Um Sydney

Trotz der traurigen Nachricht setze ich meine Reise fort. Ich umkreise Sydney mit seinen vielen Mautstraßen und besuche westlich der Stadt die Blue Mountains. Blue passt zu meiner Stimmung, aber kommt eigentlich von dem bläulichen Dunst, der meist über den Bergen hängt, angeblich ein Effekt von ätherischen Ölen, die die dort wachsenden Eukalyptusbäume abgeben. Nun ja. Der erste Stopp beeindruckt mich noch nicht besonders, ein Ausblick von ein paar Klippen über einen Fluss. Nach zwanzig Kilometern ungeteerter Straße sieht es schon besser aus – der Fluss wirkt in die Schlucht gedrängt, die Klippen höher, mit fiesen Überhängen. Ich folge der Rundfahrt weiter nach Westen, und merke erst einmal nichts mehr von Bergen. Warum das so ist, merke ich an dem nächsten Aussichtspunkt. Die Wendworths Falls stürzen von dem Hochplateau, auf dem ich die ganze Zeit fahre, in das Tal daneben. Auch wenn die absoluten Höhen nicht vergleichbar sind, erinnert mich das stark an den Grand Canyon, wenn auch durchgängig bewaldet. Ich streife noch ein paar andere Aussichtspunkte und finde dann in Katoomba eine Übernachtungsmöglichkeit, ein indisches Restaurant im Ort sorgt für einen vollen Magen.
Am nächsten Morgen nieselt es, und eine dichte Nebeldecke bedeckt alles. So sehe ich von den „Three Sisters“, dem wichtigsten Fotomotiv der Blue Mountains: nichts. Wie es sich aber für eine zünftige Attraktion gehört, wird hier schon beim Parken ordentlich zugelangt, Mindestbezahldauer eine Stunde. Als ich nach einer Viertelstunde wieder fahre, kann ich mit dem Ticket noch ein paar anderen Touristen eine Freude machen. Ich habe es etwas eilig, ich muss am Nachmittag rein zufällig im Hunter Valley sein. Ein weiteres Tal in dem Hochplateau ist nicht ganz so verhangen, hier erkennt man die grandiose Landschaft zumindest, auch wenn’s nix zum Fotografieren ist. Ich mache mir mal wieder Gedanken zu meinem Tourismuskonsumverhalten. Ich ertappe mich viel zu oft dabei, Sehenswürdigkeiten anzusteuern, Infotafeln zu lesen, sie zu fotografieren, vielen Dank, das war’s. Bei schlechtem Wetter oder Licht bin ich enttäuscht, weil die Fotos nicht so toll werden. Ist das der richtige Genuss? Ich hab doch genug Phantasie, um mir auszumalen, wie’s bei anderem Wetter aussehen würde. Ich kann mit sogar vorstellen, wie’s bei Nacht aussehen würde – schwarz. Meine Überlegungen kommen leider zu keinem Ergebnis. Ich habe auch versucht, das ganze länger auf mich wirken zu lassen, hilft auch nicht viel. Also fahre ich weiter.
Mein nächstes Ziel ist der Hunter Valley, nördlich von Sydney. Ein bekanntes Weingebiet, außerdem mitten in einem der wichtigsten Kohleabbaugebieten von Australien, wie mir am Abend Mark erklären wird. So stehen sich hier zwei Welten gegenüber: der mondäne Genuss von Wein und anderen kulinarischen Spezialitäten (mitsamt einiger affektierter Genießer aus der großen Stadt), und das working class Bergarbeiter Miljö. Eine Brücke zwischen den beiden Welten schlägt Bruce, der zufälligerweise heute im Hunter Valley spielt.
Gut, das mit dem Zufall nimmt mir keiner mehr ab. Ich habe in Melbourne Charlie und den anderen erzählt, dass ich auf kein weiteres Konzert mehr gehe, und da habe ich es auch selber noch geglaubt. Aber als die Besichtigung von Melbourne sich nicht so lange hinzog, und es auch sonst recht zügig voran ging, begann ich langsam zu überlegen. Eigentlich ist ja Doris schuld. Sie meinte, dass es dort eine total tolle Atmosphäre haben müsste, und außerdem…. Ich hadere ein wenig mit der Detailplanung: wo übernachten, wann versuchen eine Karte zu ergattern. Ich finde in der nächsten Ortschaft ein Motel, welches noch ein freies Zimmer hat. Hunderfünfzig Dollar statt der angeschlagenen neunzig – „Oh no Sir, it’s a concert night“, und fahre dann zum Hope-Weingut. Es gibt an der Abendkasse noch eine Front of Stage Karte, der Bereich ist lt. Plan nur 620 Quadratmeter groß – so persönlich war’s selten. Durch die bühnennahe Karte ist die Atmosphäre für mich allerdings ähnlich wie bei den anderen Konzerten. Anders wird’s weiter hinten, wo auf dem Grashügel lauter Leute mit Picknickdecken und Klappstühlen unterwegs sind. Wein wird flaschenweise verkauft, auch komplette Gourmet-Picknickkörbe wären erhältlich. Neben mir stehen Fans aus England. Sie haben die Tournee als Anlass für den Urlaub genommen, und sind schon auf dem fünften Konzert in Australien. Vor mir steht ein Mädel, ich hätte gewettet, dass sie Deutsche ist, die auf dem sechsten Konzert hier in Australien ist. Also ja, ich bin etwas verrückt, aber nicht alleine damit. Nebenbei – das Mädel vor mir kommt aus Canberra, aber die Großeltern waren deutsch, also genetisch hätte ich durchaus recht gehabt.
Das Konzert begeistert wieder, er spielt diesmal einige etwas seltenere Stücke, macht aber schon nach guten drei Stunden Schluss. Gnädigerweise spielt er nicht „Bobby Jean“, ein Lied über Abschied, bei dem ich sicherlich in Tränen ausgebrochen wäre. Nach dem Konzert braucht es noch fast eine Stunde, bis sich das Verkehrschaos gelichtet hat, und dann zurück ins Motel. Hier bietet mir mein Zimmernachbar Mark noch ein Bier an, und erklärt mir die Gegend. Ich muss zugeben, wegen seines Akzentes verstehe ich wirklich nur die Hälfte.
Am nächsten Morgen finde ich noch einen Aussichtsberg über das Tal (hier hätte ich komplett ungestört im Auto schlafen können, und mir die 150 AU$ für das mittelmäßige Motel sparen können), besuche dann aufs Geratewohl noch drei Weingüter für eine kleine Probe (gut, aber nichts begeisterndes, besonders bei den Preisen), und mache dann im Auto ein kleines Nickerchen unter einem schattigen Baum, bevor ich nach Sydney fahre. Falls Ihr Euch fragt: Springsteen spielt noch Konzerte in Brisbane und Neuseeland, aber die passen wirklich nicht mehr in mein Programm. WIRKLICH NICHT.

Der Schock

Kurz nach der Veröffentlichung des letzten Posts habe ich erfahren, dass eine gute Freundin von mir tot ist. Ich bin schockiert, mir fehlen die Worte. Ich überlege, ob ich zur Beerdigung fliegen sollte; entscheide mich aber dann dagegen – eine große Geste mit geringer Wirkung. Geistig Abschied nehmen muss ich sowieso in meinem eigenen Tempo, und mein Mitgefühl ausdrücken werde ich auch wann anders schaffen. Meine Gedanken sind jedenfalls bei der Verstorbenen, Freund und Familie. Ständig, in den nächsten Tagen. Immer wieder geht mir eine andere Erinnerung durch den Kopf, ich denke meist, dass es ein Irrtum ist, irgendwie habe ich mich verhört, sie kann nicht tot sein. Ich höre Musik, die ich mit ihr verbinde, einige Lieder treiben mir die Tränen in die Augen.

ACT

Zwei Städte streiten sich auf dem Spielplatz der Eitelkeiten um den Titel Hauptstadt. Da trifft die Nation eine Entscheidung, nimmt ihnen beiden das Spielzeug weg. Die neue Hauptstadt heißt Canberra. Gut, die Stadt muss erst gegründet werden, aber weder Sydney noch Melbourne hätten sich gegenseitig akzeptiert. Um die Stadt herum wird ein eigener Bundesstaat gegründet, das Australia Capital Territory (ACT). Notwendigkeit, Entscheidung, Gründung, Planung, Bau und Benennung als Hauptstadt fanden zwischen 1901 und 1927 statt, der Siegeszug des Automobils war absehbar bis vollzogen. Die Stadt ist großzügig und monumental, sollte die Geschichte Australiens reflektieren. Ich bediene mich mal beim Reiseführer für folgende Aussagen: ‚die Stadt ist total auf das Auto ausgerichtet, öffentlicher Nahverkehr bringt hier nix‘ (dafür gibt’s genügend Parkplätze), ‚obwohl hier wichtige Kulturdenkmäler stehen, fehlt der Stadt irgendwie Persönlichkeit‘, ‚hier verbrachte Zeit könnte man eigentlich besser woanders verbringen‘. Canberra liegt zwischen den Snowy Mountains und dem Großraum Sydney, meinem nächsten Ziel, also will ich eine Drive-Thru Besichtigung anstreben, vielleicht mit einem kleinen Museumsbesuch. Man erkennt der Stadt ihre Geplantheit an, dieses wertfrei. Es wirkt dadurch etwas steril, aber sehr durchdacht. Große Sichtachsen verbinden große Gebäude, sorgfältig ausgewählt und kommissionierte Denkmäler prägen das Bild. Ich will kurz das Australian War Memorial ansehen, es hat einen Stern im Führer und ist kostenlos – das will ich mir nicht entgehen lassen. Sogar das Parken ist für lau. Das Memorial ist ein beeindruckender Granitbau, soll an die Gefallen erinnern, aber auch ein wenig über ihrer Geschichte erzählen. Obwohl ich noch nicht ganz verstanden habe warum, behaupten sowohl Australier als Neuseeländer, dass ihre nationale Identität im ersten Weltkrieg am Strand von Gallipoli geschmiedet wurde, obwohl die ANZACs hier ordentlich einen auf die Nase bekommen haben. Ich suche in dem Denkmal erst einmal eine Toilette, und lande dabei neben der Flugzeugausstellung. An sowas kann ich als Ingenieur einfach nicht vorbeigehen, und die Ausstellung ist gut gemacht. Unter anderem hat Peter Jackson (Regisseur von Herr der Ringe) und sein digitales Trickstudio eine Videoausstellung zum Luftkrieg im ersten Weltkrieg gemacht. Einer der Piloten von damals war danach Chef der Queensland and Northern Territories Air Service, QUANTAS hat die Ausstellung gesponsort, so passt alles zusammen. Kurz vor fünf, nach zweieinhalb Stunden, kehrt mich das Wachpersonal wegen Betriebsende aus der Ausstellung, lädt mich freundlich ein, noch an der ‚Closing Ceremony‘ teilzunehmen. Trotz Vorbehalte schaue ich mir das an, und werde nachdenklich überrascht. Bei dem Ritual wird stellvertretend einer der tausenden Gefallenen Australiens geehrt. Heute ist 2nd Lieutienant Malcom McMay an der Reihe, der Gallipoli überlebt hat um später in den Gräben von Frankreich zu sterben. Ein Bild von ihm steht auf einer Staffelei, eine Museumsangestellte führt durch den Event. Nach der Nationalhymne (mitsingen erwünscht) legen Familienangehörige Blumengestecke am Brunnen nieder (ich vermute mit Wünschen für Soldaten die gerade im Ausland sind), dann liest ein Oberst der australischen Streitkräfte ohne Sonderausbildung für öffentliche Auftritte die Geschichte von Malcolm vor: als siebtes Kind von diesen Eltern geboren, Vater früh gestorben, beim Ausbruch des Krieges freiwillig gemeldet, Ägypten, Gallipoli, Ägypten, Frankreich. Keine besondere Tapferkeit, keine besonderen Medaillen, aber trotzdem tot. Ein kurzes Requiem auf dem Dudelsack wird gespielt,  der Oberst (eine Sie) salutiert, ein kurzer Zapfenstreich wird gespielt, Thank you very much, folks, have a safe trip and a great weekend. Ich fand es sehr … würdevoll. Ich finde, man kann über die Sinnhaftigkeit militärischer Mittel zum Erreichen politischer Ziele kontrovers und trefflich diskutieren; das ist notwendig, und ich mache auch gerne mit. Seine Meinung darüber allerdings als moralische Keule über dem armen Schwein auszulassen, das sich als Befehlsempfänger für ein Land in Lebensgefahr begibt, das fand ich nie fair. Am Australian War Memorial fand ich das gelungen, von so einem Umgang könnte sich Deutschland eine Scheibe abschneiden. Nachdenklich setze ich meine Reise fort.

A long way from home

„Well, you’re a fooken‘ long way from home“ entfährt es dem Australier neben mir an der Bar, als ich die Frage nach meiner Heimat beantworte. Er hat sich gerade ein weiteres Bier bestellt, ich mich nach einem Zimmer erkundigt. Es ist kurz vor neun Uhr abends, und zu einer gewissen Fahrmüdigkeit gesellte sich meine Sorge, australische Wildtiere aus zu großer Nähe kennenzulernen. Ein Schild hat das Bruthen Inn annonciert, es steht auf einem Hügel neben der Straße wie das Haus neben dem Bates Motel in Psycho. Innen eine Kneipe wie ich sie mir im Outback vorstelle. Ein Zimmer hat es noch, ein Doppelzimmer zu 80 Dollar. Ich zucke leicht, frage ob ein Bad im Zimmer ist. Nein, aber ich könnte es zum Preis des Einzelzimmers für 40 Dollar haben. Mei, zum Übernachten wird’s reichen. Tom unterhält sich etwas weiter mit mir, er war noch nie aus Australien raus, kaum aus dem Bundesstaat Victoria; freut sich deshalb mit Fremden zu sprechen. Er erzählt ein wenig von sich, es treffen Welten aufeinander. Er wollte eigentlich in die Army, „but wasn’t smart enough – on the paper“; das hat ihn enttäuscht, weil er mit einem Gewehr durchaus umgehen könne. Jetzt arbeitet er auf einer Farm mit Milchvieh, und träumt davon, auch mal genug zu sparen um etwas von der Welt zu sehen.

Gestern Morgen bin ich in St Kilda gestartet. Ich hatte mir vorgenommen, den Vorort noch ein wenig zu erkunden, aber ich reduziere eine längere Walking Tour auf eine kurze Fahrt entlang des Strandes. Nett hier, aber so aufregend nun auch nicht. Ich will ja in Richtung Sydney, und mein Navi informiert mich, dass das über meine geplante Route 1400 km sind. Wie sagte Konfuzius? „Auch die längste Reise beginnt mit einem kleinen Tritt auf’s Gaspedal.“ Erste Zwischenstation: Phillip Island. Ich hatte einige Zeit im Internet verbracht, um zu erfahren, wie oft die Fähre dahin fährt, und was es kostet, erfolglos. Erst die Tourist-Information in Melbourne konnte mir helfen: Die Insel ist vom Festland durch eine etwa hundert Meter breite Meeresenge getrennt und mit einer Brücke verbunden. Das hätte man ja im Reiseführer dazu schreiben können. Phillip Island ist für die Penguin Parade berühmt, zum Sonnenuntergang watscheln die Tiere eine von Touristen gesäumte Strecke vom Strand zu ihren Nestern. Auf dem Weg dorthin haben mir Nadine und Dennis noch eine Känguru-Aufzuchtstation empfohlen; mal eine Chance die Tiere aus der Nähe und lebendig zu sehen. Die empfohlene Station finde ich nicht, aber es gibt auch einen Wildlife Park auf der Insel. Dieser entpuppt sich als Mischung aus Privat- und Streichelzoo. Für’s Eintrittsgeld gibt es eine Tüte mit Futter dazu, welches den Kängurus, Wallbies und Wombats schmecken soll. Los geht’s. Sie haben auch ein paar Koalas hier, aber die habe ich in der Wildnis an der Touri-Straße ja schon gesehen. Wallabies sind für mich einfach zu heiß gebadete Kängurus, aber auch drollig. Außerdem watscheln noch ein paar Pelikane, Cockatoos, schwarze Schwäne und Enten umher. In einer anderen Umzäunung sitzt ein Tasmanischer Teufel, hier eine Art Stachelschwein. Aber die Attraktion ist das Freigehege mit den Kängurus und Emus. Emus hätte ich einfach als Strauss bezeichnet, die Viecher sind locker auf Augenhöhe mit mir, und auch Ihnen schmeckt das Kängurufutter. Obendrein sind sie wesentlich aktiver hinter den raschelnden Papiertüten her als die Kängurus. Ich kann mich derer noch erwehren, mit einem lauten „Schleich Di“ und bedrohender Gestik kann ich sie jeweils für ungefähr zwanzig Sekunden auf fünf Meter Abstand bringen. Schwerer tun sich die kleinen Kinder, die hüpfende Freunde streicheln wollen, und halb so groß sind wie die Emus. Deren Eltern sind schwer beschäftigt, ihre Kinder zu verteidigen und zu trösten. Ich krame mir ein wenig Futter in die Hand, verscheuche einen Emu und hocke mich vor ein Känguru. Es hupft mit mäßigem Interesse heran und frisst mir die Krümel aus der Hand. Witzig aus der Nähe, schmales Gesicht, große Ohren, magersüchtig wirkende Vorderbeine, kräftige Hinterbeine und massiver Schwanz (Gut, die letzten beiden überraschen nicht). Ich füttere weiter, werde etwas kreativer. Wenn man die Hand mit dem Futter etwas höher hält, ziehen sich die Beuteltiere mit bekrallten Vorderläufen die Hand herunter, man kann ihnen dann auch die Hand schütteln, mit nur geringer Gegenwehr. Die Viecher lassen sich streicheln, das Fell ist superweich. Laut Schild müssten das Red Kangaroos sein, die größten Ihrer Art. Dafür sind sie recht hellgrau, und kleiner als die nebenan. Ich vermute einen Beschriftungsfehler.

Als ich meine Tüte Futter unter die Kängurus gebracht habe, ist es halb fünf. Soll ich dreieinhalb Stunden auf die Pinguinparade warten, oder Euch ein paar Fotos von Pinguinen aus Argentinien unterjubeln? Ich beschließe noch zum nächsten Park zu fahren: Wilson’s Promotory, die südlichste Spitze Australiens (ohne Tasmanien). Um sieben komme ich am Eingang des Parks an, um die Zeit ist das Häuschen nicht besetzt. Bis Tidal River, Downtown Nationalpark, sind es noch dreißig Kilometer, für Übernachtungsmöglichkeiten werden Reservierungen empfohlen bis gefordert, und man soll den Park bis zum Sonnenuntergang (in einer Stunde) verlassen, wenn man nicht übernachtet. Eine genaue Information, wie nach den Öffnungszeiten mit einem normalen Zeltplatz verfahren wird finde ich nicht. Probieren geht über studieren. Die Warnungen vor freilaufenden Tieren bewahrweiten sich nach fünf Kilometern, ein echtes Wild-Känguru steht auf Straße und guckt mich an. Es wendet sich nach einigem Überlegen von mir ab und hupft entlang der Straße vor mir her. Ich will es nicht überholen, sonst springt es mir noch im letzten Moment noch vor’s Auto. Das Tier hält an, schaut sich nach mir um. Als ich langsam weiterfahren will, springt es weiter. Ich beschwöre es, doch endlich IN den Busch zu springen, aber wir spielen das Spiel noch für weitere dreihundert Meter. Um halb acht komme ich in Tidal River an. Ich fahre kreuz und quer über den Zeltplatz und stelle mein Auto dann einfach irgendwo ab. Jetzt werden Schlafsack und Luftmatratze eingeweiht, aber erst will ich mich nach der Etikette für late arrivals erkundigen. Ich kenne Systeme, wo man die Gebühr in einem Umschlag einwerfen muss, vielleicht läuft das hier auch so? Aber es gibt ja genügend andere Camper, die werden das schon wissen – da laufen zwei. „You guys from around here?“ Sind sie nicht, aber vielleicht können sie dennoch helfen. Können sie: man meldet sich einfach am nächsten Morgen, und überhaupt, woher würde ich denn kommen? Drei Deutsche unter sich. Wir unterhalten uns ein wenig, setzen ihren Weg zum Strand gemeinsam fort. Bis wir zurück sind, kenne ich Angelika und Heiko und habe eine Einladung auf ein Steak, was gleich auf den Grill kommen wird (kostenlose Gasgrills am Zeltplatz). Ich kann einen Karton Wein, etwas Hommus und ein paar Cracker beisteuern. Es wird ein sehr witziger Abend, wir reden über Gott und die Welt. Die beiden sind Fachärzte für Anästhesiologie, und haben das Prinzip Work-Life-Balance beneidenswert umgesetzt. Angelika hat eine 80% Stelle, die 20% als Urlaub am Stück, und Heiko ist selbstständig. Teilweise arbeiten sie auch als Schiffsärzte auf kleineren Kreuzfahrern, wo man zwar kaum Geld verdient, aber eine vernünftige Kabine bekommt, Begleitperson inklusive. Habe ich das Falsche studiert? In regelmäßigen Abstände kommen wilde Tiere vorbei: Ein Reh, ein Fuchs, Opossums und Wombats huschen durch den Lichtkegel von Angelikas Taschenlampe. Wombats sind übrigens so etwas wie am Boden lebende schwarze Koalas, aber mit erheblich geringerem Niedlichkeitsfaktor. Um halb eins heben wir die lustige Runde auf, und für mich wird’s ernst mit im Auto schlafen (Angelika und Heiko haben einen Camper Van). Ich freue mich, dass ich die Luftmatratze schon vorher aufgeblasen habe, und schlafe wie ein Stein.

Am nächsten Morgen zahle ich den Zeltplatz (AU$ 32,80 = 21€), und bekomme einen Kaffee am Camper der beiden. Ich habe beschlossen, einige der Kurzwanderungen in dem Nationalpark auszuprobieren, Aussichtsberg und danach einen Rundgang an einer Schlucht. Angelika und Heiko haben kompatible Pläne, auch aus Sicherheitsaspekten ist es ja sinnvoller nicht alleine Wandern zu gehen. Dichte Wolken machen den Aussichtsberg sinnlos, und so gehen wir den Lilly Pilly Gully Trail. Gut, Sicherheitsbedenken wegen Backcountry-Wanderungen alleine waren überflüssig, der Weg ist meist eineinhalb Meter breit, und könnte mit Kinderwagen bestritten werden. Auch die Zeitangabe ist mit 2-3 Stunden sehr pessimistisch. Am weitesten vom Parkplatz entfernt informiert uns ein Schild, dass dieses die südlichste Ausdehnung des Regenwaldes in Australien wäre; Wald ist es offensichtlich, und passend dazu kommt auch der Regen – aber nicht schlimm. Wir überlegen das weitere Vorgehen bei einem Cappuccino am Visitor Center, und beschließen noch kurz den Wildlife Trail zu machen, und dann weiterzufahren, Angelika und Heiko in Richtung Phillip Island, ich weiter nach Osten. Der Wildlife Trail ist zwar nicht besonders gut ausgeschildert, aber schon hundert Meter hinter dem Parkplatz sehen wir die ersten Kängurus. Sie liegen faul im Schatten, lassen uns auf drei Meter herankommen und erheben sich dann genervt um ein paar Meter weiter zu hupfen. Sie sind zwar wild, aber die meisten haben zwei Ohrmarken und ein Erkennungshalsband. Im Verlauf der nächsten knappen Stunde sehen wir ungefähr fünfzig der Beuteltiere, aber nicht das von Heiko geforderte Emu. Oh well, Aufbruch; schade dass sich unsere Wege trennen.

Meine nächste Station ist der Croajingolong Nationalpark, ca 450 km weiter im Osten, an der Grenze zu New South Wales, ein paar der Kilometer will ich heute schaffen. Auf einem Hügel neben der Straße weizenfarbenes, trockenes Gras, es strahlt hell in der Sonne, während sich dahinter dunkle Gewitterwolken auftürmen. Auf manchen der Wiesen stehen ein paar Kühe, dort steht ein Windrad. Ein bisschen wirkt es wie Sweetwater Farm aus ‚Spiel mir das Lied vom Tod‘. Jedenfalls geht mir die Musik nicht aus dem Kopf. An der Südostküste von Victoria liegt der Ninety Mile Beach, ich fahre einen kleinen Umweg, um ihn wenigsten kurz zu sehen. Die Gewitterwolken sind mittlerweile über mir, es regnet, blitzt und donnert. Ich trotze den Elementen für ein kurzes Foto. Als ich auf der Düne stehe, fällt mir auf dass das vielleicht nicht die beste Idee ist, in einem Gewitter. Ein klarer Verstoß gegen Heikos Lebensmotto: „Nicht aus Dusseligkeit sterben“, und so verzupfe ich mich wieder in meinen Faradayschen Käfig und fahre weiter, dem Bruthen Inn entgegen. Auch hier direkt an der Küstenstraße stehen Kängurus. Sie sind vom Auto vorerst unbeeindruckt, und hupfen erst weg, als man sich bis auf zehn Meter nähert.

Der Bruthen Inn hätte keine Erwähnung in ‚Schöner Wohnen gefunden‘, besonders nicht das Bad. Immerhin kommt warmes Wasser aus der Dusche, und das Zimmer war auch sauber. Ich mache mich vom Acker, und fahre weiter nach Osten. Die Straße führt hier durch kühleren Regenwald, riesige Bäume stehen Spalier. Öfters sehe ich Schilder, die in die Snowy Mountains weisen. Ich konsultiere erst meinen Reiseführer, und danach einer Tourist Information. Dort lasse ich mir meinen langsam gärenden Verdacht bestätigen: Der Croajingolong Nationalpark wäre zwar sehr hübsch, aber doch zumeist einfach Strand, am besten mit dem Boot zu erkunden. Und nein, wenn ich eben Wilson Promotory gesehen hätte, würde er mir nicht viel Neues bieten. Ich beschließe statt dessen in die Snowy Mountains zu fahren, im Winter tatsächlich auch Schigebiet. Dort findet sich Mt. Kosciuszko, Australiens höchster Berg. Er wäre nicht schwer zu besteigen, aber von der Zeit passt es mir gar nicht in den Kram, jetzt am Nachmittag noch aufbrechen wäre doof, aber auf morgen will ich hier auch nicht warten. Also fahre ich ein wenig durch den gleichnamigen Nationalpark, in Richtung Canberra. Ein Buschfeuer hat vor ungefähr zehn Jahren in dem Park gewütet, dabei den überirdischen Wuchs vieler Bäume verbrannt, ohne den ganzen Baum wegzubrennen. Heute hat Zeit, Wind, Regen und Schnee alle schwarzen Reste beseitigt, es bleibt ausgebleichtes, graues Totholz, welches noch doppelt so hoch ist, wie die es umgebenden frische Triebe. Die Geisterbäume sehen aus einigen Winkeln entsprechend gespenstisch aus, aus anderen zeugen sie von der Regenerationsfähigkeit der Natur. Auf der Strecke einige Kängurus und/oder Wallabies, und nach einer Kehre sitzt plötzlich ein Wombat am Straßenrand. Ich schnappe mir den Foto und gehe zu ihm hin. Offensichtlich ist dessen persönliche Sicherheitszone fünfzehn Meter; kommt man näher grunzt er unzufrieden und läuft fünf Meter weiter, leider immer auf der Straße. Nach einiger Zeit wünsche ich ihm viel Glück mit nachfolgenden Autos und fahre selber weiter. Ich habe beschlossen, auf den landschaftlich attraktiven Zeltplätzen im Nationalpark wieder im Auto zu übernachten. Langsam wird es dunkel, und der nächste Zeltplatz ist noch zwei Dutzend Kilometer weg. Da sehe ich an einem Parkplatz einen Geländewagen mit Zelt und entsprechendem Personal. Die Australier meinen, wenn ich hier im Auto penne, wird mich niemand dabei stören. Na dann. Ein schnelles Abendbrot aus Fladenbrot und Guacamole; dann ist es dunkel und wird zügig zapfig. Es ist eine sternklare Nacht, gigantisch! Auch an der Südhalbkugel geht die Milchstraße vorbei. Ich verkrieche mich mal lieber in den Schlafsack, da kann ich noch etwas lesen.

Es wird eine kalte, ungemütliche Nacht; dafür ist der Schlafsack nicht gebaut. Ich nehme noch Socken und den Hüttenschlafsack zur Hilfe, dann ist’s nur noch ungemütlich. Mit der ersten Sonnenstrahlen mache ich mich wieder auf den Weg. Das ich in Australien morgens die Windschutzscheibe freikratzen muss hätte ich nicht gedacht, aber das Auto meint, es hätte halt nur 2°C. Dafür werde ich mit einigen gigantischen Bildern belohnt – die Restwärme eines Stausees lässt ihn in der morgendlichen Kälte Nebelschwaden bilden, die werden von der aufgehenden Sonne dramatisch hinterleuchtet, und ein paar kahle Baumgerippe gliedern das Bild. Nach zehn Minuten weiterer Fahrt fällt mir ein, dass ich beim Versuch, gestern die Sterne zu fotografieren, die Belichtungseinstellungen des Fotoapparates total verfrickelt hatte, also nochmal zurück. Wie schön, das Motiv ist noch da, sogar fast besser als zuvor!

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Foto: zuvor. Die neueren sind noch in der Kamera gefangen.

Stadttour mit Hindernissen in Melbourne

Eine Dusche. Meine Dusche. Ein Traum. Die letzte Woche habe ich jeweils Unterkünfte mit einfachen Zimmern genommen, Toilette und Dusche jeweils am Gang. Meist ganz ok, aber die letzte Nacht über dem Irish Pub in Geelong waren sie eher räudig, es gab außerdem kein Handtuch im Zimmer, und so fahre ich schmutzig los und beschließe, in Melbourne etwas mehr für meine Unterkunft auszugeben. Das gelingt mir. Im Tolarno Hotel in St Kilda, einem Vorort von Melbourne, werde ich fündig. Ich dusche erst einmal lange und ausgiebig und erfreue mich auch so an der positiven Veränderung zur Nacht davor.

Rein zufälligerweise spielt heute Springsteen in Melbourne, im AAMI Park. Ich beschließe, mal vorbeizuschauen, vielleicht ergibt sich ja was. Jedenfalls setze ich mir ein Budget, ich will ja nicht übertreiben. Der AAMI Park liegt an der Olympic Avenue. Es dauert ein wenig, bis ich kapiere, dass in Melbourne in 1956 auch eine Olympiade war, und das hier kein ausgelagertes Areal derer in Sydney im Jahr 2000 ist. Das Stadion selber ist relativ neu, liegt schön gelegen am Yarra Fluss. Es gibt noch Karten an der Abendkasse, sogar für die Arena, hinterer Teil, für 120 AU$. Der Verkäufer beruhigt mich, noch genug, und so probiere ich, ob ich vielleicht auch eine Karte für den Front of Stage Bereich bekomme. Niemand steht mit ‚Selling Tickets‘ Schilder umeinander, und so spreche ich einige Leute an. Ein Paar fragt fast misstrauisch: „And who are you?“, worauf ich mit „Chris, from Germany“ vorstelle. David und BJ aus Kanada lassen sich meine Situation schildern und geben dann zu, dass sie sogar zwei Karten übrig haben, und ja, sie wären bereit sich von einer zu trennen. Es beginnen die schwierigen Preisverhandlungen. David meint, wenn es noch Karten für 120 Dollar gibt, dann will er hundert, und ich möge zwanzig für die Armenküche spenden, deren Vertreter hier überall sammeln. ‚Ist David noch ganz frisch?‘, denke ich mir (die Front of Stage Karte kostet original 230), aber OK. Ich gebe David seine hundert und spende einer verdutzten Dame mit lauter Münzen in der Sammelbox fünfzig Dollar. Ich hatte heute Glück, erkläre ich ihr, das will ich teilen. Beim genauen Hingucken ist meine Karte offensichtlich eine Freikarte gewesen, aber das ändert nichts, ich komme einwandfrei ins Stadion. Da ich später dran bin, stehen schon einige umher, dann halt nicht so nah an der Bühne. Ich schaue mich etwas um, und entdecke jemanden drei Meter vor der Bühne, der unter einem Pappschild mit seinem Liederwunsch Schatten sucht. ‚Campion‘ steht als Logo auf der Rückseite. Hm, so ein Pappkarton hatte Charlie in Adelaide doch auch, und tatsächlich – ich drängle mich zu Charlie und Steven vor, werde seiner Familie vorgestellt, und habe wieder ein Platz recht nah an der Bühne. In Melbourne spielen vor Bruce noch zwei Bands, so auch Hunters & Collectors, die in Australien wohl recht bekannt sind, und auch mir gut gefallen. Neben mir steht Ian aus Tasmanien, sein Schild fordert „Bring the E-Street-Band to Tazzie“, auf einer Karte der entsprechenden Insel. Ich lasse mir ein paar Tipps geben, was man dort ansehen kann, und bekomme sie auf den Umrissen erklärt. Um kurz vor acht geht’s los. Da niemand meine letzte Konzertbeschreibung gelobt hat, nur kurz: Bruce eröffnet das Konzert mit der bombastischen Version von ‚Born in the USA‘, wirkt zwar am Anfang etwas komisch, erschöpft oder zerstreut, setzt sich an den Bühnenrand, erzählt ein paar Geschichten (wie auf der Live ’75-85 – das hatte ich noch nie), rappelt sich dann aber, spielt die gesamte ‚Born to Run‘, und hört erst nach 3 Stunden und 45 Minuten auf. Ich bin wieder begeistert – wo sind die nächsten Konzerte?

Am nächsten Tag – nach einer ausgiebigen Dusche – knöpfe ich mir Melbourne vor. Es scheint sinnvoll zu sein, öffentlich in die Stadt zu fahren, besonders da vor meinem Hotel die Trambahn vorbeifährt. Ich mache einen Plan, damit ich nicht den Reiseführer mitschleppen muss, wähle vorsichtig die notwendige Ausrüstung aus, um Ballast zu vermeiden, und mache mich auf die Socken. Als erstes versuche ich ein Ticket zu kaufen. Der Preis der Tageskarte überrascht mich nicht mehr, aber zu deren Nutzung muss man erst eine spezielle Melbourne Karte zum berührungslosen Bezahlen kaufen – die man nicht zurückgeben kann. Der Verkäufer meint, in meiner Situation wäre es billiger, mit dem Taxi zu fahren, oder doch die eher teuren Parkgebühren in der Stadt in Kauf zu nehmen. Also zurück zum Auto. Dabei reift in mir die Erkenntnis, dass dieses ungeahnte Möglichkeiten eröffnet. Im Reiseführer hatte ich einen Einschub über den Stadtteil Footscray gesehen, über dessen vorwiegend vietnamesischen Einwanderer und die leckeren Läden für Pho. Na dann, gehe ich halt mal in Australien eine vietnamesiche Nudelsuppe essen, die hat mir langsam wirklich gefehlt. Im Hung Vuong Restaurant bekomme ich auch tatsächlich eine sehr gute Pho Bo und einen original vietnamesischen Tischnachbar. Er isst seine Suppe mit fettem Suppenfleisch und erklärt mir wahrscheinlich die Vorzüge davon. Tatsächlich verstehe ich fast nichts von dem, was er mir erzählt, aber er freut sich dennoch über mein aufmerksames Zuhören; ich mache mir derweil Gedanken über das Wesen der Kommunikation, und was genau daran befriedigend ist.

Nach erfolgter Stärkung mache ich mich auf den Weg zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten in downtown Melbourne. Das erste Parkhaus ruft 18 AU$ pro Stunde auf, erschreckt lege ich den Rückwärtsgang in der Einfahrt ein. Ich fahre noch 800 Meter weiter, und finde eine Parkbucht mit Ticketautomat. Natürlich habe ich nicht genug Kleingeld, ein Laden in der Nähe wechselt auch nach freundlicher Ansprache nicht, also gebe ich 20 Dollar für einen Orangensaft für 3,50 und verlange das Wechselgeld in Münzen; immerhin habe ich jetzt ein Depot im Auto. Dann auf Schusters Rappen die Besichtigung des CBD (Central Business District, hat länger gebraucht bis ich das erfahren habe). Im Führer haben hier zwei Sachen einen Stern: Federation Square und Hosier Lane. Federation Square wurde über den Bahngleisen des Hauptbahnhofs erbaut, ansprechende moderne Architektur, offene Flächen mit Bänken, Cafés, und Melbourniten. Es gäbe auch zwei Museen, aber die haben keinen Stern. Also weiter auf der CBD-Walking Tour. Hosier Lane und deren ‚exciting street art‘ entpuppt sich als eine mit Graffiti bedeckte Gasse zwischen ein paar alten Häusern. Nun gut, ein späteres Nachlesen ergibt, dass nichts anderes behauptet wurde. Weiter geht’s. Zwei kleine, beschauliche Kirchen, und dann eine Kreuzung mit einem erheiternden Spektakel. An allen vier Ecken stehen mindestens drei Polizisten, weitere stehen auf der Kreuzung und fuchteln mit den Armen, weisen verunsicherte Autofahrer in die richtigen Bahnen. Das Aufgebot passt zu einer konkreten Bedrohung durch Terroristen, aber alles ist ganz entspannt. Ich frage einen der Polizisten, ob das hier ein ‚Accident Black Spot‘ sei, und er antwortet lachend: ‚Ja, jedenfalls solange wir hier sind‘. Auf weiteres Nachfragen erklärt er, dass die meisten hier Polizeianwärter sind, die lernen, Verkehr zu regeln. Auf meinen Einwand, ob es nicht mit ausgeschalteter Ampel weniger verwirrend wäre, meint er, dass am ersten Tag die Ampeln an bleiben, damit die Anwärter ein Gefühl für das Timing bekommen, es soll also ampelsynchron verlaufen. Meine weitere Tour führt mich am Parlament vom Bundesstaat Victoria vorbei, durch Chinatown (die besser Chinastreet heißen würde), und dann durch die Sehenswürdigkeiten Bourke Street Mall, Royal Arcade und Block Arcade. Dabei muss ich mir vergegenwärtigen, dass der Reiseführer nicht nur für Europäer geschrieben ist. Mei, das ist halt eine Fußgängerzone mit modernen Läden, und zwei überdachte Einkaufstrassen wie sie fast jede europäische Stadt hat. Ich beschließe, dass ich damit Melbourne abhaken kann: eine an sich schöne Stadt, ich könnte mir durchaus vorstellen, hier zu wohnen und mich wohl zu fühlen (keine Sorge, mehr noch kann ich mir das in München vorstellen), aber kein Tourismus Feuerwerk. Vielleicht wäre hier auch Begleitung wichtiger gewesen, aber alleine habe ich wirklich keine Lust, mich in die ‚Schlangen vor den angesagtesten Restaurants der Stadt‘ zu stellen, um dann das neueste in ‚Modern Oz‘ Küche zu probieren. Ich beende die walking Tour mit einem Bier auf Ponyfish Island (der Kulturstrand an der Corneliusbrücke lässt grüßen), und sammle dann mein Auto ein. Auf dem Heimweg um 18:30 eine australische Alkoholkontrolle. Jeweils vier Autos werden an die Seite gewunken, kein Geplänkel wo man war, ob man was getrunken hat, ob man einen Führerschein hat; jedem wird bei laufendem Motor und runtergelassenen Scheibe der Alkoholtester hingehalten, einmal kurz pusten bitte, „That’s excellent sir, hope you have a great day“, und weiter geht’s. Das Bier auf Bier auf Ponyfish Island hatte also tatsächlich so wenig Alkohol wie Geschmack, ich hab’s geahnt.

The Great Ocean Road

In Vietnam habe ich Lewis kennengelernt, Lewis aus Adelaide. Adelaide, sagte er, ist ideal zum Anfangen, weil’s dort guten Wein gibt und sich die berühmte Great Ocean Road zwischen dort und Melbourne befindet. Adelaide, aus meiner Sicht, war auch toll weil dort Springsteen spielt. Nach dem entsprechend absolvierten Konzert ging es zurück in mein Hotel – sehr preiswert weil ohne Air Conditioning. Das Metropolitan Hotel ist ein ungefähr hundert Jahre alter Ziegelbau, nach alter Väters Sitte sehr solide gebaut – die Steine halten die Wärme des Tages. So komme ich nach der Show um halb eins zurück, und mein Zimmer hat ungefähr 35°. Auch der Ventilator wird daran nichts ändern. Tatsächlich schaffe ich in der Nacht vielleicht eine Stunde Schlaf. In meiner Verzweiflung versuche ich es sogar damit, mein Laken als Decke nass einzuweichen – kälter zwar, aber nicht unbedingt besser. Kurz vor acht verlasse ich das Hotel (weil der Parkplatz nach der Zeit kostenpflichtig wird) und mache mich auf den Weg nach Osten, Richtung Great Ocean Road.

Erste Station ist Hahndorf, nach Eigenwerbung eine der deutschesten Siedlungen in Australien. German Butcher, German Bakery, alles da. Ich probiere es aus. Ich erwerbe ein ‚original deutsche Mettwurst‘ von einem australischem Studenten der kein Deutsch kann. Offensichtlich habe ich in den vergangenen Monate viel von Deutschland vergessen, kann mich nicht erinnern dass Mettwurst so eine Konsistenz hat. Deutsche Semmeln, erklärt mir der deutsche Bäcker, verkaufen sich nicht so gut, aber wie wäre es mir einer Breze für 4 AU$?

So gestärkt mache ich mich weiter nach Süden, ans Meer. Das Display vom Navi zeigt an, dass es auch recht nah sein dürfte, aber zu sehen ist es nicht. Bislang ist die Road weder Great noch Ocean. Langsam erkenne ich: Die Great Ocean Road ist auf der gleichen Art zwischen Adelaide und Melbourne wie die Leopoldstraße zwischen dem Marienplatz und der Münchner Freiheit ist. Immerhin sehe ich hier mein erstes freilaufendes, äh freispringendes, Känguru. Es springt dreißig Meter vor dem Auto vor mir über die Straße. Im weiteren Verlauf der Fahrt muss ich feststellen, dass sich nicht alle Kängurus an die dreißig-Meter-Regel gehalten haben. Die Viecher sind eine ernsthafte Gefahr für sich selbst und für den Selbstbehalt meiner Vollkasko-Versicherung. Ich suche noch einmal einen K-Mart auf, eine Kühlbox erscheint mir eine sinnvolle Investition, vielleicht auch vor dem Eindruck der letzten Nacht, wo ich viel Geld für ein kühles Wasser gezahlt hätte, und tatsächlich Wachträume von einem schönen, eiskalten Orangensaft hatte. Nach ca. 500km erreiche ich Mount Gambier, hier gibt’s immerhin einen sehr schönen, wunderbar blauen See in einem Krater. Langsam wird’s dunkel, ich sollte mir was für die Nacht suchen.

Victoria Hotel

Meine erste Station zum Übernachten ist Port MacDonnell. Ich kurve ein wenig durch den Ort und probiere es im Victoria Hotel. Victoria, das ist wohl fremdländisch für Sieg? Oder wonach ist das Hotel benannt? Der englischen Königin? Klischeemäßig würde man ja schreiben, dass das Hotel bessere Tage gesehen hat, aber ganz sicher bin ich mir nicht, vielleicht hat es die besseren Tage auch einfach übersprungen. Aber viel Auswahl hat der Ort auch nicht zu bieten. Das Hotel hat ein Restaurant, eine Bar, den Hotelbetrieb und einen Drive-In Alkoholladen. Immerhin kostet das Zimmer nur 44 AU$, das Schnitzelspecial nur 13 AU$. You get what you paid for, Fenster in Hotelzimmern sind überbewertet. Als ich mein Schnitzel vertilge wird an der Tafel hinter mit Happy Birthday angestimmt. Es durchfährt mich, dass das wohl die traurigste Art wäre, die ich mir vorstellen kann, einen Geburtstag zu verleben. Stühle aus Metallrohr, Plastiktischdecken und ein An-der-Theke-Bestellen-und-Abholen Service. Andererseits – es sind 20 Leute versammelt, man scheint Spaß zu haben, das ist wohl besser als einsam mit Damasttischdecken zu dinieren. Die Wüstenhitze von Adelaide ist hier vorbei, es weht auch ein kräftiger Wind, so schreibe ich den Blog im Auto sitzend, aber mit Blick auf’s Meer.

Am nächsten Morgen mache ich mich weiter auf den Weg, noch 200km bis die Great Ocean Road Tourist Route beginnt. Zwischenzeitlich hat mir ein McDonalds Free WiFi gedient, die letzten Beiträge zu veröffentlichen. Mit Beginn der Tourist Route häufen sich Schilder „Drive on Left in Australia“ (und ich hatte mich schon gewundert, warum ich so oft angehupt wurde), und die Scenic Viewpoints. Man erkennt von Viewpoint zu Viewpoint einige der Touristen immer wieder. Irgendwann spricht mich einer auf mein Armband (Arena beim Springsteen Konzert) an. Er stellt sich als (einer) der Fotograf(en) von Backstreets vor, eine Zeitschrift und Website für die richtig verrückten vor. Er gibt zu, dass er es als Hobby macht, für den Eintritt nichts zahlen muss, ab und zu etwas Geld damit verdient, aber die Reisekosten selber bestreitet. Er hat 80 der letzten 122 Konzerten gesehen, und hat möglicherweise noch eine Arenakarte für Melbourne übrig (hat dann nicht geklappt). Ich beschließe den Sightseeing Tag an den zwölf Aposteln, eine Ansammlung von Felsen vor der Küste, eine der berühmtesten Attraktionen. Richtig toll ist das Wetter nicht, morgen früh müsste auch das Licht viel besser sein. Ich fahre kurz zurück nach Port Campell und klappere die verschiedenen Motels ab – unter AU$ 125 wird das hier wohl nicht laufen. Da flüstert mir die Rezeptionistin von einem Hotel noch den Tipp zu: Etwas weiter die Straße hoch gibt’s ein sehr nettes und sauberes Guesthouse. Ich werde dort von Mark begrüßt, sehr schönes Zimmer, siebzig Dollar, das nehme ich. Er lädt mich ein, noch auf einen Drink in den Garten zu kommen, wo er mit einem Kumpel ein Feierabendbier trinkt. Cool – ich hab auf Verdacht ein paar Biere gekauft, da kann ich mich gleich revanchieren. Offensichtlich macht das nicht jeder, ich habe ein Stein im Brett. Es wird richtig gemütlich, am Ende habe ich eine Einladung zum BBQ für den nächsten Abend und ziehe noch mit Lachlan, dem Kumpel, in die Stadt um was zu Essen. Er ist Zimmerer, Spitzname Lucky (oder wie auch immer man das als Verkürzung von Lachlan schreibt), und verkörpert australisches Lebensgefühl. So hatte ich mir das vorgestellt.

Wegen der Essenseinladung am nächsten Abend stelle ich meinen Plan etwas um, und mache einen Abstecher in die Grampians. Sieht auf der Karte nicht weit aus, am Ende saß ich sechs Stunden hinter dem Steuer, auf Straßen die im Navi nur existieren, wenn man entsprechend reinzoomt. Die Grampians sind ein kleineres Gebirge, beeindruckende Landschaft, und auch hier hat’s Kängurus. Eines springt bis auf zwei Meter an meinen Kotflügel heran und beschließt dann doch, dass es die Straßenseite nicht wechseln will. So nah bin ich einem wilden Känguru noch nicht gekommen, war leider nicht schnell genug mit dem Foto. Am Abend dann ein entspanntes Barbie mit Mark und zwei seiner Freunde.

Am Samstag geht’s dann weiter auf der Great Ocean Road, die auch hier über weite Strecken nicht am Meer verläuft. Ich sehe ein Schild zum Cape Otway Lighthouse, und hadere mit mir. Zwanzig Dollar wollen die für einen einfachen Leuchtturm, und sonst sieht man nichts. Der Reiseführer verspricht, dass man auf der Strecke Koalas sehen wird, aber was ist das Versprechen schon wert? Ich probiere es dennoch. Ich fahre langsam, halte in vielen Buchten an und schaue mich um, die Viecher könnten ja auch in den Bäumen sitzen, oder? Nach fünf Kilometer sehe ich einige Autos am Straßenrand halten, Touristen mit Kameras stehen herum – meine Chance eine der flinken, scheuen Wildtiere zu sehen. Ich fahre fast in den Graben, schnapp mir die Kamera, und hechte dorthin, wo auch die Anderen stehen. In einem Eukalyptusbaum direkt neben dem Straßenrand sitzt ein aschgrauer Beutelbär in ungefähr sechs Meter Höhe und macht – nichts. Er ist völlig unbeeindruckt von der Menschenmasse die sich langsam unter ihm bildet. Manchmal kratzt er sich, manchmal dreht er den Kopf. Vielleicht stimmen die Legenden, dass in den Eukalyptusblättern psychoaktive Substanzen enthalten sind, und die Bären also ständig stoned sind. Ich habe alle Zeit der Welt, um ihn gegen die Sonne, in der Sonne und im Profil zu fotografieren. Ich schaue mich ein wenig um, mit anderen Fotografen entdecken wir weitere zwei Koalas, aber viel weiter oben, und im Gegenlicht. Ich vermute, dass der an der Straße von dem australischen Tourismusverband angestellt ist. Irgendwann wechselt der Koala den Ast, später sogar den Baum, und nach 20 Minuten fahre ich auch weiter. Im Laufe der weiteren Fahrt und Rückfahrt sehe ich weitere elf Koalabären, die alle ziemlich entspannt sind, die meisten schlafen, wie es die aschgrauen Beutelbären zwanzig Stunden am Tag machen – sehr sympathisch. Die Fahrt zum Leuchtturm hat sich also gelohnt.

Danach weiter bis kurz vor Melbourne, an beeindruckenden Surferstränden vorbei. Bell’s Beach, Lorne, Apollo Bay und Torquay. Die Surfer geben sich auch alle Mühe, möglichst stereotypisch auszusehen, die Orte hier haben ein ganz eigenes Flair. Die Straße wird auch beeindruckender – direkt in die Klippen geschlagen und kurvig. Den Tag beende ich in Geelong, wo der Irish Pub mal wieder ein WLAN zur Verfügung stellt.

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