Es ist wenig von der Exklusivität des Flugreisens geblieben – das wird einem immer wieder gegenwärtig, während man sich mit tausend anderen Reisenden durch den Flughafen schleppt. Online Buchung und Check-In tun ihr weiteres dazu, den Prozess zu anonymisieren. Natürlich versuchen die Fluggesellschaften, einem durch persönliche Ansprache das Gefühl zu vermitteln, dass man nicht nur ein notwendiger Teil der jährlichen Umsatzstatistik ist. So bin ich erst routiniert erfreut, als mich beim Boarding zu Flug Aegean Airlines A3803 nach Athen die Dame an der Kontrolle beim Prüfen meiner Eintrittskarte mit „Ah, guten Morgen Herr Merz“ begrüßt. Allerdings fragt sie dann ihren Kollegen am Schalter, ob das Thema mit Herrn Merz geklärt sei, und bitten mich zu eben diesem Schalter. Mit geht einiges durch den Kopf; bin ich der millionste Fluggast auf dieser Strecke und habe ein Flugzeug gewonnen, oder haben sie doch gemerkt, dass ich mich zu Unrecht in die Lounge geschlichen habe (Mein in 2017 erworbener Vielfliegerstatus – durch vieles Fliegen nach Hamburg erreicht – ist zum Jahresende ausgelaufen, aber die entsprechende Karte ist bis Ende Februar gültig) und wollen jetzt eine Nachforderung für zu Unrecht konsumierten zwei Croissant mit Schinken stellen? Nein, der Kollege am Schalter möchte mich zum Begleichen der Gebühr für das Übergepäck auffordern. Oh nein, das Gepäck.
Bei den meisten der Bastelreisen zum Schiff fliegt man etwas Material nach Griechenland. Diesmal sind es ein paar Blinklichter für Rettungswesten, diverses Material zu einer Flüssiggasinstallation nach deutschen Vorschriften, und ein Klappfahrrad. Das Fahrrad haben wir auf ebay erworben, nachdem uns das Design auf der Boot (-smesse) überzeugt hat. Das Rad wiegt nur 12 kg, und so reifte die Idee, es jetzt runter zu fliegen. Obschon sehr kompakt – in meinen Seesack passt das Rad nicht, aber vielleicht in dem flugs organisierten originalen Versandkarton? Die Kartonlösung hätte auch den Charme, dass dieser in Kalamata einfach ins Papier-Recycling wandert, und ich für den Rückflug keinen klein gefalteten Seesack im Handgepäck mitnehmen muss. Ein Karton als Koffer? Ich kann nicht behaupten, dass ich das schon oft bei der Gepäckausgabe gesehen habe. Ich recherchiere: Bei meinem Tarif darf das Gepäckstück ein Maximalgewicht von 23kg haben, und eine Kantenlänge unter 168cm. Nirgendswo steht, dass der Koffer vorher zum Umsatz eines entsprechenden Herstellers beigetragen haben muss. Also mache ich mit einem alten Gurt einen Griff an den Karton und gehe damit zum Baggage Drop-Off. Die Dame zuckt nicht einmal, vergewissert sich dann aber doch, dass es kein e-bike mit bösen Lithiumbatterien ist. Am Ende rät sie mir noch, den Karton zum Sperrgepäckschalter zu bringen, weil es dort ’sorgfältiger‘ gehandhabt wird. Von Extrakosten hat sie nichts erwähnt.
Innerlich fluchend beginne ich die Verhandlungen mit dem Herrn am Gate – der ‚Koffer‘ sei innerhalb der veröffentlichten Grenzen gewesen, warum also Übergepäck? Es stellt heraus, dass die Beschaffenheit meines Koffers nicht das Problem sei, sondern die Tatsache, dass ich gar kein Check-In Baggage gebucht hätte. Sagt sein System. Habe ich doch (und bezahlt), sagt nach kurzer Zeit die Email-Bestätigung auf meinem Telefon. Von da an streiten sich mein Email und das Aegean-System, und mein Telefon gewinnt. Keine Zusatzgebühren, ich darf an Bord, alles gut.
„Alles gut“ endet am Eleftherios Venizelos Flughafen in Athen. So sehnsüchtig ich auch auf’s Gepäckband starre, keine Koffer, äh kein Karton. Vielleicht muss ich zur Sperrgepäck-Ausgabe? Am Ende stehe ich beim Baggage-Tracing, resümiere warum das jetzt echt kein Problem gewesen sein dürfte, ich hätte alle Anforderungen eingehalten und alle notwendigen Angaben gemacht. Obwohl – Scheiße! Die Blinklichter für die Rettungswesten enthalten natürlich Batterien. Och nee! Da ist wirklich der Wurm drin, in dem Karton. Aber nein, der Koffer wurde einfach am Flughafen in München vergessen (Ich vergegenwärtige mir, dass man das nicht auf griechische Schlamperei schieben kann), er kommt mit dem nächsten Flieger (freu!), heute Abend um 22:00 (doch nicht freu), und sie würden ihn dann mit dem Bus nach Kalamata bringen. Paperwork erledigt, ich sammle meinen Mietwagen ein (nicht der gebuchte BMW, sondern ein Alfa Romeo Guilietta, grummel), und mache mich auf nach Süden. Mike hat für heute Abend auf dem Schiff zum Essen geladen, einen Schweinebraten mit Kruste der den Standard für Schiffsküche ordentlich hoch hängt.
Claire und Mike von der „Owl and Pussycat of Ardrossan“ und Gill und Steve von der „Coriander“ sind mittlerweile der Kern unseres Kalamata Freundeskreis. Die beiden pensionierten Ehepaare haben ihr Leben im United Kingdom aufgegeben (O-Ton: auf den Dachboden im Haus ihrer Kinder reduziert) und leben auf ihren jeweiligen Booten. Wir lagen schon bei unserer ersten Ankunft in Kalamata am Steg zwischen den beiden, und seitdem – nun ja, man sieht sich. Beiden wollen auch im Herbst 2020 in die Karibik fahren, und wir verstehen uns gut. Wahrscheinlich bringen Frank oder ich auch jeweils mal neue Themen in die abendlich Unterhaltung, jedenfalls verbringe ich drei meiner vier Abende mit den vieren (1x selbstbereitetes aufwändiges Essen an Bord, 1x Take-out Pizza an Bord, 1x neuer Restaurant-Tipp von Giorgios, dem Bootszubehörladen-Besitzer).
Das ist nun der vierte oder fünfte Basteltrip den Frank und/oder ich im Winter zur Seestern machen, also in zwei Wintern. Der Winter ’18/’19 war hauptsächlich vom neuen Motor geprägt, der Winter ’19/’20 eher mit Verbesserungen an unserer Wohnung für ein Jahr. Dabei haben wir mittlerweile ein festes Ensemble von handelnden Personen:
- Ioannis Vardakas – ein grummeliger aber doch freundlicher älterer Ingenieur der eigentlich in Ruhestand gehen will, aber noch die Koordination für den Mechaniker Michaelis und ein paar andere Helfer übernimmt. Ioannis kann ganz gut Englisch, mag aber zB kein Email. Ioannis lässt sich die anstehenden Arbeiten erläutern, schreibt einiges in ein Notizbuch, fragt öfters nach, und ist immer froh, wenn einer von uns vor Ort ist, dann kann man ein Thema nochmal vor Ort besprechen. Ich habe zwar versucht, illustrierte Leistungsbeschreibungen zu machen, von Google auch ins griechische übersetzt, aber das war kein Allheilmittel. Außerdem läuft hier die Kommunikation vielleicht etwas holprig – per Mail an seinen Sohn, Antwort dann vielleicht irgendwie – am besten ruft man an, oder fliegt halt mal wieder nach Kalamata.
- Giorgios Vardakas – Ioannis‘ Sohn und Besitzer des Messinian Yacht Center, einen Bootszubehörladen in Kalamata. Giorgios kann Englisch und etwas Email, und liefert das meiste Material, welches sein Vater verbaut. Als ich diesmal in seinen Laden kam, hatte ich einen ‚Deckel‘ von über 200€.
- Michaelis Litsas – Segelmacher und Rigger. Wurde uns ursprünglich empfohlen, als wir an unserer Vorsegel-Persenning (Schutzhülle) ein paar Löcher flicken wollten, pflegt und wartet mittlerweile unsere gesamte Segelgarderobe, und kümmert sich auch um Sprayhoods und Biminis (Das sind die Cabrio-dächer am Segelschiff). Spricht gut Englisch und bringt öfters seinen Sohn mit – so wird wohl die Ausbildung gemacht.
- Nicholas Vouloumanos – Schreiner aus Sparta. Nach einer Enttäuschung mit dem Marina-Schreiner baut er gerade unser Salon Sofa um, und versucht ein paar der Fehler des vorherigen Schreiners zu korrigieren. Kann allerdings auch keine Wunder vollbringen. Spricht auch gut Englisch und reagiert auch auf Emails, wenn man explizit schreibt, dass man gerne eine Antwort hätte.
- Giorgios Mixaleas – Polsterer, Empfehlung vom Segelmacher. Giorgios kann leider kein Englisch, und tritt deshalb meistens mit seinem etwas tuntigen Gehilfen auf, dessen Namen mir noch immer nicht klar ist. (auch bei Giorgios lag ich lange falsch, dachte das Mixaleas eine etwas seltsame Transkription von Michaelis war). Der Gehilfe scheint während der Übersetzung immer zu versuchen, Giorgios zu einem ‚Upsell‘ überreden zu wollen. Der Polsterer kümmert sich um unseren Salon und Polster für’s Cockpit.
Insgesamt habe ich drei Tage in Kalamata, treffe mich mit allen Handwerkern und wir hegen weiter die Hoffnung, dass das Schiff bis Ende März fertig ist.