Kein Ragu in Ragusa

Es regnet in Strömen. Katzen und Hunde, wie die Engländer sagen würden. Auf den Straßen Siziliens sind tiefe Pfützen, aus dem Kanaldeckel an der Marina in Siracusa quillt das Wasser wie ein kleiner Geysir 50cm nach oben. Es regnet für uns seit ca. 18:00, da haben wir das Weingut Planeta in der Nähe von Avola verlassen. Wir, das sind seit Dienstagmittag Luisa, Janina, Frank und ich. Janina und Luisa werden noch eine gute Woche in Sizilien verbringen, ganz schnöde an Land. So wie Janina in den 10 Minuten auf unserem gut vertäutem Boot reagiert hat, vielleicht auch ganz gut so. Wir haben uns ein Auto gemietet, und sie am Dienstag vom Flughafen in Catania abgeholt. Insgesamt haben wir 48 Stunden einen rollenden Untersatz, und den nutzen wir jetzt aus. Wir sind ein wenig am Etna rumgekurvt, haben lokale Spezialitäten gekostet, Kultur (alte Steine) angesehen, und waren einkaufen, Wein und andere weniger wichtige Dinge. Eigentlich ganz angenehm, dass es nicht mehr so heiß ist, aber den ganzen Regen hätte es nicht gebraucht.
Es hat ja gut gepasst – auch wenn ich mittlerweile überzeugt bin, dass es Janina aus eigener Kraft nach Avola geschafft hätte – so konnten wir die Gentlemen spielen und dabei die Insel erkunden. Nach einem direkten Preisvergleich dreier Autovermieter (zu Fuß, ohne Internet) haben wir einen Opel Corsa bekommen, 50€ am Tag inklusiv der No-worries-Versicherung. Die Vermiet-Frau grinst, als wir die 50 Kratzer an dem schon 100.000 km gelaufenen Auto dokumentieren wollen: Don’t worry, you’re insured anyway, it doesn’t matter if there are 51 scratches afterwards. In einem Einkaufszentrum neben dem Flughafen von Catania organisieren wir eine unlimited-Internet SIM Karte, holen die Dame vom Flughafen ab, und fahren in die Innenstadt von Catania um dort die „besten Arancini der Insel“ zu kaufen. Ich freue mich über die Vollkasko Versicherung und kann richtig italienisch durch die Stadt kurven. Arancini sind fritierte Reisbällchen, nein BÄLLE, mit ordentlich geschmolzenem Käse und anderen Geschmäckern drin. Zwei pro Person einzuplanen war echt übertrieben; es sind immer noch welche im Kühlschrank. Dann weiter an die Hänge des Etna; leider ist die Sicht nicht mehr so gut, deswegen können wir zwar feststellen, dass es wohl beeindruckend ist, aber ob die Fotos ähnliches sagen? Am Ende müssen wir uns beeilen, wer mich kennt, kann sich vorstellen wie schlimm es für mich ist, Bergstraßen zügig zu fahren 😉
Der Grund für unsere Eile sind alte Steine in Siracusa – das griechische und römischen Theater. Wir schaffen es gerade noch so, dass wir 45 Minuten haben, die Ruinen zu besichtigen. Hier wiehert der Amtsschimmel: offiziell gilt das Gelände als Museum, im Museum ist Maskenpflicht, also müssen auch wir… Eigentlich hasse ich ja solche Deppen, aber hier tragen auch wir die Masken eher als Kinnschutz. Da wir bei der Besichtigung den Hocheffizienzmodus eingeschaltet haben, sind wir sogar nach 30 Minuten fertig. Coronabedingt ist eine klare Einbahnregel abgeschnürt, viele der Nebenwege nicht zugänglich. So kann ich auf der Bühne des griechischen Theaters keinen Text deklamieren. In Messini bei Kalamata ging das noch; da ich in den griechischen Klassikern nicht so firm bin, habe ich dort Teile von Loriots Adventsgedicht aufgesagt. Dann waren wir noch etwas essen in Siracusa, und danach habe ich Luisa und Janina in ihre Ferienwohnung in Avola gebracht, ca 3o Minuten südlich von Siracusa. Für den nächsten Tag haben wir einen ‚Mini-Führung‘ im Weingut COS organisiert.
Stephan und ich haben den Cerasuelo de Vittoria vom Weingut C.O.S. vor über 10 Jahren kennengelernt. Wir waren in der Pfalz mal so richtig schlemmen, und der Sommelier hatte diesen Wein empfohlen. Klar, die Erinnerung schreibt mit goldener Feder, aber damals hätte ich geschworen, dass dieses der beste Rotwein ever (in meinen Preisregionen) war. Ich wollte schon immer dorthin. Gesagt, getan. Leider haben sie an dem Mittwoch schon eine größere Gruppe angenommen, aber wir möglichst früh kommen, können sie noch was einschieben. Wir stehen als um kurz vor sieben auf, holen um acht die Mädels ab, und sind nach zwei Stunden auf dem Weingut. Nicht unglaublich beeindruckend. Ein paar kleinere Häuschen in the middle of nowhere. Unser Guide nimmt uns freundlich in Empfang, läuft fix mit uns zu den Reben, erklärt Region, Terroir, Wetter und deren Philosophie. Dann ein schneller Blick in den Amphorenkeller (Ein Teil der Weine wird in Amphoren statt in Fässern ausgebaut), Weinkeller, und dann ab zum Tasting. 20 Euro pro Person kostet der Spaß, keine Anrechnung auf späteren Kauf, und so wirklich billig sind die Weine auch nicht. Um etwas fair zu sein, sie haben uns wirklich eingeschoben, da wir das Auto nur noch an dem Tag hatten. Aber dennoch – 20 Euro für fünf Pfützen Wein im Glas – schon etwas arrogant. Wir errinern uns an eine andere Weinführung hier in Sizilien, beim Weingut Planeta… war da nicht auch irgendwo hier ein Schild? Wir finden heraus, dass wir am späten Nachmittag noch in deren Dependance an der Ostküste begrüßt werden würden.
Auf dem Weg dorthin zurück liegt die Stadt Ragusa, erbaut beiderseits einer tiefen Schlucht. Wichtiger Tourismus-Magnet in diesem Teil Siziliens. Natürlich sind wir nicht so blöd, die Touristenfallen am Domplatz zu besuchen. Trip-Advisor wird uns schon den richtigen Weg weisen. Leider geht das nicht so glatt. Die Orientierung erschwert durch schlechten GPS Empfang in engen Gassen, und das Schlaukasterl berücksichtigt auch nicht, welche Läden aufgrund von Corona nur eingeschränkt Betrieb haben. Wir irren länger durch die Stadt, es beginnt zu regnen, die Mädels werden hangry (ein wunderschönes Portmanteau aus hungry und angry), und wir eilen zum Auto zurück. Eine teuflische Einbahnstraßenregelung kostet uns weitere 15 Minuten, und als wir endlich ein Lokal finden, ist es etwas zu kalt, das Essen zwar schön präsentiert aber geschmacklich eher wenig raffiniert. Wenn selbst mein Humor nicht hilft, Luisa aufzuheitern – Ihr könnt Euch vorstellen, wir kritisch die Situation war. Etwas besser wird’s beim Weingut Planeta. Auch hier sind wir eher ‚eingeschoben‘, aber der Verkäufer erzählt bereitwillig über die Weine, und macht einige Flaschen auf, die uns interessieren. Frank und ich decken uns für die nächste Etappe der Reise ein.
Mittlerweile haben sich meine Eindrücke über Sizilien verfestigt – wie Irland vor dreißig Jahren, nur dass die Vegetation viel mehr nach Dürre aussieht. Überall stehen verlassene Gebäude in verschiedenen Verfalls-Zuständen, auch an bewohnten Gebäuden bröckelt der Putz gewaltig. Teilweise fühlen wir uns an Havanna erinnert. Das Straßennetzt ist … interessant. Vielleicht liegt es auch an einer etwas eigenwilligen Google-AI, aber unser Weg scheint völlig chaotisch. Wenig Hauptverkehrsstrßen, die von Zubringern gespeist werden. Unser Weg führt uns über alle möglichen Straßen, auch diese in sehr unterschiedlichen Erhaltungszusänden. Also große Straße, plötzlich dort in diesen Feldweg einbiegen, fünf Kilometer hier, dann rechts auf die vierspurige Straße, dann ein Kreisverkehr, mehrere Links-Recht Schikanen in der nächsten Ortschaft, und weiter gehts. Häufig wird die Straße von Natursteinmauern eingegrenzt. Als es am Abend noch windig wird, und anfängt zu regnen, fühle ich mich endgültig in einem dürren Irland.
Am Ende machen wir noch den Lidl-Chauffeur für die beiden Damen, bringen sie nach Hause, und machen uns auf den Weg zurück zum Schiff. Es schüttet. Wir tragen nur das notwendigste zum Schiff. Mit dabei – zwei Ladungen gewaschene Wäsche (die FeWo hatte eine Maschine), leider noch recht feucht. Wir verwandeln unseren Salon in einen Trockenkeller, und da wir Landstrom haben, lassen wir den Heizlüfter laufen.
Wir erfahren, dass sich auf dem Seegebiet, wo wir vor vier Tagen bei Flaute nach Sizilien gedampft sind, aktuell ein heftiger Sturm zusammenbraut (wer das aktuell liest: bei www. windfinder.com ansehen), mit angesagten Winden von 160km/h, der sich nun nach Griechenland bewegt. Vielleicht haben wir Glück gehabt, und die Seestern gerade rechtzeitig vor der Zerstörung im Hafen von Kalamata gerettet?
Mittlerweile hat es aufgehört zu regnen, die Wäsche ist erheblich trockener, ich habe das Boot noch etwas festgezurrt, und deshalb kommt der Blog jetzt in Netz, und ich in die Kiste.

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