Eigentlich hatte ich gedacht, dass nach dem letzten Eintrag nimmer viel kommt. „bla bla, … sind zum Hafen für das Winterlager gefahren, dort haben dann die Typen von der Marina, bla bla, dann zum Bus, nach Tallinn, und Flug nach Hause, bla bla“.
Na ja, all das oben war, oder wird sein. Aber tatsächlich kam mir in den letzten 24 Stunden so oft der Gedanke ‚der Blog schreibt sind von alleine‘, dass es jetzt vielleicht doch länger wird. Das mit dem ‚alleine schreiben‘ ist eh nicht. Jeder Buchstabe, bzw. Blogstabe ist von mir handgetippt. Aber darum geht’s nicht.
Am Dienstag sind wir – wie angekündigt – nach Hiiuumaa gefahren, die Insel auf der unser Winterlager in Kärdla liegt. Wir sind im Fährhafen Heltermaa geblieben, wir nennen es Helter-Skelter obwohl man es eigentlich aussprechen kann. Für JUB ist es so einfacher, weil er am Mittwochmorgen die Fähre und den Bus nach Tallinn nehmen kann, um seine Heimreise zu gestalten. Es pisst. Frank und ich warten bis kurz nach 14:00, bevor wir weiterfahren. Kärdla liegt auf der gleichen Insel, ist aber ca. 4h entfernt. Die Kommunikation mit unserer Winterwerft lief bislang etwas unverbindlich, deshalb sind wir eh nicht ganz sicher, was uns erwartet.
Noch während der Einfahrt bemühe ich Google, wo man den in Kärdla was zwischen die Kauleisten bekommt. Eile nach dem Anlegen scheint geboten, fix das Anleger-Bier, und dann auf. Briis‘ Grill direkt am Hafen hat laut Google bis 21:00 auf, ist aber ganz offensichtlich: ZU. Die Nachsaison hat zugeschlagen, und Google hat’s noch nicht gecheckt. Hmm, am Strand gibt es ein weiteres Restaurant. Sicherheitshalber rufe ich an. „Ja, wir haben auf, aber beeilen Sie sich, die Küche macht in 30 Minuten zu. Ja, eine Reservierung sei trotzdem zu empfehlen“. Wir eilen. Es handelt sich um das Grillrestaurant Rannapaargu, echt chillige Lage direkt am Meer. Es macht uns misstrauisch, dass nur ein Auto davor steht, und als wir eintreten, werden wir als einzige Gäste begrüßt. Reservieren, haha. Da die Bedienung nicht viel zu tun hat, ist sie auskunftfreudig: ja, die Saison ist vorbei, eigentlich verdient das Restaurant seinen Jahresumsatz von Juni bis Mitte August. Den Rest des Jahres hat es auch auf, aber viel ist nicht los, manchmal ein Geburtstag. An drei Tagen der Woche hat der Chefkoch frei, da ist dann Suppentag. Nach Küchenschluss kommen noch zwei weitere Tische, auch die bekommen noch was zu Essen. Man ist wohl flexibel.
Danach gehen wir zum Hafen zurück, wo wir auch bei der Ankunft keinen Hafenmeister gefunden hatten. Kein Hafenmeister, kein Code für die Toiletten. Hmmm. Es gibt noch die Šampanjabaar „Kork“, und die bunten Terassenlichter lassen vermuten, dass sie noch auf haben. Also mal dahin, ggf. halt deren Toilette benutzen. Durch’s Fenster sehen wir eine gemütliche Gruppe, die gemütlich vor einer Leinwand sitzt. Als wir allerdings den Gastraum betreten – nichts. Unser „Hallo“ hallt unbeantwortet von den Wänden wider. Hmmm. Wir überlegen noch, was zu tun ist, da kommt eine Bedienung aus dem Raum nebenan (der mit der Leinwand) – ja, wir haben schon auf, aber am Mittwoch ist Kinotag, da treffen sich ein paar Kärdlaner zum Kino gucken. Es wäre ein dänischer Film mit estnischen Untertiteln – keine Lust? Egal. Sie verkauft uns zwei Gläser Wein und lässt uns in dem Gastraum alleine. Wir könnten jetzt auch die ganzen Whisky-Vorräte der Bar plündern, würde niemand merken. „Der Blog schreibt sich eigentlich von selbst“, stelle ich fest. Die Bedienung kennt auch den Code für die Hafen Toiletten: „1458#“, solltet Ihr mal in die Verlegenheit kommen. Wir trinken zwei Gläser Wein, und erkunden danach noch den Hafen. Uns interessiert besonders der Kran in der Ecke, der aktuell von zwei Polizeibooten blockiert wird. Wirkt a bisserl klein für unser Schiff. Tatsächlich ist er mit 3500kg gekennzeichnet, ungefähr ein Viertel der Seestern. Wir resignieren etwas – wahrscheinlich wird es nix damit, dass wir bis Freitagnachmittag das Schiff aus dem Wasser bekommen. Oh well. Wir gehen auf’s Schiff, überlegen noch, dass wir vielleicht mal im Winter kommen sollten; nicht nur wegen der Seestern, sondern auch um Estland mal Null-Saison zu sehen.
Am nächsten Morgen bereiten wir uns dennoch vor – die beiden Markos der Winterwerft meinten, ein Boris käme und nähme sich unserer an. Tatsächlich treffe ich ihn um neun im Hafenbüro, zusammen mit Kaja, die uns auf der Boot in Düsseldorf von Kärdla überzeugt hat. Boris meint, dass sie heute die Masten ziehen würden; wenn wir bis Mittag die Segel abgenommen hätten und uns dort, vor die Polizeiboote legen würden, wäre das herzallerliebst. Wir schöpfen Hoffnung. Langsam sind wir etwas geübt, in weniger als zwei Stunden schlagen wir die Segel ab, die Lazy Bags und lösen die elektrischen Verbindungen vom Mast. Wir tuckern an die zugewiesene Pier. Beim Segeln als Hobby ist es Tradition, einen Anlegeschluck zu feiern. Auch wenn wir nur 200m gefahren sind, und es erst elf Uhr morgens ist – wir haben angelegt. Es hilft ja nix – es gibt ein Bier.
Wie angekündigt kommt Boris um 13:00 mit zwei Helfern. Sie bereiten allerlei vor, ignorieren geflissentlich diverse Sicherheitsregeln (Boris steigt ungesichert mit Gummistiefeln auf unseren 8m hohen Besanmast), aber was unser immer noch fehlt: der Kran. Boris klärt uns auf: Die Masten werden nicht mit dem fest montierten Kran gezogen – der wäre unpraktisch. Statt dessen käme ein Multilift, das wäre besser. Nach einer Stunde sind die drei fertig. Boris meint, „now we have to wait – warten“. Sie würden einen Kaffee trinken gehen- ob wir auch mit wollen? Why not. Wir laufen aus dem Hafen in Richtung Stadt, kommen an einer kleinen Kaserne vorbei. Vorbei? Nein, nicht vorbei. Boris‘ Helfer hat eine Key-Card für das Kasernentor, sie führen uns in das Wachgebäude, grüßen den Wachhabenden, und gehen in die kleine Mannschaftsküche… der Blog schreibt sich von selbst. Wir erfahren dann, dass das nicht reguläre Armee sei, eher so etwas wie Zivilschutz oder Nationalgarde, aber auf dem Tisch steht ein Verpflegungspäckchen der „Estonian Defense Forces“. Egal, der Dallmayr-Kaffee kommt aus einem Jura-Vollautomat, und wir sitzen ein wenig und unterhalten uns. Der Kran würde kommen, und morgen „Slippen“ sie uns aus dem Wasser. Slippen kenne ich so von kleinen Motorbooten, die auf ihrem Anhänger mit einer Rampe ins Wasser gelassen werden. Es gibt viele lustige Youtube Videos, was dabei schief gehen kann. Offensichtlich haben sie hier Equipment, wo das auch mit einer 13 Tonnen schweren Segelyacht geht. Wenn der Blog veröffentlicht wird, wird es wohl Fotos geben, aber noch bin ich gespannt.
Der Multi-Lift soll um 15:30 kommen.
Mit etwas Verspätung kommt ein Multi-Funktions-Muldenkipper, der zwischen Ladefläche und Fahrerhaus einen klassischen kleinen Palfinger-Kran hat. Nach einer dreiviertel Stunde ist aus unserem Segelboot eine Motor-yacht geworden, die beiden Masten liegen auf der Pier. Jetzt sollen wir auf die andere Seite des Hafens fahren, dort holen sie uns Freitag morgen raus. Wir tuckern über den Hafen, legen dort an, wieder ein Anlege-Bier – es hilft ja nix, und freuen uns. Es könnte tatsächlich klappen bis morgen.
Durch die verschiedenen Aktivitäten des Tages bin ich nie zum Frühstücken gekommen (bis auf das Bier um elf), deshalb habe ich Kohldampf, und wir machen uns auf Richtung Downtown (bitte nicht lachen). Auch in Estland gibt es Dosenpfand, und natürlich sind wir norm-konform und bringen es zum Supermarkt. Wir erlösen 4,10€, die man allerdings nicht bar ausgezahlt bekommt, sondern ausgeben muss. Eine Flasche Spüli, eine Viererpackung Snickers und vier Cent Zuzahlung: Success.
Dann suchen wir uns ein Restaurant aus, das „Hiiumaa Pruulikoja Resto“. Als wir es finden, sind wir enttäuscht – es wirkt komplett verlassen. Ein einziges Auto auf dem Parkplatz, die Terrasse komplett leer (gut, bei dem Wetter kein Wunder), aber auch sonst kein Lebenszeichen. Eher aus Trotz laufen wir noch um das Gebäude herum. Es wirkt fast, als ob im ersten Stock Licht brennt. Echt jetzt? Kein einziges Hinweisschild? Nichts? Wir gehen über die Außentreppe hoch, und treten in den freundlichen Gastraum ein. Die Esten sind komisch, und das Marketing scheint hauptsächlich über Mundpropaganda zu funktionieren. An allen Wänden hängen Fernseher, es läuft „Suur Pauga Teoria“ (also Big Bang Theory), ohne Ton mit estnischen Untertiteln. Eine der ersten Episonde, wo Sheldon Amy kennen lernt. Die Musik ist dabei eine geniale Mischung aus Spät-Sechziger und Früh-Siebziger Classic Rock. Danach kommen noch die Simpsons, noch eine Folge von Big Bang Theory, und dann Beverly Hills Cop. Der Blog schreibt sich von selbst.
Danach gehen wir zum Schiff zurück, Frank packt noch der Endzeit-Rappel, und er installiert eine Motorraum-Beleuchtung, während ich diese Zeilen schreibe. Und nun – bin ich aktuell. Es muss jetzt erst einmal wieder was passieren, bevor ich weiter darüber berichten kann. Ich warte. Ich warte….
Ach, wisst Ihr was? Ich veröffentliche das jetzt, und dann kommt halt morgen oder die Tage noch ein „Wie sind wir heimgekommen, und was ist mein Fazit zu Estland“ Beitrag.