Die Reise zum Traum – Teil 2

Am nächsten Morgen, pünktlich um neun, steht der handwerkende Seebär vom Vortag wieder am Schiff. Der Inhalt des Dieseltanks muss abgepumpt werden, der Tank gereinigt werden und das Diesel gefiltert. Er beginnt mit seiner Anamnese – der Tank ist recht voll, der Zugang nur durch die ca. 10 cm große Öffnung des Tankgebers möglich, wir haben keine leistungsfähige elektrische Dieselpumpe zur Verfügung. OK, er weiß Bescheid, muss nur kurz in seine Werkstatt fahren, um ein paar Sachen zu holen. Nach ca. 30 Minuten ist er wieder da, mit sechs großen 30 Liter Kanistern und einer elektrischen Pumpe, die für Diesel geeignet ist. Wo habt Ihr denn hier 230V Strom? Bedauerlicherweise sind wir an einem Steg angelegt, der eigentlich nur kurzfristig zu nutzen ist, und deshalb keine Landstromversorgung hat – und unsere Verlängerungskabel reichen nicht bis zum nächsten Steg. Kein Problem, er holt eine Kabeltrommel. Derweil erkunden wir in Schichten die Insel, also jeweils zwei bleiben am Schiff, der Rest bummelt über Norderney. Insgesamt fährt der Handwerker mehrmals zu seiner Werkstatt, braucht dabei jeweils zwischen 30-60 Minuten: Nach der Kabeltrommel fehlt eine kleine Pumpe, um die letzten 15 Liter abzusaugen; dann Bremsenreiniger zum Säubern des Tanks; dann ein Stückchen Schlauch, um den Bremsenreiniger auch in die entlegeneren Ecken des Tanks zu sprühen; dann ein Stückchen Draht, um den Tankgeber wieder zu montieren. Gegen fünf sind alle Arbeiten fertig, der Diesel wurde gefiltert und wieder eingefüllt – aber nach Helgoland fahren wir heute nicht mehr.
Während wir am Schiff auf den Techniker warten, diskutiere ich mit Frank über das Konzept „eigene Yacht“. Bislang hatte ich mit dem Gedanken nicht intensiver beschäftigt; spontan sprachen aus meiner Sicht folgende Punkte dagegen:
• Kosten – ich war immer überzeugt, dass die Schiffe, die ich mir leisten könnte, winzige Nussschalen sein würden, und Schiffe in der Größe, wie wir sie meistens charterten, preislich absolut indiskutabel wären.
• Die Ferienhaus-Problematik – Auch ohne es weiter in Frage zu stellen, war meine spontane Vorstellung der eigenen Yacht immer, dass sie zB in einem Hafen in Kroatien liegt, und man dann immer wieder hinfährt. Jeden. Urlaub. Wieder. Was haben wir’s da mit Chartern gut: Mal Schweden, mal Thailand, mal Karibik.
• Fahren statt Putzen – auch wenn man meistens 100-150€ für die Endreinigung zahlt, man bekommt das Schiff geputzt und (theoretisch) technisch einwandfrei übergeben, und hinterlässt es … es wird ja geputzt. Also verliert man keine Minute seines wertvollen Urlaubs.
• Qualität – Im Charterbetrieb haben wir meistens Yachten der preiswerteren Massenhersteller gehabt – Bavaria, Beneteau, Jeaneau. Aber mit so einem Joghurtbecher über den Atlantik – wäre mir da wohl dabei? Und an Ausrüstung bräuchte man sicherlich noch total viele Sachen, wie Rettungsinseln, aufwändigere Kommunikationstechnik.
Zusammengefasst also zwei Bereiche – ein vernünftiges Schiff wäre zu teuer, und mit einer klassischen ein-paar-Wochen-Urlaub-im-Jahr Freizeit auch nicht sinnvoll. Die Najad 343, auf der wir sitzen, bringt das erste Bild etwas ins Wanken. Zwar ist das Schiff deutlich kürzer, als ich bislang akzeptabel fand, aber es wirkt nicht so. Die Innenaufteilung ist praktisch, man würde zu sechst Platz finden, das Schiff ist zwar schon bald 30 Jahre alt, aber die Verarbeitungsqualität ist hervorragend, und wirkt vertrauenserweckender als manche fünf Jahre alte Bavaria. Dann bringt Frank noch die Idee ins Spiel, dass er sich überlegt, ein einjähriges Sabbatical zu machen, um mal wirklich länger zu segeln. Ich bin ja selbstständig – Ihr merkt’s, da hat sich gerade eine Idee eingenistet.
Am nächsten Morgen springt der Diesel einwandfrei an, und läuft auch ein paar Minuten ohne Probleme. Wagen wir es? Mit Respekt verlassen wir den Hafen, tuckern an die Nordseite der Insel und setzen die Segel – next Stop Helgoland. Die See ist heute ruhiger, es bläst ein beständiger achterlicher Wind, eigentlich ideal für den Blister, den Peer Gynt an Bord hat. Aber ich glaube, ich habe mich seelisch von meinem Halb-bad in der Nordsee noch nicht ganz erholt; habe keine Lust jetzt mit einem neuen Segel zu experimentieren, und lege mit meinem Unwillen das Fundament für einen längerfristigen Running Gag – jedes Mal, wenn wir seitdem überlegen, ob wir ein bauchiges Vorsegel heißen, wird dieser Tag referenziert.
Da wir die Gezeiten berücksichtigen mussten, als wir Norderney verließen, wird es schon dunkel, als wir an der Ostkaie des Südhafens von Helgoland festmachen – und natürlich, weil wir ohne Blister nicht so schnell voran kamen. Mit dem obligatorischen Anlegeschluck ist es somit schon etwas später, als wir in die bunte Kuh einlaufen – eine traditionsreiche Kneipe in den witzigen bunten Helgoländer Häusern. In der Dunkelheit laufen wir noch ein wenig herum – schade, dass wir nicht länger bleiben können, aber der Schlag zum Nord-Ostsee-Kanal morgen ist eher lang.
Am nächsten Morgen sind wir früh auf den Beinen – wir wollen unsere Überlegungen noch einmal mit dem Hafenmeister besprechen, um etwas lokale Erfahrungen zusätzlich zu unseren Tidentafeln zu haben. Er lacht, als wir erklären, so um zehn losfahren zu wollen: „Das könnt Ihr schon machen Jungs, aber dann kämpft Ihr einige Stunden gegen das ablaufende Wasser in der Elbmündung, und kommt mir Eurem Schiffchen gar nicht voran. 14:00 reicht locker, dann spült Euch die rückkehrende Flut förmlich die Elbe hinauf – ihr werdet staunen, wie schnell das geht.“ Also haben wir plötzlich Zeit für ein gemütliches Frühstück in der Stadt und eine Klippenwanderung, bevor wir uns wieder auf den Weg machen.
Auf der Fahrt sind dann wirklich alle Naturgewalten uns wohl gewogen. Wind, Welle, Flur und Strömung kommen von hinten, die GPS Geschwindigkeit liegt weit über dem, was die Peer Gynt aus eigener Kraft schaffen würde. Aber die Wellen sind noch recht ordentlich, immer wieder erfassen sie das Heck der Yacht, und man muss kräftig steuern, damit die Yacht die Welle ‚heruntersurft‘, und sich nicht querlegt. Wie schon an den Tagen zuvor stellen Frank und ich fest, dass ein etwas größeres Boot wahrscheinlich ruhiger fahren würde.
Der Ideen-Keim ist etwas gewachsen, wir überlegen mittlerweile schon, was für ein Schiff wir denn bräuchten, wenn wir wirklich eines wollen würden. Schön an der etwas kleineren Peer Gynt ist, dass sie sich leichter ‚aus der Hand‘ fahren lässt. In den meisten Fällen kann man das Schiff beim Anlegen mit der Hand halten, und es auch mal mit einem kräftigen Zug zum Steg ziehen; ein kleineres Schiff kann man also mit einer kleineren Mannschaft besser fahren. Auch ist vieles auf dem Schiff, was Geld kostet, kleiner und damit billiger, auch zB Hafenliegegebühren richten sich nach der Länge. Ein längeres Schiff hingegen wird bei Wellengang ruhiger sein, verspricht auf dem weiten Meer also mehr Sicherheit, nebenbei hat man mehr Platz für Gäste und Bier. Und: Länge läuft, ein größeres Schiff wäre also schneller ?. Darüber werden wir noch länger diskutieren, aber auf eine Rahmenbedingung haben wir uns schon fast geeinigt: Es wird ein älteres Schiff eines Premiumherstellers sein, da hoffen wir, dass sich der Wertverlust in Grenzen hält.
Wir erreichen das betonnte Fahrwasser der Elbe, auch wir halten uns an diese ‚Straße‘ durch’s Wasser. Auf beiden Seiten – informiert die Seekarte – können sich die Tiefen häufig ändern, und bei Ebbe teilweise trockenfallen. Aktuell sieht man davon nichts, und auch als wir später Cuxhaven passieren erkennt man noch nicht einmal das nördliche Ufer der Elbe. Das Fahrwasser teilen wir uns mit richtig großen Pötten, da fährt man möglichst präzise am Rand um denen nicht in den Weg zu kommen. (Viele von Euch wissen es schon: Ein Segelboot verhält sich zu einem Riesenfrachter nicht wie ein Sportwagen zu einem LKW. Da ‚Länge läuft‘, kann der Tanker locker 3-5 mal schneller fahren als wir, nur nicht bremsen.) Als wir uns Brunsbüttel und dem Eingang zum Nord-Ostsee-Kanal nähern, beginnt es zu dämmern. Das war so nicht geplant. Zwar sind hier alle Schiffe ordnungsgemäß beleuchtet, aber es hat auch viel Verkehr, und Brunsbüttel liegt auf der Nordseite der Elbe; wir müssen also mit unserer Nussschale auf die andere Seite. Schon irgendwie eine Herausforderung – wie lange werden wir wohl brauchen, um die Elbe zu queren, gibt’s dabei irgendwelche unerwarteten Strömungen? Das große Schiff hinter uns, klar, das lassen wir noch vorbei, aber was kommt uns da entgegen? Mittlerweile ist es recht düster, wir erkennen eine rote Positionslampe, also sehen wir seine Backbordseite, und es hat zwei ‚Dampferlichter‘ also dürfte es über ?? Meter lang sein. Aber die wirkliche Größe, Geschwindigkeit und Richtung ist schwer abzuschätzen. Wir nehmen unser Herz in die Hand und fahren mit Vollgas (Das Segel haben wir mittlerweile eingeholt) in die ‚Wartezone für Sportboote‘. Der große Entgegenkommer war weit genug weg, alles gut.
Mittlerweile haben wir mit der Schleuse per Funk Kontakt aufgenommen. Eigentlich einfach, aber die ganzen Schifffahrtprofis da draußen hören mit. Und auch wenn’s mir wurscht sein sollte, ich will nicht, dass die alle merken, dass wir das zum ersten Mal machen. Aber der Schleusenwärter (eigentlich: Verkehrszentrale NOK) meint: „Kein Problem, ich mache Euch die südliche Schleuse auf, fahrt einfach rein“. Los geht’s, wir setzen Kurs auf die Schleuse, oder jedenfalls dorthin wo wir sie vermuten. Mittlerweile ist es stockdunkel, die Seekarte gibt zwar Auskunft darüber, welche Lichter sie beleuchten, aber in solchen Situationen erkennt man immer den Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Ist das weiße Licht dort das Einfahrtsignal, oder doch nur eine Straßenlaterne auf der Uferpromenade? Um die Spannung zu erhöhen, beschließt der ipad, der unsere elektronische Karte ist, mal ein paar Minuten keine neue Position zu erkennen. Auch Wind und Welle sind auf einmal ganz anders, jedenfalls für uns. Auf der Fahrt die Elbe hoch kam alles von hinten – Wind, Welle und Strömung. Im Cockpit ist das sehr entspannt – der wahre Wind und der Fahrtwind heben sich ein wenig auf, die Wellen plätschern sanft gegen das Heck. Aber für das kurze Stück zur Schleuse müssen wir gegenan. Zu allem Überfluss regnet es mittlerweile recht heftig. Immer wieder taucht der Bug der Peer Gynt in die kleinen, ruppigen Wellen, Wind und Fahrtwind addieren sich und blasen die aufkommende Gischt nach hinten über das ganze Schiff. Wer einmal das Boot gesehen hat – die Szene wo sie bei Sturm im Turm stehen, und der 2. WO bei jeder überkommenden Welle manisch lacht – der hat jetzt ein gutes Bild. Die Kombination aus „wo sind wir“ (streikender ipad), „wo müssen wir hin“ (ist das Licht da vorne jetzt die Schleuse, oder was anderes) und „fahren wir überhaupt“ (könnte auch sein, dass uns Strömung und Wind nach hinten treiben) sorgt für einige Minuten mangelnde Entspanntheit. Aber dann wacht der ipad wieder auf, die Beleuchtung der Schleuse sieht plötzlich genau so aus, wie auch auf den Skizzen, und wir fahren in die offenen Schleusentore ein. Schlagartig ist der Spuk vorbei, als würde man aus einem Sturm in die Garage fahren. Die 10,70m lange Peer Gynt fühlt sich in der 310 Meter lange Schleuse sehr klein an. Direkt hinter der Schleuse ist ein kleiner Sportboothafen, saisonbedingt fast leer, wir legen an, und eine Last fällt von uns. Jetzt wäre ein Bier und was zu essen gut. Brunsbüttel um zehn Uhr abends ist keine pulsierende Metropole. Mit Glück finden wir noch einen Chinesen, der uns noch etwas kochen wird. Eine heiße Suppe – jaaaa. Dann auch noch etwas Tee neben dem Bier, und eine große Portion europäisiertes Schweinefleisch Süß-Sauer. An einem normalen Tag hätte ich den Laden wahrscheinlich nicht mit dem Arsch angesehen, heute ist es ein Tempel.
Am nächsten Morgen muss Frank abreisen, da er am Sonntag auf eine Dienstreise muss, aber Ramsi, Christian und ich fahren noch etwas auf dem Nord-Ostsee-Kanal weiter. Wegen der Verzögerung mit der Dieselpest haben wir den Plan geändert, und fahren nun doch nur bis Rendsburg statt nach Kiel, aber die Marina dort ist immerhin erheblich günstiger. Am Sonntag schwingt sich Christian in den Zug nach München, und Ramsi fährt mich mit einem Mietwagen nach Hamburg. Um 16:30 komme ich im Hotel an, eine halbe Stunde später schlafe ich tief und fest. Ob ich an diesem Nachmittag von einem eigenen Schiff träume, das weiß ich nicht mehr – aber die Reise hat sicherlich den Traum geweckt.

Vor Borkum, mit der Pest an Bord

Am nächsten Morgen folgen wir deshalb noch weiter dem Emsfahrwasser nach Nordwesten, bevor wir nach ca. zwei Stunden auf die offene Nordsee treffen, und uns langsam auf Kurs Nordost begeben. Es hat eine hässliche See (also Wellen, die es in ihrer Größe und Richtung genau schaffen, nicht angenehm zu sein), Wind direkt genau aus der Richtung in die wir wollen, und ist ungemütlich kalt. So fahren wir mit Motor, lieber etwas früher einen Grog auf Norderney. Ich bin noch müde, und es geht mir nicht richtig gut. Seekrank – ICH?!? Das kann doch nicht sein, habe ich doch Ruf und Anspruch, dass ich der am unempfindlichsten bin, der, der auch bei richtig Welle noch problemlos unter Deck herumwurschteln kann. Also, seekrank kann ich also nicht sein, der Abend zuvor war auch nicht ausschweifend, also zweifelsfrei eine Lebensmittelvergiftung. Jedenfalls lege ich mich im Salon hin, und ein Eimer leistet mir Gesellschaft. Bei dem monotonen Motorengebrumme kann ich normalerweise wunderbar schlafen.
Damit das mit dem Schlaf klappt, muss das Motorengebrumme aber wirklich monoton sein. Leider fängt der Motor irgendwann an, ungefragt die Drehzahl zu ändern. Sie fällt kurz ab, pendelt sich wieder bei normal ein, fällt wieder ab, steigt wieder, und dann stirbt der Motor ab. Unnötigerweise brüllt jemand aus dem Cockpit mir diese Tatsache hinunter. Ohne Motorsind wir manövrierunfähig, und das ist bei dem Wellengang schlecht. Ich stürze nach oben, und wir setzen so schnell wie möglich das Vorsegel (das kann man einfach – unabhängig vom Kurs – rausziehen, und bietet etwas Vortrieb, und damit sind wir wieder manövrierfähig). Jetzt also nachdenken. Wir probieren mehrmals den Motor zu starten, aber er beharrt bei seiner Arbeitsverweigerung. Ich male mir aus, wie wir hier – mitten auf der Nordsee – einen Abschleppdienst organisieren könnten. Immerhin zieht das Vorsegel erstaunlich gut, wir machen hart am Wind durchaus Fahrt. Aber nur mit Vorsegel weiter nach Norderney kreuzen? Die Idee scheint nicht verlockend, aber zurückzufahren auch nicht, da wir zwar einen Teil der Strecke den richtigen Wind hätten, aber dann zurück im Emsfahrwasser nicht mehr. Ein Blick auf unseren Kartenplotter offenbart, dass wir durchaus bei der jetzigen Geschwindigkeit noch bei Tageslicht in Norderney ankommen könnten. Nah an der Insel würden wir zwar Hilfe brauchen, aber sicherlich hat’s auch dort einen DGzRS Seenotkreuzer.
Vielleicht allgemein mal eine gute Idee, mit denen zu reden; die auf Borkum waren ja auch sehr zugänglich, und die kennen das Revier viel besser als wir. Also ran an die Funke. Das Los fällt auf mich. Als Deutscher braucht man ja eine spezielle Ausbildung, um einen Wurm an einem Angelhaken ins Wasser zu halten, so gibt es auch einen Schein, den man braucht, um ein Funkgerät zu betreiben. In der Ausbildung hat man gelernt, den Notfall-Kanal (Channel 16) nicht mit Trivialitäten zu blockieren, also sammle ich meine Gedanken, drücke auf die „Sprechen“-Taste und rufe: „Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger, this is „Peer Gynt“, come in please“. Das Gerät bleibt stumm. Ich probiere es nochmal. Stille. Und nochmal. Da meldet sich eine Stimme: „This is Bremen Rescue for Peer Gynt, what is the problem?“ Bremen Rescue. Oh weia. Das MRCC (Maritime Rescue Coordination Center) Bremen ist die bundesweite Zentralstelle für die Koordination von Seenotrettungen. Wirkt etwas übertrieben. Könnte ich vielleicht bitte mit „Bremen kleines Problem“ reden? Wir sind ja nicht in Seenot. Noch nicht. Ich nehme mich zusammen, und erzähle unser Problem. „Engine won’t start, attempting to sail towards Norderney under Sail, will require assistance in getting into the harbour“. Der Bremen Rescue Kollege scheint nicht empört zu sein, wegen eines Motorschadens behelligt zu werden. Er fragt höchst professionell nach unseren jetzigen Position, und „the number of souls on board“ (für die Planung der Leichensäcke). Dann rät er uns „proceed to position off Norderney and contact us again“. Irgendwie fühlen wir uns wohler.
Obwohl die Peer Gynt nur unter Vorsegel erstaunlich gut vorankommt – mit zusätzlich Großsegel wäre es sicherlich besser. Segelschulmäßig setzt man das Großsegel, indem man unter Motor gerade gegen den Wind fährt, nur dann kann man das flatternde Segel am Mast hochziehen. Aber da war es ja wieder, unser Problem. Es gibt noch eine ‚Rodeo‘ Alternative (mit Rodeo bezeichnen wir alle Manöver, die so nicht im Buch stehen, aber unter bestimmten Bedingungen doch klappen können, so wie den Hafenpoller mit einem Lasso einfangen): Das Boot mit Vorsegel ganz hart am Wind, die Großschot ganz weit auf, damit der Baum frei ist, und dann kann es auch klappen, besonders bei ruhiger See und weniger Wind (finde den Fehler). Also Schwimmweste festgezogen, Lifebelt klar, und ab nach vorne. Mit dem Lifebelt hängen wir uns an dem Schiff fest, so dass wir nicht über Bord gehen können, und dann probieren wir, das Großsegel zu setzen. Doof, dass wir es noch nie probiert haben. Doof auch, dass die Wellen weiter auf sich aufmerksam machen. Aber nun ja, ein Versuch ist es wert. Leider hängt das Segel in den Lazy-Jacks fest, und lässt sich nicht ganz hochziehen. Ein reges Gebrülle setzt ein, laut – damit man über den Wind und Meeresgeräusche noch etwas hören kann, und etwas schrill –weil die Nerven blank liegen. Trotz weiterem Hin- und Her-geziehe bekommen wir das Segel nicht gesetzt. Die Großschot – bei der Najad 343 hinter dem Steuermann befestigt, schlägt heftig hin- und her, und legt sich einmal auch um Frans Hals. Christian brüllt, dass wir bald im Verkehrstrennungsgebiet sind, und da haben wir wahrlich nichts verloren. Und dann erfasst noch eine ruppige Welle das Schiff, ich rutsche auf dem nassen Deck aus, und die Schwerkraft zieht mich in die Nordsee. Ich fühle das kalte Wasser der Nordsee von unten in meine Segelhose laufen, die Knie werden nass, ich greife verzweifelt nach irgendwas an Deck, was mir Halt geben kann. Auch wenn ich nichts erwische, die Reling hält mich auf. Mit einer Flinkheit, die mir sonst keiner zutraut, krabbele ich wieder an Deck. Meine Meinung hat sich geändert – es muss auch ohne Großsegel gehen. Also räumen wir es noch schnell auf, und dann nix wie zurück ins sichere Cockpit. Wir wenden, und fahren den nächsten Schlag Richtung Norderney. Ich bin reichlich adrenalingesättigt, mir ist kalt, und eigentlich ist mir immer noch schlecht. Ich entschuldige mich, und verzieh mich unter Deck – raus aus den nassen Hosen.
Die Zeit vergeht, und wir kommen überraschend anständig voran. Irgendwann schätzen wir optimistisch, dass wir eine halbe Stunde vor der Ansteuerungstonne „Dove Tief“ sind, die das Fahrwasser von der Nordsee nach Norderney markiert. Ich – halbwegs ausgetrocknet und wieder besserer Laune – rufe wieder Bremen Rescue, sag mein Sprüchlein auf, und beschreibe, wo wir nun sind: „about one half hour away from … ähm, öhm, … Ansteuerungstonne Dove Tief“. Bremen Rescue fragt, ob wir vielleicht Deutsche seinen? „ähm, yes“. „Nun, dann können wir auch Deutsch reden“. Mein Fehler – ich dachte solche Kommunikation läuft immer auf Englisch, er heißt ja auch Bremen Rescue und nicht ‚Rettung Bremen‘. Aber innerlich muss ich immer an den Werbespot von Berlitz denken: „what are you sinking about?“. Jedenfalls übergibt uns Bremen Rescue an den Seenotrettungskreuzer „Bernhard Gruben“ auf Norderney, zu rufen über Kanal 17. Hier probieren wir’s gleich auf Deutsch, und die Retter empfehlen, noch unter Segeln zum Weststrand zu fahren, dort würden sie uns an die Leine nehmen. Sobald wir dann das Fahrwasser Dove Tief erreichen, haben wir viel angenehmeren Wind von der Seite, an Norderney entlang sogar von hinten. Zwischenzeitlich sehen wir auch einen Seenotrettungskreuzer, der uns um die Insel entgegenfährt, aber der wendet wieder und fährt zurück. Wir sind zwar bedröppelt, aber bleiben dabei – per Funk wieder am Weststrand melden, und da sind wir noch nicht.
Dort angekommen, funken wir die Bernhard Gruben wieder an. Ja, ja, meinen sie, sie hätten uns schon gesehen, aber wir sahen so aus, als hätten wir die Situation im Griff, und hier – hinter der Insel – wäre kaum noch Seegang. Vorsichtshalber weisen sie uns darauf hin, dass sie für Kratzer im Schiff beim Abschleppen nicht haften. In Sichtweite des Hafens holen wir das Segel ein, der (aus unserer Perspektive) imposante Seenotrettungskreuzer kommt längsseits, wirft ein paar Leinen über, und fährt uns in den Hafen. Wir beschreiben den Schaden, und die Diagnose ist schnell und eindeutig – Dieselpest*. Sie würden auf Norderney jemanden kennen, der uns bei der Behebung helfen könne, ob sie ihn anrufen sollen? Wir nehmen dankbar an, machen ein paar Selfies mit schleppendem Schiff und sind fünfzehn Minuten später am Steg im Hafen von Norderney. Man hilft uns fest zu machen, der Reparateur kommt, fummelt ein bisserl an den Dieselleitungen, macht ein paar Filter auf und zu, nimmt den Schlauch in den Mund und saugt oder pustet, baut alles wieder zusammen, entlüftet die Dieselpumpe – „probiert’s jetzt mal“. Der Diesel springt wieder an. Der etwas kauzige Mechaniker will seine Sachen packen und gehen. Halt – und was sagt uns, dass das nicht bald wieder passiert? Tja, meint er, das ist etwas aufwändiger – da müsste man das System leeren, die Pest bekämpfen, dann wieder füllen. Ramsi meint, dass ihm das schon lieber wäre, wenn wir das Problem nachhaltig beheben. Na gut, meint der Mechaniker, er kommt morgen wieder, und dann machen wir das.
Nun gut, dann beenden wir den Tag. Es ist auch dringend Zeit, etwas warmes zu Essen und zu trinken. Wir ziehen in unseren Schwerwetter-Segelzeugs in die nächste Kneipe. NeysPlace ist im Gebäude des Hafenmeisters und sieht auch aus wie das Klubhaus des hochwohlgeborenen Yachtclubs von und zu Norderney. Gedeckte Tische mit Stoff-Tischtüchern, feine Weingläser. Im Goldknopf Blazer hätte ich mich wohler gefühlt. Wir fragen die Bedienung, ob sie einen Tisch für uns hat, vielleicht etwas abseits, damit wir die edlen Gäste nicht verschrecken. Sie lacht, und gibt uns einen Tisch am Rand. Erstmal ein Grog.

*Dieselpest: Dass die Geschmäcker verschieden sind, ist hinlänglich bekannt. Deshalb gibt es auch Bakterien, die Diesel mögen, besonders Biodiesel (Herkömmlichem Diesel ist seit mehreren Jahren ein geringer Prozentsatz Biodiesel beigemischt). Wenn dann noch etwas Wasser dazu kommt, freuen sich die Bakterien und ernähren sich von dem Diesel, und hinterlassen zum Dank einen schwarzen Schleim. Und genau dieser schwarze Schleim (aufgewühlt durch das Geschaukel auf der Nordsee) hat bei der Peer Gynt die Dieselansaugleitung verstopft. Dieser Prozess findet eigentlich in allen Dieseltanks statt, aber beim Auto ist es weniger tragisch, weil hier das Diesel meist zügiger verbraucht wird, und dann durch frisches sauberes ersetzt wird. Bei Segelschiffen ist das anders. Hier sind zwar auch mehrere hundert Liter Diesel an Bord, aber eigentlich will man ja segeln. Dennoch hält man den Tank meist voll, sowohl aus seemännischer Vorsicht, aber auch weil sich in (halb-)leeren Tanks mehr feuchte Luft befindet, und sich dann Kondenswasser bildet, was man auch nicht will. Gegenmittel sind Biozide oder das Tanken von speziellen CARE-Diesel, welches kein Biodiesel enthält, aber auch eher selten zu bekommen ist. Problematisch ist die Dieselpest übrigens auch zB bei Notstromaggregaten. Auch hier wird genügend Diesel gelagert, um das Krankenhaus für mehrere Stunden mit Strom zu versorgen, aber gebraucht wird es eigentlich nie.

Die Reise zum Traum – Teil 1

Die Reise zum Traum
Irgendwann im Sommer 2016 erreicht mich eine kryptische Mail von Ramsi – er hätte sich einen Dosenquetscher gekauft. Angehängt ist auch ein Foto – eine Metallkonstruktion mit Hebel, die tatsächlich so aussieht, als können sie eine Blechdose zu einer dicken Scheibe zusammenquetschen. Doch interessant ist nicht das Gerät – ganz offensichtlich ist es neben einem Niedergang montiert, der Treppe die in ein Segelboot hineinführt. Fünfzehn Minuten später kommt eine weitere Mail, welches ein Problem an dem Dosenquetscher schildert: Er hänge an einem Schiff – einer Najad 343, welches in Hindeloopen am Ijsselmeer liegt, welches nun mit Dosenquetscher Ramsi gehört, und ob wir ihm helfen könnten, das Segelschiff im nächsten Jahr nach Berlin zu überführen.
Und so kommt es, dass ich mich zu Ostern 2017 in die Niederlande begebe, um bei einer Schiffsüberführung mitzuhelfen. Ich arbeite zu der Zeit hauptsächlich in Hamburg, so setze ich mich Karfreitag in den Zug und fahre nach Enschede, wo ich in einen Mietwagen mit gelben Kennzeichen (aber ohne Wohnwagen) umsteige. Ich hatte von den Niederlanden bislang nur einmal Amsterdam gesehen, jetzt will ich Windmühlen und Tulpenblüte nachholen. Am Sonntag dann die ausgeklügelte Logistik: Auto in Leeuwarden abgeben, mit Zug nach Hindeloopen, Schlüssel vom Auto meiner Freunde im Bootsladen abholen (die sind in der Woche vor Ostern über die Stehende-Mast-Route durch West-Friesland gefahren), mit Auto nach Emden zum Bahnhof, dort Frank und Christian abholen, und dann weiter nach Delfzijl. In Deflzijl (oder Deliziös, wie es die Autokorrektur gerne nennt) treffen wir Karin, Ramsi und Familie, Crewwechsel ist angesagt. Nach dem familienfreundlichen Herumtuckern auf Kanälen kommt jetzt der Männertörn – von der Emsmündung zum Nordostseekanal. Die Familie muss derweil mit dem von mir gebrachten Auto zurück nach Berlin. Ein gemeinsames Abendessen in Delfzijl – wo ziemlich der Hund begraben ist – und ab in die Koje, denn wir müssen uns hier bei der Abfahrt nach den Gezeiten richten.
Der Wecker klingelt um 4:30 – das soll Urlaub sein?!? Es ist noch arschkalt, wir mümmeln uns in das Ölzeug, und legen in der Dunkelheit ab. Die Yachtliegeplätze in Delfzijl liegen am Ende des langgezogenen Industriehafens, so fahren wir erstmal eine halbe Stunde zwischen sehr großen Schiffen auf einer Seite und einem Deich voller Windräder auf der anderen Seite um überhaupt auf die Emsmündung zu kommen. Der Industriehafen bedient hauptsächlich Chemiewerke, und so riecht es auch.
Es ist mein erstes Mal an der Nordsee, und das Revier ist naturgemäß anders als die, wo ich meine Erfahrungen sammelte. So ist auf der Seekarte neben dem Fahrwasser in Richtung Ostfriesland eine riesige Wiese eingezeichnet. Wenn ich neben dem Schiff gucke, ist dort aber nur meilenweit Meer. Ich hab‘ auch selber nicht lange gebraucht, es zu kapieren – die Wiese ist eine große grüne Fläche auf der Seekarte, und bedeutet damit Stellen, die bei Niedrigwasser trockenfallen können. Nennt sich halt Wattenmeer, und jetzt, wo wir das gerade ablaufende Hochwasser nutzen, um uns nach Borkum zu spülen, ist eben alles mit Wasser bedeckt. Aber in den Karten der Adria gibt es fast keine grünen Stellen, deshalb ist meine erste Reaktion eben … falsch. Das wird mir im Laufe des Törns noch öfters passieren, dass ich mir erst bewusstmachen muss, wie hier die Karte zu lesen ist. Um die Mittagszeit erreichen wir Borkum, der erste Tag ist vollbracht.
Im Hafen von Borkum liegt ein paar Stege weiter der Seenotrettungskreuzer „Alfried Krupp“ und seine gelangweilte Besatzung. Jedenfalls ist die Besatzung einem gemütlichen Schnack (man bemerke die regional angepasste Formulierung) nicht abgeneigt, und wir greifen ein paar Tipps ab. So sieht es aus, als könne man bei Hochwasser nordwestlich von Borkum über den Borkumer Riff eine Abkürzung fahren (2-3 Meter Wassertiefe bei Niedrigwasser plus ca 2 Meter wegen der Flut – da passen wir doch mit unserem Tiefgang drüber). Die Mannschaft der DGzR ermuntert uns nicht zu diesem Plan, aber meint auch eher pragmatisch: „Wenn Ihr morgen dort die kabbeligen Wellen seht, wollt Ihr da sowieso nicht mehr durchfahren“. Sie werden recht haben.