Isfahan, und mein Konflikt mit der iranischen Armee

Nach Kashan kommt auf meiner Route Isfahan, wo einst der Medicus wirkte. Das Reisebüro hat für die Strecke vorgeschlagen, ein Taxi zu nehmen, da könne man einen Abstecher nach Abyaneh (ابیانه) machen, eines der ältesten Dörfer im Iran. Mein Fahrer ist genau das – als Reiseführer wurde er offensichtlich nicht angestellt. Er versteht und spricht rudimentäres Englisch, und gestikuliert formvollendet. So kommen wir auf dem Weg nach Abyaneh in Natanz vorbei – bekannt aus Film, Funk und Fernsehen als eines der Atomzentren des Landes. Tatsächlich ist neben der Straße ein größerer Komplex, der gut bewacht aussieht. An den Ecken recken wehrhaft Flugabwehrgeschütze ihre Kanonenrohre gen Himmel. Wie genau die gegen den wahrscheinlichsten Angriff mit einem tieffliegenden Cruise-Missile schützen sollen, ist mir zwar schleierhaft, aber immerhin kapiert so jeder, dass hier was Wichtiges und Geheimes ist. Ich verstehe auch ohne das Gestikulieren meines Fahrers, dass fotografieren hier wahrscheinlich nicht gut kommt.

In Abyaneh angekommen, kümmert sich der Fahrer um das Auto (bewacht es von einem nahen Teestand aus), und lässt mich auf eigene Faust durch das Dorf wandern. So ist die Tour nicht besonders fundiert, aber durch strategisches Folgen anderer Touristen bekomme ich einiges mit. Die meist aus Lehm gebauten Häuser sehen wirklich antik und historisch aus, auch wenn sie es eigentlich nicht mehr sind – ohne ständige Erneuerung wären sie nach ein paar Jahren mit genügend Regen einfach weggespült. Ein Abgleich mit dem Wikipedia-Eintrag zeigt zwar, dass ich offensichtlich nicht alle Sehenswürdigkeiten registriert habe, aber ich finde sowieso die kleineren Details interessanter. An kunstvoll verzierten Holztüren gibt es getrennt Klopfer für Sie und Ihn. Der kleinere Klopfer macht Tack-Tack-Tack und kündigt unwichtigere Besucher an, um die sich auch die Frau kümmern kann. Der massivere Klopfer mit seinem Bum-Bum-Bum zeigt an, dass es wirklich wichtiger Besuch ist, und der Chef vonnöten ist.

Es folgt der zweite Teil der Fahrt nach Isfahan, die sich als durchaus moderne Metropole entpuppt. Den Nachmittag habe ich ‚zur freien Verfügung‘. Witzig, die Formulierung – eigentlich war ja die ganze Reise frei verfügt. Jedenfalls beschließe ich, dass ich mir mal wieder die Haare schneiden lassen muss. In einer guten Woche bin ich in Deutschland auf einer Hochzeit eingeladen, da muss ich präsentabel sein, und irgendwie hat der Frisörbesuch im Urlaub bei mir Tradition. Außerdem – zur Gepäckminimierung habe ich meinen Bartpflegegerät und dessen Ladegerät nicht mit, zwischendrin rasierte ich mal wieder alles ab, aber vor der Reise in dieses streng muslimische Land habe ich den Bart fünf Wochen wachsen lassen. Ich dachte mit diesem nunmehr recht rauschigen Bart besser in die Landschaft zu passen. Tatsächlich sind aber die meisten Iraner glatt rasiert, oder tragen maximal einen Dreitagebart – wahrscheinlich halten die mich für einen Radikalen. Auch darum soll sich der Haar-Handwerker kümmern.

Beim Streifzug durch die Stadt sind mir an vielen Straßen an den Laternen oder ähnlich exponiert Fotos von Männern aufgefallen. Sie sehen allesamt wie Fahndungsfotos aus, aber ich schätze, Verbrecher werden seltener von der Nationalfahne eingerahmt dargestellt. Meine Einschätzung, dass hier Märtyrer geehrt werden, passt zu ein paar anderen Eindrücken. So komme ich an einem mit hohen Mauern umgebenen Komplex vorbei, wo ein aufwendiger Poster meine Aufmerksamkeit erregt. Ein buntes Schaubild gibt Auskunft über den heldenhaften Kampf der Iraner gegen die feigen Hunde der von den Imperialisten unterstützen Irakern (1980-1988) – damals waren Saddam Hussein und die Amerikaner noch große Buddys. Eine Karte stellt die wichtigsten Kampfgebiete dar, durchgestrichene irakische Panzer signalisieren militärische Erfolge, und auch andere Insignien passen zu den Fahndungsfotos an den Laternen. Solch aufdringliche Propaganda sind wir gar nicht mehr gewohnt, und fasziniert knipse ich den Poster. Kurz nach dem Foto macht es Klick, und ein Tor in der hohen Mauer geht auf. Ein junger Mann in Uniform weist mich freundlich darauf hin, dass fotografieren hier verboten sei. Ich versuche, ihn in Zeichensprache davon zu überzeugen, dass das doch ‚öffentliche Propaganda‘ ist, und es eigentlich im Sinne des Propagandisten sein müsste, wenn ich sie auf diese Weise weiterverbreite. Der junge Mann bleibt ebenso freundlich wie bestimmt – ich möge bitte das Foto löschen. Als ich auf den Knopf mit dem kleinen Papierkorb auf der Kamera drücke, ist er zufrieden, schüttelt mir die Hand und verschwindet wieder hinter dem Tor.

Am nächsten Morgen holt mich Mahmoud am Hotel ab, um mir Isfahan offiziell zu zeigen. Wie in den anderen Städten habe ich meine mangelnde Vorbereitung dadurch kompensiert, mir für einen Tag einen Stadtführer mit zwei Ohren zu nehmen, das iranische Reisebüro berechnet pro Tag 50€. Mahmoud ist pensionierter Lehrer, spricht exzellent deutsch, und weiß alles über Isfahan. Gemeinsam machen wir einen Plan, was ich mit ihm ansehen werde, und was ich am nächsten Tag auf eigene Faust angucken kann. So führt er mich auf den beeindruckenden Meidān-e Emām. Das bedeutet ‚Platz des Imam‘, doch der seit der Revolution vergebene Name scheint so beliebt zu sein wie der ‚Karlsplatz‘ in München. Da es an dem Platz aber kein bekanntes Wirtshaus gibt (‚Stachus‘, wie Münchner den Karlsplatz nennen, kommt von dem Wirtshaus des EuSTACHiUS Föderl, welches an eben diesem Platz war), verwenden die Einwohner einfach den alten Namen: ميدان نقش جهان. Der Platz zählt zu den größten der Welt, und ist rundherum von einer einheitlichen Arkatur eingefasst, die auch Moscheen, Paläste und einen Basar einbindet. Die Bauwerke sind atemberaubend, sowohl vom Gesamteindruck als auch von allen Details. Ich befürchte schon beim Fotografieren, dass sich das schwer vermitteln lässt. Aber auch hier sind es die kleineren Details und Ankedoten, die mir Spaß machen. Der Platz ist annähernd in Nord-Süd Richtung orientiert, Moscheen werden aber auf Mekka ausgerichtet, und das ist in Isfahan nach Südwesten. So müssen die Eingangspforten versuchen, klare Symmetrien gegenüber dem Platz darzustellen, und dann einen unauffälligen 45° Knick auf die ebenfalls streng symmetrische Moschee zu leisten. Am Eingang zur Jame Abbasi Moschee steht ein freundlicher Herr, und bittet ein iranisches Mädchen, vor dem Betreten ihre Haare etwas mehr zu bedecken (Isfahan folgt wieder der Teheraner Mode mit lockeren Kopftüchern). Mahmoud weist mich auf die Verzierungen der Säulen links und rechts eines Tors hin – sie sehen auf den ersten Blick identisch aus, aber bei genauerem Hingucken findet man kleine Unterschiede. Das liegt daran, dass nur Allah perfektes Schaffen kann, und der Mensch soll sich dieses nicht anmaßen. In einer Ecke sind Handwerker gerade damit beschäftigt, einige der Mosaikfliesen auszutauschen. Dabei werden unterschiedlich farbige Fliesen in kleine Stücke geklopft, bis sie genau in die Aussparungen einer ‚Rahmenfliese‘ passen. Offensichtlich ein anstrengendes Unterfangen, denn gerade machen die meisten Pause – und sie haben noch einiges vor sich, Wikipedia schreibt etwas von 472.500 Kacheln. In einem anderen Innenhof wächst ein Obst- oder Nussbaum, mit annähernd reifen Früchten. Eine Gruppe von Studentinnen vergisst kurz, sich mit hinreichendem Ernst dem religiösen Studium zu widmen, und wirft lachend Stecken in den Baum, um die Früchte zu ernten. Da wird mir wieder bewusst, dass zwar auf einigen hier ‚Islamische Republik‘ draufsteht, aber einfach Menschen drin sind.

Mit Mahmoud besichtige ich noch einen etwas mondäneren Palast, wir streifen einen Basar und eine Synagoge, und am Ende bitte ich ihn noch, mich zum Teppichhändler seines Vertrauens zu führen – ich habe Appetit bekommen, und vielleicht finde ich ja noch einen witzigen Kelim. Dann bekomme ich eine to-do Liste an selbst zu besichtigen Sehenswürdigkeiten, und darf wieder in mein Hotel; modern-langweilig, aber immerhin mit Blick auf den Fluss, den ich nun besuche. Isfahan liegt an dem Zayandeh Rud, das bedeutet lebensspendender Fluss, ein breiter stattlicher Fluss, der von mehreren historischen Brücken überspannt wird. So weit die Theorie. Praktisch braucht es gerade viel Phantasie, um sich den Fluss vorzustellen, das Flussbett ist knochentrocken; man kann die historischen Brücken auch aus sonst ungewöhnlichen Perspektiven angucken. Ein paar Tretboote verstauben dort, wo sie eigentlich dümpeln sollten. Dennoch sind die Brücken und der Park am Ufer beliebt – Picknicks und Ballspiele, kichernde Mädchen und ausgelassene Stimmung herrschen vor. Abends treffe ich im Hotel wieder die Holländer, mit denen ich schon am Abend zuvor ein Restaurant gesucht habe, und wir machen uns auf in die nächste Touristenfalle (Kulinarisch hat mich der Iran bislang nicht besonders begeistert, viel Hackfleisch auf Spießen).

Für den nächsten Tag hat mich der Licht-Großhändler auf eine seiner Kundenveranstaltungen eingeladen. In einem nach traditionellen Vorbild gebautem Haus (aber durchaus modern, mit Schwimmbad und Sauna im Keller) gibt es eine Lunchparty für Kunden aus der Gegend, und ich – der ja auch aus der Lichtindustrie kommt – darf als exotische Garnierung mit. Ich schätze 100 Teilnehmer, davon trauen sich drei Englisch zu sprechen. Einer davon ist Babak, ungefähr 24 Jahre alt, studiert Englisch. Ganz schüchtern fragt er, ob er sich mit mir unterhalten dürfte. Er darf. Die Veranstaltung ist witzig – lauter lokale Wiederverkäufer sitzen an verschiedenen Tisch und reden, worüber, dass erschließt sich mir natürlich nicht. Zwischendrin ein reichhaltiges Buffet und eine kurze Ansprache des Großhändlers, der mich offensichtlich auch vorstellt – ich bekomme Szenenapplaus, für’s dasitzen. Eigentlich wie einige andere Veranstaltungen, auf denen ich in meinem Leben war, aber irgendwie auch nicht. Mich irritiert, dass alle Tee oder einen eher wässrigen Orangensaft trinken. Mich irritiert, dass mich das irritiert – wie sehr Alkohol in meinem Kulturkreis zu einem geselligen Beisammensein gehört wird mir da wieder bewusst. Als sich die Feier so gegen 14:00 zum Ende neigt, verabrede ich mich für den Abend mit Babak – er freut sich Englisch üben zu können, ich freue mich, eher ungefilterte Informationen über das Land erfragen zu könnnen.

Die Zeit bis dahin verbringe ich mit einem Besuch der Vank Kathedrale, ein To-Do von Mahmoud. Eine christlich-orthodoxe Kirche der armenischen Gemeinde, komplett mit Genozid-Museum über die bösen Türken. Ich bekomme das Gefühl, dass es den Iranern ein großes Anliegen ist, ihre große Weltoffenheit gegenüber anderen Religionen zu zeigen, jedenfalls meinen Iranern – Synagogen, Kirchen, Tempel der Zoroastrier – alles da. Am Abend treffe ich dann Babak, der im Elektroladen seiner Familie arbeitet, und wir schlendern durch die Parks am Flussbett. Unserer gegenseitigen Interessenslage entsprechend bewegt er sich auf seiner Englisch-Lernkurve weiter indem er über seine Träume, seine Gedanken über Frauen und zB Treue vor der Ehe erzählt. Auch er kennt keine guten, authentischen Restaurants; wieder Fast-Food Chicken.

Am nächsten Morgen geht es weiter nach Yazd, 250km östlich. Diesmal habe die Busfahrkarte über die Hotelrezeption bestellt, ich habe also einen Direktbus in die Stadt. Gut, nicht in die Stadt, sondern an den modernen Busbahnhof in einem Vorort, ca. 5 km vom Zentrum entfernt. Also auch wieder ein Taxi. Yazd ist berühmt als Zentrum der zoroastrischen Religion, diverse Tempel und die Türme des Schweigens für Himmelsbestattungen gilt es zu besichtigen. Außerdem gibt es hier noch mehr Windtürme als im restlichen Iran, und natürlich wieder ein paar Moscheen. In Yazd habe ich auch wieder ein eher historisches Hotel, malerisch in der lehmgeprägten Altstadt gelegen. Da die Moscheen zwar weiterhin beeindrucken sind, ein bisserl wiederholen sie sich schon. Kunstvolle Mosaiken, check. Minarette, check. Zwiebelförmige Kuppel, check. Gebetsteppiche, check. Ich ziehe mit Ronja und Miles aus dem Hotel weiter, wir finden ein Restaurant und nehmen ein paar Erfrischungsgetränke zu uns. Als der Besitzer erfährt, dass wir aus Deutschland sind, äußert er sich wohlwollend über Adolf den Überflüssigen. Wir schütteln den Kopf und schlürfen weiter an unseren Getränken – mittlerweile habe ich hier einiges gefunden, welches echt lecker und erfrischend ist. Da ist zum einen Doogh, die iranische Variante von Ayran, also eine eher wässrige Buttermilch. Zum anderen gibt es hier überall Granatapfelsaft, pur, nicht mit Zucker und anderen Säften verschnitten. Wenn man den trinkt, zieht es einem alles zusammen – herrlich.

Mit dem Stadtführer verbringe ich den nächsten Tag mit Besichtigungen. Die Zoroastrier glauben unter anderem an die Heiligkeit der Erde, Leichen darin zu bestatten würde sie verunreinigen. Deshalb gibt es vor den Toren der Stadt die Türme des Schweigens – hier wurden Leichen abgelegt, um von Wettereinflüssen und Vögeln bis auf die Knochen vertilgt zu werden. Opa wurde also an die Geier verfüttert. Seit 1970 werden die Türme des Schweigens nicht mehr für ihren ursprünglichen Zweck verwendet – Hygienevorschriften wurde erlassen, die auch vermeiden sollten, dass Raubvögel Leichenteile über der näher gekommenen Stadt fallen lassen. Im Stadtzentrum gibt es einen Tempel mit einer ewigen Flamme. Wie üblich frage ich mich – ähnlich wie beim olympischen Feuer – wie oft wohl der Hausmeister verstohlen sein Feuerzeug genutzt hat, wenn mal kurz das Gas weg war. Für den Abend bin ich auf eine seltsame Veranstaltung gestoßen, eine Art Kampftechnik Darbietung. Wie Ringer gewandete Männer brüllen, schwingen Keulen, stampfen auf. Es erinnert mich an einen neuseeländischen Haka, Vorbereitung auf den ultimativen Kampf, aber dieser Kampf… fehlt. Plötzlich ist es vorbei. Etwas verwirrt gehe ich mit drei jungen Polen aus meinem Hotel eine Shisha rauchen. Alle waren wir schon viel unterwegs, und mich überkommt eine Melancholie, dass meine Reise bald zu Ende ist.

Endstation Verwirrung

„Du da! Raus aus dem Bus!“ Auch wenn ich kein Farsi spreche, so bin ich mir doch sicher, dass genau dieses die an mich gerichtete Aufforderung ist. Wir stehen schon länger an dieser Mautstation, mitten in der Wüste zwischen Teheran und Isfahan, deswegen trifft mich das Ansinnen jetzt überraschend – ich werfe Laptop, Handy und Kamera in meinen Rucksack und stolpere aus dem Bus. Ich bekomme meine Reisetasche in die Hand gedrückt, und verstehe nur Bahnhof. Allerdings verstehe ich auch, dass das nicht der Busbahnhof ist. Ich hatte schon in Teheran leichte Zweifel, dass das glatt gehen würde. Amon hatte mir angeboten, mich zum Busbahnhof zu begleiten, aber ich hatte zur Wahrung meines Stolzes abgelehnt – Ein Busticket kaufen werde ich wohl hinbekommen. So fragte ich am Busbahnhof in der Argantin-Square einen Verkäufer der Tickets nach Isfahan anpries nach dem Bus nach Kashan. Ja genau, der hier, nickt er erfreut, und gibt mir zu verstehen, dass der Bus auf dem Weg nach Isfahan halt in Kashan anhält, das wäre auf dem Weg. Ich kaufe das Ticket, der Verkäufer beruhigt den verwirrt dreinblickenden Busfahrer als ich ‚Kashan‘ wiederhole, und ich nehme meinen Platz ein. Sicherheitshalber frage ich einen adrett gekleideten Perser im Bus, ob das stimmen könnte, und er bestätigt – der Bus hält in Kashan. In Kashan werde ich von einem Fremdenführer betreut werden, und ich denke, es ist am besten, wenn sich der Busbegleiter (die gibt’s auch hier) und er kurzschließen, dass mich Badshah zur richtigen Zeit am richtigen Ort abholen kann. Ich gebe dem Begleiter mein Telefon, er bellt kurz etwas hinein, legt auf, und gibt mir das Telefon zurück, als wäre es ein alter, toter Fisch. Offensichtlich sind meine Sorgen total unbegründet, allen anderen ist klar, wo der Bus hält. Etwas später im Bus kommt der Begleiter aber doch zu mir, und fragt mich etwas. Ich verstehe ihn nicht, und so kritzelt er etwas auf einen Zettel. Dummerweise bin ich nicht nur taub für persisch, sondern auch blind – geschrieben hilft es mir auch nicht. Ich wähle wieder Badshahs Nummer, und die beiden reden etwas länger miteinander. Eine halbe Stunde später ruft Badshah an, und will nochmal mit dem Begleiter reden. Jetzt ist alles klar, denke ich, und bleibe weitere zwanzig Minute in diesem Glauben, eben bis zu der Mautstelle zehn Kilometer außerhalb von Kashan. Hier schaut mich ein Verkehrspolizist belustigt an, als hinter mir der Bus wieder anfährt. Ich suche mir etwas Schatten, um in Ruhe nachzudenken, da kommt mir ein Mann entgegen. „Mr. Christian?“ Badshah schimpft mich ein wenig, warum ich nicht den Bus NACH Kashan nehme, das wäre doch viel einfacher gewesen, und ich schäme mich ein wenig. Er zeigt mir dennoch den Fin-Garten, ein alten Hamam, zwei historische Häuser reicher Geschäftsleute und eine sehenswerte Moschee mit Koranschule. Allerdings ist er nicht so motiviert wie meine Reiseführer in Teheran. Er erklärt etwas, zeigt mir ein paar Ecken, teilt mir dann zwanzig Minuten zu, um alles zu fotografieren, und verzupft sich auf einen Schwatz mit dem Ticketverkäufer.

Während ich in Teheran einfach ein normales Hotel hatte, der 3-4 Sterne Kategorie, hat mein Reisebüro in Kashan meinen Auftrag ‚einfachere, lokale‘ Hotels vorbildlich in die Tat umgesetzt. Aus einem eher historischem Haus in der Altstadt wurde ein Hostel/Hotel eingerichtet. Vom Aufbau sehr ähnlich wie die zuvor besichtigten historischen Häusern reicher Geschäftsleute, nur dass die Erbauer dieses Hauses wohl nicht so reich waren – so fehlen halt die reichhaltigen Verzierungen. Es ist dem älteren Aufbau geschuldet, dass mein Zimmer kein eigenes Bad hat, aber immerhin bleibt es so von geführten Touristengruppen verschont. Ein Geheimtipp ist es offensichtlich aber auch nicht mehr, deshalb finden sich einige Traveller, die auf den authentisch anmutenden Sofas im Innenhof herumsitzen. Ich sehe sogar eine Chinesin – ohne Kopftuch! Die ‚Sofas‘ sind zwei mal zwei Meter große Holzplattformen, die mit einem weichen Teppich und einigen Kissen ausgelegt sind. Natürlich zieht man zur Nutzung die Schuhe aus, so erfreut man sich an Mitreisenden, die den ganzen Tag in solidem Schuhwerk unterwegs waren.

Azita, meine Reiseführerin aus Teheran, studiert in Kashan. Als sie bei unserer Tour meine Route durch den Iran erfährt, hatte sie sofort vorgeschlagen, dass wir uns ja dort treffen könnten. Ein Date?!? Per Telefon und SMS verabreden wir uns an einem zentralen Platz in der Stadt. Ich mache mich zu früh auf die Socken – der Platz ist am Ende viel näher als ich dachte – und so schlendere ich gemütlich durch die Straßen. Kashan wurde mir als konservativere und religiösere Stadt beschrieben, und sie ist tatsächlich von den Vibes anders als Teheran. Neben der Gasse zu meinem Hotel ist eine Institution, von der ich später erfahre, dass es eine ‚Kaderschule‘ ist. Auf den zwei Stufen zum Eingang ist eine amerikanische und eine israelische Fahne aufgemalt. So werden sie von jedem Schüler mindestens zweimal täglich mit Füßen getreten. Tatsächlich sehen die beiden Fahnen recht traurig aus, aber das liegt eher daran, dass die Farbe nicht besonders abriebfest ist. Wie oft muss sie wohl erneuert werden, um täglich geschmäht zu werden? Der Gedanke verselbstständigt sich – es muss jemanden im Iran geben, der in größeren Stückzahl die Fahnen der Erzfeinde aufmalt oder auch näht, nur damit man etwas hat, was man in einem inszenierten Wutanfall verbrennen kann. Und wo bekommen die Wutbürger die Fahnen her? Gibt es einen Laden mit ‚Demonstrationszubehör‘?
Auf dem zentralen König Kamal Platz – ميدان كمال الملك warte ich ein wenig, eine halbe Stunde wegen meiner schlechten Zeitplanung und weitere 15 Minuten wegen Azitas schlechter Zeitplanung. Das Straßenbild ist hier anders als in Teheran, und es liegt hauptsächlich an den Frauen. Die Teheraner Hidschab-Mode hat hier noch nicht richtig eingeschlagen – die meisten Frauen tragen hier einen schwarzen Tschador, eng an das Gesicht anliegend. (Begriffsklärung: Hidschab: die Verhüllung im allgemeineren, also auch als Kopftuch. Tschador: großer Umhang {in Wikipedia findet sich, dass die Übersetzung eigentlich ‚Zelt‘ sei}, Niqab: bedeckt noch Nase und Mund, Burka: kompletter Schleier. Weder Niqab noch Burka sind im Iran üblich.) Ich sehe auf dem belebten Platz in 45 Minuten nur sieben Frauen im entspannten Kopftuch, die Siebte ist mein Date.

Azita geht mit mir durch den Bazaar, und danach durch ein paar verwinkelte Ecken der Altstadt. An einem Gebäude weist sie mich auch den offensichtlichen Davidstern an einer Tür hin. Ich bin überrascht, die mögen sich doch nicht, dachte ich, also so gar nicht, dachte ich. Aber nein – mir wird erklärt dass der offizielle Hass des Staates nicht der Religion gilt, sondern nur dem zionistischen Drängen des Staates Israel und anderer Imperialisten. Tatsächlich werde ich auch in anderen Städten auf Synagogen und andere Spuren des Judentums hingewiesen. Wir landen dann in einem Restaurant (wieder in einem historischen Innenhof) und trinken ein paar süße, alkoholfreie Getränke, man stelle sich etwas Holundersirup in stillem Wasser vor. Cocktails fände ich zwar passender für Begleitung und Anlass, aber ich will ja flexibel sein.

Die Getränke sind auch nicht das interessante an dem Abend. Ich bin neugierig, Azita auskunftsfreudig, und so erfahre ich einiges mehr über Lebensrealitäten in der Islamischen Republik Iran. Eine Anekdote dreht sich um das Studentenwohnheim, in welchem sie an der Universität wohnt. Dort wohnen nur Frauen, klar. Als alleinstehende Frau erst nach 21:00 heimzukommen wird sehr ungern gesehen, weswegen wir den Abend leider auch um 20:30 beenden müssen. Als sie mal – von Teheran kommend – erst nach neun Uhr Einlass begehrte war der Pförtner schockiert. Ob ihr Vater wüsste, dass sie sich so spät alleine rumtreibt? Ja, das wüsste er. Er (der Pförtner), glaubt das nicht, er müsse den Vater anrufen, schließlich gäbe es eine kollektive Verantwortung für die Sittlichkeit auch einer 30-jährigen Frau. Im Laufe des Telefonats und Diskussion kommt dann noch raus, dass Azita gar nicht mehr bei den Eltern wohnt, obwohl sie nicht verheiratet ist, und ihr Vater dem zugestimmt hat – der Verfall der Sitten ist allgegenwärtig. Als die Zeit des Abschieds naht, packt Azita ein zweites, erheblich züchtigeres, Kopftuch aus ihrer Tasche und nimmt ein Taxi zum Wohnheim; ich schlendere wieder in mein Hotel. Dort findet sich noch eine bunte Gruppe, die auch Hunger hat, und wir ziehen in die Stadt, um kein Restaurant zu finden. Nachdem wir länger durch die Stadt laufen, ohne was Vernünftiges zu finden, landen wir in einem Fast-Food-Hühnchen-Laden. Ich hätte Azita auch dafür nach einem Tipp fragen sollen.

Die Toman-Falle, und andere Tücken des Landes

Die iranische Währung ist der Rial. Für einen Euro bekommt man auf der Straße 44.000 Rial, beim Teppichhändler 45.000 Rial (die dann aber gleich wieder weg sind, dafür hat man einen Teppich). Leider verwenden die meisten Iraner keine Rial. Also die Scheine, die schon, aber zum Rechnen leider nicht. Gemerkt habe ich das wir folgt: Ein Café in Teheran bietet frisch gepressten Orangensaft für 7.000, also umgerechnet 0,15€. Cool, denke ich mir und bestelle gleich einen zweiten als ich sehe dass er tatsächlich frisch für mich zubereitet wird. Auch das andere Verzehrte habe ich mir gemerkt, mitgerechnet, und bin total stolz als ich das abgezählte Geld sofort bereit habe. Der Inhaber schaut mich mit einer Mischung aus Entgeisterung und Beleidigung an. Er will das Zehnfache. Jetzt bin ich verwirrt. Man kommt mir zur Hilfe: Die Preise sind nicht in Rial ausgewiesen, sondern in Toman. Ein Toman sind zehn Rial. In 95% aller Fälle wird in Iran über Toman gesprochen, nur seltenst in Rial. Ah ha. Ich frage ab dann jeden Fremdenführer, aber keiner mir erklären warum das so ist. Vielleicht, weil: die Preise sehen geringer aus. Das würden sie auch, und noch mehr, wenn man drei Nullen fallen lassen würde, entgegne ich. Hm, stimmt. Egal. Es wird noch bunter. Je nach Kontext kann ein Toman auch 10.000 oder auch 10 Millionen Rial bedeuten. Mein Teppich soll später einmal 1,25 Toman kosten. Irgendwann einmal ignoriert man die ganzen Nullen, hat ein Gefühl für die Größenordnung, tippt im Taschenrechner 1,25 geteilt durch 45 ein und erkennt, das 0,0277777 in diesem Fall ca. 280€ oder 5.600 Groschen sind. Weiter kompliziert wird das Thema dadurch, dass viele Iraner nicht rechnen können, eine schlechte englische Aussprache haben, und allgemein nicht immer Englisch können. So will ein Angestellter für die Mahlzeit ‚Sixtyn‘. Ich frage nach: „Six Zero?“ Der Iraner freut sich, dass er nur bestätigen muss, und nickt begeistert. Als ich dann aber 60.000 Rial hinlege, zückt er aber doch einen Taschenrechner und tippt 160.000, welches also sixteen Toman waren. Einer meiner Fremdenführer rechnet 6.000 Toman mal flugs in 600 Rial um und sagt zu 130.000 ‚three hundred‘. Praktischerweise erklären einem viele Händler den gewünschten Preis, indem sie aus ihrem Bündelgeldscheine den gewünschten Betrag abzählen, und einem zeigen, ob man das jetzt im Kopf als Rial oder Toman betrachtet ist dann egal. Immerhin scheint es eine Planung für eine Währungsreform schon zu geben. Der 500.000 Rial ‚Cheque‘ der Nationalbank trägt auf einer Seite eine simple ’50‘.
Am Anfang meiner Reise in Istanbul habe ich mich noch über den Teppichkauf geäußert, als ob dieses für mich nie in Frage käme. Mittlerweile habe ich meine Meinung geändert – nirgendwo sollen Teppiche so beheimatet sein wie in Persien. Bei Karin und Ramsi in Berlin habe ich auch einige gesehen, die mir wirklich gut gefallen – mal sehen ob ich hier fündig werde. In den Wochen zuvor erfolgte eine intensive e-mail Beratung, und jetzt – gleichsam in der Höhle des Löwen – beginnt der Ernstfall. Ich beginne mit meiner lokalen Erkundung im Teppich-Museum von Teheran. Hier gibt es bestimmt einen guten Überblick, ich kann ein paar fotografieren, die mir gut gefallen, und sie später dem Händler zeigen. Ich werde entäuscht. Die Teppiche im Museum sind edel gearbeitet, aus hochwertigsten Materialien wie Seide und der Nackenwolle von bei Neumond geschorenen Merinoschafen, oder so ähnlich. Aber mir gefällt eigentlich keiner wirklich gut, sie haben alle traditionelle Designs, mit einem ‚Medallion‘ in der Mitte, oder einem ‚Gebetsfenster‘. Halt klassische Perserteppiche, und nicht mein Fall. Ich suche nach den weitaus primitiveren Mustern, wie sie Gabbehs und Kelims haben. Ich frage einen Museumswächter, er schaut mich verächtlich an – eine Reaktion, die mir in den nächsten Tagen noch öfters begegnet. Die meisten Iraner finden die einfachen Muster zu grob, nicht kunstfertig genug – warum will ich gerade so etwas? So mache ich ein paar Bilder als Negativ-Muster: so nicht. Mittags besuche ich das Reisebüro, bei dem ich die Reise gebucht habe, und spreche mit Maryam, meiner persönlichen Organisatorin – wir vereinbaren das Programm für die nächsten Tage, und klären noch ein paar Fragen, die per e-mail zu nervig gewesen wären. Am Nachmittag holt mich Amon, ein Freund meines Ex-Kollegen, ab und wir machen eine kleine Bustour durch Teheran, zu einem Basaar im Norden der Stadt. Dort bummeln wir ein wenig umher, Amon kauft ein paar Gurken, und wir fahren zu ihm, essen Salat und Brot. Amon hat vor der Revolution in Deutschland Automechaniker gelernt, und spricht perfekt deutsch. Abends gucken wir noch etwas ZDF, er ist sichtbar stolz darauf, mir diesen Geschmack der Heimat bieten zu können. Dabei habe ich deutsches Fernsehen gar nicht so sehr vermisst. Von seiner Wohnung hat man einen genialen Blick auf die Stadt, die sich nunmehr in ein Lichtermeer wandelt. Ich bin vom Schlafmangel des Vortages noch etwas groggy, um zehn treibt es mich ins Hotel zurück. Amon besteht darauf, mich heimzufahren – offensichtlich traut er mir die Navigation im Teheraner Verkehr zum Hotel noch nicht zu.
Aus Südostasien kommen, finde ich den Verkehr in Iran nicht außergewöhnlich. Man überquert die Straße hier ähnlich wie in Hanoi, mit dem Unterschied, dass man hier Autos und nicht Mofas als Gegner hat. Dafür schaut man seine Gegner an, winkt ihnen beschwichtigend zu, wenn man vorhat direkt vor Ihnen die Straße zu überqueren, und dann geht’s los. Die Autofahrer sind erstaunlich geduldig, tolerieren untereinander auch Drei-Punkt-Wendemanöver auf Hauptverkehrsstraßen, das Chaos funktioniert erstaunlich gut. Mit deutscher ‚Ich-hab-aber-Vorfahrt‘ Mentalitäten gäbe es am laufenden Band Tote. Als Verkehrsmittel mache ich mit meinen Führern die ganze Bandbreite mit – die Metro in Teheran (sehr modern), Sammeltaxis (das Taxi hat ein Ziel, welches durch brüllen kommuniziert wird, und wartet bis mindestens drei Fahrgäste zusammen sind), Taxis ‚dar baste‘ (nur für einen selber, man zahlt also für 2-3 unsichtbare Passagiere mit), und öffentliche Busse. Hier finde ich das System besonders faszinierend. Die Busse sind unterteilt, eine Hälfte für Frauen, die andere gemischt. Jedenfalls sieht man in der Männerhälfte auch Frauen, die dort mit Begleitung sitzen. Mein Begleiter meint, man dürfe auch als Mann in die Frauenhälfte, aber dazu würden sich die meisten zu sehr schämen – wahrscheinlich schrumpelt der Schniedel dabei zu sehr. Bezahlt wird beim Aussteigen beim Fahrer – Fahrscheine gibt es keine. Ich beobachte das Treiben, und überlege mir, wie verhindert wird, dass der Fahrer das Geld einfach einsteckt. Gar nicht, erfahre ich – die Fahrer fahren auf eigene Rechnung. Offensichtlich mieten die Fahrer den Bus jeweils für einen Monat (für 400€), und müssen dann sehen, wie sie zu ihrem Geld kommen.
Als Fremdenführer für den Sonntag sehe ich meinen Flughafen-Abholer wieder – wir sehen uns den Palast-Komplex im Norden Teherans an – hier ist es kühler als in der Stadt selber, und so haben die Herrscher der Pahlavi Dynastie hier ihre Residenzen gehabt, auch heute wird ein Teil noch von der Regierung genutzt. Anschließend besuchen wir den Darband-Platz, an den sich ein malerisches Bergtal anschließt, und essen dort. Mit der Metro fahren wir wieder in die Innenstadt – auf dem Basaar will ich mich mal umsehen, ob ich hier den Teppich meiner Träume finden würde. Der erste Händler hat zwar keinen Gabbeh, aber er hat da einen Freund. So führt er uns durch den Basaar von Teheran, treppauf, treppab, durch Hinterhöfe, bis wir schließlich in einem überdachten Hof sind, wo uns sein Freund ein paar Gabbehs zeigt. Das wird nicht einfach bei der Auswahl, die Preisvorstellung liegt bei ca. 150€ für den Quadratmeter. Gut, das soll ja sowieso nur eine erste Sondierung sein, ich mache ein paar Fotos und lass mir die Karte des Händlers geben. Er zeigt mir dann noch ein paar andere Teppiche, wesentlich edler, die ich aber eigentlich auch ganz hübsch finde – genau was ich brauchte, noch mehr Auswahl.
Mittlerweile hat sich der Ausflug ans Kaspische Meer zerschlagen, der Vater bietet mir zwar an, dass mich jemand anderes dorthin fahren könnte, aber das fände ich jetzt doch ein wenig ausbeuterisch, und lehne ab. So kann ich auch am Montag mit Amon nochmal auf den Basaar. Er kennt einen Händler, der der Ehemann einer Angestellten des Reisebüros ist, an dem er einen Anteil hat, und wir besuchen ihn, wobei wir nur seinen Partner antreffen. Auch er hat keinen Gabbeh, aber führt uns zu einem Spezialisten. Der Teppich hier ist etwas günstiger, und gefällt mir marginal besser, auch nachdem wir den Händler des Vortages noch einmal besuchen. Natürlich kann er mir den Teppich auch ins Hotel nach Shiraz, meiner letzten Station, schicken, so muss ich ihn nicht die ganze Zeit rumtragen. Nur das mit dem Feilschen, das klappt nicht so. Tatsächlich gibt sich der Händler extrem hartleibig, es bleibt bei dem ersten Preis von 1,25 Toman, zzgl. der Fracht nach Shiraz. Ich beruhige mich damit, dass das Geschäft halt durch iranische Ehrenleuten eingefädelt wurde, und die nennen sich halt von Anfang an vernünftige Preise. Ich glaube, werde selig. Immerhin habe ich jetzt meine Mission erfüllt, ein echter Perser ist meiner – so kann ich beruhigt Teheran verlassen.

Wie ich zum iranischen Staatsbürger wurde

Anfangs war es noch halbwegs ausgewogen, doch jetzt wird’s lächerlich. Die Menschentraube für die Einreise wird einfach nicht kleiner. Ich stehe hier seid einer Stunde, bin in der Zeit vielleicht drei Meter vorwärts gekommen, und hinter mir stehen weitere zwei Meter. Bis zum Schalter sind es noch ungefähr zehn Meter. Der Schalterbeamte – genau einer für ‚foreign passports‘ – scheint weder die Begriffe Eile noch Effizienz zu kennen, oder – wenn er sie kennt – nur im Sinne von ‚keine Eile‘ zu verwenden. Die vier Schalter für ‚iranian passports‘ waren vor einer Stunde ähnlich belagert, aber gerade wird der letzte Iraner abgefertigt. Gespanntes Getuschel in unserer Traube setzt ein. Ein paar Mutige versuchen es, natürlich die von ganz hinten, die nichts zu verlieren haben. Die vier für Iraner zuständigen Beamten murren ein wenig, ein paar werden abgefertigt, andere aber zurück geschickt. Immerhin genügend kommen durch, dass auch ich beschließe, mein Glück dort zu versuchen. Ich stelle mich an einem der Schalter an, da wird’s dem Beamten zu bunt. Zwei-Gold-Kringel (so nenne ich ihn in Anlehnung an seine Schulterklappen) schickt mich und den Rest der Abtrünnigen rüde wieder in unsere Schlange zurück, aber dort kann ich meinen alten Platz nicht einnehmen. Da betritt Vier-Gold-Kringel den Raum und sieht sich das ganze skeptisch an; ich schleiche wieder in Richtung des Schalters von Zwei-Goldkringel. Es folgt eine kurze Auseinandersetzung zwischen den beiden Beamten, aber am Ende gewinnt der Kollege mit mehr Schulterschmuck. So bin ich halt mal kurz iranischer Staatsbürger, und reise ein.
Es ist halb fünf Uhr morgens, und ich bin hundemüde – der Flug ab Singapur um 21:30, nach meiner inneren Singapur-Uhr ist es acht Uhr morgens, und ich habe im Flugzeug vielleicht eine Stunde schlafen können. Am Flughafen von Doha kamen wir mit etwas Verspätung an, und der Flughafen ist alles andere als modern (eine Woche später wird er zu Gunsten eines ganz neuen und modernen geschlossen sein). Mit einem Bus gondeln wir zum ca. drei Kilometer entfernten Transfer-Terminal, nochmal Security-Kontrolle, ich haste zum Gate, und hinter mir wird ebendieses geschlossen – ob da mein Gepäck mitkommt? Beim Einsteigen ins Flugzeug sehe ich noch ein paar Frauen ohne Kopftuch, beim Aussteigen keine mehr – fair enough, ich mache mir im Flieger die langen Hosenbeine an meine Wanderhose, das erste Mal seit Hanoi im Januar dass ich lange Hosen trage. In Teheran angekommen, gehe ich gespannt zum Schalter für ‚Visa on Arrival‘ – ich habe eine Referenznummer bekommen, damit sollte es ein Klacks sein. Hinter dem Schalter diskutieren zwei Menschen mit einer Gruppe von Indern. Einer wirkt etwas ungepflegt in schmuddeliger Anzughose, der andere trägt ein graues T-Shirt mit dem Aufdruck ‚Islamic Republic of Iran‘. Ich warte geduldig am Fenster, irgendwann kommt der Kollege mit der Anzughose und nimmt meinen Pass. Als ich ihm meine Referenznummer nenne, kritzelt er 50 auf einen Schmierzettel und gibt ihn mir. Als ich etwas verwirrt schaue, herrscht er mich an, und deutet auf den nächsten Schalter ‚Melli Bank of Iran‘. Dort gebe ich den Schmierzettel ab, und verstehe, dass ich auch einen 50 Euro-Schein abgeben muss. Dann wird ein DIN-A6 Blatt mit dreifachem Durchschlag ausgefüllt, ich bekomme davon zwei, und gebe sie wieder am Visaschalter ab. Dafür bekomme ich meinen Pass, nunmehr mit eingeklebtem Visa. Dann die eigentliche Einreise, und gespanntes Aufsuchen des Gepäckbandes. Noch hat keiner meiner Mitmenschen ein ‚Welcome to Iran‘ Gefühl vermittelt. Überraschenderweise ist meine Tasche angekommen, und so verlasse ich den Sicherheitsbereich. Ein junger Student hält ein Schild mit meinem Namen, spricht exzellent Englisch und heißt mich willkommen. Er hilft mir schnell etwas Geld zu wechseln (nicht zu viel, der Kurs am Flughafen ist beschissen, vermittelt mir den Kauf einer SIM-Karte für’s Telefon (neue Nummer: +٩٨٩١٠٤٥٢٠٩١٠), und wir fahren mit einem rostigen Bus zu den Außenparkplätzen des Flughafens. Mit einem Peugeot 405 aus iranischer Fabrikation fahren wir nach Teheran. Auf einer gut ausgebauten Autobahn brausen wir nach Teheran, auch hier wären Spurhalteassistenten dringend angesagt. Andererseits – so kann man auf der dreispurigen Autobahn locker zu fünft nebeneinanderfahren, das erhöht den Durchsatz. Dabei erfahre ich von meinem Fahrer einiges über Iran, er ist erstaunlich offen. Das gleiche gilt für die meisten anderen Menschen, die sich im Iran mit mir unterhalten, doch zitiert werden will eigentlich keiner, und das werde ich respektieren.
Ich habe mich zu der Reise in den Iran erst in Indonesien entschlossen, und so habe ich mich nicht besonders gewissenhaft auf die Reise vorbereitet – gut, eigentlich gar nicht. Ich nenne es: besonders aufgeschlossen. Aber vor meinem geistigen Auge sah ich ein Iran, was eigentlich seit der iranischen Revolution und der Geiselnahme in der amerikanischen Botschaft mit Sanktionen belegt ist, unter denen die Zivilbevölkerung sehr leidet. Auch erinnere ich nur an Nachrichten, dass die Sanktionen weiter verschärft wurden, nie gelockert. Kurzum, ich erwartete ein Land, welches technologisch auf dem Stand von 1979 stehen geblieben wäre, ein Straßenbild ähnlich wie man es aus Kuba kennt. Die Vorstellung bekam erste Kratzer, als ich erfuhr, dass internetfähige Mobiltelefone hier funktionieren, und bröckelt weiter, als ich die verkehrsbezogenen Wechselbeschilderung (Chaos, extremes Chaos, komplettes Chaos) auf den Autobahnen sehe, die LED-Großbildschirme für Werbung, und die modernen Auslagen in den Geschäften. Ich erfahre später, dass sich die Sanktionen kaum auf Artikel des täglichen Gebrauches beziehen, der Import von Mercedes, Porsche und BMW also weiter möglich ist, aber zB über hundert Flugzeuge im Iran am Boden bleiben müssen, weil keine Ersatzteile geliefert werden dürfen. Mich persönlich betreffen die Sanktionen im wesentlichen dadurch, dass an keinem der tausenden Geldautomaten und elektronischen Zahlungsmöglichkeiten internationale Kreditkarten angenommen werden, ich habe in Singapur fast 2000 S$ aus Automaten gezogen und in der Wechselstube daneben in Euro umgetauscht.
Nach einem kurzen Nickerchen im Hotel geht das Programm los, um elf werde ich von meinem Fremdenführer abgeholt. Ich erwarte einen verknöcherten Beamten vom Staatsministerium für kulturelle Sicherheit, und bin überrascht, als mich Azita, eine junge Iranerin, begrüßt. Auch hier muss ich zugeben, dass mein Zerrbild aus antiken Quellen stammt – ich erinnere mich an ein Foto in National Geographic, welches ein iranisches Päarchen beim Schifahren nördlich von Teheran zeigt. Bildunterschrift: „[…] selbstverständlich müssen die beiden verheiratet sein, sonst greift die Sittenpolizei ein.“ So hatte ich fast befürchtet, zwei Wochen lang keine Frau ansehen zu dürfen, ohne Ärger zu bekommen, aber das scheint ein Ding der Vergangenheit zu sein, oder jedenfalls keine gängige Praxis mehr. Überhaupt das Thema mit dem Kopftuch: die Muslime in Malaysia (50% der Bevölkerung) scheinen das Thema ernster zu nehmen – jede Muslima dort trug einen Hidschab, der wirklich kein einziges Haar mehr sehen lies. In Teheran sehe ich ungefähr dir Hälfte der Frauen, die den Hidschab irgendwo auf der Mitte des Kopfes tragen, bei einigen klammert er sich verzweifelt am Ansatz eines Haarknotens oder Pferdeschwanzes fest, so wie der vierte Passagier auf einem vietnamesischen Motorrad. Die Attitüde schreit förmlich: „Hey, ich trag das Scheißding, jetzt lasst mich in Ruhe“. Offensichtlich gibt es auch jemanden, der sie nicht in Ruhe lassen würde. Mir wird ein Gespann von Polizeiautos gezeigt, eine Mercedes C-Klasse und dahinter ein kleiner Minibus mit Milchglasscheiben. Das ist die Sittenpolizei, wer sich allzu unzüchtig zeigt, wird von den Männern im Mercedes in den Bus geworfen, um dann auf der Wache ‚belehrt‘ zu werden. Ein Foto, wird mir gesagt, sollte ich besser nicht machen. Mit Azita sehe ich ein paar der wichtigsten Attraktionen in Teheran – das Nationalmuseum, der Komplex um den Golestan Palast, und den Basar. Dabei sehe ich auch die bunten Auslagen der verschiedenen Läden – mit dabei sind Klamotten, die mit ‚leichtes Sommerkleid‘ noch wohlwollend beschrieben sind. Erst zwischendrin fällt mir die Ironie auf, denn tragen kann das eigentlich keiner – außer zu Hause.
Um kurz vor sechs liefert mich Azita wieder am Hotel ab. Ich hatte einen ehemaligen Kollegen, der aus dem Iran stammt, nach ein paar Tipps gefragt. Statt einfacher Tipps bekomme ich Einladungen von seinem Vater und einem Freund. Um sechs holt mich sein Vater ab, der nebenbei – vor den Sanktionen – der OSRAM Großhändler für den Iran war. Wir fahren in ein Örtchen außerhalb von Teheran auf ein Reithof, und danach in sein Wochenendhaus. Er hat etwas Brot und marinierte Hühnchenteile gekauft, die er auf der Terasse grillt – Restaurants, meint er, würde ich in den nächsten Tagen noch genug sehen. Dabei unterhalten wir uns über meinen ehemaligen Arbeitgeber und viele gemeinsame Bekannte. Die Gastfreundschaft ist unglaublich – er bietet mir noch an, am Sonntag kurz über Nacht ans Kaspische Meer zu fahren, welches sich leider wegen eines dringenden Termins am Montag zerschlägt. Spät am Abend bringt er mich ins Hotel zurück, bislang gefällt mir Iran sehr gut.

Man sieht sich immer zweimal

Wir müssen ein wunderbares Bild abgeben. Chris, mit einem leichten Tagesrucksack auf dem Rücken, zieht lässig seine rollende Tasche* hinter sich her. Neben ihm Caroline, einen halben Kopf kleiner und halb so schwer, mit einem 20kg Riesenrucksack auf dem Rücken, einem Tagesrucksack vor der Brust, irgendwo baumelt noch eine Yogamatte. Der perfekte Gentleman denke ich mir, gut dass mich keiner sieht, der mich kennt. Es ist ja nicht so, als hätte ich es nicht (mehrmals) angeboten – ich würde Carolines schweren Rucksack tragen, sie die beiden leichteren – aber das würde ihren Stolz oder was auch immer angreifen. Also bleibt’s dabei, ich trage ca. 5% meines Körpergewichts auf dem Buckel, Caroline 50%. Immerhin ist sie recht fit, aber Spaß kann das nicht machen. Nebenbei ist Caroline ‚hangry‘, ein wunderbares Kofferwort aus hungry und (deshalb) angry, und skeptisch, ob ich wirklich den kürzesten Weg zum Hotel gewählt habe. Aber sonst, sonst ist alles gut.
Caroline – treue Blogleser kennen sie bereits – und ich reisen wieder ein wenig zusammen. Es hat sich schon abgezeichnet, als ich noch in Brunei war, da schrieb sie mir, dass sie nicht wie ursprünglich geplant direkt nach Indonesien weiter nach Japan und USA fliegen würde, sondern erst noch nach Malaysia – wo wäre ich denn? Ach wirklich, ab morgen auch in Malaysia? Hey, Chris, da könnten wir uns doch treffen – das würde sie sehr freuen…

Ich überlege ein wenig, mich würde es auch freuen. So doktern wir über die nächsten Tage an unseren jeweiligen Plänen herum, bis sich herausstellt, dass wir uns in den Cameron Highlands treffen könnten, und dann gemeinsam nach KL fahren. Gewiss, das gemeinsame Reisen birgt einige Risiken, so ist Caroline extrem auf Unabhängigkeit bedacht, erheblich komplizierter beim Essen und nebenbei erheblich budgetbewusster, kann es aber auch nicht ausstehen, wenn sich anderen Leute einfach nach ihr richten, so muss man immer raten, wo sie eigentlich hin will, aber es als gemeinsame Entscheidung erscheinen lassen. Mit erheblich besserem Erwartungsmanagement, und dem Bewusstsein dass es eh nur ein paar Tage sind, klappt es aber ganz gut. Denn das Reisen mit Caroline hat auch sehr positive Seiten – in der richtigen Stimmung kann man wunderbar mit ihr feiern, und sie sammelt ständig interessante Menschen ein. So stellt sie mir gleich nach der Willkommensumarmung in den Cameron Highlands Terry vor – eine herzallerliebste Holländerin, die wiederrum einen halben Kopf größer ist als ich. Mit Terry verstehe ich mich auf Anhieb – mehrmals werde ich in den nächsten Tagen mit ihr losziehen, wenn Caroline keine Lust hat.

Die Cameron Highlands sind ein Trekkinggebiet, man sieht sie also am besten mit kleinen Fußmärschen auf die umliegenden Berge, kommt dabei an Tee und Erdbeerplantagen vorbei, insgesamt eine sehr entspannende Gegend. Alleine die Fahrt hierher war wunderschön, Tanah Rata als wichtigste Stadt liegt schon auf 1400 Metern. Aber vieles dieser Schönheit ist unaufdringlich – selten lässt sie sich zB auf ein Foto bannen. Allerdings wird die Schönheit offensichtlich bedrängt, öfters sieht man an den Hängen kompletten Kahlschlag, und genaueres Nachfragen offenbart dass auch das Grüne nicht immer Naturdschungel ist, sondern häufig Palmölplantagen. Mich als Autofan erfreut auch die Vielzahl von alten Land Rover Defendern, die hier rumfahren, auch einige von vor 1968, als die Scheinwerfer noch nicht in den Kotflügeln montiert waren. So brechen wir am nächsten Morgen auf, und erklimmen den zweithöchsten Berg in der Umgebung. Wir werden noch von Magnus aus Deutschland begleitet, der eine längere Reise zwischen Studium und Promotion macht. Wie zu erwarten stürmt Caroline auf den Berg hinauf, aber Terry als NIEDERländerin ist das HOCHklettern auf einen Berg nicht gewohnt. Magnus unterstützt sie moralisch, und ich versuche stur mein Tempo zu gehen, komme als zweiter auf den Berg.
Am nächsten Morgen brechen wir zu dritt nach Kuala Lumpur auf, es ist mein viertes Mal in der Stadt, aber das erste Mal das ich tatsächlich mehr sehe als den Flughafen oder den Weg dorthin. Ich übernachte wieder preiswert, meine beiden Begleiterinnen haben ein ganz passables Hostel ausgesucht. KL strotzt nicht gerade vor touristischen Highlights, und wie einige Leser ganz richtig erkannt haben, etwas reisemüde bin ich auch, Caroline geht es nicht anders. Die Petronas Towers – kurzzeitig die höchsten Gebäude der Welt – müssen gesehen werden, den Rest lassen wir in einer Stadtrundfahrt über uns ergehen. Das Essen ist lecker, und auch abends kann man Spaß haben.

Uns ist schon in den Cameron Highlands klar geworden, dass wir für unsere jeweiligen Abflugpläne eigentlich etwas zu viel Zeit haben, und so haben wir uns entschieden, noch nach Melaka zu fahren, statt länger in KL rumzuhängen. Melaka, auf Deutsch wahrscheinlich Malakka wie die angrenzende Seefahrtsstraße, die für Piraten berüchtigt ist, wurde als portugiesische Kolonie gegründet, dann von den Holländern und zuletzt von den Engländern gehalten. Der Reiseführer spricht von unglaublich leckerer Küche, damit kann man uns immer noch locken. Ich lasse die Mädels wieder die Unterkunft aussuchen, und bereue es beim Betreten der Herberge schon wieder. Gut, es ist billig, das Bett ist frisch und sauber, aber ansonsten… Habe ich das wirklich noch nötig? Im Laufe der nächsten beiden Tagen werde ich dennoch versöhnt. Howard, der Besitzer chinesischer Abstammung, ist freundlich, und extrem engagiert, dass seine Gäste sich kennenlernen. Er stellt uns die anderen Gäste im Wohnzimmer vor, darunter Hannah aus Ravensburg, aber wohnhaft in KL, und Erik aus Brandenburg. Heute Abend, kündigt er an, gehen wir alle zum Inder zum Essen, also wer will. Für mittags empfiehlt er noch ein Restaurant, in dem es die beste Laksa geben soll – eine scharfe Kokossuppe mit bunten Einlagen. Wir sind nicht enttäuscht. Obwohl es schon 15:00 ist, finden wir in dem Restaurant kaum einen Platz, und die Laksa ist wirklich genial. Wir bummeln noch ein wenig durch die Stadt, suchen einen Geldautomaten, und ich beobachte ein Baby-Krokodil, wie es in der Kanalisation verschwindet. Am Ende lass ich mich zwar überzeugen, dass es eine ein Meter lange Eidechsenart war, aber ganz sicher bin ich mir nicht…
Am Abend finden sich tatsächlich sechszehn Gäste des Hostels zusammen, und wir gehen geschlossen zu einem indischen Restaurant, welches wohl die meisten Leute kennen, die schon einmal in Melaka waren. Vor dem Restaurant stehen drei große Tandoori-Öfen, in Badewannen wird mariniertes Hühnchen angeschleppt, im Akkord werden Spieße vorbereitet und im Ofen gegart. In einem Ofen wird Naan-Brot gebacken, damit sind insgesamt vier Leute beschäftigt. Es ist eine wunderbar bunte Mischung an Gästen an unserem Tisch – Deutschland ist häufig vertreten, aber eben auch Irland, Holland, Frankreich, Kanada, England, Mexico, Indonesien, Hong Kong und Malaysia. Den Abend lassen wir auf der Dachterrasse des Hostels ausklingen, in wechselnden Zusammensetzungen diskutieren wir bis morgens um vier über Gott und die Welt.

Am nächsten Tag leihen wir uns ein paar Fahrräder aus, und fahren kreuz und quer durch Melaka. Caroline veranstaltet ein kleines Fahrradrennen, Terry und Hannah ist das nach einer halben Stunde zu bunt – sie suchen ein Café auf, und ich will noch ein wenig radeln, aber in eine andere Richtung. So trennen wir uns in drei Grüppchen auf, treffen uns aber pünktlich zum mittäglichen Laksa-Essen. Ich habe mittlerweile beschlossen, am nächsten Tag nach Singapur zu fahren, und das gesparte Geld der letzten sechs Übernachtungen in ein schöneres Hotel zu investieren – wer weiß, was mich im Iran erwartet. Caroline überlegt noch ein wenig, schließt sich dann aber an – ihr Flug geht ein Tag vor meinem ebenfalls ab Singapur.
Singapur ist ein modernes Shopping Paradies. Klar, es gibt auch ein paar Sehenswürdigkeiten, ein paar kolonial geprägte Bauten wie das Raffles Hotel, ein paar modern hergerichtete Lagerhäuser am Clarke Quay und natürlich Chinatown. Aber das meiste an Singapur ist modern, glitzert und ist teuer. Preiswert Essen und Trinken gibt es bei sogenannten ‚Hawkers‘, das sind Straßenhändler, die sich meist aggregieren, damit man auch genügend Auswahl hat. Im Maxwell Street Food Court findet Caroline adequate Dumplings (gedämpft, mit Hühnchen und Gemüse gefüllt), und ich fresse mich ebenfalls fröhlich durch die Stände. Bier kostet hier sechs Singapur Dollar die Flasche, das sind ca. vier Euro. Wir sitzen an einem Tresen, der malerisch eine Hauptverkehrsstraße überblickt; der Schweiß rinnt bei der hohen Luftfeuchtigkeit mit dem Bier um die Wette. Kurz vor dem Hotel beschließt Caroline ein Eis zu wollen, ich warte am Fluss, und dabei geht sie irgendwie verloren. Ich hoffe mal, dass sie sich bei der bisherigen Navigation nicht ausschließlich auf mich verlassen hat, aber im Hotel ist sie nach 10 Minuten nicht. So lerne ich die Umgebung des Hotels um ca. ein Uhr morgens gut kennen, aber nirgendwo finde ich sie. Als ich nach einer Stunde das dritte Mal das Hotelzimmer aufsuche, hat sie sich eingefunden und ist beleidigt, dass ich sie einfach verlassen hätte. Aber ich hab doch gar nicht…. ach egal.
Den nächsten Tag genießen wir den Hotelpool, bummeln ein wenig durch die Stadt, und am Abend treffe ich mich mit Chloe, die ich in Tulamben beim Tauchen kennengelernt habe. Caroline verweigert, weil wir bestimmt in ein total teures Restaurant gehen wollen, und lässt sich nicht überzeugen. So essen Chloe und ich in einem sehr chinesischen Restaurant eine der berühmten singapurianischen Chili Crabs (sehr lecker, aber echt mühsam für die wenigen Brocken echtes Fleisch, und tatsächlich nicht besonders billig), danach gehen wir ins Bankenviertel, wo nach Geschäftsschluss eine Straße abgesperrt wird, und man preiswert Bier und Satay bekommt. Irgendwie kommen wir mit unserer Unterhaltung schnell an all dem üblichen Geplänkel vorbei, und diskutieren am Ende über jeweilige Lebenspläne, Traditionen und Familie im Spannungsfeld der modernen Gesellschaft. Ein sehr netter Abend.
Den letzten gemeinsamen Tag mit Caroline verbringen wir ähnlich ruhig, gehen zum Abschied nochmal in die Maxwell Street, und am Abend verabschiede ich mich von ihr an einer Metrostation auf dem Weg zum Flughafen. Immerhin – wenn ich gar kein Gepäck habe, darf ich ihr kurz den Rucksack abnehmen; vielleicht ist sie ja doch gar nicht so stur. Zur Wiesn, das ist abgemacht, sehen wir uns wieder. Ich treffe mich danach noch mit Sabine und Christoph, wir waren in der Kiesmüllerstraße mal Nachbarn, und Tina, die auch auf Weltreise ist, aber mit ganz anderer Route. Wir quatschen bis tief in die Nacht, Sabine ist Fotografin und wir überlegen ob wir ein Foto/Texter Gespann abgeben könnten, wenn es mit regulären Jobs nicht klappt. Es gibt so viele Möglichkeiten…
Für meinen letzten Tag in Südostasien hätte es eigentlich was ganz besonderes sein müssen, aber irgendwie ist die Luft raus – ich raffe mich immerhin dazu auf, in den botanischen Garten in der Nähe des Marina Sands Hotel zu gehen – die wurden schon mehrfach von Freunden gelobt. Die Anlage ist schön angelegt, es gibt einige Gärten, die nach den typischen Vorbildern der Bewohner Singapurs angelegt sind – chinesisch, indisch und malayisch. Aber das ganz besondere sind zwei Gewächshäuser, in denen andere Klimazonen herrschen. Der Eintritt ist mit umgerechnet fast 20 Euro nicht gerade billig, aber jetzt bin ich schon mal hier. Das erste Haus bildet ein erheblich trockenes Klima nach, hier wachsen Kakteen und Baobabs, aber es gibt auch eine mediterrane Ecke. Der Nebeneffekt des trockeneren Klimas ist dass es erheblich kälter zu sein scheint (oder es ist halt nur, dass der Schweiß plötzlich wirken kann). Jedenfalls könnte ich hier den ganzen Tag zubringen – ich verstehe langsam, warum die Jahreskarte Sinn macht. Das zweite Haus stellt einen Berg-Nebel-/Regenwald nach, mit verschiedenen Ebenen – hier ist es zwar immer noch feucht, aber deutlich kühler, wie es eben weiter oben wäre. Auch nett, aber das erste Haus war schöner. Am Ende bleibt mir noch kurz Zeit für etwas zu essen in Chinatown, dann zurück ins Hotel, wo ich zwar kein Zimmer mehr habe, aber noch den Pool und die dazugehörigen Duschen nutzen kann. Dann begebe auch ich mich zum Changi Flughafen, kurz nach neun geht es auf zur letzten Etappe der Reise. Iran, here I come!
*Anmerkung: Ich bin sehr zufrieden mit meinem Gepäckstück, ein Geschenk von OSRAM zu meinem Jubiläum – die Reisetasche hat große Rollen, und ein komplettes Rucksacktragesystem in einem mit Reißverschluss verschlossenen Abteil. Tatsächlich habe ich die Rucksackfunktion nur ein einziges Mal benötigt, auf Don Det in Laos auf den dortigen Holperwegen.

Angriff des Killerfischs

Der Fisch ist von uns Tauchern offensichtlich irritiert. Wie meine Tauchlehrerin strecke ich ihm meine Hand entgegen, wackle mit den Fingern, und da greift er an, beißt mich. Gut, es ist nur ein Clownfisch, insgesamt nicht viel größer als mein Daumen, und so ist der Biss in den kleinen Finger rein symbolisch, aber dass mich Nemo angreift hätte ich nicht erwartet. Aber so sammelt man Erfahrungen, das ist gewünscht. Ich habe mich auf den Perhentian Inseln zu einem Fortgeschrittenentauchkurs angemeldet, suche vielleicht ein wenig ‚Herausforderung‘, oder hoffe danach ein besserer Taucher zu sein – rein praktisch stehen mir danach auch mehr Tauchausflüge offen, denn der ‚Open Water Diver‘ Schein, den ich bislang habe, erlaubt mir nur Tiefen bis 18m (auch wenn das schon öfters ignoriert wurde). Außerdem – typisch deutsch – kann ich nun auf die Frage: „Und, was haste so gelernt, auf Deiner Reise?“ meinen ‚Advanced OWD‘ Schein vorzeigen, und sagen: „Das“. Um diesen wichtigen Befähigungsnachweis zu erhalten, muss man fünf Spezial-Ausbildungstauchgänge mit einem qualifizierten Lehrer absolvieren, dabei jeweils Sonderprüfungen absolvieren, und auch schriftliche Lernzielkontrollen bestehen. Von den fünf Tauchgängen sind ein ‚Deep Dive‘ und ein ‚Navigation unter Wasser‘ Pflicht, drei weitere darf man sich aussuchen – ich mache vier, Unterwasserfotographie, Nachttauchen, Wracktauchen und ‚Peak Performance Buoyancy‘ – also Spitzenleistung beim Tauchtiefen tarieren. Ich hoffe, Ihr seid jetzt alle beeindruckt. Hört sich leider wesentlich aufwendiger an, als es letztendlich gelebt wird. Man bekommt ein Buch geliehen, und muss einige Schlüsselbegriffe aus dem Buch auf einen kopierten Zettel übertragen: schriftliche Lernzielkontrolle. Mit einem Kompass in der Hand ein Quadrat mit einer Kantenlänge von 20 Metern unter Wasser schwimmen: Sonderprüfung bei Navigation. Auf dem Rücken durch einen Ring unter Wasser schwimmen: Sonderprüfung beim Tauchtiefen tarieren (Gut, das hat wirklich etwas länger gedauert, ohne Hängenzubleiben). Nach den jeweiligen Sonderprüfungen macht man das, was man sonst beim Tauchen auch macht: Fische und Korallen angucken. Auch wenn wir ein paar schöne Ecken sehen, Tauchen in dem Komodo-Archipel und auf Bali hat mich mehr überzeugt. Immerhin ist das Wrack mehr wie man es sich vorstellt – man erkennt vom ‚Sugar Wreck‘ deutlich mehr als von der Liberty – wie die Schiffsschraube, Ladebäume, Teile der Brücke, und offene Laderäume in denen kleine Haie schlafen. Ein paar Aspekte finde ich aber auch irritierend, bis hin zu enttäuschend. So bekomme ich für die Unterwasserfotografie eine kleine Kompaktkamera in einem wasserdichten Gehäuse in die Hand gedrückt. Ob ich mit so einer Kamera umgehen könne? Ja, ich kann, denn ich habe die gleiche ohne Gehäuse. Na prima, also einfach in die richtige Richtung halten und abdrücken. Wie, das war’s? Ich muss schnell feststellen, dass das Gehäuse den Blitz über weite Teile des Bildes abschattet, als ich den Verleiher danach darauf anspreche, meint er dass der Blitz eh nichts bringen würde, und widerspricht danach komplett der Theorie. Aber mit meiner Tauchlehrerin, Dana aus Tschechien, verstehe ich mich gut, und man erlebt immer wieder interessante Episoden – wie auf dem Nachttauchgang ein Blaupunktrochen, der auf der Flucht vor uns mit einem Seeigel kollidiert.
Die Anreise zu den Perhentians ist mittlerweile fast Routine. Schon am Flufhafen in Kuala Lumpur suche ich mir Begleiter – das Päarchen dort, mit deutschem Pass – wo werden die schon hin wollen, wenn sie nach Kota Bharu fliegen? Richtig geraten, und so weiß ich schon im Flieger, dass ich mir mit Jenny und Christian ein Taxi teilen werden, welches uns nach Kuala Besut fährt. Am Flughafen erstehe ich noch einen Adapter für die malayischen Steckdosen – die folgen dem englischen Prinzip mit drei massiven Zinken. Es gibt Adapter nach VDE (Verein Deutscher Elektroingenieure) für 10 Euro, und kleine Plastikadapter nach VDE (versuch’s doch einfach), die mit einem einfachen Trick die Sicherheitsmechanismen der englischen Dosen überlisten, und dann passt ein Europastecker locker. Wichtigstes Transportmittel auf den Perhentians sind übermotorisierte Motorboote – danach braucht man erstmal keine Achterbahn mehr. Problematisch gestaltet sich die Suche nach einer Unterkunft – es ist noch das verlängerte Wochenende vom 1. Mai, und einiges scheint ausgebucht zu sein. Natürlich hat der Ticketverkäufer für Taxi und Überfahrt ausreichende Möglichkeiten in Aussicht gestellt, aber ich werde bei meinem Plan-Resort erst einmal abgewiesen. Auch die nächsten drei, die ich abklappere, haben nix für mich. Zaghaft versuche ich es bei der von mir avisierten Tauchschule (zum Tauchen empfohlen, von der Unterkunft wird eher abgeraten) – die haben nicht nur kein Bett für mich, die haben auch keine Zeit für den Kurs. Ich befreie mich von dem Korsett von Preisvorstellungen und Empfehlungen, und gehe zur nächstbesten Tauchschule – die können es einrichten, dass ich den Kurs mache, und sind mir bei der Unterkunftssuche behilflich. Ihr wichtigster Beitrag ist es, meine Tasche am Nordende des Strandes abzuholen, und mich zu meinem Resort zu fahren – so bleibt mir 30 Minuten Fußmarsch bei sengender Hitze und 100% Luftfeuchtigkeit erspart.
Nach meinem Tauchkurs mache ich noch einen besonders faulen Tag, gehe am Abend mit meiner Tauchlehrerin zum Essen, und organisiere meine Weiterfahrt in die Cameron Highlands. Das ist in Malaysia wirklich kein Kunststück; Speedboat um acht, Minibus um zehn, kein Thema. Alles klappt wie am Schnürchen, ich habe sogar den ganzen Minibus für mich alleine.

Easy Rider – Malaysian Roadtrip

Get your motor runnin‘
Head out on the highway
Looking for adventure
and whatever comes along
Zu der Musik von Steppenwolf beginnt in Easy Rider so ein Roadtrip. Mein Roadtrip durch Malaysia beginnt zu der Geräuschkulisse von auf Chinesisch geführten Handytelefonaten. Es begann eigentlich ganz harmlos:
Nachdem mein Tauchausflug Richtung Sipadan an zu später Buchung scheiterte, beschloss ich auf Pulau Perhentian – einer Insel an der Ostküste Malaysiens noch etwas tauchen zu gehen. Ein adequater Flug würde nach Kota Bharu gehen, mit Umsteigen in Kuala Lumpur. Vielleicht ist es nur mein Eindruck, aber Flugbuchungen im Internet scheinen immer mehr hinter Nebelkerzen zu verschwinden. Man findet (ich auf swoodoo.com) einen recht preiswerten Flug, den man bei verschiedenen Agenten buchen kann. Man wird auf deren Website weitergeleitet, und muss erst einmal fünf Angebote zu Service- und Reiserücktrittsversicherungen wegklicken. Meist ist, der ‚Nein, ich will den Scheiß nicht Button‘ gut versteckt. Am Ende geht es zur Zahlung – meist gibt es eine nominal kostenlose Zahlungsmöglichkeit, die aber erst einmal den Abschluss eines neuen Kreditkartenvertrages mit der Sonder-Reise-Flug-Visa-Karte, die in den ersten zehn Minuten völlig kostenlos für sie ist erfordert. Will man mit seiner eigenen Karte zahlen, verlangt der Agent eine Servicepauschale von 15-40 Euro. Dann schaut man, ob das fünf Euro teurere Angebot vielleicht weniger Service Gebühr verlangt, und verdaddelt dabei Stunden. Jedenfalls ist der Flug irgendwann ausgebucht. Ich will nicht in KL am Flughafen übernachten, und überlege, dass ich ja auch noch nach Penang will. In Penang hat die Firma OSRAM ein Werk, deswegen ist mir die Insel ein Begriff. Der Reiseführer beschreibt sie als Perle des Orients. Gesagt, getan, ich buche den Flug und zahle die Servicegebühr von 15 Euro. Eine ehemaliger Kollegin, Wat-Tang, hat auf meine Abschieds-e-mail unvorsichtigerweise geantwortet, dass wenn ich jemals in der Gegend sei…. Das testen wir doch mal aus. Sie scheint sich wirklich zu freuen, und wir verabreden uns für den Dienstagabend zum Essen. Am Montag Abend um acht lande ich in Penang, ich beschließe die 45-minütige Fahrt nach Georgetown mit dem öffentlichen Bus 401 zu bestreiten. Von der Endhaltestelle laufe ich zwanzig Minuten zu meinem Hotel, welches sich allerdings als recht heruntergekommen rausstellt; gut, dass ich nur für eine Nacht reserviert habe. Irgendwie habe ich den Tag über nur eine labbrige Semmel im Flugzeug gegessen, so muss ich mich um zehn noch einmal schnell auf die Jagd machen. Fündig werde ich im Red Garden Night Market, wo ich nicht nur ein paar gebratene Hühnerspieße bekomme, sondern auch Livemusik – ein asiatisches Päarchen singt und tanzt auf der Bühne. Ich bin weiterhin überzeugt, chinesische Popmusik ist der Versuch, komplizierte Dreiecksbeziehungen (oder Mehrecksbeziehungen) zwischen Katzen in Originalsprache wiederzugeben. Aber ich muss mich ja nicht an alles gewöhnen.
Am nächsten Morgen suche ich mir ein anderes Hotel, setze mein Budget etwas höher an, und werde direkt um die Ecke fündig. Das Museum Hotel ist in einem alten Haus untergebracht, aber die gesamte Einrichtung und auch das Personal sind unglaublich charmant. Seinen Namen hat es daher, dass der Besitzer seiner Sammelleidenschaft hier ein paar Räume gewidmet hat, die Gästen nach Anmeldungen auch gerne gezeigt werden. Er hat sich auf die Kultur der Baba-Nyonyas konzentriert, so werden die Mischfamilien aus chinesischen Händlern und malayischen Frauen genannt, die gegründet wurden, als Monsoonregen die Händler an der Weiterfahrt hinderte. Ansonsten habe ich gerade ein Besichtigungstief – so versandle ich den Tag in meinem schönen neuen Hotel, bis ich abends um sieben Wat-Tang treffe. Sie hätte mich auch in den Red Garden geführt, da ich dort schon war ist es offensichtlich das naheliegendste, ans Festland zu fahren und dort etwas Meeresgetier zu essen. Es hat deutliche Vorteile, mit einheimischen Essen zu gehen. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob es eine Speisekarte gegeben hätte, aber ich hätte mich sicher nicht getraut, das ganze zu bestellen. Es gibt Chili Crab, fritierte Prawns, fritierte Fische und noch etwas Tofu. Zu der Krabbe wird ein kleiner Holzhammer geliefert, aber trotzdem ist es echte Arbeit, an die leckeren Fleischstücke zu kommen. Da sind die frittierten Prawns und Fische schon einfacher. Sie werden am Stück gegessen, wobei mir WT erklärt, dass der Fischkopf das leckerste ist. Also probieren wir’s – Fisch mit Haut und Haaren, äh Kopf und Schuppen. Das ganze mit ordentlich Bier runtergespült, dabei ein malerischer Blick auf den Containerhafen und die Insel Penang. Es ist ein wirklich netter Abend, und WT lädt mich für den nächsten Tag wieder ein. Da schaffe ich immerhin einen etwas ziellosen Spaziergang durch Georgetown, besuche das Hotelmuseum, und dann machen Wat Tang und ich uns wieder auf in die Stadt. Wir besuchen einen ungemütlichen Nachtmarkt, kaufen etwas Take-Away mit Schweinefleisch und fahren dann zu einem zweiten Nachtmarkt am Ufer wo wir den Rest einkaufen, der dann Halal ist. Bei so etwas spürt man die kulturelle Vielfalt Malaysias, wo 50% der Bevölkerung Muslimisch ist, und die größte Minderheit Chinesen. Mit Wat Tang erlebe ich wohl eher die chinesische Seite, mit dem dann folgenden Karaoke Abend auf konzentrierte Art und Weise. Ich muss mir für solche Abende mal ein einfaches Lied suchen, welches ich unter Zwang dann nehmen kann – auf meine Interpretation von „Me and Bobby McGee“ wäre Janis wohl nicht stolz.
Obwohl der Abend lang wird, steht am nächsten Morgen pünktlich um neun WTs silbergraue Mercedes E-Klasse (17 Jahre alt und 270 tausend Kilometer auf der Uhr) vor dem Hotel. Es ist Donnerstag, der erste Mai, und auch in Malaysia wird der Freitag als Brückentag genutzt. WT wollte nach Alor Setar fahren, ca. 1½ Stunden weiter im Norden. Sie ist dort aufgewachsen, und ich nutze die Chance, mal echt einheimische zu erleben. Außerdem meint sie, dass ich von dort aus genauso gut einen Bus in die Cameron Highlands erwischen kann, welches ich als mein nächstes Etappenziel identifiziert habe. Mit im Auto sitzt Yvonne, die Tochter einer Verwandten – glaube ich jedenfalls. So ganz blicke ich immer noch nicht durch. Nach meinem Verständnis kann mir WT ein Hotel in Alor Setar empfehlen, aber bis dahin erleben wir halt noch etwas zusammen. Die Gegend ist offensichtlich die Reisschüssel des Landes, und es gibt ein großes Museum zu dem Thema. Höhepunkt ist ein naives Panoramabild in einem runden Raum, den man auf einer sich drehenden Plattform sitzend beobachten kann. Das Bild stellt tatsächlich präzise das Umland des Museums dar, nur dass eben überall etwas passiert, was man zur Kinderbildung nutzen kann – es wird also Reis gepflanzt, geerntet, gedroschen und gehandelt. In anderen Räumen des Museums werden andere Aspekte der Nutzpflanze und deren Kultivierung thematisiert. Wir fahren weiter durch Alor Setar, und sammeln eine Cousine ein, und fahren dann in ein authentisches chinesisches Restaurant – ich freue mich, dass ich nicht bestellen muss. Wobei ich den Fischkopf, über den sich meine drei Begleiterinnen begeistert hermachen, vielleicht auch gar nicht gebraucht hätte. Mittlerweile wird noch ein Onkel ins Spiel gebracht, bei dem man möglicherweise übernachten könnte, und es erscheint, als ob Busse in die Highlands besser von Ipoh – ca. drei Stunden weiter südlich – zu erreichen sind. Und da wolle man am nächsten Tag eh dran vorbeifahren, das würde doch ganz gut passen. Ich bin etwas verwirrt, aber werde mich nicht verunsichern lassen. Wat Tang scheint fest entschlossen, auf mich aufzupassen. Wir fahren Yvonne und die Cousine zu deren Haus, und besuchen Kin, eine alte Freundin von WT. So sehe ich mein erstes malayisches Privathaus von innen, durchaus angenehm, bis auf die Hocktoilette. Ich erfahre das eigentliche Ziel von Wat Tangs Reise – man will in Kuala Lumpur ins Kasino gehen, und Kin fährt auch mit. Wir sammeln die Cousine wieder ein, und fahren zum Onkel. Der wohnt allerdings nicht in Alor Setar, sondern etwas südlich von Penang. Mittlerweile scheint der Plan eher zu sein, in Ipoh zu übernachten. Ich registriere die Planänderung kaum noch. Es wird schon werden. Bei dem Onkel sehe ich mein zweites Privathaus, dieses allerdings mit einer Wester-Style Toilette. Onkel zieht sich noch was an, und wir fahren weiter nach Süden, mittlerweile zu fünft im Auto. Immerhin sind die Straßen gut ausgebaut – die meiste Zeit fahren wir auf einer Autobahn. Was Malaysia allerdings wirklich brauchen könnte wären serienmäßige Spurhalteassistenten, da wäre was geboten in den Autos – mir schwebt ein Bild vor Augen, wie eine monotone Stimme ständig wiederholt „Bitte Spur halten“, ähnlich wie das sich ständig wiederholende „Wenn möglich bitte wenden“, wenn man mal wieder sein Navi ignoriert. Hinten im Auto wird telefoniert, eine lebhafte Diskussion auf Chinesisch kommt auf. Es stellt sich heraus, dass Kin ein Haus in Kuala Lumpur hat – und das könnte man auch heute noch erreichen – wäre das auch für mich OK? Mein geistiges Ohr hört das Geräusch einer Toilette, welche gerade meine bisherigen Pläne runterspült. Aber so eröffnen sich ganz andere Möglichkeiten, also – gerne!
Aber erst einmal muss gegessen werden. Meine Chinesen kennen ein tolles Fischlokal in Pantai Remis, und glauben auch zu wissen, wie man da hinkommt. Aber hat es auch am 1. Mai offen? Es wird debattiert, ob jemand die Telefonnummer hat. Ich versuche mich nützlich zu machen, und lande einen perfekten Zufallstreffer auf TripAdvisor. Ja, der Laden hat offen. So biegen wir von der Autobahn ab und fahren eine dreiviertel Stunde an die Küste. Auch hier – sehr leckeres Essen, aber auch ein paar recht gewöhnungsbedürftige Speisen, die ich selber nicht bestellt hätte. Nach dem Essen – es ist mittlerweile 20:00, machen wir uns weiter auf den Weg. Die Scheinwerfer des alten Mercedes sind nicht mehr die Besten, und so fährt WT die meiste Zeit mit aufgeblendeten Scheinwerfern – Abenteuer muss sein. Zum Abenteuer gehört offensichtlich auch die Route, es wird diskutiert, ob man etwas direkter auf der Landstraße fährt, oder lieber einen kleinen Umweg und wieder auf die Autobahn. Auch wo man tatsächlich jetzt abbiegen müsste, wird kontrovers diskutiert. Ich zücke wieder mein Schlautelefon, und lasse mir zwischen Funklöchern die Route berechnen. Ich schummle ein wenig, weil mir die Fahrerei nachts auf der Landstraße eher unsicher erscheint, und gebe den Navigator. Wenn möglich bitte wenden, in 2,8km rechts abbiegen, so lotse ich unser Schiff sicher nach Kuala Lumpur, wo wir schließlich um 23:00 ankommen. Auf dem Weg plane ich neu: Ich fliege von KL auf die Perhentian Inseln, und fahre dann mit dem Bus über die Highlands wieder zurück – und den Flug für den nächsten Morgen buche ich auch gleich. Der Plan mit dem Haus von Kin ist mittlerweile vom Tisch, wir übernachten bei dem Bruder der Cousine. Erst später wird mir klar, dass der Bruder der Cousine auch der Sohn des Onkels ist. Leider ist der Bruder noch nicht daheim, er arbeitet beim Fernsehen und es muss noch eine kommende Sendung geplant werden. Als er nach einer halben Stunde kommt, gibt es ein großes Familienwiedersehen. Offensichtlich geht es dem Bruder – Christopher Lo – gar nicht schlecht. Er wohnt in einem schicken Townhouse, und ich bekomme ein Platz auf dem Sofa im Gästezimmer. Es stellt sich heraus, dass er erst am Morgen aus Berlin zurückgekommen ist. Wir unterhalten uns noch zwei Stunden, dann gehe ich ins Bett – mein Taxi kommt am nächsten Morgen um sieben.

Muslim Wet T-Shirt Contest

Noch sieht man den Wasserfall noch nicht, aber man hört das Rauschen. Man tut sich zwar auch dabei etwas schwer, denn meist wird das beruhigende Rauschen von lautem Mädchengelächter und Gekreische übertönt. Es hört sich an, als würde dort die Klassenfahrt der Oberstufe des Royal Brunei Gymnasiums stattfinden. Man hört wildes Geplansche. Bilder von in dürftigen Bikinis bekleideten asiatischen Schönheiten, die ausgelassen im Wasser herumtollen, setzen sich in meinem Hirn fest. Spring Break im Dschungel von Borneo. Durch das Bachbett stapfend umrunden wir die letzte Biegung vor dem Wasserfall. Krrrrrscht. Fast hörbar zerspringt das geistige Bild, Brunei Darussalam ist ein streng muslimisches Land. Es sind zwar junge Frauen, die dort im Wasser planschen, aber züchtig bekleidet, wie sich das gehört. Kopftuch, langärmelige Oberteile und Kunstfaserjogginghosen. Zusammen mit ihren männlichen Kollegen wird das kalte Wasser lamentiert, mit einem Selfie-Stick (gibt’s das in Europa schon? Der asiatischen Vorliebe für Massen-Selbstportraits wird mit einer langen Stange gefrönt, mit der man das am Ende befestigte Handyfoto auslösen kann. So passen mehr Leute aufs Bild) wird der denkwürdige Moment festgehalten. Meine Begleiter und ich sind von dem ca. vier Meter hohen Felsen, von dem sich ein kleiner Bach todesmutig hinunterstürzt, nicht sonderlich beeindruckt. Katrin und Michael haben länger in Darwin gearbeitet, kennen den Litchfield National Park mit seinen wunderschönen Wasserfällen und dazugehörigen Badepools, und sind von der 25 Quadratmeter großen Pfütze, deren Wasser durch 34 Asiaten aufgewühlt ist, eher enttäuscht. Immerhin gibt es hier kostenlose Fußpflegefische, die sich toten Hautpartikeln mit aggressivem Hunger widmen. Umkleiden gibt es keine, und obwohl ich mich auf die Erfrischung gefreut habe, lädt das trübe Wasser nicht hinreichend ein, um sich irgendwo im Dschungel wild umzuziehen. So lassen wir unsere Füße weiter beknabbern, und beobachten das laute Treiben. Angesichts der dunklen Kleidung, die zwar nass, aber sackartig, die jungen Damen verhüllt, kommt auch nicht die billige Erotik eines Wet-T-Shirt-Contests auf.
Der Ausflug zum Wasserfall ist Teil der Tour zum Ulu Temburong Nationalpark, eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten von Brunei Darussalam. Für mich begann er asiatisch-typisch mitten in der Nacht – um kurz vor sieben – an der Schnellbootanlegestelle von Bandar Seri Begawan. Wenigstens strebt niemand an, den Sonnenaufgang im Dschungel zu erleben, so dass ich immerhin bis sechs schlafen konnte. Mit einem Schnell-Boot-Bus fahren wir von BSB nach Bangar. Brunei als Land ist in zwei Teile geteilt, die auf dem Landweg nicht verbunden sind, so dass das Boot die einzige Möglichkeit ist, um nicht kurz in Malaysien ein- und auszureisen. Mit 65 km/h treibt der Fahrer das Boot über den Bruneifluss und durch enge Kanäle im Mangrovenwald, mehr als je zuvor erinnert mich die Fahrt an „Apocalypse Now“. Eigentlich nicht überraschend, der Film wurde auf den Philippinen gedreht, und die sind hier ja nur um die Ecke. Auch die Geschwindigkeit, und die Art in der sich das Schnellboot in die Kurven legt, erinnern an das PBR von Chief Quartermaster Philiips. Nach ca. vierzig Minuten Fahrt kommen wir in Bangar an, wo uns eine lebhafte muslimische Führerin in Empfang nimmt. Meine Begleiter hier sind Audrey und Tom aus Australien/England, und wir fahren mit dem Auto zu einer Ecolodge. Hier bekommen wir einen Kaffee zum Frühstück (Instantkaffee mit künstlichem Weißer und Zucker gleich ins Packerl gemischt), und treffen noch Mario, Katrin und Michael, die hier zwei eher ereignislose Nächte verbracht haben. Danach werden wir in zwei Langboote verfrachtet, die den Fluss mit seinen Stromschnellen zum Nationalpark hinauffahren. Brunei ist ein reiches Land, und hat einen großen Teil seiner geringen Landfläche zum Nationalpark erklärt – so ist die Natur wunderschön und unberührt, ein echter Genuss, wenn auch ein unaufdringlicher. Um etwas mehr Aufregung zu bieten, wurde der Canopy Skywalk am Ende eines Jungle-Treks auf einer Hügelspitze errichtet – 60 Meter Alubrücken in der luftigen Höhe von ca. 50 Meter. Die Brücken werden von fünf Baugerüsttürmen aufgeständert, der Aufstieg erfolgt wie eben bei Baugerüsten üblich – mit Leitern zwischen den drei Meter Etagen. Dankenswerterweise ist ab acht Metern Höhe das Gerüst zusätzlich mit einem Drahtgitter umhüllt, dennoch wackelt die gesamte Konstruktion am oberen Ende merklich – es kostet mich reichlich Überwindung, den Turm zu erklimmen, und auch ein Foto ohne festklammernde Hände auf einer der Brücken ist nicht typisch für meine Haltung in der Höhe. Die Führerin hat uns vorher ein Safety Briefing gegeben, maximal fünf Leute gleichzeitig auf dem Turm. So trennen wir unsere Gruppe, und ich bin etwas überrascht, als uns – zu viert steigend – plötzlich vier asiatische Mädels entgegen kommen, die wegen ein paar Bienen umgekehrt sind. Der Blick von oben ist hübsch, keine Frage, man ist auf Augenhohe mit den Baumwipfeln, und sieht über grüne Hügel hinweg. Viel mehr sieht man allerdings nicht. Keine Affen schwingen sich an Lianen von Ast zu Ast, keine prächtigen Vögel zwitschern im Blattwerk – nur grüne Baumwipfel. Ich hab mich auch bei meinen Mitkletternden rückversichert – es ist nicht nur mein Höhenangstunwillen, der meine Wahrnehmung einschränkt. Der Begriff Trek ist übrigens auch nicht ganz passend – die achthundert Stufen von der Anlegestelle zum Canopy-Walk sind in einer guten Viertelstunde bewältigt, vier Schutzhütten auf dem Weg sorgen für Sicherheit und Pausen. Audrey und Tom haben bei der Buchung erzählt bekommen, lange Kleidung und festes Schuhwerk zu tragen, bei 35° und 100% Luftfeuchtigkeit sehen sie dementsprechend aus, aber auch der Rest von uns tropft fröhlich vor sich hin. Da hört sich jetzt der Wasserfall eigentlich sehr verlockend an.
Am Ende bekommen wir noch ein Mittagessen, besuchen ein traditionelles Langhaus und fahren mit dem Schnellboot zurück. Katrin, Michael und Mario wohnen um die Ecke, und wir verabreden uns um am Abend die Stadt unsicher zu machen. Ein großes Vorhaben in Bandar Seri Begawan – für das Nachtleben ist die Stadt nicht bekannt.
Meine Eindrücke bisher: Ich bin am Freitag kurz vor Mitternacht angekommen, komfortabler Flughafen, entspannte Einreise, aber auf mich wartet niemand. Bei der Hotelbuchung habe ich das Kommentarfeld genutzt, um den angepriesenen Flughafenshuttle zu erbeten – das hat wohl nicht geklappt. Problem: kein Geldautomat, kein Internet, keine Ahnung. Ein verlassener Taxischalter weist Preise in die Stadt aus, mein Hotel soll 30 Bruneidollar kosten, das sind jetzt – ja was denn eigentlich? Ein Taxifahrer spricht mich an, ich frage, ob er auch US-Dollar nimmt, und er rechnet schnell: Ja, kostet 25 USD. So weit ist die Stadt doch gar nicht – ich wittere Beschiss. Aber meine Währungsapp lässt die Umrechnung plausibel erscheinen, und so schlage ich notgedrungen ein. Die Fahrt dauert sieben Minuten, Bruneis Straßen sind verlassen. Ich bemerke sarkastisch, dass 25 USD für sieben Minuten doch recht extrem sind, aber der Fahrer zuckt nur mit den Schultern – so viel Englisch würde ich dann auch nicht verstehen. Auch das Hotel bestätigt die Richtigkeit der Preisfindung. Offensichtlich keine typischen südostasiatischen Preise mehr. Ich habe mir diesmal etwas mehr Hotel gegönnt, auch die billigen waren hier recht teuer, da durfte es auch mal wieder ein echtes sein. Ansprechender Business-Standard, auch hier wird die Toilette beim Duschen nicht nass.
Am nächsten Morgen – cum tempore – gucke ich mich mal in der Stadt um.
Brunei Darussalam ist sorgfältig und teuer angelegt, aber für die ständige Wartung fühlt sich niemand verantwortlich. So wirkt es prachtvoll, aber auch ein wenig heruntergekommen. Die Architektur ist asiatisch muslimisch, erinnert somit auch an den mittleren Osten. Obwohl dieses Land pro Kopf eines der reichsten Länder Südostasiens ist, ist das Straßenbild eher von Kleinwägen geprägt, einige davon auch schon eher in die Jahre gekommen. Ich überschlage kurz: ca. 16 Mrd. USD Bruttoinlandsprodukt, für ungefähr 400.000 Einwohner, macht 40.000 BIP pro Kopf – doch eigentlich ganz gut. Allerdings – der Sultan ist ja auch einer der Einwohner, und dessen Palast sieht nicht nach 40.000 Dollar Einkommen aus. Es kann gut sein, dass die Familie des Sultans erstmal über die Hälfte des Geldes bekommt, und dann erklärt sich das Straßenbild auch eher. Immerhin für das geistige Wohl ist gesorgt – BSB wird von der Omar Ali Saifuddien Moschee dominiert, die ich in einem geliehenen Mantel auch innen ansehen – aber nicht fotografieren – darf. Danach gebe ich mir noch einen Ruck, miete mir mein persönliches Wassertaxi für eine Stunde. Wir fahren am Sultanspalast vorbei (den man kaum sieht), und halten im Dschungel ein Kilometer weiter flussabwärts nach den hier wohnenden Langnasenaffen Ausschau. Die Affen waren ein Tipp vom Bootfahrer, es ist ihm recht arg, dass wir erst gar keine sehen. Schließlich erbarmt sich ein Affe 100 Meter weiter im Dschungel, und klettert laut kreischend aus einem Baum hinab – für ein Foto reicht’s nicht, aber immerhin glaube ich jetzt dem Fahrer, dass es hier welche gibt. Auf dem Rückweg in die Stadt sehen wir noch ein Krokodil in freier Wildbahn, hier gibt es immerhin ein gutes Foto von dessen Hinterteil, wie es gerade im Wasser verschwindet. Danach drehen wir noch eine Runde durch das Dorf am anderen Flussufer, hier stehen die ganzen Gebäude aufgeständert im Fluss. Der Fahrer zeigt mir stolz die ganzen Schulen, offensichtlich ist die soziale Infrastruktur gut entwickelt, und der Sultan tut seinem Volk einiges Gutes. Sorgfältiges Studium meines Reiseführers und eine Überprüfung meiner Motivation ergibt, dass sich damit BSB für mich erledigt hat.
So genieße ich mein schickes Hotel, indem ich versuche den nächsten Teil meiner Reise im Internet zu planen – leider klappt mein schicker Plan gar nicht: Ich hatte überlegt auf der Insel Borneo zu bleiben, und an deren östlichem Ende in Sipadan in ‚einem der besten Tauchreviere der Welt‘ etwas zu tauchen, vielleicht ein wenig auf der Suche nach Orang Utans durch den Regenwald zu laufen, und den Mt. Kinabalu zu erklimmen. Leider stellt sich heraus, dass die meisten dieser Aktivitäten auf Wochen hinaus ausgebucht sind, und so schreibe ich den Rest von Borneo auf meine Bucket-List und kümmere mich um einen Flug auf die Malayische Halbinsel. Auch hier finde ich für den Tag danach nicht die volle Auswahl an Flügen zu günstigen Preisen, und so schleiche ich mich erstmal zum Abendessen. Wir fahren mit einem Taxi (öffentliche Busse haben um sechs den Betrieb eingestellt) in ein anderes Stadtviertel, wo ein Nachtmarkt mit kulinarischen Genüssen lockt. Für einen Brunei-Dollar (ca. 0,60€) bekommt man hier einiges geboten, wie vier kleine Satay-Spießchen. Perfekt, da wir zu viert unterwegs sind, und so fressen wir uns für kleines Geld durch ungefähr sechs verschiedene Speisen, nicht alles ist uns ganz geheuer. Besonders perfide sind kleine von Pfannkuchenteig umhüllte Thunfischbällchen, die danach mit seltsamen dünnen Flocken serviert werden. Die Flocken könnten extrem dünn geschnittener Speck sein (oder Fisch, wahrscheinlich in einem muslimischen Land), und durch die Wärme und Feuchtigkeit der Bällchen krümmen und winden sie sich – so sieht unsere Schachtel aus, als würde sich noch leben.
Nach dem Nachtmarkt laufen wir noch an der Jame’Asr Hassanil Bolkiah Moschee vorbei – hier hat ein späterer Sultan sich ein imposantes Denkmal gesetzt – und versuchen dann ein Taxi für die Rückfahrt in unser Viertel zu finden. Etwas verloren stehen wir vielleicht zehn Minuten am Straßenrand, als schließlich ein Auto hält. Eine Frau, die bei ihrem Urlaub in Europa freundlich behandelt wurde, will den Gefallen zurückgeben, und fährt uns wohin wir wollen – dabei unterhalten wir uns nett, bieten ihr an, uns per Mail zu kontaktieren, wenn sie mal in Deutschland wäre. Wie bieten ihr auch noch an, einen Tee im angesagtesten Szenelokal von BSB mit uns zu trinken, aber sie lehnt freundlich ab. So sitzen wir in dem Café mit eisgekühltem Zitroneneistee und philosophieren über das Erlebte, und das Wesen von Urlaubserinnerungen. Sehr mutig, einfach mal vier Anhalter mitzunehmen, drei davon männliche Schränke (ich bin halt ein breiter Schrank), aber wir sind uns einig: Dieser ‚random act of kindness‘ war der Höhepunkt des Tages. Soviel zum Thema Reizüberflutung im Urlaub.

Ein kulinarischer Abschied von Indonesien

Nach der erfolglosen Umbuchung meines Fluges bleibe ich faul im Hotel. Ich nutze die Zeit, ein paar Fotos der vergangenen Woche zur Veröffentlichung auszuwählen. Nun brauche ich nur noch eine vernünftige Internetverbindung. Obwohl weder mein Hotel, Jogjakarta, Java noch Indonesien mehrheitlich Buddhistisch sind, so scheint es das Internet hier zu sein. Es lehrt einem Geduld und Ruhe, und die meisten Bits und Bytes verschwinden offensichtlich im Nirvana. Außerdem springe ich ein wenig in den Hotelpool, und mache ein entspanntes Nickerchen.
Am Abend besuche ich meinen Kochkurs. Da ich der erste Teilnehmer war, durfte ich die zwei Gerichte aussuchen, und Sophie und Michael aus England müssen das halt jetzt auch kochen. Für Michael wäre wohl Wasser kochen eine Herausforderung, und Sophie scheint auch keine passionierte Hobbyköchin zu sein. Auch sonst gibt es kleine Unterschiede: Als Madé fragt, ob wir gerne scharf essen, nicke ich begeistert, und Sophie schüttelt genau so heftig den Kopf. Wir finden einen Kompromiss: Die Lehrerin bringt mir noch ein Sambal bei, mit dem ich mein Essen nachschärfen kann. Es ist kein Sambal Oelek, aber ich weiß nimmer was es davon unterscheidet. Möglicherweise die etwas streng riechende Shrimppaste. Auch allgemein lernen wir mehr als die beiden avisierten Gerichte, um das Menü abzurunden. Madé hält sich nicht unbedingt an ihre eigenen Rezepte, und gibt viele Tipps neben dem, was auf den drei Blättern geschrieben war. Deshalb muss ich dringend – solange die Erinnerung noch frisch ist – die Rezepte von den dahingekritzelten, fettbefleckten Zetteln abtippen. Nebenbei kommt Ihr so in den Genuss, sie hier zu lesen und ggf. auszuprobieren. Übrigens hat das Hühnchen, welches der entscheidende Anstoß zu dem Kurs war, selbstgemacht in keinster Weise so gut geschmeckt wie am Tag zuvor. Aber ich glaube zu wissen, woran das liegt (das knusprige Huhn zu grob geschnitten, zu lange danach in der Sauce weich geworden, und viel zu wenig Sauce per se) – bei mir wird’s wieder lecker.
Ayam Goreng Mentega
500g Hühnchen in Nuggetgröße schneiden (ketzerischer Gedanke: kommerziell erhältliche Nuggets nehmen, wenn man keine Lust zum frittieren hat), mit Salz u Pfeffer würzen, in Eiweiß wenden, und dann in Mehl. Goldbraun rausfrittieren und beiseite stellen.
½ Zwiebel, insgesamt 1 ½ Paprika (bunt), (wir haben statt dessen milde Chilis genommen) in Ringe / Julienne schneiden.
2 Knoblauchzehen und gleiche Menge Ingwer anquetschen.
Sauce: Je 1 EL Worchester, Sesamöl, Austernsauce, Ketjap Manis, Tomatenketchup (evtl. mehr Ketjap Manis, und nmE ungefähr die dreifache Menge von der ganzen Sauce für das Gericht)
Knoblauch und Ingwer in Butter andünsten, Gemüse dazu, evtl. etwas Wasser oder Hühnerbrühe, garen. Dann die Hühnchenstücke und die Sauce zugeben, mischen, mit Salz und Pfeffer nach Geschmack würzen und servieren.
Sambal irgendwas (selbstgemacht)
2 Schalotten, 1 Knoblauchzehe, 1 große (milde) Chili, viele kleine scharfe Chilis (sieben bei mir), 1 kleine Tomate, eine Messerspitze Shrimppaste. Alles außer den kleinen Chilis grob zerkleinern, alles zusammen braten. Das gebratene im Mörser zermanschen, wenn’s haltbar sein soll, nochmal kräftig erhitzen.
Nasi Goreng
250gr. Short-grain Reis, etwas al dente gekocht (hier: 1,5 Tassen Reis, waschen, mit 2,5 Tassen Wasser, nicht gesalzen, offen 10 Minuten kochen, bedeckt 10 Minuten über niedrigster Hitze), abgekühlt (oder halt übriggebliebener Reis von irgendwann, dafür ist das Gericht ja ursprünglich da)
Gemüse: kleine Mengen buntes Gemüse wie Karotte, Bohnen, Paprika, milde Chili: klein schneiden.
½ Zwiebel, 2 Knoblauchzehen, Frühlingszwiebel, Selleriegrün (das so aussieht wie Petersilie): klein schneiden.
Sauce: Jeweils Teelöffel – 2 Ketjap Manis, 1 Tomatenketchup, 1 Austernsauce, 1 Sesamöl.
Zwiebel und Knoblauch anbraten, Frühlingszwiebel und Selleriegrün dazu (in meiner Erinnerung hat sie dann noch ein gerührtes Ei in die Pfanne getan, welches nach meiner Logik alle bisherige Zutaten zu recht kompakten würzigen Rühreiklumpen binden müsste – das muss ich nochmal selber ausprobieren)
Nach Wunsch: ein paar Krabben gebratenes Fleisch hinzugeben.
Das geschnittene Gemüse hinzufügen, etwa halb fertig garen.
Reis und Sauce dazugeben, mischen, Salz und Pfeffer nach Geschmack, fertig.
Ggf. mit einem Spiegelei und etwas Krupuk garnieren.
Tempe in Karamell
Ca. 200gr Tempe (gibt’s das in Deutschland? Sojabohnen zusammenfermentiert, ergeben einen relativ festen Kuchen, werden im Ritter Sport Format verkauft – sonst meint die Lehrerin, könne man auch Kartoffel oder Süßkartoffel nehmen) in dünne (2mm) Scheiben schneiden, knusprig braten (o. frittieren)
2 Schalotten, 1 Knoblauchzehe in Scheiben, auch knusprig braten.
Ein paar geröstete, nicht gesalzene Erdnüsse bereitstellen.
2 EL Palmzucker (oder brauner Zucker) mit Chilistreifen und etwas Wasser (Limettensaft für süß-saure Note) erhitzen, wenn der Zucker karamellisiert, allen Krempel von oben rein und umrühren.
Sambal Goreng Sayur (Gemüsecurry)
Je 100gr. Bohnen, Karotten, Kartoffel, Blumenkohl (oder beliebiges anderes Gemüse – zB geschälte Aubergine) in Würfel mit ca. 1cm Kantenlänge schneiden.
500g Kokosmilch bereitstellen (Kokosmilch = 1 Teil Kokoscreme + 4 Teile Wasser)
Currypaste: 5 Schallotten, 5 Knoblauchzehen, 5 Chilis, 5 Makadamia-Nüsse (o. Mandel o. Cashews), 1 cm frischer Kurkuma
‚Kräuter‘: Lorbeerblatt, 2 Stängel Zitronengras, etwas Galangal (eine Art Ingwer, aber doch anders), Kaffir-Limettenblätter, alles gequetscht um das Aroma abzugeben, wird danach aber rausgefischt.
Currypasten-Zutaten im Mörser zerkleinern, dann mit den ‚Kräutern‘ und 3 EL Öl anbraten, etwas Wasser dazu. Wenn die Aromen frei sind (also die Küche stinkt), das Gemüse hinzufügen, weiterbraten. Dann Kokosmilch hinzufügen, ca. 10 Minuten weiterköchlen, mit etwas Salz, Pfeffer und Zucker abschmecken.
Guten Appetit!
Am Freitag verabschiede ich mich von Jogjakarta und ein paar Stunden später von Indonesien. Ich habe am Ende die 30 Tage meines Visas fast ausgenutzt, welches mich überrascht. Indonesien, so stelle ich fest, wäre eine eigene Reise wert. Zwar habe ich besonders in Bali viel Zeit mit Entspannen verbracht, aber es gibt noch viel zu sehen. Riesige Inseln wie Sumatra fehlen gänzlich, und wurden in Erzählungen anderer Reisende wortreich gelobt. Dabei ist die Bandbreite das aufregende: Mondän-touristisches Bali, und Flores, welches noch eindeutig dritte Welt ist. Als Kontrast dazu dann wieder wuselige Städte wie Jogja oder Jakarta (wo ich nur den Flughafen gesehen habe). Die Insel Borneo sehe ich ja bald in der Form von Brunei und später Malaysien.
Die drei Segmente des Fluges bieten sogar einige kleine Neuigkeiten: Über Java sehe ich das erste Mal bewusst, wie unser Flugzeug einer Wolke ausweicht – gut verständlich bei der riesigen Gewitterwolke, die ich dann aus dem Seitenfenster sehe. Nach der recht harten Landung in Kuala Lumpur entschuldigt sich der Pilot mit dem Hinweis, dass die kurzen Landeabstände hier zu Turbulenzen geführt haben. Nach der Landung in KL wartet ein freundlicher Herr beim ankommenden Gate und drückt mir meine Bordkarte für den nächsten Flug in die Hand – das Boarding hat laut der Karte vor einer halben Stunde begonnen. Ich haste durch das Terminal, doch so heiß wird die Suppe nicht gegessen. Boarding ist hier eher ein Pre-Boarding, man wird also ein Wartezimmer weiter vor gelassen, und da sitzen noch alle entspannt rum.
Next Stop: Bandar Seri Begawan in Brunei Darussalam. Ich bin gespannt. Das Land ist streng muslimisch, ein gutes Training für den Reiseabschluss im Iran. Schon im Flugzeug erkennt man einige Details. So ist neben den üblichen Details auf dem Bordmonitor wie Flughöhe und diversen Landkarten auch immer wieder angezeigt, in welcher relativen Richtung zum Flugzeug Mekka liegt. Ich bin ja gespannt, was hier zu Gebetszeiten los wäre – Mekka liegt schräg hinter uns, recht unpraktisch, sich im Flugzeug in die Richtung blickend hinzuknien.

Tod am Prambanan

Ramayana Ballet, Prambanan, 19:53. Der Todeskampf ist im vollen Gange. Eine alte Geschichte, ein Großer gegen viele Kleine. Immer wieder bäumt sich der Große auf, schlägt wild um sich, und lässt die Kleinen hinter sich. Doch die sind unerbittlich, folgen ihm, greifen wieder an, bedrängen ihn immer weiter. Die Gamelan Musik aus Gongs und Metallxylophonen nähert sich einem Höhepunkt, und ich widme meine Aufmerksamkeit wieder dem Geschehen auf der Bühne. Hier hat Rahwana eben den Vogel Jatayu besiegt, der ihn an der Entführung von Shinta hindern wollte. Rama findet den sterbenden Vogel, denkt erst dass er die Prinzessin Dewa Shinta entführt hat, will ihn demnach töten, wird aber durch Leksmana daran gehindert und erfährt die wahren Hintergründe der Entführung, und trifft dann den weißen Affen Hanuman. Zwar kann ich diesmal der völlig wirren Geschichte etwas besser folgen, aber so richtig packt es mich nicht. Neben der Bühne hingegen, da geht es wirklich um Leben und Tod, und so wie es aussieht wird der Falter verlieren. Immer kürzer werden seine geflatterten Flugstrecken, und sofort folgen ihm die kleinen Ameisen, die höchstens ein Zehntel so lang sind wie das Fluginsekt. Es ist wie der Stoff für einen zweit- oder drittklassigen Horrorfilm, Angriff der Killerameisen. So habe ich das noch nie beobachtet, wie Ameisen ein wesentlich größeres Tier jagen. Mittlerweile zappelt der Falter nur noch ein wenig, und wird von immer mehr Ameisen umringt, die ihn dann säuberlich zerlegen, und in ihr ein Meter entferntes Nest unter den Bühnenbrettern transportieren. Das Geschehen auf der Bühne wird unterbrochen, kurze Pause. Als ich nach zehn Minuten auf meinen Platz zurückkehre, ist der Falter restlos verschwunden. Ich denke, das waren die Ameisen, aber vielleicht hat auch ein Raumpfleger die verdiente Beute einfach weggekehrt. Das Ramayana Ballet geht weiter. Shinta widersetzt sich den Avancen von Rahmana, der Affe Hanuman wird gefangen und auf dem Scheiterhaufen verbrannt, kann aber dank Magie das Feuer umkehren und damit den Palast von Alenka abbrennen. Das ist meine dritte Indonesische Tanzaufführung, und sie gefällt mir nicht so gut. Der Jegog Tanz hatte mehr anmutigere Tänzerinnen, und der Kecak faszinierte durch sein tschack tschack Acapella Untermalung. Mittlerweile hat Rama Hanuman, Hanggada, Hanila und Jembawan befohlen, Alenka anzugreifen, und Kumbakana, der jüngere Bruder von Rahwana stirbt als Held. Ich schaue neben mich – Jeanine schläft seelenruhig und Steve folgt tapfer dem Geschehen auf der Bühne, obwohl auch er völlig am Ende ist. Die beiden sind am Tag zuvor aus Chicago angereist, und geben sich mit mir das fünfzehn-Stunden Power Besichtigungsprogramm. Am Ende kommt es völlig überraschenderweise zum Happy-End, Shinta und Rama sind wieder vereinigt, und Jeanine und Steve dürfen ins Bett. Sie drücken mir zum Abschied gerade noch ihre Visitenkarten in die Hand und stolpern dann in Richtung Zimmer.
Ich habe insgesamt drei Tage in Jogjakarta eingeplant, einen für jede der sehenswürdigen Highlights hier. Angekommen bin ich am Montag, nach einem Tag Zwangspause in Kuta Beach auf Bali, dem Ballermann der Insel, da es keinen direkten Flug gab. In Kuta habe ich Agnes aus Labuanbajo wiedergetroffen (also eigentlich wohnt sie in Hamburg), und mit der vernünftigen Internetverbindung im Hotel einige Sachen organisiert. Montag Abend habe ich mich hier in Jogja um meine Touren gekümmert, in einem von Femke aus Ende (eigentlich Holländerin aus Jakarta) empfohlenen Reisebüro. Für den nächsten Tag sind zwei Ausflüge mit dem Auto nach Borobodur geplant, einem lange verschollenen Buddhistischen Tempel der Unesco Kulturerbe ist. Beide Autos sind mit zwei Pax besetzt, wahrscheinlich könnte ich mitfahren, aber wir erreichen die Teilnehmer nicht. Also bleibt nur die Risiko Lösung – um 3:30 am Morgen einfach auftauchen, und selber mit den Gebuchten verhandeln. So stelle ich meinen Wecker wieder auf 2:45, und stehe in finsterster Nacht vor dem Hotel, wo die vier Reisenden abgeholt werden. Als erstes tauchen Jeanine und Steve auf, sind etwas überfahren, aber ja, klar kann ich mitfahren. Danach tauchen noch zwei Frauen mit praktischen Kurzhaarfrisuren auf, und ich bin mit meiner Wahl zufrieden. Mit den beiden Amerikanern verstehe ich mich prima, und um 5:00 stehen wir auf der obersten Terrasse des Borobudur Tempels. Es ist die teurere Variante, der Eintritt durch ein an den Tempel angeschlossenes Hotel kostet umgerechnet 25 Euro. Dafür ist aber Taschenlampe und Leihsarong enthalten. Trotzdem ist man nicht einsam, mehrere der dreißigsekündigen Langzeitbelichtungen werden durch Touristen gestört, die mit ihrer Taschenlampe durchs Bild laufen. Am Ende mache ich aus den Pannen eine Kunst: Langzeitbelichtung mit Taschenlampengekritzel. Leider ist uns das Wetter nicht besonders gnädig, kaum farbenreiche Morgenröte, und auch wenig spektakuläre Schlagschatten in der Morgensonne. Die wahre Geduldsprobe ist es, menschenleere Fotos zu erzeugen, und nicht alle bestehen diese Probe. Steve und ich amüsieren uns über ‚Mr. Tripod Man‘, ein dynamischer Franzose mit einer mehreren tausend Euro teuren Kameraausrüstung. Sein Stativ ist allerdings nicht groß genug, so steht er meist affig breitbeinig hinter seiner Kamera und schaut empört verärgert, wenn einige Asiaten seelenruhig mitten in seinem Motiv Selfies machen. Irgendwann gibt er kurz auf, stürmt an einen anderen Standort, und fotografiert erst ein anderes Motiv. Borobodur lässt sich allgemein schwer fotografieren, der Tempel liegt auf einem relativ steilen Hügel, und besteht aus einigen Terrassen, wobei die obersten deutlich zurückgesetzt sind. Dadurch erkennt man vom Fuße des Tempels und des Hügels nur die breiten unteren Ebenen, und erahnt dann in der Mitte die abschließende Stupa. So fürchte ich gemeinsam mit Steve, dass der heutige Tag keine fünf Sterne Fotos produzieren wird.
Wie bekommen noch einen Tee und etwas Gebäck, und fahren dann nach Jogja zurück. Die beiden haben am Nachmittag noch eine Tour zum Prambanan Tempel geplant, mit anschließender Tanzaufführung – ich wäre willkommen. Der hinduistischen Prambanan Tempel ist ein weiteres Weltkulturerbe, ich hatte ihm eigentlich einen eigenen Tag gewidmet, aber jetzt ist es erst 9:30 – vielleicht wäre ich sonst jetzt aufgestanden – und wenn einem die Gelegenheit so in den Schoß gelegt wird… Der Prambanan-Tempel erinnert deutlich an den Haupttempel von Angkor Wat, aber ist halt nicht ganz so groß und beeindruckend. Noch immer spielt das Wetter nicht richtig mit, so wirkt der Sakralbau dunkel und bedrohlich, aber eben ohne WOW, und auch der Sonnenuntergang wird daran nichts ändern. Auch meine beiden Begleiter kennen Angkor, und während wir durch die Anlage spazieren, philosophieren wir ein wenig über unsere persönliche Sehenswürdigkeitenübersättigung. Offensichtlich sind wir alle ein wenig ausgetempelt – und so lassen wir uns in ein nettes Touristenfallen-Restaurant fahren, wo wir die Übertempelung und Unterhopfung entsprechend bekämpfen. Während Steve in Prambanan ein wenig schwächelte, und teils Tempelbesteigungen verweigerte, schlägt der harte Tag nun bei Jeanine durch – von dem Tanz wird sie nicht sehr viel mitbekommen.
Am nächsten Tag besuche ich – nach ausgiebigem Ausschlafen – noch den Kraton, den Sultanspalast in Jogjakarta, und schlendere ein wenig durch die Stadt. Da mein Versuch, meinen Weiterflug einen Tag nach vorne zu verlegen an meinem Billig-Tarif scheitert, werde ich auch morgen nicht viel tun. Etwas am Pool liegen, und mal wieder einen kleinen Kochkurs machen. Das Hühnchen heute Mittag war so lecker, das will ich lernen. Dann geht’s weiter nach Bandar Seri Begawan in Brunei, auf der Insel Borneo.