Plötzlich bricht die Hölle los. Eben noch leicht geschlummert, da bricht eine große Welle über das Schiff. Es prasselt auf’s Deck, auf die Sprayhood, auf das Sofa neben mir (das ist eine andere Geschichte) und die Erfahrung sagt: auf Frank. Dann fängt das Radio noch hektisch an zu piepen: Mann über Bord!!! Vom Cockpit blinkt es hektisch rot! Schlaftrunken versuche ich mich zu orientieren. Frank steht tropfnass wie ein begossener Pudel am Steuer und flucht wie ein Rohrspatz. Wir sind nur zu zweit, Mann über Bord kann also nicht stimmen. Außerdem blinkt Frank rot. Warum ist das so, wie konnte es so weit kommen? Also, der Reihe nach:
Aus deutscher Sicht ist Festland-Portugal schon länger kein Risiko mehr, seit wenigen Tagen auch die Algarve nicht mehr. Tja, aber für die Portugiesen waren die Deutschen dennoch eines. Einreisen aus Gründen des Tourismus aus Ländern mit einer Inzidenz höher als 150 sind verboten. Aber offensichtlich hat Deutschland diese Marke nun unterschritten, Doro kündigt sich an. Das ist nun also unsere Mission (neben der allgemeinen, nach Norden kommen): Doro am 25.5. in Faro einsammeln. Dazu müssen ja wir auch nach Portugal einreisen – ist unser aktuelles Herkunftsland, Spanien, schon unter der Grenze? Brauchen wir einen PCR-Test, wie alle Flugreisende? Wir haben schon länger über das Thema debattiert. Machen wir’s einfach mediterran (Still einreisen, Klappe halten)? Oder lieber offiziell (bei deutscher Botschaft oder Hafenbehörde anfragen)? Wir favorisieren lange die Idee, in den Grenzfluss zwischen Spanien und Portugal fahren, und dann ganz zufällig in Portugal anzulegen (Vila Real de Santo António), und wenn die schockiert sind mit einem bedröppelten ‚Tut uns leid, war nicht so gemeint‘ auf die spanische Seite zurückkehren (Ayamonte). Aber in Cadiz sind ein paar andere Segler überzeugt: in Spanien PCR Test machen, und dann geht das problemlos. OK, dazu wären wir bereit. Aber das lassen wir uns lieber bestätigen. So rufen wir in der Marina von Vilamoura an (Taxinähe zu Faro, und alle Behörden vor Ort), um eine Reservierung zu machen). Die Reservierungsdame ist überzeugt: wir brauchen GAR NIX, außer den üblichen Papieren. Wir machen also die Reservierung per email, schreiben nochmal den ’no problem‘ Sachverhalt rein, und bekommen kurz darauf unsere Bestätigung. Also: Auf nach Vilamoura. Wir beschließen, die restlichen Häfen auf der Strecke beiseite zu lassen; sollte die problemlose Einreise nicht funktionieren, haben wir so zwei Puffertage die Probleme zu klären.
In der Windfinder-App gibt es die Auswahl zwischen zwei rechnerischen Vorhersagemodellen: Super-Forecast und GFS-Modell. Eines habe beide gemeinsam: Sie stimmen nicht. Aber immerhin – wenn beide Modelle übereinstimmen, wird der tatsächliche Wind nicht diametral anders sein, sondern nur stärker, schwächer, oder aus einer anderen Richtung kommen. In Cadiz angekommen, konnten wir beruhigt feststellen, dass der nächste Tag windtechnisch blöd wäre. Passt uns gut, ausschlafen, Cadiz ansehen. Am nächsten Tag sollte der Wind passen: Aus der richtigen Richtung immerhin (Norden, so dass wir mit halben Wind fast die ganze Strecke segeln könnten), aber zwischendrin etwas stark. Wir beschließen also einen Kurs, der uns näher an Land hält, dort sollte weniger Wind sein, und – viel wichtiger – weniger Welle. (Wind macht uns mittlerweile weniger Sorgen – einfach weniger Segeltuch, und es läuft – aber viel Welle macht das Schifffahren wirklich ungemütlich. Es gibt zwar einen Zusammenhang [Wind macht Welle], aber er ist nicht so direkt, sondern zeitlich versetzt. Also manchmal besser, in den aufkommenden Starkwind zu Segeln, als in die abflauende steife Brise).
Von Cadiz nach Vilamoura sind ungefähr 95 Seemeilen Luftlinie (180km, ca. 19h Segeln bei vernünftigen Bedingungen). Natürlich sind die Bedingungen nicht ganz vernünftig – Statt halben Wind müssen wir eher hart am Wind segeln, und dabei automatisch an der Küste entlang. Wie so oft in letzter Zeit also eine Etappe mit Nachtfahrt – hat mir am Anfang meiner Segelzeit einen Heidenrespekt abverlangt, aber heute mit einer Kombination aus mehr Erfahrung und (wichtiger) einem guten Navigationsgerät gewöhnt man sich dran. Wir versuchen noch bei Tageslicht eine Segelgarderobe zu wählen, mit der man durch die Nacht kommt (bei Dunkelheit mit viel Wind und Welle auf’s Deck vor an den Mast macht echt kein Spaß) und dann beschränkt man sich auf’s Reffen und Ausreffen des Vorsegels. In der Nacht wird es – entgegen der Prophezeiung – etwas stürmisch, es hat sich eine Welle aufgebaut, die in regelmäßigen Abständen über’s Deck kommt. Frank steht am Steuer, ich versuche mich für die nächste Schicht auszuruhen. Da ereignet sich die Anfangssequenz dieses Eintrags.
Was ist passiert? Frank hat ein AIS-MOB Sender an seiner Weste. Das gleiche Gerät habt Ihr (einige von Euch zusammengelegt) zum 50. Geburtstag geschenkt. Wird der Sender in Wasser getaucht, löst sich mit einer Salztablette eine Sperre, und es gibt Alarm. Wir wissen nun, dass a) auch das Wasser einer fetten Welle ausreicht, und b) das Gerät funktioniert. Wäre es Ernst gewesen, hätte mich der Notruf auf dem Radio geweckt, und das AIS Signal hätte mich zum Opfer zurück gelotst. Fein. Aber – da Fehlauslösung, gibt es niemanden zu retten, und das laute Piepsen und rote Blinken an Deck nervt. Theoretisch kann das Gerät auch einen allgemeinen Notruf an alle Schiffe schicken, aber dazu muss man wohl noch einen anderen Knopf drücken. Jedenfalls eilt uns niemand zur Hilfe, und es kommt auch keine Nachfrage per Funk. Nach einer Minute ist alles still (gut, weiterhin heftiger Wind und Welle), die Situation geklärt, und es ist sowieso Zeit für meine Schicht. Ich schaffe die Strecke bis Faro, Vilamoura ist (gefühlt, leider nur gefühlt) direkt dahinter um die Ecke. Es ist wieder Franks Wache. Der Wind ist auch nicht mehr günstig für uns, wir müssen kreuzen, so sind wir erst nach 10:00 in der Marina. Es interessiert niemanden, dass wir aus Spanien kommen.
Die Marina von Vilamoura ist eine große Retorten-Marina mit Retorten-Feriendorf dazu. Wenn es hier eine Altstadt gibt, ist sie von 1980. Die meisten Schiffe im Hafen sind schicke Motoryachten (gut, ein Widerspruch in sich, Motorschiffe sind per Definition hässlich), die Kneipen am Hafenbecken haben als Klientel reiche Angeber mit mehr Geld als Geschmack; aber die Duschen sind der bisherige Höhepunkt meiner Segelkarriere: Die Duschen haben einen Vorraum, der durch eine echte Tür von der Dusche abgetrennt ist (Klamotten bleiben wirklich trocken), und der gesamte Bereich hat eine Fußbodenheizung (!) (in Portugal (!)). Wenn wir von ‚goldenen Wasserhähnen‘ reden, meinen wir eigentlich so genau das.
Wie üblich nach einer ~24h Etappe (theoretisch haben wir in der Zeit zwar jeweils die Hälfte der Zeit geschlafen, aber das ist halt nur Theorie), gibt’s beim Einlaufen erstmal ein Bier, und dann machen wir beide ein Nickerchen. Es ist Sonntag, Doro kommt am Dienstag in Faro an. Da Faro einen Flughafen hat (eigentlich DER Ferienflieger-Flughafen der Algarve ist), muss es wohl eine wichtige Stadt sein, und so eine Stadt hat doch sicher auch einen vernünftigen Hafen, oder?
Tatsächlich liegt Faro hinter einem ausgedehnten Sumpf-/Watt-Gebiet. Mit unserem Tiefgang von 2,10m haben wir dort nichts zu suchen, außer wir werden noch viel entspannter mit Grundberührungen oder halben Trockenfallen. Das hätten wir mit einem intensiven Studiums des Revierführers eigentlich auch in Vilamoura feststellen können. Haben wir (ich) aber nicht. Erst mal hinfahren. Als wir uns dem Cabo de Santa Maria nähern, lesen wir nochmal genauer: a) interessante Strömungen bei Ebbe und Flut (Entschuldigung: Im Mittelmeer ist Ebbe und Flut ehrlich gesagt wurscht.), und b) bei Faro enge und vollbesetzte Ankerplätze, deren Ansteuerung noch genaue Ortskenntnisse erfordert. Wir entscheiden uns für Plan B. Wir fahren am Cabo de Santa Maria in das Gebiet rein, Ankern dort wo es problemlos möglich ist, und fahren danach nach Vilamoura zurück, nehmen einen Mietwagen, und holen damit Doro vom Flughafen ab, kombiniert mit unserem Ausflug nach Faro.
Wir setzen den Plan um. Einfahrt beim Cabo de Santa Maria – es ist gerade der Übergang von Flut zu Ebbe. Interessante Effekt, nicht nur deshalb. Vor dem Kap gibt es eine Sandbank, wo innerhalb von gefühlten fünf Schiffslängen die Wassertiefe von 45m auf 12m ansteigt. Es braucht Vertrauen, dass es bei 12m bleibt, der Instinkt sagt: Stop the fucking ship & turn around. Dann ergeben sich durch das auslaufende Wasser und dem Meer noch interssante Effekte: Hier mal etwas Brandung, hier ein paar Flächen glasklare See, die sich dann aber als böse Strudel entpuppen, und insgesamt ca. 4 Knoten Strömung zwischen den Wellenbrechern. Der Motor strampelt, die Logge zeigt gute Fahrt durch’s Wasser, der GPS gähnt nur liest vor sich hin. Im Schatten der Ilha de Culatra snacken wir etwas, dann fahren wir zurück in Richtung Vilamoura. Diesmal zeigt die Logge wieder gute Fahrt durch die Wellenbrecher, das GPS jubelt mit 10 Knoten! Teilweise ein Wellenbild wie in leichten Stromschnellen; und das mit unseren alten Dame.
In Vilamoura kommen wir noch bei den letzten Sonnenstrahlen an, aber die Reception hat schon zu. Wir bleiben also die Nacht am Empfangskai (und vergessen am nächsten Morgen dafür zu zahlen {wieso vergessen? Wir hatten ja auch keine Karte für die Duschen}. Nur das Abendessen wir etwas hektisch. Wir laufen um 22:20 in das Restaurant ein, uns wird erklärt, dass wir um 23:00 fertig sein müssen (Corona Regel), schaffen wir das? Es dauert etwas länger, bis das Steak geliefert wird, aber um 22:58 kann ich vermelden: geschafft! Wir freuen uns, morgen Doro wieder zu sehen.