„Hey Andy, where‘ you from?“ – „I’m a Kiwi!“ Puh, der muss ein paar starke Drogen genommen haben, dass er die Frage nicht versteht, und sich nun für einen kleinen flugunfähigen Vogel hält. Er sieht gar nicht so aus. Also, flugunfähig schon, aber den Rest nicht. Die Szene spielt sich in der Happy Bar ab. Der Name ist Programm. Auf der Karte werden Gerichte identifiziert, die man für 1€ extra „Happy“ machen kann. Es gibt verschiedene Varianten Frühstück, u.a. ‚Hangover Breakfast‘, wo es neben den üblichen Optionen von Tee oder Kaffee noch den letzten Punkt gibt: „Paracetamol or Valium“. Ansonsten sehr entspannt. Seeehr. Mit glasigem Blick meint ein Gast, dass man sich das Bier einfach aus dem Kühlschrank nimmt. Es riecht nach Gras, und nicht zu knapp. Ob ich auch will? „For ‚Herb‘ just ask the staff“. I did not. Manni, Aussteiger aus London, ist treibende Kraft des Etablissements. Er mag Reggae, oder vielleicht gehören entspannende Kräutermischungen und Reggae einfach zusammen. Ich habe mich in meiner Jugend mal an Reggae überhört, aber hier gefällt’s mit plötzlich wieder. Manche der anderen Cafés spielen auch Bob Dylan oder Deep Purple, jedenfalls mal kein Asia-Pop. Eine Wohltat. Kehrseite der entspannten Atmosphäre: Auch Bestellungen dauern erheblich länger. Offiziell nennt sich das Land „Lao PDR“. Traveller wissen, dass das Kürzel ‚Please Don’t Rush‘ bedeutet, und nicht etwa demokratische Volksrepublik. Die allgegenwärtigen Katzen sind hier ein wichtiger Bestandteil des Küchenpersonals, den ersten Teil des Abwaschs übernehmen sie direkt am Tisch. Wenn man sie nicht verscheucht, helfen sie einem auch beim Essen. Durch wahrscheinlich jahrelange Inzucht habe viele von ihnen einen verstümmelten Schwanz, oder gar keinen.
Die Happy Bar ist auf Don Det, eine der Inseln von Si Phan Don, den viertausend Inseln im Mekong an der Südspitze von Laos. Ich hab sie jetzt nicht gezählt, und die meisten scheinen eher ein Busch mitten im Fluss zu sein. Aber drei werden im Reiseführer erwähnt. Don Khong, Don Det und Don Khon. Don Khong hat „more upscale Accomodation“, Don Det „a younger crowd“. Schon klar wo ich hingehöre. Mit einem Langboot sind wir am Nordstrand angekommen, ein Schild informiert ‚Sunrise side‘ und ‚Sunset side‘, je nachdem welche Sonne die am Fluss gelegenen Bungalows bekommen. Ihr dürft raten, welche Seite ich auswähle. Die Preise für einen Bungalow hier liegen zwischen zwei und fünf Euro. Wichtigstes Unterscheidungsmerkmal: „Toilet inside“. Nach kurzer Zeit muss ich nicht einmal fragen, der Profi erkennt an den auf Stelzen gebauten Bambushütten sofort: Keine Abwasserleitung drunter, keine toilet inside. Mit diesen hellseherischen Fähigkeiten beindrucke ich meine Begleiter: Tony, Timu, Toby – zwei Finnen und ein Bewohner von Guernsey. Wir haben uns am Flughafen in Pakse zusammengetan und sind nun nach überlebten Schicksalsflug (s. Artikel) eine Schicksalsgemeinschaft. Allerdings trennen sich unsere Wege, weil die Finnen nur zwei Euro für einen Bungalow geiler finden als eine eigene Dusche. Ich lasse mich hingegen von dem Claim eines Bungalows locken: „Clean the toilet“ – die werden schon saubere Toiletten meinen. Beim nächsten Mal suche ich auch noch nach dem Claim „Wash the bedsheets“. Gut, dass ich meinen Hüttenschlafsack habe. Mein Hausherr ist Darren, der Waldschrat. Schlechte Zähne, wirr abstehende Haaren, einen Modegeschmack, der eher ein Gegenstatement macht. Das meiste Hirn hat Darren wohl schon weggekifft, aber er lebt hier als unternehmerisch tätiger Aussteiger. Derer gibt’s hier viele. Und so ist Don Det ein Haltepunkt des Zuges des Lebens, will jemand aussteigen? Mir fällt spontan eine Abwandlung des Textes von „Wear Sunscreen“ von Baz Luhrmann ein: „stay in Don Det once, but leave before you get too soft“. Hätten das ein paar von den Typen hier mal berücksichtigt. Ich werde es jedenfalls tun. Eine Bemerkung zu den anderen Travellern hier: Auf Don Det beeindruckt man niemanden mehr mit sechs Monaten geplanter Reise. Von drei Monaten über zwei Jahre bis zu „I’m never going back“ findet sich hier alles. Wirklich beeindruckt bin ich hingegen vom Reisegepäck mancher Reisenden: Toby, Ex-Steuerberater aus Guernsey, ist für zwei Jahre mit 8 Kilo unterwegs. Ich komme auf 16 kg in meiner von OSRAM zum Jubiläum geschenkten Tasche/Rucksack, die sich bislang sehr bewährt, auch wenn sie wohl zu voll ist.
Am ersten vollen Tag auf Don Det regnet es morgens, welches man wegen des Wellblechdachs auch mit geschlossenen Augen einwandfrei mitverfolgen kann. An easy day, den ich mit viel lesen, einer kurzen Inselrundfahrt mit Fahrrad kurz vor Sonnenuntergang, und der Planung der nächsten Tage verbringe. Auf der Fahrt stehe ich plötzlich wieder vor einer Filmkulisse – jedenfalls könnte die apokalyptische Betonkonstruktion, die schwarz vor Schimmel ist, ohne ‚digital enhancement‘ sofort in einer unheimlichen Szene mitspielen. Es stellt sich schnell heraus, dass es mal die Laufbahn eines Lastenkrans war, der schwerere Waren von Schiffen auf die Insel heben konnte. Diese wirtschaftliche Blütezeit scheint lange vergangen. Und die Planung? Am nächsten Tag eine Kayak-Flussfahrt, und am übernächsten die Fahrt nach Cambodia (Ich nehm ab jetzt die englische Schreibweise. Kambodscha hört sich so krampfhaft eingedeutscht ein).
Ab vier Uhr morgens regnet es. Nicht ständig, manchmal kübelt’s auch, manchmal nieselt es nur. Perfekter Tag für einen Ausflug auf dem Fluss. Aber bei dem Wetter fällt’s ja vielleicht aus, und ich kann mich wieder verkriechen? Nein, erfreulicherweise findet die Aktivität bei jedem Wetter statt, und ich werde meiner heißersehnten sportlichen Betätigung nicht beraubt. Als erstes gibt’s aber ein Problem mit meinem Ticket. Der Veranstalter weiß nix davon, ich werde vom Veranstaltergehilfe mit Moped zum Verkäufer gefahren, diesem wird dann erklärt, dass nach dem Geld-vom-Kunden-Einsammeln noch weitere Schritte folgen sollten. Mir wurde 8:00 morgens als Beginn avisiert, dass dazu erstmal Frühstück bis 9:30 gehört und danach dumm rumstehen hätte ich mir denken können. Jeder von uns bekommt einen wasserdichten Sack, eine Schwimmweste und ein Paddel. Dann folgen wir abwechselnd dem Veranstalter und dessen Gehilfe, um öfters mal woanders dumm rumzustehen. Dann ist es soweit: wir werden auf ein ziemlich abgegriffeltes Boot gesetzt, Graeme hinten, ich vorne, und – Schwupps – in den Fluss geschoben. Hat Graeme das schon mal gemacht? Nein. Ich auch nicht. Na gut, sowas gehört irgendwie zur Allgemeinbildung, oder nicht? Ich erkläre Graeme, was ich von Wildwasserfahrten im Schlauchboot und von Kanadier fahren in Kanada weiß. Der Vordermann macht den Vortrieb, der hinten steuert. Graeme ist nicht überzeugt, auch als wir nach einem Beauty-Wasserfall-Stop Platz tauschen, steuert er fröhlich mit. Vielleicht gehört’s auf einem Kayak ja so? Mittlerweile regnet es immerhin nicht mehr, höchstens leichter Niesel, aber warm und sonnig werden wir den Tag über nicht erleben. Der Tag: kleine Stromschnellchen per Kayak, Wasserfall 1 zu Fuß, noch ein paar Stromschnellchen per Kayak, in breitem Teil des Mekongs auf der Suche nach den seltenen Irrawaddy-Süßwasserdelphinen Ausschau halten, illegaler Grenzübertritt nach Cambodia zum Mittagessen, Delphine sehen (Rückenflosse in 50 Meter Entfernung), Rückkehr nach Laos, Boote auf TucTuc, Wasserfall 2, vom Festland nach Don Det zurückpaddeln. Dieses letzte Stück hätte ich auch gerne ausgelassen. Die Klamotten langsam wieder trocken, und dann noch quer über den Fluss, der einiges an Strömung hat. Ich kann Graeme mit Hinweis auf lange Segelpraxis (muss er ja nicht wissen, dass da Flüsse mit Strömung nicht vorkommen) überzeugen, auf das Ufer weit oberhalb unserer Zielinsel hinzupaddeln, statt direkt auf die Insel zu. Er dankt es mir später, das italienisch/brasilianische Team in unserer Gruppe musste kräftig stromaufwärts kämpfen, als sie durch die Strömung versetzt fast 300 Meter unterhalb der Landestelle an der Insel ankommen. Geschafft. Toller Tag – besonders wo die Alternative gewesen wäre: „Sit in a bar all day and be drunk or stoned – or both – by the afternoon“ (Zitat Graeme). Muskelkater habe ich fast nur von der Sitzposition. Jetzt ware eine warme Dusche fein, aber für fünf Euro ist kein Durchlauferhitzer im Bungalow. Die Laoten frieren sich übrigens den Arsch ab, stehen teilweise in Bettdecken gewickelt draußen rum, während ich noch kurzärmelig und in Flipflops unterwegs bin.
Wie? Chris residiert in der Sunrise Avenue?
Schlau gell? Aber was soll sonst die Radlfahrt zum Sunset?
Und schön, daß Du wieder Reggae magst.
Ich habe die Formulierung geändert, so dass klar wird, dass der Sonnenuntergang nur als Zeitangabe dient.
🙂