Auf der Flucht

Dr. Richard Kimble segelt – na ja, nicht ganz. Aber ist schon eine seltsame Fahrt. Am Samstagvormittag tanken wir in Ibiza nochmal voll, und machen uns auf den Weg zum Festland. Wir haben beschlossen, in Etappen zu fahren, und nicht in einem Rutsch die ca. 300 Seemeilen von Ibiza bis nach Málaga (Málaga steht hier immer für ‚einen Hafen in der Nähe von‘). Windfinder sagt für den Tag und die Nacht danach Wind von hinten voraus, ab Cartagena bzw. Sonntag Vormittag dann aus der falschen Richtung. Raumer Wind ist irgendwie entspannt – da wir faul sind, setzen wir nur das Vorsegel, dass lässt sich auch nachts halbwegs fahren, und man hat kein potenzielles Problem mit Patenthalsen, oder nachts bei kräftigen Wellen das Großsegel reffen zu müssen. Die ersten drei Stunden bewahrheitet sich die Vorhersage nicht, und wir nutzen das frische Diesel, aber danach setzt der Wind ein. Wir wollen fahren, solange uns der Wind (kostenlos) in die richtige Richtung bläst, also planen wir schon jetzt mit einer Nachtfahrt. Also trotz Sonne und endlich wieder Segeln muss einer ins Bett. Auch nur unter Vorsegel ist es entspannter, so zu fahren, dass der Wind schräg von hinten kommt. Dann weht das Segel definiert in eine Richtung aus, das nennt man ‚kreuzen vor dem Wind‘. Wer Wind legt zu, die Wellen dementsprechend auch. Als erstes fahren wir zum Cabo de la Nao, nördlich vor Alicante. Wer sich die Karte von Spanien ansieht, kapiert schnell, dass ein Frachtschiff z.B. von Gibraltar nach Barcelona eine mehr-eckige Route fährt, die durch die verschiedenen Kaps definiert wird. Um das ganze in geordnete Bahnen zu lenken, gibt es an den Kaps jeweils sogenannte Verkehrstrennungsgebiete, eine auf der Karte definierte Autobahn mit klarer Richtungstrennung. Hobby-Segelschiffe haben da nichts verloren. Leider zeigt unsere elektronische Karte die Gebiete erst beim Reinzoomen, deshalb kachele ich fast in eines hinein. Die VTG existieren immer nur ‚an der Kurve‘, also am Kapp. Vom Cabo de la Nao bis zum Cabo de Palo fahren wir aber ungefähr die gleiche Strecke wie die großen Schiffe. Also gut Ausguck halten, das AIS gut im Auge behalten, und ab und zu doch reagieren, weil es uns mit einem großen Tanker zu knapp wird. Der Wind legt weiter zu, die Wellen auch. Maximal registrieren wir 43 Knoten, das sind dann 80 km/h. Die Wellen will ich nicht abschätzen, aber teilweise heben sie das Schiff an, und drehen es mal einfach eine Achtelumdrehung. Hektisches Wieder-auf-Kurs-Kommen ist angesagt. Und natürlich bedeuten die schräg von hinten kommenden Wellen, dass sich das Schiff mal nach links, nach rechts, nach vorne, nach hinten neigt. Teilweise reicht es dazu, dass das Handy auf dem Tisch plötzlich angeht, weil die Bewegungssensoren denken, dass man es gerade aus der liegenden in die Draufschauposition bewegt hat. Das ist nicht besonders angenehm, aber nööö, das wird kein „Puh!“ Eintrag mehr. Die Seestern kann sowas ab.

Wir hatten erst überlegt, im Mar Menor (vor dem Kap de Palo) zu übernachten, aber der Wind bleibt uns noch ums Kap gnädig, und so finden wir eine Ankerbucht etwas westlich von Cartagena (Punta de Azohia, wer’s im Atlas verfolgt). Nicht Puh!, aber müde sind wir trotzdem – Ein Teller Penne mit Pesto, und ab ins Bett. Für den nächsten Tag gönnen wir uns Ausschlafen, rückblickend vielleicht etwas doof, denn damit verlängern wir die nächsten Etappen jeweils ohne Not. Jedenfalls brechen wir erst mittags auf, können sogar etwas segeln, und gehen am Abend vor den Puertos de Carboneras vor Anker. Ein malerisches Städtchen, mit drei Häfen! Gut, zwei sind nur für das große Kraftwerk und das Zementwerk zuständig, und die eigentliche Stadt besuchen wir auch nicht. Deshalb auch das Gefühl ‚auf der Flucht‘ zu sein: Eigentlich glauben wir, dass wir ‚in Transit‘ zu unserem geschäftlichen Termin auch in einer Stadt anlegen könnten, aber ehrlich gesagt wollen wir uns mit möglich wenig Hafen-Polizeibeamten über die korrekte Auslegung der Richtlinien auseinandersetzen. Also planen wir keine Besuche in Städten und Häfen, sondern ankern in Buchten oder einfach vor dem Hafen. Damit stellt sich aber auch kein richtiges Urlaubsfeeling ein. Die restlichen Tage stehen wir früh auf (zwischen vier und sechs), lichten den Anker, und tuckern meist unter Motor mal ein wenig aufs offene Meer, wo sich dann im Laufe des Vormittags etwas Wind entwickelt; allerdings genau aus der Richtung, in die wir wollen. Man kann natürlich unter Segeln gegen den Wind kreuzen, aber insgesamt kommt man damit nicht schnell voran. Dienstag abend segeln wir so vom Cabo de Gata bis vor den Puerto de Roquetas de Mar. Mittlerweile halten wir uns deutlich auf der Landseite von den Verkehrstrennunggebieten. Etwas spannend wird es dennoch, aber nur im Funk. Die „Max Schulte“, ein Frachter unter singapurianischer Flagge, hat ein Mann-über-Bord Notfall, und bittet Schiffe in der Nähe scharfen Ausguck zu leisten. Interessanterweise kein Mayday Notruf. Per Funk hört man das sich Drama entwickeln. Ein weiteres Schiff in der Nähe beteiligt sich an der Suche, und natürlich wendet die Max Schulte sofort (dauert halt bei der Größe Schiff in voller Fahrt ein paar Kilometer). Irgendwann beginnen dann Funksprüche nach dem Motto: „Habt ihr ihn jetzt wieder gefunden?“, die dann einzeln positiv beantwortet werden. Es gibt kein ‚all ships‘ Entwarnung, das haben wir im Funkkurs anders gelernt. Irgendwann stellt die Max Schulte deutlich klar, dass der Kollege nunmehr gerettet ist; zwanzig Minuten später kommt von der Küstenfunkstelle der ursprüngliche Hinweis „Man overboard in Position xxx.yyy, ships are requested to keep a sharp lookout“ Nicht unglaublich vertrauenserweckend, aber Frank sieht auf dem GPS auch einen Hubschrauber, also hat man wahrscheinlich nicht alles auf Funk gehört. Wir haben übrigens auch evaluiert, ob wir helfen können (dazu sind wir ja nebenbei verpflichtet), aber die genannte Position war drei Stunden von uns entfernt. Kurz vor Roquetas de Mar stellen wir fest, dass der Wind-Gott auch einen seltsamen Sinn für Humor hat. Kurz vor dem Ankern dreht er den Wind nochmal richtig auf. Wir müssen eine Meile vor der Reede noch schnell reffen, und sorgen uns über die damit drohende unruhige Nacht. Kurz nachdem der Anker liegt, geht der Wind aber wieder aus, es bleibt eine ruhige Nacht.

Mittlerweile haben wir uns committed, bis Donnerstagabend in Marbella zu sein, das war der günstigste Hafen, der noch Platz für uns hat. Dazu planen wir, Mittwoch nacht in Puerto de la Mona zu übernachten, und dann am Donnerstag ganz schnöde nach Marbella zu dieseln. Wenn wir um vier aufbrechen, sollten wir noch tagsüber ankommen (Fun fact: an der gesamten spanischen Südküste hat es eine Meeresströmung, natürlich – wie könnte es anders sein – genau von vorne. Also wird jeglicher Erfolg bei der Geschwindigkeit um 1-2 Knoten reduziert, also 20-30% bei guter Geschwindigkeit). Der Ankerplatz in Puerto de la Mona ist nicht gut – der Ankergrund hält nicht besonders, wir sind zu nah am Strand oder an irgendwelchen Felsen, irgendwann geben wir auf, und beschließen die Nacht durchzutuckern, treibstoffsparend langsam. So sind wir tatsächlich ‚am Nachmittag‘ in Marbella; wir laufen um 12:10 ein. Nachdem wir die letzte Etappe der Fahrt keinen Wind hatten, frischt es zum Einparken nochmal kräftig auf. 14 Knoten Seitenwind, aber wir wurschteln uns ohne Eleganz, aber auch ohne Schaden auf den Parkplatz.

Vela del Sol S.L.

Einer der eindeutigsten Gründe für unsere Pause in Ibiza war ja, dass die verschiedenen Regionen Spaniens sich gegeneinander abgeschottet haben. Die Einreise nach Andalusien aus touristischen Gründen war verboten (aus Spanien, aus der EU wegen der geforderten Freizügigkeit aber erlaubt). Mein bester Freund aus der Grundschule ist mittlerweile Anwalt in Marbella, er schlägt schon im Oktober vor, dass wir einfach einen geschäftlichen Grund benötigen, um triftig nach Málaga zu reisen. Im November wollten wir von solchen Fisimatenten noch nichts wissen. Im neuen Jahr überlegen wir uns das ganze nochmal.

Wenn wir sowieso wegen Corona nicht weiterkommen, könnten wir ja auch in Spanien bleiben, und dort ein Geschäft mit unserem Segelboot aufziehen. Wir wär’s mit Eventreisen auf der Seestern? Team-Building? Perfekt – wir überlegen also die Grenzerfahrungs Segel GmbH in Andalusien zu gründen, wählen aber dann doch einen neutraleren spanischen Namen. Es soll die „Vela Sol S.L.“, werden, eine Sociedad Limitada mit 3000€ Stammkapital. Das Stammkapital soll als Sacheinbringung in Form der Segelyacht geleistet werden, deshalb wird man die Seestern wohl in Málaga schätzen müssen. Etwas Beratung und einen Notartermin brauchen wir auch. Unser Anwalt bestätigt uns den Termin, bringt auch in Erfahrung, dass es die Vela Sol im Handelsregister schon gibt, deshalb schwenken wir auf „Vela del Sol S.L.“ um. Unsere höchstoffiziellen Terminbestätigungen müssten ein Passierschein sein, das bestätigt auch die konsultierte Landespolizei.

Einige der Häfen, in denen wir nach einem Platz gefragt haben, wurden ganz nervös, als wir ihnen sagten, dass wir aus Ibiza kämen: „Dann dürft Ihr gar nicht kommen“. Unsere jetzige Marina hat die Frage gar nicht im Prozess. Es hat sie schlicht und ergreifend nicht interessiert, wo wir herkamen, und unsere tollen „Certificados de Desplazamiento“ wurden nicht benötigt.

PS: nach eingehender Beratung haben wir eingesehen, dass die Idee ein Schmarrn ist. Es gibt hier schon Segelanbieter in ausreichender Menge, und das Schiffen wegen eines Grundkapitals von 3.000 € schätzen zu lassen, wäre zu aufwändig. So müssen wir unseren ersten potenziellen Kunden ablehnen – als wir in Marbella anlegen, wandert ein Mann vorbei, und fragt, ob er bei uns Segeln lernen könnte. Also keine GmbH in Spanien – aber, oh well, jetzt sind wir halt in der Provinz Málaga. Kismet.

Bilder aus Ibiza (nicht Fotos)

Das Meer brennt

Anders lässt sich das Löschflugzeug ja nicht erklären. Es donnert über die Bucht von Sant Antoni, in ‚Griffweite‘ der Mastspitzen. Auf der anderen Seite der Hafenmauer landet es auf dem Wasser, saugt Löschwasser auf, zieht wieder hoch, und lässt es ein paar hundert Meter später wieder ab. Das Ganze wiederholt sich sechs Mal, ich schaffe es leider erst beim sechsten Mal Wasserablassen die Kamera (mit SD-Karte!) bereit zu halten.

Spiel mir das Lied vom Tod

„Ieeeeek – Üüüüüük – Ieeeeek Üüüüüük – Ieeeek Üüüüük“. Während ich in meiner Achterkabine liege, übt das Schiff schonmal für die Soundeffekts in „Spiel mir das Lied vom Tod“. Ursache ist der Rückdämpfer in unserer Steuerbord-Achterleine, eine massive Feder, die – wie der Name ja sagt – verhindern soll, dass bei Schaukelbewegungen das Schiff zu heftig in die Leine einruckt. Ieeeeek – Üüüüük, hört man unter Deck. Der Wind spielt also weiter mit dem Schild des Eisenbahn Haltepunktes. Das Bild passt auch im Kopf. Noch immer fühlen wir uns ein wenig in der Wüste. Auch wenn wir mittlerweile einen Plan haben, zumindest auf’s Festland zu kommen, die Weiterfahrt könnte sich von dort auch schwierig gestalten. Drei Bösewichte und Charles Bronson stehen sich gegenüber: „Sieht so aus, als hätten wir ein Pferd zu wenig mitgebracht.“ – „Nein, zwei zuviel“ Bang Bang Bang. Mal sehen, wann wir unser Pferd satteln können, und weiterkommen. Ieeeeek – Üüüüük.

Essen in Beijing

Wie im letzten Beitrag schon angedeutet – in Ibiza haben aktuell die Restaurants offen. Nur bis 17:00, und nur im Außenbereich, aber immerhin. Nach Monaten der Entsagung in München nutzen wir das. Frühstück gerne im Cafe, und um spätestens 16:00 das (Nach-) Mittagsmahl. Leider bleibt die Auswahl eingeschränkt. Die am besten bewerteten Restaurants sehen es als unter ihrer Würde, nur mittags aufzumachen (es sind eh noch wenig Touristen da) oder sind schon pleite (man sieht öfters statt einer Karte im Fenster der Hinweis ‚zu verkaufen‘), und so scheitern wir regelmäßig mit echtem spanischen Essen. Einen sehr bodenständigen Spanier, der auch recht preiswert ist, finden wir. Leider preiswert bei sehr niedrigen Preisen. Am Platz in der Stadtmitte gibt es ein offenes internationales Restaurant, welches uns schaudern lässt: Auf der Karte Curry, Pizza, Schnitzel, Tapas und Thai-Noodles. Danke, Nein. Am Ende landen wir (wie schon im November) bei einem Thailänder gegenüber der Marina. Aktuell hat er als Special „Ente nach Peking Art“. Gut, eigentlich ist es knusprig gebratene Ente, die man dann in Pfannkuchen mit Gemüse und Hoisin-Soße ist, aber dennoch recht schmackhaft. Dann Essen wir halt echte Tapas wenn im Herbst die Läden in München wieder aufmachen.

Spiel mir das Lied vom…

Die Marina hier ist schon schick – modern, sauber, gepflegte Sanitärbereiche, und tagsüber Musik. Die läuft im Sanitärbereich, und per Außenlautsprecher an jedem Steg und Müllhäuschen. Die ersten Tage eher coole Lounge-Musik, die allerdings nach einer halben Stunde eigentlich nur noch Pop-Jammern ist. Gut, dass man die nicht vom Schiff aus hört. Irgendwann hätte man Selbstmordgedanken. Heute haben sie die Playlist gewechselt. Blues Brothers, CCR und die Doors. Besser so.

Wieder an Bord

Wir haben hier in Ibiza ein sehr innovatives Konzept erlebt. Ein Lebensmittelmarkt, wo man jeweils passgenau für nur eine Mahlzeit einkaufen kann, einfach am Tisch bestellt. Der Clou: während man wartet, werden die Zutaten in einem Hinterzimmer schon kombiniert und erwärmt. Man bekommt sie dann auf einer wiederverwendbaren Keramikschale geliefert, direkt an den Tisch. Es wird vor Ort gegessen, also entfallen Plastiktüten für den Heimtransport, und die schmutzige Keramikschale wird dann für einen entsorgt und für den nächsten Einsatz vorbereitet. Angeschlossen ist auch ein Getränkemarkt, der ein analoges Konzept verfolgt. Man zahlt zwar etwas mehr, aber hat dafür auch keinen Stress, keine Arbeit und keinen Abwasch. Ich fragte die in Deutschland zurückgebliebenen, warum es dort so etwas nicht auch gibt, und erntete bissige Kommentare.*

Auch hier in Ibiza gibt es natürlich Einschränkungen: nur Außengastronomie, und nur bis 17:00. Wir gehen also um 15:30 zum Abendessen, „Ritas Cantina“ hat uns auf unserem letzten angelacht. Erst als wir per QR-Code die Karte sehen, stellen wir fest, dass es hier indonesische Spezialitäten gibt, also Bami Goreng statt Tapas. Oh well.

Die Abreise fast etwas gespenstisch. Ich bin ja früher öfters geflogen, und jetzt durch den fast ausgestorbenen Flughafen zu wackeln ist komisch. Die Läden haben zu, die überteuerte Gastronomie hat die Stühle auf den Tischen, und auch in der Lounge (Frank bekam seinen Status verlängert) bekommt man nichts zu Essen oder Trinken (gut, eine abgepackte Breze und eine Flasche Wasser, aber bitte nicht hier vor Ort essen). Beim Einchecken haben wir schon die Anmeldung für die spanische Gesundheitsbehörde vorgelegt, mit dem negativen PCR-Test, kurz vor dem Gate gibt es nochmal einen Dokumenten Check. Ein fälschungssicheres Post-It mit Stempel auf dem Personalausweis belegt meine Unbedenklichkeit. Um möglichst viel authentisches Feeling aufkommen zu lassen, werden wir wegen der Überlastung der Gates (Vorsicht Ironie) am eigentlichen Terminal in einen Bus geladen, und an die vorletzte Außenposition gefahren. Auch die Flugzeug machen also social-distancing. Die Lufthansa hat einen kleinen Regionaljet der Air Dolomiti eingesetzt, so bekommt man den Flieger auch mit 70 Passagieren gefühlt voll. Gut, da alle hier einen negativen PCR-Test benötigen, ist das Risiko wahrscheinlich wirklich gering. Der Flug nach Ibiza ereignislos, aber auch hier der Flughafen gespenstisch leer.

Die 17:00 Sperrstunde für Restaurants gilt auf Ibiza weiterhin, informiert uns die Taxi-Fahrerin, auch wenn es auf der Seite des Auswärtigen Amts nicht mehr explizit aufgeführt ist. Die magische Zeit ist vorbei, also bitten wir sie, noch kurz an der Tanke anzuhalten, zumindest ein kaltes Willkommensbier wollen wir haben. Es ist sonnig, wir genießen im Cockpit ein paar Bier, und sind positiv überrascht von dem Zustand des Schiffs. Keine Zentimeter-dicke Staubschicht, und auch im Schiff hat nichts gemüffelt, keine Hinweise, dass es irgendwo reingeregnet hat. Am meisten hat die deutsche Flagge am Besanmast gelitten, die wir wohl vergessen haben einzuholen. Etwas ausgefranst, und zwischenzeitlich eher quadratisch. Nach Sonnenuntergang wird es im T-Shirt an Deck zu kühl (jammern auf hohem Niveau, in München hagelt es), und wir vertilgen noch ein Willkommens-Wein und ein Willkommens-Rum unter Deck, bis wir um zwei Uhr morgens in die Koje gehen.

Wir haben noch ein paar Arbeiten zu erledigen, bevor’s weitergeht. Frank hat in München diverse Kunststoffteile 3D-gedruckt, jetzt ist die Stunde der Wahrheit, ob die gekrizelten Skizzen vor Verlassen des Schiffs stimmten. Auch ein paar kleine Sache wollen eingebaut werden, und eigentlich wollten wir noch einen Ölwechsel machen lassen. Aber hoffentlich geht’s spätestens Mittwoch oder Donnerstag los. Drückt uns die Daumen.

*ja, ich habe eben das Restaurant erfunden. Vielleicht zum besseren Verständnis, solltet Ihr das erst in ein paar Jahren lesen: In Deutschland war während unseres gesamten Aufenthalts die Gastronomie geschlossen; wir haben alle keine Kneipe oder Restaurant von innen gesehen.

„In Limbo“

Als wir im November nach München zurückflogen, war einer der Gründe, dass es in Ibiza mittlerweile für unsere Reise etwas perspektivlos aussah, und Perspektivlosigkeit wäre vielleicht in München besser zu ertragen. Das hat sich wohl auch bewahrheitet – in zweierlei Hinsicht: tatsächlich lässt sich die Perspektivlosigkeit in der eigenen Wohnung besser ertragen; aber perspektivlos ist es auch geblieben. Wir hatten ja gehofft, dass sich zum Weihnachtsfest und erstmal danach die verschiedenen Einschränkungen lockern würden, weil bis dahin die diversen Maßnahmen die Pandemie sicher niedergekämpft hätten (hohoho), aber auch weil wohl kein Politiker den Leuten Weihnachten und Silvester mit Freunden und Familien untersagen würde; es also vielleicht Anfang Januar noch gut möglich wäre, in Richtung Malaga weiterzusegeln. Was haben wir gelacht. Silvester in kleinster Runde, und auch danach extrem eingeschränktes Leben. Ganz neue Freizeitmöglichkeiten wurden erforscht – ein Spaziergang über die verschneiten Felder im Norden von Münchens, eine Stadtwanderung im Süden von München, leider ohne die erhoffte Leberkässemmel bei einem offenen Metzger. Wir haben beide Kontakt mit unseren Auftrag-/Arbeitgebern gehalten, ich durfte auch bei der virtuellen Weihnachtsfeier der PKF mitmachen, aber ich konnte auch nicht wirklich sinnvoll arbeiten – kein Vorwurf, ich hätte auch niemanden auf ein Projekt gesetzt, der klar sagt, dass er bei der nächsten Lockerung sofort wieder zum Segeln fliegt.

So war die Zeit tatsächlich „in Limbo“, eine im englischen übliche Redewendung, die es wohl auch in Deutsch gibt, wenn man genügend lange recherchiert. Gemeint ist der Limbus, der Vorhof zur Hölle, und im modernen Sinn ein Zustand in der Schwebe. Es hat sich bei mir herausgestellt, dass das komplette Aufräumen nicht dadurch umgesetzt wird, wenn man nur mal genug Zeit hätte, und so kann ich nur sagen: „ich habe viel geschlafen“. Am Ende waren wir fast fünf Monate in Deutschland, und damit fast doppelt so lang wie unsere Segelzeit bis dahin. Corona ist ein Riesenscheißdreck. Ich relativiere das natürlich beim Nachdenken. Ich ärgere mit über eine Unterbrechung eines Urlaubs während andere buchstäblich um ihre Existenz zittern müssen, aber emotional hat es dennoch geärgert. Als allerdings durch die Medien ging, dass die Balearen nun zum Osterurlaub wieder öffnen, haben wir Morgenluft geschnuppert, und wollten mit einem der Flieger nach Ibiza, die hauptsächlich auf dem Rückweg Münchner Osterurlauber wieder nach Hause bringen. Am 18. April haben wir dann einen günstigen Flug ergattert, und beschlossen, dass wir das jetzt einfach mal wieder probieren. Auch wenn uns vielleicht die x-te Welle in Spanien doch alle weiteren Pläne wieder kaputt macht; vielleicht können wir die Seestern zumindest in eine günstigere Pfütze überführen, die in Ibiza ist preislich mit einer 1 ½ Zimmer Wohnung in München zu vergleichen. Am Freitag der PCR Test mit negativem Ergebnis, dann mit etwas mehr Routine die Wohnung für ein paar Monate leerstehen vorbereitet, Kühlschrank wieder leergegessen und geräumt, aber da es diesmal ja kein ganzes Jahr sein soll, auch auf ein paar Maßnahmen verzichtet. Wer weiß, wann wieder zurück sind. Fingers crossed, Insh’allah.