Der erste Törn

Treffpunkt 5:47 am Ostbahnhof, Ausgang Friedenstraße. Am Freitag, den 24. August, mitten in der Nacht trifft, sich die erste Crew der Seestern. Das Auto – immerhin ein VW Touran – ist rappelvoll, und eigentlich wollten wir noch vernünftiges Bier bunkern. Wir fahren das erste Mal zu UNSEREM Schiff. Die Planung war ein wenig chaotisch; Flüge wurden in der Hochsaison immer teurer, ursprünglich hatte Udo angeboten, dass wir mit seinem neuen Wohnmobil fahren konnten, die Idee setzte sich fest (Man könne ja einiges mitnehmen), dann kam noch ein schneller Autotausch, die Route war über den Balkan geplant, aber die grüne Versicherungskarte kam nicht rechtzeitig an. Theoretisch sagen zwar verschiedene Websites, dass man auch ohne grüne Karte durch die FYR Mazedonien kommt, aber wahrscheinlich sind das lauter Grenzen, wo man auch mal ein paar Stunden Wartezeit hat (die Route wäre über Ungarn, Serbien, FYR Mazedonien und Nordgriechenland gegangen). Noch während der Fahrt aus München heraus einigen wir uns zu der Alternative: Fähre von Italien direkt nach Griechenland. Noch vor einigen Jahren dachte ich mir, dass niemand mobiles Internet braucht; inzwischen kann ich mir gar nicht mehr vorstellen, wie man ohne auskam. Während wir durch’s Inntal fahren haben wir die verschiedenen Möglichkeiten erörtert, uns zu der kürzesten Strecke von Brindisi nach Igoumenitsa entschlossen.

Google Maps spuckt aus, dass wir um 18:00 in Brindisi sein könnten, die Fähre geht um 19:30. Ist das realistisch? Eigentlich nicht, aber absichtlich wollen wir die Chance auch nicht vertun, so streichen wir den Bierkauf in Österreich (Dosenbier ohne Pfand, und besser als italienisches oder griechisches Bier), und reduzieren die Pausen auf das nötigste und Fahrerwechsel. Gebannt verfolgen wir, wie sich um Bologna im Berufsverkehr erhebliche Staus bilden, aber auch wieder auflösen bis wir dort sind. Wir beginnen Hoffnung zu schöpfen – heute Abend noch auf die Nachtfähre nach Griechenland, und am Samstagmorgen am Schiff. Wir trauen uns noch nicht, eine online Buchung zu machen und versuchen das Ticketbüro in Brindisi zu erreichen. Der freundliche Service Mitarbeiter (*Ironie*) spricht fließend italienisch. Mit einer wilden Mischung aus Italienisch, italienisch ausgesprochenem Spanisch und einer Würze Phantasie versuchen wir zu fragen, ob es noch Platz gäbe, und wann man spätestens da sein müsse, um noch auf die Fähre zu kommen. Offensichtlich hat uns der Kollege verstanden, denn es folgt ein langer Schwall auf Italienisch. Ich versuche die Antwort zu vereinfachen: „é possibilé – si o no?“. Schwall. Irgendwann geben wir auf – wozu kennen wir Leute, die des italienischen mächtig sind? Unser Netzwerk bringt in Erfahrung, dass wir es schaffen werden, und sogar noch 45 Minuten Puffer haben. Da schaltet vor uns das Auto die Warnblinker ein.

Letzten Endes stehen wir fast drei Stunden im Stau, die nächste Fähre geht um 13:00 am Samstag. Frustriert gehen wir in Pescara essen und fahren danach weiter bis zu einem Campingplatz zwischen Bari und Brindisi, wo wir einfach auf einer Isomatte neben dem Auto unseren Schlafsack ausbreiten. Da die Fähre auch kurz in Korfu hält, kommen wir erst gegen 23:00 in Igoumenitsa an, und übernachten lieber dort als morgens um halb eins in einer dunklen Marina mit gefühlten 1000 Schiffen nach unserem zu suchen (und dann eine Leiter, den Schlüssel, und wie sieht’s im Schiff aus nach Einbau des Bugstrahlruders?).

Endlich stehen wir am Sonntagmorgen neben der Seestern. Immerhin ist das Bugstrahlruder eingebaut, der Rumpf sieht wieder dicht aus, und auch die wichtigsten Elemente der Elektrik scheinen installiert zu sein. Wir haben zwar eine relativ detaillierte To-do Liste, aber haben uns offensichtlich damit verschätzt, wie viel man an einem Tag schaffen kann, besonders da es mittags unerträglich heiß wird. Ich pfriemle die alten ‚Giggles‘ Schriftzüge ab, und ersetze sie mit unserem neuen ‚Seestern‘ Logo. Derweil machen sich die anderen ans sortieren. Schon bald stellt sich heraus, dass wir eigentlich ein Ersatzteillager gekauft haben. Jede Ecke des Schiffs ist voll. Acht Segel mit widersprüchlichen oder fehlenden Beschriftungen. Treibstofffilter, Keilriemen, Dichtungssätze, Planen, Wasserpumpen, Schäkel, Blöcke, Werkzeuge, Segel-Nähzeug und Revier- und Reiseführer von der Karibik bis Thailand. Witzig mutet nachträglich die Tabelle an, die ich zur Auflistung der verschiedenen Leinen gemacht habe. Auf einem Charterschiff freut man sich, vier Festmacher UND noch eine Landleine zu finden. Wir ziehen mindestens sechzig Leinen aus den Backskisten und von unter den Kojen hervor. Der Plan sah vor, diese zu katalogisieren, also Länge, Art und Durchmesser aufzuschreiben. Schnell rennt uns die Zeit davon; irgendwann müssen wir aufgeben. Wir brauchen Platz, und die Giggles wurde bislang wohl meist von einem Paar gesegelt. Am Abend sind wir komplett platt; schaffen es gerade mal in die Taverne direkt neben der Marina.

Da am Sonntag in Griechenland fast niemand arbeitet wird der Montag besonders stressig. Wir teilen uns auf – Frank versucht mit Dimitri den Schalter des Bugstrahlruders zu montieren, ich versuche die letzten Bürokratiehürden zu überwinden, und Max und Udo gehen einkaufen – Lebensmittel für die Woche, und Getränke für länger – wer weiß, ob wir das nächste Mal ein Auto haben um die ganzen Wasserflaschen umher zu fahren. Ich hole beim Makler also die originalen Schiffsdokumente, und mache mich gleich zum Hafenmeister auf, um ein DEPKA in unserem Namen zu bekommen (die griechische Erlaubnis zum Aufenthalt in deren Hoheitsgewässern). Am kompliziertesten ist es, die 50€ Gebühr bar in einer Bank einzuzahlen – alleine das kostet mich fast zwei Stunden. Derweil drängt die Marina – unsere Reservierung läuft heute ab, und sie wollen uns noch heute ins Wasser bringen. Um 15:00 rücken die Werftarbeiter an. Ein Spezialanhänger mit viel Hydraulik sammelt das Schiff ein, die Metallstützen werden abgebaut. Mit dem Hänger kommt das Schiff an die Wasserkante, wo ein Travellift die Seestern in seine Schlingen nimmt, und sie dann ins Wasser setzt. Dimitri prüft noch schnell, dass die Arbeiten am Rumpf wirklich dicht sind; die Schlingen kommen weg, und die Seestern schwimmt. Bis 17:00 müssen wir aus dem Becken draußen sein, denn dann kommt die erste Kundschaft des nächsten Tages. Um es etwas spannend zu machen bricht während unseres Ablegemanövers ein Sommergewitter aus, es schüttet aus Kübeln, aber jetzt ist auch keine gute Zeit, unter Deck die Regenjacke zu suchen. Etwas gestresst gehen wir erst noch tanken und suchen uns dann vor der Marina einen Ankerplatz. Das Abenteuer, es beginnt.

Kaufformalitäten – zweiter Anlauf

Auch im Fall der Giggles ist der Kaufprozess nicht direkt – zügig. Das Schiff gehörte mal einem Holländer – Bennie – der damit um die Welt segelte, aber in Thailand so krank wurde, dass er aufgeben musste, und das Schiff huckepack per Schiff zurück nach Europa bringen ließ. Eineinhalb Jahre später starb er, und seine beiden Kinder erbten das Schiff und wollten – oder konnten – es nicht behalten. Sein Sohn wohnt in Portugal, seine Tochter in Holland, der englische Makler in Griechenland ist im Urlaub, sein Kollege aus UK versucht zu helfen, und wir brauchen noch einen Sachverständigen den wir uns weder vom Verkäufer noch Makler vorschlagen lassen wollen. Immerhin verwendet der Makler den gleichen Vertrag wie wir ihn schon im Falle der Pennypincher genau durchgelesen haben, wir unterschreiben schnell, leisten unsere 10% Anzahlung, organisieren alles andere ohne schuldhaftes Zögern – trotzdem vergeht ein Monat bis wir die Probefahrt organisiert bekommen. Am 17.7 sind wir wieder in Preveza, am 19.7. findet endlich die Probefahrt statt. Für mich verläuft sie wie im Traum.

Es ist ein schöner Tag, schöner Wind, und das Schiff auf dem wir fahren gehört uns, wenn wir nur nicken. Statt wie geplant alle Winkel und Ecken zu durchstöbern, auch die unwichtigeren Systeme wie Toilette, Wasserpumpen, Herd usw. zu probieren, stehen wir an Deck, lassen uns den Wind durch die Haare blasen und freuen uns. Immerhin stellen Frank und der Gutachter fest, dass die Lichtmaschine am Motor dessen Batterie nicht lädt. So wissen wir am Ende des Tages: das Schiff schwimmt, der Motor läuft, die Segel sind da und lassen sich aufziehen, die Ankerwinsch funktioniert und wir werden Giggles kaufen. Am Ende der Fahrt bittet Roderick, der Sohn, ob er noch ein paar Minuten am Steuer fahren könnte – er wäre recht wehmütig, seines Vaters Schiff nun verkaufen zu müssen.

Doch Schluss mit der Harmonie – wir versuchen noch rauszuhandeln, dass Roderick noch auf seine Kosten das Thema mit der nicht-ladenden Batterie behebt, und ernten immerhin ein ‚er will’s versuchen‘. Leider lehnt er ab, trotz Kaufzusage unsererseits uns die nächsten paar Tage auf dem Schiff verbringen zu lassen. Wir hätten die Zeit gerne genutzt, um noch eine genaue Inventur zu machen; uns zu überlegen was wir in die Wege leiten müssen usw. Also verabschieden wir uns von Giggles, und versuchen trotzdem ein paar Sachen zu organisieren:

  • Sobald uns das Schiff gehört, ist es unser Problem wo es schläft. Kein Problem, wir gehen zum Marinabüro und reservieren einen (Wasser-)Liegeplatz für einen Monat. Doch Problem – die Marina ist ausgebucht. Aber wir können das Schiff gerne wieder aus dem Wasser holen und an Land stellen. Also wieder Kosten für Kran usw…
    Auch im näheren Umfeld finden wir kein Plätzchen im Wasser, und so versuchen wir das beste Angebot der drei Werften in Aktio zu finden. Wir können die Zeit an Land auch gleich dazu nutzen, ein Bugstrahlruder einzubauen.
  • Bugstrahlruder – nach allem was wir gehört haben, lässt sich ein moderater Langkieler wie die Hallberg-Rassy 42E rückwärts fast nicht steuern. Wir glauben zwar, dass man das mit viel Übung auch hinbekommt, aber da wir das Schiff auch mal an Freunde verleihen würden und die Häfen besonders im Mittelmehr immer enger werden haben wir beschlossen, ein Bugstrahlruder einzubauen (Das ist ein elektrisch betriebener Propeller in einer Querröhre am Bug, mit dem man das Schiff auch ohne Fahrt drehen kann). Die Ionian Marina kann uns neben einem Stellplatz noch Panos für die GFK-Arbeiten und Dimitri für die notwendige Elektrik empfehlen. Wir treffen uns mit beiden und organisieren das.
  • Der Name – eigentlich bringt es Unglück, Schiffe umzubenennen*, aber wir haben auf der Suche nur wenige Namen gesehen, die wir beibehalten hätten (zB Squander  – englisch für ‚Verschwenden‘), und Giggles gehört nicht dazu. In einem mehrstufigen Auswahlverfahren haben wir uns auf „Seestern“ geeinigt (gewonnen gegen Balu, Calypso , Blue Pearl, Falbala und 25 andere Namen), und als Heimathafen Übersee am Chiemsee ausgewählt (Forderung des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie: eigenständige Gemeinde an einem schiffbaren Gewässer, und mit Übersee hat’s feines Potenzial für Wortspiele).
    Frank und ich sind vom Typ her eigentlich eher für Arial bold, also eine eckige, serifenlose Schrift. Aber diverse Fotomontagen überzeugten nicht, und eine Anfangs als Witz eingebrachte Idee beginnt sich zu verselbstständigen. Am Ende landen wir bei einer nautisch abgewandelten Version von „Jokerman“, packen noch ein paar Designelemente dazu, und finden sozusagen Grundelemente unserer „corporate identity“

*Warum bringt es Unglück, ein Schiff umzubenennen? Die Seefahrt war früher gefährlicher als heute, und manche Schiffe waren weniger seetüchtig und schlechter geführt als andere. So kam es auch vor, dass Schiffe in den Hafen kamen, deren restliche Besatzung nur knapp überlebt hat. Das sprach sich rum, so dass keine Seeleute mehr auf der RMS Risiko anheuern wollten. Um das zu vermeiden, wurde das Schiff unbenannt. Wenn also ein Seemann mitbekam, dass das Schiff früher einen anderen Namen hatte, wusste er sofort – das Schiff bringt Unglück. Natürlich ist das für heute alles Aberglaube, betrifft uns nicht, aber die abwehrenden Maßnahmen lt. Aberglaube können ja nicht schaden, isb. wenn sie damit verbunden sind, Alkohol zu konsumieren.

Irgendwann bleib I dann dort

Erstbesichtigung und Probefahrt mit Sachverständigem führen dazu, dass wir zweimal kurz nacheinander nach Preveza / Lefkada fliegen dürfen, jeweils für Termine von ca. 3-4 Stunden. Es gibt auch sehr günstige Flüge dorthin, Condor nonstop ab/nach München. Leider nur zweimal die Woche, Samstagabend und Dienstagvormittag. So verbringen wir ein paar seltsame Kurzurlaube in der Region. Am 17. Juni – die Giggles werden wir erst am Montag, den 18. besichtigen, mieten wir uns also ein Auto und fahren rund um die Insel Levkada. (Hinweis zur Schreibweise – je nachdem ob englisch, deutsch, oder ins lateinisch transkribierte griechisch heißt die Insel und deren größte Stadt Lefkas, Levkas, Lefkada, Levkada – I really don’t know anymore.) In unserer ersten Station – Agios Nikitas Beach – sehen wir die Touristen aus dem Charterbomber wieder. Souvenirläden mit lokaler Handwerkskunst aus China wechseln sich mit authentischen Tavernen ab, die auch Wiener Schnitzel servieren. Nach dem Spießrutenlauf erreichen wir den Strand, finden ein hippes Café und genießen erstmal einen original griechischen Cappuchino. Strand und Bucht sind auch wirklich schön. Mir kommt das Lied von S.T.S. in den Sinn, „Irgendwann bleib I dann dort“

Der letzte Sommer war sehr schön
I bin in irgendeiner Bucht g’leg’n
Die Sunn wie Feuer auf der Haut
Du riechst das Wasser und nix is laut
Irgendwo in Griechenland
Jede Menge weißer Sand
Auf mein‘ Rück’n nur dei Hand

Bucht: check. Sunn: check. weißer Sand: check. Nix is laut: Nein. Zu viele Touristen. Frank und ich stellen fest, dass wir für die Art Urlaub keinen Sinn haben. Aber ein paar andere Textfetzen des Liedes hallen in meinen Gedanken wieder. So ein Schiff, lange damit unterwegs – ist das ‚irgendwann dortbleiben‘? Bis vierzig werden wir’s allerdings nimmer schaffen. In unserer Hektomatik-Welt – wir müssen grinsen. Das Lied ist 1984 geschrieben – da war die Bucht hier vielleicht wirklich einsam – da kann man doch rückblickend nicht von Hektomatik sprechen – kein Smartphone, nichtmal Handy, Internet, e-mail – was soll denn da hektisch gewesen sein. Aber a Bottle Rotwein in der Hand – das hört sich fein an. Wir fahren noch weiter über und um die erstaunlich bergige Insel, bevor wir abends in Lefkas City tatsächlich einen Wein trinken.  

Es gibt aber auch andere Tage die Gert Steinbäcker eher als Hektomatik sehen würde. So werden wir für die dreistündige Probefahrt insgesamt fünf Tage in Preveza hocken. Zwei Tage davon verbringen wir am PC im klimatisierten Hotel, aber am letzten Tag – vor dem Abflug – finden wir eine sehr nette Taverne direkt an der Bucht bei Nydri, wo wir bei gekühlten Getränken im Schatten sitzen und über das Design unseres Schiffnamens nachdenken – doch mehr dazu später. 

Hier übrigens der ganze Text, damit Ihr auch den Ohrwurm habt:

Der letzte Sommer war sehr schön
I bin in irgendeiner Bucht g’leg’n
Die Sunn wie Feuer auf der Haut
Du riechst das Wasser und nix is laut
Irgendwo in Griechenland
Jede Menge weißer Sand
Auf mein‘ Rück’n nur dei Hand

Nach zwei, drei Wochen hab i’s g’spürt
I hab das Lebensg’fühl dort inhaliert
Die Gedanken drah’n si um
Was z’haus wichtig war is jetzt ganz dumm
Du sitzt bei an Olivenbaum
Und du spielst di mit an Stein
Es is so anders als daham

Und irgendwann bleib i dann dort
Lass alles lieg’n und steh’n
Geh von daham für immer fort
Darauf gib i dir mei Wort
Wieviel Jahr‘ a noch vergeh’n
Irgendwann bleib i dann dort

In uns’rer Hektomatik-Welt
Dreht si‘ alles nur um Macht und Geld
Finanz und Banken steig’n mir drauf
Die Rechnung, die geht sowieso nie auf
Und irgendwann fragst di‘
Wieso quäl i mich da so schrecklich ab
Und bin net längst schon weiß Gott wo?

Aber noch is‘ net so weit
Noch was zu tun befiehlt die Eitelkeit
Doch bevor der Herzinfarkt
Mi mit 40 in die Windeln prackt
Lieg i schon irgendwo am Strand
A Bottle Rotwein in der Hand
Und steck die Füß‘ in‘ weißen Sand

Und irgendwann bleib i dann dort
Lass alles lieg’n und steh’n
Geh von daham für immer fort
Darauf gib i dir mei Wort
Wieviel Jahr‘ a noch vergeh’n
Irgendwann bleib i dann dort

Und irgendwann bleib i dann dort
Lass alles lieg’n und steh’n
Geh von daham für immer fort
Darauf gib i dir mei Wort
Wieviel Jahr‘ a noch vergeh’n
Irgendwann bleib i dann dort

S.T.S. , G. Steinbäcker

Kaufformalitäten – Teil 1

Das Prozedere ist nun wie folgt: Mehrfach werden Kaufvertragsentwürfe hin- und hergeschickt. Ein befreundeter Rechtsanwalt schafft es, einige meiner Sorgen zu dämpfen, denn das größte Problem aus meiner Sicht ist es, dass es für ein Schiff kein Grundbuch gibt, und auch kein ‚Fahrzeugbrief‘. Jedenfalls unterschreibt man das Dokument, überweist 10% des Kaufpreises, darf einen Sachverständigen über das Schiff jagen, und auch eine Probefahrt machen. Die nächsten Tage und Wochen ziehen sich weiter, wir versuchen einen Termin für Probefahrt zusammen mit Sachverständigen zu finden. Etwas unglücklich in diesem Sinne sind die preiswerten Flugverbindungen nach Faro, Samstag und Dienstag jeweils hin und zurück. Klar vorzuziehen ist aus unserer Sicht also ein Termin am Sonntag oder Montag, da muss man nur zwei Arbeitstage ausfallen lassen statt vier. Die Eigentümer schlagen einen Termin an einem Mittwoch vor; sie wäre zwar schon am Sonntag da, aber am Montag geht es nicht, da wäre sie noch nicht ‚bereit‘. Wir sind etwas stinkig, aber nach einer Zeit willigen sie ein, am Wochenende danach die Aktion zu starten.

Vielleicht ist deshalb auch ein wenig Trotz dabei, dass Frank ein weiteres Angebot ins Spiel bringt. In Griechenland, in Preveza. Auf dem Papier sieht das Schiff OK aus, aber sonst wissen wir nichts davon. Ich – immer glücklich wenn eine Entscheidung getroffen wurde – bin seeeehr zurückhaltend. Am Ende überzeugt aber ein Telefonat mit dem Makler und das gewonnene Wochenende – wir buchen noch einen Flug, und halten die Pennypincher hin. Am 16.6. landen wir auf dem Flughafen von Preveza/Lefkas, mit einem von Alan und Penny bereits unterschriebenen Vertrag in der Tasche. Am nächsten Morgen holt uns Stephen ab, und wir besichtigen ‚Giggles‘, die aktuell auf dem staubigen Gelände einer Werft steht. Giggles hat auch ein einwandfreies Teakdeck, ist aber im Vergleich ‚priced to sell‘. Da wir schon ein vernünftiges Angebot haben, können wir hier ordentlich pokern. Wir haben vor der Reise einen Preis ins Spiel gebracht, der einen 30% Abschlag zur Pennypincher darstellt. Der Makler zuckt. Er kann sich in unsere Nähe bewegen, aber dafür reicht seine Handlungsvollmacht nicht aus. Nach der Besichtigung setzen wir uns in ein Restaurant und überlegen, spielen das klassische Quartett. Mein Angebot hat sechs zusätzliche Segel an Bord- meines acht. Ich habe einen Wasseraufbereiter, Du nicht. Ja, aber ich habe einen Dieselgenerator und ein Kurzwellen-Radio mit (rudimentärem) Internet. Am Ende gewinnt Giggles, auch wenn wir den Preis für einen neuen Motor sicherheitshalberweise einpreisen. Frank schlägt vor, auf das letzte Angebot des Maklers einzugehen, diesmal bin ich forsch, und wir bieten die Hälfte zwischen unserem ersten und dem des Maklers. Am nächsten Morgen haben wir die Zusage, natürlich auch hier das Spiel mit Anzahlung, Sachverständigem, Probefahrt, und dann wirklich. Zurück in Deutschland sage ich dem Makler der Pennypincher ab. Man lernt – auch gefallene Würfel kann man nochmal aufheben.

Entscheidung im Drogenrausch?

Es wird eine spannende Logistik – ich fahre mit dem Auto nach Holland, kurzfristig zu Pfingsten nach Amsterdam zu fliegen ist arg teuer. Ich nehme ein paar BlaBlaCar Mitfahrer nach Düsseldorf, am nächsten Morgen noch eine Frau von Weede nach Amsterdam, sammle Frank – aus Skandinavien kommend – am Flughafen ein, und wir fahren in die Nähe von Enkenhuizen um die ‚Casanova‘ anzusehen. Der Eigentümer konnte zwar nicht kommen, aber Stegnachbarn von ihm und ein Makler zeigen uns das Schiff. Wir sehen ein paar schwer zu beziffernde Risiken, was uns aber am meisten irritiert ist die Inneneinrichtung – in vielen Details anders als alle anderen HR 42E. Wir vermuten, dass das Schiff mal einen größeren Schaden hatte, und es danach umfassend renoviert werden musste. Davon wissen aber Eigentümer, Makler und Stegnachbarn nichts. Hmmm. Dem nächsten Tag – Pfingstsonntag – verbrinden wir in Amsterdam. Gerne beschreibe ich das Wochende mit den Schlagworten: „Schiff angesehen – Joint geraucht – Entscheidung getroffen – Schiff gekauft“. Hört sich kultig an, stimmt auch alles, aber die Reihenfolge ist falsch. In Amsterdam angekommen, sitzen wir im Café unseres Hotels noch mit Laptop und bewerten Optionen und Risiken. Pennypincher gewinnt; die Entscheidung ist getroffen.

Beruhigt können wir nach Amsterdam Downtown fahren. Wir finden einen Coffeeshop, kaufen für den persönlichen Bedarf einen Joint (und ein paar Sandwiches), und suchen eine Bank um den Tag zu genießen. Meine bisherigen Drogenerfahrungen beschränken sich auf ein paar Cookies in Südafrika, und mal an einem rundgehenden Joint zu ziehen. Ich hab nie was gespürt, jedenfalls nicht gegenüber dem Alkohol, der auch noch im Spiel war. So ziehe ich immer intensiver an dem Joint, halte die Luft an – Nichts. Am Ende des Joints angekommen, spüre ich immer noch nichts. Ich bin ein Gott – immun. Ich schlage Frank vor, dass wir weitergehen, aber er meint, dass es vielleicht besser wäre, noch etwas sitzen zu bleiben. Mei, der Arme, verträgt das Zeug halt nicht so wie ich. Fünf Minuten später bin ich dankbar. Huiiiii. Ich bezweifle ernsthaft, dass meine Beine mich jetzt tragen würden. Huiiiiiiii. Ein Rennwagen aus den 50er Jahren fährt vorbei. Huiiii. Wo sitzen wir hier? Am gegenüberliegenden Gebäude steht ein Schriftzug mit ‚Justizia‘ – hoffentlich nicht das Justizministerium. Huiiiiii. Frank, ist da eben ein Rennwagen aus den 50er Jahren vorbeigefahren, oder halluziniere ich? Puuuuuh. Nach einiger Zeit (die offene Formulierung ist bewusst gewählt) wird es kühl im Schatten, und wir gehen das Risiko ein, an die Gracht zu gehen – dankenswerterweise mit Geländer – und uns an diesem bis zu einem Platz in der Sonne zu hangeln. Hier hat sich die Tourismusbehörde von Amsterdam wirklich übertroffen. An einer Kreuzung zweier wichtigen Grachten ist an diesem sonnigen Pfingstsonntag das helle Chaos. Große Touristendampfer, Studenten im Schlauchboot, Yuppies im Motorboot, Tretboote – alles rennet, rettet, flüchtet. Ein Tipp für die Mädels – im kurzen Rock hektisch Tretboot zu fahren offenbart manchmal mehr als gewollt. Mehrfach stoßen Schiffe aneinander, es wird geflucht, ausgewichen, in Panik dann an die Mauer der Gracht gefahren. Schon lange habe ich mich nicht mehr so amüsiert. Erst gegen Ende traue ich mich, mein Handy zu zücken, und ein paar Videos zu machen (vorher wäre ich mir sicher gewesen, dass ich’s ins Wasser hätte fallen lassen). Am nächsten Tag – ausgenüchtert – fahren wir nach München zurück, und schreiben unserem englischen Makler, dass wir die Pennypincher kaufen werden. Alea iacta est.

Europareisen

Es gibt weniger Gebrauchtyachten als Gebrauchtautos, aber erheblich mehr Internetportale für deren Verkauf. Boat24, Boot24, Yachtworld, und Scanboat sind die gängigsten. Viele Schiffe werden auf mehreren Portalen annoniciert, und da Makler selten einen Exklusivauftrag haben, findet man manche Schiffe auch mehrfach auf dem gleichen Portal. Wir fangen eine Excel Liste an, versuchen uns einen Überblick zu verschaffen. Wir suchen nur noch nach Hallberg-Rassy 42E’s, als Wildcard möchten wir uns auch mal die zu große HR 49 ansehen. Von der HR 42E wurden 255 Schiffe gebaut, und gefühlt sind weltweit aktuell 10% davon auf dem Markt. In Europa scheinen sie sich wie folgt zu verteilen: Littauen, Aland, UK, Schottland, Holland, Holland, Frankreich, Kanarische Inseln, 2 in Festland Spanien, vier in Italien, mindestens zwei in Griechenland, und weitere über die Welt verstreut. Wir erkennen, dass die frühen Exemplare etwas hässlichere Bäder haben (ein seltsamer Fleckenteppich aus Holz, Holzimitat und Kunststoff) und die Pantries noch ohne U gebaut wurden. Etwa 50% sind als Slup getakelt (ein Mast), die anderen als Ketch (zwei Masten). Der Zustand des Teakdecks wird schnell zum K.O. Kriterium – ein komplett neues kann dem Kaufpreis locker 50% an Kosten hinzufügen, aber natürlich sind fast alle Schiffe unterschiedlich – hier umfangreiche zusätzliche Segelgarderobe, hier ein neuer Motor, hier ein Dieselgenerator, hier eine Wasseraufbereitung, hier aus erster Hand und hier eine welche komplett stümperhaft in einer dusteren Halle fotografiert wurde, und die Beschreibung sich auf zwei Absätze beschränkt. Erkundigt man sich bei manchen der Kontaktdaten gibt es enthusiastische Eigner und ahnungslose Wiederverkäufer, auch öfters gar keine Antwort. Es ist klar – wir müssen uns ein paar Schiffe ansehen, damit wir beurteilen können, ob uns mal wirklich ein Schnäppchen über den Weg läuft.

Im Herbst 2017 bekam ich von einem Vercharterer ein Sonderangebot – One-Way Sardinien, mehrere Yachten seien von Cagliari im Süden nach Olbia im Norden zu überführen, zum halben Preis weil sie offensichtlich aus dem Winterlager in die Saison gefahren werden müssen; und ich schlug damals zu. Normalerweise einfach – Charterflug nach Sardinien, eine Woche Segeln, Charterflug zurück. Aber – könnte man da nix kombinieren? So wird es ein Road Trip. Von München nach Imperia (zwischen Genua und Frankreich), dann nach Lignano, Auto in Civitavecchia stehen lassen, und mit der Fähre nach Sardinien. Imperia ist gepflegt, mit zu viel automatischem Schnick-Schnack ausgerüstet, und insgesamt zu teuer. Lignano wird vom Eigentümer und einem Makler gezeigt; keiner von beiden spricht vernünftig Englisch. Der Eigentümer erklärt, mit ‚maintenance‘ sein Geld zu verdienen, aber Pflege des eigenen Schiffes schien nicht so im Vordergrund zu stehen. Für die Rückfahrt haben wir uns noch zwei Schiffe aufgehoben.

Auf Sardinien bekommen wir ein kostenloses Upgrade von der gebuchten Bavaria 46 auf eine Bavaria 51 – gröbstens dekadent, da wir nur zu dritt sind. Steff hat eine drei-Zimmer-Wohnung im Bug für sich alleine. In Erwartung einer eigenen Yacht schimpfen Frank und ich ständig über Charterschiffen (immer das billigste verbaut, nicht vernünftig aufeinander abgestimmt) und neue Design-Trends (die Bavaria soll im inneren offensichtlich ‚großzügig‘ wirken, deshalb gibt es um den Salontisch eine niedere Sofalandschaft, ohne vernünftige Rückenlehnen oder Griffen – eine falsche Welle, und man fliegt zwei Meter durch den Salon bevor man auf der anderen Seite ist).

Je mehr wir über die mittlerweile drei besichtigten HR42 nachdenken, umso interessanter erscheinen die Fotos von der Pennypincher von den Kanarischen Inseln. Wir telefonieren nochmal mit dem Makler – mittlerweile ist sie auf dem Weg nach Portugal, ein Schachzug um den Status ‚MwSt in der EU gezahlt‘ zu erhalten. Die Diskussionen hier sind nicht ganz einfach, obwohl der Eigentümer „wirklich“ verkaufen will, ist er nicht sehr entgegenkommend. Ein Teil scheinen die Gepflogenheiten des Marktes zu sein. Eine ‚Probefahrt‘ ist nur möglich, nachdem man einen Kaufvertrag unterschrieben hat – Man kann danach aber ohne weitere Nennung von Gründen vom Kaufvertrag wieder zurücktreten, also ist der Vertrag eher eine Absichtserklärung. Scheinbar gab es zu viel Missbrauch, dass sich Segler einen kostenlosen Segeltag erschlichen. Ob wir also – wenn wir nur wegen dem einen Schiff extra nach Portugal fliegen – vielleicht doch mal mitfahren könnten … naja, vielleicht. Wir schaffen es, einen Termin zu finden. Am 12. Mai könnten wir die Pennypincher in Lagos besichtigen, da wären auch die Eigentümer da. Wir wissen allerdings, dass sie von Profis dorthin überführt wird, vielleicht könnte man ja vorher etwas mehr Zeit verbringen? Nein, die Überführer sind am 10.5 schon weg, da geht nichts, sorry, keine Chance. Ja mei, aber einen Flug nach Lagos buchen wir trotzdem.

Auf dem Rückweg von Sardinien mit dem Auto machen wir noch eine Hau-Ruck Aktion, fahren von nahe Rom bis nach München in einem Rutsch; machen aber noch bei zwei Schiffen zwischen Venedig und Triest eine schnelle Besichtigung. Nicht überzeugend.

Der preiswerteste Flug an die Algarve haben wir mit Germania von Nürnberg aus gefunden. Also brechen wir am 10.5. mitten in der Nacht nach Nürnberg auf, um 7:25 geht der Flug. Wir werden erstmal zwei Tage an der Algarve totschlagen müssen, aber so ist das Leben – wahrscheinlich. Da wir aber allgemein etwas misstrauisch sind, schleichen wir uns am Abend des 10. Noch auf das Gelände der Marina ein. Entgegen der Beteuerungen des Eigentümers liegt dort eine HR42E Ketsch mit dem Namen Pennypincher. Die beiden Profiüberführer sind noch an Bord, nehmen eine Einladung auf ein Bier und etwas zu Essen an, und zeigen uns dafür (verratet aber nichts!) auch das Schiff. Es wäre zwar ein paar Sachen kaputt gegangen, aber insgesamt stellen sie dem Schiff ein gutes Zeugnis aus. O-Ton: wenn mich ein Schiff nicht überzeugt, überführe ich es nicht über’s offene Meer. Zwei Tage später besichtigen wir das Schiff nochmal, diesmal im Beisein von Alan und Penny. Er wird deutlich, dass Alan aus Vernunft seine Frau überzeugt hat, dass sie das Schiff verkaufen, aber das ganze bei beiden, besonders Penny, nicht emotional eingesickert ist. Wir bekommen beide den Eindruck, dass Alan sich beim Verkaufen nicht wirklich Mühe gibt, und Penny wirkt ausgesprochen biestig, wenn wir es wagen, auch nur kleine Kritikpunkte vorzubringen. Dennoch – das Schiff hält, was die Fotos versprochen haben – mit der Pennypincher könnten wir uns anfreunden. Langsam wird es Zeit, Nägel mit Köpfen zu machen. Gibt es noch alternativen? Nun ja, in Holland liegt noch eine Hallberg, preiswerter, aber ein paar Details sollten wir noch abchecken. Also nächstes Wochenende nach Holland.

England im Schnee

So sitzen Frank und ich eines Freitagabends im AirBräu am Flughafen, während einer der heftigsten Winterstürme auf der Insel seit Jahren reihenweise Flüge ausfallen lässt. Der Flug mit Easyjet wird mehrfach verschoben, aber dann geht’s doch auf nach London Luton, wo ein Mietwagen auf uns wartet. Zusammengefasst – ein interessantes Erlebnis, mit Sommerreifen und tiefgefrorenem Scheibenwischwasser auf der falschen Seite einer verschneiten Straße zu fahren. Durch die Verspätung (es ist halb zwei Uhr morgens) sind die Straßen aber so leer, dass man genügend Platz für unfreiwillige Spurwechsel hat. Ich habe einen straffen Plan aufgestellt. Fahrt nach Hamble Point Marina nahe Southhampton, 2 Stunden Schiff ansehen, Weiterfahrt nach Lymington (1:34 lt. Google), dort 2 Schiffe (3 Stunden), und dann noch ca. 3 ½ Stunden Fahrt nach Cornwall, Drinks mit Sandra – einer ehemaligen Kollegin – am nächsten Morgen noch eine Besichtigung in Salcombe, Fahrt Richtung Holyhead? (ja, das ist in Wales, nicht England), dann müssen wir noch etwas Zeit totschlagen bevor die Fähre nach Irland geht. Schon in der Nacht löst sich der Plan in seine Bestandteile auf. Sandra würde sich zwar riesig freuen, mich mal wieder zu sehen, aber sorgt sich wegen der Straßenverhältnisse – lassen wir’s lieber ausfallen. OK – aber ganz ehrlich, auch meine Mutter macht sich wegen einer Schneeflocke neben der Autobahn schon Sorgen. Allerdings stiftet der Makler aus Salcombe auch keinen Optimismus – wegen der Wetterverhältnisse käme er mit seinem Auto die kleine Anhöhe von daheim zur Hauptstraße nicht rauf – er wäre sich nicht sicher, ob es morgen klappt. Ts,ts,ts – die spinnen die Briten. Wir schaffen es pünktlich nach Hamble Point, der Makler aber nicht – Traffic problems. Als er dann doch kommt, gesteht er uns, dass das Schiff an einem Schwimmsteg im Hamble River liegt, und nur per Taxiboot zu erreichen wäre – ob’s da heute eines gibt? Gerade nicht. Wahrscheinlich Eisberg-Gefahr, Southhampton war ja auch der letzte Hafenstop der Titanic, den gleichen Fehler will man nicht zweimal machen. Jeremy ist es wirklich peinlich, dass wir extra aus Deutschland gekommen sind, und er uns jetzt kein Schiff zeigen kann. Er versucht zu kompensieren, nimmt sich viel Zeit uns verschiedene Rumpfformen im Wandel der Zeit zu erklären, zeigt Fotos der MiDen (einer Hallberg-Rassy 42E) auf dem Laptop, und kommentiert sie erstaunlich offen. Auch hier scheint es einen erheblichen Unterschied zwischen asking price und dem wahrscheinlichen Marktwert zu geben, auch wenn es der Verkäufer noch nicht akzeptiert hätte. Noch immer gibt es kein Taxiboot, so zeigt er uns zum Vergleich noch Fotos einer HR 42E, welche aktuell auf den kanarischen Inseln liegen würde. Etwas teurer zwar, aber deutlich besser in Schuss. Er gibt uns einen Memory Stick mit Fotos und anderen Unterlagen der Pennypincher mit.

Unsere Zeitplanung hat sich mittlerweile entspannt. Die Fahrt nach Cornwall werden wir ausfallen lassen, zu eindeutig auch die Katastrophenmeldungen im Internet. Jonathan – der Makler in Lymington hat uns gestanden, dass wir die beiden Schiffe dort heute nicht sehen können, wegen Blitzeis auf Steg und den Schiffen hätte der Hafenmeister den Zugang untersagt. Also gemütlich Pub und B&B in Lymington suchen, und am späten Nachmittag immerhin noch ein Vorbereitungsgespräch mit dem Makler. Er erzählt über die Eigentümer, deren Pflegeverhalten und Gründe für den Verkauf. Hoffentlich klappt’s am nächsten Tag, die Squander und die Intrepid Bear sind jeweils Najad 391er – aktuell meine Favoriten.

Am Abend im Pub lauschen wir amüsiert den Heldengeschichten der Locals. Engländer sind ja berühmt dafür, auch in unmöglichen Situationen eine Stiff upper Lip zu bewahren, und der heroische Durchhaltewillen angesichts vier Zentimeter Schnee beeindruckt uns nachhaltig. Als wir zu erkennen geben, dass wir Nahe an den Alpen wohnen, drosseln sie die Rhetorik, aber geben uns zu bedenken, dass so ein Wetter hier ungewöhnlich wäre, und man deshalb überhaupt nicht drauf vorbereitet wäre.

Am nächsten Morgen klappt es tatsächlich mit der Besichtigung. Ähnlich wie Ramsis Peer Gynt ist die Najad 391 eine Mittelcockpit-yacht, die deshalb eine große ‚Eignerkabine‘ hinten hat. Überhaupt sieht der Schiffsriss recht ähnlich von der Aufteilung aus wie die N343 (auch die Hallberg-Rassys sind ähnlich von der Aufteilung), aber mit zwei Meter mehr Länge bestimmt viel großzügiger. Wir sind enttäuscht. Ich bin ja wirklich nicht groß, aber in der Heckkabine kann ich nicht aufrecht stehen. Die ‚edelste‘ Kabine im Schiff, und immer gebückt gehen – echt jetzt? Mein Enthusiasmus für die 391 bekommt einen erheblichen Dämpfer. Frank geht es ähnlich. Etwas nachdenklich fahren wir weiter, scheitern an dem Versuch, noch eine Oyster zu besichtigen (Hafenmeister mit Schlüssel schafft es nicht zur Arbeit), und beschließen, noch einmal in Hamble Point anzurufen. Ja – heute fährt das Taxiboot, es ist zwar schon etwas spät, aber kommt vorbei. Zwei Stunden später setzen wir erstmals den Fuß auf eine Hallberg-Rassy 42E. Ja, die MiDen ist nicht mehr taufrisch, das Teakdeck braucht wirklich einige Arbeit, aber ansonsten fühlt sich der Schiffstyp einfach richtig an. Man kann in der Achterkabine stehen, der Platz am Navitisch passt wie angegossen, und die Pantry (Küche) ist ein winziges U dessen Funktion uns sofort klar wird. Bei Seegang klemmt man sich in das U und steht deshalb sicher. Auf der Weiterfahrt sind wir uns einig – wenn wir zwischen den drei Schiffen des heutigen Tages wählen müssten – lieber die MiDen, und das beim Kauf gesparte Geld in einige Basteleien investieren, oder vielleicht wäre dieses Schiff auf den Kanarischen Inseln doch interessant ?

Die Pennypincher auf den kanarischen Inseln ist eine Ketch – also ein Zweimaster, wobei der Besanmast (also hinten) kürzer ist als der Hauptmast. So etwas kommt einem heute selten unter (und im Charterbereich nie), und wir sind noch nie eine gesegelt. Wir erkundigen uns nach Vor- und Nachteilen. Vordringlich geht’s dabei ums Segeln: zwei kleinere Segeln sind leichter zu handhaben als eines (was bei modernen Yachten aber durch Technik wettgemacht wird, leichtere Segel, kugelgelagerte Mastrutscher, Rollsegel, und mittlerweile auch elektrische Winschen), sollte ein Mast brechen hat man vielleicht noch einen zweiten der noch steht. Mit dem Besansegel soll man das Schiff so trimmen können, dass es von alleine Kurs hält. Aber ganz viele Argumente haben nix mit Segeln zu tun – praktischer Ladebaum für den schweren Außenborder, am Mast kann man toll Radar und Windgenerator und sonst noch was befestigen. Außerdem sinnieren wir, kann man damit immer im Quartett gewinnen (Wer von euch kennt es noch? In meiner Jugend gerne gespieltes Kartenspiel, wo man zB mit Leistungsdaten zu Autos seinen jeweiligen Spielkamerad übertrumpfen musste – der Porsche war der schnellste, aber wehe der Gegner hat den Vergleich der Nutzlast gefordert). Und da wäre die Ketch am Stammtisch natürlich gut. Anzahl der Masten: zwei – und Du?

Am nächsten Tag fahren wir noch an LLanfairpwllgwyngyllgogerychwyrndrobwllllantysiliogogogoch vorbei (und wer das jetzt laut vorlesen will, der kann mich mal), geben unseren Mietwagen unbeschädigt in Holyhead ab, und fahren mit der Schnellfähre nach Dublin. Nicht nach Dun Laoghaire, übrigens – das WAR der Fährhafen von Dublin, mittlerweile gibt es ein Terminal nahe der Stadtmitte. Caroline hat den Kontakt mit Tristan hergestellt, auch er ist passionierter Segler und freut sich darauf, mal ein Schiff anzusehen, statt zu arbeiten. Die Najad 440 ist ein großes Schiff – fast 2 Meter länger als die mittlerweile in Ungnade gefallene N391, und wartet mit einer zusätzlichen Kabine mit einem Stockbett auf. Das Schiff war zwar mit den ’schonungslos‘ Fotos nicht geschönt beschrieben, aber – auch im Vergleich zur MiDen – ist der wahrscheinliche Marktpreis plötzlich nicht mehr so unglaublich interessant. An der Najad gäbe es einfach zu viel zu tun, und das von München aus in Dublin erledigen zu lassen… ziemlich zügig winken wir ab. Da aber sowohl der Makler als auch Tristan nicht viel besseres zu tun haben, schauen wir uns noch ein paar andere Schiffe an, die im Hafen zu verkaufen sind, zB eine Nauticat (KEIN Katamaran!). Am Abend ein klassischer Abend in Dublin – leckeres Guiness, und die Todesspirale des englischen Rundensystems. Sobald irgendjemand kein Bier mehr hat, fühlt sich jemand bemüßigt, schnell für alle ein neues zu holen. Dankenswerterweise geht der Rückflug nach München erst am nächsten Nachmittag. Unser neuer Favorit heißt Hallberg-Rassy 42E.

Das Traumschiff

Auch wenn die Woche Segeln um Ostern herum toll war, und man als Segler nicht nur schönstes Wetter erwartet, in einigen Momenten dachte ich mir schon, dass sich das nicht wie Urlaub anfühlt, sondern wir einem Freund beim Umzug helfen. Aber Ramsi hatte uns auch angeboten, im Sommer bei schönerem Wetter nochmal eine Woche Segeln zu gehen, denn schließlich sollte die Peer Gynt bis zum Herbst in Berlin sein. Ich hatte um Pfingsten herum noch geholfen, mit Karin, Ramsi und der Familie das Schiff von Rendsburg nach Fehmarn zu bringen, mal ein anderer Urlaub für den kinderlosen Chris. Jedenfalls fahren Frank und ich am 22. Juli mit der Bahn nach Großenbrode und treffen spät am Abend Ramsi wieder auf der Peer Gynt.

Die eigentlich zu bewältigende Strecke hätte man auch in zwei Tagen schaffen können, deshalb haben wir einen Umweg über die dänische Südsee geplant. Eine schöne Woche mit Stopps in:

  • Orth auf Fehmarn, wo wir das Schiff an der Kaimauer direkt vor dem griechischen Restaurant anlegen.
  • Langeland, mit sauteurem dänischem Bier und Pasta mit Krabben
  • Femø, einer kleinen runden Insel mit gefühlten 100 Einwohnern (eine abendliche Wanderung zu einer Kirche in the middle-of-nowhere inklusive)
  • Stubbekøbing, wo das beste Restaurant lt. Trip Advisor ein Thailänder ist, mich ein leckeres Laap an meine Reise durch Laos erinnert und zu einem baldigen Kochabend inspiriert.
  • Klintholm, ein ziemlich überfüllter Hafen mit einem sehr guten Italiener.

Am Ende der Woche legen wir in Sassnitz auf Rügen an. Doch so schön wie die Woche war – in Erinnerung wird sie mir auch bleiben, weil wir in der Zeit viel über Schiffe sprachen. Ramsi hat sich schon viel länger und intensiver als Frank und ich mit Yachten befasst. Ich habe mittlerweile Werftnamen verinnerlicht, über die mal als Charterer nicht häufig stolpert. Da gibt es drei hochwertige schwedische Werften – Najad, Hallberg-Rassy und Malö, aber auch Namen wie Comfortina, Swan, Oyster, X-Yachts – und Reinke. Zu Reinke kommen wir später. Der Yacht-virus hat Frank und mich mittlerweile infiziert, das Pflichtenheft wird etwas konkreter. Wir wollen Platz für vier nicht-kuschelnde Erwachsene, tendieren immer mehr zu einer Yacht mit Mittelcockpit, und wollen mindestens ein 40 Fuß großes Schiff, welches wir auf 39 Fuß korrigieren, weil eine Najad 391, die wir sahen, schon seeeehr schick war. Mehr als 45 Fuß sollten es aber auch nicht sein, die Größe wäre in der Ostsee unpraktisch. Ein Teak-Deck ist zwar nicht besonders praktisch, aber sehr klassisch; da wir keinen seelenlosen Joghurtbecher fahren wollen, nehmen wir auch das in den Anforderungskatalog auf. So streifen wir in jedem Hafen über die Stege, lassen die Beneteaus, Jeaneaus und Bavarias verächtlich links liegen, und diskutieren über Schiffsrisse, praktische Details. In Orth liegen vier Najads, in Stubbekoebing sehen wir zum ersten Mal in echt eine Hallberg-Rassy 42 E, auf der Fahrt nach Klintholm – im Grønsund – diskutieren wir darüber was ein Schiff ’schnell‘ macht. Ramsi kennt sie alle, und bringt immer wieder eine Reinke ins Spiel. Reinke ist ein deutscher ‚Typ-Yacht‘ Konstrukteur. Er verkauft Konstruktionspläne für diverse Schiffsmuster, und man lässt sie sich in einer beliebigen Werft bauen. Meist werden sie aus Alu gebaut, sind unheimlich stabil, haben einen Twinkiel (also zwei Kleine, auf denen man das Schiff bei Ebbe gut abstellen kann). Eigentlich das perfekte Schiff für eine Expedition. Das Internet hat uns erzählt, dass hier auf Rügen eine Reinke 13M zu verkaufen sei.  Da wir für die Rückfahrt nach München einen Mietwagen haben, rufen wir den Verkäufer an und vereinbaren einen Termin – unsere erste Schiffsbesichtigung! Diese Reinke ist eine Katastrophe. Hässlich wie die Nacht finster, ein fieser Kunststoffbelag auf Deck, vermooste Leinen, Fenster mit massiven Schrauben und Unmengen Dichtmasse eingebaut. Der Verkäufer räumt ein, dass man das Polster vom Navigations-Sitz neu machen müsste. Stimmt, aber am besten alle anderen Textilien auch. Sinnbildlich für dieses Schiff bleibt aber die Tüte mit verschimmelten Brot unter dem Esstisch – auch wenn man das sehr schnell hätte ändern können. Wir kaufen dieses Schiff also nicht, und fahren zurück nach München. Aber die Besuche auf den diversen Portalen für gebrauchte Schiffe nehmen zu.

Auch wenn München zweifelsohne die schönste Stadt der Welt ist, zum Schiffsgucken ist sie unpraktisch gelegen. Wir würden zwar schon mal eine Reise auf uns nehmen, aber wir stellen auch keine Häufung von Angeboten fest, dass man mal an einem Wochenende mehrere Schiffe abklappern könnten. Ich bin mittlerweile fast überzeugt, dass ich eine Najad 391 haben möchte, aber versuche auch noch etwas rechts und links zu gucken.

Mittlerweile ist es Winter geworden, wir haben keine weiteren Schiffe angesehen, und fahren erst einmal zur Boot (Messe in Düsseldorf). Ein witziger kleiner Ausflug, wir übernachten in Köln, trinken Kölsch im Gaffelbräu und am nächsten Abend Altbier im Füchschen in Düsseldorf. Auf der Messe schauen wir uns die neuesten Modelle unserer Lieblingswerften an, informieren uns über Nebenkosten wie Versicherung, Liegeplätze und Instandhaltung. Danach glauben wir, einen Überblick über die ganzen Nebenthemen zu haben, die Signale stehen auf grün. Bei der Planung des Messebesuchs ist mir aufgefallen, dass dort eine Firma MGM ausstellt. An den Namen erinnere ich mich aus dem Internet. Die verkaufen eine Najad 440 in Dublin, und im Vergleich zu manch anderen fast günstig. Wir bummeln an dem Stand vorbei, und reden mit Josh. Josh kennt das Schiff gut, räumt ein, dass es nicht mehr ganz taufrisch wäre, aber versichert uns, dass man es sicherlich für deutlich weniger als den ‚Asking Price‘ bekäme, und es dann ein Schnäppchen wäre. Er zeigt auf seinem Rechner noch ein paar Fotos aus der Kategorie ’schonungslos‘, aber vermag nicht, uns damit abzuschrecken. Der Köder ist geschluckt.

Natürlich fliegen wir nicht nur wegen eines Schiffes nach Dublin, wir sind ja nicht verrückt. Aber die Synapsen im Hirn beginnen sich zu verbinden. Dublin – do wohnt doch Caroline. Und auch wenn unsere Beziehung (wenn man sie so nennen will) während der langen Reise recht kompliziert war, mal wieder ein Bier – ein Guiness sogar – mit Caroline zu trinken wäre doch nett. Das Schiff liegt in Dun Laoghaire (für die von Euch, die den Blog Kindern wegen der einschläfernden Wirkung laut vorlesen: das wir ‚Dun Leary‘ ausgesprochen), das ist der Fährhafen von Dublin. Wäre also kultig, mit der Fähre dort anzukommen, und dazu muss man in England starten, und in Süd-England liegen auch ein paar Schiffe, die man sich ansehen könnte, und dass ist doch alles nicht so weit auseinander (siehe Größenvergleich) – sounds like a plan, oder?

Die Reise zum Traum – Teil 2

Am nächsten Morgen, pünktlich um neun, steht der handwerkende Seebär vom Vortag wieder am Schiff. Der Inhalt des Dieseltanks muss abgepumpt werden, der Tank gereinigt werden und das Diesel gefiltert. Er beginnt mit seiner Anamnese – der Tank ist recht voll, der Zugang nur durch die ca. 10 cm große Öffnung des Tankgebers möglich, wir haben keine leistungsfähige elektrische Dieselpumpe zur Verfügung. OK, er weiß Bescheid, muss nur kurz in seine Werkstatt fahren, um ein paar Sachen zu holen. Nach ca. 30 Minuten ist er wieder da, mit sechs großen 30 Liter Kanistern und einer elektrischen Pumpe, die für Diesel geeignet ist. Wo habt Ihr denn hier 230V Strom? Bedauerlicherweise sind wir an einem Steg angelegt, der eigentlich nur kurzfristig zu nutzen ist, und deshalb keine Landstromversorgung hat – und unsere Verlängerungskabel reichen nicht bis zum nächsten Steg. Kein Problem, er holt eine Kabeltrommel. Derweil erkunden wir in Schichten die Insel, also jeweils zwei bleiben am Schiff, der Rest bummelt über Norderney. Insgesamt fährt der Handwerker mehrmals zu seiner Werkstatt, braucht dabei jeweils zwischen 30-60 Minuten: Nach der Kabeltrommel fehlt eine kleine Pumpe, um die letzten 15 Liter abzusaugen; dann Bremsenreiniger zum Säubern des Tanks; dann ein Stückchen Schlauch, um den Bremsenreiniger auch in die entlegeneren Ecken des Tanks zu sprühen; dann ein Stückchen Draht, um den Tankgeber wieder zu montieren. Gegen fünf sind alle Arbeiten fertig, der Diesel wurde gefiltert und wieder eingefüllt – aber nach Helgoland fahren wir heute nicht mehr.
Während wir am Schiff auf den Techniker warten, diskutiere ich mit Frank über das Konzept „eigene Yacht“. Bislang hatte ich mit dem Gedanken nicht intensiver beschäftigt; spontan sprachen aus meiner Sicht folgende Punkte dagegen:
• Kosten – ich war immer überzeugt, dass die Schiffe, die ich mir leisten könnte, winzige Nussschalen sein würden, und Schiffe in der Größe, wie wir sie meistens charterten, preislich absolut indiskutabel wären.
• Die Ferienhaus-Problematik – Auch ohne es weiter in Frage zu stellen, war meine spontane Vorstellung der eigenen Yacht immer, dass sie zB in einem Hafen in Kroatien liegt, und man dann immer wieder hinfährt. Jeden. Urlaub. Wieder. Was haben wir’s da mit Chartern gut: Mal Schweden, mal Thailand, mal Karibik.
• Fahren statt Putzen – auch wenn man meistens 100-150€ für die Endreinigung zahlt, man bekommt das Schiff geputzt und (theoretisch) technisch einwandfrei übergeben, und hinterlässt es … es wird ja geputzt. Also verliert man keine Minute seines wertvollen Urlaubs.
• Qualität – Im Charterbetrieb haben wir meistens Yachten der preiswerteren Massenhersteller gehabt – Bavaria, Beneteau, Jeaneau. Aber mit so einem Joghurtbecher über den Atlantik – wäre mir da wohl dabei? Und an Ausrüstung bräuchte man sicherlich noch total viele Sachen, wie Rettungsinseln, aufwändigere Kommunikationstechnik.
Zusammengefasst also zwei Bereiche – ein vernünftiges Schiff wäre zu teuer, und mit einer klassischen ein-paar-Wochen-Urlaub-im-Jahr Freizeit auch nicht sinnvoll. Die Najad 343, auf der wir sitzen, bringt das erste Bild etwas ins Wanken. Zwar ist das Schiff deutlich kürzer, als ich bislang akzeptabel fand, aber es wirkt nicht so. Die Innenaufteilung ist praktisch, man würde zu sechst Platz finden, das Schiff ist zwar schon bald 30 Jahre alt, aber die Verarbeitungsqualität ist hervorragend, und wirkt vertrauenserweckender als manche fünf Jahre alte Bavaria. Dann bringt Frank noch die Idee ins Spiel, dass er sich überlegt, ein einjähriges Sabbatical zu machen, um mal wirklich länger zu segeln. Ich bin ja selbstständig – Ihr merkt’s, da hat sich gerade eine Idee eingenistet.
Am nächsten Morgen springt der Diesel einwandfrei an, und läuft auch ein paar Minuten ohne Probleme. Wagen wir es? Mit Respekt verlassen wir den Hafen, tuckern an die Nordseite der Insel und setzen die Segel – next Stop Helgoland. Die See ist heute ruhiger, es bläst ein beständiger achterlicher Wind, eigentlich ideal für den Blister, den Peer Gynt an Bord hat. Aber ich glaube, ich habe mich seelisch von meinem Halb-bad in der Nordsee noch nicht ganz erholt; habe keine Lust jetzt mit einem neuen Segel zu experimentieren, und lege mit meinem Unwillen das Fundament für einen längerfristigen Running Gag – jedes Mal, wenn wir seitdem überlegen, ob wir ein bauchiges Vorsegel heißen, wird dieser Tag referenziert.
Da wir die Gezeiten berücksichtigen mussten, als wir Norderney verließen, wird es schon dunkel, als wir an der Ostkaie des Südhafens von Helgoland festmachen – und natürlich, weil wir ohne Blister nicht so schnell voran kamen. Mit dem obligatorischen Anlegeschluck ist es somit schon etwas später, als wir in die bunte Kuh einlaufen – eine traditionsreiche Kneipe in den witzigen bunten Helgoländer Häusern. In der Dunkelheit laufen wir noch ein wenig herum – schade, dass wir nicht länger bleiben können, aber der Schlag zum Nord-Ostsee-Kanal morgen ist eher lang.
Am nächsten Morgen sind wir früh auf den Beinen – wir wollen unsere Überlegungen noch einmal mit dem Hafenmeister besprechen, um etwas lokale Erfahrungen zusätzlich zu unseren Tidentafeln zu haben. Er lacht, als wir erklären, so um zehn losfahren zu wollen: „Das könnt Ihr schon machen Jungs, aber dann kämpft Ihr einige Stunden gegen das ablaufende Wasser in der Elbmündung, und kommt mir Eurem Schiffchen gar nicht voran. 14:00 reicht locker, dann spült Euch die rückkehrende Flut förmlich die Elbe hinauf – ihr werdet staunen, wie schnell das geht.“ Also haben wir plötzlich Zeit für ein gemütliches Frühstück in der Stadt und eine Klippenwanderung, bevor wir uns wieder auf den Weg machen.
Auf der Fahrt sind dann wirklich alle Naturgewalten uns wohl gewogen. Wind, Welle, Flur und Strömung kommen von hinten, die GPS Geschwindigkeit liegt weit über dem, was die Peer Gynt aus eigener Kraft schaffen würde. Aber die Wellen sind noch recht ordentlich, immer wieder erfassen sie das Heck der Yacht, und man muss kräftig steuern, damit die Yacht die Welle ‚heruntersurft‘, und sich nicht querlegt. Wie schon an den Tagen zuvor stellen Frank und ich fest, dass ein etwas größeres Boot wahrscheinlich ruhiger fahren würde.
Der Ideen-Keim ist etwas gewachsen, wir überlegen mittlerweile schon, was für ein Schiff wir denn bräuchten, wenn wir wirklich eines wollen würden. Schön an der etwas kleineren Peer Gynt ist, dass sie sich leichter ‚aus der Hand‘ fahren lässt. In den meisten Fällen kann man das Schiff beim Anlegen mit der Hand halten, und es auch mal mit einem kräftigen Zug zum Steg ziehen; ein kleineres Schiff kann man also mit einer kleineren Mannschaft besser fahren. Auch ist vieles auf dem Schiff, was Geld kostet, kleiner und damit billiger, auch zB Hafenliegegebühren richten sich nach der Länge. Ein längeres Schiff hingegen wird bei Wellengang ruhiger sein, verspricht auf dem weiten Meer also mehr Sicherheit, nebenbei hat man mehr Platz für Gäste und Bier. Und: Länge läuft, ein größeres Schiff wäre also schneller ?. Darüber werden wir noch länger diskutieren, aber auf eine Rahmenbedingung haben wir uns schon fast geeinigt: Es wird ein älteres Schiff eines Premiumherstellers sein, da hoffen wir, dass sich der Wertverlust in Grenzen hält.
Wir erreichen das betonnte Fahrwasser der Elbe, auch wir halten uns an diese ‚Straße‘ durch’s Wasser. Auf beiden Seiten – informiert die Seekarte – können sich die Tiefen häufig ändern, und bei Ebbe teilweise trockenfallen. Aktuell sieht man davon nichts, und auch als wir später Cuxhaven passieren erkennt man noch nicht einmal das nördliche Ufer der Elbe. Das Fahrwasser teilen wir uns mit richtig großen Pötten, da fährt man möglichst präzise am Rand um denen nicht in den Weg zu kommen. (Viele von Euch wissen es schon: Ein Segelboot verhält sich zu einem Riesenfrachter nicht wie ein Sportwagen zu einem LKW. Da ‚Länge läuft‘, kann der Tanker locker 3-5 mal schneller fahren als wir, nur nicht bremsen.) Als wir uns Brunsbüttel und dem Eingang zum Nord-Ostsee-Kanal nähern, beginnt es zu dämmern. Das war so nicht geplant. Zwar sind hier alle Schiffe ordnungsgemäß beleuchtet, aber es hat auch viel Verkehr, und Brunsbüttel liegt auf der Nordseite der Elbe; wir müssen also mit unserer Nussschale auf die andere Seite. Schon irgendwie eine Herausforderung – wie lange werden wir wohl brauchen, um die Elbe zu queren, gibt’s dabei irgendwelche unerwarteten Strömungen? Das große Schiff hinter uns, klar, das lassen wir noch vorbei, aber was kommt uns da entgegen? Mittlerweile ist es recht düster, wir erkennen eine rote Positionslampe, also sehen wir seine Backbordseite, und es hat zwei ‚Dampferlichter‘ also dürfte es über ?? Meter lang sein. Aber die wirkliche Größe, Geschwindigkeit und Richtung ist schwer abzuschätzen. Wir nehmen unser Herz in die Hand und fahren mit Vollgas (Das Segel haben wir mittlerweile eingeholt) in die ‚Wartezone für Sportboote‘. Der große Entgegenkommer war weit genug weg, alles gut.
Mittlerweile haben wir mit der Schleuse per Funk Kontakt aufgenommen. Eigentlich einfach, aber die ganzen Schifffahrtprofis da draußen hören mit. Und auch wenn’s mir wurscht sein sollte, ich will nicht, dass die alle merken, dass wir das zum ersten Mal machen. Aber der Schleusenwärter (eigentlich: Verkehrszentrale NOK) meint: „Kein Problem, ich mache Euch die südliche Schleuse auf, fahrt einfach rein“. Los geht’s, wir setzen Kurs auf die Schleuse, oder jedenfalls dorthin wo wir sie vermuten. Mittlerweile ist es stockdunkel, die Seekarte gibt zwar Auskunft darüber, welche Lichter sie beleuchten, aber in solchen Situationen erkennt man immer den Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Ist das weiße Licht dort das Einfahrtsignal, oder doch nur eine Straßenlaterne auf der Uferpromenade? Um die Spannung zu erhöhen, beschließt der ipad, der unsere elektronische Karte ist, mal ein paar Minuten keine neue Position zu erkennen. Auch Wind und Welle sind auf einmal ganz anders, jedenfalls für uns. Auf der Fahrt die Elbe hoch kam alles von hinten – Wind, Welle und Strömung. Im Cockpit ist das sehr entspannt – der wahre Wind und der Fahrtwind heben sich ein wenig auf, die Wellen plätschern sanft gegen das Heck. Aber für das kurze Stück zur Schleuse müssen wir gegenan. Zu allem Überfluss regnet es mittlerweile recht heftig. Immer wieder taucht der Bug der Peer Gynt in die kleinen, ruppigen Wellen, Wind und Fahrtwind addieren sich und blasen die aufkommende Gischt nach hinten über das ganze Schiff. Wer einmal das Boot gesehen hat – die Szene wo sie bei Sturm im Turm stehen, und der 2. WO bei jeder überkommenden Welle manisch lacht – der hat jetzt ein gutes Bild. Die Kombination aus „wo sind wir“ (streikender ipad), „wo müssen wir hin“ (ist das Licht da vorne jetzt die Schleuse, oder was anderes) und „fahren wir überhaupt“ (könnte auch sein, dass uns Strömung und Wind nach hinten treiben) sorgt für einige Minuten mangelnde Entspanntheit. Aber dann wacht der ipad wieder auf, die Beleuchtung der Schleuse sieht plötzlich genau so aus, wie auch auf den Skizzen, und wir fahren in die offenen Schleusentore ein. Schlagartig ist der Spuk vorbei, als würde man aus einem Sturm in die Garage fahren. Die 10,70m lange Peer Gynt fühlt sich in der 310 Meter lange Schleuse sehr klein an. Direkt hinter der Schleuse ist ein kleiner Sportboothafen, saisonbedingt fast leer, wir legen an, und eine Last fällt von uns. Jetzt wäre ein Bier und was zu essen gut. Brunsbüttel um zehn Uhr abends ist keine pulsierende Metropole. Mit Glück finden wir noch einen Chinesen, der uns noch etwas kochen wird. Eine heiße Suppe – jaaaa. Dann auch noch etwas Tee neben dem Bier, und eine große Portion europäisiertes Schweinefleisch Süß-Sauer. An einem normalen Tag hätte ich den Laden wahrscheinlich nicht mit dem Arsch angesehen, heute ist es ein Tempel.
Am nächsten Morgen muss Frank abreisen, da er am Sonntag auf eine Dienstreise muss, aber Ramsi, Christian und ich fahren noch etwas auf dem Nord-Ostsee-Kanal weiter. Wegen der Verzögerung mit der Dieselpest haben wir den Plan geändert, und fahren nun doch nur bis Rendsburg statt nach Kiel, aber die Marina dort ist immerhin erheblich günstiger. Am Sonntag schwingt sich Christian in den Zug nach München, und Ramsi fährt mich mit einem Mietwagen nach Hamburg. Um 16:30 komme ich im Hotel an, eine halbe Stunde später schlafe ich tief und fest. Ob ich an diesem Nachmittag von einem eigenen Schiff träume, das weiß ich nicht mehr – aber die Reise hat sicherlich den Traum geweckt.

Vor Borkum, mit der Pest an Bord

Am nächsten Morgen folgen wir deshalb noch weiter dem Emsfahrwasser nach Nordwesten, bevor wir nach ca. zwei Stunden auf die offene Nordsee treffen, und uns langsam auf Kurs Nordost begeben. Es hat eine hässliche See (also Wellen, die es in ihrer Größe und Richtung genau schaffen, nicht angenehm zu sein), Wind direkt genau aus der Richtung in die wir wollen, und ist ungemütlich kalt. So fahren wir mit Motor, lieber etwas früher einen Grog auf Norderney. Ich bin noch müde, und es geht mir nicht richtig gut. Seekrank – ICH?!? Das kann doch nicht sein, habe ich doch Ruf und Anspruch, dass ich der am unempfindlichsten bin, der, der auch bei richtig Welle noch problemlos unter Deck herumwurschteln kann. Also, seekrank kann ich also nicht sein, der Abend zuvor war auch nicht ausschweifend, also zweifelsfrei eine Lebensmittelvergiftung. Jedenfalls lege ich mich im Salon hin, und ein Eimer leistet mir Gesellschaft. Bei dem monotonen Motorengebrumme kann ich normalerweise wunderbar schlafen.
Damit das mit dem Schlaf klappt, muss das Motorengebrumme aber wirklich monoton sein. Leider fängt der Motor irgendwann an, ungefragt die Drehzahl zu ändern. Sie fällt kurz ab, pendelt sich wieder bei normal ein, fällt wieder ab, steigt wieder, und dann stirbt der Motor ab. Unnötigerweise brüllt jemand aus dem Cockpit mir diese Tatsache hinunter. Ohne Motorsind wir manövrierunfähig, und das ist bei dem Wellengang schlecht. Ich stürze nach oben, und wir setzen so schnell wie möglich das Vorsegel (das kann man einfach – unabhängig vom Kurs – rausziehen, und bietet etwas Vortrieb, und damit sind wir wieder manövrierfähig). Jetzt also nachdenken. Wir probieren mehrmals den Motor zu starten, aber er beharrt bei seiner Arbeitsverweigerung. Ich male mir aus, wie wir hier – mitten auf der Nordsee – einen Abschleppdienst organisieren könnten. Immerhin zieht das Vorsegel erstaunlich gut, wir machen hart am Wind durchaus Fahrt. Aber nur mit Vorsegel weiter nach Norderney kreuzen? Die Idee scheint nicht verlockend, aber zurückzufahren auch nicht, da wir zwar einen Teil der Strecke den richtigen Wind hätten, aber dann zurück im Emsfahrwasser nicht mehr. Ein Blick auf unseren Kartenplotter offenbart, dass wir durchaus bei der jetzigen Geschwindigkeit noch bei Tageslicht in Norderney ankommen könnten. Nah an der Insel würden wir zwar Hilfe brauchen, aber sicherlich hat’s auch dort einen DGzRS Seenotkreuzer.
Vielleicht allgemein mal eine gute Idee, mit denen zu reden; die auf Borkum waren ja auch sehr zugänglich, und die kennen das Revier viel besser als wir. Also ran an die Funke. Das Los fällt auf mich. Als Deutscher braucht man ja eine spezielle Ausbildung, um einen Wurm an einem Angelhaken ins Wasser zu halten, so gibt es auch einen Schein, den man braucht, um ein Funkgerät zu betreiben. In der Ausbildung hat man gelernt, den Notfall-Kanal (Channel 16) nicht mit Trivialitäten zu blockieren, also sammle ich meine Gedanken, drücke auf die „Sprechen“-Taste und rufe: „Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger, this is „Peer Gynt“, come in please“. Das Gerät bleibt stumm. Ich probiere es nochmal. Stille. Und nochmal. Da meldet sich eine Stimme: „This is Bremen Rescue for Peer Gynt, what is the problem?“ Bremen Rescue. Oh weia. Das MRCC (Maritime Rescue Coordination Center) Bremen ist die bundesweite Zentralstelle für die Koordination von Seenotrettungen. Wirkt etwas übertrieben. Könnte ich vielleicht bitte mit „Bremen kleines Problem“ reden? Wir sind ja nicht in Seenot. Noch nicht. Ich nehme mich zusammen, und erzähle unser Problem. „Engine won’t start, attempting to sail towards Norderney under Sail, will require assistance in getting into the harbour“. Der Bremen Rescue Kollege scheint nicht empört zu sein, wegen eines Motorschadens behelligt zu werden. Er fragt höchst professionell nach unseren jetzigen Position, und „the number of souls on board“ (für die Planung der Leichensäcke). Dann rät er uns „proceed to position off Norderney and contact us again“. Irgendwie fühlen wir uns wohler.
Obwohl die Peer Gynt nur unter Vorsegel erstaunlich gut vorankommt – mit zusätzlich Großsegel wäre es sicherlich besser. Segelschulmäßig setzt man das Großsegel, indem man unter Motor gerade gegen den Wind fährt, nur dann kann man das flatternde Segel am Mast hochziehen. Aber da war es ja wieder, unser Problem. Es gibt noch eine ‚Rodeo‘ Alternative (mit Rodeo bezeichnen wir alle Manöver, die so nicht im Buch stehen, aber unter bestimmten Bedingungen doch klappen können, so wie den Hafenpoller mit einem Lasso einfangen): Das Boot mit Vorsegel ganz hart am Wind, die Großschot ganz weit auf, damit der Baum frei ist, und dann kann es auch klappen, besonders bei ruhiger See und weniger Wind (finde den Fehler). Also Schwimmweste festgezogen, Lifebelt klar, und ab nach vorne. Mit dem Lifebelt hängen wir uns an dem Schiff fest, so dass wir nicht über Bord gehen können, und dann probieren wir, das Großsegel zu setzen. Doof, dass wir es noch nie probiert haben. Doof auch, dass die Wellen weiter auf sich aufmerksam machen. Aber nun ja, ein Versuch ist es wert. Leider hängt das Segel in den Lazy-Jacks fest, und lässt sich nicht ganz hochziehen. Ein reges Gebrülle setzt ein, laut – damit man über den Wind und Meeresgeräusche noch etwas hören kann, und etwas schrill –weil die Nerven blank liegen. Trotz weiterem Hin- und Her-geziehe bekommen wir das Segel nicht gesetzt. Die Großschot – bei der Najad 343 hinter dem Steuermann befestigt, schlägt heftig hin- und her, und legt sich einmal auch um Frans Hals. Christian brüllt, dass wir bald im Verkehrstrennungsgebiet sind, und da haben wir wahrlich nichts verloren. Und dann erfasst noch eine ruppige Welle das Schiff, ich rutsche auf dem nassen Deck aus, und die Schwerkraft zieht mich in die Nordsee. Ich fühle das kalte Wasser der Nordsee von unten in meine Segelhose laufen, die Knie werden nass, ich greife verzweifelt nach irgendwas an Deck, was mir Halt geben kann. Auch wenn ich nichts erwische, die Reling hält mich auf. Mit einer Flinkheit, die mir sonst keiner zutraut, krabbele ich wieder an Deck. Meine Meinung hat sich geändert – es muss auch ohne Großsegel gehen. Also räumen wir es noch schnell auf, und dann nix wie zurück ins sichere Cockpit. Wir wenden, und fahren den nächsten Schlag Richtung Norderney. Ich bin reichlich adrenalingesättigt, mir ist kalt, und eigentlich ist mir immer noch schlecht. Ich entschuldige mich, und verzieh mich unter Deck – raus aus den nassen Hosen.
Die Zeit vergeht, und wir kommen überraschend anständig voran. Irgendwann schätzen wir optimistisch, dass wir eine halbe Stunde vor der Ansteuerungstonne „Dove Tief“ sind, die das Fahrwasser von der Nordsee nach Norderney markiert. Ich – halbwegs ausgetrocknet und wieder besserer Laune – rufe wieder Bremen Rescue, sag mein Sprüchlein auf, und beschreibe, wo wir nun sind: „about one half hour away from … ähm, öhm, … Ansteuerungstonne Dove Tief“. Bremen Rescue fragt, ob wir vielleicht Deutsche seinen? „ähm, yes“. „Nun, dann können wir auch Deutsch reden“. Mein Fehler – ich dachte solche Kommunikation läuft immer auf Englisch, er heißt ja auch Bremen Rescue und nicht ‚Rettung Bremen‘. Aber innerlich muss ich immer an den Werbespot von Berlitz denken: „what are you sinking about?“. Jedenfalls übergibt uns Bremen Rescue an den Seenotrettungskreuzer „Bernhard Gruben“ auf Norderney, zu rufen über Kanal 17. Hier probieren wir’s gleich auf Deutsch, und die Retter empfehlen, noch unter Segeln zum Weststrand zu fahren, dort würden sie uns an die Leine nehmen. Sobald wir dann das Fahrwasser Dove Tief erreichen, haben wir viel angenehmeren Wind von der Seite, an Norderney entlang sogar von hinten. Zwischenzeitlich sehen wir auch einen Seenotrettungskreuzer, der uns um die Insel entgegenfährt, aber der wendet wieder und fährt zurück. Wir sind zwar bedröppelt, aber bleiben dabei – per Funk wieder am Weststrand melden, und da sind wir noch nicht.
Dort angekommen, funken wir die Bernhard Gruben wieder an. Ja, ja, meinen sie, sie hätten uns schon gesehen, aber wir sahen so aus, als hätten wir die Situation im Griff, und hier – hinter der Insel – wäre kaum noch Seegang. Vorsichtshalber weisen sie uns darauf hin, dass sie für Kratzer im Schiff beim Abschleppen nicht haften. In Sichtweite des Hafens holen wir das Segel ein, der (aus unserer Perspektive) imposante Seenotrettungskreuzer kommt längsseits, wirft ein paar Leinen über, und fährt uns in den Hafen. Wir beschreiben den Schaden, und die Diagnose ist schnell und eindeutig – Dieselpest*. Sie würden auf Norderney jemanden kennen, der uns bei der Behebung helfen könne, ob sie ihn anrufen sollen? Wir nehmen dankbar an, machen ein paar Selfies mit schleppendem Schiff und sind fünfzehn Minuten später am Steg im Hafen von Norderney. Man hilft uns fest zu machen, der Reparateur kommt, fummelt ein bisserl an den Dieselleitungen, macht ein paar Filter auf und zu, nimmt den Schlauch in den Mund und saugt oder pustet, baut alles wieder zusammen, entlüftet die Dieselpumpe – „probiert’s jetzt mal“. Der Diesel springt wieder an. Der etwas kauzige Mechaniker will seine Sachen packen und gehen. Halt – und was sagt uns, dass das nicht bald wieder passiert? Tja, meint er, das ist etwas aufwändiger – da müsste man das System leeren, die Pest bekämpfen, dann wieder füllen. Ramsi meint, dass ihm das schon lieber wäre, wenn wir das Problem nachhaltig beheben. Na gut, meint der Mechaniker, er kommt morgen wieder, und dann machen wir das.
Nun gut, dann beenden wir den Tag. Es ist auch dringend Zeit, etwas warmes zu Essen und zu trinken. Wir ziehen in unseren Schwerwetter-Segelzeugs in die nächste Kneipe. NeysPlace ist im Gebäude des Hafenmeisters und sieht auch aus wie das Klubhaus des hochwohlgeborenen Yachtclubs von und zu Norderney. Gedeckte Tische mit Stoff-Tischtüchern, feine Weingläser. Im Goldknopf Blazer hätte ich mich wohler gefühlt. Wir fragen die Bedienung, ob sie einen Tisch für uns hat, vielleicht etwas abseits, damit wir die edlen Gäste nicht verschrecken. Sie lacht, und gibt uns einen Tisch am Rand. Erstmal ein Grog.

*Dieselpest: Dass die Geschmäcker verschieden sind, ist hinlänglich bekannt. Deshalb gibt es auch Bakterien, die Diesel mögen, besonders Biodiesel (Herkömmlichem Diesel ist seit mehreren Jahren ein geringer Prozentsatz Biodiesel beigemischt). Wenn dann noch etwas Wasser dazu kommt, freuen sich die Bakterien und ernähren sich von dem Diesel, und hinterlassen zum Dank einen schwarzen Schleim. Und genau dieser schwarze Schleim (aufgewühlt durch das Geschaukel auf der Nordsee) hat bei der Peer Gynt die Dieselansaugleitung verstopft. Dieser Prozess findet eigentlich in allen Dieseltanks statt, aber beim Auto ist es weniger tragisch, weil hier das Diesel meist zügiger verbraucht wird, und dann durch frisches sauberes ersetzt wird. Bei Segelschiffen ist das anders. Hier sind zwar auch mehrere hundert Liter Diesel an Bord, aber eigentlich will man ja segeln. Dennoch hält man den Tank meist voll, sowohl aus seemännischer Vorsicht, aber auch weil sich in (halb-)leeren Tanks mehr feuchte Luft befindet, und sich dann Kondenswasser bildet, was man auch nicht will. Gegenmittel sind Biozide oder das Tanken von speziellen CARE-Diesel, welches kein Biodiesel enthält, aber auch eher selten zu bekommen ist. Problematisch ist die Dieselpest übrigens auch zB bei Notstromaggregaten. Auch hier wird genügend Diesel gelagert, um das Krankenhaus für mehrere Stunden mit Strom zu versorgen, aber gebraucht wird es eigentlich nie.