Nein, wird mir immer versichert, für die Huskies ist es das tollste, die wollen rennen, das macht denen Spaß. Ich kann schon akzeptieren, dass sie gerne durch den Schnee laufen, aber ob sie nicht mehr Spaß hätten, wenn sie dabei weniger Delikatess-Gewölbe durch den Wald ziehen müssten?
Ich hatte ein paar Anbieter ausgemacht, und einer hatte eine klare Gewichtsbeschränkung für Teilnehmer auf seiner Website. Aber vielleicht setzen die mehrere Gäste in den Schlitten, und mit viermal Chris geht dann wirklich nix mehr? Jedenfalls habe ich mit einem (anderen) Anbieter telefoniert, mein wahres Gewicht verraten, und auch dass ich Winterstiefel und -hosen bräuchte. Alles kein Problem. Sie haben nur noch Mittwochmorgen um 9:00 Platz für mich – eigentlich 20km, aber wenn ich nur 10km wolle, könne ich nach der Hälfte aufhören.
Als ich heute morgen aufwache, friert es mich innerlich. Tatsächlich sind es nur -7°C, aber es weht ein heftiger Wind. Apple-Wetter errechnet daraus gefühlte -19°C. Ich gebe zu, ich bin ein wenig besorgt. Ich habe so gar kein Gefühl, was ich da gebucht habe – 10, vielleicht 20 Kilometer. Was bedeutet das? Drei, vier Stunden bei klirrender Kälte mit halb-adequater Kleidung im Schnee stehen? Ist Schlittenfahren (ich will schon lenken) anstrengend? Nach der Hälfte aufhören – was würde das bedeuten? Sie setzen mich im Wald aus? Hätten sie angerufen – „tut uns Leid, wegen schlechtem Wetter abgesagt“, ich hätte mich meinem Schicksal gefügt. Aber keine Gnade, um kurz nach neun steht das Auto vor der Hoteltür.
Wir fahren ca. 15 Minuten in die Pampa, der trockene Schnee weht fast unheimlich über die Straßen. Vor einem Bauzaun halten wir, man hört das aufgeregte Kläffen schon von weitem. Der Gegensatz zum SnowCastle365 Visitor Center könnte nicht größer sein. Zusammengezimmerte Zwinger, manche Hunde mit Ketten an eher einfache Hundehütten gehalten, andere laufen frei herum. Erwähnte ich schon, dass ich mich in der Gegenwart von Katzen wohler fühle als in der Gegenwart von bellenden Hunden? Wir (mein Reisepartner heute ist Abdíaz, Mexikaner aus Madrid, mit sämtlicher Fototechnik ausgestattet) werden zu einer Hütte geführt, immer hereinspaziert in die gute Stube. Der Geruch verrät den Hundehaushalt, auch springen einige Hunde umher. In der Ecke ist ein Zwinger mit einem Hund mit diesem Anti-Schleck Kegelstumpf um den Hals. Ein Holzofen gibt sich Mühe, doch schafft es nicht ganz, die Hütte gemütlich warm zu bekommen. Es sieht aus wie der Geräteraum einer überfüllten Schihütte. Wir werden von Teemu begrüßt, ein Hüne mit Zahnlücke. Er mustert mich kurz, und bringt mir dann einen Overall, gefütterte Stiefel und – „Zeig mal Deine Hände“ – Handschuhe. Ich passe überall rein, und fühle mich sofort wohler. Zusätzlicher Bonus ist es, dass es mich jetzt überhaupt nicht mehr stört, wenn die Hunde an mir hochspringen, mich beschnuppern. Teemu erzählt ein wenig. Bei seinen Hunden handelt es sich um ‚Alaskan Huskies‘, allerdings auch nicht reinrassig. (Unser klassisches Bild eines Huskies sind meist ‚Siberian Huskies‘, aber die sind langsamer.) Er führt uns nach draußen, erklärt uns die Bedienelemente des Schlittens (man steht auf den Kufen, kann sich auf die Bremse in der Mitte stellen, und bitte immer mit beiden Händen festhalten). Tatsächlich dauert die Erklärung länger; ganz offensichtlich ist Teemu auch Publikum gewohnt, welches des Englischen nicht besonders mächtig ist, oder einfach blöd. „One hand here. Other hand here. Not left hand right and right hand left. Hold on. Do not try to take photos while moving. Hold Handlebar here. Both hands.“ Da capo al coda.




Währenddessen werden die Hunde an die Schlitten eingeschirrt (sagt man das so?) Ich frage mich, wie dieser wilde Haufen zu bändigen sei. Alle kläffen, japsen, springen umher, schnuppern an Abdiaz und mir, aneinander, zerren hierhin, dorthin. Wir sind tatsächlich nur zwei Gäste. Teemu wird mit dem Schneemobil vorfahren, er zieht einen Reifen hinter sich her, der dem frischen und verwehtem Schnee eine Art Spur geben soll. Ihm folgt seine Frau Heli in einem HSK 8×32/16-1. Abdías bekommt den nächsten Schlitten und ich dahinter. Ein weiteres Snowmobil dient zur Sicherung nach hinten. „If you fall off, dogs do not stop. This is not Disney“ wahrscheinlich fängt dann das zweite Schneemobil den Schlitten und sammelt dann den frustrierten Gast ein. Aktuell sind die Schlitten an sehr soliden Pfählen angebunden, und die Hunde zupfen mit aller Macht nach vorne.








Und dann geht’s los. Eine der Helfer bindet nacheinander die Schlitten los, nickt mir auffordernd zu (ich stehe noch auf der Parkbremse), und ab geht die Post. Am meisten wird mir in Erinnerung bleiben, wie die hektisch kläffende Meute auf einmal mucksmäuschenstill ist, die Hunde laufen ruhig. Aber sie ziehen ordentlich an. Wow. Die paar Sekunden, die der Schlitten vor mir losfuhr, reichen – ich fühle mich alleine auf weiter Flur. Fachmännisch lenke ich den Schlitten zwischen den Bäumen – haha, vergiss es. Es gibt eine Spur, die Hunde kennen sie, und ich stehe hinten und freue mich des Lebens. Nach ein paar Minuten sehe ich immerhin einen der Schlitten vor mir, und ein paar hundert Meter weiter links fährt das Rettungs-Schneemobil – da stört es nicht, und man hört es auch nicht beim dem Wind.
Langsam findet die Gruppe wieder zueinander, wahrscheinlich wegen meiner atemberaubenden Rennfahrerqualitäten. Es wurden ein paar Handzeichen vereinbart, und an scharfen Kurven sollen wir vorher bremsen. Das tut einem wirklich leid. Wahrscheinlich macht es den Hunden wirklich Spaß; sie hängen sich richtig ins Zeug. Und dann stellt sich der Arsch hinten auf die Bremse, und sie müssen sich noch mehr anstrengen, dass es weiter geht.
Etwas chaotisch wirkt es schon, einem der Hund scheint das Zugseil zwischen den Hinterbeinen zu laufen, aber er wendet sich auch nicht an seine Kollegen: „Heh, kurze Entwirrungspause, bitte“. Man spürt die Kälte, aber das Overall ist adequat. Tatsächlich verleiht der wehende Schnee dem ganzen wirklich einen Hauch an Expedition. Auch dass man nicht weit voraussieht vermittelt die ‚Fahrt ins Unbekannte‘.
Viel Orientierung bekomme ich nicht hin – kein eindeutiger Sonnenstand, kein sichtbares Bergpanorama in der Ferne, alles weiß mit ein paar Bäumen vom Kaliber Weihnachtsbaum. Insgesamt glaube ich, dass es mehr Linkskurven als Rechtskurven sind; Teemu sprach von „Swamp“ und so vermute ich dass wir eine Runde am Rande des Sumpfes drehen, Wald immer schön zur Rechten, offener Schnee (mit dem Rettungsmobil) immer links. Macht auch Sinn, so können Touristen sich nicht um große Bäume wickeln, und das Rettungsmobil hat von der Mitte aus immer einen halbwegs sinnvollen Blick auf die Gruppe. Ein späterer Blick auf Google Maps unterstützt meine These. Tatsächlich, irgendwann ist die Hundefarm wieder in Sichtweite. Das ist also eine Runde, und wir fahren sie einfach nochmal. Dann kurz eine Pause, wir werden mit eigenem Handy fotografiert, die Hunde färben etwas Schnee Gelb und Braun, und dann geht’s wieder weiter. Das Rettungsmobil hat noch ein weitere Aufgabe: es fährt vor die Gruppe, positioniert sich, und macht Videos von den Touristen auf ihren Schlitten, wie sie vorbeifahren. Später wird Teemu die Videos unkompliziert per WhatsApp verschicken.




Es wäre wohl überheblich zu sagen, dass man es langsam raus hat, aber bei der zweiten Runde kann ich mich gedanklich auch anderen Dingen widmen, nehme mehr Details auf. Der führende Hund dreht beim Laufen immer ein wenig den Kopf nach hinten ‚Seid Ihr noch alle da? Was dauert da so lange?‘ Der dunklere Hund (Jooka?) schnappt während des Laufens immer nach etwas Schnee am Rand – Teemu: Kühlung. Im Kopf entwickle ich das Konzept des Blogeintrages ‚Fahrbericht HSK 5×20‘, und ungefähr die Hälfte der Punkte. In weiten Teilen scheint der Schnee recht hart zu sein, aber durch den rechtstarken Wind gibt es auch Schneewehen. Hier tun sich die Hunde schwer, sinken fast bis zum Bauch ein; das muss ein mühsames Gestapfe sein. Wir werden auch sehr langsam – hilft man da als verantwortungsvoller Schlittenführer nicht mit? Ich probiere es ein paar mal zaghaft, aber wir sind noch deutlich zu schnell, als dass ich wirklich Kraft auf den Schnee bringen würde, auch weil auch ich im tiefen Schnee einsinke.
Nach der zweiten Runde fahren wir einen Kringel durch einen kleinen Birkenwald und fahren wieder bei der Hütte vor. Bremsen, Parkbremsen, ein Helfer bindet den Schlitten an; „now you can thank the dogs“. Erschöpft sehen sie wirklich nicht aus, etwas ruhiger als vor der Abfahrt vielleicht. Sie lassen sich knuddeln, aber sind wirklich nicht verschmust. Sie wirken auf mich gegenüber uns Touristen etwas – indifferent. Es gibt halt echt wichtigeres – das Weibchen da vorne zum Beispiel, oder ob das Zugseil nicht vielleicht doch essbar ist. Es macht auch das fotografieren schwierig, die Hunde schauen überall hin, nur nicht in Kamera. Auch wenn ich witzige Geräusche probiere – es interessiert sie nicht. Teemu erklärt mir die Hundenamen meines Teams – ich hab’s auf Video, aber merken kann ich’s mir nicht. Dann schauen wir noch bei dem Zwinger vorbei, wo seit kurzem die 10 bzw. 11 Wochen alten Welpen draußen leben. (Sie werden am Anfang in der Hütte stubenrein erzogen – so ist es leichter sie nach ca. sieben Jahren als Rentner in Familienabzugeben) Die Hunde-Mutter ist witzig. Lässt sich von Teemu wiederholt die Tür in den Zwinger öffnen, beschnüffelt kurz ihre Brut, und springt dann über die Hundehütten einfach hinten wieder aus dem Zwinger. Hmm. Wahrscheinlich könnten das die ganzen anderen ausgewachsenen Hunde auch. Dann lädt Teemu zu einem warmen Getränk in die Hütte ein, und erzählt dort ein wenig. So langsam komme ich mit dem tiefen finnischen Akzent zurecht. Er wohnt mit seiner Frau hier, sie haben hinten noch private Gemächer. Kein fließend Wasser (es gibt wohl einen See), und im Winter liefern die Solarpaneele gerade genug um Mobiltelefone zu laden und die Buchungslaptops zu betreiben. Von sich aus bemerkt er, dass man schon ein wenig verrückt sein muss, um so zu leben, und ich kann ihm nur beipflichten. Er erzählt auch von dem Schlittenrennen von Anchorage nach Nome, über 1600 km in acht Tagen, aber ich bin mir nicht sicher, ob er auch daran teilgenommen hat. Jedenfalls, wenn die Hunde auch 350km am Tag laufen können, dann hatten die mit den 10km heute wahrscheinlich wirklich keinen Stress.








Währenddessen ist Abdíaz draussen mit Drohne, Spiegelreflexkamera und Stativ, mal sehen ob ich ein paar seiner Bilder und Videos abgreifen kann. Teemu bläst zum Aufbruch, heute Nachmittag hätten Sie eine Gruppe von 38 Türken, dass muss vorbereitet werden. Um kurz vor zwölf bin ich wieder im Hotel – ich hätte mich nicht sorgen müssen.
Dabei noch eine Anekdote zu Kemi selber: Auf einer Gourmetreise müsste man hier nicht halten. Als ich ankam, habe ich mal geschaut, wo man hier etwas zu Essen bekommen könnte. Google bot hauptsächlich mittelmäßig bewertete Döner und Pizzaläden an. Was es gegeben hätte, war ein gut bewerteter Thailänder ‚closed. Opens Tuesday at 11:00‘. Am Ende bin ich im Hotel geblieben – war auch wärmer. Ich dachte mir dann – cool dann gehe ich Abends nach der Eisbrecher-Tour dorthin. Aber Google meinte wieder: ‚closed. Opens Wednesday at 11:00‘ Wollen die mich verarschen?!? Also Mittwoch wieder im Hotel. Aber heute Mittag – da hat es dann endlich geklappt; durchaus brauchbares all-you-can-eat buffet. Danach noch im Supermarkt einen Sandwich für den Abend – heute kein Hotelrestaurant.