Ab nach Hause

Mein Hotel in Shiraz ist wieder von der historischen Variante, das Niayesh Boutique Hotel. Auch hier ein zentraler Innenhof mit Gastronomie, umgeben von diversen Zimmern. Offensichtlich hatten die reichen Händler, die diese Häuser gebaut haben, selten Backpacker als Gäste – die Navigation durch die engen Treppenhäuser ist mit Gepäck eher schwierig. Wer sich an den Blog mit der Toman-Falle erinnert, weiß seit über zwei Jahren, dass mich in diesem Hotel ein in Teheran gekaufter Teppich erwarten sollte – wahrscheinlich seid Ihr seit zwei Jahren gespannt, ob das geklappt hat (Spoiler: wer seitdem bei mir war, hat ihn schon im Wohnzimmer gesehen, irgendwie muss es also geklappt haben). Aber langsam, es soll ja spannend bleiben. Gespannt wie ein Flitzebogen frage ich bei meiner Ankunft an der Rezeption, ob etwas für mich geliefert wurde. Die Suche im Büro hinter der Rezeption dauert etwas zu lange – ein Teppich als Paket versteckt sich nun mal nicht unter anderen Papieren auf dem Schreibtisch. Eine längere Telefoniererei mit Amon bringt irgendwann die Lösung: der Spediteur traute dem Hotel nicht, wollte den Teppich nicht längere Zeit da rumliegen lassen, und hat deshalb gewartet, bis ich da sei. Tatsächlich wird der Teppich noch am gleichen Abend geliefert.

Jetzt ist mein letzter Tag, in Iran, auf Reisen. Wie verbringt man den angemessen? Wie jeden, hätte ich gedacht. Es gibt doch diesen Spruch: „Lebe jeden Tag als wäre es Dein letzter“ – würde ich heute was Besonderes machen, hätte ich ja die ganze Reise davor was falsch gemacht. Für heute ist kein Fremdenführer gebucht, also schlafe ich entspannt aus, und bummele dann ein wenig durch die Stadt. Der Vorteil am länger ausschlafen ist ja allgemein, dass die Zeit bis zum Mittagessen nicht zu lang wird. Von einem anderen Traveller in Yazd habe ich mir die Seiten über Shiraz aus deren Lonely Planet abfotografiert, da es sich nicht bewährt hat, auf gut Glück ein leckeres Restaurant zu suchen. Das Ferdowsi Café wird als sehr nett beschrieben, in angenehmer Entfernung in einer nicht so touristischen Ecke. Im Reiseführer steht etwas von modern, etwas alternativ, freundlich. Tatsächlich werde ich schon beim Reinkommen namentlich begrüßt. Die drei Polen aus Yazd reisen offensichtlich auch mit Lonely Planet, und winken mich zu Ihrem Tisch. Danach noch ein wenig über den Basar, ich schnuppere in eine Moschee aus dem Reiseführer und treffe dann einen freundlichen Iraner der mir noch eine andere Moschee empfiehlt; er zeigt sie mir gerne, da er sich freut mit Fremden in Kontakt zu kommen. Meine Kamera muss ich am Eingang abgeben, aber aus zivilem Ungehorsam fotografiere ich drinnen mit dem iPhone weiter – wie die ebenfalls ungehorsamen iranischen Touristen. Offensichtlich hat für Ali ben Spiegel für diese Moschee einiges gespendet – im Innenraum ein konzentrierter schiitischer Schrein mit viel Glas, poliertem Metall und eben Spiegel. Mein spontaner Begleiter hat zwar offensichtlich nicht Geschichte studiert, aber er erzählt einiges aus dem täglichen Leben. Irgendwann muss er ‚zur Schule‘ – ich bin mir nicht ganz sicher was er dort tut, aber scheinbar weder Lehrer noch Schüler. Bei der Verabschiedung bittet er noch um Trinkgeld, und hat auch recht genaue Vorstellungen, was er denn angemessen findet. Oh well.

Dann zurück in den Innenhof des Hotels, welches angenehm ruhig ist nach der staubigen, quirligen Stadt. Dort schreibe ich ein paar Zeilen Blog (nicht diese hier), genieße mehr Doogh und Granatapfelsaft, futter noch etwas Kebab, packe meine Tasche ein letztes Mal und versuche etwas zu dösen. Ich bin durchaus etwas aufgeregt – die Reise war toll, aber jetzt will ich heim. Vielleicht ist auch Doogh und Grantapfelsaft keine ideale Mischung im Magen – es grummelt. Mein Flieger geht um 03:45, und ich bestelle ein Taxi um 01:00 zum Hotel. Natürlich war das deutlich überpuffert – Zeit genug ein anderes Taxi zu finden falls es mit dem ersten nicht klappt, Puffer wegen Stau (klar, um 01:00 morgens), Entfernung zum Flughafen (bestimmt acht km, vielleicht sogar sieben), und so stehe ich kurz nach eins vor dem Shahid Dastgheyb International Airport. Vor dem International Terminal ist ein kleiner Park indem ich rastlos umherlaufe; ich versuche erfolglos, mich mit einer iranischen Katze anzufreunden; ich probiere es mit am Brunnen sitzen.

Ich sorge mich ein wenig um mein Gepäck, und wie streng Turkish Airlines es mit Übergewicht (das vom Gepäck, nicht meines) nimmt. Nachdem ich den größten Teil des Urlaubs recht diszipliniert war, ab und an sogar etwas weggeworfen hab oder per Paket nach Hause geschickt, und meine Tasche bei freundlichen 15-17kg gehalten habe, ist die Disziplin in den letzten Tagen etwas gewichen. Ein Metallteller aus Isfahan, 2 kg Tee (aus der Geschenktüte des Großhändlers), zwei Teppiche (der Gabbeh aus Teheran und ein Kelim aus Isfahan, zusammen ca. 11kg), eine in Singapur gekaufte lange Hose für den Iran – es läppert sich. Zwar erlaubt Turkish Air 30kg (steht jedenfalls so in der Buchungsbestätigung), aber vielleicht sind sie dann ja richtig streng. Außerdem habe ich keine Waage, so packe ich alles was geht in meinen Tagesrucksack. Natürlich habe ich mich umsonst gesorgt; am Check-In-Schalter ist die Waage defekt.

Mittlerweile ist ein Bus vorgefahren, die Reisegruppe entpuppt sich als Studiosus, „Iran – Impressionen“. Ich trolle mich ins Gebäude, werde durch gestrenge Blicke von Ayatollah Chomeini im Terminal begrüßt und aus dem Iran verabschiedet. Die Passkontrolle ist freundlich und unproblematisch, aber danach hält mich ein uniformierter Beamter auf. Er stellt mir alle möglichen Fragen zu meinem Aufenthalt, ich wittere einen Politoffizier der mich über Kontakte mit Landsleuten aushorchen will. Ich passe sorgfältig auf, niemanden mit einer unbedachten Aussage zu denunzieren, und lobe das Land wo ich kann. Das freut ihn aufrichtig, er verabschiedet sich mit einem breiten Lächeln. Rückblickend war ihm wahrscheinlich einfach langweilig und er wollte plaudern, oder er hatte einen Auftrag vom Tourismus-Ministerium und sollte Feedback einholen. Die Minuten bis zum Abflug ziehen sich hin, und der Flughafen ist jetzt auch nicht wirklich aufregend. Endlich geht es weiter, der Bus steht am Gate und fährt uns zu einem Airbus der Turkish Air. Kurz nachdem die meisten Frauen an Bord des Flugzeugs sind, ist das Kopftuch verschwunden – gerade bei den Iranerinnen.

Das Flugzeug fliegt furchtbar langsam in Richtung Istanbul, auch die fünfeinhalb Stunden Aufenthalt in Istanbuls Atatürk Flughafen sind zäh, und dann noch ein ewig langer zweistündiger Flug nach München. Das Gepäckband ärgert mich und behält meine Tasche absichtlich lange, und dann muss ich auch noch den preiswerteren meiner beiden Teppiche verzollen. Überraschenderweise warten meine Eltern am Ausgang. Den Rest des Tages habe ich schon deutsch-diszipliniert durchgetaktet – das verliehene Auto hat Gerri meinen Eltern gebracht, und um 17:00 bekomme ich meine Wohnung von meinen Indern zurück.

Da bin ich wieder.

Es reicht.

Der Eintritt zu Saadis Mausoleum beträgt 150.000 Rial, wie die meisten Sehenswürdigkeiten in Shiraz. Das sind nur drei Euro, an sich nicht tragisch, aber irgendwie ärgert es mich. Es gibt einen Garten, wie er hier um jedes Monument steht, dann ein hohes Gebäude, dem Vierzig-Säulen-Palast in Isfahan nachempfunden, mit dem Sarg drinnen (ein großer Marmorblock jedenfalls, da könnte alles mögliche drunter sein). Persische Schrift schmückt die Wände, und Mehdies erzählt etwas über das Leben des großen persischen Poeten. Was genau, weiß ich nicht mehr, und so überragend ist das Mausoleum auch nicht. Ich bin irgendwie angegrantelt, und rechne im Kopf nach, ob ich noch genügend Rial habe. Basierend auf meinem Ausgabeverhalten der letzten Tage dachte ich die letzten zwei Tage mit dreißig umgetauschten Euros gut auszukommen, aber irgendwie läppert es sich. Zehn Sehenswürdigkeiten, und das Geld ist weg, und ich musste ja auch noch das Mittagessen für die Fremdenführerin und den Fahrer zahlen, und die haben sich ganz selbstverständlich die guten Kebabs gegönnt; es zahlt ja alles dieser seltsame Typ aus Deutschland. Mehdies nervt mich mit ihrer leicht gewöhnungsbedürftigen Interpretation der englischen Sprache gerade, und ich erkenne, dass man es mir wohl nicht mehr wirklich recht machen kann. Also schauen wir noch das Quran-Tor an, und dann lass ich mich ins Hotel fahren. In 35 Stunden startet mein Heimflug, und es wird auch langsam Zeit.
Die letzten beiden Tagen waren etwas nervig, aber vielleicht bin ich auch einfach nicht mehr geduldig genug. Mein offizielles Programm sieht für Montag die Fahrt nach, die Besichtigung von, und die Übernachtung in Pasargard vor, Unesco Weltkulturerbe. Einer Empfehlung von Omids Vater folgend möchte ich zwischen Yazd und Pasargard noch Taft, Abu Kuh# und Abaneh angucken, die würden auf dem Weg liegen, so habe ich mich gestern dazu entschlossen, gute fünfzig Euro für ein Privatauto hinzublättern, statt geschätzter drei Euro für einen Bus. Den Deal mit dem Auto habe ich mit Reza ausgemacht, er nimmt auch Euro, und holt mich morgens um sieben ab. Um sieben ist er zwar da, aber hat noch andere Kunden gefunden, er vertröstet mich auf einen anderen Fahrer, der bestimmt gleich da ist. Also sitze ich eine halbe Stunde in der Hotellobby rum, wer mich und mein Unwillen zu frühem Aufstehen kennt, kann sich meine Begeisterung vorstellen. Ali der Fahrer ist an sich nett, ihm wurde aber nur die Fahrt nach Pasargard angeschafft, nicht aber der kleine Umweg nach Abaneh – der würde extra kosten. Sein Englisch reicht im Gegensatz zu Rezas nicht für Verhandlungen aus, und so vertagen wir das Thema. Per Telefon nehme ich mit Mehdies Kontakt auf, damit das Treffen in Pasargard reibungslos klappt. Auch sie findet die Idee mit Abaneh bescheuert, und da mir nur empfohlen wurde dorthin zu fahren, aber nicht warum, beerdige ich die Idee. Nebenbei, so denke ich mir, entfällt so eine Nachverhandlung des Preises. Während wir an der Abzweigung nach Pasargard warten, zähle ich 55 Euros ab (2.500.000 IR / 45.000 = 55.55€). Ali rechnet nach, setzt einen anderen Kurs an, und will weitere fünf Euro. Innerlich platzt mir der Kragen, und wir warten auf Mehdies Übersetzungskünste. Es ist zwar sicher nicht Alis Schuld, aber eine halbe Stunde später als vereinbart losgefahren, Route um einen Stopp gekürzt, und jetzt noch eine leidige Diskussion um Wechselkurse – ich sehe es nicht ein.
Dann unterhalte ich mich mit Mehdies über das Programm der nächsten beiden Tage – Pasargard, Persepolis und Shiraz. Sie schlägt vor, jetzt die 100km nach Shiraz zu fahren (Dienstag wäre Feiertag, und alles zu), abends wieder zurück nach Pasargard, Dienstag dann Pasargard und Persepolis. Total bescheuert. Ich dachte, heute wäre Pasargard angesagt, und dann morgen weiter auf der Strecke über Persepolis nach Shiraz. Sie zögert ein wenig, und lenkt dann ein. Als ich die ehemalige Metropole Pasargard, Unesco Weltkulturerbe, dann sehe, begreife ich das Problem. Hier gibt es das Grab von Cyrus dem Großen (Einfamilienhaus-groß, zehn Minuten, fünf Fotos), die Reste eines Palastes (fünf Säulen, zehn Minuten, zehn Fotos weil man ein wenig mit anderen Perspektiven bei den Säulen spielt) und ein Hügel mit den Grundmauern eines anderen Palastes (zwanzig Minuten, mit wohlwollend langsamen Erklimmen). Danach muss man Hobbyarchäologe sein, um hier glücklich zu werden, alles andere wurde vor 1400 Jahren von den bösen Arabern zerstört. Nur durch eine List der Perser wurde das Grab verschont – man erzählte den Arabern dass es das Grab von Solomons Mutter wäre, und das wollte sie nicht schänden. Noch fünf Stunden Tageslicht, und nix mehr zu sehen – ich rufe die Reiseagentur an, die ändert zügig meine Hotelreservierung von Pasargard auf Persepolis, und das Problem ist gelöst.

Auf dem Weg nach Persepolis halten wir noch an den Felsengräber einiger Könige in Naqsch-e Rostam mit dem ‚Würfel des Zarathustra‘ dessen Zweck allerdings nicht wirklich bekannt ist; und dann geht’s in das kurzfristig  arrangierte Hotel, welches sich als etwas verlassene Feriensiedlung an einer Allee nach Persepolis entpuppt. Aber mei, der Bungalow ist sauber, und ich treffe einen Schweizer, der hier mit dem Motorrad unterwegs ist, mit dem schwätze ich ein wenig, aber er ist recht müde, und so mache ich einen ruhigen Abend in dem eher reizarmen Umfeld. Immerhin, kein FOMA. Der Begriff stammt von Caroline, und ist eine wichtige Triebfeder beim Reisen – fear of missing out. Wegen FOMA zieht man abends mit anderen Travellers durch Restaurants und Bars, obwohl man eigentlich mal wieder seine Ruhe haben will. Es schiebt einen auch noch in den nächsten Tempel, obwohl man schon ein wenig ‚templed out‘ ist. Häufig ist ja zu erwarten, dass man hier nie wieder hinkommen wird, und will ja nix verpassen.

Persepolis war eine Hauptstadt des antiken Perserreiches, was recht schlüssig erscheint; der Name stammt aus dem Griechischen und bedeutet eben ‚Stadt der Perser‘. Deutlich vor Christus erbaut, wurde sie weniger deutlich vor Christus von Alexander dem Großen zerstört, der damit der zukünftigen Tourismusindustrie einen Bärendienst erwies – nicht auszumalen wie toll das hier wäre, wenn noch alles intakt wäre. So sieht man reihenweise Fundamente, ein paar Säulen und viele Reliefs. Interessant ist auch die Rolle von Persepolis in der Zeit vor der iranischen Revolution – 1971 feierte der Schah (=König) das 2500-jährige Bestehen der Monarchie in Persien. Er hoffte so ein wenig seine eigene Herrschaft zu legitimieren, durchaus ein valides Anliegen für einen König, dessen Vater aus einfachsten Verhältnissen stammte. Er ließ vor den Ruinen eine luxuriöse Zeltstadt in einer Parklandschaft für die geladenen Staatsgäste errichten; auch diese Zeltstadt ist nur noch in Ruinen erhalten – in dem Park stehen dafür nun einige Pavillons, die Souvenirs an Touristen verkaufen. Wir verbringen einen langen Vormittag in Persepolis, und dann geht’s weiter nach in die Provinzhauptstadt Shiraz.

Shiraz kannte ich bislang hauptsächlich in Flaschen, und ich fand Shiraz immer gut. Offensichtlich hat die Stadt aber nicht wirklich viel mit der Rebsorte zu tun, schade eigentlich. Berühmt ist die Stadt wegen ihrer Gartenkultur, so zählt der Bāgh-e Eram Garten mit eingebautem Palast zu den großen Sehenswürdigkeiten. Auch die Zitadelle des Karim Khan in der Stadtmitte, und natürlich die Mausoleen der berühmten persischen Dichter, für je 150.000 Rial zu besichtigen.

Isfahan, und mein Konflikt mit der iranischen Armee

Nach Kashan kommt auf meiner Route Isfahan, wo einst der Medicus wirkte. Das Reisebüro hat für die Strecke vorgeschlagen, ein Taxi zu nehmen, da könne man einen Abstecher nach Abyaneh (ابیانه) machen, eines der ältesten Dörfer im Iran. Mein Fahrer ist genau das – als Reiseführer wurde er offensichtlich nicht angestellt. Er versteht und spricht rudimentäres Englisch, und gestikuliert formvollendet. So kommen wir auf dem Weg nach Abyaneh in Natanz vorbei – bekannt aus Film, Funk und Fernsehen als eines der Atomzentren des Landes. Tatsächlich ist neben der Straße ein größerer Komplex, der gut bewacht aussieht. An den Ecken recken wehrhaft Flugabwehrgeschütze ihre Kanonenrohre gen Himmel. Wie genau die gegen den wahrscheinlichsten Angriff mit einem tieffliegenden Cruise-Missile schützen sollen, ist mir zwar schleierhaft, aber immerhin kapiert so jeder, dass hier was Wichtiges und Geheimes ist. Ich verstehe auch ohne das Gestikulieren meines Fahrers, dass fotografieren hier wahrscheinlich nicht gut kommt.

In Abyaneh angekommen, kümmert sich der Fahrer um das Auto (bewacht es von einem nahen Teestand aus), und lässt mich auf eigene Faust durch das Dorf wandern. So ist die Tour nicht besonders fundiert, aber durch strategisches Folgen anderer Touristen bekomme ich einiges mit. Die meist aus Lehm gebauten Häuser sehen wirklich antik und historisch aus, auch wenn sie es eigentlich nicht mehr sind – ohne ständige Erneuerung wären sie nach ein paar Jahren mit genügend Regen einfach weggespült. Ein Abgleich mit dem Wikipedia-Eintrag zeigt zwar, dass ich offensichtlich nicht alle Sehenswürdigkeiten registriert habe, aber ich finde sowieso die kleineren Details interessanter. An kunstvoll verzierten Holztüren gibt es getrennt Klopfer für Sie und Ihn. Der kleinere Klopfer macht Tack-Tack-Tack und kündigt unwichtigere Besucher an, um die sich auch die Frau kümmern kann. Der massivere Klopfer mit seinem Bum-Bum-Bum zeigt an, dass es wirklich wichtiger Besuch ist, und der Chef vonnöten ist.

Es folgt der zweite Teil der Fahrt nach Isfahan, die sich als durchaus moderne Metropole entpuppt. Den Nachmittag habe ich ‚zur freien Verfügung‘. Witzig, die Formulierung – eigentlich war ja die ganze Reise frei verfügt. Jedenfalls beschließe ich, dass ich mir mal wieder die Haare schneiden lassen muss. In einer guten Woche bin ich in Deutschland auf einer Hochzeit eingeladen, da muss ich präsentabel sein, und irgendwie hat der Frisörbesuch im Urlaub bei mir Tradition. Außerdem – zur Gepäckminimierung habe ich meinen Bartpflegegerät und dessen Ladegerät nicht mit, zwischendrin rasierte ich mal wieder alles ab, aber vor der Reise in dieses streng muslimische Land habe ich den Bart fünf Wochen wachsen lassen. Ich dachte mit diesem nunmehr recht rauschigen Bart besser in die Landschaft zu passen. Tatsächlich sind aber die meisten Iraner glatt rasiert, oder tragen maximal einen Dreitagebart – wahrscheinlich halten die mich für einen Radikalen. Auch darum soll sich der Haar-Handwerker kümmern.

Beim Streifzug durch die Stadt sind mir an vielen Straßen an den Laternen oder ähnlich exponiert Fotos von Männern aufgefallen. Sie sehen allesamt wie Fahndungsfotos aus, aber ich schätze, Verbrecher werden seltener von der Nationalfahne eingerahmt dargestellt. Meine Einschätzung, dass hier Märtyrer geehrt werden, passt zu ein paar anderen Eindrücken. So komme ich an einem mit hohen Mauern umgebenen Komplex vorbei, wo ein aufwendiger Poster meine Aufmerksamkeit erregt. Ein buntes Schaubild gibt Auskunft über den heldenhaften Kampf der Iraner gegen die feigen Hunde der von den Imperialisten unterstützen Irakern (1980-1988) – damals waren Saddam Hussein und die Amerikaner noch große Buddys. Eine Karte stellt die wichtigsten Kampfgebiete dar, durchgestrichene irakische Panzer signalisieren militärische Erfolge, und auch andere Insignien passen zu den Fahndungsfotos an den Laternen. Solch aufdringliche Propaganda sind wir gar nicht mehr gewohnt, und fasziniert knipse ich den Poster. Kurz nach dem Foto macht es Klick, und ein Tor in der hohen Mauer geht auf. Ein junger Mann in Uniform weist mich freundlich darauf hin, dass fotografieren hier verboten sei. Ich versuche, ihn in Zeichensprache davon zu überzeugen, dass das doch ‚öffentliche Propaganda‘ ist, und es eigentlich im Sinne des Propagandisten sein müsste, wenn ich sie auf diese Weise weiterverbreite. Der junge Mann bleibt ebenso freundlich wie bestimmt – ich möge bitte das Foto löschen. Als ich auf den Knopf mit dem kleinen Papierkorb auf der Kamera drücke, ist er zufrieden, schüttelt mir die Hand und verschwindet wieder hinter dem Tor.

Am nächsten Morgen holt mich Mahmoud am Hotel ab, um mir Isfahan offiziell zu zeigen. Wie in den anderen Städten habe ich meine mangelnde Vorbereitung dadurch kompensiert, mir für einen Tag einen Stadtführer mit zwei Ohren zu nehmen, das iranische Reisebüro berechnet pro Tag 50€. Mahmoud ist pensionierter Lehrer, spricht exzellent deutsch, und weiß alles über Isfahan. Gemeinsam machen wir einen Plan, was ich mit ihm ansehen werde, und was ich am nächsten Tag auf eigene Faust angucken kann. So führt er mich auf den beeindruckenden Meidān-e Emām. Das bedeutet ‚Platz des Imam‘, doch der seit der Revolution vergebene Name scheint so beliebt zu sein wie der ‚Karlsplatz‘ in München. Da es an dem Platz aber kein bekanntes Wirtshaus gibt (‚Stachus‘, wie Münchner den Karlsplatz nennen, kommt von dem Wirtshaus des EuSTACHiUS Föderl, welches an eben diesem Platz war), verwenden die Einwohner einfach den alten Namen: ميدان نقش جهان. Der Platz zählt zu den größten der Welt, und ist rundherum von einer einheitlichen Arkatur eingefasst, die auch Moscheen, Paläste und einen Basar einbindet. Die Bauwerke sind atemberaubend, sowohl vom Gesamteindruck als auch von allen Details. Ich befürchte schon beim Fotografieren, dass sich das schwer vermitteln lässt. Aber auch hier sind es die kleineren Details und Ankedoten, die mir Spaß machen. Der Platz ist annähernd in Nord-Süd Richtung orientiert, Moscheen werden aber auf Mekka ausgerichtet, und das ist in Isfahan nach Südwesten. So müssen die Eingangspforten versuchen, klare Symmetrien gegenüber dem Platz darzustellen, und dann einen unauffälligen 45° Knick auf die ebenfalls streng symmetrische Moschee zu leisten. Am Eingang zur Jame Abbasi Moschee steht ein freundlicher Herr, und bittet ein iranisches Mädchen, vor dem Betreten ihre Haare etwas mehr zu bedecken (Isfahan folgt wieder der Teheraner Mode mit lockeren Kopftüchern). Mahmoud weist mich auf die Verzierungen der Säulen links und rechts eines Tors hin – sie sehen auf den ersten Blick identisch aus, aber bei genauerem Hingucken findet man kleine Unterschiede. Das liegt daran, dass nur Allah perfektes Schaffen kann, und der Mensch soll sich dieses nicht anmaßen. In einer Ecke sind Handwerker gerade damit beschäftigt, einige der Mosaikfliesen auszutauschen. Dabei werden unterschiedlich farbige Fliesen in kleine Stücke geklopft, bis sie genau in die Aussparungen einer ‚Rahmenfliese‘ passen. Offensichtlich ein anstrengendes Unterfangen, denn gerade machen die meisten Pause – und sie haben noch einiges vor sich, Wikipedia schreibt etwas von 472.500 Kacheln. In einem anderen Innenhof wächst ein Obst- oder Nussbaum, mit annähernd reifen Früchten. Eine Gruppe von Studentinnen vergisst kurz, sich mit hinreichendem Ernst dem religiösen Studium zu widmen, und wirft lachend Stecken in den Baum, um die Früchte zu ernten. Da wird mir wieder bewusst, dass zwar auf einigen hier ‚Islamische Republik‘ draufsteht, aber einfach Menschen drin sind.

Mit Mahmoud besichtige ich noch einen etwas mondäneren Palast, wir streifen einen Basar und eine Synagoge, und am Ende bitte ich ihn noch, mich zum Teppichhändler seines Vertrauens zu führen – ich habe Appetit bekommen, und vielleicht finde ich ja noch einen witzigen Kelim. Dann bekomme ich eine to-do Liste an selbst zu besichtigen Sehenswürdigkeiten, und darf wieder in mein Hotel; modern-langweilig, aber immerhin mit Blick auf den Fluss, den ich nun besuche. Isfahan liegt an dem Zayandeh Rud, das bedeutet lebensspendender Fluss, ein breiter stattlicher Fluss, der von mehreren historischen Brücken überspannt wird. So weit die Theorie. Praktisch braucht es gerade viel Phantasie, um sich den Fluss vorzustellen, das Flussbett ist knochentrocken; man kann die historischen Brücken auch aus sonst ungewöhnlichen Perspektiven angucken. Ein paar Tretboote verstauben dort, wo sie eigentlich dümpeln sollten. Dennoch sind die Brücken und der Park am Ufer beliebt – Picknicks und Ballspiele, kichernde Mädchen und ausgelassene Stimmung herrschen vor. Abends treffe ich im Hotel wieder die Holländer, mit denen ich schon am Abend zuvor ein Restaurant gesucht habe, und wir machen uns auf in die nächste Touristenfalle (Kulinarisch hat mich der Iran bislang nicht besonders begeistert, viel Hackfleisch auf Spießen).

Für den nächsten Tag hat mich der Licht-Großhändler auf eine seiner Kundenveranstaltungen eingeladen. In einem nach traditionellen Vorbild gebautem Haus (aber durchaus modern, mit Schwimmbad und Sauna im Keller) gibt es eine Lunchparty für Kunden aus der Gegend, und ich – der ja auch aus der Lichtindustrie kommt – darf als exotische Garnierung mit. Ich schätze 100 Teilnehmer, davon trauen sich drei Englisch zu sprechen. Einer davon ist Babak, ungefähr 24 Jahre alt, studiert Englisch. Ganz schüchtern fragt er, ob er sich mit mir unterhalten dürfte. Er darf. Die Veranstaltung ist witzig – lauter lokale Wiederverkäufer sitzen an verschiedenen Tisch und reden, worüber, dass erschließt sich mir natürlich nicht. Zwischendrin ein reichhaltiges Buffet und eine kurze Ansprache des Großhändlers, der mich offensichtlich auch vorstellt – ich bekomme Szenenapplaus, für’s dasitzen. Eigentlich wie einige andere Veranstaltungen, auf denen ich in meinem Leben war, aber irgendwie auch nicht. Mich irritiert, dass alle Tee oder einen eher wässrigen Orangensaft trinken. Mich irritiert, dass mich das irritiert – wie sehr Alkohol in meinem Kulturkreis zu einem geselligen Beisammensein gehört wird mir da wieder bewusst. Als sich die Feier so gegen 14:00 zum Ende neigt, verabrede ich mich für den Abend mit Babak – er freut sich Englisch üben zu können, ich freue mich, eher ungefilterte Informationen über das Land erfragen zu könnnen.

Die Zeit bis dahin verbringe ich mit einem Besuch der Vank Kathedrale, ein To-Do von Mahmoud. Eine christlich-orthodoxe Kirche der armenischen Gemeinde, komplett mit Genozid-Museum über die bösen Türken. Ich bekomme das Gefühl, dass es den Iranern ein großes Anliegen ist, ihre große Weltoffenheit gegenüber anderen Religionen zu zeigen, jedenfalls meinen Iranern – Synagogen, Kirchen, Tempel der Zoroastrier – alles da. Am Abend treffe ich dann Babak, der im Elektroladen seiner Familie arbeitet, und wir schlendern durch die Parks am Flussbett. Unserer gegenseitigen Interessenslage entsprechend bewegt er sich auf seiner Englisch-Lernkurve weiter indem er über seine Träume, seine Gedanken über Frauen und zB Treue vor der Ehe erzählt. Auch er kennt keine guten, authentischen Restaurants; wieder Fast-Food Chicken.

Am nächsten Morgen geht es weiter nach Yazd, 250km östlich. Diesmal habe die Busfahrkarte über die Hotelrezeption bestellt, ich habe also einen Direktbus in die Stadt. Gut, nicht in die Stadt, sondern an den modernen Busbahnhof in einem Vorort, ca. 5 km vom Zentrum entfernt. Also auch wieder ein Taxi. Yazd ist berühmt als Zentrum der zoroastrischen Religion, diverse Tempel und die Türme des Schweigens für Himmelsbestattungen gilt es zu besichtigen. Außerdem gibt es hier noch mehr Windtürme als im restlichen Iran, und natürlich wieder ein paar Moscheen. In Yazd habe ich auch wieder ein eher historisches Hotel, malerisch in der lehmgeprägten Altstadt gelegen. Da die Moscheen zwar weiterhin beeindrucken sind, ein bisserl wiederholen sie sich schon. Kunstvolle Mosaiken, check. Minarette, check. Zwiebelförmige Kuppel, check. Gebetsteppiche, check. Ich ziehe mit Ronja und Miles aus dem Hotel weiter, wir finden ein Restaurant und nehmen ein paar Erfrischungsgetränke zu uns. Als der Besitzer erfährt, dass wir aus Deutschland sind, äußert er sich wohlwollend über Adolf den Überflüssigen. Wir schütteln den Kopf und schlürfen weiter an unseren Getränken – mittlerweile habe ich hier einiges gefunden, welches echt lecker und erfrischend ist. Da ist zum einen Doogh, die iranische Variante von Ayran, also eine eher wässrige Buttermilch. Zum anderen gibt es hier überall Granatapfelsaft, pur, nicht mit Zucker und anderen Säften verschnitten. Wenn man den trinkt, zieht es einem alles zusammen – herrlich.

Mit dem Stadtführer verbringe ich den nächsten Tag mit Besichtigungen. Die Zoroastrier glauben unter anderem an die Heiligkeit der Erde, Leichen darin zu bestatten würde sie verunreinigen. Deshalb gibt es vor den Toren der Stadt die Türme des Schweigens – hier wurden Leichen abgelegt, um von Wettereinflüssen und Vögeln bis auf die Knochen vertilgt zu werden. Opa wurde also an die Geier verfüttert. Seit 1970 werden die Türme des Schweigens nicht mehr für ihren ursprünglichen Zweck verwendet – Hygienevorschriften wurde erlassen, die auch vermeiden sollten, dass Raubvögel Leichenteile über der näher gekommenen Stadt fallen lassen. Im Stadtzentrum gibt es einen Tempel mit einer ewigen Flamme. Wie üblich frage ich mich – ähnlich wie beim olympischen Feuer – wie oft wohl der Hausmeister verstohlen sein Feuerzeug genutzt hat, wenn mal kurz das Gas weg war. Für den Abend bin ich auf eine seltsame Veranstaltung gestoßen, eine Art Kampftechnik Darbietung. Wie Ringer gewandete Männer brüllen, schwingen Keulen, stampfen auf. Es erinnert mich an einen neuseeländischen Haka, Vorbereitung auf den ultimativen Kampf, aber dieser Kampf… fehlt. Plötzlich ist es vorbei. Etwas verwirrt gehe ich mit drei jungen Polen aus meinem Hotel eine Shisha rauchen. Alle waren wir schon viel unterwegs, und mich überkommt eine Melancholie, dass meine Reise bald zu Ende ist.

Endstation Verwirrung

„Du da! Raus aus dem Bus!“ Auch wenn ich kein Farsi spreche, so bin ich mir doch sicher, dass genau dieses die an mich gerichtete Aufforderung ist. Wir stehen schon länger an dieser Mautstation, mitten in der Wüste zwischen Teheran und Isfahan, deswegen trifft mich das Ansinnen jetzt überraschend – ich werfe Laptop, Handy und Kamera in meinen Rucksack und stolpere aus dem Bus. Ich bekomme meine Reisetasche in die Hand gedrückt, und verstehe nur Bahnhof. Allerdings verstehe ich auch, dass das nicht der Busbahnhof ist. Ich hatte schon in Teheran leichte Zweifel, dass das glatt gehen würde. Amon hatte mir angeboten, mich zum Busbahnhof zu begleiten, aber ich hatte zur Wahrung meines Stolzes abgelehnt – Ein Busticket kaufen werde ich wohl hinbekommen. So fragte ich am Busbahnhof in der Argantin-Square einen Verkäufer der Tickets nach Isfahan anpries nach dem Bus nach Kashan. Ja genau, der hier, nickt er erfreut, und gibt mir zu verstehen, dass der Bus auf dem Weg nach Isfahan halt in Kashan anhält, das wäre auf dem Weg. Ich kaufe das Ticket, der Verkäufer beruhigt den verwirrt dreinblickenden Busfahrer als ich ‚Kashan‘ wiederhole, und ich nehme meinen Platz ein. Sicherheitshalber frage ich einen adrett gekleideten Perser im Bus, ob das stimmen könnte, und er bestätigt – der Bus hält in Kashan. In Kashan werde ich von einem Fremdenführer betreut werden, und ich denke, es ist am besten, wenn sich der Busbegleiter (die gibt’s auch hier) und er kurzschließen, dass mich Badshah zur richtigen Zeit am richtigen Ort abholen kann. Ich gebe dem Begleiter mein Telefon, er bellt kurz etwas hinein, legt auf, und gibt mir das Telefon zurück, als wäre es ein alter, toter Fisch. Offensichtlich sind meine Sorgen total unbegründet, allen anderen ist klar, wo der Bus hält. Etwas später im Bus kommt der Begleiter aber doch zu mir, und fragt mich etwas. Ich verstehe ihn nicht, und so kritzelt er etwas auf einen Zettel. Dummerweise bin ich nicht nur taub für persisch, sondern auch blind – geschrieben hilft es mir auch nicht. Ich wähle wieder Badshahs Nummer, und die beiden reden etwas länger miteinander. Eine halbe Stunde später ruft Badshah an, und will nochmal mit dem Begleiter reden. Jetzt ist alles klar, denke ich, und bleibe weitere zwanzig Minute in diesem Glauben, eben bis zu der Mautstelle zehn Kilometer außerhalb von Kashan. Hier schaut mich ein Verkehrspolizist belustigt an, als hinter mir der Bus wieder anfährt. Ich suche mir etwas Schatten, um in Ruhe nachzudenken, da kommt mir ein Mann entgegen. „Mr. Christian?“ Badshah schimpft mich ein wenig, warum ich nicht den Bus NACH Kashan nehme, das wäre doch viel einfacher gewesen, und ich schäme mich ein wenig. Er zeigt mir dennoch den Fin-Garten, ein alten Hamam, zwei historische Häuser reicher Geschäftsleute und eine sehenswerte Moschee mit Koranschule. Allerdings ist er nicht so motiviert wie meine Reiseführer in Teheran. Er erklärt etwas, zeigt mir ein paar Ecken, teilt mir dann zwanzig Minuten zu, um alles zu fotografieren, und verzupft sich auf einen Schwatz mit dem Ticketverkäufer.

Während ich in Teheran einfach ein normales Hotel hatte, der 3-4 Sterne Kategorie, hat mein Reisebüro in Kashan meinen Auftrag ‚einfachere, lokale‘ Hotels vorbildlich in die Tat umgesetzt. Aus einem eher historischem Haus in der Altstadt wurde ein Hostel/Hotel eingerichtet. Vom Aufbau sehr ähnlich wie die zuvor besichtigten historischen Häusern reicher Geschäftsleute, nur dass die Erbauer dieses Hauses wohl nicht so reich waren – so fehlen halt die reichhaltigen Verzierungen. Es ist dem älteren Aufbau geschuldet, dass mein Zimmer kein eigenes Bad hat, aber immerhin bleibt es so von geführten Touristengruppen verschont. Ein Geheimtipp ist es offensichtlich aber auch nicht mehr, deshalb finden sich einige Traveller, die auf den authentisch anmutenden Sofas im Innenhof herumsitzen. Ich sehe sogar eine Chinesin – ohne Kopftuch! Die ‚Sofas‘ sind zwei mal zwei Meter große Holzplattformen, die mit einem weichen Teppich und einigen Kissen ausgelegt sind. Natürlich zieht man zur Nutzung die Schuhe aus, so erfreut man sich an Mitreisenden, die den ganzen Tag in solidem Schuhwerk unterwegs waren.

Azita, meine Reiseführerin aus Teheran, studiert in Kashan. Als sie bei unserer Tour meine Route durch den Iran erfährt, hatte sie sofort vorgeschlagen, dass wir uns ja dort treffen könnten. Ein Date?!? Per Telefon und SMS verabreden wir uns an einem zentralen Platz in der Stadt. Ich mache mich zu früh auf die Socken – der Platz ist am Ende viel näher als ich dachte – und so schlendere ich gemütlich durch die Straßen. Kashan wurde mir als konservativere und religiösere Stadt beschrieben, und sie ist tatsächlich von den Vibes anders als Teheran. Neben der Gasse zu meinem Hotel ist eine Institution, von der ich später erfahre, dass es eine ‚Kaderschule‘ ist. Auf den zwei Stufen zum Eingang ist eine amerikanische und eine israelische Fahne aufgemalt. So werden sie von jedem Schüler mindestens zweimal täglich mit Füßen getreten. Tatsächlich sehen die beiden Fahnen recht traurig aus, aber das liegt eher daran, dass die Farbe nicht besonders abriebfest ist. Wie oft muss sie wohl erneuert werden, um täglich geschmäht zu werden? Der Gedanke verselbstständigt sich – es muss jemanden im Iran geben, der in größeren Stückzahl die Fahnen der Erzfeinde aufmalt oder auch näht, nur damit man etwas hat, was man in einem inszenierten Wutanfall verbrennen kann. Und wo bekommen die Wutbürger die Fahnen her? Gibt es einen Laden mit ‚Demonstrationszubehör‘?
Auf dem zentralen König Kamal Platz – ميدان كمال الملك warte ich ein wenig, eine halbe Stunde wegen meiner schlechten Zeitplanung und weitere 15 Minuten wegen Azitas schlechter Zeitplanung. Das Straßenbild ist hier anders als in Teheran, und es liegt hauptsächlich an den Frauen. Die Teheraner Hidschab-Mode hat hier noch nicht richtig eingeschlagen – die meisten Frauen tragen hier einen schwarzen Tschador, eng an das Gesicht anliegend. (Begriffsklärung: Hidschab: die Verhüllung im allgemeineren, also auch als Kopftuch. Tschador: großer Umhang {in Wikipedia findet sich, dass die Übersetzung eigentlich ‚Zelt‘ sei}, Niqab: bedeckt noch Nase und Mund, Burka: kompletter Schleier. Weder Niqab noch Burka sind im Iran üblich.) Ich sehe auf dem belebten Platz in 45 Minuten nur sieben Frauen im entspannten Kopftuch, die Siebte ist mein Date.

Azita geht mit mir durch den Bazaar, und danach durch ein paar verwinkelte Ecken der Altstadt. An einem Gebäude weist sie mich auch den offensichtlichen Davidstern an einer Tür hin. Ich bin überrascht, die mögen sich doch nicht, dachte ich, also so gar nicht, dachte ich. Aber nein – mir wird erklärt dass der offizielle Hass des Staates nicht der Religion gilt, sondern nur dem zionistischen Drängen des Staates Israel und anderer Imperialisten. Tatsächlich werde ich auch in anderen Städten auf Synagogen und andere Spuren des Judentums hingewiesen. Wir landen dann in einem Restaurant (wieder in einem historischen Innenhof) und trinken ein paar süße, alkoholfreie Getränke, man stelle sich etwas Holundersirup in stillem Wasser vor. Cocktails fände ich zwar passender für Begleitung und Anlass, aber ich will ja flexibel sein.

Die Getränke sind auch nicht das interessante an dem Abend. Ich bin neugierig, Azita auskunftsfreudig, und so erfahre ich einiges mehr über Lebensrealitäten in der Islamischen Republik Iran. Eine Anekdote dreht sich um das Studentenwohnheim, in welchem sie an der Universität wohnt. Dort wohnen nur Frauen, klar. Als alleinstehende Frau erst nach 21:00 heimzukommen wird sehr ungern gesehen, weswegen wir den Abend leider auch um 20:30 beenden müssen. Als sie mal – von Teheran kommend – erst nach neun Uhr Einlass begehrte war der Pförtner schockiert. Ob ihr Vater wüsste, dass sie sich so spät alleine rumtreibt? Ja, das wüsste er. Er (der Pförtner), glaubt das nicht, er müsse den Vater anrufen, schließlich gäbe es eine kollektive Verantwortung für die Sittlichkeit auch einer 30-jährigen Frau. Im Laufe des Telefonats und Diskussion kommt dann noch raus, dass Azita gar nicht mehr bei den Eltern wohnt, obwohl sie nicht verheiratet ist, und ihr Vater dem zugestimmt hat – der Verfall der Sitten ist allgegenwärtig. Als die Zeit des Abschieds naht, packt Azita ein zweites, erheblich züchtigeres, Kopftuch aus ihrer Tasche und nimmt ein Taxi zum Wohnheim; ich schlendere wieder in mein Hotel. Dort findet sich noch eine bunte Gruppe, die auch Hunger hat, und wir ziehen in die Stadt, um kein Restaurant zu finden. Nachdem wir länger durch die Stadt laufen, ohne was Vernünftiges zu finden, landen wir in einem Fast-Food-Hühnchen-Laden. Ich hätte Azita auch dafür nach einem Tipp fragen sollen.

Die Toman-Falle, und andere Tücken des Landes

Die iranische Währung ist der Rial. Für einen Euro bekommt man auf der Straße 44.000 Rial, beim Teppichhändler 45.000 Rial (die dann aber gleich wieder weg sind, dafür hat man einen Teppich). Leider verwenden die meisten Iraner keine Rial. Also die Scheine, die schon, aber zum Rechnen leider nicht. Gemerkt habe ich das wir folgt: Ein Café in Teheran bietet frisch gepressten Orangensaft für 7.000, also umgerechnet 0,15€. Cool, denke ich mir und bestelle gleich einen zweiten als ich sehe dass er tatsächlich frisch für mich zubereitet wird. Auch das andere Verzehrte habe ich mir gemerkt, mitgerechnet, und bin total stolz als ich das abgezählte Geld sofort bereit habe. Der Inhaber schaut mich mit einer Mischung aus Entgeisterung und Beleidigung an. Er will das Zehnfache. Jetzt bin ich verwirrt. Man kommt mir zur Hilfe: Die Preise sind nicht in Rial ausgewiesen, sondern in Toman. Ein Toman sind zehn Rial. In 95% aller Fälle wird in Iran über Toman gesprochen, nur seltenst in Rial. Ah ha. Ich frage ab dann jeden Fremdenführer, aber keiner mir erklären warum das so ist. Vielleicht, weil: die Preise sehen geringer aus. Das würden sie auch, und noch mehr, wenn man drei Nullen fallen lassen würde, entgegne ich. Hm, stimmt. Egal. Es wird noch bunter. Je nach Kontext kann ein Toman auch 10.000 oder auch 10 Millionen Rial bedeuten. Mein Teppich soll später einmal 1,25 Toman kosten. Irgendwann einmal ignoriert man die ganzen Nullen, hat ein Gefühl für die Größenordnung, tippt im Taschenrechner 1,25 geteilt durch 45 ein und erkennt, das 0,0277777 in diesem Fall ca. 280€ oder 5.600 Groschen sind. Weiter kompliziert wird das Thema dadurch, dass viele Iraner nicht rechnen können, eine schlechte englische Aussprache haben, und allgemein nicht immer Englisch können. So will ein Angestellter für die Mahlzeit ‚Sixtyn‘. Ich frage nach: „Six Zero?“ Der Iraner freut sich, dass er nur bestätigen muss, und nickt begeistert. Als ich dann aber 60.000 Rial hinlege, zückt er aber doch einen Taschenrechner und tippt 160.000, welches also sixteen Toman waren. Einer meiner Fremdenführer rechnet 6.000 Toman mal flugs in 600 Rial um und sagt zu 130.000 ‚three hundred‘. Praktischerweise erklären einem viele Händler den gewünschten Preis, indem sie aus ihrem Bündelgeldscheine den gewünschten Betrag abzählen, und einem zeigen, ob man das jetzt im Kopf als Rial oder Toman betrachtet ist dann egal. Immerhin scheint es eine Planung für eine Währungsreform schon zu geben. Der 500.000 Rial ‚Cheque‘ der Nationalbank trägt auf einer Seite eine simple ’50‘.
Am Anfang meiner Reise in Istanbul habe ich mich noch über den Teppichkauf geäußert, als ob dieses für mich nie in Frage käme. Mittlerweile habe ich meine Meinung geändert – nirgendwo sollen Teppiche so beheimatet sein wie in Persien. Bei Karin und Ramsi in Berlin habe ich auch einige gesehen, die mir wirklich gut gefallen – mal sehen ob ich hier fündig werde. In den Wochen zuvor erfolgte eine intensive e-mail Beratung, und jetzt – gleichsam in der Höhle des Löwen – beginnt der Ernstfall. Ich beginne mit meiner lokalen Erkundung im Teppich-Museum von Teheran. Hier gibt es bestimmt einen guten Überblick, ich kann ein paar fotografieren, die mir gut gefallen, und sie später dem Händler zeigen. Ich werde entäuscht. Die Teppiche im Museum sind edel gearbeitet, aus hochwertigsten Materialien wie Seide und der Nackenwolle von bei Neumond geschorenen Merinoschafen, oder so ähnlich. Aber mir gefällt eigentlich keiner wirklich gut, sie haben alle traditionelle Designs, mit einem ‚Medallion‘ in der Mitte, oder einem ‚Gebetsfenster‘. Halt klassische Perserteppiche, und nicht mein Fall. Ich suche nach den weitaus primitiveren Mustern, wie sie Gabbehs und Kelims haben. Ich frage einen Museumswächter, er schaut mich verächtlich an – eine Reaktion, die mir in den nächsten Tagen noch öfters begegnet. Die meisten Iraner finden die einfachen Muster zu grob, nicht kunstfertig genug – warum will ich gerade so etwas? So mache ich ein paar Bilder als Negativ-Muster: so nicht. Mittags besuche ich das Reisebüro, bei dem ich die Reise gebucht habe, und spreche mit Maryam, meiner persönlichen Organisatorin – wir vereinbaren das Programm für die nächsten Tage, und klären noch ein paar Fragen, die per e-mail zu nervig gewesen wären. Am Nachmittag holt mich Amon, ein Freund meines Ex-Kollegen, ab und wir machen eine kleine Bustour durch Teheran, zu einem Basaar im Norden der Stadt. Dort bummeln wir ein wenig umher, Amon kauft ein paar Gurken, und wir fahren zu ihm, essen Salat und Brot. Amon hat vor der Revolution in Deutschland Automechaniker gelernt, und spricht perfekt deutsch. Abends gucken wir noch etwas ZDF, er ist sichtbar stolz darauf, mir diesen Geschmack der Heimat bieten zu können. Dabei habe ich deutsches Fernsehen gar nicht so sehr vermisst. Von seiner Wohnung hat man einen genialen Blick auf die Stadt, die sich nunmehr in ein Lichtermeer wandelt. Ich bin vom Schlafmangel des Vortages noch etwas groggy, um zehn treibt es mich ins Hotel zurück. Amon besteht darauf, mich heimzufahren – offensichtlich traut er mir die Navigation im Teheraner Verkehr zum Hotel noch nicht zu.
Aus Südostasien kommen, finde ich den Verkehr in Iran nicht außergewöhnlich. Man überquert die Straße hier ähnlich wie in Hanoi, mit dem Unterschied, dass man hier Autos und nicht Mofas als Gegner hat. Dafür schaut man seine Gegner an, winkt ihnen beschwichtigend zu, wenn man vorhat direkt vor Ihnen die Straße zu überqueren, und dann geht’s los. Die Autofahrer sind erstaunlich geduldig, tolerieren untereinander auch Drei-Punkt-Wendemanöver auf Hauptverkehrsstraßen, das Chaos funktioniert erstaunlich gut. Mit deutscher ‚Ich-hab-aber-Vorfahrt‘ Mentalitäten gäbe es am laufenden Band Tote. Als Verkehrsmittel mache ich mit meinen Führern die ganze Bandbreite mit – die Metro in Teheran (sehr modern), Sammeltaxis (das Taxi hat ein Ziel, welches durch brüllen kommuniziert wird, und wartet bis mindestens drei Fahrgäste zusammen sind), Taxis ‚dar baste‘ (nur für einen selber, man zahlt also für 2-3 unsichtbare Passagiere mit), und öffentliche Busse. Hier finde ich das System besonders faszinierend. Die Busse sind unterteilt, eine Hälfte für Frauen, die andere gemischt. Jedenfalls sieht man in der Männerhälfte auch Frauen, die dort mit Begleitung sitzen. Mein Begleiter meint, man dürfe auch als Mann in die Frauenhälfte, aber dazu würden sich die meisten zu sehr schämen – wahrscheinlich schrumpelt der Schniedel dabei zu sehr. Bezahlt wird beim Aussteigen beim Fahrer – Fahrscheine gibt es keine. Ich beobachte das Treiben, und überlege mir, wie verhindert wird, dass der Fahrer das Geld einfach einsteckt. Gar nicht, erfahre ich – die Fahrer fahren auf eigene Rechnung. Offensichtlich mieten die Fahrer den Bus jeweils für einen Monat (für 400€), und müssen dann sehen, wie sie zu ihrem Geld kommen.
Als Fremdenführer für den Sonntag sehe ich meinen Flughafen-Abholer wieder – wir sehen uns den Palast-Komplex im Norden Teherans an – hier ist es kühler als in der Stadt selber, und so haben die Herrscher der Pahlavi Dynastie hier ihre Residenzen gehabt, auch heute wird ein Teil noch von der Regierung genutzt. Anschließend besuchen wir den Darband-Platz, an den sich ein malerisches Bergtal anschließt, und essen dort. Mit der Metro fahren wir wieder in die Innenstadt – auf dem Basaar will ich mich mal umsehen, ob ich hier den Teppich meiner Träume finden würde. Der erste Händler hat zwar keinen Gabbeh, aber er hat da einen Freund. So führt er uns durch den Basaar von Teheran, treppauf, treppab, durch Hinterhöfe, bis wir schließlich in einem überdachten Hof sind, wo uns sein Freund ein paar Gabbehs zeigt. Das wird nicht einfach bei der Auswahl, die Preisvorstellung liegt bei ca. 150€ für den Quadratmeter. Gut, das soll ja sowieso nur eine erste Sondierung sein, ich mache ein paar Fotos und lass mir die Karte des Händlers geben. Er zeigt mir dann noch ein paar andere Teppiche, wesentlich edler, die ich aber eigentlich auch ganz hübsch finde – genau was ich brauchte, noch mehr Auswahl.
Mittlerweile hat sich der Ausflug ans Kaspische Meer zerschlagen, der Vater bietet mir zwar an, dass mich jemand anderes dorthin fahren könnte, aber das fände ich jetzt doch ein wenig ausbeuterisch, und lehne ab. So kann ich auch am Montag mit Amon nochmal auf den Basaar. Er kennt einen Händler, der der Ehemann einer Angestellten des Reisebüros ist, an dem er einen Anteil hat, und wir besuchen ihn, wobei wir nur seinen Partner antreffen. Auch er hat keinen Gabbeh, aber führt uns zu einem Spezialisten. Der Teppich hier ist etwas günstiger, und gefällt mir marginal besser, auch nachdem wir den Händler des Vortages noch einmal besuchen. Natürlich kann er mir den Teppich auch ins Hotel nach Shiraz, meiner letzten Station, schicken, so muss ich ihn nicht die ganze Zeit rumtragen. Nur das mit dem Feilschen, das klappt nicht so. Tatsächlich gibt sich der Händler extrem hartleibig, es bleibt bei dem ersten Preis von 1,25 Toman, zzgl. der Fracht nach Shiraz. Ich beruhige mich damit, dass das Geschäft halt durch iranische Ehrenleuten eingefädelt wurde, und die nennen sich halt von Anfang an vernünftige Preise. Ich glaube, werde selig. Immerhin habe ich jetzt meine Mission erfüllt, ein echter Perser ist meiner – so kann ich beruhigt Teheran verlassen.

Wie ich zum iranischen Staatsbürger wurde

Anfangs war es noch halbwegs ausgewogen, doch jetzt wird’s lächerlich. Die Menschentraube für die Einreise wird einfach nicht kleiner. Ich stehe hier seid einer Stunde, bin in der Zeit vielleicht drei Meter vorwärts gekommen, und hinter mir stehen weitere zwei Meter. Bis zum Schalter sind es noch ungefähr zehn Meter. Der Schalterbeamte – genau einer für ‚foreign passports‘ – scheint weder die Begriffe Eile noch Effizienz zu kennen, oder – wenn er sie kennt – nur im Sinne von ‚keine Eile‘ zu verwenden. Die vier Schalter für ‚iranian passports‘ waren vor einer Stunde ähnlich belagert, aber gerade wird der letzte Iraner abgefertigt. Gespanntes Getuschel in unserer Traube setzt ein. Ein paar Mutige versuchen es, natürlich die von ganz hinten, die nichts zu verlieren haben. Die vier für Iraner zuständigen Beamten murren ein wenig, ein paar werden abgefertigt, andere aber zurück geschickt. Immerhin genügend kommen durch, dass auch ich beschließe, mein Glück dort zu versuchen. Ich stelle mich an einem der Schalter an, da wird’s dem Beamten zu bunt. Zwei-Gold-Kringel (so nenne ich ihn in Anlehnung an seine Schulterklappen) schickt mich und den Rest der Abtrünnigen rüde wieder in unsere Schlange zurück, aber dort kann ich meinen alten Platz nicht einnehmen. Da betritt Vier-Gold-Kringel den Raum und sieht sich das ganze skeptisch an; ich schleiche wieder in Richtung des Schalters von Zwei-Goldkringel. Es folgt eine kurze Auseinandersetzung zwischen den beiden Beamten, aber am Ende gewinnt der Kollege mit mehr Schulterschmuck. So bin ich halt mal kurz iranischer Staatsbürger, und reise ein.
Es ist halb fünf Uhr morgens, und ich bin hundemüde – der Flug ab Singapur um 21:30, nach meiner inneren Singapur-Uhr ist es acht Uhr morgens, und ich habe im Flugzeug vielleicht eine Stunde schlafen können. Am Flughafen von Doha kamen wir mit etwas Verspätung an, und der Flughafen ist alles andere als modern (eine Woche später wird er zu Gunsten eines ganz neuen und modernen geschlossen sein). Mit einem Bus gondeln wir zum ca. drei Kilometer entfernten Transfer-Terminal, nochmal Security-Kontrolle, ich haste zum Gate, und hinter mir wird ebendieses geschlossen – ob da mein Gepäck mitkommt? Beim Einsteigen ins Flugzeug sehe ich noch ein paar Frauen ohne Kopftuch, beim Aussteigen keine mehr – fair enough, ich mache mir im Flieger die langen Hosenbeine an meine Wanderhose, das erste Mal seit Hanoi im Januar dass ich lange Hosen trage. In Teheran angekommen, gehe ich gespannt zum Schalter für ‚Visa on Arrival‘ – ich habe eine Referenznummer bekommen, damit sollte es ein Klacks sein. Hinter dem Schalter diskutieren zwei Menschen mit einer Gruppe von Indern. Einer wirkt etwas ungepflegt in schmuddeliger Anzughose, der andere trägt ein graues T-Shirt mit dem Aufdruck ‚Islamic Republic of Iran‘. Ich warte geduldig am Fenster, irgendwann kommt der Kollege mit der Anzughose und nimmt meinen Pass. Als ich ihm meine Referenznummer nenne, kritzelt er 50 auf einen Schmierzettel und gibt ihn mir. Als ich etwas verwirrt schaue, herrscht er mich an, und deutet auf den nächsten Schalter ‚Melli Bank of Iran‘. Dort gebe ich den Schmierzettel ab, und verstehe, dass ich auch einen 50 Euro-Schein abgeben muss. Dann wird ein DIN-A6 Blatt mit dreifachem Durchschlag ausgefüllt, ich bekomme davon zwei, und gebe sie wieder am Visaschalter ab. Dafür bekomme ich meinen Pass, nunmehr mit eingeklebtem Visa. Dann die eigentliche Einreise, und gespanntes Aufsuchen des Gepäckbandes. Noch hat keiner meiner Mitmenschen ein ‚Welcome to Iran‘ Gefühl vermittelt. Überraschenderweise ist meine Tasche angekommen, und so verlasse ich den Sicherheitsbereich. Ein junger Student hält ein Schild mit meinem Namen, spricht exzellent Englisch und heißt mich willkommen. Er hilft mir schnell etwas Geld zu wechseln (nicht zu viel, der Kurs am Flughafen ist beschissen, vermittelt mir den Kauf einer SIM-Karte für’s Telefon (neue Nummer: +٩٨٩١٠٤٥٢٠٩١٠), und wir fahren mit einem rostigen Bus zu den Außenparkplätzen des Flughafens. Mit einem Peugeot 405 aus iranischer Fabrikation fahren wir nach Teheran. Auf einer gut ausgebauten Autobahn brausen wir nach Teheran, auch hier wären Spurhalteassistenten dringend angesagt. Andererseits – so kann man auf der dreispurigen Autobahn locker zu fünft nebeneinanderfahren, das erhöht den Durchsatz. Dabei erfahre ich von meinem Fahrer einiges über Iran, er ist erstaunlich offen. Das gleiche gilt für die meisten anderen Menschen, die sich im Iran mit mir unterhalten, doch zitiert werden will eigentlich keiner, und das werde ich respektieren.
Ich habe mich zu der Reise in den Iran erst in Indonesien entschlossen, und so habe ich mich nicht besonders gewissenhaft auf die Reise vorbereitet – gut, eigentlich gar nicht. Ich nenne es: besonders aufgeschlossen. Aber vor meinem geistigen Auge sah ich ein Iran, was eigentlich seit der iranischen Revolution und der Geiselnahme in der amerikanischen Botschaft mit Sanktionen belegt ist, unter denen die Zivilbevölkerung sehr leidet. Auch erinnere ich nur an Nachrichten, dass die Sanktionen weiter verschärft wurden, nie gelockert. Kurzum, ich erwartete ein Land, welches technologisch auf dem Stand von 1979 stehen geblieben wäre, ein Straßenbild ähnlich wie man es aus Kuba kennt. Die Vorstellung bekam erste Kratzer, als ich erfuhr, dass internetfähige Mobiltelefone hier funktionieren, und bröckelt weiter, als ich die verkehrsbezogenen Wechselbeschilderung (Chaos, extremes Chaos, komplettes Chaos) auf den Autobahnen sehe, die LED-Großbildschirme für Werbung, und die modernen Auslagen in den Geschäften. Ich erfahre später, dass sich die Sanktionen kaum auf Artikel des täglichen Gebrauches beziehen, der Import von Mercedes, Porsche und BMW also weiter möglich ist, aber zB über hundert Flugzeuge im Iran am Boden bleiben müssen, weil keine Ersatzteile geliefert werden dürfen. Mich persönlich betreffen die Sanktionen im wesentlichen dadurch, dass an keinem der tausenden Geldautomaten und elektronischen Zahlungsmöglichkeiten internationale Kreditkarten angenommen werden, ich habe in Singapur fast 2000 S$ aus Automaten gezogen und in der Wechselstube daneben in Euro umgetauscht.
Nach einem kurzen Nickerchen im Hotel geht das Programm los, um elf werde ich von meinem Fremdenführer abgeholt. Ich erwarte einen verknöcherten Beamten vom Staatsministerium für kulturelle Sicherheit, und bin überrascht, als mich Azita, eine junge Iranerin, begrüßt. Auch hier muss ich zugeben, dass mein Zerrbild aus antiken Quellen stammt – ich erinnere mich an ein Foto in National Geographic, welches ein iranisches Päarchen beim Schifahren nördlich von Teheran zeigt. Bildunterschrift: „[…] selbstverständlich müssen die beiden verheiratet sein, sonst greift die Sittenpolizei ein.“ So hatte ich fast befürchtet, zwei Wochen lang keine Frau ansehen zu dürfen, ohne Ärger zu bekommen, aber das scheint ein Ding der Vergangenheit zu sein, oder jedenfalls keine gängige Praxis mehr. Überhaupt das Thema mit dem Kopftuch: die Muslime in Malaysia (50% der Bevölkerung) scheinen das Thema ernster zu nehmen – jede Muslima dort trug einen Hidschab, der wirklich kein einziges Haar mehr sehen lies. In Teheran sehe ich ungefähr dir Hälfte der Frauen, die den Hidschab irgendwo auf der Mitte des Kopfes tragen, bei einigen klammert er sich verzweifelt am Ansatz eines Haarknotens oder Pferdeschwanzes fest, so wie der vierte Passagier auf einem vietnamesischen Motorrad. Die Attitüde schreit förmlich: „Hey, ich trag das Scheißding, jetzt lasst mich in Ruhe“. Offensichtlich gibt es auch jemanden, der sie nicht in Ruhe lassen würde. Mir wird ein Gespann von Polizeiautos gezeigt, eine Mercedes C-Klasse und dahinter ein kleiner Minibus mit Milchglasscheiben. Das ist die Sittenpolizei, wer sich allzu unzüchtig zeigt, wird von den Männern im Mercedes in den Bus geworfen, um dann auf der Wache ‚belehrt‘ zu werden. Ein Foto, wird mir gesagt, sollte ich besser nicht machen. Mit Azita sehe ich ein paar der wichtigsten Attraktionen in Teheran – das Nationalmuseum, der Komplex um den Golestan Palast, und den Basar. Dabei sehe ich auch die bunten Auslagen der verschiedenen Läden – mit dabei sind Klamotten, die mit ‚leichtes Sommerkleid‘ noch wohlwollend beschrieben sind. Erst zwischendrin fällt mir die Ironie auf, denn tragen kann das eigentlich keiner – außer zu Hause.
Um kurz vor sechs liefert mich Azita wieder am Hotel ab. Ich hatte einen ehemaligen Kollegen, der aus dem Iran stammt, nach ein paar Tipps gefragt. Statt einfacher Tipps bekomme ich Einladungen von seinem Vater und einem Freund. Um sechs holt mich sein Vater ab, der nebenbei – vor den Sanktionen – der OSRAM Großhändler für den Iran war. Wir fahren in ein Örtchen außerhalb von Teheran auf ein Reithof, und danach in sein Wochenendhaus. Er hat etwas Brot und marinierte Hühnchenteile gekauft, die er auf der Terasse grillt – Restaurants, meint er, würde ich in den nächsten Tagen noch genug sehen. Dabei unterhalten wir uns über meinen ehemaligen Arbeitgeber und viele gemeinsame Bekannte. Die Gastfreundschaft ist unglaublich – er bietet mir noch an, am Sonntag kurz über Nacht ans Kaspische Meer zu fahren, welches sich leider wegen eines dringenden Termins am Montag zerschlägt. Spät am Abend bringt er mich ins Hotel zurück, bislang gefällt mir Iran sehr gut.

Man sieht sich immer zweimal

Wir müssen ein wunderbares Bild abgeben. Chris, mit einem leichten Tagesrucksack auf dem Rücken, zieht lässig seine rollende Tasche* hinter sich her. Neben ihm Caroline, einen halben Kopf kleiner und halb so schwer, mit einem 20kg Riesenrucksack auf dem Rücken, einem Tagesrucksack vor der Brust, irgendwo baumelt noch eine Yogamatte. Der perfekte Gentleman denke ich mir, gut dass mich keiner sieht, der mich kennt. Es ist ja nicht so, als hätte ich es nicht (mehrmals) angeboten – ich würde Carolines schweren Rucksack tragen, sie die beiden leichteren – aber das würde ihren Stolz oder was auch immer angreifen. Also bleibt’s dabei, ich trage ca. 5% meines Körpergewichts auf dem Buckel, Caroline 50%. Immerhin ist sie recht fit, aber Spaß kann das nicht machen. Nebenbei ist Caroline ‚hangry‘, ein wunderbares Kofferwort aus hungry und (deshalb) angry, und skeptisch, ob ich wirklich den kürzesten Weg zum Hotel gewählt habe. Aber sonst, sonst ist alles gut.
Caroline – treue Blogleser kennen sie bereits – und ich reisen wieder ein wenig zusammen. Es hat sich schon abgezeichnet, als ich noch in Brunei war, da schrieb sie mir, dass sie nicht wie ursprünglich geplant direkt nach Indonesien weiter nach Japan und USA fliegen würde, sondern erst noch nach Malaysia – wo wäre ich denn? Ach wirklich, ab morgen auch in Malaysia? Hey, Chris, da könnten wir uns doch treffen – das würde sie sehr freuen…

Ich überlege ein wenig, mich würde es auch freuen. So doktern wir über die nächsten Tage an unseren jeweiligen Plänen herum, bis sich herausstellt, dass wir uns in den Cameron Highlands treffen könnten, und dann gemeinsam nach KL fahren. Gewiss, das gemeinsame Reisen birgt einige Risiken, so ist Caroline extrem auf Unabhängigkeit bedacht, erheblich komplizierter beim Essen und nebenbei erheblich budgetbewusster, kann es aber auch nicht ausstehen, wenn sich anderen Leute einfach nach ihr richten, so muss man immer raten, wo sie eigentlich hin will, aber es als gemeinsame Entscheidung erscheinen lassen. Mit erheblich besserem Erwartungsmanagement, und dem Bewusstsein dass es eh nur ein paar Tage sind, klappt es aber ganz gut. Denn das Reisen mit Caroline hat auch sehr positive Seiten – in der richtigen Stimmung kann man wunderbar mit ihr feiern, und sie sammelt ständig interessante Menschen ein. So stellt sie mir gleich nach der Willkommensumarmung in den Cameron Highlands Terry vor – eine herzallerliebste Holländerin, die wiederrum einen halben Kopf größer ist als ich. Mit Terry verstehe ich mich auf Anhieb – mehrmals werde ich in den nächsten Tagen mit ihr losziehen, wenn Caroline keine Lust hat.

Die Cameron Highlands sind ein Trekkinggebiet, man sieht sie also am besten mit kleinen Fußmärschen auf die umliegenden Berge, kommt dabei an Tee und Erdbeerplantagen vorbei, insgesamt eine sehr entspannende Gegend. Alleine die Fahrt hierher war wunderschön, Tanah Rata als wichtigste Stadt liegt schon auf 1400 Metern. Aber vieles dieser Schönheit ist unaufdringlich – selten lässt sie sich zB auf ein Foto bannen. Allerdings wird die Schönheit offensichtlich bedrängt, öfters sieht man an den Hängen kompletten Kahlschlag, und genaueres Nachfragen offenbart dass auch das Grüne nicht immer Naturdschungel ist, sondern häufig Palmölplantagen. Mich als Autofan erfreut auch die Vielzahl von alten Land Rover Defendern, die hier rumfahren, auch einige von vor 1968, als die Scheinwerfer noch nicht in den Kotflügeln montiert waren. So brechen wir am nächsten Morgen auf, und erklimmen den zweithöchsten Berg in der Umgebung. Wir werden noch von Magnus aus Deutschland begleitet, der eine längere Reise zwischen Studium und Promotion macht. Wie zu erwarten stürmt Caroline auf den Berg hinauf, aber Terry als NIEDERländerin ist das HOCHklettern auf einen Berg nicht gewohnt. Magnus unterstützt sie moralisch, und ich versuche stur mein Tempo zu gehen, komme als zweiter auf den Berg.
Am nächsten Morgen brechen wir zu dritt nach Kuala Lumpur auf, es ist mein viertes Mal in der Stadt, aber das erste Mal das ich tatsächlich mehr sehe als den Flughafen oder den Weg dorthin. Ich übernachte wieder preiswert, meine beiden Begleiterinnen haben ein ganz passables Hostel ausgesucht. KL strotzt nicht gerade vor touristischen Highlights, und wie einige Leser ganz richtig erkannt haben, etwas reisemüde bin ich auch, Caroline geht es nicht anders. Die Petronas Towers – kurzzeitig die höchsten Gebäude der Welt – müssen gesehen werden, den Rest lassen wir in einer Stadtrundfahrt über uns ergehen. Das Essen ist lecker, und auch abends kann man Spaß haben.

Uns ist schon in den Cameron Highlands klar geworden, dass wir für unsere jeweiligen Abflugpläne eigentlich etwas zu viel Zeit haben, und so haben wir uns entschieden, noch nach Melaka zu fahren, statt länger in KL rumzuhängen. Melaka, auf Deutsch wahrscheinlich Malakka wie die angrenzende Seefahrtsstraße, die für Piraten berüchtigt ist, wurde als portugiesische Kolonie gegründet, dann von den Holländern und zuletzt von den Engländern gehalten. Der Reiseführer spricht von unglaublich leckerer Küche, damit kann man uns immer noch locken. Ich lasse die Mädels wieder die Unterkunft aussuchen, und bereue es beim Betreten der Herberge schon wieder. Gut, es ist billig, das Bett ist frisch und sauber, aber ansonsten… Habe ich das wirklich noch nötig? Im Laufe der nächsten beiden Tagen werde ich dennoch versöhnt. Howard, der Besitzer chinesischer Abstammung, ist freundlich, und extrem engagiert, dass seine Gäste sich kennenlernen. Er stellt uns die anderen Gäste im Wohnzimmer vor, darunter Hannah aus Ravensburg, aber wohnhaft in KL, und Erik aus Brandenburg. Heute Abend, kündigt er an, gehen wir alle zum Inder zum Essen, also wer will. Für mittags empfiehlt er noch ein Restaurant, in dem es die beste Laksa geben soll – eine scharfe Kokossuppe mit bunten Einlagen. Wir sind nicht enttäuscht. Obwohl es schon 15:00 ist, finden wir in dem Restaurant kaum einen Platz, und die Laksa ist wirklich genial. Wir bummeln noch ein wenig durch die Stadt, suchen einen Geldautomaten, und ich beobachte ein Baby-Krokodil, wie es in der Kanalisation verschwindet. Am Ende lass ich mich zwar überzeugen, dass es eine ein Meter lange Eidechsenart war, aber ganz sicher bin ich mir nicht…
Am Abend finden sich tatsächlich sechszehn Gäste des Hostels zusammen, und wir gehen geschlossen zu einem indischen Restaurant, welches wohl die meisten Leute kennen, die schon einmal in Melaka waren. Vor dem Restaurant stehen drei große Tandoori-Öfen, in Badewannen wird mariniertes Hühnchen angeschleppt, im Akkord werden Spieße vorbereitet und im Ofen gegart. In einem Ofen wird Naan-Brot gebacken, damit sind insgesamt vier Leute beschäftigt. Es ist eine wunderbar bunte Mischung an Gästen an unserem Tisch – Deutschland ist häufig vertreten, aber eben auch Irland, Holland, Frankreich, Kanada, England, Mexico, Indonesien, Hong Kong und Malaysia. Den Abend lassen wir auf der Dachterrasse des Hostels ausklingen, in wechselnden Zusammensetzungen diskutieren wir bis morgens um vier über Gott und die Welt.

Am nächsten Tag leihen wir uns ein paar Fahrräder aus, und fahren kreuz und quer durch Melaka. Caroline veranstaltet ein kleines Fahrradrennen, Terry und Hannah ist das nach einer halben Stunde zu bunt – sie suchen ein Café auf, und ich will noch ein wenig radeln, aber in eine andere Richtung. So trennen wir uns in drei Grüppchen auf, treffen uns aber pünktlich zum mittäglichen Laksa-Essen. Ich habe mittlerweile beschlossen, am nächsten Tag nach Singapur zu fahren, und das gesparte Geld der letzten sechs Übernachtungen in ein schöneres Hotel zu investieren – wer weiß, was mich im Iran erwartet. Caroline überlegt noch ein wenig, schließt sich dann aber an – ihr Flug geht ein Tag vor meinem ebenfalls ab Singapur.
Singapur ist ein modernes Shopping Paradies. Klar, es gibt auch ein paar Sehenswürdigkeiten, ein paar kolonial geprägte Bauten wie das Raffles Hotel, ein paar modern hergerichtete Lagerhäuser am Clarke Quay und natürlich Chinatown. Aber das meiste an Singapur ist modern, glitzert und ist teuer. Preiswert Essen und Trinken gibt es bei sogenannten ‚Hawkers‘, das sind Straßenhändler, die sich meist aggregieren, damit man auch genügend Auswahl hat. Im Maxwell Street Food Court findet Caroline adequate Dumplings (gedämpft, mit Hühnchen und Gemüse gefüllt), und ich fresse mich ebenfalls fröhlich durch die Stände. Bier kostet hier sechs Singapur Dollar die Flasche, das sind ca. vier Euro. Wir sitzen an einem Tresen, der malerisch eine Hauptverkehrsstraße überblickt; der Schweiß rinnt bei der hohen Luftfeuchtigkeit mit dem Bier um die Wette. Kurz vor dem Hotel beschließt Caroline ein Eis zu wollen, ich warte am Fluss, und dabei geht sie irgendwie verloren. Ich hoffe mal, dass sie sich bei der bisherigen Navigation nicht ausschließlich auf mich verlassen hat, aber im Hotel ist sie nach 10 Minuten nicht. So lerne ich die Umgebung des Hotels um ca. ein Uhr morgens gut kennen, aber nirgendwo finde ich sie. Als ich nach einer Stunde das dritte Mal das Hotelzimmer aufsuche, hat sie sich eingefunden und ist beleidigt, dass ich sie einfach verlassen hätte. Aber ich hab doch gar nicht…. ach egal.
Den nächsten Tag genießen wir den Hotelpool, bummeln ein wenig durch die Stadt, und am Abend treffe ich mich mit Chloe, die ich in Tulamben beim Tauchen kennengelernt habe. Caroline verweigert, weil wir bestimmt in ein total teures Restaurant gehen wollen, und lässt sich nicht überzeugen. So essen Chloe und ich in einem sehr chinesischen Restaurant eine der berühmten singapurianischen Chili Crabs (sehr lecker, aber echt mühsam für die wenigen Brocken echtes Fleisch, und tatsächlich nicht besonders billig), danach gehen wir ins Bankenviertel, wo nach Geschäftsschluss eine Straße abgesperrt wird, und man preiswert Bier und Satay bekommt. Irgendwie kommen wir mit unserer Unterhaltung schnell an all dem üblichen Geplänkel vorbei, und diskutieren am Ende über jeweilige Lebenspläne, Traditionen und Familie im Spannungsfeld der modernen Gesellschaft. Ein sehr netter Abend.
Den letzten gemeinsamen Tag mit Caroline verbringen wir ähnlich ruhig, gehen zum Abschied nochmal in die Maxwell Street, und am Abend verabschiede ich mich von ihr an einer Metrostation auf dem Weg zum Flughafen. Immerhin – wenn ich gar kein Gepäck habe, darf ich ihr kurz den Rucksack abnehmen; vielleicht ist sie ja doch gar nicht so stur. Zur Wiesn, das ist abgemacht, sehen wir uns wieder. Ich treffe mich danach noch mit Sabine und Christoph, wir waren in der Kiesmüllerstraße mal Nachbarn, und Tina, die auch auf Weltreise ist, aber mit ganz anderer Route. Wir quatschen bis tief in die Nacht, Sabine ist Fotografin und wir überlegen ob wir ein Foto/Texter Gespann abgeben könnten, wenn es mit regulären Jobs nicht klappt. Es gibt so viele Möglichkeiten…
Für meinen letzten Tag in Südostasien hätte es eigentlich was ganz besonderes sein müssen, aber irgendwie ist die Luft raus – ich raffe mich immerhin dazu auf, in den botanischen Garten in der Nähe des Marina Sands Hotel zu gehen – die wurden schon mehrfach von Freunden gelobt. Die Anlage ist schön angelegt, es gibt einige Gärten, die nach den typischen Vorbildern der Bewohner Singapurs angelegt sind – chinesisch, indisch und malayisch. Aber das ganz besondere sind zwei Gewächshäuser, in denen andere Klimazonen herrschen. Der Eintritt ist mit umgerechnet fast 20 Euro nicht gerade billig, aber jetzt bin ich schon mal hier. Das erste Haus bildet ein erheblich trockenes Klima nach, hier wachsen Kakteen und Baobabs, aber es gibt auch eine mediterrane Ecke. Der Nebeneffekt des trockeneren Klimas ist dass es erheblich kälter zu sein scheint (oder es ist halt nur, dass der Schweiß plötzlich wirken kann). Jedenfalls könnte ich hier den ganzen Tag zubringen – ich verstehe langsam, warum die Jahreskarte Sinn macht. Das zweite Haus stellt einen Berg-Nebel-/Regenwald nach, mit verschiedenen Ebenen – hier ist es zwar immer noch feucht, aber deutlich kühler, wie es eben weiter oben wäre. Auch nett, aber das erste Haus war schöner. Am Ende bleibt mir noch kurz Zeit für etwas zu essen in Chinatown, dann zurück ins Hotel, wo ich zwar kein Zimmer mehr habe, aber noch den Pool und die dazugehörigen Duschen nutzen kann. Dann begebe auch ich mich zum Changi Flughafen, kurz nach neun geht es auf zur letzten Etappe der Reise. Iran, here I come!
*Anmerkung: Ich bin sehr zufrieden mit meinem Gepäckstück, ein Geschenk von OSRAM zu meinem Jubiläum – die Reisetasche hat große Rollen, und ein komplettes Rucksacktragesystem in einem mit Reißverschluss verschlossenen Abteil. Tatsächlich habe ich die Rucksackfunktion nur ein einziges Mal benötigt, auf Don Det in Laos auf den dortigen Holperwegen.

Angriff des Killerfischs

Der Fisch ist von uns Tauchern offensichtlich irritiert. Wie meine Tauchlehrerin strecke ich ihm meine Hand entgegen, wackle mit den Fingern, und da greift er an, beißt mich. Gut, es ist nur ein Clownfisch, insgesamt nicht viel größer als mein Daumen, und so ist der Biss in den kleinen Finger rein symbolisch, aber dass mich Nemo angreift hätte ich nicht erwartet. Aber so sammelt man Erfahrungen, das ist gewünscht. Ich habe mich auf den Perhentian Inseln zu einem Fortgeschrittenentauchkurs angemeldet, suche vielleicht ein wenig ‚Herausforderung‘, oder hoffe danach ein besserer Taucher zu sein – rein praktisch stehen mir danach auch mehr Tauchausflüge offen, denn der ‚Open Water Diver‘ Schein, den ich bislang habe, erlaubt mir nur Tiefen bis 18m (auch wenn das schon öfters ignoriert wurde). Außerdem – typisch deutsch – kann ich nun auf die Frage: „Und, was haste so gelernt, auf Deiner Reise?“ meinen ‚Advanced OWD‘ Schein vorzeigen, und sagen: „Das“. Um diesen wichtigen Befähigungsnachweis zu erhalten, muss man fünf Spezial-Ausbildungstauchgänge mit einem qualifizierten Lehrer absolvieren, dabei jeweils Sonderprüfungen absolvieren, und auch schriftliche Lernzielkontrollen bestehen. Von den fünf Tauchgängen sind ein ‚Deep Dive‘ und ein ‚Navigation unter Wasser‘ Pflicht, drei weitere darf man sich aussuchen – ich mache vier, Unterwasserfotographie, Nachttauchen, Wracktauchen und ‚Peak Performance Buoyancy‘ – also Spitzenleistung beim Tauchtiefen tarieren. Ich hoffe, Ihr seid jetzt alle beeindruckt. Hört sich leider wesentlich aufwendiger an, als es letztendlich gelebt wird. Man bekommt ein Buch geliehen, und muss einige Schlüsselbegriffe aus dem Buch auf einen kopierten Zettel übertragen: schriftliche Lernzielkontrolle. Mit einem Kompass in der Hand ein Quadrat mit einer Kantenlänge von 20 Metern unter Wasser schwimmen: Sonderprüfung bei Navigation. Auf dem Rücken durch einen Ring unter Wasser schwimmen: Sonderprüfung beim Tauchtiefen tarieren (Gut, das hat wirklich etwas länger gedauert, ohne Hängenzubleiben). Nach den jeweiligen Sonderprüfungen macht man das, was man sonst beim Tauchen auch macht: Fische und Korallen angucken. Auch wenn wir ein paar schöne Ecken sehen, Tauchen in dem Komodo-Archipel und auf Bali hat mich mehr überzeugt. Immerhin ist das Wrack mehr wie man es sich vorstellt – man erkennt vom ‚Sugar Wreck‘ deutlich mehr als von der Liberty – wie die Schiffsschraube, Ladebäume, Teile der Brücke, und offene Laderäume in denen kleine Haie schlafen. Ein paar Aspekte finde ich aber auch irritierend, bis hin zu enttäuschend. So bekomme ich für die Unterwasserfotografie eine kleine Kompaktkamera in einem wasserdichten Gehäuse in die Hand gedrückt. Ob ich mit so einer Kamera umgehen könne? Ja, ich kann, denn ich habe die gleiche ohne Gehäuse. Na prima, also einfach in die richtige Richtung halten und abdrücken. Wie, das war’s? Ich muss schnell feststellen, dass das Gehäuse den Blitz über weite Teile des Bildes abschattet, als ich den Verleiher danach darauf anspreche, meint er dass der Blitz eh nichts bringen würde, und widerspricht danach komplett der Theorie. Aber mit meiner Tauchlehrerin, Dana aus Tschechien, verstehe ich mich gut, und man erlebt immer wieder interessante Episoden – wie auf dem Nachttauchgang ein Blaupunktrochen, der auf der Flucht vor uns mit einem Seeigel kollidiert.
Die Anreise zu den Perhentians ist mittlerweile fast Routine. Schon am Flufhafen in Kuala Lumpur suche ich mir Begleiter – das Päarchen dort, mit deutschem Pass – wo werden die schon hin wollen, wenn sie nach Kota Bharu fliegen? Richtig geraten, und so weiß ich schon im Flieger, dass ich mir mit Jenny und Christian ein Taxi teilen werden, welches uns nach Kuala Besut fährt. Am Flughafen erstehe ich noch einen Adapter für die malayischen Steckdosen – die folgen dem englischen Prinzip mit drei massiven Zinken. Es gibt Adapter nach VDE (Verein Deutscher Elektroingenieure) für 10 Euro, und kleine Plastikadapter nach VDE (versuch’s doch einfach), die mit einem einfachen Trick die Sicherheitsmechanismen der englischen Dosen überlisten, und dann passt ein Europastecker locker. Wichtigstes Transportmittel auf den Perhentians sind übermotorisierte Motorboote – danach braucht man erstmal keine Achterbahn mehr. Problematisch gestaltet sich die Suche nach einer Unterkunft – es ist noch das verlängerte Wochenende vom 1. Mai, und einiges scheint ausgebucht zu sein. Natürlich hat der Ticketverkäufer für Taxi und Überfahrt ausreichende Möglichkeiten in Aussicht gestellt, aber ich werde bei meinem Plan-Resort erst einmal abgewiesen. Auch die nächsten drei, die ich abklappere, haben nix für mich. Zaghaft versuche ich es bei der von mir avisierten Tauchschule (zum Tauchen empfohlen, von der Unterkunft wird eher abgeraten) – die haben nicht nur kein Bett für mich, die haben auch keine Zeit für den Kurs. Ich befreie mich von dem Korsett von Preisvorstellungen und Empfehlungen, und gehe zur nächstbesten Tauchschule – die können es einrichten, dass ich den Kurs mache, und sind mir bei der Unterkunftssuche behilflich. Ihr wichtigster Beitrag ist es, meine Tasche am Nordende des Strandes abzuholen, und mich zu meinem Resort zu fahren – so bleibt mir 30 Minuten Fußmarsch bei sengender Hitze und 100% Luftfeuchtigkeit erspart.
Nach meinem Tauchkurs mache ich noch einen besonders faulen Tag, gehe am Abend mit meiner Tauchlehrerin zum Essen, und organisiere meine Weiterfahrt in die Cameron Highlands. Das ist in Malaysia wirklich kein Kunststück; Speedboat um acht, Minibus um zehn, kein Thema. Alles klappt wie am Schnürchen, ich habe sogar den ganzen Minibus für mich alleine.

Easy Rider – Malaysian Roadtrip

Get your motor runnin‘
Head out on the highway
Looking for adventure
and whatever comes along
Zu der Musik von Steppenwolf beginnt in Easy Rider so ein Roadtrip. Mein Roadtrip durch Malaysia beginnt zu der Geräuschkulisse von auf Chinesisch geführten Handytelefonaten. Es begann eigentlich ganz harmlos:
Nachdem mein Tauchausflug Richtung Sipadan an zu später Buchung scheiterte, beschloss ich auf Pulau Perhentian – einer Insel an der Ostküste Malaysiens noch etwas tauchen zu gehen. Ein adequater Flug würde nach Kota Bharu gehen, mit Umsteigen in Kuala Lumpur. Vielleicht ist es nur mein Eindruck, aber Flugbuchungen im Internet scheinen immer mehr hinter Nebelkerzen zu verschwinden. Man findet (ich auf swoodoo.com) einen recht preiswerten Flug, den man bei verschiedenen Agenten buchen kann. Man wird auf deren Website weitergeleitet, und muss erst einmal fünf Angebote zu Service- und Reiserücktrittsversicherungen wegklicken. Meist ist, der ‚Nein, ich will den Scheiß nicht Button‘ gut versteckt. Am Ende geht es zur Zahlung – meist gibt es eine nominal kostenlose Zahlungsmöglichkeit, die aber erst einmal den Abschluss eines neuen Kreditkartenvertrages mit der Sonder-Reise-Flug-Visa-Karte, die in den ersten zehn Minuten völlig kostenlos für sie ist erfordert. Will man mit seiner eigenen Karte zahlen, verlangt der Agent eine Servicepauschale von 15-40 Euro. Dann schaut man, ob das fünf Euro teurere Angebot vielleicht weniger Service Gebühr verlangt, und verdaddelt dabei Stunden. Jedenfalls ist der Flug irgendwann ausgebucht. Ich will nicht in KL am Flughafen übernachten, und überlege, dass ich ja auch noch nach Penang will. In Penang hat die Firma OSRAM ein Werk, deswegen ist mir die Insel ein Begriff. Der Reiseführer beschreibt sie als Perle des Orients. Gesagt, getan, ich buche den Flug und zahle die Servicegebühr von 15 Euro. Eine ehemaliger Kollegin, Wat-Tang, hat auf meine Abschieds-e-mail unvorsichtigerweise geantwortet, dass wenn ich jemals in der Gegend sei…. Das testen wir doch mal aus. Sie scheint sich wirklich zu freuen, und wir verabreden uns für den Dienstagabend zum Essen. Am Montag Abend um acht lande ich in Penang, ich beschließe die 45-minütige Fahrt nach Georgetown mit dem öffentlichen Bus 401 zu bestreiten. Von der Endhaltestelle laufe ich zwanzig Minuten zu meinem Hotel, welches sich allerdings als recht heruntergekommen rausstellt; gut, dass ich nur für eine Nacht reserviert habe. Irgendwie habe ich den Tag über nur eine labbrige Semmel im Flugzeug gegessen, so muss ich mich um zehn noch einmal schnell auf die Jagd machen. Fündig werde ich im Red Garden Night Market, wo ich nicht nur ein paar gebratene Hühnerspieße bekomme, sondern auch Livemusik – ein asiatisches Päarchen singt und tanzt auf der Bühne. Ich bin weiterhin überzeugt, chinesische Popmusik ist der Versuch, komplizierte Dreiecksbeziehungen (oder Mehrecksbeziehungen) zwischen Katzen in Originalsprache wiederzugeben. Aber ich muss mich ja nicht an alles gewöhnen.
Am nächsten Morgen suche ich mir ein anderes Hotel, setze mein Budget etwas höher an, und werde direkt um die Ecke fündig. Das Museum Hotel ist in einem alten Haus untergebracht, aber die gesamte Einrichtung und auch das Personal sind unglaublich charmant. Seinen Namen hat es daher, dass der Besitzer seiner Sammelleidenschaft hier ein paar Räume gewidmet hat, die Gästen nach Anmeldungen auch gerne gezeigt werden. Er hat sich auf die Kultur der Baba-Nyonyas konzentriert, so werden die Mischfamilien aus chinesischen Händlern und malayischen Frauen genannt, die gegründet wurden, als Monsoonregen die Händler an der Weiterfahrt hinderte. Ansonsten habe ich gerade ein Besichtigungstief – so versandle ich den Tag in meinem schönen neuen Hotel, bis ich abends um sieben Wat-Tang treffe. Sie hätte mich auch in den Red Garden geführt, da ich dort schon war ist es offensichtlich das naheliegendste, ans Festland zu fahren und dort etwas Meeresgetier zu essen. Es hat deutliche Vorteile, mit einheimischen Essen zu gehen. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob es eine Speisekarte gegeben hätte, aber ich hätte mich sicher nicht getraut, das ganze zu bestellen. Es gibt Chili Crab, fritierte Prawns, fritierte Fische und noch etwas Tofu. Zu der Krabbe wird ein kleiner Holzhammer geliefert, aber trotzdem ist es echte Arbeit, an die leckeren Fleischstücke zu kommen. Da sind die frittierten Prawns und Fische schon einfacher. Sie werden am Stück gegessen, wobei mir WT erklärt, dass der Fischkopf das leckerste ist. Also probieren wir’s – Fisch mit Haut und Haaren, äh Kopf und Schuppen. Das ganze mit ordentlich Bier runtergespült, dabei ein malerischer Blick auf den Containerhafen und die Insel Penang. Es ist ein wirklich netter Abend, und WT lädt mich für den nächsten Tag wieder ein. Da schaffe ich immerhin einen etwas ziellosen Spaziergang durch Georgetown, besuche das Hotelmuseum, und dann machen Wat Tang und ich uns wieder auf in die Stadt. Wir besuchen einen ungemütlichen Nachtmarkt, kaufen etwas Take-Away mit Schweinefleisch und fahren dann zu einem zweiten Nachtmarkt am Ufer wo wir den Rest einkaufen, der dann Halal ist. Bei so etwas spürt man die kulturelle Vielfalt Malaysias, wo 50% der Bevölkerung Muslimisch ist, und die größte Minderheit Chinesen. Mit Wat Tang erlebe ich wohl eher die chinesische Seite, mit dem dann folgenden Karaoke Abend auf konzentrierte Art und Weise. Ich muss mir für solche Abende mal ein einfaches Lied suchen, welches ich unter Zwang dann nehmen kann – auf meine Interpretation von „Me and Bobby McGee“ wäre Janis wohl nicht stolz.
Obwohl der Abend lang wird, steht am nächsten Morgen pünktlich um neun WTs silbergraue Mercedes E-Klasse (17 Jahre alt und 270 tausend Kilometer auf der Uhr) vor dem Hotel. Es ist Donnerstag, der erste Mai, und auch in Malaysia wird der Freitag als Brückentag genutzt. WT wollte nach Alor Setar fahren, ca. 1½ Stunden weiter im Norden. Sie ist dort aufgewachsen, und ich nutze die Chance, mal echt einheimische zu erleben. Außerdem meint sie, dass ich von dort aus genauso gut einen Bus in die Cameron Highlands erwischen kann, welches ich als mein nächstes Etappenziel identifiziert habe. Mit im Auto sitzt Yvonne, die Tochter einer Verwandten – glaube ich jedenfalls. So ganz blicke ich immer noch nicht durch. Nach meinem Verständnis kann mir WT ein Hotel in Alor Setar empfehlen, aber bis dahin erleben wir halt noch etwas zusammen. Die Gegend ist offensichtlich die Reisschüssel des Landes, und es gibt ein großes Museum zu dem Thema. Höhepunkt ist ein naives Panoramabild in einem runden Raum, den man auf einer sich drehenden Plattform sitzend beobachten kann. Das Bild stellt tatsächlich präzise das Umland des Museums dar, nur dass eben überall etwas passiert, was man zur Kinderbildung nutzen kann – es wird also Reis gepflanzt, geerntet, gedroschen und gehandelt. In anderen Räumen des Museums werden andere Aspekte der Nutzpflanze und deren Kultivierung thematisiert. Wir fahren weiter durch Alor Setar, und sammeln eine Cousine ein, und fahren dann in ein authentisches chinesisches Restaurant – ich freue mich, dass ich nicht bestellen muss. Wobei ich den Fischkopf, über den sich meine drei Begleiterinnen begeistert hermachen, vielleicht auch gar nicht gebraucht hätte. Mittlerweile wird noch ein Onkel ins Spiel gebracht, bei dem man möglicherweise übernachten könnte, und es erscheint, als ob Busse in die Highlands besser von Ipoh – ca. drei Stunden weiter südlich – zu erreichen sind. Und da wolle man am nächsten Tag eh dran vorbeifahren, das würde doch ganz gut passen. Ich bin etwas verwirrt, aber werde mich nicht verunsichern lassen. Wat Tang scheint fest entschlossen, auf mich aufzupassen. Wir fahren Yvonne und die Cousine zu deren Haus, und besuchen Kin, eine alte Freundin von WT. So sehe ich mein erstes malayisches Privathaus von innen, durchaus angenehm, bis auf die Hocktoilette. Ich erfahre das eigentliche Ziel von Wat Tangs Reise – man will in Kuala Lumpur ins Kasino gehen, und Kin fährt auch mit. Wir sammeln die Cousine wieder ein, und fahren zum Onkel. Der wohnt allerdings nicht in Alor Setar, sondern etwas südlich von Penang. Mittlerweile scheint der Plan eher zu sein, in Ipoh zu übernachten. Ich registriere die Planänderung kaum noch. Es wird schon werden. Bei dem Onkel sehe ich mein zweites Privathaus, dieses allerdings mit einer Wester-Style Toilette. Onkel zieht sich noch was an, und wir fahren weiter nach Süden, mittlerweile zu fünft im Auto. Immerhin sind die Straßen gut ausgebaut – die meiste Zeit fahren wir auf einer Autobahn. Was Malaysia allerdings wirklich brauchen könnte wären serienmäßige Spurhalteassistenten, da wäre was geboten in den Autos – mir schwebt ein Bild vor Augen, wie eine monotone Stimme ständig wiederholt „Bitte Spur halten“, ähnlich wie das sich ständig wiederholende „Wenn möglich bitte wenden“, wenn man mal wieder sein Navi ignoriert. Hinten im Auto wird telefoniert, eine lebhafte Diskussion auf Chinesisch kommt auf. Es stellt sich heraus, dass Kin ein Haus in Kuala Lumpur hat – und das könnte man auch heute noch erreichen – wäre das auch für mich OK? Mein geistiges Ohr hört das Geräusch einer Toilette, welche gerade meine bisherigen Pläne runterspült. Aber so eröffnen sich ganz andere Möglichkeiten, also – gerne!
Aber erst einmal muss gegessen werden. Meine Chinesen kennen ein tolles Fischlokal in Pantai Remis, und glauben auch zu wissen, wie man da hinkommt. Aber hat es auch am 1. Mai offen? Es wird debattiert, ob jemand die Telefonnummer hat. Ich versuche mich nützlich zu machen, und lande einen perfekten Zufallstreffer auf TripAdvisor. Ja, der Laden hat offen. So biegen wir von der Autobahn ab und fahren eine dreiviertel Stunde an die Küste. Auch hier – sehr leckeres Essen, aber auch ein paar recht gewöhnungsbedürftige Speisen, die ich selber nicht bestellt hätte. Nach dem Essen – es ist mittlerweile 20:00, machen wir uns weiter auf den Weg. Die Scheinwerfer des alten Mercedes sind nicht mehr die Besten, und so fährt WT die meiste Zeit mit aufgeblendeten Scheinwerfern – Abenteuer muss sein. Zum Abenteuer gehört offensichtlich auch die Route, es wird diskutiert, ob man etwas direkter auf der Landstraße fährt, oder lieber einen kleinen Umweg und wieder auf die Autobahn. Auch wo man tatsächlich jetzt abbiegen müsste, wird kontrovers diskutiert. Ich zücke wieder mein Schlautelefon, und lasse mir zwischen Funklöchern die Route berechnen. Ich schummle ein wenig, weil mir die Fahrerei nachts auf der Landstraße eher unsicher erscheint, und gebe den Navigator. Wenn möglich bitte wenden, in 2,8km rechts abbiegen, so lotse ich unser Schiff sicher nach Kuala Lumpur, wo wir schließlich um 23:00 ankommen. Auf dem Weg plane ich neu: Ich fliege von KL auf die Perhentian Inseln, und fahre dann mit dem Bus über die Highlands wieder zurück – und den Flug für den nächsten Morgen buche ich auch gleich. Der Plan mit dem Haus von Kin ist mittlerweile vom Tisch, wir übernachten bei dem Bruder der Cousine. Erst später wird mir klar, dass der Bruder der Cousine auch der Sohn des Onkels ist. Leider ist der Bruder noch nicht daheim, er arbeitet beim Fernsehen und es muss noch eine kommende Sendung geplant werden. Als er nach einer halben Stunde kommt, gibt es ein großes Familienwiedersehen. Offensichtlich geht es dem Bruder – Christopher Lo – gar nicht schlecht. Er wohnt in einem schicken Townhouse, und ich bekomme ein Platz auf dem Sofa im Gästezimmer. Es stellt sich heraus, dass er erst am Morgen aus Berlin zurückgekommen ist. Wir unterhalten uns noch zwei Stunden, dann gehe ich ins Bett – mein Taxi kommt am nächsten Morgen um sieben.