Socke – tl;dr

Überfahrt von Sardinien nach Menorca:

  • Wind, kein Wind, wieder Wind, kein Wind.
  • Welle, Welle, Welle, Scheiße – war die groß, Welle, Welle, Dusche.
  • 48 Stunden geplant, deutlich schneller vorangekommen.
  • Socke ist ein Falke, den wir als Passagier die letzten sechzig Meilen nach Menorca mitnehmen.
  • NB: Geburtstag gehabt, Danke für alle Wünsche – ja, gefeiert.

Socke

Socke sucht einen Platz für die Nacht – und die übliche Schublade oder Wäscheleine wird es heute wohl nicht werden. Socke ist ein Falke, und was der eine Stunde vor Sonnenuntergang ca. 60 Seemeilen von Land macht ist mir nicht klar. Vielleicht eine Wandersocke, äh, Falke. Ich bemerke ihn das erste Mal, als er von hinten unser Schiff anfliegt, vielleicht versucht auf unseren Solarpanelen zu landen. Ich schnappe mir das Telefon um das ganze Digital festzuhalten, aber da ist er schon weg. Oh well. Einige Zeit später – der Wind lässt etwas nach – lasse ich das Reff aus unserem Vorsegel, da fliegt er auf einmal wieder neben dem Schiff. Vielleicht war er irgendwo auf dem Vordeck gelandet, wo wir ihn nicht sehen konnten, und ist jetzt empört. Er umkreist noch mehrmals das Schiff; ich verliere ihn aus den Augen, bis ich ihn kurz darauf dem Deck neben unserem Besanmast erspähe. Ein schönes Tier, was hier mit gerüffelten Federn versucht sich gegen das Geschaukel und 20 Knoten Wind von der Seite zu halten. In Zeitlupe wieder das Telefon, vorsichtig ein paar Fotos von der Hinterseite unserers Steuerrades gemacht, dann etwas mutiger die Kamera gehoben, und Klick! Jetzt habe ich immerhin den Beweis. Frank rumort unter der Deck, ich weise ihn auf die zoologische Besonderheit hin. Sicher ist der Kleine erschöpft, vielleicht hunrig und durstig. Ob ein Stück Salami artgerechte Ernährung ist? Meist wird ja ins Feld geführt, dass deren natürliche Beute nicht gewürzt usw. ist. Aber ich denke mir dann: Was wäre denn, wenn die Maus kurz vorher ein Stück Fenchel gemopst hat, und danach noch an den Gewürzen war? Das wäre doch der gleiche Effekt. Beim Versuch, Socke die Salami zukommen zu lassen, fliegt er wieder weg. Tja, Buddy, das Schiff ist da, wenn Du’s brauchst.

Wir sind mittlerweile 2/3 der Strecke von Santa Teresa di Gallura nach Menorca gesegelt. Das allgemeine Wettersystem bringt 20-30 Knoten Wind aus Südost, der in der Straße von Bonifaccio zu einem Ostwind umgelenkt wird, und noch etwas beschleunigt wird. (Die Bocce di Bonifaccio ist berüchtigt für ihre Düseneffekte, da pfeift’s gerne etwas mehr). Wir fahren nur mit Vorsegel mit bis zu 35 Knoten wahren Wind – das beschleunigt die Seestern laut Logge auch einmal auf 10 Knoten, allerdings ist unsere Logge schon immer etwas optimistisch gewesen. Aber die Rumpfgeschwindigkeit von ca. 8 Knoten erreichen wir sicher. Sardinien hat an der Stelle eine weite Bucht, wir müssen aber noch um die Isolas Asinara, deshalb ist das Internet schneller weg als erwartet. Dafür nimmt die Welle zu, bei Santa Teresa gibt es noch ein wenig Schutz von dem Maddalena Archipel, aber jetzt hat der Wind ordentlich Strecke gehabt, um die Welle aufzubauen. Es wird etwas unruhig, und dunkel. Am Anfang gibt es immerhin noch Mond – damit hat eine visuelle Orientierung beim Steuern, wie zB immer so steuern, dass die Relingstütze bei den Kanistern in der Mitte der ‚Silberstraße‘ des Mondes auf dem Meer ist. Nachdem wir die Isola Asinara erreichen, gibt es ein Windloch – immerhin so vorhergesagt. Wir werfen den Motor an. Welch‘ Ungeduld, denkt Ihr jetzt vielleicht, man kann doch auch mal etwas langsamer Segeln, und es einfach abwarten. Dachte ich früher auch. Leider ist da noch Welle. Würde man versuchen zu Segeln, hätte man natürlich alle Textilien draußen, um möglichst viel Wind einzusammeln. Es bläst ein laues Lüftlein von Backbord (links), die Segel wehen somit nach rechts aus. Dann kommt eine Welle, die die Seestern nach Steuerbord (rechts) kippen lässt. Durch die Bewegung des Kippens kommt der Wind aus Sicht der Segel nun von rechts, das Segel klappt ein (bzw. das Großsegel schwingt nach links) – bis die Kippbewegung vorbei ist oder sich umkehrt, und dann rucken alle Segel wieder nach rechts; das scheppert dann ordentlich. Nachdem’s das Schiff ein paarmal so gebeutelt hat, sieht man’s ein, rollt das Segel ein, und fährt unter Motor. Wir fahren so bis ungefähr Mitternacht. Dann löst Frank mich ab, und wir beschließen gemeinsam, jetzt wieder Segel zu setzen, da wir halben Wind erwarten, nun auch mit Großsegel. Im Dunkeln, bei ordentlichem Schaukeln bei Seegang, an den Mast vorzugehen, um das Segel zu setzen wird nie mein Lieblingspart des Segelns sein. Ja, man ist eingepickt, kann also eigentlich nicht verloren gehen, aber etwas exponiert kommt man sich schon vor. Deswegen bin ich immer dabei, nachts nur mit Vorsegel zu fahren. Danach versuche ich etwas zu schlafen, Frank steuert bis fünf Uhr morgens.

Die Wellen sind auch hier das bestimmende Element der Überfahrt – durchschnittlich zwei Meter hoch, kommt ab und zu auch ein wirklicher Berg auf einen zu. Vielleicht vier Meter hoch? Schwer zu schätzen. Ist aber auch nicht weiter tragisch, es hebt die Seestern halt ordentlich an, und irgendwann kippt’s kräftig auf die Seite. Aber die Erfahrung des letzten Males hat geholfen – wir haben erheblich besser gestaut, es würfelt nix durcheinander. Ab und zu grüßt auch eine Welle, die sich das Deck mal genauer ansehen will. Das war’s dann wieder mit trockenen Segelklamotten. So geht’s weiter, im Morgengrauen und den ganzen Tag. Wir sehen ein paar Schiffe auf AIS, ab und zu auch wirklich was Kleines am Horizont, ansonsten sind wir Mutterseelenalleine. Bis dann Socke etwas Spannung einbringt.

Tatsächlich haben wir Socke mit unserer Salami-gabe nicht verscheucht, bzw. er ist halt wirklich verzweifelt. Es ist auch offensichtlich für eine doch eher agilen Vogel auch nicht leicht auf einem schwankenden Schiff zu landen, und dann auch noch an einer Stelle wo er sich ausruhen kann. Mehrmals fliegt er an, versucht auf den Salingen zu landen, mal auf dem Vordeck, mal in den Lazybags. Wenn er die Landung überhaupt schafft, kann er sich meist nicht halten; einmal rumpelt er auch eher unsanft mit unseren Wanten zusammen. Am Ende landet er in den Lazybags des Besansegels (nicht gesetzt), und von dort haben wir ihn nicht mehr starten sehen. Hoffentlich hat er dort ein halbwegs gemütliches Plätzchen gefunden, und wacht morgen früh im Hafen von Menorca auf. Vielleicht hat Socke auch gar keine Nachtfluglizenz, und er hätte unabhängig von Erschöpfung keine Chance mehr gehabt, heim zu fliegen. Hoffentlich merken wir’s, aber wahrscheinlich (wenn er jetzt überhaupt noch da ist) macht sich der Racker im Morgengrauen still und leise auf.

Den Teil bis hierher habe ich von meinem Wachbeginn um Mitternacht mit 2:15 getippt. Menorca hat sich als Lichtverschmutzungs-Fleck am Horizont abgezeichnet, wird langsam breiter. Gerade hat mich die „Willkommen in Spanien“ SMS von Vodafone erreicht – 30 Meilen vor der Küste, das muss ein Ausrutscher sein. Aber insgesamt sind wir positiv überrascht, wie zügig das ganze ging. Wir sind in Santa Teresa Mittags losgefahren, bei einer geplanten Überfahrtsdauer von 48 Stunden. Auch bei kleinen Abweichungen sollten wir so bei Tageslicht ankommen. Aber bei dem Wind haben wir tatsächlich eher sechs Knoten im Schnitt geschafft. Aktuell sagt unser GPS noch, dass die Ankunft um sechs Uhr morgens sein wird – da ist’s noch stockdunkel, nicht gut. Aber jetzt lässt der Wind nach, die Welle hat auch nachgelassen, da lassen wir das Schiff doch noch ein wenig langsam dümpeln, bevor ich den Motor bemühe. An Backbord sehe ich nun die grüne Positionslampe der Hirondelle, die wir schon länger auf AIS sehen – offensichtlich das gleiche Ziel wie wir.

Ab jetzt ist die Berichterstattung – sozusagen – live.

03:05 Gerade in die richtige 3G Mobilfunkabdeckung von Menorca gerutscht. Auf einmal hat man einen Schwung Nachrichten zu beantworten. Soziale Kontakte auch ohne Sichtkontakt. Tut gut. Zum Veröffentlichen des Blogs aber noch nicht genug Netz.

03:18 Irgendein Licht ist auch voraus zu erkennen. Noch nicht sicher ob eine Straßenlaterne in einem Bergdorf, oder ein Leuchtfeuer, oder ein Fischerboot welches wir bald rammen werden. I’ll keep you updated. An verschiedenen Stellen des Horizonts sieht man die Lichtkeulen von Leuchttürmen über den Horizont streichen. Ich versuche mir gerade vorstellen, wie das in der Zeit vor GPS und dem ganzen Kram war. Wo man die ganze Nacht von Hand bei welligem Meer versucht hat, den richtigen Kurs zu steuern, nur anhand der Geschwindigkeit geschätzt hat, wie weit man gekommen ist/es noch ist, und dann kommt endlich die Kennung des Leuchtturms in Sicht, die den sicheren Heimathafen markiert.

03:28 Die Hirondelle hat einen Zahn zugelegt, wir sehen jetzt deren Hecklicht. Wahrscheinlich haben sie den Motor angemacht.

03:33 Ist man bei so einer Nachtwache bei wenig Wind und wenig anderen Schiffen eigentlich ausgelastet, fragt Ihr Euch vielleicht? Nein.

03:35 Die Wellen sind zwar weniger, aber immer noch da. Das führt dazu, dass man manchmal schon Lichter an der Küste von Menorca am Horizont sieht, dann aber nicht mehr, weil die Seestern wieder in einem Wellental ist. Aber mittlerweile eindeutig die ‚Lichter der Stadt‘.

03:43 Das GPS meint, dass die Küste noch immer 20 Meilen entfernt ist (37km). So wie der Wind jetzt nachgelassen hat, machen wir immer weniger Fahrt, und bräuchten sechs Stunden. Da für fünf Uhr morgens fast komplett Flaute angesagt ist, kommen wir vielleicht auch nie an. Das wäre auch Kacke. Um halb acht wird’s hell, sechs Knoten machen wir unter Motor, also in ungefähr einer Stunde den Diesel anmachen.

03:53 Der Wind hat etwas gedreht, wir können nicht mehr direkt auf Menorca zufahren ☹. Immerhin machen wir noch etwas Fahrt in Richtung Menorca, auch wenn nicht mehr direkt. Dann wird der Motor halt 10 Minuten früher angelassen.

04:57 Zwischendrin festgestellt, dass wir ja nicht Punkt acht im Hafen sein müssen, und solange etwas Segeln geht… Ich habe mir ein paar Bedingungen gestellt, bei denen es keinen Sinn mehr macht: Wahrer Wind unter 5 Knoten, Geschwindigkeit laut Logge unter 2 Knoten, oder ein klapperndes Segel. Jetzt ist es soweit, und das Netz scheint auch langsam stabil zu sein. Brumm.

edit, 08:00. Socke hat es tatsächlich in unserm Besan-lazybag ausgehalten, und ist heute morgen erst erschreckt ausgeflogen, als wir schon in der Hafeneinfahrt waren. Leb wohl, Kleiner.

edit 2, 12:00. Schwarmintelligenz, Schwager einer Freundin: Eleonorenfalke. Denke Jungtier. Erwachsene sehen dunkel aus zum Jungtier passt auch das moppelige. Er besiedelt Inseln im Mittelmeer und lauert auf Zugvögel.

Champagner beim Oligarchen auf der Megayacht

Nach dem perfekten Tagesstart wäre eine Flasche Champagner doch genau das Richtige oder? 20. Oktober 2020, 8:30 – die Sonne kitzelt durch das Fenster im Rumpf. Es regt sich nichts, jedenfalls windtechnisch. Das schreit doch förmlich nach einem Morgenbad im Meer. Wir haben uns am vorherigen Nachmittag aus Olbia verzogen, das vorhergesagte Wetter in der Nacht von dem 19. auf den 20. ließ die Bucht besser erscheinen als kiffende Jugendliche an der alten Mole in Olbia. Wieder die Cala di Volpe, wo wir schon Samstagnacht waren. Frank hat ein Cappuccino gemacht, Fische neben dem Schiff bekommen etwas altes Brot und eine Möwe will es Ihnen streitig machen. Wir haben etwas besser geparkt, näher am Strand, und so zieht die Wasserschiläuferin Ihre Bahnen nicht dort, wo wir schwimmen würden. Diesmal aufgerüstet: Flossen, Schnorchel, GoPro – gemütliches Planschen, kurz am Strand anhalten. Gegen 11:00 machen wir uns auf den Weg.

Auf dem Weg nach Norden liegt die Dilbar (nicht Dilbert) vor Anker, laut der deutschen Wikipedia die größte Megayacht der Welt nach BRZ (Bruttoraumzahl, also so ungefähr Verdrängung/Gewicht – nach der englischen Wikipedia nur die drittgrößte, also ignorieren wir das mal). Bestimmt hat Alischer Burchanowitsch Usmanow einen vernünftigen Champagner an Bord. Und das schöne an so einem großen Pott – ganz sicherlich von einer pflichtbewussten Mannschaft besetzt. Ich nehme die Funke und rufe die Dilbar an, Wechsel auf Kanal 69. Ich trage mein Anliegen vor: Es ist heute mein Geburtstag, und vielleicht wollen sie uns ja auf einen Champagner einladen? Stille. Das finde ich jetzt unfreundlich. Aber nein, „could you please repeat?“. Es sind immer wieder Pausen – „what’s the name of your ship?“, „are you familiar with this vessel?“. Frank kringelt sich in stillem Lachen. Alischer ist ein Kumpel von Wladimir Wladimirowitsch, wahrscheinlich bricht gerade Hektik auf der Brücke aus, ob wir nur Spaßvögel sind, oder vielleicht doch der dritte Cousin von Putin, dem man mit etwas Respekt begegnen sollte. Und offensichtlich hat der Kollege am anderen Ende der Leitung Angst: „I’m afraid“. Komplett meint er: „I’m afraid that will not be possible due to security reasons. But we do wish you a Happy Birthday“. Schade. Zwischendurch hatte ich mir noch Gedanken gemacht, was wir jetzt machen, wenn die Ja sagen. Aber tatsächlich hat die Dilbar am Heck eine Badeplatform, die groß genug wäre, dass wir dort längseits anlegen könnten.

Mittlerweile ist genug Wind, entspannt von hinten. Wir rollen das Vorsegel aus, und machen noch eine Runde durch den Archipel de Maddalena. Strahlender Sonnenschein, warm, wir fahren im T-Shirt oder weniger. Gegen 15:00 legen wir uns Tagesziel fest: Santa Teresa di Gallura, eine geschützte Marina an der Nordspitze von Sardinien, genau gegenüber von Bonifaccio. Dort auf Korsika waren wir schon öfters, es hat uns ein wenig gejuckt. Aber tatsächlich waren wir schon zweimal da, in vorherigen Urlauben, und eine Rückkehr aus Korsika nach Sardinien wäre praktisch unmöglich. Neben uns hat eine Gruppe Schweizer angelegt. Sie berichten von einem Funkverkehr den sie mitgehört haben. Ein Katamaran aus Korsika wollte in die Marina, wurde nach dem Covid-Test gefragt, hatten sie nicht – „go away“.

Als Magenstütze (tagsüber haben wir nur ein paar Cantuccini gefrühstückt) macht Frank ein paar Bruschetti. Am Abend suchen wir ein leckeres Fischlokal in Santa Teresa – eine Flasche Cerasuelo di Vittoria von COS atmet schon auf dem Schiff. Ein gelungener Geburtstag – auch an dieser Stelle vielen Dank an alle Gratulanten.

Die Haare

Nach dem letzten Eintrag mit Fotos wurde ich öfters gefragt, ob mir das Schiff die Haare vom Haupt fressen würde, oder was da wäre. Ja, aber nein. Als wir in Marsala ankamen, wucherte es auf meinem Kopf. Besonders markant – die ‚mad scientist‘ schlohweißen Schläfenlocken. Obwohl ich normalerweise im Urlaub gerne zum Frisör gehe – witzig wie man zB in der Türkei dabei gepampert wird – halte ich es jetzt für ein kleines Risiko (außerdem hätten wir eh nicht in die Stadt gedurft). Also den Langhaarschneider (eigentlich für den Bart) geschnappt, in Lee an die Reling gesetzt, und los geht’s. Ich hatte erst angestrebt, 12mm stehen zu lassen. Gar nicht so leicht, bei meinen Wirbeln und überhaupt. Irgendwann bin ich zur Marinadusche gegangen (Vorteil hier: Spiegel), und hab noch etwas versucht eine Gleichmäßigkeit herzustellen. Irgendwann habe ich beim Reinigen des Gerätes vergessen, den Abstandshalteraufsatz wieder draufzutun, angesetzt, Bssst, Haare weg. Oh well, alea iacta est. Ich dreh den wieder montierten Abstandshalter auf drei Millimeter runter und fahre mir kreuz und quer über den Kopf. Ein ganz neues Gefühl. Und wer mich mit längeren Haaren besser fand: sie wachsen ja nach. Oder vielleicht – einfach mal alle abrasieren?

Next steps

Ich habe jetzt 51 Jahre möglichst Risiko-avers verbracht. Damit ist nun Schluss. Morgen geht’s auf, voll ins Risiko(gebiet). Ca. 48 Stunden nach Menorca – don’t expect much communication.

Absent friends

Der Flughafen von Olbia ist südlich des Hafens. Um 21:24 hört man Triebwerke hochlaufen, und Flug EN8309 hebt nach Westen ab. Mit an Bord: Tatjana, die uns vor zwei Stunden verlassen hat. Schniff. Wir machen noch einen Wein auf. Hinter uns liegen vier schöne Segeltage in Sardinien. Erst eine kleine Bucht südlich von Olbia, Porto Brandinchi, dann Puerto Cervo, das Archipelago di Maddalena, Cala di Volpe, und dann zurück. Das Wetter halb-gnädig, der Wind dafür gut.

Am Donnerstag sind wir ja nach Süden ausgewichen, da im Norden etwas arg viel Wind war, und das wollten wir nicht am ersten Tag ins Programm nehmen. Wir hatten überlegt, wieder in die Bucht zu fahren, wo wir Mittwochabend vor Olbia genächtigt hatten, aber dann war der Wind gut, und als Tatjana nicht grün im Gesicht wurde, sind wir noch etwas weiter gesegelt. Natürlich haben wir sie gleich ans Steuer gestellt, und ihr eingebläut, dass unser Leben jetzt davon abhängt, dass sie keinen Fehler macht. Wer die Last dieser Verantwortung trägt, hat keine Zeit darüber nachzudenken, ob einem vielleicht schlecht werden könnte, außerdem hat man vom Steuer aus einen guten Blick auf den Horizont, sieht die Wellen (dann versteht der Körper besser, warum’s schaukelt) und viiiiiiel frische Luft von vorne. Wer jetzt wieder erschreckt, wie hart wir mir Gästen umgehen – ich habe mich dahinter gesetzt, hab alles beobachtet, hätte auch eingegriffen und habe in regelmäßigen Abständen in meiner tiefsten Stimme beruhigende Worte und Lob von mir gegeben. Um 18:00 haben wir dann das Schlammhakerl ins Wasser geworfen, ein Ankerbier vor der untergehenden Sonne getrunken, und unseren Gast bekocht. Das Menú di Capitano: Caprese und danach Nudeln mit Soße.

Am Freitagmorgen ist erstmal wenig Wind, dafür Sonne. Schuhe aus, Bikini an – erstmal eine Runde schwimmen. Schon etwas kühl, aber wir müssen ja Neidphotos machen, in München hat’s sieben Grad und Regen. Danach machen wir uns auf den Weg nach Norden; die nächsten Tage hat’s etwas weniger Wind, und wir hatten ja das Maddalena-Archipel versprochen. Auf Kursen mit halben Wind (von der Seite) und am Wind (schräg von vorne)  Frank und ich hatten etwas länger überlegt, ob wir nach Porto Cervo fahren sollten. Habt ihr schonmal von Porto Cervo gehört? Heimat des Costa Smeralda Yacht Club, ist Porto Cervo so ziemlich der teuerste und edelste Hafen in Sardinien, durchaus im gleichen Atemzug mit Monaco zu nennen. Wir haben Geschichten gehört, „Jahresliegegebühr für ein Schiff etwas größer als unseres 57.000€“, „Bojen im Hafenbecken für 150€ die Nacht“ oder „mittlerweile überlegen sich selbst die Superreichen, ob sie sich das leisten wollen“. Vieles davon gilt allerdings nur in der Saison, und die ist – wie wir schon öfters bemerkt haben – vorbei. Ist natürlich auch ein zweischneidiges Schwert. Noch glaubt Tatjana, dass wir ein edles und schönes Schiff haben (in Olbia hat mir ein Italiener an der Hafenmole gleich den Gefallen getan – während ich erkläre wie man unseren Motor startet und ausmacht hält eine Signore an, stellt ein paar Fragen, und lobt unsere Hallberg-Rassy. Wirklich, ich hab ihn nicht bestellt). In Porto Cervo sind wir vielleicht das kleinste und schimmeligste. Aber Wind und Wetter für die Nacht lassen einen Hafen durchaus opportun erscheinen, und da hinten kommen Regenwolken, also rein nach Porto Cervo. Oha, hier ist mehr Service. Beim Anlegen hilft ein Gummiboot und einer an Land. Das Gummiboot fungiert ein wenig wie ein Hafenschlepper, in der Konsequenz ist man auch nicht mehr Herr des Manövers. Trotzdem blamieren wir uns nicht beim Anlegen. Zum Witz hatte ich vor ein paar Tagen mal angerufen, mich nach dem Preis erkundigt, und mir zweiundsechzig Euro gemerkt. Leider nix schriftliches, könnten also auch zweihundertsechzig sein. An der Rezeption werden wir freundlich empfangen. Der Preis hat gestimmt. Ich frage vorsichtig, ob Landstrom inklusive ist. Hm, meint der freundliche Engländer an der Theke – es gibt zwei Preise, mit und ohne Strom inklusive – Nachtigall, ich hör Dir trapsen. Ohne Strom inklusive kostet die Nacht nur 32,50. Grins.

Tatjana freut sich, will sich gleich auf die Suche nach einem der Superreichen machen. Aber es ist wirklich Nebensaison – keine Superreichen, auch keine wahnsinnig beeindruckende Yachten. Na meinetwegen denkt sie sich, dann halt doch nur ein Bier mit Frank und Chris auf deren altem Schiff. Wir teilen uns die Marina noch mit einer Regatta: das Audi Sailing Champions League Final, organisiert vom YCCS. Zehn Boote mit jeweils einer Crew von vier, und ungefähr genausoviele Motorboote, die um sie herumwuseln, mit Wettkampfrichtern und Fotografen. So ist Abends in der einzigen noch offenen Pizzeria wenigstens etwas Betrieb, und danach im Lord Nelson Pub auch etwas Stimmung. Das mit dem Hafen war eine gute Idee – während wir essen schüttet es wie aus Kübeln.

Samstag schaffen wir immerhin etwas Sightseeing im Nationalpark. Wir kreuzen bei gutem Wind zur Isola San Stefano, legen uns dort in eine Bucht, die ich von einem vorherigen Urlaub noch kannte, und machen dort Mittag. Leider können wir nicht über Nacht bleiben, das wäre am Sonntag doch ein etwas weiter Weg zurück nach Olbia. Wir lassen Tatjana die ganze Zeit steuern, denn wir sind im Kern ja faule Säcke. Sie wird auch immer besser; aus der machen wir noch eine Seglerin. Die passende Helly Hansen Jacke hat sie schon seit ein paar Jahren. Während am ersten Tag das Geradeausfahren noch volle Aufmerksamkeit erfordert (das geht allen so), sind wir jetzt schon bei Ausweichregeln und Segeltrimm. Zurück fahren wir vor dem Wind, schön faul nur mit Vorsegel, und steuern die Cala di Volpe, eine schöne Bucht mit Sandstrand, an. Hier teilen wir die (sehr große) Bucht mit ein paar größeren Schiffen. Mit dabei: die „Irisha“ und die „Irisha Chase“. Das ist dann schon echter Reichtum/Dekadenz, wenn es ein Begleitboot gibt, was sogar eigenes AIS hat. Wir spekulieren ein wenig über die Besitzer*in, und nur zum Spaß google ich mal nach der Yacht. Uii – eine „Luxury Yacht built for Charter“. Es gibt auf der Website sogar einen Preis: 280.000€. Die Woche. Wir trösten uns – die haben auch keinen besseren Ausblick als wir.

Am Sonntagmorgen – nach intensivem Ausschlafen – ist es sonnig und windstill. Badespaß und gute Laune sind angesagt. Danach treten wir den Rückweg nach Olbia an. Jemand muss am Montag arbeiten – zu dumm. Aber offensichtlich haben wir etwas richtig gemacht – Tatjana ist nicht total verschreckt und würde wiederkommen, vielleicht sogar noch ein paar andere Freundinnen überzeugen. Blöd ist’s halt mit Corona – ich fürchte, in Spanien will uns jetzt niemand besuchen kommen. Wir fahren wieder an die alte Handelsmole in Olbia, trinken noch etwas Bier und Wein zusammen, und dann muss Tatjana uns verlassen. Schnief.

Executive Summary – tl;dr

„tl;dr“ – ein Kürzel aus der Net-Sprache: „too long, didn’t read“. So werden manchmal längere Artikel zusammengefasst. Ja, meine Artikel sind nicht kurz. Sorry. Ich schreib, wie’s mir hier geht, was wir erleben, und so weiter. Wenn ich’s interessant fand, dann kommt’s in den Blog. Denkt dran – ich schreib hier viel länger dran, als Ihr lest. Aber ja, Ihr habt vielleicht auch anderes zu tun. Deshalb hier der Executive Summary für bisher:

  • Von Kalamata nach Sizilien hauptsächlich mit Motor gefahren; schade aber dafür sind wir rückblickend einem heftigen Sturm entkommen, der etwas später in der gleichen Gegend unterwegs war.
  • Mit an Bord in der Zeit: Luisa, Franks Nichte – mit deren Freundin in Sizilien etwas Sightseeing betrieben, Wein probiert.
  • Nach Malta gefahren, war schön dort.
  • Zurück nach Sizilien gefahren, war heftiger als erwartet.
  • In Marsala auf Sizilien „Corona-Bürokratie“ erlebt. Zwei Tage geplant, acht Tage geblieben. Wein.
  • Nach Sardinien gefahren – besser geplant, kein Sturm, am Ende auch viel mit Motor.
  • Besuch von Tatjana bekommen, gerne Pläne dafür umgestellt.
  • Es gibt viel am Schiff zu basteln, aber im großen und ganzen funktioniert alles (wir schwimmen also noch).
  • Es geht uns gut.
  • Covid-19 ist ein Scheiß.

„Sailing Vessel Seestern, this is Olbia Pilot“

Uiiii – das erste Mal, dass uns irgendjemand per Funke anspricht. Ganz korrekt und wie sich’s gehört. Wir sind gespannt, und antworten entsprechend. Wir werden darauf aufmerksam gemacht, dass hinter uns ein Frachtschiff in den Hafen von Olbia unterwegs ist, und… Alles verstehen wir nicht, aber wir bestätigen, dass wir den Frachter sehen, und sowieso vorhatten, erst hinter ihm in den Hafen einzulaufen. Wir reduzieren erst etwas die Geschwindigkeit, machen dann aber noch ein Kringel in dem Bereich, wo der Frachter definitiv nicht hin kann. Der Lotse ist offensichtlich glücklich, bittet uns „stand by on Channel 11“, was wir auch die nächsten drei Stunden machen. Allerdings liegen wir zu dem Zeitpunkt schon einige Zeit an der alten Hafenmole von Olbia. Wir sammeln in Olbia Tatjana ein, eine gute Freundin von PKF. Hätte ich zu Beginn unseres Sabbaticals Geld setzen müssen, auf die wahrscheinlichsten Gäste während der Zeit, wäre Tatjana nicht an der ersten Stelle gewesen – da waren immer ‚disclaimer‘ wegen möglichen Unverträglichkeiten mit schaukelnden Schiffen. Heute – zwei Tage später – fresse ich Kreide. Tatjana steuert bei 25 Knoten (starker Wind) am Wind die Seestern durch den Golf von Olbia. Gut, die potenziell eingreifende Hand sitzt hinter ihr, aber kann eigentlich nur ab und zu beruhigend wirken: Ja, der Wind ist wirklich beschissen böig und dreht ständig. Auch ich gebe danach keine bessere Figur ab, als ich es selber versuche.

Aber wie üblich bei meinen Blogs: wir fangen im kurz vergangenen heute an, machen dann die Rückblende, wie wir hierher kamen, und (da bis dahin meist etwas Zeit vergangen ist) schildere ich, wo wir jetzt gerade sind.

Wir haben also in Arbatax noch etwas frische Brot gekauft, ein paar Elektrogeräte, das Auto zurückgegeben, getankt, und uns dann auf den Weg nach Norden gemacht. Die Küste ist hier reizvoll, besonders, wenn man einsame Strände in unzugänglichen Bereichen mag, die mit lauter gleich-denkenden Individualisten gefüllt sind. Da es schon deutlich Nachsaison ist, halten sich die Massen in Grenzen, aber im Sommer muss es hier grausam sein. Wir machen etwas „drive-by sightseeing“, und fahren weiter nach Norden. Als Tagesziel haben wir La Caletta ausgemacht, einem Hafen, der bei der Aufteilung der Konzessionen für den Hauptpier das Kopfende vergessen hat. Wir legen in Dunkeln dort an, letztendlich erfolgreich, aber nicht wirklich so wie geplant. Anfangs dachten wir noch, dass uns jemand am Steg hilft, am Ende müssen wir den Plan revidieren, und Frank muss an Land springen. Es hat kaum Wind, deswegen hat am Ende alles geklappt, aber das wäre auch besser gegangen. Wir suchen die Pizzeria aus dem Revierführer auf – „sorry, chiuso“ – aber das fünfte Lokal von Google-Maps hat tatsächlich auf. Als original sardische Spezialität bekommen wir hier eine Pasta-Heizerpfanne aufgetischt. Die speziellen sardischen Gnochetti (die ein wenig aussehen wie Insektenleiber), mit einer Tomatensauce mit unterschiedlichen Fleischstücken – das perfekte Resteessen. Natürlich wurde im Ristorante alles „fatto al mano“, also speziell haus- und handgemacht, aber … egal. Am nächsten Morgen legen wir mit der aufgehenden Sonne ab – leider konnte noch niemand für den Liegeplatz kassieren kommen. Wir segeln weiter nach Norden, nach Porto Taverna – ein Liegeplatznamen nach meinem Geschmack – auch wenn wir keine Taverne besuchen.

Am gleichen Mittwoch ist Tatjana gelandet, wollte erstmal ins Hotel – ist ja auch nix, nachts um 22:00 auf ein unbekanntes Segelboot zu kommen – deshalb fahren wir erst Donnerstagmorgen ab sieben in den Hafen von Olbia. Die offizielle Marina hat 82 Euro für die Nacht aufgerufen; hust, hust – spinnt Ihr? Nebensaison, letztendlich im Industriehafen – wir versuchen die alte Mole an der Altstadt. Der Revierführer warnt davor, dass einen die Hafenbehörden da öfters wegschicken, aber das passiert uns tatsächlich nicht. Dafür ist die Anfahrt hässlich; ein Regenschauer, und 30 Knoten Wind von vorne. Brillenschlange Chris hat hier ein kleines Handicap.

Tatjana ist ‚a sight for sore eyes‘; es tut unglaublich gut, wieder Freunde(*innen) aus München zu sehen, anyway, ich freu mich einfach. Neben der rein persönlichen Freude – Tatjana ist bepackt mit lauter Goodies (Noch schnell im Versandhandel bestellt, als der Plan klar wurde) an Bastel-Equipment fürs Boot, und mit einem neuen Mobiltelefon für Frank. Zu oft wurde in den letzten Tagen über das unzulängliche Betriebssystem des alten Telefons geschimpft (Frank normales Mobiltelefon fiel leider einem Wasserschaden in Malta zum Opfer – war doch nicht wasserdicht wie gedacht. Ich bin mir durchaus bewusst, dass einige der Beiträge hier (in Nics Worten) nicht unbedingt dazu geeignet sind, neue Mitsegler zu gewinnen (Tatjana behauptet zwar, den Blog zu lesen, aber hat sie „puh! – rev1“ nicht abgeschreckt?), deswegen hier eine andere Darstellung: Nördlich von Olbia ist der Archipel de la Maddalena, ein absoluter Tourismusmagnet, zumindest in der Saison – aber da hier für morgen etwas viel Wind angesagt ist, fahren wir gästefreundlic nach Süden. Es gibt eine komplette Sicherheitsanweisung – hat sich Tatjana alles gemerkt? – und eine Rettungsweste. Potenziell empfindliche Reisende stellt man schnell ans Steuer – wenn man’s nicht gewohnt ist, ist auch geradeausfahren bei Wind und Welle eine Herausforderung, und wenn man sich dieser stellt, vergisst man auch, dass einem vielleicht schlecht werden könnte. Abends ankern wir dann in Porto Brandinghi; Highlight hier ist als das Nachbarboot mit ihrem Beiboot vorbeikommt, um sich etwas Olivenöl für ihre Pfanne auszuleihen. Der Wind lässt nach, und trotz hässlichen Wetters im Laufe des Tages sitzen wir bis spät an Deck und trinken Wein.

Ei∙dechse oder Eid∙echse?

Das ist doch wirklich eine valide Frage, oder? Sie geht mir heute durch den Kopf während wir durch das Gelände der piscini naturale de Bau Mela kraxeln. Die waren ein Tipp von einem der sportlich kraulenden Italienern aus der letzten Bucht. Auf bayrisch würden wir sagen: Gumpen. Aber dennoch, reizvoll, und auch mal gut, sich wieder ein wenig an Land zu bewegen.

Da der Wind heute sowieso nicht gut für’s Weitersegeln nach Norden wäre, haben wir uns ein Auto gemietet, und wollen ein wenig die Insel erkunden. Man merkt, dass vieles zu hat. Deshalb nicht wie wir’s gewohnt sind – einen abgeranzelten Fiat Panda für 35 Euro am Tag, nein – hier gibt’s nur noch Europcar. Deshalb kostet das Auto das Zweieinhalbfache, ist dafür aber auch ein fast neuer Opel Astra Caravan mit guter Ausstattung. Als erstes wollen wir etwas Wein kaufen – in dem edlen Restaurant haben wir einen sardischen Cannonau bekommen, dessen Namen wir uns gemerkt haben – das Weingut muss hier um die Ecke sein. Tja, wäre es auch, aber kein Verkauf ab gut – und die Verkaufsoffice ist in Cagliari, ganz im Süden. Obschon das Telefonat auf Italienisch ist, gibt mir der Weingutsmensch zu verstehen, dass die Supermärkte in dem Ort auch den Wein von Alberto Loi führen. Also auf nach Cardedu. Ich bin mir nicht sicher, ob die Straßen in Sardinien einfach so sind, oder ob das Navi auf ‚allerkürzeste Route‘ eingestellt ist – aber ich bin in meinem Element, kurvige Bergstraße, very Scenic. Frank wünscht sich derweil ein Mountainbike – das wäre für ihn hier optimal. Nach einer guten Stunde sind wir bei den Gumpen, die nicht besonders ausgeschildert sind. Immerhin sind wir alleine, kraxeln durch die Schlucht, halten mal einen Fuß ins Wasser (hätten die Badehose nicht mitbringen müssen), und scheuchen Eidechsen auf. Es sind doch Echsen, oder? Was für einen Eid haben die denn dann geschworen? In der Schweiz hätte ich es ja noch verstanden, aber hier? Unweit entfernt noch zwei Stück Archeologie – ‚Tomba Gigante‘. Die Stein-Grabhügel sind von einer viel schöner gemachten Mauer umfriedet. Was sind wir nur für Banausen.

Es geht weiter nach Orgosolo – ein Bergstädtchen, welches für seine Wandmalereien bekannt ist. Ich gebe zu, mein geistiges Bild sah Höhlenmalerei von der Mammutjagd, deshalb bin ich von den Graffiti-ähnlichen Bildern überrascht. Der Ort ist wie ausgestorben – die Kombination von kalt, regnerisch, Siesta, Nachsaison und Corona schlägt zu. Die Wandbilder sind total unterschiedlich. Einige politisch, einige eher Werbung für den Laden im Haus. Manche künstlerisch interessant, andere eher naiv. An einem Cafe finde ich im Text „Helmut Schmidt“, und darunter die Namen der wichtigsten RAF Terroristen aus der Zeit – wahrscheinlich also eher ein Bild gegen Schmidt. An einem anderen Gebäude sieht es so aus, als hätte Picasso ein Bild über die Freuden vom Fahren mit einer Enduro gemacht. Insgesamt nicht so begeisternd – oder wir hatten einfach zu viel Hunger. Wir trollen uns wieder nach Arbatax. Leider ist es für die Strecke von Dorgali bis Baunei schon dunkel – ich glaube, das wäre ein grandioses Panorama gewesen.

Wikipedia meint übrigens: Ei∙dechse. Scheinbar ist im Deutschen der Begriff Echse von Eidechse abgeleitet, und Dechse hat dem Ableitenden wohl nicht gefallen.

Intensiver und schneller entschleunigen

Arbatax, Sonntag 14:30 im Oktober. Ja, wir machen das Jahr auch zum Entschleunigen. Aber muss man gleich übertreiben? Hier in der Marina scheint es wie tot. Kein Mensch läuft, kein Lüftlein weht. Man erwartet fast, dass über den Steg wie im Western ein Tumbleweed rollt; doch wie? Es weht ja kein Lüftlein. Nachsaison und Corona – keine Mischung für high life. Eigentlich war unser Plan, uns heute ein Mietwagen zu holen, und damit Sardinien unsicher zu machen. Das Wetter sollte heute besser sein als morgen, aber – der nächste Autoverleiher ist in Tortoli, ca. 5 km entfernt, und macht am Montagmorgen wieder auf. Bei den Noleggio di Macchina, die in Google nicht gleich als geschlossen identifiziert sind, rufe ich an, bis in ca. 20km Entfernung. Per favore, parla Inglese? No, scusi, italiano. Immerhin reicht mein italienisch dazu, nach einem Mietwagen nach Arbatax zu fragen, und „impossibile“ oder „no disponibile“ verstehe ich auch. Also ein ruhiger Tag, weniger freiwillig als gestern. Wir finden Vorteile: Entgegen der Sonne im Wetterbericht regnet es am Morgen. Am Sonntag hätten vielleicht die Läden nicht auf, Montag dann schon. Also viel besser, heute hier zu bleiben. Wir finden ein Café in der Nähe des Hafens, machen ein spätes Frühstück. Nach zwei Cappuccinos überlegen wir, noch etwas am Schiff zu basteln. Als Alternative schlage ich ein Aperol Spritz vor; Frank stimmt sofort zu.

Gestern war eigentlich der Tag, genau wie er sein soll. Die kleine Bucht südlich von Arbatax erweist sich am Morgen nach der nächtlichen Ankunft als wunderschön – kristallklares Wasser, von den im Revierführer angekündigten „Jetskis, a peaceful place this isn’t“ nichts zu sehen. Ich werde von einem lauten Platsch geweckt, Frank hat den Morgen mit einem Bad eröffnet. Es ist sonnig und windstill, auch ich springe hinterher. Um unser Schiff schwimmen Fische herum, und ab und zu sportlich kraulende Italiener. Warum sollen wir eigentlich jetzt weiter in die Marina? Wir bleiben bis zum späten Nachmittag in der Bucht, trinken mittags die halbe Flasche Rotwein, die überraschenderweise am Vorabend übrig blieb, und freuen uns des Lebens.

Man merkt durchaus, auch hier wird’s langsam Herbst. Nachts schlafe ich nun unter Deck, und an manchen Nächten habe ich mehr als den leeren Bettbezug benötigt. Und selbst mittags ist die Hitze nicht so, dass sie uns komplett lähmt. Klar, in der Sonne ist es mir immer noch zu warm, aber wir haben ja meist irgendwo Schatten auf dem Schiff. Ich wurde auch schon freiwillig in langen Hosen gesehen, und nachts sogar mit Jacke.

Ein kleiner Exkurs übrigens zu AIS: Ich hab ja schon öfters etwas fragende Whatsapp bekommen, wie: „Laut Marinetraffic.com seid Ihr aber immer noch in Sizilien“, usw. Dafür gibt’s unterschiedliche Gründe – so hatte unser Vorbesitzer die Antenne unseres AIS Senders eher sub-optimal angeschlossen, ‚total behämmert‘ würde es auch treffen. Das haben wir mittlerweile korrigiert; wir sollten nun normal senden. Aber AIS wurde als System zur Warnung von Schiffen untereinander ersonnen – man gibt damit den anderen Schiffen in der Umgebung seine Anwesenheit, und auch Kurs, Geschwindigkeit usw. bekannt, und die anderen Schiffe können darauf reagieren. Das ‚Tracking‘ von Schiffen weltweit wurde erst später draufgesattelt, und braucht also Landstationen, die die Schiffssignale einsammeln und an das Internet weitergeben. Als ‚Class B vessel‘ (also freiwillig mit AIS ausgerüstet) senden wir mit einer Leistung, die sicher fünf Meilen reicht, und meist auch deutlich mehr. Aber, in der Mitte des Tyrrhenisches Meeres, 70 Meilen vom nächsten trockenen Land, wird uns kein System finden (Class A Schiffe werden auch per Satellit überwacht). Also sehr normal, dass unsere letzte Position als westlich von Sizilien angegeben ist, und dort die nächsten 30 Stunden verharrt. Ärgerlich nur, dass uns offensichtlich Marinetraffic östlich von Sardinien nicht wieder auf den Schirm bekommt. Ich gebe auch zu, das ich das Geschäftsmodell von Marinetraffic nicht ganz verstehe, und die Landstationen kosten sicherlich auch Geld. Es gibt übrigens Konkurrenz: „Vessel Finder“ hat uns schon in der Bucht erkannt, während Marinetraffic uns noch in Sizilien vermutete, und auch jetzt ist unsere (unver änderte) Position auf Vessel Finder aktueller.

Jetzt wird’s langsam Abend, heute vielleicht nur eine entspannte Pizzeria – gestern haben wir etwas edler mit vier Sternen gegessen – sehr lecker, aber am Ende die Rechnung entsprechend. Aber erst noch etwas Bastelei am Schiff fertig machen – Frank hat eine Füllstandanzeige für unsere Bilge gebaut – mit Alarm!

Nach Sardinien

Es ist acht Uhr morgens, der Beginn meiner Wache – es war die ganze Nacht ruhig. Der seefahrerische Höhepunkt: Die Maersk Arun ist laut AIS in unsere Richtung unterwegs. Der Plotter beruhigt – sie wird weit vor uns vorbeifahren. Aber sonst gibt’s nix zu sehen. Als der Abstand noch 10,79nm beträgt – rund 20km – sehe ich am Horizont einen kleinen weißen Block – das wird wohl die Brücke sein. Über die nächsten drei Stunden wächst der weiße Punkt zu einem mittelgroßem Containerfrachter an, bevor er an Backbord wieder zu einem weißen Block zusammenschrumpft. Der Wind ist mittlerweile komplett aus, und die Wellen haben sie sehr beruhigt. Nur selten gibt es eine Resonanz mit den 20cm Wellchen, und dann schaukelt sich die Seestern unverhältnismäßig auf. Frühstück: eine Dose Cola und eine halbe Packung Butterkekse. An Backbord erkennt man langsam die Berge Sardiniens.

Am Dienstag haben wir die Marina in Marsala verlassen – unseren negativen Covid-19 Test hatten wir dort nun genügend ausgekostet. Wir fahren auf die Sizilien vorgelagerten Isole Egadi, so 10 bis 20 Meilen in die richtige Richtung. Dort wollen wir zwei Nächte warten, bis der Wind auf dem Weg nach Sardinien wieder etwas gnädiger ist – wir haben aus unserer Erfahrung gelernt – über 20 Knoten Wind mit entsprechender Welle machen hart am Wind kein Spaß. Außerdem wollen wir auf Favignana tanken – zur Sicherheit. In Marsala ist die Tanke nicht gut zugänglich, und Sybille und Burkhardt hatten gemeint, der Hafen von Favignana wäre super geschützt, mit einfach zugänglichem Treibstoffhändler. Wir haben uns Zeit gelassen, waren noch einkaufen und haben gemütlich Mittag gegessen – wenn wir jetzt kreuzend nach Favi wollten, kommen wir im Dunklen an. Nach studieren der Windprognose stellen wir fest, dass eine Festmacherboje im Süden der gleichen Insel auch guten Schutz bieten müsste. Die Bojen der Area Marina Protetta (AMP) Isole Egadi verhindern, dass hunderte von Ausflugsbooten mit ihren Ankern ständig das geschützte Seegras durchpflügen und sind online zu buchen. Wir fahren erstmal hin, da man keine spezielle Boje reserviert, und einige Masten sieht man schon in unserer auserwählten Bucht. Wir hätten uns keine Gedanken machen müssen. Von ca. 20 Bojen ist eine besetzt. Ich fahre noch ein paar Kringel, Frank bucht (es heißt, online gibt es einen Preisvorteil). Dann machen wir an der Boje fest, und tatsächlich, 10 Minuten später kommt ein übermotorisiertes Gummiboot des Nationalparks mit drei Mitarbeitern. Wir geben ihnen Bescheid, dass wir vor zwölf Minuten online gezahlt haben. Sie freuen sich, können es offensichtlich nicht bei sich auf irgendeinem Gerät sehen. Allerdings erklären Sie uns: bei unserem Bootsalter – mit Schwarzwassertank – gibt es einen Discount: nur 31,50 statt 38,00 Euro. OK, va bene, domani. Frank und ich bleiben kopfschüttelnd zurück – schöne neue Welt, aber von einem Discount war online nix zu lesen.

Wie erwähnt, der Wind wäre jetzt auf offener See nicht schön, auch hier in der Bucht pfeift es ordentlich (beobachtetes Maximum: 30 Knoten, so 55km/h), und trotz dem, dass die Bucht eigentlich gegen den Wind und die Welle geschützt ist, kommt etwas Schwell in die Bucht (Wellen, die quasi zurückkommen, weil weiter draußen auf See das Meer sehr bewegt ist). Es werden zwei unruhige Nächte, denn teilweise schaukelt sich die Seestern ziemlich auf. Und auch wenn das irgendwie mit ‚in den Schlaf wiegen‘ bezeichnet werden könnte – so einfach ist es nicht. Ich schlafe meist auf der Seite. Probiere ich das – ganz entspannt, beutelt es mich hin und her, nicht so, dass ich wegrolle, aber automatisch erhöht man in allen Muskeln die Körperspannung, versucht sich mit einem miserablen Hebel stabil zu halten. Schnell stellt man fest, dass die beste Schlafhaltung diese wäre:

Schematische Darstellung der optimalen Schlafhaltung

Am Ende wird’s ein Kompromiss: stabile Seitenlage, wie im Erste Hilfe Kurs gelernt, möglichst breit. Dennoch – richtig ruhig ist anders, und dann pfeift es wieder im Rigg, dass man erschrickt, dann klappert hier was, dann dort. Öfters in der Nacht treffen wir uns, wie wir gerade an Deck gehen, um nach etwas zu gucken. Der starke Wind – extrem böig übrigens, in einer Minute über 25 Knoten, in der nächsten wieder 5 – federt auch die Boje. Starker Wind – die Seestern zieht, die Boje (groß wie ein 30Liter Bierfass), wird auf gerader Linie zwischen ihrer Befestigung am Boden (meist ein fetter Betonklotz) und der Seestern unter Wasser gezogen; lässt der Wind nach, taucht die Boje wieder auf, und zieht die Seestern wieder zwei Meter nach vorne, wo sie dann ungebremst in die Boje rumpelt. Das hört man deutlich im Schiff, und wir haben jetzt auch einige Souvenir-Kratzer am Bug.

Am Freitagmorgen brechen wir so auf, dass wir in Favignana-Hafen noch tanken können. Wir fahren ab sieben um die Insel, fahren zum Hafen, und drehen ein paar Kreise, ob denn sich jemand der verlassenen Tanke erbarmt (aperto tutto giorni, 8:30-13:00). Niemand kommt. Außerdem steht ordentlich Welle an dem Kai, auf dem die Zapfsäulen sind – wäre eine echte Herausforderung, da schadensfrei anzulegen, und danach wäre noch das Risiko, durch die Schaukelei weitere Kratzer ins Schiff zu machen. Am Ende überschlagen wir das Risiko, und lassen es mit dem Tanken sein – immerhin sind wir ein Segelboot, und sonst tuckern wir halt sparsam.

Exkurs, unsere Tankerei: Wir wissen leider nicht genau, wie voll unsere Tanks sind. Wir haben zwei: einer unter dem Motor, ca. 250 Liter, mit neuem Geber und Tankanzeige, hier holt sich der Motor seinen Treibstoff. Leider funktioniert die Anzeige noch nicht richtig, zeigt immer zwischen 7/8 und 9/8 voll. Dann noch einen zweiten, unterm Sofa, ca. 150 Liter, ohne Anzeige, aber mit einem Ventil vom unteren getrennt. Die allgemeine Weisheit sagt, dass so ein Schiffsdiesel ca 5 Liter in der Stunde verbraucht, also können wir mit 400 Litern wohl 80 Stunden fahren. 40 sind’s seit dem letzten Tanken, ca. 36 Stunden nach Sardinien, dass müsste reichen, außerdem wollen wir ja Segeln. Allerdings habe ich auch eine Tabelle im Internet gefunden, die den Treibstoffverbrauch nach Drehzahl aufschlüsselt, diese gibt 5 Liter an, wenn man mit ca. 2000 Umdrehungen fährt, aber nur noch 2,7 Liter bei 1600 Umdrehungen. Auf der Fahrt von Griechenland nach Sizilien haben wir’s mit 1800 /min probiert, und die Tabelle hat mit 3,7l recht gut gepasst. Nebenbei: Sybille und Burkhardt mit dem neueren Schwesterschiff fahren auch nur nach Motorstunden, offensichtlich haben das Problem einige Hallberg Rassy.

Jedenfalls segeln wir von Favignana los, auf nach Sardinien. Wind aus Nord, wir segeln am Wind nach Nordwest. Auch wenn’s noch ordentlich Welle hat – unsere Ketch segelt stabil ohne lenken. Wenn man Wache hat, sitzt man windgeschützt unter der Sprayhood, und schaut alle 10 Minuten, ob da irgendwas ist, was nicht schon seit langem auf dem AIS zu sehen ist. Vielleicht kommt man noch etwas härter an den Wind (segelt also mehr nach Norden, was gut wäre), wenn man selber lenkt, aber macht man das nicht konzentriert, macht man wahrscheinlich mehr kaputt, weil man ab und zu daneben lenkt. Von 10:00 bis 19:00 rauschen wir also mit ca. 6 Knoten nach Sardinien, dann dreht der Wind komisch, und geht kurz darauf aus. Also Motor an, Sparmodus mit 1400 Umdrehungen (2,1 Liter), wir schaffen noch ca. 3,5 – 4 Knoten gegen die Welle.

Man glaubt gar nicht, wie sehr so Wellen bremsen. Als sie langsam nachlassen, wird die Seestern immer schneller. Am Ende fahren wir mit 5,1 Knoten bei 1400. Blöd – wir hatten eigentlich so geplant, dass wir eben nicht in der Nacht in einem fremden Hafen anlegen müssen. Noch langsamer? Das ist dann schon Leerlauf. Oder schneller – haben wir noch genug Diesel? Und was ist, wenn dann plötzlich etwas Wind kommt, wir segeln können, aber eben nicht sooo schnell? Wir finden einen Kompromiss – kurz vor Arbatax gibt es eine Bucht, bei fast Windstille sicherlich auch kein Problem, und im Dunkeln den Anker ins Wasser werfen – das werden wir schon hinbekommen. Dann schlafen wir bis zum Morgengrauen, und laufen in Arbatax ein. Um 18:00 kochen wir auf See, um 22:00 sind wir in der Bucht – Welcome to Sardegna!