Dropkick Murphys vs. Backstreet Boys on the Delta

Lächelnd setzt sich der Busfahrergehilfe in die Reihe neben meine: „Where are you from?“ Ich antworte mit „Munich, Germany“ und ergänze dann mit „Bayern München“. Hier in Asien bin ich begeisterter Fan – da spielt Beckenbauer, oder? Nach den Trikots zu urteilen, stehen die Asiaten mehr auf Arsenal, Man U und Barca, aber immerhin hat der FCB Wiedererkennungswert. Nicht beim Gehilfen, der offensichtlich noch viel Verbesserungspotenzial bei Englisch hat, und hier ein Opfer zum Üben gefunden hat. Die erste Frage klang auch mehr wie: „Whe**** *** u *****om?“ aber er wird schon das übliche gemeint haben. Das könnte anstrengend werden. Wir lächeln uns weiter eifrig an. Dann schaut er in sein Smartphone, die App deklamiert: „Paul, what is your favorite music?“.  Keep it simple, Chris. Keine Weichspülermusik, möglichst bekannt. Ich probiere es mit Rolling Stones. Die gab’s schon zu Zeiten des Vietnamkriegs, keine amerikanische Imperialistenmusik, hinreichend hart. Er wühlt in seiner Musiksammlung: Backstreet Boys, Westlife. Ich versuche ihm mit einem Luftgitarrensolo meine Vorliebe für etwas härtere Musik klar zu machen, biete noch Led Zeppelin an. Irgendwann drückt er mir seine Ohrstöpsel in die Hand. Bäh, das muss jetzt wirklich nicht sein. Ich halte sie in Ohrnähe, erkenne das Lied nicht, aber vielleicht bin ich nicht wirklich aufgeschlossen. Probieren wir’s andersrum. Ich geben ihm seine Stöpsel wieder, stecke sie aber in mein ipod ein, und fange mal mit den Vaccines an, dann Black Dog von Zeppelin. Er lächelt weiter, wenn auch etwas angestrengter. OK, dann den Gnadenstoß: Flannigan’s Ball von den Dropkicks. Ich will nicht behaupten, dass er mich entgeistert anschaut, aber etwas ungläubig schon. Nach 1:36 stöpselt er sich aus, und gibt mir den ipod zurück. Wir können ja Freunde bleiben, aber musikalisch kommen wir wohl nicht zusammen. Danach schaue ich verstohlen nach – ich habe tatsächlich einen Titel von den Backstreet Boys, tät mich interessieren, wie der zu den 64GB Musik gekommen ist. Wahrscheinlich von irgendwem kopierte Applaus Hits von 19??.

So widme ich mich weiter der vorbeiziehenden Landschaft des Mekong Deltas. Eigentlich wollte ich ja Schiff fahren, Slow Boat, aber das soll wohl nicht passieren. Ist vielleicht auch nur so eine blöde Romantikduselei von Touristen. Der Bus ist schneller, moderner, und wozu haben die Vietnamesen die ganzen Brücken gebaut? Das Schiff ist eher für die armen Leute, und auch da hat der Tourist natürlich Grenzen. Primitiv-romantisch darf’s schon sein, aber bitte nach aktuellem SOLAS*-Stand, mit einer sauberen Toilette zum Sitzen. Immerhin, vom Bus aus sieht man recht viel vom Leben, auch wenn ich von meinem zugewiesenen Platz #1 nach hinten ausgewichen bin. Platz #2 wurde von einem hustenden Vietnamesen gebucht, der eine frappierende Ähnlichkeit zu Jimmy Page hat. Aber die Bazillen will ich dennoch nicht, und lehne mich so gegen die streng verteilten Sitznummer in dem nur zu einem Viertel besetzten Bus auf.

Überraschenderweise wird das Mekong-Delta vom gleichnamigen Fluss dominiert, der sich hier in die Cuu Long, die neun Drachen, aufteilt. Neben den neuen Drachen gibt es aber noch eine wahre Brut an Drachengewürm – Seitenarme, Kanäle, Zuflüsse, Teiche. Dementsprechend gibt es hier auch Brücken ohne Ende. Die, über die wir fahren, sehe ich ja nicht von ihrer Struktur, aber von der Straße aus führen über den parallel laufenden Seitenarm alle 50 Meter wackelige Holz, Eisen Beton- oder Bambusbrücken über den Fluss. Auf den meisten würde ich mich nicht wohlfühlen. Bambus ist auch eine Hauptzutat der verschiedenen fischereibedingten Strukturen hier. Es gibt Fischfallen für Fische, die in eine bestimmte Richtung wollten, Fischfarmen (das ist vielleicht die Aquakultur, von der man in Deutschland oft auf Verpackungen liest: keine gigantischen Farmen, sondern eingenetzte Bereiche im Fluß, die kaum größer sind als mein Wohnzimmer), und verschiedene Arten von Netzen. Am interessanten finde ich eine Variante, wo ein ca. 3×3 Meter großes Netz mit langen Bambusstangen aufgespannt ist, an einer Konstruktion, die irgendwie an ein römisches Katapult erinnert. Ich stelle mir vor, dass das Netz ins Wasser eingetaucht wird, und dann überraschend (für die Fische) aus dem Wasser gezogen wird. Ehrlich gesagt, stelle ich mir eher vor, dass das ganze unter Spannung steht, dann im richtigen Moment eine Comicfigur ein Seil durchtrennt, und Schwupps – die Fische fliegen im hohen Bogen aus dem Fluss.

Auf den Wasserstraßen ist alles mögliche an Booten unterwegs. Einzelboote, die unter der Last von drei vietnamesischen Fischern fast untergehen; kleine Lastkähne mit einer Ladekapazität von ca. 20 Bierkästen, offensichtlich Getränkelieferanten; größere Lastkähne für Schüttgut wie Getreide, kunstvoll verziert, mit Augen am Bug die die bösen Geister fernhalten sollen; und, auf den größeren Flüssen, echte Schiffe mit ca. 50 Meter Länge, die dann auch immerhin nachts fast so beleuchtet sind, wie ich’s von meinem Segelschein kennengelernt habe.

Der Fluss sorgt für eine unheimliche Fruchtbarkeit der Region. Beeindruckend grün leuchten Reisfelder, überall stehen Bananenstauden, Papayabäume scheinen mehr Früchte zu tragen als Blätter. Jedes Fleckchen wird ausgenutzt. Auch die 50cm zwischen Asphalt und der Böschung reichen für drei Reihen Kohl oder ein paar mit Netzen bedeckte Beete für irgendwelche zarten Pflänzchen. Auf der Straße werden noch andere Früchte getrocknet, es wird kein Platz verschwendet. Noch habe ich nicht beobachtet, was passiert, wenn deshalb die Straße zu eng wird. Wird dann über das Trockengut gefahren? Trocknen und Mahlen oder Dreschen in Einem? Immerhin müssen auf einer Straße von der Breite ‚mittlere deutsche Landstraße‘ folgendes nebeneinanderpassen: Ein spielendes Kind, ein Radfahrer, zwei Mopedfahrer (eines davon mit querliegendem Schwein auf dem Gepäckträger), ein langsames Auto, ein überholender Bus, und zwei verschreckte Mopedfahrer auf der Gegenfahrbahn. Teilweise ist das Überholopfer auch ein LKW, wie sie besonders in Cambodia verbreitet waren: Ein Lastkraftwagen im eigentlichen Sinne: Last (Pritsche) – Kraft (Offener Motor vorne) – Wagen (vier Räder). Der Fahrer sitzt offen zwischen L und K.

Auch wenn die Zivilisationsspuren nie verschwunden sind, sie verdichtet sich zusehends, wenn man sich Städten nähert. Meist in der Form von „Garagenläden“, diesem Glanzstück asiatischer Architektur. Das Erdgeschoß ist eine ca. 3-4 Meter breite Garagenhöhle, nachts mit Rolltor oder Schiebegitter zu verschließen, in der einem Gewerbe nachgegangen wird. Jedenfalls sind dafür schwerere Maschinen und Lager vorhanden, die eigentliche Tätigkeit wird auf dem Bürgersteig ausgeübt. Da ist das Licht besser, und der Kunde kann sich besser von den Fähigkeiten des Meisters überzeugen. Auch fällt es dem Gewerbetreibenden leichter, in einen Dialog mit seinen Kunden und anderen Stakeholdern zu treten: Die Konkurrenz schläft nicht, und arbeitet gleich nebenan. Tatsächlich finden sich Häufungen gleicher Gewerbe nebeneinander: Zehn Läden bieten Reifen bzw. deren Reparatur an, dann mehrere Motorenspezialisten, einige Fischernetzlieferanten, achtmal Mobiltelefone….

Und dazwischen die Vietnamesen: ein paar der optischen Vorurteile stimmen tatsächlich. Viele der Frauen laufen tatsächlich in einer Art Seidenpyjama durch die Gegend, da muss man sich erstmal dran gewöhnen. Der stereotypische, spitze Kegelhut ist auch keine Erfindung der Filmindustrie. Die moderne Variante ist in durchsichtiger Plastikfolie eingepackt, das macht sie wahrscheinlich wetterfester, aber auch weniger atmungsaktiv. Es lebe der Fortschritt. Als wir in Can Tho einfahren, sehe ich ein weiteres Zeichen desselbigen: Gegenüber vom Busbahnhof ist ein METRO-Markt. Wenn ich’s mir überlege, das erste nicht produktbezogene Markenzeichen was mir in Südostasien aufgefallen ist. Stimmt nicht – in Phnom Penh habe ich eine Werbung für Kentucky Fried Chicken gesehen. Aber kein McDonalds, keine Hotelketten, keine Markenboutiquen; ich hab sie nicht vermisst.

*SOLAS: Safety of Life at Sea

Ein paar Fotos aus Cambodia – Phnom Penh

Bootsfahrt über den Tonle Sap nach Phnom Penh
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Kochkurs mit Marktbesuch. Ein Rezept für Saugesicht haben wir aber auch nicht gelernt.
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Der Königspalast in Phnom Penh.
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Das S-21 Gefängnis Tuol Sleng und zwei von zehntausenden Opfern.
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Das Nationalmuseum und ein kleiner Laden an der Haupteinkaufsstraße.
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Beim ersten Blick dachte ich, dass Coffin aber ein bitterer Tippfehler zu Coffee ist…
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Gänsebraten Cambodian Style – Weihnachten in Phnom Penh

Phnom Penh – ich finde das hört sich weniger nach Asien an, als nach Comic… Tom haut Jerry: PHNOM!!! Jerry lässt ein Bügeleisen auf Tom fallen: PENH!!! Nicht annähernd so klangvoll für meine Ohren wie zB Mandalay. Phnom Penh ist die Hauptstadt von Cambodia, laut Reiseführer auch noch mit reichlich kolonialem Charme, aber da bin ich wohl von Luang Prabang verwöhnt. Mittelgroße asiatische Stadt halt. Chaotische Kabelführung von Strom und Telefonleitungen, viele Baustellen, einige eher unappetitliche Häufchen in der Ecke, und dann mal wieder ein Oase von Style und Luxus wo eine internationale Boutique ihre Pforten geöffnet hat.

Hergekommen bin ich mit dem Schiff. Es hörte sich einfach so viel geiler an, als wieder sieben Stunden mit dem Bus zu fahren, ist zwar teurer, aber dauert gleich lang. In meiner Naivität hatte ich ein Bild vor Augen: Ich sitze in einem Teakstuhl auf dem Sonnendeck, ein Butler serviert Champagner, die Ufer des Tonle Sap See und Flusses ziehen gemächlich vorbei, hübsche Frauen und Kinder winken zu uns herüber. Krrrsch, wieder in die Realität zurück. Um gleich schnell zu sein, braucht es halt ein ‚Speedboat‘. Das kann man sich wie folgt vorstellen: Regionalflugzeug-Rumpf mit vier Sitzen nebeneinander, etwas schiffförmiger Rumpf mit ca. 40 cm Deck außen, das hintere Drittel mit zwei riesigen Dieselmotoren füllen, und los geht’s, mit knapp 45 km/h. Wir runden das Bild noch ab: Die Fenster sind größer als beim Flugzeug, aber aus hässlich orange-getöntem, halb-blindem Plexiglas, und die Sitze sind weitaus primitiver. Auf den Kapverden habe ich mich noch über zu spät gewartete Rettungsfloße aufgeregt, hier gibt’s gar nichts – keine Rettungsinseln, keine Schwimmwesten; und die Hälfte der Strecke geht mitten über den See. Wenn die das Ding vollbekommen, leide ich genauso wie im Bus, für den fünffachen Preis. Ich verfluche mich innerlich. Es kommt nicht so schlimm. Maximal zur Hälfte besetzt, alles Touristen. Einige davon verzupfen sich gleich auf’s Dach, und so behalte ich meine Sitzreihe für mich. Die Türen bleiben offen, und wenn man sich nicht an der fehlenden Reling stört, kann man um’s Schiff laufen. Das Wetter ist auch erfreulich, und so kommen wir um 14:00 in downtown Phnom Penh an. Hotelempfehlung aus dem lonely Planet gefolgt, 15 USD für Einzelzimmer mit Dusche und Klimaanlage, was will man mehr?

Ich plane meine Zeit hier: Khmer-Kochkurs, Nationalmuseum, und die Überbleibsel der Terrorherrschaft der Roten Khmer. Zur Begriffsklärung: Khmer ist der Volkstamm, der über 95% der Bevölkerung ausmacht, und das seit Jahrhunderten. Mit dem Adjektiv ‚Roten‘ sind die Kommunisten aus dem gleichem Volkstamm gemeint, die hier von 1975-79 mit einem Steinzeitkommunismus Amok gelaufen sind. Der Kochkurs ist für den 24. ausgebucht, also muss ich ihn vorziehen, und am Heiligabend S-21 und die Killing Fields machen – auch mal apart für die Weihnachtsstimmung.

Als ich zum Kochkurs erscheine, sehe ich nur Asiaten – das kann ja heiter werden. Aber hier muss ich ein paar Vorurteile beerdigen, einen häufiger Fehler von mir. Etwas ähnlich sehen sie sich ja alle, die Asiaten; ich kann zwar erahnen, ob es Japaner oder Chinesen sind, aber wetten würde ich darauf nichts. Ich hab auch schon öfters zB im Hotel zwei Asiaten Englisch miteinander reden hören, und mir dabei gedacht: „Ach wie süß, die üben!“ Von wegen. Über die drei Länder hinweg musste ich jedesmal ein Hallo und Danke lernen, dass nichts, aber auch gar nichts miteinander zu tun hat (Mingalabar, Sabaidee, Suesday) – gleiche Augenform bedeutet noch lange nicht ähnliche Sprache. Und diese verschiedenen Asiaten, die sind ganz anders drauf, leiden aber meist unter dem schlechten Ruf der Mainland-Chinesen.
Unsere Chinesinnen kommen aus Hong Kong und Singapur. Die aus Singapur fremdeln am Markt mehr mit den hygienischen Bedingungen als mittlerweile ich, wenden sich angewidert von Innereien ab. Tatsächlich sind die drei Singapur-Chinesinnen Teil einer Gastronomie-Dynastie dort, sprechen gepflegtes Englisch, und ich habe eine Voranmeldung für einen Kochkurs in Singapur bei Shin. Es ist übrigens noch eine Familie mexikanischer Wurzeln, wohnhaft in Singapur, und ein Paar Australier mit spanischen bzw. malayischen Wurzeln aufgetaucht, und so wird der Tag ein Erfolg auch der Völkerverständigung – neben den erlernten Kochkünsten. Der Gänsebraten nimmt dieses Jahr übrigens die Form eines Hühnersalates mit Bananenblüten an. Außerdem machen wir Fisch-Amok, eine Art Curry im Bananenblatt gedämpft, und Frühlingsrollen.

Nach dem Kochkurs bleibt noch Zeit für den Royal Palace. Wieder Touristen-Chaos, es wird fotografiert wie wild. Der Palast ist traditionell, aber proper gepflegt und frisch gestrichen. Dadurch wirkt das ganze ein wenig wie Disneyland. Ich teile meine Vorbehalte mit zwei Südafrikanern, und wir unterhalten uns danach noch fast zwei Stunden bei einem Bier.

Heute dann das aparte Weihnachtsprogramm. Ich halte mich nicht ganz an meinen Vorsatz, um acht schon unterwegs zu sein, schließlich möchte ich drei Programmpunkte absolvieren, aber kurz vor neun bin ich auf der Straße. Wie üblich sofort umringt: „Tuc-Tuc, Sir?“. Nein, ich habe das heute anders geplant. Den ersten fünf kann ich noch ein freundliches „No thank you“ erwidern, aber dann beginne ich Varianten auszuprobieren: „No, Mercedes-Benz Limousine, please“. Dabei kommt mir das Lied von Janis Joplin in den Sinn und begleitet mich auf meinem Fußmarsch durch die Stadt. Mittlerweile – das haben mir auch die Südafrikaner bestätigt – komme ich gut klar mit dem Straße überqueren. Anhalten wird hier keiner, auch Zebrastreifen haben eine eher dekorative Funktion als eine praktische. Der Trick ist wie folgt: Verkehrslage überprüfen, man muss ja nicht im dichtesten Verkehr oder vor Bussen herlaufen. Dann raus auf die Straße, und mit konstantem Schritt geradeaus rüber. Die weichen schon aus, die Motorräder und die Tuc-Tucs. Am besten schräg gehen, und dem Verkehr den Rücken zukehren. Denn das ist dem fließenden Verkehr klar, dass man sie nicht sieht, und sie fahren einfach entspannt um einen herum. Man wird nicht mal angehupt.

Mein Ziel ist das Tuol Sleng Cambodian Genocide Museum, auch S-21 genannt. Ich kann selber nicht genau erklären, warum das auf mich so eine Faszination ausübt. Berichte über den Vietnamkrieg und die Machenschaften von Pol Pot in deutschen Illustrierten wie dem ‚Stern‘ zählen mit zu dem, was meine ersten bewussten Erinnerungen an internationale Konflikte als Kind darstellten. Und wenn man dann heute ein wenig durch Wikipedia stöbert, entkommt man der morbiden Faszination nur schwer. Kurz: S-21 war ein Foltergefängnis der Roten Khmer, hier mussten tausende Cambodianer Geständnisse formulieren, und wurden danach hingerichtet. Der Grundgedanke war: wenn Dich die allwissende Partei verhaften hat lassen, bist Du schuldig, also gib’s zu, und nenne/erfinde Deine Komplizen. Säuberlich wurden alle Gefangenen bei der Einlieferung fotografiert, deren ausgestellten Portraits sind das beeindruckendste an dem Museum. Die meisten Quellen sprechen von nur sieben Überlebenden des Gefängnisses. Um das besinnliche Programm abzurunden, will ich danach weiter nach Choeung Ek, den ‚Killing Fields‘ außerhalb von Phnom Penh. Hier wurden die Insassen von S-21 munitionssparend mit Schaufeln und Äxten erschlagen.  Normalerweise sind für die Fahrt mit dem TucTuc ca 20 Dollar fällig, und ich habe mir vorgenommen, diese nicht alleine zu zahlen. So spreche ich wahllos Leute an, die mit dem Museum fertig sind, und werde schließlich mit zwei Finninnen einig – die haben vom Hotel ein klimatisiertes Taxi gemietet, wie dekadent. Wir landen in einem Stau, und der Fahrer hat darauf keine Lust. Er beginnt engagiert andere Sehenswürdigkeiten in Phnom Penh aufzuzählen. Mittels einer Karten-App weise ich ihn auf Alternative Routen dorthin hin, aber er will nicht. Mein Verdacht: er kennt nur den einen Weg, und was weiß der Falang schon, mit seinem komischen Telefon. So kehren wir um, meine finanzielle Beteiligung an der Fahrt entfällt. Immerhin werde ich so klimatisiert bis kurz vor’s Hotel gefahren.

Als Alternative gehe ich ins National Museum, immerhin im Gegensatz zu den Killing Fields eine „Top Choice“ im Lonely Planet. Als Kunstbanause erkenne ich den ganzen Krims-Krams von den Touri-Märkten wieder, mit dem Unterschied, dass diese hier historisch wertvoll sind. Doch wer weiß – vielleicht sind auch die Artefakte auf den Märkten wertvoll, und stammen aus diversen Plünderungen archäologischer Stätten. Das immerhin wundert mich, an all den Ländern die ich hier bislang sah – jahrelang von menschenverachtenden, meist atheistischen Regimes brutal regiert, die ihr Land hemmungslos ausbeuteten, aber dennoch ist viel von der Kultur übrig – obwohl, wie hat das wohl so ca. 1900 ausgesehen?

Den Heiligabend verbringe ich mit PC im Hotel am Pool. Thai Beef Salad, und professionell zubereitetes Fish Amok, mein selbstgekochtes war besser. Dazu ein paar Bierchen, mittels 50% Weihnachtsdiscount auf konkurrenzfähige 50 Cent gebracht. Durch das Ausstecken einer der blinkenden Lichtketten habe ich auch Strom für den Rechner. Am Weihnachtsfeiertag werde ich Cambodia verlassen, in Richtung Vietnam.

Aus den Fehlern der Vergangenheit habe ich gelernt: Ich will Slow-Boat fahren. Beschaulich den Mekong hinab, dass muss doch wohl gehen. Ich finde auch ein Angebot, 12$, mit „only one hour drive outside Phnom Penh“. Ein TucTuc holt mich vom Hotel ab, macht eine längere Irrfahrt durch die Stadt, und setzt mich und einen Dänen vor einem Büro ab. Hier steigen wir in einem gelben Minibus, fahren weiter etwas wirr durch die Stadt, und dürfen dann kurz im Büro des Reiseveranstalters unseren Pass abgeben. Dann geht’s weiter, dankenswerterweise bleiben wir im Minibus zu zweit (kurzzeitig zu dritt, der Fahrer hat eine junge Dame für drei Dollar mitgenommen), da ist es dann nicht so schlimm, dass aus der Fahrt zweieinhalb Stunden werden. Meine App sagt mir, dass wir nun an der Grenze zu Vietnam sein müssen. Wir halten kurz am Straßenrand an, der Fahrer bedeutet uns mit Pass mitzukommen. Wir laufen durch einen Obsthain, kommen an armseligen Hütten vorbei – so wird man also in Cambodia ausgeraubt? Doch dann sehen wir das parkähnliche Areal der Cambodia Border Police, werden ausgestempelt, und laufen wieder zum Minibus. Ich könnte jetzt ebenso gut wieder zurück ins Land gehen, soviel zu umfassenden Grenzkontrollen. Aber nein, wir fahren noch einen Kilometer auf staubiger Straße, und sind dann an den Befestigungsanlagen der vietnamesischen Grenze. Durch kleine Bestechungen – der Fahrer hat aus der Hauptstadt vier Zeitungen mitgebracht und verteilt sie an die richtigen Leute – fahren wir ins Niemandsland. Dort steigen wir mit Gepäck aus und laufen an bewachten Schlagbäumen vorbei, ohne auch nur angesprochen zu werden. So laufen wir ein wenig durch Vietnam, mir ist etwas flau ob dieser undokumentierten Einreise. Doch dann stehen wir am Ufer des Mekong, hier ist eine schwimmende Grenzstation. Hier warten wir ca. eine Stunde, immerhin gibt es ein Café, wo wir mit Reisenden in die andere Richtung Geld tauschen, so werde ich cambodianische Riel und laotische Kip los.

Dann kommt ein fast zahnloser – wenn auch fröhlich grinsender – Vietnamese und führt uns zum Slow-Boat. Sehr nett. Zwei Liegestühle stehen in dem hölzernen und gnadenvoll überdachtem Langboot, und wir tuckern los. Very slow. Nach 50 Metern verlassen wir den Mekong – und fahren über einen Seitenfluss nach Chau Doc. Sehr idyllisch, das Tuckern des Motors ist extrem einschläfernd. Mir wird langsam bewusst, dass mir allgemein flau ist – auch in dem Café hatte ich keinen Hunger. Als wir anlegen, merke ich, dass ich jetzt schleunigst ein Zimmer möchte, und lasse mich bereitwillig von dem zahnlosen Vietnamesen zu dem Hotel führen, von dem er eine Provision bekommt. Bitte, bitte, lass das Bett sauber und die sanitären Anlagen OK sein. Ich bin positiv überrascht, und das für zehn Dollar. Ich beginne eine intensive Beziehung mit einer Porzellanschüssel; mein festliches Weihnachtsessen ist eine Handvoll Erdnüsse. Keine Feier heute Abend. Doch 24h später geht’s mir wieder gut, jedenfalls habe ich Hunger. Time to eat.

Angkor What? (Night-)Life in Siem Reap

„As happy as a pig in shit“. So fasst Caroline ihren Gemütszustand zusammen, nachdem wir nach absolvierten Tempelprogramm in Pub Street aufschlagen, und ein paar 50ct Biere bestellen. Pub Street ist nach Laos ein Kulturschock. Kubikmetergroße, nachts von innen beleuchtete angedeutete Geschenke sollen Weihnachtsstimmung verbreiten, aber hier ist nur Partystimmung angesagt.

Der erste Abend war noch ruhig. Uns allen (Caroline, Graeme und mir) lag noch die Busfahrt in den Knochen, und am nächsten Tag war 4:15 aufstehen angesagt, um den Tempelwahnsinn zu erleben. Aber heute, heute ist Freitag, und der Kultur haben wir genüge getan. Ein paar Bierchen direkt nach den Tempeln, ein kurzes Nickerchen, und dann geht’s am Abend los. Eigentlich soll das Bier wohl einen Dollar kosten, aber dann gibt’s ja Happy Hour. Das Konzept wird hier aber mittlerweile anders ausgelegt. Statt zweier Stunden, in denen das Geschäft sonst eher mau ist, wurde hier Happy Hour auf 24/7 ausgedehnt. Vielleicht auch eine Frage des Konkurrenzdrucks, jeder Meter Straßenfront ist hier der Gastronomie gewidmet. Uns begleitet April, eine Taiwanesin von ca. 23 Jahren, trinkfreudig und drollig. Carolines Anerkennung hat sie gewonnen, weil sie Potcheen kannte, illegal gebrannten Schnaps aus Irland. Nach etwas Bier ziehen wir weiter, wir müssen noch schnell eine Grundlage unter die Getränke zaubern. An einem Streetfood-Stand gäbe es was: Schlangen und Spinnen auf Spießen. Wer sie nicht essen mag, kann sie auch für 50 cent fotografieren. Wir lehnen beides ab, und finden eine einfache Kneipe, die die meisten von uns glücklich macht. Graeme mag leider keine Mayonnaise, und ist unglücklich als sein Sandwich trotzt gegenteiliger Bestellung mit kommt. Überhaupt ist er heute nicht fit. Schon auf den Weg zur nächsten Bar dankt er ab, und trifft eine leberfreundliche Entscheidung. Wir schauen noch zu der kaschemmenhaften Tuc-Tuc-Bar in einer Nebenstraße, wo uns ein paar betrunkene Neuseeländer auf den Keks gehen, und ziehen dann wieder in Richtung Pub Street. An der Ecke – vertraute Töne: In der Roof-Top-Bar „X“ spielt eine Cover-Band „Iron Man“ von Black Sabbath. Los geht’s! Wir haben noch ein paar Leute aus dem Hostel eingesammelt, darunter Seamus, der am Montag zurück nach Irland fliegen muss. Wir bemitleiden ihn, und stoßen auf tolle Urlaube an. Als die Coverband fertig ist (brav Hard Rock und Grunge gespielt), wird’s fad, also wieder weiter. Ein kurzes Intermezzo im „Angkor What?“, dessen Claim: „Promoting irresponsible drinking since 1997“ Programm ist, hier treffe ich die halbe Besatzung des Minibusses von vor zwei Tage, und sehe erstaunt zu, wie die anderen Gäste ihre Cocktails aus Eimern schlürfen (10$). Dann noch eine kurze Tanzeinlage im Temple Club, mir reicht’s allgemein, und meine beiden Begleiterinnen hatten wohl auch genug. Also bringe ich – ganz der Gentleman – die beiden nach Hause und laufe dann weiter in mein Hotel.

Am nächsten Abend beginnt die Feier schon im Siem Reap Guesthouse von Caroline (Happy Hour ist hier nur bis acht, two for one cocktails für je 2 Dollar). Caroline hat weitere Mitstreiterinnen gefunden, Zoe aus England, Rachel aus Texas und Julia aus Hannover. Nach Ende der Happy Hour holen wir die versäumte Grundlage nach, aber heute reicht ein Schlendern über die Pub Street. Die Tanzeinlage von Zoe und Caroline habe ich versprochen nicht zu veröffentlichen, aber allgemein amüsieren wir uns ausgelassen. Feiern mit Caroline wird mir fehlen, auch unser gemeinsamer Humor in Anbetracht der Touristenmassen in den Tempel von Angkor, aber eine gemeinsame Wiesn 2014 ist beschlossene Sache.

Die Tempel von Ankor

Die Morgendämmerung zaubert die ersten Lichtflecken an den nächtlichen Himmel. Vor deren Hintergrund hebt sich langsam ein vertrautes Bild ab – vertraut, weil der Tempel von Ankor Wat sich auch auf der Nationalflagge Cambodias findet. Der Schatten dort, das könnte der Hauptturm sein. Es wird langsam etwas heller, und auch die anderen Teile des Tempels lassen sich erahnen. Insgesamt neun Türme dürften es sein, mit einer bemerkenswert einzigartigen Form. Durch die Perspektive wird man sie nicht alle sehen. Mittlerweile ist das beginnende Tageslicht so stark, dass man in dem See vor uns schon das Spiegelbild erkennen kann. Es nimmt den dunklen Silhouetten etwas von dem Bedrohlichen, immerhin sollten sie bei ihrer Erbauung die Macht des Khmer Reiches einschüchternd zum Ausdruck bringen. Langsam wandelt sich das fahle Licht der astronomischen Dämmerung zu dem Farbenspiel welches man mit Sonnenaufgängen in Verbindung bringt. Nuancen von lachsfarben, altrosa bis hin zu aprikotfarben erscheinen, eingerahmt durch die Türme von Angkor Wat. Der See ist im hinteren Teil mit Seerosen bedeckt, das Spiegelbild im vorderen Teil wird nur von wenigen Wasserläufern gestört. Das stärker werdende Licht der Sonne konzentriert sich, die Spannung bezüglich des genauen Ortes, wo die Sonne auftauchen wird, liegt spürbar in der Luft. Zwischen dem Hauptturm und den rechten Nebentürmen wandeln sich die sanften Pastelltöne der mittlerweile deutlichen Dämmerungen zu immer kräftigeren Orangetönen. Hier wird sie wohl erscheinen. Und dann, lange erwartet aber doch fast überraschend, schiebt sich die Sonnenscheibe über die Wände von Ankor Wat wie das Gesicht eines neugierigen Kindes. Die Sonne strahlt wieder auf das Reich der Khmer.

So war’s. Wirklich. Na gut, bis auf die Sonne, die hatte sich hinter Wolken versteckt, und ich habe sie von einem vorherigen Aufgang in den Text einkopiert. Das ist also V 1.0. Aber es war auch so – V 2.0:

Das Mobiltelefon klingelt. Es ist 4:15. Scheiße, ich hab doch Urlaub. Muss das sein? Es muss. Ich habe es selber angeregt, gestern Abend bei Bier mit Caroline und Graeme, die ich von Don Det kenne. TucTuc und Führer zum Sonnenaufgang. Um 4:45 CMT werde ich abgeholt. Cambodian Maybe Time, denn wir werden alle zur gleichen Zeit abgeholt, obwohl wir in unterschiedlichen Unterkünften wohnen. Ein paar versprengte TucTuc-Fahrer bieten Ihre Dienste an, machen dann Smalltalk bezüglich der Kälte (es hat nur 15°). Zur Untermalung beginnen sie, sich erwärmend, auf- und abzuspringen. Um 4:55 kommt der fahrende Untersatz, bereits mit Caroline, Graeme und einem lizensierten cambodianischen Touristenführer, dessen Namen ich mir mit Chai merke, wie der chinesische Tee. Wir sind zwar nicht die einzigen auf der Straße, aber doch so selten, dass wir uns exklusiv vorkommen. Das ändert sich nach zweimal Abbiegen. Hier ist Völkerwanderung. Die gesamte Breite der Straße ist besetzt. TucTucs überholen Fahrräder, Mopeds überholen  TucTucs, Minibusse überholen Mopeds, und Autos überholen Minibusse. Mir kommt ein Bild in den Sinn: Wie Spermien, auf dem Weg zum Ei. Touristen-Spermien auf dem Weg zum Kultur-Ei. Die Spermien müssen noch kurz eine Eintrittskarte kaufen, Three-day-pass mit Lichtbild, und weiter geht’s in wilder Hatz. Um bei dem Bild zu bleiben: wir hätten das Ei wohl nicht befruchtet. Wir schieben uns in morgenmuffliger Masse über die Brücke über den Wassergraben. Das unebene Pflaster beleuchtet unser Guide mit einer Taschenlampe, die deutschen Touristen erkennt man an ihren Everest-Expedition-Stirnlampen. Wir werden zum Sunrise-Beach geleitet, ein völlig niedergetrampelten Bereich an einem Tümpel im Nordwesten des Tempels. Graeme nimmt das Angebot einer fliegenden Händlerin über einen heißen Kaffee an, und bekommt eine undefinierbare lauwarm Brühe. Obwohl ich wirklich saustoltz über mein frühes Aufstehen bin, hier reicht’s nur für die vierte Reihe. In erster Reihe asiatische Touristen mit teuren Kameras auf schweren Stativen. Ich könnte kotzen, ein Gefühl was ich mit meinen Begleitern, und eigentlich allen Touristen, die auf der Suche nach ihrer persönlich-einzigartigen Erfahrung sind, teile. Die Asiaten vor uns experimentieren damit, vor ihrer Langzeitbelichtung langsam eine Pappkarte (ein mattschwarzes Fotografiezubehörteil, Entschuldigung) vor dem Objektiv nach oben zu ziehen. Theoretisch fällt somit mehr Licht auf den dunklen Teil des Fotos unten. Ich vergnüge mich derweil, die fotografierenden Massen zu fotografieren, bessere Fotos vom Sonnenaufgang wird’s wohl in jedem Bildband geben. Die Stimmung erinnert uns eher an die ‚Ich-will-ganz-vorne-sein-Fans‘ an einem XXXX-Konzert (XXXX für mich: Stones oder Springsteen, für andere Robbie Williams, für andere Britney Spears oder Lady Gaga, je nach Generation). Mein Interpersonal-Highlight: ich erkläre einer attraktiven deutschen Touristin einige Funktionen ihrer teuren Kamera. Gigabyteweise werden hier Zeitdokumente erschaffen. Tatsächlich versteckt sich die aufgehende Sonne hinter Wolken, insofern ist V1.0 mit etwas künstlerischer Freiheit behaftet. Als wir überzeugt sind, dass es nicht mehr besser wird, machen wir uns auf, dem Tempel per se zu erkunden. Wir wischen die Überlegung unseres Guides beiseite, erst einmal zu frühstücken – wir haben eine Mission. Als wir auf der anderen Seite des Tempels sitzen, wird’s tatsächlich etwas mystisch. Die meisten Touristen  schwirren noch woanders rum (vielleicht beim Frühstück?), und die Anlage ist wirklich toll proportioniert und beeindruckend. Ca 1100 n.Chr. erbaut. Wow.

Anfangs sind wir von unserem Führer enttäuscht, er wirkt genauso morgenmuffelig wie wir, wird aber nicht dafür bezahlt, still zu sein. Jetzt aber läuft er zu Hochform auf. Die zweite (innere) Ebene des Tempels wird von historisch wertvollen in Stein gehauenen Bildern von Prozessionen geschmückt. Jede ist bedeutsam, stellt ein anderes historisches Ereignis aus der Gründungszeit des Khmer-Reichs dar, und Chai kennt sie alle. Wir wechseln uns ab, ihm interessiert zuzuhören, ich verliere bald den Faden. Ich hab ja insgesamt drei Monate Südostasien zu absolvieren, und die haben sich hier alle irgendwann gekloppt, und ALLE haben irgendwo und irgendwann gewonnen. Wenn nicht, dann gibt’s halt deren Tempel nimmer, Fall erledigt. Nachdem wir ca. ein Drittel des Tempels umrundet haben, drängen wir ins Innere, erklimmen den zentralen Turm bis zur oberen Aussichtsplattform – wahrscheinlich haben die Erbauer das auch nicht als Aussichtsplattform geplant, eher sollte hier oben ein spirituelles Zentrum sein. Mag sein, aber könntet ihr da hinten bitte aus dem Weg gehen, damit ich diesen Steinhaufen auch fotografieren kann?

Die Anlagen um Angkor stellen den Mittelpunkt des ehemaligen Khmer-Reiches dar. Nur für Götter gab’s damals Steingebäude, aber offensichtlich war das Gebiet zu Beginn des letzten Jahrtausends eine blühende Millionenstadt, zu einer Zeit, als in London nur 50.000 Einwohner hausten. Graeme ist leicht beleidigt, er wohnt dort. Na ja, München gab’s gar nicht. Die meisten Khmer Herrscher errichteten einen eigenen Steintempel  während ihrer Herrschaft – wer baut, der bleibt. Viele waren ursprünglich hinduistisch, wurden dann zu buddhistisch konvertiert, Vishnu, Brahma, Buddha, Elvis, allen wird hier irgendwie gehuldigt. Wir ziehen weiter, besuchen den Bayontempel in der Angkor Thom Anlage. Deutlich schlechter erhalten, ist dessen Höhepunkt die Gesichter, die auf verschiedenen Säulen und Stupas festgehalten sind. Offensichtlich sehen sie überraschenderweise dem damals herrschendem König ähnlich. Auch hier – Touristen, Touristen, Touristen. Viele davon sind asiatisch, und ich kann sie nicht auseinanderhalten. Chinesen, Koreaner, Hong-Kong-Chinesen, Singapur-Chinesen, Japaner. Alle fotografieren wie wild um sich, und sie lieben ‚Selfies‘, also Fotos von sich vor einem beliebigem historischen Monument. Caroline und mir wird’s langsam zu bunt, und Graeme muss sich Chais Ausführungen zu bedeutsamen Skulpturen anhören – schließlich hat er den Guide gebucht, wenn auch auf meine Anregung hin. Tatsächlich beginne ich mit Caroline Photo-Bombing Fantasien zu entwickeln, möglichst vielen Anderen durch’s Foto zu laufen – die freundliche Zurückhaltung, zu warten bis der Andere sein Foto hat, haben wir schon länger abgelegt. Als Vorstufe eine Studie: stolen Fotos – andere Touristen in dämlich Posen. Dennoch – wenn man sich die Touristen wegdenkt, und ja, wir gehören ja auch dazu, ist es wirklich beeindruckend.

Noch ein Tempel in Angkor Thom, und danach geht’s weiter nach Ta Prohm. Den Namen musste ich extra nachgucken, mittlerweile ist er allen als der Tomb-Raider Tempel bekannt. Hier hat Angelina Jolie wohlproportionierte Beine und erhebliche Oberweite in einem mystischen, von Bäumen überwachsenem Tempel auf der Suche nach irgendwelchen Schätzen zur Schau getragen. Ich habe den Film noch nie gesehen, aber trotzdem wird einem schnell klar, wo hier die wichtigsten Szenen gedreht wurden. Es bilden sich Schlangen vor durch Wurzelwerk eingerahmten Durchgängen, jeder lässt sich in authentischer Pose fotografieren. Ein Inder beginnt verkehrsregelnd einzugreifen – bitte ordentlich anstellen, nur ein Foto auf einmal, nicht drängeln.

Wir haben den TucTuc für den ganzen Tag gemietet ($15), den Führer nur bis mittags ($30). Kerngedanke: bis mittags Profi-Wissen abgreifen, danach billig auf eigene Faust. Wir erkennen die Absurdität dieser Idee. Um 13:00 sind wir unterhopft und übertempelt. Immerhin schon seit neun Stunden auf den Beinen. Also zurück nach Siem Reap, ein paar 50 cent beers, und dann ein Nickerchen.

Am nächsten Tag mache ich mich alleine auf die Socken: Caroline muss sich länger als ich vom Vorabend erholen, und Graeme hat am späten Nachmittag einen Bus an den Strand. Also buche ich für den Nachmittag mein Solo-TucTuc, und lasse mir vom Hotel weitere vier Tempel empfehlen. Intensiveres Lesen des Reiseführers hätte eine andere Reihenfolge vorgeschlagen. Tatsächlich können diese vier überragenden Denkmäler der uralten Hochkultur nicht gegen die vom Vortag anstinken. Und still zu sich selber zu lästern macht weniger Spaß als mit Caroline. Also ein paar wohlgemeinte Fotos, Zeitraffervideos von Touristen, und auf zum nächsten Tempel. Der Trubel ist nicht so überwältigend, aber einige Merkmale finden sich immer wieder: Kinder verkaufen Postkarten und handgewebte Schals oder Gewänder. An vielen Tempeln finden sich Kapellen, die traditionelle Khmer-Musik spielen. Die Musiker, so beschreibt das Hinweisschild, sind allesamt Opfer von Landminen. Die am übelsten zugerichteten sind strategisch vorne positioniert, wie auch der Blinde mit den gespenstisch leeren Augen. Mein Programm endet mit dem offiziellen Sunset-Tempel. Der Andrang kann einem Angst machen. Äffchen erbetteln Lebensmittel; unfitte/faule/reiche Touristen lassen sich mit Elefanten auf den Hügel tragen, und unterhalb des Tempels drängen Park-Offizielle Touristen zu ordentlich Schlangen, um das spätere Besteigen des Tempels zu vereinfachen. Gefühlte zweitausend Touristen sitzen und stehen auf dem glücklicherweise recht flachen Tempel, und starren gebannt über die Ebene um Siem Reap auf die untergehende Sonne. Siehe V1.0, aber von hinten lesen. Und so endet mein Besuch bei den Tempeln von Angkor wie er begonnen hat: mit einem sonnenbezogenen Tagesrandereignis unter dem Eindruck massiver touristischer Präsenz.

Chaos nach Laos…

Mittlerweile bin ich schon vor einer Woche aus Laos ausgereist, aber wie schon nach Myanmar sind ein paar Schnipsel übriggeblieben, die mir eingefallen waren, aber nie in den Erzählfluss gepasst haben. Außerdem fehlt ja noch das kurze Fazit.

Das Problem mit den Millionen – Das Millionär sein in Laos recht einfach ist, hatte ich ja schon ausgiebig geschildert. Immerhin nehmen die Laoten ihre eigene Währung, den Kip. Aber was das für eine Währung ist – furchtbar. Es beginnt damit, dass die Scheine natürlich zumeist mit laotischem Skript markiert sind. Also mehrmals mit etwas, was wie „&0000“ aussieht, und nur einmal mit „50.000“. Natürlich muss man den Schein dreimal umdrehen, bevor man die verständliche Zahl findet.  Die  „1“ sieht übrigens aus wie eine verschnörkelte „9“. Dann die Farben. Die wichtigsten Scheine, 50 und 20 Tausend haben sehr ähnliche Farben, aber auf Vorder- und Rückseite nicht die gleiche. Also sieht der 50er einmal orange, und einmal eher lila aus. Und mei, es bleibt verwirrend, dass man vier Nullen streichen muss, um auf Euro umzurechnen. Weniger, wenn es gilt 280.000 Kip umzurechnen, als wenn man mal schnell so ungefähr einen Euro für etwas bieten möchte, und einen Tausender zückt. Ich wäre auch beleidigt, wenn man mir 0,10€ Trinkgeld geben würde.

Ba-Ba-Banküberfall – Aus dem Augenwinkel sehe ich den Banditen noch, will mich vor dem drohenden Schusswechsel auf den Boden retten, da setzt rechtzeitig der Erkenntnisprozess ein: Nicht der Maskierte ist der Bösewicht, sondern ein Hühnchen. Eines mit Vogelgrippe vielleicht. Ich will jetzt niemandem seine Phobien madig machen, und es laufen auch wirklich überall irgendwelche Hühnertiere umher (die wenigsten könnte man als Werbung für einen Bio-Bauernhof nutzen), aber irgendwie tue ich mich echt schwer, Leuten offen und freundlich gegenüberzutreten, die halb vermummt sind. Den Vogel schießen die Angestellten der Banque Franco-Lao ab: Das Kassenpersonal ist maskiert. Und auch das Bild mit dem abgeschossenen Vogel erfreut mich.

Blinken muss sein – Die Laoten, aus deutscher Sicht jetzt nicht die diszipliniertesten Fahrer machen immerhin eines brav: Sie blinken an Kreuzungen. Rechts blinken für rechts Abbiegen, links blinken für links Abbiegen, aber was machen, wenn man geradeaus will? Richtig – Warnblinker einschalten, und gerade über die Kreuzung fahren.

Warm strömt das Licht aus den Fenstern – gerade jetzt (ich schreibe das an Weihnachten), denkt man gerne an das Bild eines tiefverschneiten Hauses, aus dessen Fenstern warmes Licht auf den weihnachtlichen Schnee fällt. In Laos kann das anders aussehen. Gerade in Muong Ngoi, wo Straßenbeleuchtung noch kommen wird, ist es besonders markant – das Licht strömt nicht aus Fenstern (diese sind glaslos und gegen Mückenschwärme mit Fensterläden gesichert), sondern an allen möglichen anderen Ecken aus dem Haus – so zeichnet sich der Giebel klar durch Licht ab, und auch die Hausecken lassen die leichte Bauweise erkennen. Wir müssen für solche Effekte Lichtschlangen an allen Hauskanten verlegen.

Egal wofür, ich bin dagegen – In Muong Ngoi kamen wir auf die Proteste in Thailand zu sprechen, dass man ihnen durchaus aus dem Weg gehen könne. Mein Tischnachbar aus Deutschland fand das aber fad – er hat sich das Ganze angeschaut, wollte was erleben, und hat mit demonstriert. Natürlich friedlich, er hat auch die Gastfreundschaft der Thailänder sehr gelobt, er hat es nicht als gefährlich eingeschätzt. Aber gegen diese korrupte Schweineregierung muss doch was unternommen werden, oder? Als ich ihm dann mitteilte, dass die Regierung eher auf Seiten der Armen, der Bauern, der Benachteiligten steht (korrupt könnte sie dennoch sein), und die Proteste zum Sturz der Regierung eher von der Mittelklasse oder den Privilegierten ausgehen (auch wenn die wahrscheinlich nicht in der ersten Reihe vor Polizeiknüppeln stehen), war er etwas irritiert. Ich musste dann noch etwas Salz in die Wunde reiben: als ob er mit abgehalfterten FDP-Wählern nach verlorener Bundestagswahl auf die Straße geht. Das hat gar nicht zu seinen Rastalocken gepasst. Aber wer weiß, vielleicht war er auf der Gegendemo? Offensichtlich ist thailändische Politik nicht leicht zu durchschauen.

Fazit Laos: Laos war bislang das schönste Land auf meiner Reise. Nicht so kulturell wertvoll wie Myanmar, auch weniger Kulturdenkmäler wie in Cambodia (wo ich auch morgen ausreisen werde), aber soooo entspannend. Alleine wegen Luang Prabang würde sich die Reise lohnen, die Cafés, die Restaurants, la dolce vita. Aber auch die Aussteiger-Paradiese – zwei Wochen waren zu kurz. Nach meiner persönlichen Erfahrung fand ich auch die Laoten extrem freundlich, freundlicher als die Cambodianer, deren Freundlichkeit in Reiseführern über den grünen Klee gelobt wird. Laos, I’ll miss you.

Mord(lust) auf dem Siem-Reap-Express

International Express-VIP-Bus to Siem Reap, Cambodia, USD 35 or 280.000 Kip. Jeder dritte Laden in Hua Det hat das gleiche Angebot, die anderen beiden bieten keine Busfahrten an. Auch das Plakat ist identisch, DIN A0 auf Plastikfolie, mit Fotos von Bussen, mit Handykamera aufgenommen, die mangels Auflösung auf einem A0 Plakat nichts verloren haben. Dass sie offensichtlich auch seitenverkehrt einmontiert wurden, fällt da gar nicht mehr auf. Also aus BWL-Sicht ein vollständig transparenter Markt denke ich mir, und buche für eine gute Viertel Million die nächste Etappe meiner Reise. Morgen früh um acht geht’s los, Ankunft in Siem Reap um 22:00. Die Bootsfahrt ans Flussufer ist mit dabei.

Am Abreisetag ist es mit der Transparenz vorbei. Am Strand von Hua Det, der Metropole auf Don Det stehen ca. 40 Reisende mit Gepäck – Neid auf die 8kg Reisenden, einige rauchen noch schnell das letzte Gras weg, der Grenzübertritt mit ist ihnen vielleicht doch zu heikel, denn eindeutig illegal ist es auch in Laos. Eine halbe Stunde dumm rumstehen ist nichts neues, please don’t rush. Verteilung der Passagiere auf die Langboote. Offensichtlich gibt es doch zwei verschiedene Angebote, denn obwohl ich mich gefreut hatte, mit den bereits bekannten Graeme und Caroline nach SR zu fahren, werden wir auf unterschiedliche Boote gelotst.

In Ban Naka Sang gibt es einen Busbahnhof. Dort sammelt ein windiger Laote von allen Reisenden erst einmal die Pässe und 30 USD für das Visum ein, obwohl es angeblich nur 25 USD kosten soll. Ich habe mein Visum bereits in Berlin bekommen, und werde von allen dafür beneidet. Dass ich mit anteiliger Servicegebühr eher 50 Euro gezahlt habe, erzähle ich ihnen nicht. Graeme durfte die Visa Prozedur mit der zweiten Gruppe in einem Café machen, die kommen nun auch zum Busbahnhof und steigen in einen großen Reisebus mit cambodianischem Kennzeichen, und der Bus fährt nach 15 Minuten ab. Wir stehen weiter dumm rum. Ca. um 9:30 werden wir in zwei Minibusse verfrachtet – ist ja nur zu ca. 25km entfernten Grenze. Dort wartet dann der komfortable VIP-Bus auf uns.

Die Grenze ist beschaulich. Auf laotischer Seite ein großes,weißes, die Straße überspannendes Gebäude mit laotischer Dachform und Ornamentierung. Wir fahren ungehindert durch das Gebäude durch, die Abfertigung findet in einem ausrangierten Eisenbahnwagen statt, der unter einem schattenspendenden Bambusdach steht. Hier zahle ich zwei Dollar ohne Quittung für den Ausreisestempel. So ein Grenzbeamter muss auch leben. Dann zu Fuß unter zwei Schlagbäumen durchgeduckt, und ich bin auf cambodianischem Staatsgebiet. Das Abfertigungsgebäude hier ist größer, eher terracottafarben, etwas anders ornamentiert (typisch Cambodia) und bietet Platz für vier Autospuren. Die Gesundheitskontrolle findet an einem Campingtisch mit Schirm statt (1 Dollar), die Einreise an einer Holzhütte (2 Dollar Stempelgebühr). Der Rest der Gruppe hat sein Gepäck auf der Straße fallen gelassen, manche kaufen sich eine Nudelsuppe während sie auf die abgefertigten Pässe warten. Irgendwann um 10:30 verabschiede ich mich nochmal von Graeme, und deren VIP Bus fährt los. Unserer kommt bestimmt auch gleich.

Kurz vor 11:00 ruft der windige Passabfertigungs-Laote laut „Siem Reap“, und führt uns zu einem Minibus. Für 13 Passagiere zugelassen, mit 13 besetzt, leider ist unter den Sitzreihen ein langes Paket verstaut, welches fast allen Fußraum beansprucht. Ich fange an leicht innerlich zu brodeln, Mordlustfaktor 60%. Es ist nur für ein kurzes Stück, dann steigen wir um. Wegen des Gepäcks geht die Heckklappe nicht zu, da ziehen dann doch immer die giftigen Abgase rein, oder? Mordlustfaktor 70%. Unser fahren hängt sich so ein Schlafnackenkissen um, steigt ein und fährt los. Zügig, für fast 20 Meter. Dann halten wir an, und zwei Brasilianer sollen noch mit nach Siem Reap. „Four each row, please“. Mordlustfaktor 99%. In das allgemeine Protestgebrabbel stimme ich mit einem gebrülltem „We fuckin paid for a VIP-Bus“ ein, aber an es ändert an den Tatsachen auch nichts. Die Brasilianer können auch nix für und ein Cambodianer zuckt mit den Schultern, meint das VIP-Bus kaputt, und if you want Siem Reap, no choice. So geht’s also los, es ist 11:00.  Eine letzte Gruppe für einen Minibus verliere ich dort aus den Augen. Das Paket unter den Sitzen ist leicht zur Seite gerutscht, ich kann abwechselnd einen Fuß auf den Boden stellen, den anderen so unter die Bank fädeln. Ist ja nur für fünf Stunden bis zum angeblichen Umsteigen. Sophie aus England, die auf der anderen Seite unserer gemütlichen Viererbank sitzt, ist für die Zeit in einer Dauer-Yoga-Stellung verhaftet.

Wir haben einen Rennfahrer. Die Straße ist super, wir fahren auf fast leerem Feld mit ca. 120km/h nach Süden. Hey cool, so dauert das nicht bis 22:00, verfolge ich auf meiner Online-Karte und GPS. Doch dann kommt ein freundliches Schild „Ende der Ausbaustrecke“. Nur ein Scherz, das Schild gab’s nicht. Das Ende der Ausbaustrecke schon. Metertiefe erkennbare Schlaglöcher, und viele Pfützen unbekannter Tiefe, dem Regen der letzten Tage sei es gedankt. Dennoch, ehrgeizig bleibt unser Fahrer. Nach zwei Stunden überholen wir den VIP-Bus, der 30 Minuten vor uns losgefahren war. Wenigstens sind wir also schneller als die. Wir liefern uns (Silber) ein Rennen mit einem weißem Kastenwagen und einem schwarzen Pickup. Es gibt einen fliegenden Start an einer tiefen Querrille, die alle drei Wagen im Schritttempo überqueren. Obwohl Weiß sich alle Mühe gibt, ist er einfach nicht genug motorisiert, wird links von Schwarz und rechts von Silber überholt. Kopf an Kopf bemühen sich Silber und Schwarz um wertvolle Stundenkilometer, doch Schwarz ist nur zu 20% überladen, und hat so einen leichten Vorteil vor Silber mit 50% Überladung. Doch da – Schwarz ist nicht auf Ideallinie, zwei Schlaglöcher bilden eine Schikane und erlauben ihm nicht, seine ganze Kraft auszuschöpfen, und da hat Silber die Lücke schon zugemacht, fährt auf dem unbefestigten Streifen neben der Straße wieder  an Schwarz vorbei. Aber es droht Gefahr, der schwarze auf dem linken Flügel – noch hat der silberne den Weg im Aus gewählt. Wer will ihm das verdenken? Der schwarze erhält noch kurz eine Chance zugesprochen, die ist ausgeführt, da kommt der Gegenverkehr – Aus! Aus! Aus! – Aus! – Das Spiel ist aus! – Silber ist Straßenmeister, schlägt Schwarz mit drei zu zwo Metern im Finale vor Kratie! Nach diesen 30 Sekunden, die Sie dem Reporter verzeihen müssen, wollen wir versuchen, in normaler Lautstärke und einigermaßen ruhig das weitere Geschehen hier zu schildern.

Landschaftlich ist Cambodia erst einmal gleich wie das zurückliegende Laos. Hier liegen überall am Straßenrand irgendwelche Lebensmittel zum Trocknen. Bei 120km/h sehen sie aus wie Steinpilze – aber ich bezweifele es irgendwie. Als ein Schlaglochfeld uns neben den Steinpilzen abbremst, scheinen es eher irgendwelche Wurzeln zu sein, die dort trocknen. Auch hier sind die Häuser alle auf Stelzen gebaut, und es ist ein quirliger Betrieb am Straßenrand. Man sieht öfters Plakate der Cambodia People’s Party, wieder ahl Männer, unerbittlich nette ahl Männer. Wir fahren auf einer schlaglochfreieren Straße am Fluß, dafür einspurig mit näherer Grenzbebauung. Mei, die Mopeds und die Kinder sind doch flink, die können schon ausweichen, und unsere Hupe funktioniert.

Wir halten viermal kurz an Orten ausgesuchter Hässlichkeit an, kurze Biopause, undefinierbare Lebensmittel gibt’s zu kaufen. Erdnüsse und Kekse Laos halten mich über Wasser. Um ca. 18:30 halten wir ein fünftes Mal. Hier scheint’s ernster zu sein. Aussteigen mit Gepäck. Unser Fahrer spricht praktischerweise gar kein Englisch (ich hätte es auch nicht zugegeben, und mir das Gejaule acht Stunden anhören müssen), aber der Restaurantbesitzer eilt zur Hilfe: Wir dreizehn steigen hier aus, der Minibus fährt mit unseren beiden Brasilianer nach Phnom Penh, und in zwei Stunden kommt er wieder, und wir fahren nach Siem Reap. Das wird noch so 5 Stunden dauern. Mordlustfaktor: 50%. Ich glaube, das nennt sich weichgeklopft. Der Humor wird galgenkonform. Wir scherzen: Minibus kaputt, aber hier 2 TucTuc. Nach zwei Stunden kommt der Minibus. Nicht unserer, sondern der von den Leuten, die wir an der Grenze aus den Augen verloren haben. Gleiche Strecke, 2 Stunden länger. Um 21:30 hält dann plötzlich ein großer Reisebus: Wir glauben erst mal gar nichts, aber einer steigt aus und fordert uns auf: „Siem Reap? Let’s go!“ Gut, das ist jetzt ein Reisebus modernen Zuschnitts. Er ist weitesgehend mit Cambodianern besetzt, aber die haben wohl die schlechteren Karten und müssen aus den normalen  Sitzen weichen, und … woanders… sitzen. Ist mir egal. Der Reisebus ist klimatisiert, und hat zwei Einstellungen: Arktis und aus, dann gänzlich ungelüftet. Sogar ich fange an, in regelmäßigen Abständen meine Jacke aus- und anzuziehen. Offensichtlich sind die Norm-Reisenden hier kleiner als sogar ich. Wenn ich versuche, gerade zu sitzen stoße ich merklich am Sitz vor mir an. Fünf Stunden so? Es werden sieben. Der Bus zuckelt mit 40 Stundenkilometern auf Straßenumeinander, die ich bei der Marlboro Challenge vermutet hätte, aber nicht auf der Straße zwischen den zwei wichtigsten Städten des Landes. Welcome to Cambodia. Ich hatte sowohl ipod als auch iphone vorher geladen, so hält der Akku durch. Ungefähr zehnmal während der Fahrt habe ich insgesamt „Holiday in Cambodia“ von den Dead Kennedys gehört. Die haben zwar vor 33 Jahren eher soziale Missstände damit anprangern wollen, und nicht Organisationstalent und Straßenzustand, aber der Sound passt gut zu meiner Stimmung.

Um vier Uhr biegt der Bus in ein kleine Gasse ein, holpert über ein paar Steine –  das kann unmöglich das Ziel sein. Aber wir werden rausgeworfen, wir sind da. Als ich das erste Bein auf den Boden setzte, ist schon jemand da: „TucTuc, Sir, how many people?“ Ich bin umringt. Keine Ahnung warum, aber selten war ich so nahe dran, einen Regionaltransport-Dienstleister zu erwürgen. Er will uns ja nur helfen. Und dafür vier Dollar. Das ist wahrscheinlich viel zu viel, aber ich bin zu müde, um ihn weiter als auf drei runterzuhandeln. Ich lasse mich in ein Lonely Planet recommended Hotel der mittleren Preisklasse fahren. Ich hatte noch überlegt, einfach nur das Gepäck hierzulassen, in der Stadt zu frühstücken (mittlerweile 4:45), und mittags einzuchecken, aber als ich merke, wir aggressiv mich das schlechte Englisch des unschuldigen Nachtportiers macht, denke ich: Vielleicht sollte ich doch einfach jetzt schlafen. Also blättere ich das zehnfache meiner letzten Übernachtung hin, um noch schnell vier Stunden ein Bett zu haben. Und das Hotel ist wirklich schön. It’s a holiday in Cambodia, it’s tough kid, but it’s life.

Haltepunkt Don Det

„Hey Andy, where‘ you from?“ – „I’m a Kiwi!“ Puh, der muss ein paar starke Drogen genommen haben, dass er die Frage nicht versteht, und sich nun für einen kleinen flugunfähigen Vogel hält. Er sieht gar nicht so aus. Also, flugunfähig schon, aber den Rest nicht. Die Szene spielt sich in der Happy Bar ab. Der Name ist Programm. Auf der Karte werden Gerichte identifiziert, die man für 1€ extra „Happy“ machen kann. Es gibt verschiedene Varianten Frühstück, u.a. ‚Hangover Breakfast‘, wo es neben den üblichen Optionen von Tee oder Kaffee noch den letzten Punkt gibt: „Paracetamol or Valium“. Ansonsten sehr entspannt. Seeehr. Mit glasigem Blick meint ein Gast, dass man sich das Bier einfach aus dem Kühlschrank nimmt. Es riecht nach Gras, und nicht zu knapp. Ob ich auch will? „For ‚Herb‘ just ask the staff“. I did not. Manni, Aussteiger aus London, ist treibende Kraft des Etablissements. Er mag Reggae, oder vielleicht gehören entspannende Kräutermischungen und Reggae einfach zusammen. Ich habe mich in meiner Jugend mal an Reggae überhört, aber hier gefällt’s mit plötzlich wieder. Manche der anderen Cafés spielen auch Bob Dylan oder Deep Purple, jedenfalls mal kein Asia-Pop. Eine Wohltat. Kehrseite der entspannten Atmosphäre: Auch Bestellungen dauern erheblich länger. Offiziell nennt sich das Land „Lao PDR“. Traveller wissen, dass das Kürzel ‚Please Don’t Rush‘ bedeutet, und nicht etwa demokratische Volksrepublik. Die allgegenwärtigen Katzen sind hier ein wichtiger Bestandteil des Küchenpersonals, den ersten Teil des Abwaschs übernehmen sie direkt am Tisch. Wenn man sie nicht verscheucht, helfen sie einem auch beim Essen. Durch wahrscheinlich jahrelange Inzucht habe viele von ihnen einen verstümmelten Schwanz, oder gar keinen.

Die Happy Bar ist auf Don Det, eine der Inseln von Si Phan Don, den viertausend Inseln im Mekong an der Südspitze von Laos. Ich hab sie jetzt nicht gezählt, und die meisten scheinen eher ein Busch mitten im Fluss zu sein. Aber drei werden im Reiseführer erwähnt. Don Khong, Don Det und Don Khon. Don Khong hat „more upscale Accomodation“, Don Det „a younger crowd“. Schon klar wo ich hingehöre. Mit einem Langboot sind wir am Nordstrand angekommen, ein Schild informiert ‚Sunrise side‘ und ‚Sunset side‘, je nachdem welche Sonne die am Fluss gelegenen Bungalows bekommen. Ihr dürft raten, welche Seite ich auswähle. Die Preise für einen Bungalow hier liegen zwischen zwei und fünf Euro. Wichtigstes Unterscheidungsmerkmal: „Toilet inside“. Nach kurzer Zeit muss ich nicht einmal fragen, der Profi erkennt an den auf Stelzen gebauten Bambushütten sofort: Keine Abwasserleitung drunter, keine toilet inside. Mit diesen hellseherischen Fähigkeiten beindrucke ich meine Begleiter: Tony, Timu, Toby – zwei Finnen und ein Bewohner von Guernsey. Wir haben uns am Flughafen in Pakse zusammengetan und sind nun nach überlebten Schicksalsflug (s. Artikel) eine Schicksalsgemeinschaft. Allerdings trennen sich unsere Wege, weil die Finnen nur zwei Euro für einen Bungalow geiler finden als eine eigene Dusche. Ich lasse mich hingegen von dem Claim eines Bungalows locken: „Clean the toilet“ – die werden schon saubere Toiletten meinen. Beim nächsten Mal suche ich auch noch nach dem Claim „Wash the bedsheets“. Gut, dass ich meinen Hüttenschlafsack habe. Mein Hausherr ist Darren, der Waldschrat. Schlechte Zähne, wirr abstehende Haaren, einen Modegeschmack, der eher ein Gegenstatement macht. Das meiste Hirn hat Darren wohl schon weggekifft, aber er lebt hier als unternehmerisch tätiger Aussteiger. Derer gibt’s hier viele. Und so ist Don Det ein Haltepunkt des Zuges des Lebens, will jemand aussteigen? Mir fällt spontan eine Abwandlung des Textes von „Wear Sunscreen“ von Baz Luhrmann ein: „stay in Don Det once, but leave before you get too soft“. Hätten das ein paar von den Typen hier mal berücksichtigt. Ich werde es jedenfalls tun. Eine Bemerkung zu den anderen Travellern hier: Auf Don Det beeindruckt man niemanden mehr mit sechs Monaten geplanter Reise. Von drei Monaten über zwei Jahre bis zu „I’m never going back“ findet sich hier alles. Wirklich beeindruckt bin ich hingegen vom Reisegepäck mancher Reisenden: Toby, Ex-Steuerberater aus Guernsey, ist für zwei Jahre mit 8 Kilo unterwegs. Ich komme auf 16 kg in meiner von OSRAM zum Jubiläum geschenkten Tasche/Rucksack, die sich bislang sehr bewährt, auch wenn sie wohl zu voll ist.

Am ersten vollen Tag auf Don Det regnet es morgens, welches man wegen des Wellblechdachs auch mit geschlossenen Augen einwandfrei mitverfolgen kann. An easy day, den ich mit viel lesen, einer kurzen Inselrundfahrt mit Fahrrad kurz vor Sonnenuntergang, und der Planung der nächsten Tage verbringe. Auf der Fahrt stehe ich plötzlich wieder vor einer Filmkulisse – jedenfalls könnte die apokalyptische Betonkonstruktion, die schwarz vor Schimmel ist, ohne ‚digital enhancement‘ sofort in einer unheimlichen Szene mitspielen. Es stellt sich schnell heraus, dass es mal die Laufbahn eines Lastenkrans war, der schwerere Waren von Schiffen auf die Insel heben konnte. Diese wirtschaftliche Blütezeit scheint lange vergangen. Und die Planung? Am nächsten Tag eine Kayak-Flussfahrt, und am übernächsten die Fahrt nach Cambodia (Ich nehm ab jetzt die englische Schreibweise. Kambodscha hört sich so krampfhaft eingedeutscht ein).

Ab vier Uhr morgens regnet es. Nicht ständig, manchmal kübelt’s auch, manchmal nieselt es nur. Perfekter Tag für einen Ausflug auf dem Fluss. Aber bei dem Wetter fällt’s ja vielleicht aus, und ich kann mich wieder verkriechen? Nein, erfreulicherweise findet die Aktivität bei jedem Wetter statt, und ich werde meiner heißersehnten sportlichen Betätigung nicht beraubt. Als erstes gibt’s aber ein Problem mit meinem Ticket. Der Veranstalter weiß nix davon, ich werde vom Veranstaltergehilfe mit Moped zum Verkäufer gefahren, diesem wird dann erklärt, dass nach dem Geld-vom-Kunden-Einsammeln noch weitere Schritte folgen sollten. Mir wurde 8:00 morgens als Beginn avisiert, dass dazu erstmal Frühstück bis 9:30 gehört und danach dumm rumstehen hätte ich mir denken können. Jeder von uns bekommt einen wasserdichten Sack, eine Schwimmweste und ein Paddel. Dann folgen wir abwechselnd dem Veranstalter und dessen Gehilfe, um öfters mal woanders dumm rumzustehen. Dann ist es soweit: wir werden auf ein ziemlich abgegriffeltes Boot gesetzt, Graeme hinten, ich vorne, und – Schwupps – in den Fluss geschoben. Hat Graeme das schon mal gemacht? Nein. Ich auch nicht. Na gut, sowas gehört irgendwie zur Allgemeinbildung, oder nicht? Ich erkläre Graeme, was ich von Wildwasserfahrten im Schlauchboot und von Kanadier fahren in Kanada weiß. Der Vordermann macht den Vortrieb, der hinten steuert. Graeme ist nicht überzeugt, auch als wir nach einem Beauty-Wasserfall-Stop Platz tauschen, steuert er fröhlich mit. Vielleicht gehört’s auf einem Kayak ja so? Mittlerweile regnet es immerhin nicht mehr, höchstens leichter Niesel, aber warm und sonnig werden wir den Tag über nicht erleben. Der Tag: kleine Stromschnellchen per Kayak, Wasserfall 1 zu Fuß, noch ein paar Stromschnellchen per Kayak, in breitem Teil des Mekongs auf der Suche nach den seltenen Irrawaddy-Süßwasserdelphinen Ausschau halten, illegaler Grenzübertritt nach Cambodia zum Mittagessen, Delphine sehen (Rückenflosse in 50 Meter Entfernung), Rückkehr nach Laos, Boote auf TucTuc, Wasserfall 2, vom Festland nach Don Det zurückpaddeln. Dieses letzte Stück hätte ich auch gerne ausgelassen. Die Klamotten langsam wieder trocken, und dann noch quer über den Fluss, der einiges an Strömung hat. Ich kann Graeme mit Hinweis auf lange Segelpraxis (muss er ja nicht wissen, dass da Flüsse mit Strömung nicht vorkommen) überzeugen, auf das Ufer weit oberhalb unserer Zielinsel hinzupaddeln, statt direkt auf die Insel zu. Er dankt es mir später, das italienisch/brasilianische Team in unserer Gruppe musste kräftig stromaufwärts kämpfen, als sie durch die Strömung versetzt fast 300 Meter unterhalb der Landestelle an der Insel ankommen. Geschafft. Toller Tag – besonders wo die Alternative gewesen wäre: „Sit in a bar all day and be drunk or stoned – or both – by the afternoon“ (Zitat Graeme). Muskelkater habe ich fast nur von der Sitzposition. Jetzt ware eine warme Dusche fein, aber für fünf Euro ist kein Durchlauferhitzer im Bungalow. Die Laoten frieren sich übrigens den Arsch ab, stehen teilweise in Bettdecken gewickelt draußen rum, während ich noch kurzärmelig und in Flipflops unterwegs bin.