance. „Excuse me, sir, can we talk to you?“ Pfue (Name vom Autor verhunzt) und Tang setzen sich zu meiner beiden Seiten auf die Parkbank wo ich eben im Reiseführer mein nächstes Besichtigungsziel gesucht habe. Pfue scheint einen Fragenkatalog zu haben, der nicht zu sehr von meinen Antworten abzuhängen scheint. Sie will wissen, wie ich heiße, woher ich komme, wie alt ich bin, wie lange ich schon in Hanoi/Vietnam bin. Tang ist schüchterner, bekommt gegen seine plappernde Kollegin kaum ein Wort in die Unterhaltung eingebracht. Dabei hätte er das Englisch üben nötiger als sie. Es kommt mir vor, als ob sie von der Schule/Uni den Auftrag haben, Sonntags durch Hanoi zu streifen und Touristen aufzureißen. Pfue war noch nie in Hoi An, aber vielleicht ist es ihr Traum dort einmal zu arbeiten. Sie fragt, ob sie mir von der Stadt erzählen darf aus der ich gerade komme, und rezitiert Straßennamen, einen Teil der Geschichte der Stadt und an welchem Fluss sie liegt. Als Pfue fragt, „How do you like Vietnamese people?“ bekomme ich meinen Humor gerade noch rechtzeitig in den Griff. „Oh, very tasty“ lag schon auf der Zunge und war im Begriff den Mund zu verlassen. Gerade rechtzeitig ändere ich meine Antwort in ‚very friendly‘, womit Pfue zufrieden ist. Ich wende mich verstärkt nach rechts, damit Tang auch eine Chance hat. „What about your chop?“. Ich habe gelernt, solche Gespräche mit einigen Lügen zu vereinfachen. My chop ist Ingenieur für Lüftungsanlagen, lässt sich leichter erklären als ehemaliger Angestellter und zukünftiger Selbstständiger für Nachhaltigkeitsfragen. Eine Familie adoptiere ich meist schnell aus meinem Freundeskreis, leider hat meine Frau keinen Urlaub bekommen. Und ich bin hier für drei Wochen Urlaub und nicht auf Weltreise. Dann wird noch fotografiert: Tang und Chris, Pfue und Chris, Pfue und Tang. Kichernd bedanken sich die beiden und ziehen weiter. Insgesamt fünfmal widerfährt mir ähnliches heute.
Heute bummele ich Seiten 62-70 meines Reiseführers ab, rund um den Hoan Kiem See. Sehenswürdigkeiten: Eine Insel im See, mit Tempel bebaut und Schildkrötenlegenden behaftet. Verschiedene Prunkbauten aus französischer Kolonialzeit, wie die Oper und sehr mondäne Hotels, die heute wieder im alten Glanz und modernen Preisen erstrahlen. Das moderne Hanoi Hilton, und das alte Hanoi Hilton. Das ‚alte‘ Hanoi Hilton war ein sarkastischer Spitzname amerikanischer Piloten für das Hoa Lo Gefängnis, in dem erst französisch-koloniale Unterdrücker aufrichtige vietnamesische politische Gefangenen quälten, und während des Krieges amerikanische kriegsverbrecherische Piloten von den weltoffenen Vietnamesen bestmöglich behandelt wurden, inklusive Weihnachtsfeiern, Volleyballturnieren und ständiger ärztlicher Betreuung. Außerdem noch die Kathedrale Saint Joseph, und zwei kleinere Tempel. Der Rückweg zum Hotel führt mich durch belebte Einkaufsstraßen, jeder Meter Straßenfront beherbergt einen Laden mit irgendwelchen Konsumgütern. Jeder Meter? Nein, in der Pho Hang Ngang 48, wo Ho Chi Minh im zweiten Stock die Unabhängigkeitserklärungsrede von Vietnam schrieb, ist unten kein Laden, sondern revolutionäre Kargheit. Nebenan gibt’s wieder Levi’s – es lebe der Konsum.
Insgesamt wirkt Hanoi schon ein wenig ernster als Saigon, etwas enger, bedrückender. Kann aber auch am Wetter liegen, das ist auch ein wenig ernster als in Saigon. Ich brauche tatsächlich manchmal meine Fleece-Jacke. Die Vietnamesen sind hingegen in Daunenanoraks eingemummelt, außer sie posieren gerade in schulterfreien Kleidern für Hochzeitsfotos. Besonders am See und vor teuren Hotels sehe ich ständig Brautpaare, auf dem Platz vor dem Sofitel Metropole Hotel wird den Damen auf dem Bürgersteig noch der letzte Beauty-Schliff gegeben. Also nicht wundern, wenn in den Bildern demnächst einige Brautpaare erscheinen.
Auch merke ich hier, dass ich alt werde: Zum ersten Mal ist mir hier über die Straße geholfen worden. In Hanoi, wie in ganz Vietnam, gibt es alle möglichen fliegenden Händler, die ihre Waren meist an einer Bambusstange über der Schulter tragen. Im vorderen Körbchen ist der Holzkohlegrill, im hinteren die komplette Küche, oder was auch immer für das Gewerbe notwendig ist. Eine so ausgestattete Gebäckverkäuferin wittert ihre Chance, als ich beim Überqueren der Hai Ba Trung etwas zögere. Eben wollte ich kein Gebäck, aber wenn sie als mein Retter im Straßendschungel glänzen kann, bekomme ich sicherlich Hunger? Am Ende scheint sie überrascht, wie zügig ich doch über die Straße komme, sie kaum hinterher. Hunger habe ich zwar schon, aber schon gestern hat mir so ein ausgebackenes Teigteilchen nicht geschmeckt. So muss ich meine Retterin enttäuschen, und finde eine Garküche, die eine leckere Pho Variante macht (mit Schweinebratenscheiben, Erdnüssen und recht wenig Flüssigkeit).

Bahnwärter Nguyen

„Di chuyen mong cua ban!“ Mit barschem Befehlston schickt Bahnwärter Nguyen Blödmann und Blödmannsgehilfe (so nenne ich sie innerlich) auf ihre eigentlichen Plätze, denn jetzt kommen Passagiere, die die teureren Liegeplätze unten reserviert und bezahlt haben. Kissen und Decke scheinen sowieso nicht akribisch gewechselt zu werden, da macht es ja nix, dass die beiden mittlerweile in vier der Bettchen im Abteil geschlafen haben. Es ist 22:30, noch fünfeinhalb Stunden bis Hanoi, sollten wir pünktlich sein.
Angefangen hat die Reise in Hoi An [Artikel dazu kommt auch, versprochen]. Kurz Frühstück mit Lewis aus Adelaide, den ich mit dessen Cousine am Vorabend kennengelernt habe. Ich verabschiede mich von dem herzlichsten Hotel, das mir je untergekommen ist, um 8:45 soll das Taxi kommen. Kurz davor fällt mir ein, dass das Hotel ja noch meine Zugfahrkarte hat, das wäre peinlich gewesen. Die Fahrt nach Danang (Die nächste größere Stadt zu Hoi An) dauert 45 Minuten, verbracht in angeregter Unterhaltung mit zwei Münchnerinnen. Dann sind wir am Flughafen, der Fahrer will meine Tasche ausladen, und ist perplex als ich heftig widerspreche. „Train Station!“ sage ich, der Fahrer nickt wissend und fährt los. Offensichtlich hat er nur so genickt, denn er telefoniert, reicht mir das Handy; ich bestätige der Fremdsprachenkorrespondentin am anderen Ende dass ich wirklich zum Bahnhof will. Nach ca. 10 Minuten stehen wir vor einem Gebäude, auf dessen Vorplatz eine Dampflokomotive steht. Ich folgere messerscharf, dass dieses der Bahnhof ist. Mein Zug geht in zwei Stunden.
Mein Plan, mich auf dem Bahnhofsvorplatz noch kurz zu entspannen, wird von einem Regenschauer zunichte gemacht, und so trolle ich mich in den Wartesaal. Vor meinem kommen noch drei andere Züge in dem Kopfbahnhof an und fahren wieder. Jedesmal großes Gewusel auf den Bahnsteigen (die sonst nicht zugänglich sind), der Zug hält hier 15 Minuten, genug Zeit für Passagiere, sich noch schnell was im Bahnhof zu kaufen. Dann kommt mein Zug, ich finde Wagen 7, treffe zum ersten Mal den Fahrkarten kontrollierenden Bahnwärter Nguyen, und finde Berth 4 in ‚Room 1‘. Abgeschlossenes Liegewagenabteil mit sechs Betten, und noch ist Platz unter dem untersten für meine Tasche. Ich habe die mittlere Liege, momentan hochgeklappt, man könnte sich auf das untere gemachte Bett setzen. Wie genau ist hier die Etiquette? Ich schau mal nach nebenan, da höre ich auch deutsche Stimmen, es sind aber auch Anfänger. Sie fahren nur zweieinhalb Stunden nach Hue, haben keinen Sitzplatz mehr bekommen. Als ich in mein Abteil zurückkomme, sind die beide unteren Liegen belegt, im präzisen Sinne des Verbes. Obwohl man sich vielleicht dennoch ans Fußende setzen könnte, stelle ich mich in den Gang, das wird sowieso die Seite mit Meeresblick.
Grob gesagt hat Vietnam eine Bahnstrecke, die von Ho Chi Minh City nach Hanoi führt (von Hanoi aus gibt es ein paar weitere Stichstrecken). Bei Hue haben wir sie öfters gesehen, sie scheint überall einspurig zu sein. Nach ca. 10 Minuten Fahrt hält unser Zug – noch in Danang – und wartet auf den Gegenzug. Das kann ja heiter werden. Dann zuckeln wir weiter, erreichen nach 20 Minuten den Wolkenpass und beginnen ihn zu erklimmen. Auch wenn die Bahnstrecke nicht so hoch führt wie die Straße, und auch teilweise durch kurze Tunnel führt, ist der Ausblick spektakulär. Gigantisch wäre es, wenn jetzt noch die Sonne scheinen würde, aber wenigstens ist es noch hell. Durch das schmutzige Fenster mache ich einige Fotos, keine davon werden wirklich gut. Entlang der Strecke gibt es einige Streckenposten und Bahndienstgebäude. Hier stehen wirkliche Bahnwärter, und halten militärisch eine aufgewickelte gelbe Fahne am abgewickelten Arm vor sich. Nachts werden sie witzige Laternen halten, die in jede Richtung eine andere Farbe strahlt, dem Zug entgegen gelb. Der Zug windet sich den Pass hinauf, an einer Stelle ist es kurz doppelgleisig, und wir warten wieder auf den entgegenkommenden Zug. Danach haben wir die Passhöhe erreicht, und fahren wieder hinab in die Ebene um Hue. Vom Zug aus sehe ich die Straße, von der aus ich vor einigen Tagen den Zug sah.
Bis Hue unterhalte ich mich mit dem deutschen Paar, danach sind Unterhaltungsopfer rar. Ich gucke in mein Abteil. Mittlerweile sind dort vier Betten belegt, alle pennen; obendrein ist das Fenster aus dem Abteil heraus eine kaputte Verbundglasscheibe (also zwei zusammengeklebte Scheiben, eine davon in tausend Teile zersprungen). Also bleibe ich weiter im Gang stehen, und sehe Vietnam beim Vorbeifahren zu. Im Gang bin ich allen im Weg, ständig hastet Bahnwärter Nguyen und seine Kollegen vorbei, andere Reisenden auf dem Weg zum Imbisswagen oder Klo. Aber man lernt so auch leichter Leute kennen. Es gesellt sich ein junger Vietnamese mit halbwegs passablen Englisch zu mir. Er ist auf dem Heimweg von HCM City in die Quang Tri Provinz, und hat eben seinen Job als Spritzgußformdesigner für Plastikspielzeug gekündigt, um sich selbstständig zu machen. Genau als was, dass weiß er auch noch nicht (oder kann es mir nicht vermitteln), aber er findet die Vorstellung dass Angestellte für ihn arbeiten toll. Ich teile mit ihm mein Mittag- und Abendessen, eine Rolle Pringles. Es hätte auch vorbeifahrendes Essen gegeben, aber das hat mich nicht so angesprochen.
Die Landschaft ist mittlerweile eintöniges Reisanbaugebiet. Reisfelder sehen für mich wie große Schlammpfützen aus, die voneinander durch kleine, bierkastenbreite Erdwälle getrennt sind. Die Felder haben unregelmäßige Formen, teilweise mit geschwungenen Grenzen, und haben meist ungefähr die Fläche eines Tennisplatzes. Ich überlege, ob eine Zusammenlegung der Felder nicht einen erheblichen Effizienzgewinn bringen würde. Dann überlege ich, ob meine Kollektivierungsgedanken zur Effizienzsteigerung nicht eigentlich kommunistisches Gedankengut sind. Manchmal werden die Reisfelder durch größere Erhebungen wie Hügel oder auch nur Straßen auf Dämmen unterbrochen, diese bestehen dann auf tiefroter, eisenhaltiger Erde. Warum sind die Reisfelder dazwischen nur schlammbraun? Hat jahrhundertelanger Reisanbau der Erde die Farbe genommen? Ich werde in meinen Überlegungen durch einen ziemlich angetrunkenen Vietnamesen unterbrochen. Er hat offensichtlich beschlossen, dass jetzt die perfekte Gelegenheit ist, seine Englischkenntnisse Gassi zu führen. Der Alkohol lässt ihn laut und locker sprechen, verstehen tue ich aber nix. Seine Kumpels versuchen ihn öfters weiterzuziehen, aber nein, er will weiter üben. Die Einfahrt in den Bahnhof von Dong Hoi erlöst mich, hier muss er aussteigen.
Als wir weiterfahren, ist es dunkel, es gibt nichts mehr zu sehen, außerdem stehe ich seit fast sechs Stunden auf dem Gang. Normalerweise ist sechs Uhr abends für mich keine Bettgehzeit, aber was soll ich tun? Im Abteil sind nur noch Blödmann und Blödmannsgehilfe. Sie sitzen auf den unteren Betten und beschäftigen sich intensiv mit Ihren Schlautelefonen. Ich mache meine Liege runter, gebe mir einen Ruck zur Überwindung der Abneigung gegenüber Kissen und Decke, und lege mich meinerseits mit musizierenden Schlautelefon hin. Die beiden Vietnamesen spielen sich gegenseitig Musik vor, und gucken gemeinsam Videos. Laut genug eingestellt, übertönen die Ohrstöpsel aber das asiatische Gejaule, nur wenn meine Musik etwas leiser wird, dringen die klagenden Katzen disharmonisch an mein Ohr. Gegen neun denke ich mir, dass ich jetzt die Chance hätte, wegzudösen wenn ich meine Musik leiser mache. Nach einigen Experimenten merke ich aber, dass dazu die Geräuschkulisse im Abteil sinken muss. Ich komme mir mega-spießig vor, als ich Blödmann bitte/anherrsche, ob er nicht vielleicht auch Kopfhörer für seine Musik hätte. Immerhin schaltet er sein Handy brav aus, ich bedanke mich artig. Stunden später sehe ich dass er dann wohl doch irgendwoher Kopfhörer gefunden hat.
Um den Akku meines Apfeltelefons zu sparen schalte ich nur alle Stunde das Netz an, um zu sehen ob sich jemand mit mir auf Facebook, per Blog-Kommentar oder per e-mail unterhalten hat. Bei der Gelegenheit verfolge ich unseren Fortschritt die Küste hinauf mit einer Landkarten App, es geht recht zäh voran – zumindest auf der Vietnamkarte. Gefühlt ist der Zug recht zügig unterwegs, gemessen mit 75 km/h, und auch die Schienen sind erheblich besser als die meines Erlebnisses in Myanmar – exzessives Ruckeln und Hüpfen bleibt aus. Um 22:30 steigen dann noch zwei Damen und ein Herr zu, die eingangs erwähnte Episode findet statt.
Heute treffen sich in München meine Mitsegler für Thailand zu einer letzten Besprechung. Ich wurde eingeladen, per Skype mich Telco-mäßig einzuwählen. Mit Skype hatte ich anfangs meiner Reise einige enttäuschende Erlebnisse, es hat nie so richtig geklappt. So war meine Zusage auch eher ironisch zu verstehen. Allerdings hatte es am Tag zuvor mit perfekter Sprachqualität geklappt – vielleicht sollte ich es doch versuchen? Kurz vor Mitternacht muss Blödmannsgehilfe mal raus, diskutiert aber erst noch lautstark mit Blödmann darüber. München trifft sich um 18:00, da bringt es nicht wenn ich jetzt ein paar Minuten vorher anrufe. Ich beschließe es in einer Stunde zu versuchen, falls ich da noch wach bin. Offensichtlich habe ich fast zwei Stunden geschlafen, aber jetzt würde es auch noch gehen – Blödmann musste mal raus, und diesmal folge ich ihm. Erstaunlicherweise funktioniert Skype via mobilem Internet im ratternden Zug erstaunlich gut, man muss immer nur zu den Wagonenden pilgern, um die Türen zu den Übergängen zuzumachen.
Danach döse ich noch etwas, und werde um kurz nach vier (20 Minuten Verspätung) von einem vietnamesischem Revolutionslied geweckt. Vielleicht ist es ja auch nur ein Lied über die Stadt, ‚Hanoi‘ kommt recht oft vor. Danach noch etwas vietnamesisches Geplapper, und dann – englisches Geplapper. Geschichte und Sehenswürdigkeiten von Hanoi werden gepriesen. Es ist *%&#& vier Uhr morgens, glaubt Ihr wirklich, dass mich das interessiert? Ich packe mein Zeugs, darf Bahnwärter Nguyen fotografieren (er will das Foto sehen, ist aber offensichtlich über das Resultat erfreut), und werde vom Zug auf dem Bahnsteig in Hanoi gespuckt.
Anm der Red: Warum „Bahnwärter Nguyen“, wo der Mensch doch offensichtlich Schaffner ist? In der Schule musste ich „Bahnwärter Thiel“ von Gerhard Hauptmann lesen, bei Frau Brecht. Schon damals gab es in Deutschland keine Bahnwärter mehr, und so löste das heute gesehene die Erinnerung an die „novellistische Studie“ aus. Und dann wurde ich heute noch von einer anderen Frau Brecht zum bloggen aufgefordert – da stand der Titel fest, mitsamt der resultierenden Fehlbezeichnung im Text.
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