Der praktische Tipp vorab – man sollte schon am Tag VOR Mittsommer in dem Hafen der Wahl sein.
Das Mittsommer in Skandinavien ein ‚big deal‘ ist, das ist bekannt. Verschiedene schwedische Krimis spielen genau um die Zeit, Vivica Sten hat eine ganze (verfilmte) Krimiserie danach benannt. Man erwartet Volksfeste, Tanz der Jungfrauen um den Mittsommerbaum, große Partys. Als wir vor über 10 Jahren mal um die Zeit in Schweden ein Boot gechartet haben, wurden wir bitterlich enttäuscht. Am 21. Juni Abends hatten die meisten Kneipen zu, die Schweden feierten alle mit Freunden, und wir hatten keine Freunde. Wir aßen frustriert in einem billigen Griechen, der immer noch richtig teuer war.
Frank und ich haben das Ganze diesmal deshalb genauer im Blick. Seit Tagen fragen wir jeden, was denn der Plan wäre, wo man was erleben könne, usw. Scheinbar wird es in Finnland öffentlicher gefeiert, man empfiehlt uns mehr und mehr Inseln im Archipelago vor Turku wo bestimmt etwas los ist. Es hört sich nicht nach schwedischer Zurückhaltung an. „An Mittsommer, da werden alle ihre Schiffe nehmen, und auf die Inseln fahren“. Am Dienstagabend bekamen wir den Tipp, nach Brännskär zu fahren, aber am besten schon am Donnerstag, den 20.6., dort zu sein. Für den Mittwoch beschließen wir nach Högsåra zu fahren, eine Empfehlung aus Ingå. Am Donnerstagmorgen weht der Wind aus Nord-West, und wir müssten nach … Nord-West. Außerdem ist der Wind sehr unstetig, der Hafen von Brännskär wäre bei der Windrichtung ungeschützt; deshalb unruhig. Wir sind mittlerweile ganz schnell dabei, unsere Bootsnachbarn nach Tipps auszuquetschen. Hier in Högsåra wäre es auch ganz nett zu Mittsommer. Traditionelles Fest um 12:00, Party mit Live-Musik in der Hafenkneipe am Abend. Hmmm. Wir sind im Urlaub. Hmmm. Wir haben das Schiff nicht nur für eine Woche gechartert, müssen also nicht zwingend jeden Tag unsere Chartergebühr wegsegeln. Hmmm. Und hier liegen wir schon. Wir fragen den Marinero, ob wir noch zwei Nächte bleiben könnten. Kein Problem, aber bitte an einem anderen Platz (wir liegen mit dem Heck zum Ende des Stegs). Also verholen wir das Schiff einen Parkplatz weiter, finden Gefallen daran, was man einem solchen Hafentag alles erledigen könnte, und – ich zumindestens – mache nichts davon. Ein Nickerchen – das hatte ich geplant, aber der Rest fällt unter den Tisch. Mittlerweile drücken die Schiffe in den Hafen. Interessant ist die Spitze des Stegs. Hier liegt meistens ca. 20m vom Steg eine Boje im Wasser, die fischt man sich mit einer Leine am Heck, und der Bug wird am Steg festgemacht. Entlang des Stegs ist das einfach vorwärts einparken – die Breite der Schiffe bestimmt die Kapazität. Aber am Ende des Stegs, da können die Yachten sternförmig mit dem Bug anlegen (deswegen war’s auch blöd, dass wir dort mit dem Heck lagen). Am Ende hängen an dem 2m breiten Ende des Stegs fünf Segelboote.
Ich bin gerade von meinem Nickerchen erwacht (OK, vielleicht war es ein Nick, die Verniedlichung passt bei zwei Stunden nicht), und Frank trinkt schon ein Bier mit Tuomas vom Nachbarschiff. Ohne mich!?! Der Abend nimmt seinen Lauf. Die Besitzer der „Vayacondios“ gegenüber meint, dass die Leute zu Mittsommer ihre Boote mit Flaggen schmücken würden. Normal meinen sie wohl das Flaggenalphabet, welches viele Boote noch aus Nostalgiegründen an Bord haben. Aber wir – und das wollte ich schon lange mal machen – haben ja die ganzen Gastlandflaggen an Bord, wo wir mit der Seestern schon überall waren. Es ist auch ein guter Einstieg in ein Gespräch; wenn wir gefragt werden, woher wir kommen, antworten wir mittlerweile meistens mit Griechenland, weil das in Finnland schon weit weg ist, und somit interessanter als Hanko, Estland, oder Deutschland. Wir kommen auf 16 Flaggen, wobei da auch die bretonische dabei ist, die nicht ‚offiziell‘ ist. Der Besanmast reicht dafür nicht, jedenfalls nicht ohne die Dinger nah aneinander zu knüpfen.
Gegen 22:00 will ich nochmal die sanitären Einrichtungen nutzen, werde von der Bar abgelenkt, und sitze am Ende eine Stunde mit den Familien von Tuomas und Matti zusammen. Mattis Motorboot heißt „Granma“; deshalb frage ich ihn, ob er Fan von Kuba ist. Seine Frau versteht die Anspielung, und ich darf mich setzen („Granma“ ist der Name der Motoryacht, mit der Fidel Castro, Che Guevara und weitere 80 Revolutionäre 1956 aus dem mexikanischen Exil nach Kuba übersetzten, um dort die Revolution zu starten – hasta la victoria, siempre!) Während wir da sitzen, zeigt Mattis Frau auf eine Dame, die neben der Bar auf ein Motorboot steigt: „Das ist unsere Außenministerin“. Cool, irgendwie. Ist Finnland so familiär? Oder ist man irgendwie durch das Segeln in Kreise gerutscht, in denen dann halt auch Außenministerinnen verkehren? Ist die Bodenhaftung schon verloren gegangen? Mir ist klar, dass Segeln kein billiger Massensport ist, aber ich kenne einige Leute, deren Autos mehr gekostet haben als unser Schiff. Wenn ich so den Steg rauf- und runterschaue, sind wir eher Durchschnitt. Unser Schiff ist für die Ostsee groß, aber dafür auch alt, und man sieht auch genügend andere Bootseigner, die ölverschmiert und fluchend aus ihren Schiffen kommen. Eigentlich ist „Granma“ ein wundervoll subversiver Name an so einem Steg.
Als die Bar schließt, trinken wir mit unseren Nachbarn und deren drei Jungs noch einen Rotwein auf unserem Schiff. (also die ca. 10-13-jährigen Jungs bekommen keinen Wein, quittieren aber den Hinweis ihrer Eltern nach der Schlafenszeit mit „es ist Urlaub“).
Ich bin gespannt auf morgen.