[Sorry für die schlechte Fotoqualität – die meisten halt aus fahrendem Zug geschossen]
Abfahrt IC 25, 12:24 ab Helsinki Hauptbahnhof. Circa sieben Stunden nach Kemi. Zumindest etwas Sightseeing über’s Land. Erst Helsinki, mit Speckgürtel. Leicht mit Schnee-Puderzucker. Erst noch zwei Stadtbahnhöfe, ähnlich wie Pasing zu München. Dann geht’s aufs Land. Wald, ein paar Felder. Im Laufe der Zeit wird die Schneedecke dichter, die Straßen nicht mehr eisfrei, und Gewässer sind je nach Fließgeschwindigkeit auch mal zugefroren.
Drei Stunden später, in Seinäjoki friert es einem langsam, wenn man aus dem Zugfenster guckt. Immerhin ist kurz die Sonne rausgekommen. Theoretisch kann sie noch eine Stunde scheinen, dann ist es vorbei. Kündigten sich Städte wie Tampere noch deutlich vor dem Bahnhof durch entsprechende Bebauung neben den Gleisen an, ist das hier etwas anders. Zwei Minuten vor dem Bahnhof fahren wir noch durch den Wald, und plötzlich: Hello Ylivieska.
Kurz hinter HelsinkiTampere, etwa 90 Minuten späterSee zugefroren, Fluss nichtnach ca. 3 Stundenkurz vor SonnenuntergangStraße, Schiene und Wald verschneit
Mittlerweile sind wir in Oulu. Draußen alles verschneit; an einem Gebäude wird die Temperatur mit -11°C angezeigt. Das Publikum auf dem Bahnsteig hat sich auch geändert: einige Leute mit Skis, ein paar Soldaten in Wintertarnkleidung. Die Zivilisten auch eher so angezogen, wie man es an der Skihütte gewohnt ist. Auch Diana meinte, dass bei zweistelligen Minusgraden das Modebewusstsein der meisten Esten zügig abnehmen würde, das sieht man auch hier. Immerhin hat sich damit mein schweres Gepäck gelohnt. Skiunterwäsche, Mütze, die dicken Handschuhe – doch nicht umsonst. Die Vorhersage für morgen ist bis -19° – careful what you wish for. Noch eine Stunde bis Kemi. Draußen stockfinster, der Wald von bläulichen Blitzen erhellt. Polarlichter? Die wollte ich ja eigentlich hier auch sehen. Nein, nur Lichtbogen am Stromabnehmer der Lok bei vereister Oberleitung.
Um 19:00 erreiche ich Kemi. So um die -14°C müsste es haben. Ungefähr ein Kilometer zum Hotel. Es ist stockdunkel (natürlich aber straßenbeleuchtet), und irgendwie wunderschön. Alles ist weiß, auch die Straße, also kein schmutziger Schneematsch. Der Schnee macht ein knautschendes Geräusch, aber nach 10 Minuten durch die Stadt freue ich mich auch, dass das Hotel geheizt ist.
KemiAnzeige in Hotellobby
Zur Vollständigkeit: Am gestrigen Tag noch ein wenig durch Helsinki gestromert, das Architektur- und Designmuseum angeschaut. Für 20€ Eintritt etwas enttäuschend, aber man muss ja hier allgemein sein Preis-Wert-Gefüge etwas anders einnorden. Dann war ich noch in Stockmanns – einem großen Kaufhaus in der Nähe des Hotels. Ich bin zum Shoppen in anderen Städten nicht geschaffen – ich schau mir dieselben Marken an, die ich auch in München finden würde. Immerhin ein paar witzige Sachen gefunden, aber bevor ich die nächsten Tage rumschleppe werde ich wohl einen deutschen Versandhandel bemühen. Die Verbindung zu Helsinki in meinem Kopf wird bleiben – da hier entdeckt.
Architektur- und DesignmuseumKunst von Maija LavonenAngry Birds – Design aus FinlandDie Alvar Aaltos Vase and friends
Jingle Bells, Jingle Bells, oh what fun it is to ride in a one horse open sleigh. So ähnlich habe ich mir das wohl vorgestellt. Verschneite Landschaften, zugefrorene Ostsee, meinetwegen kalt, aber halt so ein romantisches Schnee-eiskalt. Nicht trübes, regnerisches kalt um die null Grad mit einem frischen Wind (chill). Hat bislang also nicht so geklappt, eher zweiteres. Also was tun? Richtig. Einfach weiter nach Norden. Ich entscheide mich für Lappland. Erstmal geht es zurück nach Tallinn, da erwartet jemand meinen Mietwagen zurück. Ich übernachte in dem Kurort Haapsalu, zu Kaiserzeiten Hapsal. Dort das Spa Hotel, immerhin etwas Zeit in einem blubbernden warmen Becken. Abendessen in dem Restaurant, welches wir im Sommer 2023 schon für gut befunden hatten. Am Morgen auf nach Tallinn, knappe zwei Stunden Fahrt; Check-in im Hotel; gerade rechtzeitig für zwei Arbeitscalls; dann noch schnell mit dem Auto nach Pirita, einen Stadtteil von Tallinn. In Pirita steht ein großes Monument in Dankbarkeit der roten Armee gewidmet. Offensichtlich ist deren Befreiungsleistung nicht mehr so hoch im Kurs, vielleicht weil man retrospektiv danach auch nicht soooo frei war. Ich dachte ursprünglich, dass das Monument nach der Wende verlegt wurde (Aufschrei bei den gedissten Russen) und so suche ich auf Google nach displaced Soviet Monuments. Offensichtlich war es aber nicht diese Stele, aber gleich daneben gibt es eine Sammlung sowjetischer Ehrenmäler (als Soviet Statue Graveyard übersetzt, auch passend). Dort steht Stalin mit ein paar Lenins und noch ein paar Kollegen. Ein paar Fotos – Fuck, ist das ungemütlich kalt – und weiter geht’s. Ich schicke ein Selfie mit Monument an Diana: „guess where?“. Antwort: „Tallinn? OMG! Da bin ich auch, aber eigentlich total verplant, und Samstag fliege ich“.
Guess where I am?Liebevoll gepflegtes MonumentGraveyard of Soviet MonumentsManche der Kollegen etwas Kopflos
Diana arbeitet hier ein paar Tage, ist wirklich durchgetaktet; aber sie verschiebt ihren letzten Call in die Kneipe, und der Abend ist geritzt. Wir laufen nach Telliskivi (große Ähnlichkeit mit Kunstpark Ost bzw. Werksviertel, zufälligerweise auch am Bahnhof), und finden dort eine typisch estnische Texas BBQ Kneipe.
Während Diana mit Rechner und Internet kämpft, schreibe ich diese Zeilen. **** Schreibpause ****
Nun ist es zwei Tage später, und ich schreibe weiter. Nach Dianas Call war es 22:30, und wir die allerletzten Gäste in der Kneipe. Der Chef gibt zu: Obwohl sie noch 30 Minuten offen hätten, laut Aushang – wenn wir gehen, machen sie zu. Wir sind ja vernünftig, dann gehen wir auch, für Diana wird Freitag ein langer und durchgeplanter Tag, für mich ein langer bislang ungeplanter Tag. Na, ja ein Absacker geht noch, aber viel hat nicht mehr offen. Diana kennt eine kleine Bude „Q Pizza&Pan“, die von einem argentinischen Bauingenieur bekocht wird. Gegessen haben wir schon, aber vielleicht verkauft uns Pablo noch ein Bier? Macht er. Die Sprachmischung wird wild. Mit Diana habe ich mich auf Deutsch geeinigt, mit Pablo kommen wir auf die Dreifaltigkeit von Englisch, Deutsch und Spanisch. Wir sind nicht die einzigen Gäste die Pablo kennt, die Gesprächsrunde wächst. In Erinnerung bleiben uns Daniel, Lysandre, Theresa und Caspar, machen irgendwas mit Musik, haben hispanische Wurzeln. Ich nenne die Namen nicht nur, um dem Blog mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen – sie werden auch im Weiteren relevant. Pablo muss ab und zu mal eine Pizza oder mehr machen, ein paar junge Esten haben um Mitternacht Hunger bekommen. Man könnte jetzt gehen, aber ne – wir warten auf Pablo. Als er dann kommt, beschließen wir, kein weiteres Bier zu trinken. Wir sind ja vernünftig. Also vielleicht ein Kurzen? Diana meint: „Wenn Du unbedingt Kopfweh willst?“ Klar. Vielleicht doch nicht so vernünftig. Vana Tallinn nennt sich das braune Gift, in Richtung Ramazotti. Es bleibt nicht bei einer Runde. Um halb drei schaffen wir den Aufbruch, Diana fährt mit einem Uber zu der Freundin, bei der sie übernachten wird, dann nochmal zu Pablo um Ihre Laptop-Tasche zu holen, dann wieder zur Freundin. Ich laufe 40 Minuten durch’s nächtliche Tallinn zu meinem Hotel (10 Minuten davon sind der Scenic Route auf der falschen Seite des Hafenbeckens geschuldet).
Der Freitagmorgen läuft dann etwas langsamer an als gehofft; das mit dem Kopfweh hat auch geklappt. Frühstück gibt’s bis 10:00. Soooo toll war das Frühstück auch nicht, ich lasse es ausfallen und schlafe noch etwas. Um elf kürze ich die geplanten zwei Museen auf eins zusammen, dann raffe ich mich mittags dazu auf, noch etwas zu arbeiten, der tägliche Call, und um 15:00 breche ich dann ins Meeresmuseum auf. Dann noch ein leichtes Abendbrot, und kurz nach neun bin ich im Bett.
Fun fact: Es stellte sich heraus, dass Diana am Samstag nicht abfliegt, aber die Fähre nach Helsinki nimmt, um dort noch eine Freundin zu besuchen. Ja, ich auch; auch am Samstag, aber gebucht war es noch nicht. Jetzt sind wir auf derselben gebucht.
Goodbye TallinnHello Helsinki
Wir treffen uns um 9:45 am Fährterminal, checken ein, finden einen Platz in der Fähre. Man kann Diana keine Minute alleine lassen – als ich von einem stillen Örtchen wiederkomme quatscht sie mit Daniel. Daniel, Lysandre und sieben weitere Menschen fahren auch nach Helsinki. Echt? Warum? Es stellt sich heraus, dass ‚irgendwas mit Musik‘ eine Konzerttour ist, heute Abend Tango Nuevo im Savoy-Theater in Helsinki. Der Tag mit Nelli (Dianas Freundin) ist auch noch nicht wirklich durchgeplant, und da es noch Karten gibt… die besten Aktionen sind spontan. Anfangs stellen Ariel (einer der Chefs des neun-köpfigen Oktetts) und Daniel noch in Aussicht, dass man ja nach dem Konzert noch… Mir schwant Schlimmes.
Aber erstmal ankommen, ins Hotel, Diana stellt ihren Koffer bei mir unter, und dann werfen wir ein paar typisch finnische Taco-Bell-Tacos zum Mittag ein. Nelli muss nochmal heim, es ist ungemütlich, und so eilen Diana und ich nach kurzem Spaziergang durch die Stadt in ein Café. Das Konzert ist richtig gut; obwohl nicht die teuersten Karten haben wir Superplätze in der vierten Reihe. Irgendwann kommen dann aber ein paar spießige Finnen und meinen, dass sie auch dort sitzen. Nach einiger Verwirrung zeige ich der Frau unsere Karten: „We don’t speak Finnish“. Sie grinst, zeigt auf den Begriff „Parkeve“ neben „Rivi/Rad 4“ und deutet auf den Balkon. Auch gut, hören lässt es sich dort auch. Aus dem mit den Musikern danach weggehen wird’s dann nichts. Puh, Glück gehabt. Statt dessen schnell in der Rooftop-Bar meines Hotels (dem Torni – ein Klassiker) einen kleinen Drink mit Nelli und Diana, und dann fahren die beiden. Am Mittag drauf hat Diana einen Non-Stop Flug nach Malaga zurück, und ich habe fest vor, etwas von Helsinki kulturell mitzunehmen.