The bird’s flightless? It’s not going anywhere.

Wer kennt das Filmzitat? So endet der Film „Master and Commander“. Capt. Jack Aubrey ‚tröstet‘ seinen Freund, den Arzt und Naturwissenschaftler Stephen Maturin, dass – aufgrund einer kleinen Planänderung – er jetzt doch nicht die Galapagos Inseln erforschen kann. Die Assoziation ist jetzt sicherlich, dass es auch bei uns eine Planänderung und Enttäuschung gab, aber nein, ich fand einfach den Titel schön. Etwas Ästhetik vor Wahrheit, also; aber ich greife schon wieder vor.

Zur Einordnung, wer das erst in ein paar Monaten liest: Wir sind in der letzten Juniwoche 2020. Die Corona-Beschränkungen wurden schon vor einiger Zeit bundesweit gelockert, mit der Drohung, dass alles wieder vorbei ist, wenn es in einer bestimmten Region mehr als 35 oder 50 Neuansteckungen pro 100.000 Einwohner in bla bla bla gibt. Gut, in Gütersloh haben sich in der Tönnies Fleischfabrik gerade 1200 Mitarbeiter infiziert, aber bis gestern wollte man das nicht gelten lassen, weil es doch reichen würde, nur den Schlachthof kurz unter Quarantäne zu stellen. Also: Konsequenz ist bekanntlich Glückssache. Die USA bleibt von Unruhen wegen exzessiver Polizeigewalt hauptsächlich gegen „People of Color“ erschüttert; Donald fängt mit Wahlkampf an und erklärt der erstaunten Menge, dass die hohen Fallzahlen in den USA deutlich reduziert werden könnten, wenn man weniger testen würde. Laut offizieller Verlautbarung des Weißen Hauses nur ein Scherz, aber keiner glaubt’s. Seit kurzem sind innereuropäische Reisen wieder möglich, vor einer Woche durften die ersten 10.000 Test-Touristen aus Deutschland wieder nach Mallorca.

Wie die meisten meiner Freunde bin ich seit Mitte März im Home Office. Aus „na ja, halt ’ne etwas schlimmere Grippe“ wurden erst zwei Wochen home office, dann immer mehr. Noch Ende Februar hätte niemand von uns gedacht, dass dieses komische Virus unsere Pläne wirklich berühren würde. Ausgangssperre? Wir sind doch in Deutschland nicht im Kriegsgebiet oder irgendeiner Bananenrepublik… Die Monate davor hatte ich auf die Frage „Wann geht’s los?“ immer bestimmt mit „1. September 2020, 11:42“ geantwortet. 11:42 weil ’42‘ sowieso die Antwort auf alles ist und überhaupt eine Uhrzeit um die Illusion der genauen Planung aufrecht zu erhalten. Als mit jeder Woche Kontaktbeschränkung, mit jedem gelesen Artikel, jede Clip auf Youtube einem selber klar wurde, dass – unabhängig von irgendwelchen Beschwichtigungen von Politikern – die Situation nicht einfach im Sommer wieder ’normal‘ würde, begann unser Optimismus zu schwinden. Ich begann, unsere Abfahrtzeit etwas zu relativieren, wollte mich nicht mehr auf 11:42 festlegen. Wäre es vernünftiger, unser Segeljahr zu verschieben? Da müssten jetzt aber ’ne ganze Menge Firmen/Leute mitspielen. Ein Sabbatjahr einfach verschieben? Während Firmen darauf beharren dass genommener Urlaub auch anzutreten ist, damit sich nicht alles in den Herbst staut? Vielleicht hätten wir es sogar hinbekommen. Aber ich hatte schon kurz vor dem Lockdown angefangen, die Tage zu zählen (Excel für mich zählen zu lassen), das 150cm lange Maßband war schon besorgt. Und nun, den Zähler einfach mal um 365 Tage zu erhöhen? Frank ging’s wohl nicht anders. Außerdem – bei allen Unwägbarkeiten (Vielleicht bringt Bill Gates bis dahin das Update, Covid 21) – wird eine Reise ab September ’21 garantiert problemlos gelaufen? Andererseits: noch steht die Seestern an Land im Hafen von Kalamata, statt dass wir sie über’s Frühjahr Richtung Westitalien gebracht haben.

Wir nehmen uns eigentlich vor, die Entscheidung mit modernen Hilfsmitteln wie Mindmaps, Brainstorming, Risk matrix usw. zu treffen, aber letztendlich entscheidet der Bauch, der sich – nebenbei – gerade mit einem Wiener Schnitzel füllte. Vielleicht müssen wir noch den Inhalt des Plans anpassen; die Fahrt über den Atlantik könnte einem Jahr Europa-Segeln weichen, aber Hauptsache wir segeln. Let’s do it!

Die Konsequenz also: vom 1.9.2020 bis zum 31.8.2021 sind wir hauptsächlich beim Segeln, mit zwei groben Alternativen:  

  • Sehr zielgerichtet ab September Richtung Gibraltar (reine Segelzeit ca. 12 Tage), dann auf die Kanaren, im Winter ab über den Atlantik, im Frühjahr an der Ostküste der USA hoch und dann im Sommer zurück nach Europa. Vielleicht etwas auf Kante genäht, und traurigerweise sieht man dabei ja nix vom Mittelmeer, bzw. eigentlich NUR Mittelmeer, keine netten Inseln, Buchten und Häfen.
  • Den Herbst entspannt im Mittelmeer verbringen, den Winter im wesentlichen auch (vielleicht die hässlichsten Monate nicht auf dem Schiff verbringen) und im Frühjahr an der portugiesischen Küste nach Norden; halt mehr Zeit zB in der Bretagne oder in Irland/UK verbringen.

Mitsegler gesucht, Corona-Flexibilität gefordert. Bei Interesse bitte persönlich melden.

Der Wurm im Karton

Es ist wenig von der Exklusivität des Flugreisens geblieben – das wird einem immer wieder gegenwärtig, während man sich mit tausend anderen Reisenden durch den Flughafen schleppt. Online Buchung und Check-In tun ihr weiteres dazu, den Prozess zu anonymisieren. Natürlich versuchen die Fluggesellschaften, einem durch persönliche Ansprache das Gefühl zu vermitteln, dass man nicht nur ein notwendiger Teil der jährlichen Umsatzstatistik ist. So bin ich erst routiniert erfreut, als mich beim Boarding zu Flug Aegean Airlines A3803 nach Athen die Dame an der Kontrolle beim Prüfen meiner Eintrittskarte mit „Ah, guten Morgen Herr Merz“ begrüßt. Allerdings fragt sie dann ihren Kollegen am Schalter, ob das Thema mit Herrn Merz geklärt sei, und bitten mich zu eben diesem Schalter. Mit geht einiges durch den Kopf; bin ich der millionste Fluggast auf dieser Strecke und habe ein Flugzeug gewonnen, oder haben sie doch gemerkt, dass ich mich zu Unrecht in die Lounge geschlichen habe (Mein in 2017 erworbener Vielfliegerstatus – durch vieles Fliegen nach Hamburg erreicht – ist zum Jahresende ausgelaufen, aber die entsprechende Karte ist bis Ende Februar gültig) und wollen jetzt eine Nachforderung für zu Unrecht konsumierten zwei Croissant mit Schinken stellen? Nein, der Kollege am Schalter möchte mich zum Begleichen der Gebühr für das Übergepäck auffordern. Oh nein, das Gepäck.

Bei den meisten der Bastelreisen zum Schiff fliegt man etwas Material nach Griechenland. Diesmal sind es ein paar Blinklichter für Rettungswesten, diverses Material zu einer Flüssiggasinstallation nach deutschen Vorschriften, und ein Klappfahrrad. Das Fahrrad haben wir auf ebay erworben, nachdem uns das Design auf der Boot (-smesse) überzeugt hat. Das Rad wiegt nur 12 kg, und so reifte die Idee, es jetzt runter zu fliegen. Obschon sehr kompakt – in meinen Seesack passt das Rad nicht, aber vielleicht in dem flugs organisierten originalen Versandkarton? Die Kartonlösung hätte auch den Charme, dass dieser in Kalamata einfach ins Papier-Recycling wandert, und ich für den Rückflug keinen klein gefalteten Seesack im Handgepäck mitnehmen muss. Ein Karton als Koffer? Ich kann nicht behaupten, dass ich das schon oft bei der Gepäckausgabe gesehen habe. Ich recherchiere: Bei meinem Tarif darf das Gepäckstück ein Maximalgewicht von 23kg haben, und eine Kantenlänge unter 168cm. Nirgendswo steht, dass der Koffer vorher zum Umsatz eines entsprechenden Herstellers beigetragen haben muss. Also mache ich mit einem alten Gurt einen Griff an den Karton und gehe damit zum Baggage Drop-Off. Die Dame zuckt nicht einmal, vergewissert sich dann aber doch, dass es kein e-bike mit bösen Lithiumbatterien ist. Am Ende rät sie mir noch, den Karton zum Sperrgepäckschalter zu bringen, weil es dort ’sorgfältiger‘ gehandhabt wird. Von Extrakosten hat sie nichts erwähnt.

Innerlich fluchend beginne ich die Verhandlungen mit dem Herrn am Gate – der ‚Koffer‘ sei innerhalb der veröffentlichten Grenzen gewesen, warum also Übergepäck? Es stellt heraus, dass die Beschaffenheit meines Koffers nicht das Problem sei, sondern die Tatsache, dass ich gar kein Check-In Baggage gebucht hätte. Sagt sein System. Habe ich doch (und bezahlt), sagt nach kurzer Zeit die Email-Bestätigung auf meinem Telefon. Von da an streiten sich mein Email und das Aegean-System, und mein Telefon gewinnt. Keine Zusatzgebühren, ich darf an Bord, alles gut.

„Alles gut“ endet am Eleftherios Venizelos Flughafen in Athen. So sehnsüchtig ich auch auf’s Gepäckband starre, keine Koffer, äh kein Karton. Vielleicht muss ich zur Sperrgepäck-Ausgabe? Am Ende stehe ich beim Baggage-Tracing, resümiere warum das jetzt echt kein Problem gewesen sein dürfte, ich hätte alle Anforderungen eingehalten und alle notwendigen Angaben gemacht. Obwohl – Scheiße! Die Blinklichter für die Rettungswesten enthalten natürlich Batterien. Och nee! Da ist wirklich der Wurm drin, in dem Karton. Aber nein, der Koffer wurde einfach am Flughafen in München vergessen (Ich vergegenwärtige mir, dass man das nicht auf griechische Schlamperei schieben kann), er kommt mit dem nächsten Flieger (freu!), heute Abend um 22:00 (doch nicht freu), und sie würden ihn dann mit dem Bus nach Kalamata bringen. Paperwork erledigt, ich sammle meinen Mietwagen ein (nicht der gebuchte BMW, sondern ein Alfa Romeo Guilietta, grummel), und mache mich auf nach Süden. Mike hat für heute Abend auf dem Schiff zum Essen geladen, einen Schweinebraten mit Kruste der den Standard für Schiffsküche ordentlich hoch hängt.

Claire und Mike von der „Owl and Pussycat of Ardrossan“ und Gill und Steve von der „Coriander“ sind mittlerweile der Kern unseres Kalamata Freundeskreis. Die beiden pensionierten Ehepaare haben ihr Leben im United Kingdom aufgegeben (O-Ton: auf den Dachboden im Haus ihrer Kinder reduziert) und leben auf ihren jeweiligen Booten. Wir lagen schon bei unserer ersten Ankunft in Kalamata am Steg zwischen den beiden, und seitdem – nun ja, man sieht sich. Beiden wollen auch im Herbst 2020 in die Karibik fahren, und wir verstehen uns gut. Wahrscheinlich bringen Frank oder ich auch jeweils mal neue Themen in die abendlich Unterhaltung, jedenfalls verbringe ich drei meiner vier Abende mit den vieren (1x selbstbereitetes aufwändiges Essen an Bord, 1x Take-out Pizza an Bord, 1x neuer Restaurant-Tipp von Giorgios, dem Bootszubehörladen-Besitzer).

Das ist nun der vierte oder fünfte Basteltrip den Frank und/oder ich im Winter zur Seestern machen, also in zwei Wintern. Der Winter ’18/’19 war hauptsächlich vom neuen Motor geprägt, der Winter ’19/’20 eher mit Verbesserungen an unserer Wohnung für ein Jahr. Dabei haben wir mittlerweile ein festes Ensemble von handelnden Personen:

  • Ioannis Vardakas – ein grummeliger aber doch freundlicher älterer Ingenieur der eigentlich in Ruhestand gehen will, aber noch die Koordination für den Mechaniker Michaelis und ein paar andere Helfer übernimmt. Ioannis kann ganz gut Englisch, mag aber zB kein Email. Ioannis lässt sich die anstehenden Arbeiten erläutern, schreibt einiges in ein Notizbuch, fragt öfters nach, und ist immer froh, wenn einer von uns vor Ort ist, dann kann man ein Thema nochmal vor Ort besprechen. Ich habe zwar versucht, illustrierte Leistungsbeschreibungen zu machen, von Google auch ins griechische übersetzt, aber das war kein Allheilmittel. Außerdem läuft hier die Kommunikation vielleicht etwas holprig – per Mail an seinen Sohn, Antwort dann vielleicht irgendwie – am besten ruft man an, oder fliegt halt mal wieder nach Kalamata.
  • Giorgios Vardakas – Ioannis‘ Sohn und Besitzer des Messinian Yacht Center, einen Bootszubehörladen in Kalamata. Giorgios kann Englisch und etwas Email, und liefert das meiste Material, welches sein Vater verbaut. Als ich diesmal in seinen Laden kam, hatte ich einen ‚Deckel‘ von über 200€.
  • Michaelis Litsas – Segelmacher und Rigger. Wurde uns ursprünglich empfohlen, als wir an unserer Vorsegel-Persenning (Schutzhülle) ein paar Löcher flicken wollten, pflegt und wartet mittlerweile unsere gesamte Segelgarderobe, und kümmert sich auch um Sprayhoods und Biminis (Das sind die Cabrio-dächer am Segelschiff). Spricht gut Englisch und bringt öfters seinen Sohn mit – so wird wohl die Ausbildung gemacht.
  • Nicholas Vouloumanos – Schreiner aus Sparta. Nach einer Enttäuschung mit dem Marina-Schreiner baut er gerade unser Salon Sofa um, und versucht ein paar der Fehler des vorherigen Schreiners zu korrigieren. Kann allerdings auch keine Wunder vollbringen. Spricht auch gut Englisch und reagiert auch auf Emails, wenn man explizit schreibt, dass man gerne eine Antwort hätte.  
  • Giorgios Mixaleas – Polsterer, Empfehlung vom Segelmacher. Giorgios kann leider kein Englisch, und tritt deshalb meistens mit seinem etwas tuntigen Gehilfen auf, dessen Namen mir noch immer nicht klar ist. (auch bei Giorgios lag ich lange falsch, dachte das Mixaleas eine etwas seltsame Transkription von Michaelis war). Der Gehilfe scheint während der Übersetzung immer zu versuchen, Giorgios zu einem ‚Upsell‘ überreden zu wollen. Der Polsterer kümmert sich um unseren Salon und Polster für’s Cockpit.

Insgesamt habe ich drei Tage in Kalamata, treffe mich mit allen Handwerkern und wir hegen weiter die Hoffnung, dass das Schiff bis Ende März fertig ist.

Meine griechische Familie

Meine neue Nichte heißt Vaseline. Jedenfalls habe ich mir den Namen so gemerkt, als ihr Vater sie vorgestellt hatte – in meinem Kopf Vaseline, wie eine Figur aus Asterix. Wahrscheinlich ist es wirklich Βασιλική, Vasilikí in arabischer Schrift.Vaseline ist ca. 12 Jahre alt, und lernt mittlerweile im ersten Jahr Deutsch auf der Schule. Sie wünscht mir einen guten Tag, und den wünsche ich ihr artig zurück. Dann entlässt sie ihr Vater wieder, und sie darf weiter auf dem Smartphone spielen.
Natürlich ist Familie etwas hoch gegriffen, aber nett sind sie doch alle. Es fing damit an, dass ich im Μαγειρειον Βερσαλλιες beim Mittagessen saß. Auf der anderen Seite des Gangs ein Sechser-Tisch, aber sieben Gäste. Es wird diskutiert, ob es vertretbar sei, einen Stuhl an das Kopfende zu stellen, oder ob das den Gang versperren würde. Thanos verliert, und setzt sich zwinkernd-schmollend an meinen Tisch. Beleidigt erklärt er mir, dass er von seiner eigenen Familie verstoßen wird. Ich biete ihm zum Trost von dem Wasser am Tisch an, und wir kommen ins Gespräch. Er ist Sportlehrer in Kalamata und Trainer im Fitness-Center. Nach einiger Zeit setzt er sich an einen freien Stuhl an seinem Tisch, und dafür setzt sich sein Bruder Apostolis zu mir, Elektroingenieur für Lotteriemaschinen. Seine Frau war mal in Hannover für eine komplizierte Operation, und sie waren – nicht nur deshalb – schon öfters in Deutschland. Wir diskutieren ein wenig über Sprachen – die Bedienung trägt ein auf dem Bazaar gekauftes Sweatshirt der Freiwilligen Feuerwehr Dankelsheim und freut sich, dass ihr jemand den Aufdruck erklären kann. Im Laufe der nächsten dreiviertel Stunde setzen sich alle Erwachsenen der Familie (zwei Brüder, jeweils mit Frau und Kindern) an meinen Tisch, am Ende kann ich ein Glas Wein nicht ablehnen – jamas!
Die zweite griechische Familie sind eigentlich Engländer bzw. Schotten. Die hatten wir schon letztes Jahr kennengelernt, sie überwintern planmäßig wieder in Kalamata. Als wir gemeinsam ein Bier trinken erinnern sie mich, dass wir in diesem Winter nicht in Kalamata sein wollten. Ich gebe meine rückwirkende Lüge zu, aber sie lachen nur – that’s cruising! Die beiden Paare wussten schon, dass ich bald wieder kommen würde (oder Frank), denn in den letzten Tagen hatten sie plötzlich Aktivität am Boot beobachtet. Ioannis sollte unser Anti-Fouling entfernen, und als er hörte dass ich komme, hat er die im Oktober vereinbarte Arbeit auch flugs gemacht. Dacht‘ ich’s mir – arbeiten lassen in Griechenland geht am besten mit häufiger Anwesenheit und den damit verbundenen sanften Druck.
Deshalb der Kurztrip nach Griechenland, mittlerweile Routine. Flug nach Athen, Mietwagen – ich hab mir einen 1er BMW gegönnt – eingesammelt, und ab auf die Autobahn. Mittlerweile auch Routine: das Umstellen des Bordcomputers von Griechisch auf Englisch (beim Zahnrad klicken, und dann irgendwo “ ελληνικά“ finden, da gibt’s dann Alternativen), und das Koppeln des Telefons bzw. Musikschachterls. Nur das mit der Lautstärke will Anfangs nicht klappen – egal wie oft ich die „+“ Taste des Tempomats betätige, es wird nicht lauter; die Lautstärkeregelung ist offensichtlich auf die andere Seite des Lenkrades gewandert. Nach Kalamata führt eine einwandfreie Autobahn, perfekt gepflegt und ziemlich leer. Vielleicht liegt es an der Maut – die wird in Griechenland an einzelnen Mautstationen eingesammelt, immer zwischen 1,50€ und 2,80€. Am Ende habe ich acht kleine Quittungen im Auto liegen.
Tatsächlich bin ich nur zwei ganze Tage beim Schiff – für ein paar kurze Aktivitäten:
• Ioannis an das Angebot für ein paar mechanische Arbeiten und ein paar Schönheitsreparaturen am Rumpf erinnern.
• Das Angebot des Polstermachers erfragen – er kommt schnell vorbei, und in seinem Notizbuch (neben unserer nicht genutzten Mail-Adresse), stehen auch ein paar Zahlen, die wohl das Angebot sind. Nebenbei hat er Stoffmuster mit (die Seestern soll evtl. innen wohnlicher werden).
• Der Segelmacher wollte offensichtlich nicht selber entscheiden, dass Pacific Blue dem etwas verblichenen Hallberg-Rassy Blau am nächsten kommt, deshalb entscheide ich das.
• Der Schreiner lässt sich auch erklären, was wir (nach Angebot) evtl. machen lassen wollen.
• Nebenbei messe ich noch ein paar Sachen aus, damit wir in Deutschland die richtigen Teile bestellen.
Außerdem montiere ich probeweise unsere Windsteueranlage, notiere mir hier ein paar kleine Aufgaben. Die Windsteueranlage ist ein mechanisches Wunderwerk, welches das Boot automatisch so steuern soll, dass der Wind immer von der gleichen Richtung kommt. Damit erspart man sich das am-Steuer-stehen über zwei Wochen Atlantik, sondern muss nur regelmäßig prüfen, dass der Wind noch aus der gleichen Richtung kommt. Wenn man sie mal montiert hat, ist es auch nicht wirklich ein Wunder, aber Achtung vor demjenigen, der das System zuerst ersann. Interessiert’s Euch? Sonst einfach zum nächsten Absatz springen. Mit einem über Seilzüge bedienbaren Ratschensystem wird eine leichte Holzfahne so gedreht, dass sie im Wind steht. Kommt dieser nach einer Welle von der Seite, kippt die Fahne, und bewegt über eine Stange ein Kegelrad in einem simplen Getriebe. Dieses dreht ein kleines Hilfsruder, welches in das am Schiff vorbeiströmende Wasser ragt, dadurch lenkt sich das Ruder nach links oder rechts aus, und über ein Seilzugsystem dreht die Steueranlage das Lenkrad unseres Hauptruders. Vom Prinzip verstehe ich es, ob es tatsächlich funktioniert, wird die Fahrt nach Sizilien offenbaren. Die Windsteueranlage war beim Schiff dabei, allerdings in neun Teile zerlegt und an drei verschiedenen Orten gelagert. Jedenfalls bin ich froh, das ganze mal an Land hingebaut zu haben, da tut man sich leichter, herunterfallende Schrauben wiederzufinden. Notiz an mich selber: das Ding das nächste Mal im Schiff zusammenbauen, und dann mit einem Seil gesichert vom Dinghi aus am Schiff montieren.
Heute habe ich dann unsere abgelaufene Rettungsinsel ins Auto gepackt, und zum zertifizierten Wartungsbetrieb in Athen gebracht. Die haben das Ding in meiner Anwesenheit geöffnet, mir erklärt warum wir das letzte Mal nur einen Stempel für ein Jahr bekommen haben, und mir das Vertrauen gegeben, dass uns das selbst-aufblasende Planschbecken auch auf dem Atlantik nicht im Stich lassen würde.
Dann bin ich noch etwas durch Piraeus gefahren, hab mir ein Hotel in Porto Rafti gebucht (eine Viertelstunde vom Flughafen, morgen früh geht mein Flieger) und hier sitze ich und schreibe diese Zeilen, während es draußen gewittert – die letzten Tage waren auch eine zu schöne Abwechslung zum kalten München.

Was ist dazwischen passiert? (Sep ’19 – Dez ’19)

Irgendwann versuche ich auch die Geschichten zwischendrin zu erzählen – wenn ich mal Zeit hab…

Deshalb hier ein paar der Ereignisse zwischendrin. Kurz geschildert, vielleicht werden daraus mal ‚echte Artikel‘

  • Natürlich haben wir die Seestern von Kreta wieder nach Kalamata gebracht. Lauter routinierte Segler, kein aufregendes Wetter. Aber immerhin eine Kunstprofessorin und einen echten modernen Opernkomponisten kennengelernt.
  • Da wir wieder in Kalamata überwintern, haben wir noch einige Projekte in Angriff genommen, von einer professionellen Segelwartung zu einigen Verschönerungen. Mittlerweile kennen wir die Handwerker in Kalamata ja.

Noch 30cm nach Santorini

[Das ist der zweite Teil einer eher zusammenhängenden Woche. Lies hier den ersten Teil.]

Das Restaurant Syrtaki besticht durch seine Lage direkt am Hafen von Firá auf der Insel Thera, allgemein als Santorini bekannt. Am Donnerstagabend sitzen dort einige Passagiere der P&O Cruises und warten auf ihre Rückfahrt auf die Azura, die in der Kaldera des erloschenen Vulkans vor Anker liegt. Gelangweilt sehen sie dort immer wieder die Wassertaxis anlegen und Touristen, wie sie es auch sind, ein- und aussteigen. Doch heute ist etwas anders. Plötzlich taucht eine bildschöne Ketch auf, fährt schneidig auf die Hafenmauer zu, dreht kurz davor ab und stoppt auf. Ein drahtiger, braungebrannter kleiner Mann springt an Land und es wird ihm eine rosa Reisetasche gereicht. Er winkt noch einmal schnell, doch die Ketch mit dem Schriftzug „SEESTERN – Übersee“ am Heckspiegel hat schon abgedreht und fährt auf die untergehende Sonne zu. Neidisch folgen die Blicke der Touristen dem Mann und dem Boot. Gegen Ihr Massen-Touristen-Haltungs Kreuzfahrtschiff genießt der Mann offensichtlich einen echten Individualservice. Soweit die Outside-In Perspektive, aber die Erlebnisse und Gefühle der Touristen im Restaurant Syrtaki sollen auch nicht weiter mein Thema sein.

Santorini, das ist aus meiner Sicht das klassische Griechenland: Weiß getünchte Häuser mit blauen Dächern, ein Traumziel. Klar, dass wir da mal hinfahren müssen wenn unser Schiff schon in der Gegend liegt. Besonders für Frank, der in seiner Jugend schon einmal schnöde an Land gecampt hat, ist die Fahrt durch die Kaldera wohl eine Herzensangelegenheit. Denn tatsächlich ist die Insel für einen Besuch mit dem Segelboot eher unpraktisch. Es gibt keine vernünftige Marina, ein sicherer Hafen im Süden ist zu flach für unsere 2,10m Tiefgang. Ankerplätze sind selten und bei kräftigerem Wind ungemütlich; da hätten wohl Frank und ich nicht die Ruhe gehabt entspannt im Ort zu sitzen, während die Elemente versuchen, uns die Seestern abspenstig zu machen. Und der Wind ist kräftig – warum sind wir trotzdem hier? Die einfache Antwort: Um Udo zum Flughafen zu bringen. Die ganze Geschichte sieht so aus, und beginnt in diesem Post auf der Fahrt nach Milos:

Die Standard Zeiteinheit für einen Segelurlaub ist „die Woche“. In meinen 18 Jahren Charter-Segel-Erfahrung hatte ich nur zweimal eine Doppelwoche. „Die Woche“ beginnt am Samstagmittag mit Überprüfung und Proviantierung des Charter-Schiffes. Abgelegt wird selten am Samstagnachmittag, meist am Sonntagmorgen. „Die Woche“ endet am Freitagabend mit Volltanken, meist darf man bis Samstagmorgen auf dem Schiff übernachten. „Die Woche“ wird meist weit im Voraus gebucht, Frühbucherrabatt. Deshalb nehmen sich alle Mitfahrer auch die ganze Woche Zeit. Ach ja, und „die Woche“ kostet ca. € 2.000 an Chartergebühr. Seitdem wir die Seestern haben, hat sich das geändert. Wir zahlen keine Chartergebühr mehr, sondern – ach lassen wir das. Aber alles ist viel flexibler, deshalb sind wir erst am Sonntagabend angereist, und Udo muss am Samstagmittag wieder zuhause sein, damit er mit seiner Frau keinen Ärger bekommt. Also planten wir grob unsere Reise so, dass Udo von Santorini aus am Freitagabend zurückfliegt, und wir am Sonntag von Kreta aus. Frank und ich haben den Rückflug aber noch nicht gebucht. Auf Milos wollen wir das nun endlich tun.

Mit der aufkommenden Morgendämmerung steuere ich auf die Insel zu. Mit Beginn meiner Wache haben wir das Vorsegel gesetzt, doch damit gewinnen wir nicht genug Höhe in Richtung auf die Nordseite der Insel. Der Wind frischt auf, und wir setzen das Großsegel im zweiten Reff. Dazu muss das Vorsegel kurz weggerollt werden, es wehrt sich aber, und am Ende flattert ein Teil des UV-Schutzes am Achterliek. Da wird sich der Segelmacher in Kalamata freuen. Insgesamt ist an dem Morgen segeltechnisch irgendwie der Wurm drin, wir segeln also an die Westküste, rollen dann die Segel weg und stampfen dann noch zwei Stunden unter Motor gegen Wind und Welle bis wir mittags in Milos Bay im Hafen von Adamantas anlegen. Heute ist Mittwoch, und wir wollten am Donnerstag in einer Bucht auf Ios übernachten, dann am Freitag entspannt nach Santorini und weiter nach Kreta. Doch Sorgen macht uns die Windprognose. In der Ägäis weht im Sommer der Meltemi, und der kann auch mal heftiger werden. Für den Freitag ist auf der Windfinder-App die Gegend um Santorini dunkelrot eingefärbt: 35-40 Knoten. Auch Donnerstag sieht es nicht mehr entspannt aus. Einige der Segler im Hafen buchen gleich bis Montag – und wir diskutieren Alternativen. Die sicherste Alternative wäre es wohl, nach Kalamata zurück zu huschen. Der Peleponnes hält den Meltemi ab, spätestens ab Kap Maleas wäre es wohl ruhig. Udo müsste dazu von Milos eine Fähre nach Santorini nehmen, und wir hätten gekniffen. Wir überlegen eine Alternative, am Donnerstagmorgen früh nach Santorini segeln, und dann gleich weiter nach Kreta, geplante Ankunft Freitagmorgen in Agios Nikolaos. Damit wären wir erst einmal vor dem heftigsten Wetter unterwegs. Gebongt. Wir trinken an der Hafenpromenade ein Ouzo, Frank bucht für uns ab Heraklion einen Flug.

Aufbruch Donnerstagmorgen kurz nach Sonnenaufgang. Mit extrem viel Respekt verlassen wir den Hafen. Schon am Abend und in der Nacht hat es ordentlich gepfiffen – im wahrsten Sinne des Wortes, alle Drahtseile am Steg haben gesungen. Es konnte sich also eine schöne Welle ungehindert aufbauen, und wenn wir jetzt aus der Bucht von Milos fahren, bekommen wir die erst auf die Nase und dann von der Seite. Den ersten Teil der Strecke, bis zu der Passage zwischen Milos und Kimolos, fahren wir unter Motor – das ist zwar schummeln, aber heute wollen wir keinen Blumentopf für Stil gewinnen, sondern unser Schiff sicher in den Hafen bringen. Nördlich von Milos sind die Wellen da. Dadurch dass der Auspuff (am Heck in der Nähe der Wasserlinie) manchmal frei von der Kuppe einer Welle tönen kann, im nächsten Moment aber wieder unter Wasser ist, ändert sich das Motorgeräusch ständig, aber die Seestern pflügt. Nach der Meeresenge setzen wir das Vorsegel – dürfte bei dem Wind locker reichen, und bei dem Geschaukel ist unsere Begeisterung, zum Großsegel setzen an den Mast zu gehen etwas eingeschränkt. Frank und ich, die ja auch die folgende Nacht durchfahren müssen, versuchen abwechselnd etwas zu schlafen, und Udo übernimmt häufig das Steuer. Ich tue mich schwer, Wellenhöhen abzuschätzen, aber ca. 1,5m-2m werden sie schon immer wieder haben. Der Wind weht mit ca. 25 Knoten (Windstärke 6, „starker Wind“), die stärkste Böe war bei über 35 Knoten, das ist dann schon stürmischer Wind. Eigentlich gar nicht mehr meine Komfortzone, aber die Seestern fährt klaglos; außer man möchte das Scheppern der Gläser und Teller im Küchenschrank als Klage verstehen. Teilweise sieht man die Welle von der Seite kommen, dann kann man noch versuchen mit ihr zu lenken, aber meist schaut man ja nach vorne um den Kurs zu halten – das ist anspruchsvoll genug, während die See am Ruder zerrt. Dann hebt einen die Welle an, das Schiff sackt in das Tal hinter der Krone, und beim darauf folgenden Anstieg legt sich die Seestern richtig auf die Seite. Auch im Cockpit tragen wir alle die Rettungsweste, und sind mit einer Lifeline gesichert, das vermittelt sicher ein Gefühl der Sicherheit, aber nach einiger Zeit gewöhnt man sich an die Bewegung des Schiffes; es macht Spaß. Whoo-hoo, Rodeo!

Langsam kommt Santorini in Sicht. Von weitem sehen die Inseln schneebedeckt aus, kommt man näher wirken die über der kargen Steilküste gelegenen Orte wie große Stücke Würfelzucker auf einem Kuchen. Am Nachmittag fahren wir in die Kaldera von Santorini ein. Wir wollen Udo in Firá absetzen, von der Hafenmauer dort geht eine Seilbahn in den Hauptort. Im Revierführer heißt es zwar „Yachts are not welcome here“, aber wir wollen ja nicht bleiben. Besonders im Kontrast zum offenen Meer hat es hier kaum Wellen, und auch der Wind scheint nachgelassen zu haben. In einem Gewusel von Wassertaxis und Ausflugsbooten fahren wir an den Kai, um es spannender zu machen frischt der Wind hier wieder auf. Auch die plätschernden 30cm Wellen nerven, da kann das Schiff ganz schön an der Hafenmauer rubbeln. Ca. dreißig Zentimeter vor Santorini drehe ich die Seestern ab und stoppe auf. Binnen Sekunden ist Udo an Land, Frank setzt einen Fuß an Land um uns etwas abzustoßen, und wir tuckern weiter. Das war also mein Erlebnis mit der Trauminsel: Sightseeing from the boat. Wir suchen uns noch an der Südseite eine windgeschützte Bucht, kleben unsere Backbord Positionsleuchte mit Panzerband wieder zusammen, und kochen uns einen Topf Nudeln – Stärkung für die Nacht.

  Wir haben uns mittlerweile für die Marina in Rethymno (um)entschieden, Kompasskurs 220°. Unser Vorsatz, dass einer steuert und der andere an Deck döst, lässt sich nicht umsetzen. Zu unruhig ist der Schlafplatz auf der Cockpitbank, und mindestens alle 20 Minuten kommt eine Welle über die Bordwand und duscht den Steuermann und den Rest des Cockpits. Auf dem Sofa im Bauch des Schiffes schläft es sich ruhiger und trockener. Zum Wecken erhält der Schläfer einen Bindfaden ums Handgelenk, das andere Ende hängt an der Steuersäule. So kann ich Frank wachzupfen, als ich später um 2:00 morgens erst einmal genug habe. Als Alternative gäbe es noch das Nebelhorn – eine Druckluftdose mit Hupe drauf, aus Fußballstadien bekannt. Das Gegenteil davon, sanft geweckt zu werden.

Auf diesem Teil der südlichen Ägäis ist nicht viel los. So beobachte ich erst auf dem AIS, dann mit Fernglas, dann mit bloßem Auge die E.R. Yokohama, die von Süden aus dem Suezkanal nach Piräus fährt. Das Containerschiff könnte wohl schneller fahren, aber offensichtlich möchte es erst nach Tagesanbruch ankommen. Kann ich verstehen – auch wir möchten nicht in einem unbekannten Hafen nachts anlegen. Am Ende fährt die E.R. Yokohama ca. 3Seemeilen vor unserem Bug vorbei. Ich überlege mir, wie es auf der Brücke des 300m langen Schiffs zugeht. Wie ‚wichtig‘ muss der Wachhabende sein? Hält er wirklich konzentriert Ausguck, oder hat er mal kurz realisiert, dass da ein langsames Segelschiff unterwegs ist, welches ihm nie gefährlich werden könnte? Lacht er sich einen Ast über den Amateur am Steuer, dessen Kurs durch Wellen und Unachtsamkeit zwischen 270° und 180° pendelt – ich gebe zu, dass nicht nur meine Gedanken schweifen, sondern auch die Richtung der Seestern. Auch ein paar Passagierschiffe sind unterwegs, auch diese scheinen langsamer zu fahren als notwendig, wahrscheinlich wollen sie ihren Gästen nicht zumuten, vor dem Aufwachen das Schiff verlassen zu müssen.

Um 6:00 zupft es auch an meinem Handgelenk – der Bindfaden war eine praktische Idee. Offensichtlich haben wir beide beschlossen, den ‚Envelope‘ bei der Wachlänge etwas zu ‚pushen‘; auf dem Atlantik möchte man ja auch nicht alle zwei Stunden einen Wachwechsel machen. Frank weist mich kurz ein: An Steuerbord eine Fähre, die wohl auch erst mit Tagesanbruch in Souda sein möchte. Direkt voraus die Lichter der Stadt, also von Rethymno. Von der vorhergesagten Abschwächung des Windes ist nichts zu spüren; die Wellen haben auch nicht abgenommen. Ab und zu wird die Seestern von einer besonders großen Welle erfasst. Ich schätze drei Meter in den extremsten Fällen, aber mei: wer will’s beweisen, wer will’s widerlegen – und je höher die Welle, umso größer der Held? Interessanterweise wird es in der aufkommenden Morgendämmerung schwieriger die Stadt zu erkennen. Die orangen Straßenleuchten heben sich nicht mehr so deutlich ab, alles wird etwas fahl. Dennoch, irgendwas erkennt man das „Venetian Fort, conspicuous“ aus dem Revierführer, man beginnt zu ahnen wo der Wellenbrecher des Hafen ist, und auch der Kartenplotter zählt langsam die Zeit runter. 15 Minuten vor Ankunft zupfe ich Frank wach, wir holen das Vorsegel ein, welches wir fast die ganze Nacht in voller Größe gefahren haben, und surfen auf einer Welle der Hafeneinfahrt entgegen. Selten erschien mir der Name Wellenbrecher so ausdruckstark, als wir in die Einfahrt einbiegen ist das Wasser plötzlich glatt. Wir wollen das ruhige Vorbecken des Hafens nutzen, um uns zu sammeln, und die Anlegevorbereitungen zu treffen. Ein Mitarbeiter des Hafens bedeutet uns, erst einmal an der großen, unbesetzten Hafenmauer anzulegen. Als wir festgemacht haben, fällt mir schon ein Stein vom Herzen, und wir gönnen uns um 9:30 das Bier auf welches wir zum Abendessen zuvor verzichtet haben. Hallo, Kreta.

Der Marinero – als er erfährt dass das Schiff hier für vier Wochen liegen soll – möchte uns baldmöglichst einen Platz in der Marina selber zuweisen. Wir parken also noch einmal um, und beschließen die Segelwoche. Ein paar Formalitäten, noch ein Bier für mich, und etwas Schlaf nachholen. Viel mehr werden wir auch im Laufe des Nachmittags nicht machen. Kaffee und Cocktails in der Stadt, das organisieren der Fahrt zum Flughafen am nächsten Morgen, die Seestern für einen Monat sichern, dann einen Spaziergang in der Altstadt und Abendessen. Uns fällt auf, dass die Stadt recht wackelig gebaut ist – alles schwankt.

Fazit: Das war keine Woche, um jemanden für’s Segeln zu begeistern, der nicht schon vorher ein Fan war. Drei Etappen, 337 Seemeilen von Montagmittag bis Freitagmorgen (Das ist mehr als doppelt so viel wie das übliche Pensum in einer „die Woche“), drei durchsegelte Nächte, und mehr Wind als ich sonst freiwillig gesucht hätte. Das alles nicht unbedingt vergnügungssteuerpflichtig. Aber eine Super-Erfahrung. Nach den meisten Schilderungen haben wir auf der Überquerung des Atlantiks in westliche Richtung nicht mehr zu erwarten an Wind und Welle. Natürlich sind zwei Wochen durchgehender Schichtbetrieb eine andere Nummer, aber mit anderen Reisen (Griechenland – Sizilien) werden wir unsere Grenzen noch weiter testen. Sabbatical, here we come!

Nightwatch

Der Wecker klingelt um 3:55. Genauer gesagt, flucht Gerhard Polt über die coachende Mutter in „Longline“, aber das ist bei meinem Mobiltelefon eben der Weckton. Ich habe die Sonnenaufgangswache, muss jetzt ans Steuer, oder zumindest die Verantwortung für die Seestern übernehmen. Es sollte ruhig werden – als ich ins Bett gegangen bin, fuhren wir unter Motor über’s spiegelglatte Meer, und seitdem hat sich am Motorengeräusch nichts geändert. Ich habe auch schon einen Plan: wenn die beiden anderen schlafen, hole ich meinen Laptop an Deck und halte meine Eindrücke – quasi live – fest. Allerdings schaukelt das Schiff nun etwas mehr als um 22:00. Shorts, T-Shirt, Rettungsweste; bereit für die Wache gehe ich den Niedergang rauf ins Cockpit. Dort herrscht Anspannung: Frank starrt durch ein Fernglas nach hinten, und auch Udo dreht sich immer wieder um. Tatsache, da ist ein Frachter. Genauer gesagt sind dort drei Lichter zu sehen: zwei weiße und ein rotes, doch als erfahrener Seebär weiß man: Frachter mit über 50m Länge, dessen Backbordseite wir sehen. Er kommt näher, und das offensichtlich schon seit einiger Zeit. Der Mond ist untergegangen, es ist also stockfinster, und wir sind mittlerweile über 50km von jedem Land entfernt. Der Frachter kommt näher.

Eigentlich ist die Situation klar: Nach Regel 13 der international gültigen Kollisionsverhütungsregeln muss ein überholendes Fahrzeug dem anderen ausweichen, und ein Fahrzeug (Schiff) gilt nach der etwas sperrig formulierten Regel 13 b) dann als überholendes Fahrzeug, wenn es sich einem anderen aus einer Richtung von mehr all 22,5 Grad achterlicher als querab nähert und daher gegenüber dem zu überholenden Fahrzeug so steht, dass es bei Nacht nur dessen Hecklicht, aber keines der Seitenlichter sehen könnte. Also muss der Frachter uns ausweichen, und wir sind nach Regel 17 der KVR sogar verpflichtet, Kurs und Geschwindigkeit beizubehalten, damit der Ausweichpflichtige sich auf uns einstellen kann. Der Frachter kommt näher.

Die Abstände zwischen den drei Lichtern des Frachters werden größer und die Lichter selber immer heller. Man erkennt gegen die pechschwarze Nacht mittlerweile einen noch etwas dunkleren Fleck. Unser AIS piept auch hektisch: „Dangerous AIS Target“ teilt es uns mit. Der Frachter kommt näher. Neben der oben erwähnten Regel, die meist als „Überholer müssen sich frei halten“ abgekürzt wird, gibt es noch einen anderen Merkspruch, der in keinem Gesetzestext steht: „Stahl vor Plastik“. Wir lassen es nicht drauf ankommen, und fahren einen Kringel nach Backbord. Hoffentlich hat nicht im gleichen Moment der Frachter beschlossen, vorschriftsmäßig hinter unserem Heck vorbei zu fahren, denn dann hätten wir ihm jetzt ein Ei gelegt, wir wären wieder auf Kollisionskurs, und der Frachter wäre noch näher. Aber der Frachter fährt unbeeindruckt gerade weiter. Vielleicht wäre es nicht einmal eng geworden. Auch auf dem Frachter haben die AIS, und wahrscheinlich hat deren Navigator schon vor einer halben Stunde ausgerechnet, dass er knapp vor unserem Bug mit 100m Abstand vorbeifährt, auch wenn wir nichts getan hätten. Es kann natürlich auch sein, dass der Wachführer sich gerade einen Kaffee macht, oder auf seinem Laptop einen Blog schreibt. Ich tue mich wahnsinnig schwer bei so etwas Entfernungen zu schätzen, aber der schwarze Schiffsrumpf ist beim vorbeifahren beeindruckend groß, und man hört die Maschine und die Ablüfter deutlich. Die drei Lichter verschwinden (Sie scheinen nur nach vorne und 22,5 Grad achterlicher als querab), und wir sehen sein Hecklicht. Der Frachter fährt davon.

Doch wie kommt es, dass ich diese spannende Situation im südlichen Ägäischen Meer erleben durfte? Wir sind mal wieder eine Woche Segeln – Frank, Udo und ich. Wir folgen dabei einem Plan, genauer gesagt der ungefähr fünften Version davon. Auf http://torfprogramm.de/segeln/ habe ich ja mal einen Plan unserer Route eingestellt. Wir wollten im Frühjahr eine gemütliche Runde durch die Ägäis machen, um dann im Herbst über Sizilien, Malta, Tunesien und Sardinien in die Nähe von Genua zu segeln, um dort in Autoentfernung von München zu überwintern. Dann beschlossen wir, einen neuen Motor einzubauen, das Frühjahr haben wir mit Basteln verbracht, und auch die Zeiten, die Frank und ich uns aus dem Staub machen konnten waren nicht so üppig wie erhofft. So wurde erst Tunesien gestrichen, aus Genua wurde ‚irgendwo an der italienischen Westküste‘, Malta würde wahrscheinlich auch etwas viel werden, und vor ca. drei Woche war es der Plan, von Kalamata direkt nach Sizilien zu Segeln, ca. 72 Stunden am Stück. Wir konnten Udo – der mit uns über den Atlantik Segeln wird – überzeugen mitzukommen, und er hatte auch schon seinen Flug von Sizilien nach München gebucht. Dann kamen die ersten Antwortmails auf meine Preisanfragen für Marinas in Italien. Hust, Hust, wie bitte? Die Seestern wird in Griechenland überwintern. Für das gesparte Geld können wir oft nach Kalamata fliegen, und zumindest mir ist die Stadt irgendwie ans Herz gewachsen. Also vielleicht doch im Herbst noch zwei Wochen, Kalamata nach Kreta und wieder zurück, etwas Kykladen und Santorini Inklusive.

Wegen diverser Verpflichtungen sind wir erst am Sonntagabend nach Kalamata geflogen, noch schnell ein Bier und ab ins Bett. Am Morgen teilen wir uns auf, Frank und Udo gehen einkaufen und ich schlage mich mit ein paar Bootsthemen durch – aber um 13:15 sind wir bereit und legen ab. Ganz genau steht der Plan noch nicht – der erste Fixpunkt ist die Insel Milos in den Kykladen, doch diese ist 150 Seemeilen entfernt. Mit dem Segelboot rechnen wir dabei mit ca. 30 Stunden Fahrzeit. Doch was wäre ein guter Zwischenstop? Vielleicht Porto Kaio an der Spitze des Mittelfingers des Peleponnes? Wir versuchen es mal. Es hat durchaus Wind, nicht genug für Höchstgeschwindigkeiten, aber doch soviel, dass es eine Sünde wäre, den Motor anzuwerfen. Bald stellen wir fest – wir haben keine Möglichkeit, die Bucht noch im Hellen zu erreichen. Ich war da schon einmal, würde mich auch trauen da nachts zu ankern, aber kombiniert mit den Windprognosen wird da kein runder Plan draus. Nach einigem Diskutieren kommen wir zu dem Ergebnis, die eher windstiller vorhergesagte Nacht mit dem Motor durchzufahren, und am Morgen den auffrischenden Wind in der Ägäis zu nutzen, um einen Tag früher in Milos zu sein.

Nachts zu segeln ist an sich nicht gefährlich, doch eines denkt man sich sofort: Sollte hier jemand über Bord gehen, dann wird es sofort todernst, da man kaum eine Chance hat im dunklen einen Kopf zu finden der ab und zu zwischen den Wellen auftaucht. So machen wir es nachts zur Pflicht, eine Rettungsweste zu tragen, wenn man sich aus dem Rumpf des Schiffes traut. Dann hat der Kopf noch einen neongelben Schwimmkragen mit Reflektoren daneben, und viele Westen haben auch noch ein automatisches Blinklicht dabei. Wenn man das Cockpit verlässt, pickt man sich mit Safety-Lines an den vorhandenen Sorgleinen ein, und ist immer mit einem stabilen Gurt mit dem Schiff verbunden. Außerdem überlegt man, was man tun kann, um möglichst wenig an Deck herumzukrabbeln. Auf der Seestern wird das Großsegel am Mast gesetzt und gerefft (kleiner gemacht), fährt man also nur mit Vorsegel (welches sich komplett vom Cockpit aus setzen, bedienen, reffen und einholen lässt) reduziert man das Person-am-Deck-Risiko zum Preis schlechterer Performance am Wind. Das Großsegel haben wir mit dem letzten Tageslicht auf dem offenen Meer an Kap Tainaron geborgen – bei stark schaukelndem Schiff, im ruhigeren Wasser des Kolpos Lakonisos krabbelt Frank noch vor, um das backbord Navigationslicht mit Klebeband zu flicken.

Zu dritt teilen wir die Nacht von 22:00-7:00 in drei Schichten auf und bestimmen jeweils einen zum Wachführer, einen als Standby (kann im Cockpit schlafen, aber darf jederzeit geweckt werden, um mal zu helfen), und einer geht runter und schläft. Ich mache die erste Wache, Udo wird auf der Bank in der Plicht schlummern. Anfangs fahren wir bei halben Wind nur mit Vorsegel noch anständig, aber gegen elf schläft der Wind ein und ich werfe unseren neuen Dieselmotor an. Nachtwache bei ruhigem Meer und unter Motor ist hauptsächlich ein Kampf gegen Langeweile und die Gefahr des Einschlafens. Wir halten uns Anfangs noch nördlich der Route der großen Schiffe, denn eigentlich alles was aus Athen, Piräus, Istanbul, schwarzem Meer oder westlicher Türkei ins westliche Mittelmeer oder zurück will fährt die Route südlich der Kaps Maleas und Tainaron. Dabei spiele ich mit unserem neuen, an der Steuersäule angebrachten, Kartenplotter und dem AIS System.

Als ich segeln lernte, waren Papierkarten und terrestrische Navigation noch die wichtigsten Hilfsmittel, GPS teuer, ungenauer und primitiv – man hat eher die Position in Länge und Breite abgelesen, und dann in der Karte mit Bleistift markiert. Folglich war der Navigations-Tisch das Heiligtum des Schiffes, zB ein Getränk darauf abzustellen ein Sakrileg, denn Kaffee-durchweichte Seekarten wären ein echtes Risiko. Damals wurden die Anweisungen von unten an den Steuermann gegeben: „Fahre Kompasskurs 75°, Du müsstest dann neben der Landspitze eine Insel mit zwei Bergen sehen, an der kannst Du Dich orientieren.“ Der Steuermann führte aus, und gab evtl. Rückmeldung wie „Bei diesem Wind kann ich nicht auf 75° fahren, gib‘ mir eine Alternative.“ In dieser Tradition sind bei der Seestern noch alle wichtigen Elektronikgeräte hier versammelt, einschließlich des Raymarine 12″ Kartenplotters, also elektronische Seekarte und Routenplaner. Irgendwie nicht mehr zeitgemäß wenn ich mir modernere Schiffe ansehe, in unserer ersten Seestern Praxis sind wir  dann eher auf einen ipad ausgewichen, der in Schutzhülle an Deck liegt. Unser Kartenplotter war vor 10 Jahren top-modern und teuer, und nach Studium des Handbuches haben wir auf ebay ein zweites Gerät aus der Baureihe gekauft, welches sich mit dem ersten koppeln lässt, und dieses vor dem Steuerrad montiert. Was das Gerät schon kann, ist AIS (Automatic Identification System, ein System nach dem alle großen Schiffe (und kleinere freiwillig) in kurzen Abständen ihre Position, Geschwindigkeit, Kurs und andere Informationen in die Umgebung funken). Unser Gerät ‚hört‘ dem Funkverkehr zu, und stellt die anderen Schiffe als graue Dreiecke auf der elektronischen Karte dar. Errechnet das Gerät die Gefahr einer Kollision wird das Dreieck rot, und das Gerät fängt an zu piepsen [das kann übrigens auch sehr nerven, zB wenn man in einem Hafen manövriert, und auch nur kurz auf ein geparktes Schiff mit eingeschaltetem AIS zufährt; man ist dann ständig beschäftigt, das Gerät zum Schweigen zu bringen; alternativ schaltet man die Alarmfunktion aus, und vergisst sie am nächsten Tag wieder einzuschalten]. Doch in dieser Nacht hält es ein wenig wach. Wenn am Horizont ein Schiff auftaucht, geht man mit dem Cursor auf das entsprechende Dreieck und drückt auf den „Display full AIS Information“ Knopf. Das spuckt aus, dass es sich hierbei um die MSC Sinfonia handelt, welche mit 17 Knoten auf einem Kurs von 85° fährt. Weiter erfährt man, dass die MSC Sinfonia 275m lang, 29m breit ist, einen Tiefgang von 6,8m hat, und gerade auf dem Weg von Dubrovnik nach Mykonos unterwegs ist. Der Plotter errechnet, dass man in 43 Minuten und 27 Sekunden die geringste Annäherung von 3,5 Seemeilen hätte, wäre einem das zu knapp, könnte man sie mit der angezeigten MMSI: 356716000 und einem Funkgerät von Raymarine mit einem Knopf anfunken und sie bitten den Kurs zu ändern, schließlich sei man ein Segelboot und das motorbetriebene Kreuzfahrtschiff somit zum Ausweichen verpflichtet.

Leider hat mittlerweile der Wind so nachgelassen, dass ich das Vorsegel wegrolle und den Motor anwerfe. Damit sind wir in der Ausweich-Hackordnung der MSC Sinfonia gleichgestellt, welches bei anderen Schiffen die Nacht noch einmal spannend macht, denn… aktuell sind wir nördlich dieser ständigen Perlenkette an schnellen Schiffen, aber irgendwann müssen wir auf die andere Seite, denn wir wollen hinter Kap Maleas nicht nach Norden abbiegen. Leider ist keine Fußgängerampel weit und breit zu sehen. Ich warte eine Lücke zwischen den entgegenkommenden Schiffen ab, und setzte einen Kurs auf die Nordspitze der Insel Kythira. Wie geplant fährt die MSC Elbe entspannt vor unserem Bug vorbei, aber den Winkel zu der ihr folgenden MS Sukran III, ein Tanker unterwegs von Ceuta nach Piräus, habe ich falsch eingeschätzt. Erbost werde ich mit dem Suchscheinwerfer angeblinkt, und zusammen mit Frank (dessen Wache gerade angefangen hat, es ist 2:00) entscheiden wir uns für ein Ausweichmanöver. Selbstkritik: das sollte in Zukunft souveräner werden. Ich überlasse es Frank, den Rest der von mir eingebrockten Suppe auszulöffeln, und gehe ins Bett.

Ungefähr 10 Seemeilen östlich von Kap Maleas, es ist sowieso Zeit für meine Stand-by Wache, stirbt der Motor plötzlich mit einem hässlichen Husten ab. Erneute Startversuche quittiert er mit weiterem Husten, aber auch das wird weniger heftig – er springt nun einfach nicht an. Ein kurzer Check: Die Temperatur ist OK, Kühlwasser ist vorhanden und wird bei den Startversuchen auch gepumpt, und ein Ölmangel leidender Motor stirbt anders. Kein Treibstoff mehr? Kann eigentlich nicht sein. Praktischerweise liegt die neue Tankuhr säuberlich eingepackt im Schrank, der Anschluss und Einbau hatte noch nicht die höchste Priorität, dumm eigentlich. Wir haben ja vor ca 10 Segeltagen den Tank vollgemacht (dachten wir), und auch wenn ein Teil des Diesels wegen Verunreinigungen beim Tank sauber machen entsorgt wurde – kann das wirklich sein? Aber eine bessere Erklärung fällt uns nicht ein und beschließen, es erst einmal mit Tanken zu versuchen; als Segelboot können wir ja zur Tankstelle segeln. Wir diskutieren Alternativen und suchen im Revierführer nach Häfen in der Nähe. Unsere beste Chance scheint Kythira zu sein, 20 Seemeilen hinter uns, auch der Wind steht dafür günstig. Also wenden, Segel setzen, und auf mindestens vier Stunden Fahrt freuen – eher mehr, denn noch haben wir wenig Wind. Immerhin haben wir Glück – wir haben noch einen zweiten Tank unter dem Sofa, und da ist noch eine Pfütze Diesel drin. Ein Ventil geöffnet, und der Diesel fließt in den Haupttank. Nachdem der Motor etwas abgekühlt ist, entlüfte ich das Treibstoffsystem (zum Entlüften muss man an die andere Seite des Motors, das gibt leichte Verbrennungen am Bauch), und der Motor springt klaglos an. Das sollte reichen, um vor dem Hafen zu manövrieren, und anzulegen. Aber uns fehlt der Mut, den schwachen Wind damit zu kompensieren. Am Ende legen wir erst fast acht Stunden später in Agio Pelagia auf Kythira an. Frank hat mittlerweile geklärt, dass die Tankstelle auf der Insel den Hafen dort mit einem kleinen Tanklaster anliefert, sie können aber erst um 16:00 kommen. Ein paar Bierchen auf das überstandene Abenteuer, etwas Baden im glasklaren Wasser an der Mole (der Hafen war mal der Fährhafen, ist jetzt aber kaum genutzt), und dann noch ein gemütliches Abendessen im Dorf. Um 22:00 legen wir ab, und fahren bei spiegelglattem Meer der Insel Milos entgegen. Ich lege mich schlafen; meine Wache beginnt um vier.

Was ist dazwischen passiert? (April ’19 – Sep ’19)

Irgendwann versuche ich auch die Geschichten zwischendrin zu erzählen – wenn ich mal Zeit hab…

Deshalb hier ein paar der Ereignisse zwischendrin. Kurz geschildert, vielleicht werden daraus mal ‚echte Artikel‘

  • Eigentlich gibt’s noch ein paar witzige Erlebnisse aus den zwei Wochen vor dem 1. Mai – ein Besuch von JUB, und ein Judas, der verbrannt wird.
  • Ich war dann noch eine Woche mit Oli im July – wirklich Segeln. Fazit: zu heiß für mich, die Jahreszeit, aber der Motor schnurrt.

Zwei Wochen Segelurlaub in einem Tag

Wir befinden uns in der Woche vor dem 17. April. Der ganze Motoreinbau ist erledigt. Der ganze Motoreneinbau? Nein! Ein von unbeugsamen Einbauvorschriften geforderter neuer Auspuff hört nicht auf, unseren Ferien ein Hindernis zu sein. Eigentlich waren wir optimistisch – das Schiff war ein paar Wochen zuvor aus dem Wasser gekommen, neue Seeventile und der tolle neue Propeller konnten montiert werden, und der Motor war auch schon im Schiff. Aber ein paar Tage vor dem Abflug rief Ioannis an, und schlug uns vor, den Auspuff direkt aus dem Motorenraum ins Freie zu führen. Mehr dazu unten.

Wir hatten geplant, in den nun folgenden zweieinhalb Wochen eine kurze Probefahrt mit dem Schiff zu machen, über den Umweg Santorini (um bei Problemen nicht allzu weit weg von Kalamata zu sein) nach Sizilien zu fahren. Das es damit evtl. nichts wird, ahnten wir schon länger. Wir hatten deshalb auch nicht besonders intensiv um Mitsegler geworben, eher leidgeprüfte Mitbastler gefragt – und uns auch selber eher spät bezüglich des Termins festgelegt. Kurz vorher gebucht war die preiswerteste Variante ein Flug für 320€ (hust – pro Person) nach Athen, und von da aus mit dem Bus nach Kalamata. Immerhin eine Gelegenheit bei der achten Reise nach Griechenland innerhalb eines Jahres mal die Akropolis zu sehen. Folgerichtig ein Hotel in Downtown Athen gebucht, und am Morgen des 18. Aprils stehen wir um kurz nach acht an den Toren der Akropolis. Zufälligerweise ist der ‚Tag des Monumentes‘, der Eintritt ist frei, und wir schlendern an alten Säulen und Theatern in die ‚Oberstadt‘ (= Akropolis wörtlich übersetzt). Dort angekommen kann ich ein paar Selfies mit Parthenon machen, und Frank sieht sogar noch den Wachwechsel an der griechischen Flagge, einschließlich schief singender Soldaten. Während wir entspannt die Aussicht genießen füllt sich der Hügel immer mehr. Hier folgt die Gruppe „Mein Schiff 2 – 36“ einem Regenschirm, dort versuchen mehrere Asiaten mit Selfiestick die Erhabenheit des Augenblickes festzuhalten. Als wir ca. 9:30 vom Hügel hinabsteigen quälen sich uns Menschenmassen entgegen. Bloß weg hier. Mein Tipp für Besucher: um 7:50 am Eingang sein, sofort den Berg rauf sprinten, und den weniger beeindruckenden Rest am Fuße des Hügels danach besichtigen.

Danach noch das Akropolis Museum ansehen – auch sehr sehenswert. Die alten Steine sind nett, aber wir philosophieren mehr über andere Aspekte: Die wertvollsten Stücke der Akropolis sind im sogenannten „Elgin Room“ des British Museums ausgestellt. Thomas Bruce, 7. Earl of Elgin war ein Diplomat und ‚geschickter Kunsträuber‘, der Anfang des 19. Jahrhunderts große Teile des Tempels vor dem unzuverlässigen Schutz der Griechen rettete, um ihn für die würdige britische Nachwelt zu erhalten. Der anklagende Ton auf den Schautafeln im Museum lässt sich nicht überlesen. In Athen verblieben nur ein paar kleine Fragmente, wo wir die Archäologen nur bemitleiden können. Ein etwa ziegelsteingroßer Brocken wird als linkes Handgelenk von Zeus identifiziert, die gesamte ca vier Meter hohe Plastik ist drum herum nachgebildet – echt jetzt? Das wissen die von dem unförmigen Steinklumpen?

Durch einen Zufall ist auch ein Arbeitskollege von mir – Johannes – gerade in Athen, als Teil einer Vierer Gruppe. Ohne genau erklären zu können, warum, fanden wir die Idee witzig, sich zu treffen. So spielen wir den Vormittag über Whatsapp-Ringelreihe: „ja, wir wären jetzt hier“ – „Ach so, na ja wir gehen jetzt erst noch hier hin.“ Gegen Mittag zieht es etwas zu, der Himmel verdunkelt sich, die Götter zürnen… Gut, beim letzten Teil bin ich nicht sicher, aber am Vortag hat tatsächlich ein Blitzschlag auf der Akropolis vier Leute verletzt. Jedenfalls will die Gruppe Johannes irgendwo ‚indoor‘ etwas zum Mittag essen, und haben auch schon ein Restaurant von Onkel Google vorgeschlagen bekommen. Gut – treffen wir uns dort. Frank und ich schaffen es schneller, und ringen der Bedienung beharrlichen einen Sechsertisch im Salon ab. Die anderen sind bestimmt gleich da. Als sie nach einer Viertelstunde da sind, ist’s draußen schon wieder heller, und die Begleiter von Johannes und seiner Verlobten wollen lieber al fresco sitzen. Wir haben keine Lust, der Bedienung die neue Situation zu erklären und bleiben drin, bestellen dort. Johannes ist das ganze peinlich, er wechselt im Laufe der nächsten vierzig Minuten öfters mal den Tisch von drinnen und draußen.

Google Maps hatte bei der Planung in München für die Strecke zwischen Hotel und Busstation sechzehn Minuten ermittelt. Als wir also vierzig Minuten vor Abfahrt des Busses im Hotel unser Gepäck einsammeln, wähnen wir uns gut in der Zeit. Merke: eine spät am Abend ermittelte Zeit trifft im lebhaften Nachmittagsverkehr von Athen nicht zu. Das Taxi braucht alleine zwanzig Minuten, um durch die chaotischen Gassen der Altstadt zum Hotel zu kommen. Gut, dass wir nicht mit dem letzten Bus geplant haben, um 16:30 macht sich der K-TEL Express-Bus auf den Weg nach Kalamata.

Da wir davon ausgehen, dass das Schiff weiter in eher zerlegtem Zustand auf uns wartet und außerdem die sanitären Einrichtungen des Schiffs an Land nicht funktionieren, haben wir uns wieder bei Theoni in einer Ferienwohnung eingemietet. Nachdem wir das Gepäck dort abgelegt haben, suchen wir neugierig die Seestern. Wenn das Schiff an Land steht, wirkt es größer als im Wasser. Ich komme mit ausgestrecktem Arm gerade mal von unten an die Wasserlinie, darüber ist das Schiff nochmal ca. 1,50 hoch; man steht also ca. 4m über dem Boden ‚an Deck‘. Ich fühle mich da nicht ganz wohl, und auch die selbstgezimmerte Leiter trägt nicht zu meinem Wohlbefinden bei. Aber einmal an Bord stellen wir fest, dass der Motor an seinem Platz ist – das ist schonmal gut. Ansonsten sind noch einige kleine ‚Restarbeiten‘ zu erledigen, wie der Anschluss der Treibstoffleitung, des Kühlwassers, des Auspuffs, der Elektrik, der Propellerwelle und der Bedienelemente für Gas und Getriebe.

Am kompliziertesten dabei ist sicherlich der Auspuff. Die Einbauvorschriften (und die müssen befolgt werden, da wir überraschenderweise Wert auf die Garantie legen) schreiben einen Innendurchmesser von 90mm vor. Der alte hatte 50mm, deshalb klemmt es jetzt an allen Ecken und Enden. Ioannis hatte vorgeschlagen, den Auspuff einfach auf schnellstem Weg direkt durch die Bordwand des Maschinenraums zu legen. Super Idee. Da hat man auch öfters die Chance, die Auspuffgase auch während der Fahrt zu genießen. Es hat schon Gründe warum (auch bei Autos) der Auspuff meistens nach hinten geführt wird. Nein. Er soll auch weiter durch den Unterschrank in der hinteren Toilette und danach unterm Bett der hinteren Kabine führen. Schnell beschließen wir, dass wir auf großen Teilen der Strecke Auspuff und das Heizungs/Lüftungsrohr tauschen – wer braucht’s im Schlafzimmer schon so warm? Aber besonders in der hinteren Kabine klemmt es weiterhin, wo der Auspuffschlauch an den Drahtseilen für die Ruderbetätigung, dem Autopiloten und dem Ruderquadranten vorbeimuss. Aber eigentlich sind wir überzeugt, dass es klappen müsste. Am nächsten Tag treffen wir Ioannis, und er nimmt er stimmt unserem Vorhaben zu – nebenbei wird er daran einiges zusätzlich verdienen. Ich darf den alten Auspuffschlauch ausbauen, damit wir die Länge ermitteln können. Immerhin kostet der laufende Meter über 40 Euro, und der Schlauch muss erst aus Athen geliefert werden. Der alte Schlauch ist ein rechtes Biest – eigentlich mit dem Teppichmesser zu schneidender Gummi, aber leider ist auch ein stabiler Metalldraht als Spirale verlegt, und nicht immer kommt man da mit dem Seitenschneider hin. Flüche und Schweiß begleiten den Ausbau, und am Ende liegen Teilstücke mit einer Gesamtlänge von sechs Meter neben dem Schiff. Faszinierenderweise ist keine 24h später der neue Schlauch geliefert und auf dem Schiff. Doch bevor er ein paar Tage später fertig eingebaut ist werden noch viele Detaillösungen aus Edelstahlrohr speziell hergestellt werden, einschließlich der Durchführung durch die Bordwand. Auch ein fetter Wassersammler (groß wie ein 15 Liter Bierfass) muss seinen Platz im Motorenraum finden und angeschlossen werden.

Derweil kümmert sich hauptsächlich Frank (Diplomingenieur Elektrotechnik) um unsere Elektrik; je länger wir diese erkunden, um so öfter erschrecken wir. Mit Ausnahme der Beleuchtung wurden wohl alle Geräte auf dem 30 Jahre alten Schiff schon einmal ausgetauscht oder nachgerüstet (Navigationsinstrumente, Autopilot. Laderegler, Solarzellen, Windgenerator, Stereoanlage mit sieben Lautsprechern, zwei Funkgeräte usw.) Wer auch immer vorher diese Geräte eingebaut hat, war ein Mega-Dilettant. Zu kleine Leitungsquerschnitte, verwirrende Leitungsführung, stümperhaft ausgeführte Kabelverbindungen, vier Sicherungen in einem Kabel und gar keine im nächsten, und viele alte Kabel, die einfach abgeknipst wurden und nun nutzlos im Schiff liegen und den Überblick erschweren. Denen tauchen wir nun hinterher. Frank sitzt im Motorenraum und wackelt an einem Kabel. Chris sitzt in der Backskiste bis klar ist, welches Kabel gemeint ist. Dann wechselt Frank zu unserem Cockpit, und mit weiterem Kabelzupfen ist identifiziert, dass dieses Kabel in einem großen Kokon aus Isolierband verschwindet. In dem Kokon verbergen sich ein paar Lüsterklemmen, das Kabel war mal mit einem gelben verbunden, was aber kurz hinter dem Kokon abgeknipst ist. Triumphierend entfernen wir den Kokon und das Kabel. Weiteres Beispiel: unsere Massekabel. Alle elektrischen Verbraucher im Schiff brauchen eine Verbindung zur ‚Masse‘ um den Stromkreis zur Batterie zu schließen. Der Motor ist in diesem Zusammenhang ein zentraler Punkt – ein Riesenklumpen Metall, der solide mit dem Minuspol der Batterie verbunden ist (sein wird). Die meisten Einbauanleitungen für elektrische Geräte enthalten einen Satz wie „Schließen Sie das schwarze Kabel an einen guten Massepunkt wie zB dem Motor an“. Unsere Vorbesitzer haben das eher wörtlich genommen. Alle möglichen Geräte sind mit einem kleinen schwarzen Kabel direkt am Motor angeschlossen, auch wenn direkt neben ebendiesem Gerät der Minuspol der Batterie liegt. Im Motorenraum herrscht auch deshalb ein verwirrendes Gewühl von Kabeln, die nun alle wieder eine Verbindung suchen. Wir konsolidieren das System, schaffen an diversen Punkte großzügig dimensionierte Masseschienen, und kürzen die kleinen Kabel dorthin. Bis zum Ende der Reise ist die Verkabelung wesentlich übersichtlicher, und dennoch funktioniert alles.

Von Samstag bis Dienstag sind Karin und Ramsi in Kalamata; in ihrem regulären Osterurlaub haben sie sich alte griechische Steine angesehen, und machen nun einen Abstecher zu uns. Ursprünglich wollten wir die Tage Segeln gehen, aber der schleppende Fortschritt der Arbeiten am Schiff machen uns einen Strich durch die Rechnung. Immerhin eine gute Ausrede, am Nachmittag etwas früher Schluss zu machen, und noch einen Ouzo als Aperitiv zu trinken. Am Montag nutzen wir Ramsi und sein Mietwagen aus, und fahren kreuz und quer durch die Stadt um ein paar Teile zu besorgen.

Typisch ist die Geschichte der Erdungsschiene, die ein zentrales Element unserer Masse-Konsolidierung darstellt. Kommerziell erhältliche Lösungen sind entweder windiges (aber teures) Spielzeug, dabei brauchen wir eigentlich nur ein Stück Metall, an dem sich diverse Kabel festmachen lassen. Nachdem wir erfolglos einige Elektroläden besucht haben, sehen wir eine kleine Schlosserwerkstatt. Ein Stück Baustahl mit ein paar Löchern (oder noch edler: Gewindebohrungen) würde reichen. Klar, dass kann der Schlosser machen. Aber er hat kein Rohmaterial da, das bekommt ihr hier. Nach einigem Gefummel auf dem Handy mit Google Maps kennen wir die Adresse und fahren zum Stahlhändler. Im gut sortierten Stahllager finden wir ein Stück Flachstahl, zwar etwas massiver als nötig, aber dafür muss es nicht mehr gesägt werden. Wir kaufen noch ein paar Schrauben, und der Händler verlangt mit einem Grinsen einen Euro – für alles. Dann wieder in die Stadt, hier bitte 10 Löcher bohren, davon 8 mit Gewinde. Es wäre eigentlich in einer Stunde fertig, aber da wir die Öffnungszeiten nicht kapieren erhalten wir es erst am nächsten Morgen. Zehn Löcher, fünf Euro.

Mit Karin und Ramsi verbringen wir auch einige Zeit an Bord, aber die Seestern ist aktuell nicht am vorzeigbarsten. Die Sofas sind von allen möglichen Teilen wie den Türen zum Motorenraum belegt, an vielen Ecken sind Verkleidungen abgeschraubt, und auch das Rigging ist teilweise nicht normal befestigt, da der Travellift der Marina unsere Ketch von vorne anfahren muss, und dabei war der Vorstag im Weg. Also bleibt es bei einer Besichtigung, die viel Phantasie erfordert, und statt einem gepflegten Aperitiv an Bord verziehen wir uns wieder in die Hafenkneipe. Immerhin motivieren uns die beiden, auch mal unsere ‚Hood‘ zu verlassen – Kalamata bestand für uns bislang aus den Kneipen direkt an der Marina, und ein paar Handwerkerläden. Tatsächlich gibt es eine lebendige Altstadt mit zig Tavernen. Yamas!

Montag und Dienstag kümmern sich Ioannis und Michaelis noch um unseren Auspuff, und am Mittwoch Mittag ist alles vollbracht – unser Boot ist fertig! Ich leider auch. Während in München Ostern bei 27° gefeiert wurde, war es in Griechenland recht kalt, und ich bekam ab Wochenanfang ein fette Erkältung. So kann ich Mittwoch gerade noch am Morgen unsere angepasste Gangway vom Inox-Ioannis holen, und dann verziehe ich mich ins Bett, wo ich bis Freitag hauptsächlich bleibe. Was bin ich froh, dass wir eine Ferienwohnung haben. Frank versucht derweil, dass unser Boot wieder ins Wasser kommt, und kümmert sich weiter um die Elektrik.

Leider ist das Wasser im Hafen aktuell wieder zu niedrig, mit trauriger Miene bedauert der Travellift-Operator, dass er uns leider nicht ins Wasser bringen kann. Wir sind dabei in einer Schicksalsgemeinschaft mit der „Pandora“ aus Marseille. Die französische Rennsemmel musste nur kurz aus dem Wasser, um den Unterwasseranstrich und eine Propellernabe zu erneuern, und steht direkt vor unserem Schiff. Sie hat vielleicht 10 Zentimeter mehr Tiefgang, und – was schlimmer ist – ein langes schmales Ruder was auch den vollen Tiefgang ausnützt. Das Ruder ist schnell beschädigt, würde es eine Grundberührung haben. Jetzt sind alle Eigentümer da, und haben in zehn Tagen einen reservierten Liegeplatz in und einen gebuchten Abflug ab Athen. Noch nehmen sie’s mit Humor, aber der wird in den nächsten sechs Tagen auch schwinden. Auf weitere sechs Tage wird sich das Trauerspiel noch ausdehnen, welches folgende Figuren und Handlung hat: Die Marina in Kalamata hat einen Travellift, und ein dazu passendes Becken. Der Travellift ist ein ca. sechs Meter breites Ungetüm, welches wie ein Kasten ein Schiff umschließt, und dabei zwei Gurtschlaufen hat, mit dem das Schiff angehoben wird. Er benötigt ein Becken mit zwei parallelen Fahrspuren auf jeder Seite, und dieses Becken muss tief genug sein, um den Tiefgang des Schiffes aufzunehmen. Ist es aber nicht, zumindest wenn der Wind das Wasser aus der Bucht drückt, behauptet der Travellift-Operator. Er ärgert sich über die Marina, die zu geizig wären, um an der Stelle den Hafen einfach etwas tiefer auszubaggern. Die Marina behauptet, die Hafenbehörde würde das Ausbaggern nicht erlauben, und der Operator solle sich nicht so anstellen. Unser Mechaniker ist auch eher schlecht auf die Marina zu sprechen. Von anderen Seglern im Hafen kennen wir die Geschichte von Finn – sein Schiff wurde damals in den Schlamm gesteckt, und kam erst nach einer Stunde mit einiger Gewalt frei. So schauen wir täglich, ob das Wasser heute höher ist, und dann kommt noch das orthodoxe Osterfest daher. Ostern ist für die Griechen das höchste Fest – die Wahrscheinlichkeit, dass über die Feiertage etwas passiert, ist eher gering. Die Franzosen werden immer ärgerlicher und lauter, drohen damit keine Liegegebühren mehr zu zahlen aber bis Dienstag nach dem Osterwochenende hilft es nichts. Dann – die Franzosen haben gerade noch drei Tage um nach Athen zu kommen – erklärt sich der Travellift Operator bereit, es zu versuchen – aber er übernimmt keine Haftung. Es wird ein Spektakel mit viel Publikum. Der Travellift hebt das Schiff an, der Unterwasseranstrich wird dort ergänzt, wo das Schiff abgestützt war, und die Prozession begibt sich zum Becken. Langsam wird das Schiff am äußersten Ende der Fahrspur ins Wasser gesenkt, es wird auch so in die Schlaufen gelegt, dass es möglichst weit draußen hängt. Ioannis, der Taucher, springt ins Wasser und gibt Entwarnung – es hat auch am Ende noch 15cm Wasser unterm Kiel – mehr als der im Seemannsgruß geforderte Handbreit. Am Rande der Veranstaltung gibt es zornige Diskussionen zwischen Marinamanager und den anderen Parteien. Uns egal – jetzt sind wir dran; wenn’s bei den Franzosen klappt, dann bei uns erst recht. Wir richten schnell noch Festmacher und Fender an allen Ecken, müssen runter vom Schiff, Ioannis‘ Gehilfe Din ergänzt den Unterwasseranstrich, und los geht’s. Eine Stunde später schaukelt die Seestern am Steg „H“.

Dabei haben wir das erste Mal unseren neuen Motor angelassen. Wow – ist das Ding ruhig; obwohl die Türen des Motorenraums fehlen, und auch einiges an Schalldämmung, brabbelt er leise vor sich hin. Michaelis kommt noch schnell, um den Betätigungszug des Getriebes anders zum montieren (sehr spannend, einzuparken, wenn man dabei immer dran denken muss, Gas in die falsche Richtung zu geben). Der letzten Akt – die Probefahrt mit Garantieabnahme – findet erst am Donnerstag statt, da der Mittwoch auch wieder ein Feiertag ist: 1. Mai. Immerhin haben wir so Zeit, das Schiff wieder seefertig zu machen. Wir schrubben den Saharasand vom letzten Sandsturm weg, hängen den Vorstag ein, und setzen die Backstage wieder unter Spannung. Wir bauen an unserer neuen Steuersäule das Kästchen an, mit dem wir ab jetzt unser Bugstrahlruder bedienen werden, und räumen allgemein auf. Am 2. Mai, um 09:00 kommt Dimitris vom autorisierten Volvo Penta Händler, um den Einbau abzunehmen. Wir sind bereit.

Gut, mit Punkt 9:00 hat jetzt wirklich niemand gerechnet, aber immerhin kommt um kurz vor 11 die Prozession von Ioannis, Michaelis und Dimitris ans Schiff. Nach einer visuellen Inspektion lassen wir den Motor an, und verlassen dann den Hafen. Bei verschiedenen Drehzahlen notiert der Händler die erreichte Geschwindigkeit, und beruhigt uns, als bei 3000 Umdrehungen (Maximum für den Schiffsdiesel) der Motor zu stinken und rauchen beginnt: „Auch der Abgaskrümmer ist bei der Auslieferung lackiert, ganz normal das am Anfang die Farbe wegbrennt“. Wir fahren mehrmals im Kreis um einen in der Bucht auf Reede liegenden Autotransporter, sind beindruckt von der erreichten Geschwindigkeit auch mit mäßigen Drehzahlen und witzeln, dass wir nach einsetzen der Schalldämmung eine rote Warnlampe brauchen werden, die uns anzeigt, dass der Motor läuft. Beeindruckend leise, das Ding.

Zurück im Hafen werfen wir als erstes die To-Do Liste über Bord. Wir bringen unsere Bootspapiere wieder zum Hafenmeister – damit ist das Schiff ’nicht in Benutzung‘ und die seltsame griechische Bootsteuer wird nicht fällig – nicht, dass wir zu geizig wären, sie zu zahlen, aber eine Woche vor in-Kraft-treten der Steuer gibt es noch kein sicheres Verfahren, wie sie zu entrichten ist (sie wurde bereits zweimal verschoben, weil es keine Ausführungsbestimmungen gab). Dann holen wir im Supermarkt ein paar kalte Dosen Bier, und gehen erstmal zurück auf’s Schiff um ein wenig zu feiern. Für um fünf haben wir uns mit Ioannis und seinem Team verabredet – war mir schon länger ein Anliegen, um für gute Stimmung zu sorgen und nicht nur als Einkommensquelle respektiert zu werden.

Am 3. Mai geht’s am Morgen mit dem Flieger wieder nach München – wir sind in zweieinhalb Wochen in Griechenland insgesamt 2 Stunden Schiff gefahren – Segeln wäre übertrieben.  Das muss besser werden.

Da ist was neu – wo fange ich an?

Ich habe mal wieder versucht, den Blog etwas zu aktualisieren, wie üblich mit gefälschtem Veröffentlichungsdatum. (Datum also nah an der Zeit, wo der Inhalt passiert ist).

Wer Inhalte gerne ‚in richtiger Reihenfolge‘ liest, könnte jeweils hier anfangen:

  • Wie kam es dazu, dass mir nun ein halbes Schiff gehört? Die Reise zum Traum – Teil 1
  • Chris hat doch noch eine Karte eingefügt, wo damals die große Reise hinging… „Wer Karten mag“
  • Die Reihenfolge ein paar der Blogs und Fotos dazu geändert, am Ende von Australien und dann Bali usw….