Der erste Törn

Treffpunkt 5:47 am Ostbahnhof, Ausgang Friedenstraße. Am Freitag, den 24. August, mitten in der Nacht trifft, sich die erste Crew der Seestern. Das Auto – immerhin ein VW Touran – ist rappelvoll, und eigentlich wollten wir noch vernünftiges Bier bunkern. Wir fahren das erste Mal zu UNSEREM Schiff. Die Planung war ein wenig chaotisch; Flüge wurden in der Hochsaison immer teurer, ursprünglich hatte Udo angeboten, dass wir mit seinem neuen Wohnmobil fahren konnten, die Idee setzte sich fest (Man könne ja einiges mitnehmen), dann kam noch ein schneller Autotausch, die Route war über den Balkan geplant, aber die grüne Versicherungskarte kam nicht rechtzeitig an. Theoretisch sagen zwar verschiedene Websites, dass man auch ohne grüne Karte durch die FYR Mazedonien kommt, aber wahrscheinlich sind das lauter Grenzen, wo man auch mal ein paar Stunden Wartezeit hat (die Route wäre über Ungarn, Serbien, FYR Mazedonien und Nordgriechenland gegangen). Noch während der Fahrt aus München heraus einigen wir uns zu der Alternative: Fähre von Italien direkt nach Griechenland. Noch vor einigen Jahren dachte ich mir, dass niemand mobiles Internet braucht; inzwischen kann ich mir gar nicht mehr vorstellen, wie man ohne auskam. Während wir durch’s Inntal fahren haben wir die verschiedenen Möglichkeiten erörtert, uns zu der kürzesten Strecke von Brindisi nach Igoumenitsa entschlossen.

Google Maps spuckt aus, dass wir um 18:00 in Brindisi sein könnten, die Fähre geht um 19:30. Ist das realistisch? Eigentlich nicht, aber absichtlich wollen wir die Chance auch nicht vertun, so streichen wir den Bierkauf in Österreich (Dosenbier ohne Pfand, und besser als italienisches oder griechisches Bier), und reduzieren die Pausen auf das nötigste und Fahrerwechsel. Gebannt verfolgen wir, wie sich um Bologna im Berufsverkehr erhebliche Staus bilden, aber auch wieder auflösen bis wir dort sind. Wir beginnen Hoffnung zu schöpfen – heute Abend noch auf die Nachtfähre nach Griechenland, und am Samstagmorgen am Schiff. Wir trauen uns noch nicht, eine online Buchung zu machen und versuchen das Ticketbüro in Brindisi zu erreichen. Der freundliche Service Mitarbeiter (*Ironie*) spricht fließend italienisch. Mit einer wilden Mischung aus Italienisch, italienisch ausgesprochenem Spanisch und einer Würze Phantasie versuchen wir zu fragen, ob es noch Platz gäbe, und wann man spätestens da sein müsse, um noch auf die Fähre zu kommen. Offensichtlich hat uns der Kollege verstanden, denn es folgt ein langer Schwall auf Italienisch. Ich versuche die Antwort zu vereinfachen: „é possibilé – si o no?“. Schwall. Irgendwann geben wir auf – wozu kennen wir Leute, die des italienischen mächtig sind? Unser Netzwerk bringt in Erfahrung, dass wir es schaffen werden, und sogar noch 45 Minuten Puffer haben. Da schaltet vor uns das Auto die Warnblinker ein.

Letzten Endes stehen wir fast drei Stunden im Stau, die nächste Fähre geht um 13:00 am Samstag. Frustriert gehen wir in Pescara essen und fahren danach weiter bis zu einem Campingplatz zwischen Bari und Brindisi, wo wir einfach auf einer Isomatte neben dem Auto unseren Schlafsack ausbreiten. Da die Fähre auch kurz in Korfu hält, kommen wir erst gegen 23:00 in Igoumenitsa an, und übernachten lieber dort als morgens um halb eins in einer dunklen Marina mit gefühlten 1000 Schiffen nach unserem zu suchen (und dann eine Leiter, den Schlüssel, und wie sieht’s im Schiff aus nach Einbau des Bugstrahlruders?).

Endlich stehen wir am Sonntagmorgen neben der Seestern. Immerhin ist das Bugstrahlruder eingebaut, der Rumpf sieht wieder dicht aus, und auch die wichtigsten Elemente der Elektrik scheinen installiert zu sein. Wir haben zwar eine relativ detaillierte To-do Liste, aber haben uns offensichtlich damit verschätzt, wie viel man an einem Tag schaffen kann, besonders da es mittags unerträglich heiß wird. Ich pfriemle die alten ‚Giggles‘ Schriftzüge ab, und ersetze sie mit unserem neuen ‚Seestern‘ Logo. Derweil machen sich die anderen ans sortieren. Schon bald stellt sich heraus, dass wir eigentlich ein Ersatzteillager gekauft haben. Jede Ecke des Schiffs ist voll. Acht Segel mit widersprüchlichen oder fehlenden Beschriftungen. Treibstofffilter, Keilriemen, Dichtungssätze, Planen, Wasserpumpen, Schäkel, Blöcke, Werkzeuge, Segel-Nähzeug und Revier- und Reiseführer von der Karibik bis Thailand. Witzig mutet nachträglich die Tabelle an, die ich zur Auflistung der verschiedenen Leinen gemacht habe. Auf einem Charterschiff freut man sich, vier Festmacher UND noch eine Landleine zu finden. Wir ziehen mindestens sechzig Leinen aus den Backskisten und von unter den Kojen hervor. Der Plan sah vor, diese zu katalogisieren, also Länge, Art und Durchmesser aufzuschreiben. Schnell rennt uns die Zeit davon; irgendwann müssen wir aufgeben. Wir brauchen Platz, und die Giggles wurde bislang wohl meist von einem Paar gesegelt. Am Abend sind wir komplett platt; schaffen es gerade mal in die Taverne direkt neben der Marina.

Da am Sonntag in Griechenland fast niemand arbeitet wird der Montag besonders stressig. Wir teilen uns auf – Frank versucht mit Dimitri den Schalter des Bugstrahlruders zu montieren, ich versuche die letzten Bürokratiehürden zu überwinden, und Max und Udo gehen einkaufen – Lebensmittel für die Woche, und Getränke für länger – wer weiß, ob wir das nächste Mal ein Auto haben um die ganzen Wasserflaschen umher zu fahren. Ich hole beim Makler also die originalen Schiffsdokumente, und mache mich gleich zum Hafenmeister auf, um ein DEPKA in unserem Namen zu bekommen (die griechische Erlaubnis zum Aufenthalt in deren Hoheitsgewässern). Am kompliziertesten ist es, die 50€ Gebühr bar in einer Bank einzuzahlen – alleine das kostet mich fast zwei Stunden. Derweil drängt die Marina – unsere Reservierung läuft heute ab, und sie wollen uns noch heute ins Wasser bringen. Um 15:00 rücken die Werftarbeiter an. Ein Spezialanhänger mit viel Hydraulik sammelt das Schiff ein, die Metallstützen werden abgebaut. Mit dem Hänger kommt das Schiff an die Wasserkante, wo ein Travellift die Seestern in seine Schlingen nimmt, und sie dann ins Wasser setzt. Dimitri prüft noch schnell, dass die Arbeiten am Rumpf wirklich dicht sind; die Schlingen kommen weg, und die Seestern schwimmt. Bis 17:00 müssen wir aus dem Becken draußen sein, denn dann kommt die erste Kundschaft des nächsten Tages. Um es etwas spannend zu machen bricht während unseres Ablegemanövers ein Sommergewitter aus, es schüttet aus Kübeln, aber jetzt ist auch keine gute Zeit, unter Deck die Regenjacke zu suchen. Etwas gestresst gehen wir erst noch tanken und suchen uns dann vor der Marina einen Ankerplatz. Das Abenteuer, es beginnt.