Die Fazits

An dieser Stelle kommt natürlich das Fazit aller Fazits, es gibt so viel zu bewerten. So wie die letzten Artikel über den Iran entsteht übrigens auch dieser im Sommer 2016 – das ‚Veröffentlichungsdatum‘ lässt sich beliebig ändern und ich habe eines genommen welches zum Handlungszeitraum passt. Vielleicht habt Ihr’s Euch schon gedacht: aus einem bloßen Einbinden von Fragmente ist nichts geworden. Die wichtigsten Erinnerungen und Eindrücke sind präsent, mit meinen Fotos, Google Maps und Wikipedia lassen sich die Namen der vielen Moscheen rekonstruieren, und was ich vergessen habe, war wohl nicht so wichtig. Das Schreiben macht Spaß – immer noch oder wieder – und so habe ich wieder munter so geschrieben, als säße ich in einem iranischen Straßencafé und erinnere mich an gestern. Es würde mich interessieren, ob man es am Stil erkennt, was ein zwei Jahre altes Fragment ist, und was frisch geschrieben ist…

Doch nun zum Fazit: Iran.

Tatsächlich hätte ich den Blog wahrscheinlich nicht in aller Öffentlichkeit geschrieben, das Straßencafé ist also ein Trugbild. Der Iran ist sicherlich noch immer ein strenges Land, welches mit abweichenden Meinungen nicht unbedingt zimperlich umgehen würde. Also habe ich ein paar der verfänglicheren Sachen ausgelassen, die man mir erzählte, und nebenbei noch alle Namen geändert. Nach zwei Jahren wirkt es reichlich paranoid, denn ich habe mich im Iran wohl gefühlt, konnte mich frei bewegen, habe mit allen möglichen Leuten gesprochen und fühlte mich auch nicht beobachtet oder überwacht. Auch habe ich aus dem Iran nicht auf meinen Blog zugegriffen, und die ersten beiden Artikel – im Iran fertiggestellt – erst in Istanbul am Flughafen veröffentlich. Wahrscheinlich entspannt sich die Situation zusätzlich mit der Zeit, mittlerweile ist ja das Atomabkommen unter Dach und Fach, und die aktuelle Regierung wirkt etwas liberaler als die Herrscher zuvor.

Aber der Iran war faszinierend – ich empfehle jedem mit etwas Abenteuerlust dahin zu fahren. Die Kultur ist faszinierend, die Leute aufgeschlossen und freundlich, das Land überraschend modern, besonders wenn man überlegt, wie viele Jahre es schon politisch isoliert ist. Die Empfehlung gilt auch für Frauen – wenn frau sich mit dem Kopftuch in der Öffentlichkeit abfinden kann. Ein paar alleinreisende Frauen habe ich getroffen, die haben von keinen größeren Problemen berichtet. Eine etwas ältere Frau hat zwar von einem deutlichen Unterschied in dem ihr entgegengebrachten Respekt erzählt, abhängig davon ob sie mit oder ohne ihren Mann unterwegs war, aber das war das ’schlimmste‘.

Fazit: Die Länder der Reise

„Türkei, Myanmar, Laos, Cambodia, Vietnam, Thailand, Australien, Indonesien, Brunei, Malaysia, Singapur und Iran – wo hat’s Dir am besten gefallen?“ Wie oft habe ich diese Frage seitdem gestellt bekommen? Für die Aufzählung gehe ich im Geiste immer die Strecke durch, deshalb kommt als letztes der Iran, und spätestens dann gehen beim Gesprächspartner die Augenbrauen hoch. So relativiere ich meist: Der Iran war der interessanteste Teil der Reise; am exotischsten für mich, der ja schon einmal länger in Asien war, die meiste Spannung im Vorfeld, die meisten über den Haufen geworfenen Vorurteile. Aber dann kommt die eigentliche Anwort: Laos. Ich versuche seitdem auch zu ergründen, ob mein Urteil dadurch beeinflusst ist, dass sich in Laos das Abenteuergefühl erstmals eingestellt hat (alleine unterwegs nach der Gruppenreise, jetzt sechs Monate Neues vor mir), aber wie auch immer: nach Laos würde ich sofort wieder reisen. Das toll hergerichtete Luang Prabang mit dem Kontrast zwischen französischem Kolonialflair und laotischen Tempeln, das fast meditative Muong Ngoi, und auf Don Det mit lauter Bekifften abhängen – die perfekte Mischung aus Abenteuer und Urlaub. Super fand ich auch Vietnam und Bali, es wird nicht das letzte Mal gewesen sein, dass ich dort war. Tatsächlich habe ich mir mal eine Reise-Bucket-List erstellt, und da findet sich ein Trip von Hanoi nach Nordlaos auf dem Landweg. Will jemand mit?

Fazit: Die Reise

„Will jemand mit?“ – ich hab’s mir gespart, vor der Reise diese Frage zu stellen. Keiner meine Freunde konnte die glückliche Kombination aufweisen: Gerade keine Arbeit, erst beim üblichen Gehalt freigestellt, dann mit einer Abfindung ausgestattet, und keine Familie die wegen Schulferien oder Beruf des Partners nicht hätte mitkommen können – oder sich Sorgen gemacht hätte, weil ich nicht sofort wieder Arbeiten wollte. Ich war frei, so frei wie nie zuvor. Aber es war auch klar, dass ich diese Reise alleine antreten müsste – und ich war vorher eigentlich noch nie alleine im Urlaub. Ich hatte schon etwas Bammel, wie das wird. Ich war erstaunt, wie toll es war, alleine zu verreisen. Obwohl meine Eigenwahrnehmung mich immer noch als etwas schüchtern führt, kann ich das mittlerweile wohl ganz gut verbergen. So habe ich häufig am Gepäckband andere Reisende angesprochen, deren Gepäck einen ähnlichen Reisestil verraten hat, und das hat sich bewährt. Eine wichtige Erkenntnis auch: je billiger die Unterkunft, desto aufgeschlossener die Leute. In einem preiswerten Backpacker-Hostel kann man jeden ansprechen, im Hilton kassiert man eher den abschätzigen Blick eines Super-Wichtig-Geschäftsreisenden, der halt jetzt am Abend in Zivil unterwegs ist. Asien macht es einem auch besonders einfach – man erkennt sofort, wer nicht von hier ist, und man kann jede Unterhaltung mit einem „Hi, where are you from?“ einleiten. In Australien ist das schwieriger.

Leider tue ich mich weiterhin viel leichter, männliche Reisende anzusprechen, jedenfalls viel leichter als hübsche Frauen. Das ist schade. Von der Logik betrachtet, gibt es ja eigentlich keinen Grund, warum eine reisende hübsche Frau so andere Bedürfnisse haben sollte als ein reisender Mann. Die freut sich doch auch, wenn man dem Minibusfahrer gegenüber eine bessere Verhandlungsposition erreichen kann. Aber das Mammut des sozialen Überlebens, welches sich um gruppenkonformes Verhalten kümmert (damit man nicht von seinem Stamm ausgeschlossen wird) hält mich zurück. Es erkennt dass die Tatsache des Ansprechens auch falsch verstanden werden könnte, Chris könnte sich auch eine Abfuhr abholen. Das Mammut weiss, dass das nicht gut ist für das soziale Standing. Gut, vielleicht wäre es ja auch nicht so falsch verstanden, warum sollte ich es sonst schade finden. So eine Zweckgemeinschaft könnte sich auch zu mehr entwickeln. Wahrscheinlich sollte ich mich damit trösten, dass – hätte ich mehr Erfolg bei Frauen – ich vielleicht nicht mehr Single gewesen wäre, und aus der ganzen Reise nichts geworden wäre. Trotzdem – Hallo Mammut! Mein Stamm kann mich hier in Asien nicht sehen, die Abfuhr wäre total anonym und unbemerkt von der Welt gewesen, und außerdem würden wahrscheinlich die meisten meiner Stammesgenossen mich dazu ermuntern, endlich Eine zu finden. Scheissviech! (Wer sich wundert, wo das Mammut auf einmal herkommt, der folge dem Link)

Natürlich hat’s auch Nachteile, alleine zu verreisen. Zu zweit zu sein ist praktisch. Es fängt bei so kleinen Sachen der persönlichen Paranoia an – ich werde mein Gepäck nicht alleine lassen, nicht nur am Flughafen, wo man es nicht darf und die schmutzige Wäsche dann vielleicht aus Bombenverdacht gesprengt wird, sondern auch in einer vietnamesichen Kleinstadt am Bahnhof nicht. Also mit Rolltasche durch den Convenience-Laden, bloß um sich ein Wasser zu kaufen. Da freut man sich, wenn eine Reise-Abschnitts-Partner aufpassen kann, während man selber behände wie ein junges Reh nach dem richtigen Ticketschalter und einem Snickers sucht. Es geht bei den Kosten weiter, Doppelzimmer sind pro Person preiswerter als Einzelzimmer, Taxis kosten meinst das gleiche wenn man sie zu zweit nutzt, und man kann mit guten Freunden im Restaurant weit mehr Speisen probieren als alleine. Außerdem – wer mich kennt, kann sich vorstellen, dass ich auch auf der Reise nicht zum Frühaufsteher mutiert bin. Ein Check-Out Time von 10:00 morgens hilft mir schon dabei, um 9:58 wieder unterwegs zu sein, aber jemandem zu versprechen, morgen um 08:00 am Frühstückstisch zu erscheinen ist eine positive Motivation. Gegen das Ausschlafen gibt es übrigens ein Hilfsmittel: Ausflüge buchen. Wenn der gebuchte Minibus morgen um 7:30 vor dem Hotel stehen wird, stelle ich mir durchaus den Wecker auf 7:05, und beachte ihn.

Aber der wichtigste Unterschied beim alleine Reisen ist natürlich das Thema Ansprache oder das Teilen von Erlebnissen. Ein Teil lässt sich natürlich mit den flüchtigen Reisebekanntschaften wett machen. Die haben das Gleiche gesehen, interpretieren es teilweise vor ihrem persönlichen Hintergrund anders, und haben meist ganz Neues zu erzählen (für mich). Auch umgekehrt – denen kann ich alte Kamellen aus meinem Leben erzählen, die hören noch aufmerksam zu, weil sie nicht wissen, was sie erwartet. Man kann das Erzählen seiner Lebensgeschichte üben: immer wieder erzählt, merkt man welche Elemente gut ankommen und welche nicht so interessant sind. Nicht dass ich lügen würde, aber der Spin ist mittlerweile besser eingeschliffen – ich wurde nachträglich viel interessanter. Dennoch – mit Freunden zu verreisen, die Vertrautheit – das ist schon klasse. So viele Kalauer oder amüsante Beobachtungen die ich niemandem erzählen konnte… Aber auch dafür gab es die Lösung: Blog schreiben.

Fazit: Der Blog

Es wurde schon fast zum Ritual: Reiseführer und Laptop schnappen, und ab ins Restaurant. Intensiv die Karte studiert, Bier und Essen bestellt, Laptop aufgeklappt und weitergetippt. Das Bier kommt – das trinkt sich nebenbei; das Essen kommt, lecker – ob ich hier mal einen Kochkurs machen sollte? Die Teller werden abgeräumt, ein zweites Bier wird gebracht, und wieder sind zwei Absätze fertig. Und die sind nicht nur für den Laptop – die sind meine Unterhaltung mit Euch allen. So gesehen war ich nie alleine beim Essen – es saßen fast immer ungefähr 30 Leute am Tisch.

Ich hatte nicht gedacht, dass der Blog so lang wird. Die ersten Artikel – im Herbst 2013 – waren ja noch reichlich hölzern und kurz. Der Blog sollte eine pragmatische Alternative zu e-mails sein. Ich hätte eines an meine Eltern geschrieben, was interessiert die? Chris ist gesund und macht kein Schmarrn; war gestern an dem Tempel (ist ja kulturell interessiert der Bua, und kein völliger Banause geworden). Dann vielleicht einem Kumpel: Der Tempel war ganz cool, und ich bin erstaunt, wie selbstverständlich für dieses Entwicklungsland Internet auf dem Smartphone. Hmm, das könnte ich auch meinem Vater schreiben. Natürlich ist man nicht doof, einige Absätze hätte ich wieder verwendet. Und wieder. Und wieder. Immer mal wieder ein paar persönliche Bezüge eingeflochten, wo es halt passt. Bis sich ein Kumpel wundert, warum ich von dem romantischen Strand schwärme, wo wir damals… oops, das war doch nicht für Dich bestimmt. Der Blog sollte praktisch sein, ich bin kein Schriftsteller. Ganz so sicher bin ich mir da heute nicht mehr; ich bezweifele zwar dass ich mein Geld als solcher verdienen könnte, aber schon öfters haben mich Leute, die mich sowieso bezahlen, gebeten mal dieses oder jenes zu formulieren und zu schreiben.

Wie auch immer, Euer Feedback hat viel geholfen. Danke den eifrigen Kommentatoren. Aber danke auch den stillen Lesern, die nach Monaten mal kurz was geschrieben haben und dabei offenbarten, dass sie schon seit Wochen täglich morgens in der Arbeit als erstes geguckt haben, ob ein neuer Beitrag veröffentlich wurde. Und dann gibt es natürlich noch einen etwas speziellen Leser: ICH. Ich habe nie ein Tagebuch geschrieben, kam mir immer doof vor. Auch der Blog sollte keines sein. Doch schon oft nach der Reise ist mir folgendes passiert: ich unterhalte mich mit jemandem in der Arbeit, sie will demnächst nach Myanmar. Man redet ein wenig darüber, verspricht ihr einen Link zu schicken, den speziell zu Mandalay. Abends hocke ich mich an an die Kiste, tippe: www.torfprogramm.de. Menüpunkt: „Archiv November 2013“, da war Mandalay. Als Artikel erscheint der „Der alte Segler am Inle See“. Nee, Mandalay war davor. Vorheriger Artikel: Bagan. Vorheriger Artikel: Fotos. Vorheriger Artikel: „http://torfprogramm.de/the-road-to-mandalay/“ – genau den Link verschicke ich. Und lese den Artikel zuende. Und den nächsten. Bis es wieder ein Uhr morgens ist. Auf die Art habe ich den Blog bestimmt schon fünfmal komplett gelesen. Dabei gegrinst, gelacht, an Leute gedacht von denen man nie wieder hören wird, und festgestellt, wie toll die Reise war. Keine effektive Art um Fernweh und Reisefieber zu bekämpfen, aber ganz ehrlich: Das will ich auch gar nicht.