Familienausflug

Tl;dr: Diabolischer Plan, mit vier Frauen auf einer Insel zu stranden, scheitert.

„Wir sind vor vier Jahren in Griechenland aufgebrochen, nur um heute hier mit Euch den Abschluss von Mia und Kalle zu feiern“. Die Adressaten würdigen das Engagement, und auch die Wertschätzung, die es ausdrückt. Sie sind bereit, gewissen Logikfehler zu übersehen, zB dass vor vier Jahren die heute zu würdigende Ausbildung noch gar nicht begonnen, vielleicht nicht einmal geplant war. JUB würdigt die Formulierung nicht mehr, hat bereits verschiedene Abwandlungen davon gehört und rollt nur mit den Augen.

Wir sind bei Katri und ihrer Familie, einer alte Bekannte von JUB, die mittlerweile in Vaasa mit Ehemann Rainer und den (weitestgehend) erwachsenen Kindern Kalle, Lea, Lasse, Mia und Silas wohnt. Der Abschluss wird finnisch mit einem ‚Open House‘ gefeiert, deshalb waren auch wir willkommen. JUB hatte mit Katri zu Beginn seiner Reise Kontakt aufgenommen, und wir wollten uns das nicht entgehen lassen – eine echte finnische Feier in einer echt finnischen Familie; „am Samstag, 6.7. abends in Vaasa“ wurde zu einem Eckpunkt unserer Planung. Gut, ganz typisch sind sie vielleicht nicht – alle reden Deutsch, oder zu mindestens Schwäbisch. Katris Mutter war Finnin, sie wuchs aber in Baden-Württemberg auf, und zog irgendwann vor mehr als zwanzig Jahren nach Finnland. Vielleicht ist auch der Freundeskreis etwas deutsch geprägt, die meisten Gäste sind mindestens dreisprachig und wechseln behände zwischen Finnisch, Englisch und Deutsch.

Ich unterhalte mich mit Kenneth, einem Nachbarn, der nebenbei ein Wassertaxi betreibt, und lasse mir Tipps für den Archipelago rund um Vaasa geben. [Fazit: wunderschön, aber mit unserer Größe und Tiefgang gibt es eigentlich nur noch fünf lohnende Ziele]. Jenna ist eine Ausbildungsbegleiterin von Mia, und Jennifer kommt aus Dublin. Irgendwann sind die meisten Gäste weg, obwohl es erst später Nachmittag ist (Wie das hier oben täuscht, es war schon 21:00), und wir reden noch lange mit der halben Familie, während von oben ab und zu Nebengeräusche von Fußballguckenden zu hören sind.

Wir fühlen uns wohl, und bieten gerne einen kleinen Bootsausflug an. Am Sonntag ist eher schlechtes Wetter angesagt, und in der zweiten Tageshälfte und Nacht streicht ein Sturm über die Stadt; gut, dass wir nicht draußen sind.

Wir haben am Freitagabend im Hafen des „Vaasan Merenkyntäjät“ angelegt, eine Empfehlung von Katri, die hier den Kommodore kennt. Das ist der finnische Segelklub, nicht bei der „Wasa Segelförening“, die den nächsten Hafen betreiben. Diese Unterscheidung wird später noch wichtig. Neben uns liegt die SERENITY, eine Yacht aus Jakobstad, also eine Tagesreise die Küste hinauf. Wie immer, wenn wir Ortskundige finden, belagern wir ihn mit Google Maps und bereitwillig gibt er uns Tipps – zB einen Privathafen auf Lilla Furuskäret bei Köklot, der für uns tief genug wäre. Privat? Keine Sorge, beruhigt er uns, er wäre da irgendwie im Vorstand, wir wären willkommen. Auf der anderen Seite liegt die TIDE mit deutscher Flagge. Wir treffen Christoph, und schauen uns gemeinsam das letzte Viertel des Spieles Deutschland gegen Spanien an (1:2, schade). Es läuft auf dem Laptop der finnischen Fernsehsender YLE, aber mit ‚Svenskt Referat‘. JUB kann ja etwas Schwedisch, und ich verstehe genug, um zu wissen, wann ich auf das Bild achten muss. Es kann auch sein, dass es mit einer VPN Verbindung nach Deutschland geklappt hat. Als das Spiel vorbei ist, muss Christoph zu seinem Schiff zurück; seine portugiesische Freundin hat gekocht. Wir bieten an, dass sie auch das Spiel Portugal gegen Frankreich bei uns ansehen (wir haben eine unlimited Datenkarte, Christoph krebst mit einem etwas restriktiven Tarif daher), und er nimmt gerne an. Auch Portugal verliert, kein Glück auf der SEESTERN, obwohl wir einen Siegerlök haben. Der Siegerlök ist ein Topf Schnittlauch (eigentlich Graslök), wie er auch 10 Jahre zuvor bei der WM immer auf dem Schiff rumstand, als wir auf einer Charteryacht vor Stockholm segelten – und da wurde Deutschland Weltmeister.

Am Montag um 11:00 kommen die „Vier Frauen“, also Katri, ihre Zwillingsschwester Laura, und die zwei Töchter Lea und Mia. Rainer und die drei Jungs müssen arbeiten. Kurze Sicherheitseinweisung – Schwimmwesten, Feuerlöscher, Funkgerät – und los geht’s. Als Ziel haben wir den Privathafen ausgesucht, Katri kennt die Insel und Rainer wird alle am Abend abholen. Vor dem Hafen muss jede unserer neuen Crewmitglieder unter Motor einen Kringel drehen und den Gashebel ausprobieren, und dann setzen wir Segel und fahren nach Norden. Die Vorhersage hatte weniger Wind vorhergesagt, aber statt entspannter 12-15 Knoten zeigt die Windex bis zu 25. Da wir den Wind eher von hinten haben aber dennoch entspannt. Wir fahren unter der Replotbron durch, der längsten Brücke Finnlands. Es scheint unseren Gästen Spaß zu machen, wer gerade nicht steuert räkelt sich auf dem Vordeck.

Ich bin etwas nervös wegen des Hafens – die üblichen Quellen geben wenig Details zu Tiefen usw. preis, und so habe ich schon etwas Bammel. Da wir zu sechst sind, kann ich Laura als sprechenden Tiefenmesser einteilen, aber alles kein Problem. Anlegen ist mit Boje an einem Steg, es helfen uns neue Bekannte – Ein Paar mit Dackeln, die wir am Donnerstag in Storkors fiskehamn bei Korsnäs getroffen haben, und ein Finne, den wir am Sonntag beim Laufen in die Stadt getroffen haben. Der Anleger klappt, Gin Tonic als Welcome-Drink für alle, und Katri schickt Reiner die Koordinaten für die Abholung. Hmmmm. Irgendwie ist der Hafen auf einer kleinen Insel. Hmmmm. Wirklich eine Insel. Das könnte schwierig werden, mit dem Auto. Hmmm. Wie konnte das passieren? Es stellt sich heraus, dass wir im privaten Hafen der Segelförening sind. Oh Schock – wir sind bei den Schweden! Der Hafen der finnischen „Vaasan Merenkyntäjät“, den Katri sofort auf dem Handy erkannte, ist ganz in der Nähe, aber halt mit Straße eher am Festland. Es werden Alternativen geprüft, Rainer erst einmal vom Abholen gebremst. Die beiden Töchter (die vielleicht besser Schwedisch können) reden mit den finn-schwedischen Seglern und bestägtigen, dass man hier nur mit dem Schiff hin (und weg) kommt.

Wir könnten zu dem Privathafen der Merenkyntäjät, aber ein Gespräch mit dem Kommodore ergibt, dass das nur mit genauen Ortskenntnissen funktioniert, keine gute Idee. Wir könnten unser Dinghi klarmachen, die Frauen ans Festland fahren, und sie schlagen sich dann durch den Wald zu einer Straße durch. Wir könnten alle auf dem Schiff übernachten, und am nächsten Tag gemeinsam zB nach Jakobstad fahren, von da aus ginge ein Zug – das wäre der spontane diabolische Plan. Oder wir fahren eine gute Stunde zurück zu dem Gasthafen an der Replotbron – wegen genau dieser Brücke gut mit dem Auto zu erreichen, und auch ein einfacher Hafen zum Anlegen. Am Ende entscheiden wir uns dazu. Wir verlassen den sehr lauschigen Hafen – wäre wirklich schön gewesen – und fahren Richtung Replot. Der Wind weht aus der gleichen Richtung, und somit auf dem Rückweg direkt von vorne – ein ganz anderes Gefühl. Wir versuchen es kurz mit Segeln, aber mittlerweile hat sich auch eine ordentliche Welle aufgebaut. Also mit Motor direkt gegenan. Ich werden ein paar Mal kräftig geduscht, als die Gischt einer Welle über das Schiff weht. „Hat sonst jemand Lust auf’s Steuern?“ frage ich halb im Spaß, aber sofort meldet sich Lea. Also duschen wir fortan gemeinsam (ich sitze bei Neulingen immer kurz dahinter, um alles im Blick zu behalten). Nach einer halben Stunde deutet Mia klar an, dass sie nun auch das Erlebnis der Meerwasserdusche haben möchte, und es wird gewechselt. Derweil ärgert Murphy Laura – sie wartet mit gezücktem Mobiltelefon auf eine Welle mit Gischt, gibt irgendwann auf, und zwanzig Sekunden später hat die Steuerfrau wieder eine Ladung Wasser im Gesicht.

Als wir im Hafen direkt neben der Replotbron ankommen, wartet Rainer schon. Gruppenfoto, wieder ein Anleger, und dann kochen wir noch gemeinsam – Wahnsinn wie gut Pellkartoffeln mit Quark nach so einem Tag schmecken. Ein sehr gelungener Tag, überhaupt ein gelungener Aufenthalt. Ich mag sie, die Finnen.

Isokari – Die Überraschung der Notlösung

[Ja, da fehlen noch einige Berichte zwischendrin, aber hier mal etwas Bilderlastiges]

Nichts hält so lange wie ein Provisorium, und manchmal bietet eine Notlösung ein tolles Erlebnis. Als Segler ist man ein Spielball der Naturgewalten, hilflos den Elementen ausgesetzt. So müssen wir uns nach Wind und Wetter richten. Eigentlich wollten wir etwas länger in dem Schärengarten zwischen Turku und Åland bleiben, und erst dann nach Norden weiterfahren, aber die Spielball-Vorhersage meint am Freitagabend: Morgen gibt’s nochmal guten Wind um nach Norden zu fahren, dann regnet es zwei Tage, und guten Wind gibt’s auch nicht mehr. Also beschließen wir, die Reise nach Norden entlang der finnischen Westküste anzutreten. Eigentlich wollen wir nach Rauma, ein als nette Altstadt mit alten Holzhäusern (in den meisten Städten sorgten große Brände für einen Neuaufbau in Stein) beschriebenen Stadt an der Westküste. Das sind aber über 60 Seemeilen, also 12 Stunden Segeln bei möglicherweise heftigeren Bedingungen. Oder vielleicht nach Uusikaupunki (kann ich mir nicht merken, den Namen, ich nenne es Uli-Kaugummi), auch 40 Seemeilen, und man muss ein ganzen Stück vom offenen Meer rein in die Stadt, und am nächsten Tag wieder raus. Aber die finnische Website mit Gästehafen zeigt noch einen Hafen mitten im Meer auf einer kleinen Insel namens Isokari. Vielleicht probieren wir’s dort?

Am Samstagmorgen zweifeln wir noch an dem Plan – es pfeift gar garstig über den Hafen, und die Windprognose sagt 20 Knoten, mit Böen bis zu 35 Knoten. Das sind 65 km/h – das kann das Boot zwar ab, ohne dass es gefährlich ist, aber angenehm ist es nicht mehr; eher wie bei Schneesturm weiter Ski zu fahren, damit sich die Liftkarte gelohnt hat. Ich hadere noch ein wenig, wir trödeln noch mit einem Kaffee, aber dann – los geht’s, es hilft ja nicht. Wir setzen das dritte Reff im Großsegel, und auch sonst so wenig Segelfläche wie möglich, und fahren aus der Abdeckung der Insel vor dem Hafen nach Norden auf’s offene Meer. Der Windmesser fällt auf 9 Knoten. Murphy segelt mit. Danach entwickelt sich der Tag positiv. Es hat 20 Knoten Wind, da wirkt unsere reduzierte Segelgarderobe nicht gaaaanz lächerlich, und die Richtung erlaubt uns zwischen den Inseln die direkte Route nach Norden. Nach ein paar Stunden hat der Wind etwas nachgelassen, wir lassen noch alle Segel raus, und es geht weiter. Murphy wäre nicht Murphy, wenn der Wind nicht 20 Minuten vor dem Einlaufen in den Hafen wieder ordentlich auffrischt – Anlegen mit 20 Knoten Seitenwind gehört zu den Highlights im Seglerleben.

Der Hafen ist winzig – für Schiffe unsere Größe gibt es zwei Plätze, einer ist schon belegt. Der zweite Platz ist aber super-easy – nebendran fahren, aufstoppen, vom Wind an den Steg drücken lassen. Hello Isokari.

Auf Isokari gibt es eine Lotsenstation, die Schiffen in den Hafen von Uli-Kaugummi lotsen könnten, aber viel Betrieb scheint da nicht. Ansonsten macht nicht nur der Hafen, sondern die ganze Insel den Eindruck – winzig und verschlafen. Eher spöttisch frage ich, ob wir hier Essen gehen wollen, oder doch selber kochen, und JUB – Herausforderung angenommen – schaut nach Restaurants auf der Insel. Es soll tatsächlich eines geben, es ist gut bewertet. Ich frage die Hafenmeisterin, und sie weist auf eine nur in finnisch gehaltene Karte. Wir müssten eine Stunde vor dem Besuch bestellen, aber dann würden sie sich auf uns freuen. Wir suchen auf der von Google drollig übersetzten Karte etwas zu Essen aus, ein Fischteller als „erste Strasse“, als „Rektor“ ein „Als Fischer auf gepresstem Brot“ und danach ein „Schlammkuchen“.

Eine knappe dreiviertel Stunde später machen wir uns auf zum Leuchtturm in der Mitte der Insel, daneben in einem ehemaligen Kasernengebäude das Ravintola Mainio. Auf der Terrasse sitzen noch zwei andere Gäste. Mittlerweile schockieren die Preise in Finnland nicht mehr so sehr, wir bestellen eine Flasche Wein dazu und genießen das überraschend gute Essen. Das hätte ich nicht erwartet. Wir unterhalten uns mit der Bedienung, das Hauptgeschäft wären Tagestouristen die mit einem Ausflugsboot zum Leuchtturm kommen, am Abend ist es eher weniger, aber da noch ein paar andere Gebäude der ehemaligen Militäranlage als Ferienhäuser vermietet werden, müssen ja auch die Gäste gefüttert werden.

Nach dem Essen, und – warum nicht? – einer kleinen Flasche Sanddorn-Sekt, gehen wir noch zum Leuchtturm, und dann an die Westseite der Insel, um den Leuchtturm in der untergehenden Sonne zu fotografieren. Die Westseite der Insel ist eine wunderschöne Felsküste, und wir stromern ein wenig nach Norden. Boah, ist das schön hier.

Wir bekommen die Idee, einfach um die kleine Insel herum wieder zum Hafen zu gehen, nach einer knappen Stunde schaue ich mal kurz auf Google Maps: Huch, ganz so klein ist die Insel gar nicht. Immer wieder gibt es sumpfige Einschnitte, und durch den Wald in der Mitte scheint auch nicht sinnvoll. Außerdem geht die Sonne gerade unter (na gut, das ist kein Argument, auch nach Sonnenuntergang bleibt es hell genug). Anyway, wir drehen um und gehen zum Schiff zurück, und sehen noch die letzten Minuten vom Achtelfinale Deutschland gegen Dänemark. Ein gelungener Tag, was sind wir froh, dass wir hierher gefahren sind.

Mittsommer in Hösåra

Also ganz ehrlich – so ein bayrischer Maibaum ist schon beeindruckender. Wird auch vor dem Aufstellen besser bewacht, und das damit verbundene Brauchtum ist mit mehr Gerstensaft verbunden. Aber ein bisschen haben sich die Schweden bei uns abgeschaut.

Die traditionelle Feier findet auf Högsåra in dem Ort Keysarhamnen statt, ein weiterer Hafen an der Nordseite der Insel, zu Fuß vielleicht 40 Minuten entfernt. Ab 12:30 wird der Baum geschmückt, ab 14:00 aufgestellt und gefeiert. So der Plan. Der Hafen hier ist nett, unserer hat aber eindeutig eine bessere Kneipe. Der „Baum“ ist eine vielleicht 8m lange Stange mit zwei Querbalken. Der zweite Querbalken verhindert, dass es zu sehr nach Kreuz aussieht, er bricht aber während des Schmückens ab und wird hurtig mit einem neuen ersetzt. Das Schmücken besteht daraus, dass Farne, Birkenzweige und Blumen an den Baum gebunden werden, am Ende noch eine billige Girlande aus Plastikwimpeln. I am not very impressed. Derweil bauen zwei Musiker ihre Anlage auf, einschließlich einer Art tragbaren Orgel, wo die Spielerin hektisch auf zwei Blasebälgen trampelt, um den notwendigen ‚Wind‘ zu erzeugen. Ein kleiner Tisch wird aufgebaut, wo es später „Saft och Bulle“ gibt, einen Pappbecher Saft mit einem Gebäckteilchen. Nirgendswo ein zünftiges Fass Bier. Bis 14:00 sammeln sich etwas hundert Leute auf dem Platz, einige festlich gekleidet, viele Mädels in weißen Kleidern, und die kleinen Mädchen (und ältere Spaßvögel*innen) mit Blumenkranz auf dem Kopf.

Und dann der große Moment: ein paar Männer packen den Baum, und stecken ihn in ein vorbereitetes Loch auf dem Platz, fixieren ihn mit ein paar Keilen. Die Musik wird angestimmt, eher traditionelles Liedgut. Das Ganze scheint fast nur auf Schwedisch stattzufinden. Die Musiker fordern irgendwann zum Tanz auf, und eine bunte Mischung aus Frauen bildet einen Ring um den Baum. Männer tanzen kaum, nur ein paar Väter, die ihren kleinen Töchtern emotionale Unterstützung leisten. Offensichtlich werden die Tänze nicht oft getanzt, die Musiker erklären meist die Schrittfolge und anderes; dann tanzt sich die Gruppe händehaltend um den Baum. Es wirkt jetzt nicht ernst und erhaben, ein Tanz könnte ein Tier beschwören (ich rate: ein Hase), da abwechselnd die Hände an die Ohren gehoben werden und winken, und dann hinter den Rücken. Am interessantesten finde ich eigentlich, dass auch ein paar ca. 13-16 Jahre alten Mädels mitmachen, die eigentlich so aussehen, als wäre so ein Kinderkram völlig unter ihrer würde. Eigentlich sehen sie so aus, als wäre ihr Platz am Rand des Schulhofes wo sie die Jungs gleichzeitig locken und abblitzen lassen.

Nach einer dreiviertel Stunde geht es zum Paartanz für Ältere über, das Publikum lichtet sich und auch wir gehen zurück nach Byviken zum Boot. Wir halten noch an Farmor’s Café, der Restauranttipp auf der Insel, um eine Reservierung für den Abend zu ergattern, und dann ein kleines Nickerchen auf dem Schiff.

Es ist alles deutlich voller als die Tage zuvor, aber es ist auch Freitag. Die ‚Rumpan Bar‘ in unserem Hafen ist nach dem Essen gut gefüllt, einige der Leute haben ordentlich getankt. Ein Alleinunterhalten spielt Covers von beliebten schwedischen Pop-Songs. Wir unterhalten uns mit einer angetrunkenen Finn-Schwedin, und fragen sie über das Verhältnis der beiden Volksgruppen aus. Sichtlich um Neutralität bemüht, blitzt doch manchmal eher durch, dass man sich nicht gaaaaanz grün ist. Ich hatte erwartet, dass an diesem längsten Tag durch die kurze Nacht durchgefeiert wird, aber um 22:00 wird die letzte Runde eingeläutet. Nun ja – immerhin sehr viel besser als vor zehn Jahren in Westschweden.

Der Tag vor Mittsommer

Der praktische Tipp vorab – man sollte schon am Tag VOR Mittsommer in dem Hafen der Wahl sein.

Das Mittsommer in Skandinavien ein ‚big deal‘ ist, das ist bekannt. Verschiedene schwedische Krimis spielen genau um die Zeit, Vivica Sten hat eine ganze (verfilmte) Krimiserie danach benannt. Man erwartet Volksfeste, Tanz der Jungfrauen um den Mittsommerbaum, große Partys. Als wir vor über 10 Jahren mal um die Zeit in Schweden ein Boot gechartet haben, wurden wir bitterlich enttäuscht. Am 21. Juni Abends hatten die meisten Kneipen zu, die Schweden feierten alle mit Freunden, und wir hatten keine Freunde. Wir aßen frustriert in einem billigen Griechen, der immer noch richtig teuer war.

Frank und ich haben das Ganze diesmal deshalb genauer im Blick. Seit Tagen fragen wir jeden, was denn der Plan wäre, wo man was erleben könne, usw. Scheinbar wird es in Finnland öffentlicher gefeiert, man empfiehlt uns mehr und mehr Inseln im Archipelago vor Turku wo bestimmt etwas los ist. Es hört sich nicht nach schwedischer Zurückhaltung an. „An Mittsommer, da werden alle ihre Schiffe nehmen, und auf die Inseln fahren“. Am Dienstagabend bekamen wir den Tipp, nach Brännskär zu fahren, aber am besten schon am Donnerstag, den 20.6., dort zu sein. Für den Mittwoch beschließen wir nach Högsåra zu fahren, eine Empfehlung aus Ingå. Am Donnerstagmorgen weht der Wind aus Nord-West, und wir müssten nach … Nord-West. Außerdem ist der Wind sehr unstetig, der Hafen von Brännskär wäre bei der Windrichtung ungeschützt; deshalb unruhig. Wir sind mittlerweile ganz schnell dabei, unsere Bootsnachbarn nach Tipps auszuquetschen. Hier in Högsåra wäre es auch ganz nett zu Mittsommer. Traditionelles Fest um 12:00, Party mit Live-Musik in der Hafenkneipe am Abend. Hmmm. Wir sind im Urlaub. Hmmm. Wir haben das Schiff nicht nur für eine Woche gechartert, müssen also nicht zwingend jeden Tag unsere Chartergebühr wegsegeln. Hmmm. Und hier liegen wir schon. Wir fragen den Marinero, ob wir noch zwei Nächte bleiben könnten. Kein Problem, aber bitte an einem anderen Platz (wir liegen mit dem Heck zum Ende des Stegs). Also verholen wir das Schiff einen Parkplatz weiter, finden Gefallen daran, was man einem solchen Hafentag alles erledigen könnte, und – ich zumindestens – mache nichts davon. Ein Nickerchen – das hatte ich geplant, aber der Rest fällt unter den Tisch. Mittlerweile drücken die Schiffe in den Hafen. Interessant ist die Spitze des Stegs. Hier liegt meistens ca. 20m vom Steg eine Boje im Wasser, die fischt man sich mit einer Leine am Heck, und der Bug wird am Steg festgemacht. Entlang des Stegs ist das einfach vorwärts einparken – die Breite der Schiffe bestimmt die Kapazität. Aber am Ende des Stegs, da können die Yachten sternförmig mit dem Bug anlegen (deswegen war’s auch blöd, dass wir dort mit dem Heck lagen). Am Ende hängen an dem 2m breiten Ende des Stegs fünf Segelboote.

Ich bin gerade von meinem Nickerchen erwacht (OK, vielleicht war es ein Nick, die Verniedlichung passt bei zwei Stunden nicht), und Frank trinkt schon ein Bier mit Tuomas vom Nachbarschiff. Ohne mich!?! Der Abend nimmt seinen Lauf. Die Besitzer der „Vayacondios“ gegenüber meint, dass die Leute zu Mittsommer ihre Boote mit Flaggen schmücken würden. Normal meinen sie wohl das Flaggenalphabet, welches viele Boote noch aus Nostalgiegründen an Bord haben. Aber wir – und das wollte ich schon lange mal machen – haben ja die ganzen Gastlandflaggen an Bord, wo wir mit der Seestern schon überall waren. Es ist auch ein guter Einstieg in ein Gespräch; wenn wir gefragt werden, woher wir kommen, antworten wir mittlerweile meistens mit Griechenland, weil das in Finnland schon weit weg ist, und somit interessanter als Hanko, Estland, oder Deutschland. Wir kommen auf 16 Flaggen, wobei da auch die bretonische dabei ist, die nicht ‚offiziell‘ ist. Der Besanmast reicht dafür nicht, jedenfalls nicht ohne die Dinger nah aneinander zu knüpfen.

Gegen 22:00 will ich nochmal die sanitären Einrichtungen nutzen, werde von der Bar abgelenkt, und sitze am Ende eine Stunde mit den Familien von Tuomas und Matti zusammen. Mattis Motorboot heißt „Granma“; deshalb frage ich ihn, ob er Fan von Kuba ist. Seine Frau versteht die Anspielung, und ich darf mich setzen („Granma“ ist der Name der Motoryacht, mit der Fidel Castro, Che Guevara und weitere 80 Revolutionäre 1956 aus dem mexikanischen Exil nach Kuba übersetzten, um dort die Revolution zu starten – hasta la victoria, siempre!) Während wir da sitzen, zeigt Mattis Frau auf eine Dame, die neben der Bar auf ein Motorboot steigt: „Das ist unsere Außenministerin“. Cool, irgendwie. Ist Finnland so familiär? Oder ist man irgendwie durch das Segeln in Kreise gerutscht, in denen dann halt auch Außenministerinnen verkehren? Ist die Bodenhaftung schon verloren gegangen? Mir ist klar, dass Segeln kein billiger Massensport ist, aber ich kenne einige Leute, deren Autos mehr gekostet haben als unser Schiff. Wenn ich so den Steg rauf- und runterschaue, sind wir eher Durchschnitt. Unser Schiff ist für die Ostsee groß, aber dafür auch alt, und man sieht auch genügend andere Bootseigner, die ölverschmiert und fluchend aus ihren Schiffen kommen. Eigentlich ist „Granma“ ein wundervoll subversiver Name an so einem Steg.

Als die Bar schließt, trinken wir mit unseren Nachbarn und deren drei Jungs noch einen Rotwein auf unserem Schiff. (also die ca. 10-13-jährigen Jungs bekommen keinen Wein, quittieren aber den Hinweis ihrer Eltern nach der Schlafenszeit mit „es ist Urlaub“).

Ich bin gespannt auf morgen.

Armut in Finnland – die exklusive Fotoreportage (Bild 5 wird Dich schockieren!)

Mal was kurzweiliges zwischendrin, auch wenn noch einige Berichte fehlen. Aufgenommen auf unseren Fahrt durch den Archipel von Helsinki bis Hankö. Die armen Finnen 🙁

Nur ein Liegestuhl am Privatanleger
Kein Geld um den Strand zu pflastern.
nur eine Yacht – und die nur mit einem Mast.
So viele Nebengebäude zu putzen

So, und hier das versprochene schockierende Bild. Nein, war nicht in Finnland, sondern Phnom Penh. Hinterlasst doch bitte in den Kommentaren, was Ihr von meinen Clickbait-Versuchen haltet, zB: „Super Chris, mit Clickbait gehst Du mit der Zeit und verhilfst mir zum gewohnten Internet-Erlebnis“, oder „Finde ich Scheiße, das Bild ist nicht schockierend genug“.

Der Weg vom Haupthaus zum Grillpavillion nicht mal überdacht
Proviantierung der Yacht mit einem Porsche Panamera – der mit dem schwachen Motor, OHNE Turbo
Ausrichtung nach Osten – keine Terasse für den Sundowner

Parallel sind noch einige Artikel in der Mache – watch this space!

Anny von Hamburg

Gleich bekommen wir Schimpfe. Wir stehen auf dem Fahrweg des Werftkrans zwischen diversem Eisenschrott, und wissen, dass wir dort eigentlich nicht sein dürfen. Ich noch dazu in FlipFlops, wo wahrscheinlich Helmpflicht herrscht, und Sicherheitsschuhe gefordert wären. Aber das äußere Trockendock ist nicht mehr trocken, sondern wird geflutet, schon spannend. Es springen diverse Leute umher, und einer kommt auf uns zu; wir bereiten uns schon auf Schelte und Gegenausrede vor. Aber der ältere Herr in T-Shirt und Shorts begrüßt uns freundlich, woher wir kommen? Er erzählt ein wenig von dem weißen Schiff im Trockendock, was nun langsam wieder anfängt zu schwimmen. Es stellt sich heraus, dass er Juha heißt, und der Eigentümer ist, und meint, dass zwei der Helfer auf dem Schiff auch aus Deutschland sind. Kommt mit! Wir laufen über das Schleusentor zwischen den beiden Docks auf die bewaldete Seite. Dort wurden die diversen Spanngurte gelöst, mit denen die Masten an den Bäumen befestigt waren. Der Kollege im weißen Hemd ist Till. Er stellt fest, dass das Schiff noch an einem Baustromverteiler hängt, wir dürfen es ausstecken und das Kabel rüberreichen. Juha erklärt, dass sie das Schiff auf die andere Seite des dann gefluteten Docks fahren werden, um noch ein paar Ausrüstungsteile an Bord zu bringen. Während wir uns noch fragen, wie sie den Dreimaster dort rüber bekommen wollen, machen die Helfer die Leinen los, und ein anderer Helfer zieht an der Wäscheleine, die sie über das Becken gespannt haben. Einer der treidelnden Helfer hat auch nur Crocs an, da fühle ich mich gar nicht so underdressed.

Juha hat uns noch angeboten, dass wir das Schiff ansehen; Till wird uns führen. Wir machen aus, dass wir später wiederkommen, wenn der Stress hier vorbei ist. Am Rande des Docks laufen ein paar rostige Wasserleitungen, an denen binden sie die Anny fest, die Vorleine wird an einer Geländerstütze festgemacht.

Die Anny von Hamburg ist nicht das einzige historische Schiff hier auf der Insel, aber es nähert sich seiner Vollendung. Am Nachmittag schauen wir tatsächlich vorbei, und Till und seine Freundin Nino zeigen uns das Schiff. In den ehemaligen Laderäumen sind 10 stattliche Kabinen, und auch der Salon lässt sich sehen (wird sich sehen lassen, wenn die diversen Kisten mit Werkzeug und Ersatzteilen weggeräumt sind). Till hat ein paar Semester Informatik studiert, aber bei gutem Wetter hat er keine Lust, am Rechner zu sitzen. Er ist auch in einem deutschen Verein zur Erhaltung eines historischen Schiffs aktiv, der „Windbraut zu Stade“, und wurde von Juha angeheuert, um sich bei der Anni um das Rigging zu kümmern. Juha erzählt, dass die Vorschriften in Finnland für den Umgang mit solchen Hobbies sehr entspannt sind, Till nickt zustimmend. Tatsächlich sieht man Sicherheitsvorschriften nicht so eng; Juha meint, es ist hier der ‚Wilde Westen‘.  Manches scheint sogar Till nicht ganz geheuer – auf die prekäre Situation mit den Festmachern angesprochen, meint er, dass aus seiner Sicht das Stromkabel auch gewertet werden müsse – es sei schließlich recht dick.

Wir laden Nino und Till noch auf ein Bier auf unser Schiff ein, aber sie können nicht zu lange bleiben – so much work to do.

Festungshaft in Helsinki

Unter Entsetzensschreien kippt der Mast um und fällt mit einem hohlen Aluminium-Scheppern auf das Nebenboot und rutscht dann halb ins Wasser. Eine blonde Finnin, die versucht hat, den Mast aufrecht zu halten, kämpft bis zum Schluss und wird dafür mit einem kühlen Bad im Hafen von Suomenlinna belohnt. Die Szene findet am ‚Ausrüstungspier‘ des Segelclubs gegenüber statt, sechs Leute helfen mit, da kann so einen Mast auch nur mit Muskelkraft stellen, oder? Offensichtlich nicht. Der Mast der kleinen Jolle ist zwar leicht genug, dass ihn zwei Leute tragen können, aber ihn auf einem wackeligen Boot aufzustellen, das ist wohl komplizierter. Im Ohr höre ich meinen Nachbarn Wastl: „Wenn es doch nur irgendein Gerät gäbe, was bei so etwas helfen könnte…“ Ihr ahnt es: das Gerät gibt es. An der Ausrüstungspier steht auch ein Mastkran (sieht aus wie eine sehr stabile freistehende Leiter, von der oben ein Drahtseil hängt, welches von unten mit einer quietschenden Winde gekurbelt werden kann). Offensichtlich ist der Mastkran nur für Weicheier, und diese Quietschen nervt. Während die Finnin ihren Pulli auswringt wird der Mast aus dem Wasser geborgen, die verschiedenen Leinen gerichtet, und er doch an den Mastkran gehängt. Hafenkino der anderen Art.

Mast stellen

Suomenlinna, das ist die Festung im Hafen von Helsinki und unser heutiger Schlafplatz. https://de.wikipedia.org/wiki/Suomenlinna . Den Tipp haben wir von Tero bekommen, den wir gestern im Hafen von Ingå bzw. Inkoo getroffen haben. Wir fragten den Helsinkianer Tero nach seiner Empfehlung für eine Marina in Helsinki, denn auf Google Maps finden sich mehrere. Suomenlinna ist eigentlich auf einigen vorgelagerten Inseln gebaut, theoretisch also unpraktisch für einen Bummel durch die Stadt, aber „eines der beliebtesten Ausflugziele der Stadt“, und nur mit dem Schiff zu erreichen (ja, auch mit den Fähren, die alle 15 Minuten fahren sollen). Wir räsonieren – wir werden noch öfters durch Helsinki kommen, auf dem Weg von/zum Flughafen – vielleicht ergibt sich da mal Zeit für etwas Sightseeing, und dann mit der Fähre zur Festung? Das macht doch auch keinen Sinn. Also endet die erste Hälfte unserer ersten finnischen Woche. Es ist Montagabend. Wie üblich kommt nun die Rückblende – wie kamen wir hierher?

Am Samstag kommen wir Abends in Jussarö an, es liegen ein paar anderen Schiffe im Hafen, aber wir haben viel Platz um längsseits an den Steg zu gehen. Der Hafen ist noch nicht betreut – Vorsaison. Wir fragen andere Gäste, wie das jetzt läuft – Man könne wohl etwas irgendwohin überweisen. Auf meiner Erkundung des Hafens sehe ich einige Hinweistafeln, die auf Finnisch und Schwedisch über irgendwas Auskunft geben. Englisch? Fehlanzeige. Aber ich sehe auch keine IBAN, keinen Eurobetrag. Stellt Euch an dieser Stelle ein Achselzucken vor. Jussarö ist eine kleine Insel, vor langen Jahren gab es hier ein Bergwerk, danach eine militärische Beobachtungsstation, heute ist die Hälfte Naturschutzgebiet und die andere Seite Naherholungsgebiet. Very nice. Im Bereich des Hafens stehen zwei verrostete, nicht angemeldete Autos, man erkennt, wo mit Beginn der Saison vielleicht ein Café und der Hafenmeister wohnen würde, und dann noch ein Plumpsklo im Wald. Es gibt Nudeln mit Pesto.

Am nächsten Tag wagen wir uns in den Schärengarten, wollen nach Barösund oder Ingå. Auf der Karte sieht der Schärengarten gefährlich aus – da wird die Navigation sicher total die Herausforderung. Puh. Es ist einfacher. Überall stehen Kardinalzeichen und Lateraltonnen, sie bezeichnen deutlich einige Fahrwasser durch die tausenden von Inseln und Felsen. Mit Wind von hinten fahren wir durch den Barösund.

Die. Schärenlandschaft. Ist. Traumhaft.

Gut, eigentlich sind es halt immer wieder steinige, bewaldete Inseln. Auf jedem steht mindestens ein Ferienhaus mit eigenem Anleger. Das ist weniger elitär als man meinen sollte – Straßen machen auf einer Insel mit einem Achtel Quadratkilometer halt keinen Sinn – man kommt also mit dem Boot zum Ferienhaus. Ein Geologe könnte den Barösund sicher erklären, irgendeine Falte in der Erdoberfläche, die nun eine relativ gerade und enge Trennung zwischen Inselbereichen bietet, überall tief genug für unser Schiff. Kurz überlegen wir, in dem Hafen von Barösund-City zu bleiben, aber Ingå bleibt interessanter. Wir suchen ja auch einen preiswerten Hafen, um die Seestern drei Wochen liegen zu lassen, und am besten mit vernünftiger Verkehrsanbindung zum Flughafen Helsinki. Ingå wäre da gar nicht falsch.

Der Hafen von Ingå ist laut Beschreibung 2,40m tief; „technical depth 3m“. Wahrscheinlich soll das bedeuten, dass er regelmäßig auf 3m ausgebaggert wird, um immer 2,40m zu gewährleisten. Wir tuckern in den Hafen – wo sollen wir nur anlegen? Bei der ersten Schleife benimmt sich die Seestern seltsam, reagiert nicht auf’s Steuer. Ein kurzer Blick auf den Tiefenmesser: 1,70m – OK, wir hängen im Schlick. Schnell Rückwärtsgang, wir kommen frei, und probieren es auf der anderen Seite vom Steg. Auch hier kommt die Seestern nicht ganz in die geplante Parkposition. Wieder zeigt der Tiefenmesser 1,70m. Auch egal – wir bleiben mit der Nase zwei Meter vom Steg entfernt, können über einen Finger an der Seite aussteigen. Von wegen 2,40m.

[kurz der technische Einschub: Die Seestern hat laut offiziellen Daten einen Tiefgang von 2,10m. Ob das mit allen Einbauten und mitgeführtem Bier auch stimmt? Gemessen wir das mit Ultraschall kurz vor dem Kiel, und in dem entsprechenden Instrument wird dann noch der Abstand vom Ultraschallgeber zur Wasseroberfläche eingerechnet. Eigentlich haben wir das mal versucht genau einzustellen, aber… Außerdem kann es natürlich bei Schlick oder zB Seegras sein, dass dieses den Ultraschall zurückwirft, aber man noch durchpflügen kann. Manchmal erschreckt uns auch ein Fisch, der unter dem Tiefenmesser durchschwimmt.]

Es ist schon 21:00, es findet sich kein Hafenmeister mehr. Auch hier – Hinweisschilder auf Finnisch und Schwedisch, das war’s. Wir fragen uns durch – das Café dort übernimmt aktuell das Kassieren der Gebühren. Es macht morgen um 10:00 wieder auf. Wir unterhalten uns mit unserem Nachbarn Tero – ihm haben sie 25€ für die Übernachtung abgeknöpft, der volle Preis obwohl wegen der Vorsaison weder Toiletten noch Duschen aufhaben. Wir planen den nächsten Tag. Wenn wir früh aufbrechen, dann schaffen wir es bis Helsinki. Echt schade, dass wir dann keine Hafengebühr zahlen können.

So brechen wir am Montag um neun auf, folgen einem Fahrwasser nach Helsinki, und das ganze unter Segel – zwar nur Leichtwindsegel, aber wir sind ja nicht auf der Flucht. Es geht durch unzählige Inseln. Erwähnte ich schon, dass mir die Schären gefallen? Um 16:00 legen wir in Suomenlinna an.

Wie Ihr mittlerweile sicher auf Wikipedia nachgelesen habt, wurde Suomenlinna im 18. Jahrhundert erstmals von den Schweden befestigt, die es natürlich nicht Suomenlinna (Finnen-Festung) nannten, sondern Sveaborg (Wer hat es erraten? Schwedenburg). Noch heute heißt die Anlage auf Schwedisch (2. Amtsprache in Finnland) Sveaborg. Also vollzieht sich mit der Übersetzung auch gleich ein Besitzerwechsel. Das finde ich total witzig, bis mir auffällt, dass es bei Südtirol eigentlich auch so ist. Bis 1973 wurde die Inselgruppe vorwiegend militärisch genutzt, jetzt hat es eine interessante Mischnutzung. Es wohnen dort einige Leute, es hat ein Gefängnis, viel Tourismus mit Läden und Museen, einem U-Boot und Raum für Kultur und Kulturpflege. Denkt dabei an den Kunstpark Ost – leerstehende Industriegebäude werden zB preiswert an Vereine zur Erhaltung von historischen Schiffen vergeben, die in den ehemalig militärischen Trockendocks liebevoll ihre Wracks pflegen. Dadurch gibt es auch Ecken, die eher an Schrottplatz erinnern. Es gefällt uns dort ganz gut, wir bleiben am Ende zwei Nächte, ohne jemals die Fähre nach Helsinki Downtown zu bemühen.

Goodbye Estonia, Hello Finland!

Der Wind bläst aus Ost-Nordost. Alle Segel sind gesetzt, und wir fahren nach Norden. Hinter uns schwindet Estland langsam am Horizont. Auf nach Finnland. Unser ursprünglicher Plan war es, von Kärdla nach Tallinn zu fahren, und von dort aus nach Helsinki überzusetzten, dabei hätten wir evtl. noch einen Gast an Bord gehabt. Gast kam nicht, Wind war ungünstig, also fällt Tallinn aus, und Helsinki machen wir irgendwie anders.

Aber vielleicht nochmal der Reihe nach. Mittwoch um acht kamen tatsächlich die Segel, Boris zieht unsere Wanten und Stage auf die richtige Spannung an, und ein Elektriker schließt die verschiedenen Kabel, die aus dem Mast kommen, an. Ich helfe beim Segelanschlagen mit, aber ich glaube ich werde eher geduldet, als dass man sich über die Hilfe freut. Kurz vor zehn ist das Schiff fertig, ein Kollege von ihm wäscht es noch kurz, und ich gehe in mein Remote-Office. Für Donnerstag ist am Vormittag etwas Arbeit mit Calls angesagt, und mittags miete ich mir ein Auto, um die Insel zu erkunden. Man ist wirklich entspannt hier. Die Anmietung besteht daraus, dass der Werkstattinhaber meinen Führerschein mit dem Handy fotografiert, mir 30€ in bar abnimmt, und auf einen Honda irgendwas auf dem Hof zeigt: „Schlüssel steckt“. Ich habe mich akribisch auf die Sightseeingtour vorbereitet: https://hiiumaa.ee/de/sehenswuerdigkeit/ , und mir zwei Leuchttürme ausgeguckt. Dabei kommt man etwas rum, und bekommt sicher ein Gefühl für die Insel. Das Gefühl, es erweist sich zwischen Entschleunigung und begrabenem Hund. Die Sehenswürdigkeiten Website hat recht: man kann „denken oder nicht denken – modern ausgedrückt – meditieren“. An der Nordwestspitze steht der Leuchtturm Tahkuna, 1871 von Russland auf der Weltausstellung in Paris gekauft, bestehend aus vorgefertigten gusseisernen Elementen. Auf dem Weg dorthin ein paar Bunker einer sowjetischen Küsten-Artilleriebatterie, die mittlerweile fast vollständig im Wald eingewachsen sind. Den Leuchtturm darf man für eine Gebühr von 4€ erklimmen, die Ticketverkäuferin ist eine klare Kandidatin für den ’stressigsten Job von Hiiumaa‘. Geschätzt alle 30 Minuten kommt einer oder mehrere Touristen, kaufen ein Ticket, und die Verkäuferin kann weiter mit ihrem Handy spielen. Ich erklimme den 42m hohen Turm, bin allein. Wahnsinnig viel zu sehen gibt es nicht. Auf einer Seite Meer, auf der anderen Wald. Dazwischen etwas Strand. Das war’s. Es gibt noch ein Denkmal für die „Kinder als Opfer der Estonia Katastrophe“. Dann fahre ich weiter, zum Leuchtturm Kõpu. Er steht auf dem höchsten Berg von Hiiumaa (68m), und ist architektonisch an eine Pyramide angelegt. Tatsächlich blickt der Turm auf eine fast 500-jährige Geschichte zurück, es ist der drittälteste Leuchtturm der Welt, der noch steht. Anfangs war es gar kein Leuchtturm, sondern nur ein Turm der als Landmarke diente. Da ich auf dem Weg dorthin nichts anderes als Wald gesehen habe, spare ich mir diesmal den Rundumblick und stromre einfach etwas darum umher. Ich fahre zurück nach Kärdla, und kaufe schon einmal 50 Liter Bier in Dosen. Danach zum Flughafen, Frank abholen. Frank fliegt ja auch mit Anonymous Airlines, hat eine Stunde Verspätung weil das blöde Flugzeug nicht anspringt, aber zwei Stunden später sitzen wir beim Griechen und trinken einen Ouzo.

Panorama vom Tahkuna Leuchtturm

Eigentlich wollen wir den Freitag ganz ruhig angehen lassen – wir haben ja Urlaub, und müssen nicht heute fahren. Wir organisieren von der Werft noch eine Putzkraft, die unser Schiff mal durchsaugt und wischt, und Frank fährt einkaufen. Aus Angst vor finnischen Bierpreisen bunkern wir hier in Estland nochmal ordentlich Bier, die Kassierin staunt nicht schlecht, als Frank mit dem dritten Einkaufswagen (sie waren aber auch wirklich klein) voller Bier durch die Kasse fährt. Beim Mittagessen prüfen wir nochmal die Windvorhersage – oh Schreck. Heute Nachmittag steht der Wind noch günstig, um ans estnische Festland zu fahren, morgen kommt der Wind eher aus Ost. Plötzlich werden wir hektisch. Zum Schiff fahren, Klappfahrrad einladen, Mietwagen tanken und abgeben, mit Klapprad wieder zum Schiff, Leinen los – die Reise beginnt. Etappenziel ist Dirhami – das dritte Mal für uns in diesem Hafen. Der Wind ist nicht besonders stark, deshalb kommen wir diesmal zu spät für das Fischrestaurant.

Am nächsten Morgen werfen wir den Plan mit Tallinn über den Haufen – der Wind ist echt ungünstig um nach Osten zu segeln, aber nach Finnland – dazu ist er ideal. Na gut, dann fahren wir eben an der finnischen Küste nach Helsinki, und danach wieder zurück. Von einer finnischen Yacht im Hafen lassen wir uns ein paar Tipps geben, was ein guter erster Hafen nach der Überfahrt wäre (Optionen, von West nach Ost: Hangö, Byxholmen und Jussarö), und los geht’s. Um 19:00 legen wir bei bestem Wetter in Jussarö an, Willkommen in Finnland.

Alles Amateure, die Profis

Marko ist unser Ansprechpartner für die Bootsüberwinterung. Man muss etwas wortklauberisch sein, dabei – man kann ihn wirklich ansprechen. Wieder und wieder. Manchmal antwortet er. Seltener, als man ihn anspricht. Vor dem Beginn der Saison hatten wir folgenden … Dialog: (? – Gibt’s dafür einen speziellen Begriff, zwischen Monolog und Dialog? So 1,5-a-log?). Wir wollten wissen, wie denn die Planungen wären, wann das Boot ins Wasser kommt, usw. Irgendwann hörten wir auf zu fragen; forderten: „Wir wollen am 18.5. vor Kärdla aus losfahren – please make it happen“. Die Antwort darauf: ein gelber Daumen hoch. Wunsch registriert, oder ‚Verlass Dich drauf‘ – wer will das schon so genau wissen? Irgendwann kam noch eine Nachricht „We will probably launch the boat on 15.05 {Mittwoch} and the masts the next day“. Der ursprüngliche Plan war es, am Donnerstag nach Estland zu fliegen, aber ich bin ja flexibel. Flug nach Tallinn am Montag, am Dienstag noch Zeit mit Unwägbarkeiten nach Kärdla zu kommen, am Mittwoch früh noch das Unterwasserschiff inspizieren und eine Opferanode anzubringen, und dann kann’s losgehen. (Opferanode – das gibt’s wirklich. Ein Klumpen preiswertes und elektrochemisch unedles Material ‚opfert‘ sich, dass es selber wegrostet und nicht der teure Messing-Propeller). Geplant, gebucht, mit dem Bus sollte ich sogar am Montag um 21:00 da sein – wenn alles klappt.

Montag früh mit Air Baltic nach Riga, weiter nach Tallinn. Alles pünktlich (is man ja nimmer gewohnt, von der Bahn). Am Flughafen in Tallinn schaue ich noch nach dem ’sagenumwobenen‘ Flug, der direkt nach Kärdla gehen soll. Google findet ihn nicht als regulärer Flug, und wenn man googelt, kommen ein paar Pressemeldungen, und eine Meldung, dass der Flug von Air Jamaica angeboten wird. Diese Pressemeldung spricht von 25€ für den Flug. Punkt. Ich versuche es am Ticketschalter im Flughafen: „But of course, sir. Yes, 25€. Yes, it leaves in 2 hours. Yes, there’s space for you.“ Ich lasse die 13€ Busfahrt verfallen und buche den Flug. Der Ticketagent meint noch, dass es nur 15kg Freigepäck hat, und meine zusätzlichen Kilos (Gepäck, nicht ich!) je 3€ kosten, aber davon weiß die Frau am Schalter nichts, oder es ist ihr wurscht. Wir fahren mit dem Bus an die hinterste Ecke des Flughafens, wo eine zweimotorige Turboprop Saab 340 auf uns wartet. Dem grundsätzlichen Hang zur Geheimniskrämerei folgend ist die Maschine weiß lackiert, und trägt kein Airline-Logo. Auf den ersten Blick sieht die Maschine etwas mitgenommen aus, auf den zweiten sogar ziemlich mitgenommen. Aber mei, eine Flugbegleitende und ein Pilotierender trauen der Maschine auch. Wir rollen zur Startbahn, die Motoren dröhnen, meine Uhr meint „Gefährliche Lautstärke erkannt – zu lange in dieser Umgebung kann Ihren Ohren schaden“. Aber 25 Minuten später landen meine 8 Mitpassagiere und ich auf dem Kärdla Metropolitan Airport. Als erfahrener Flugreisender halte ich Ausschau nach dem Baggage Claim, bis ich bemerke dass meine Tasche – und nur meine Tasche – auf kleinem Leiterwagen von der Ground-Handling Crew hinter mir zum gleichen Gebäude gefahren wird. Als ich anbiete, die Tasche selber zu nehmen, werde ich auf das Terminal-Gebäude verwiesen. Ordnung muss sein. Am Parkplatz steht ein Bus, der mich als einzigen Passagier für 2€ zum Hafen fährt. Unterwegs habe ich noch eine Unterkunft gebucht – als wir im September das Schiff hier abgaben, gab es ein paar schicke Bungalow-Container direkt am Hafen.

Im Hafen sieht’s dann anders aus. Die Bungalows sind offensichtlich für den Winter weiter nach Süden gezogen, und noch nicht wiedergekommen. Dafür sehe ich ein mir bekanntes Schiff im Hafen dümpeln. WTF? Noch während der Reise hatte mich ein Mail von Marko erreicht, ‚probably on Tuesday‘, und jetzt ist Montagabend, und die Seestern schwimmt. Damit hat sich der erste Grund für meine verfrühte Anreise erledigt.

Aber egal, erstmal Unterkunft finden. Im Hafengebäude gibt es ein Ferienwohnung, Zugang per Schlüsselkasten. Hm, 6290 hilft nicht. Vielleicht wo anders? Ich irre ein wenig um das Gelände, rufe schließlich beim Wirt (=Hafenmeister) an. Der PIN für den Schlüsselkasten? Ja klar, 2023. Ich Dummerchen, das hätte ich ahnen müssen, dass die PIN in der Mail nur zur Tarnung diente. Noch schnell etwas arbeiten (habe die frühere Abreise mit dem Versprechen erlangt, auch von Estland aus zu arbeiten), und dann ab in die Stadt. Auf dem Weg zu einem mir bekannten Lokal erkenne ich ein griechisches Lokal. Sieht zwar geschlossen aus, aber nein – die Türe lässt sich öffnen; „Kali Spera!“ Haben sogar griechisches Bier, passend zu unserem Schiff, bzw. dessen Kaufort. Weil der Wirt etwas bei meiner Bestellung verbaselt, bekomme ich noch ein Bier mit auf den Weg.

Am Dienstagmorgen schnappe ich mir die in Deutschland noch gekaufte Opferanode und gehe zur Werft. Dort drücke ich mein Überraschen über das schwimmende Schiff aus, und halte zur Untermauerung die Anode anklagend hoch. „Oh, don’t worry, the old was finished, so Boris installed a new one“. Den Wahrheitsgehalt zu überprüfen bräuchte jetzt einen Tauchgang in der eiskalten Ostsee – wird schon stimmen, doppelschwör. Ich frage auch nach dem fehlenden Niedergangschott (für Landratten: Haustür vom Schiff), und bekomme ein frisch geschliffenes Schott vorgelegt. Es ist unlackiert, weil ‚wir nicht Bescheid gesagt hätten, ob wir es lackiert, geölt, oder Natur haben wollen‘. Das ist halb richtig. Eigentlich hatten wir nur um ein ANGEBOT gebeten, was es denn kosten WÜRDE, unseren Cockpittisch und Niedergang etwas hübscher zu machen. Das Angebot kam nie, die Arbeiten sind jetzt halt ausgeführt. Welches mich zum Titel bringt. Die Arbeiter auf der Werft sind durchaus schnell, freundlich und wirken kompetent. Aber das ganze Management… Ein paar Beispiele:

  • Wir hatten letzten Sommer eine Grundberührung. Nichts tragisches, laut Werft „a few scratches“. Foto davon? Wie, traut Ihr uns nicht? Don’t worry.
  • Sollte man das gekratzte Antifouling dort ausbessern? Die Werft bietet ein völlig anderes Produkt, als unser teuer in Griechenland aufgebrachtes Coppercoat. Gibt’s in Estland kein Coppercoat? Keine Ahnung, was nun passiert ist.
  • Bitte Angebot für Motor-Service, Getriebeölwechsel. Ach, das haben wir schon gemacht.
  • Verhandlungen über ein neues Süllbord (Holzleiste unter der Reling) ziehen sich so lange hin, bis unsere Anfrage mit ‚dieses Jahr klappt es eh nicht mehr‘ beschieden wird.

Whatever, wenn wirklich alles getan wurde, was so für ein Boot getan werden muss (Opferanode, Ölwechsel), dann ist’s ja wohl auch OK. Bin gespannt auf die Rechnung. Ich frage Boris, wie es jetzt weiter geht. Er meint, um 15:00 kommt der Kran, der die Masten auf’s Schiff bringt, bis dahin könnte ich das Schiff von der Nordseite des Hafens bis zur Südpier bringen. Gut meine ich, gehe in meine FeWo, und arbeite noch etwas. Eine halbe Stunde später geht Boris zu unserem Schiff, Brumm, und parkt um. Ach, wisst Ihr was, macht doch einfach.

Mir kommt wieder in Sinn, was Frank (der evtl. von einem Freund zitiert) immer sagt: „Man hat das Gefühl, das viele der Leute, die im Umfeld der Hobby-Schifffahrt ihr Geld verdienen, es trotzdem eher als Hobby betreiben“. Da gibt es Gästehäfen, bei denen unsere Anfrage unbeachtet im SPAM verschwindet. Angebote scheinen eher was für Spießer zu sein. „Auf Lager“ bedeutet nicht, dass es bald versendet wird. Noch immer warten wir auf eine Rückmeldung von der Firma, die uns mit digitalen Karten versorgen will. Ein Trauerspiel.

Um 15:00 kommt tatsächlich der Kran, in 40 Minuten stehen beide Masten auf dem Schiff – noch nicht ausgerichtet und unter Spannung, aber drauf auf der Seestern. Noch während ich mein Handy einsammle, welches ein Zeitraffer-Video machen sollte, legt Boris mit der Seestern ab und fährt an einen anderen Steg. Ich komme mir richtig nützlich vor. Offensichtlich bekommt noch ein anderes Schiff seinen Mast, und der Kran scheint pro Stunde richtig teuer zu sein. Boris braucht immerhin zwei Anläufe, um die Seestern an den Steg zu bringen (Mit Backbord anlegen ist auch nicht die Schokoseite), und ich nehme ihm eine Leine ab. Sobald das Schiff so halbwegs am Steg liegt (ich habe die Leine noch in der Hand), meint er: „I’ll leave you to take care of the lines“, und eilt zum anderen Schiff. Puh, der Kran muss wirklich teuer sein. Morgen früh kommen die Segel, die richtige Spannung auf die Wanten, usw…

Frank konnte nicht vor Donnerstag fliegen; ich habe also drei Tage Vorsprung. Ich überlege, hier auf Hiiumaa ein Auto zu mieten, oder zumindest ein Fahrrad. Das Fahrrad kostet 20 € am Tag. Noch während ich überlege, fällt mir ein, dass wir ja ein Bordfahrrad haben, welches ich auch nach einem ersten Schreck in der Backskiste finde. Stimmt, da hatten wir ja ein Platz dafür gefunden, zuvor lag es immer am Fußende meiner Koje. Mit dem Rad fahre ich am Abend in die Stadt. Ja, Stadt. Kärdla (dt: Kertel) ist die größte und auch einzige Stadt auf der Insel Hiiumaa. Es gibt sogar ZWEI Supermärkte, in einem kaufen ich mir ein paar Getränke. Es werden auf Google auch immer wieder Restaurants angezeigt. Man geht dann dahin, und denkt sich: „Oh, heute geschlossen“. Stimmt aber nicht unbedingt. Hier müsste eine Kneipe sein. Sieht zu aus. Vielleicht da oben, im ersten Stock, von der Außentreppe aus? Ich glaub’s ja nicht, gehe mal hoch, wenn ich schon da bin. Tatsächlich. Hier ist ’ne Kneipe. Die hat auf. Gut, ist nur ein Gast drin, und der geht auch bald. Danach gibt es hier ein Personal zu Gast Verhältnis von 2:1. Vielleicht liegt es an meinem Nicht-Beherrschen der estnischen Sprache. Vielleicht bedeutet „SISSEPÄÄS II KORRUS“ ja: ‚Kommt rein, sieht zwar geschlossen aus, aber nein, hier steppt der Bär’*. To be fair, während ich sitze, werden noch zwei weitere Tische besetzt, wahrscheinlich von Leuten, die SISSEPÄÄS II KORRUS verstehen.

Ich radle heim, und schreibe diesen Blog auf meiner Terrasse mit Blick auf den Sonnenuntergang, ein Bild welches ich aber vor habe, als ‚Remote Office Working‘ zu verkaufen.

*Ich hab’s geprüft, das wäre „Tuleb sisse, tundub suletud, aga ei, karu tantsib siin“