A little something to break the ice

Was könnte das sein? Eine witzige Anekdote? Etwas Musik? Ein leckerer perlender Cocktail? Ein charmantes Kompliment? 3542 Tonnen Stahl? Hier in Kemi greift man zu letzterem.

Die „SAMPO“, benannt nach einem McGuffin der finnischen Mythologie (Links unten links), lief 1960 in Helsinki vom Stapel, und sorgte danach 25 Jahre dafür, dass die Gewässer des Bottnischen Meerbusens (da wo ich im Sommer 2024 schwimmen war) im Winter schiffbar blieben. Danach wurde sie für 19 Pfennige pro Kilo an die Stadt Kemi verkauft, und seitdem befördert sie jährlich ca. 10.000 Touristen auf Kreuzfahrt-Ausflügen durch das Eis. Im Winter 24/25 9.999 andere Touristen und … mich.

Ich hatte sie mir größer vorgestellt

Wie kommt es dazu?

Das ursprüngliche Konzept für die Wochen hier im Norden war es, auf dem Rückweg mit der eisbrechenden Fähre von Vaasa nach Umeå zu fahren. Der Winter war aber offensichtlich nicht sooo hart, dass das unbedingt rockt. Diverse andere Verwerfungen führten dazu, dass Katri und Rainer mir vorschlugen, in Lappland im Eishotel zu übernachten. So ein Quatsch! Oder? Hmmm. Ich google mal. Google spuckt nichts richtiges aus. Eine Snow-Experience, ein Hotel, aber keine Übernachtung im Eis. Dafür taucht aus dem Nebel der Suchergebnisse immer wieder ein Eisbrecher auf. Kemi-Tourism teilt mir später auf meine email Anfrage mit, dass sie das Konzept geändert haben und kein Eishotel mehr anbieten, aber da sitzt die Idee mit dem Eisbrecher schon zu fest. Vier Tage später ist der Ausflug gebucht, ein Tag davor der Zug.

Die Fahrt auf dem Eisbrecher scheint in Kemi kein Nischenprodukt zu sein; ist straff durchorganisiert. Ich habe den Nachmittags-Slot gebucht, Abholung um 11:25 am Hotel, Bus zum SnowCastle365, dort Check-In und Verteilung verschiedenfarbiger Bänder. Ich bekomme ein schwarzes, das bedeutet heute: Schiffsführung um 14:00, Mittagsbuffet 14:50, Eisbaden um 16:30. Der Bus zum Industriehafen fährt erst um 13:00, bis dahin bitte SnowCastle ansehen; etwas Zeit für den Giftshop bleibt dann auch. Immerhin – die Sonne scheint, aber es ist lausig kalt und der Wind macht es nicht besser. Laut Google Maps müsste hier gleich Meer sein, aber da ist nix – nur eine weiße Fläche. Diverse Fußspuren darauf, kein Warnschild – raus aufs Wasser. Ein kleiner Riss im Eis beunruhigt mich kurz, aber man kann auf beiden Seiten davon rumtrampeln, da bewegt sich nix. Der Ohrwurm des Tages nistet sich ein: Pink Floyds „The Thin Ice“, zweiter Track: „[…] don’t be surprised if a crack in the ice appears under your feet […]“. Später erfahre ich, dass es kein thin ice ist. Ca. 40cm dick, da kann man wohl einiges drauffahren (lebensmüden Eisfischern reicht 5cm, normalen Sterblichen wohl 10cm). Dann ist hier noch das Snow Castle zu bewundern. Erst denke ich mir, dass die mich wohl verarschen wollen – ein eher lieblos aufgeschütteter Wall aus Eis und Schnee, das hätte ich nach 10 Minuten Einweisung mit einem Bagger auch hinbekommen.

Aber dann entdecke ich in dem Schneewall die Tür mit dem Schild „buy tickets at reception“. Ich bin mir nicht sicher – in dem Tourpaket war auch was von Experience 365 beschrieben, aber ich bin mir nicht sicher, ob das nur das VisitorCenter mit Gift Shop ist, oder auch das hier draußen.

Ich beschließe, im Inneren jemanden zu suchen, den ich fragen kann. Ich schaue mir alles an, finde aber niemanden zum Fragen. Oh well. Kemi ist fest in asiatischer Hand, Selfies links, Selfies rechts, und jetzt noch ein Foto von Tante Fu, wie sie die Eisskulptur umarmt. Aber sonst ganz nett – ich lasse die Fotos für sich sprechen.

Im Gebäude ist dann noch eine Halle mit Eisskulpturen, wo ich ein wenig den Kopf schüttel – WTF und warum? Aber dann kommt es mir – wahrscheinlich deutet das „365“ an, dass man auch im Sommer in Shorts und Flipflops in die Halle zum Schnee gehen kann. Heute ist es hier drin wärmer als draußen.

Dann Bus Transfer nach Veitsiluoto – ein Industriehafen 10 Minuten außerhalb von Kemi, und wir sind an der Pier. Bändchen vorzeigen, und gleich erfolgt eine Auswahl – manche Gruppen sollen gleich in die Icebreaker-Bar, da sie dort bald für die Schiffsführung abgeholt werden, andere gleich zum Buffet – sieben Gruppen, alle 10 Minuten geht’s los. Erstmal fühlen sich alle verpflichtet reinzugehen, aber man darf dann auch auf die Decks raus und herumlaufen. Wir legen ab und fahren Richtung offenes Meer. Ein bisserl ist es geschummelt, finde ich. Wir brechen gar kein Eis sondern fahren durch die Rinne die die Sampo schon am Morgen gemacht hat, und am Tag davor, und davor, und und…

Es gibt auch noch einen zweiten Eisbrecher, die „Arctic“, aber die ist neuer, hässlicher, und kürzer unterwegs. Allerdings ist sie 10 Minuten vor der Sampo abgefahren, und hat auch ein wenig Eis gebrochen.

Die Temperatur ist ca. -18°C, und dazu hat es noch etwas Wind (Fahrt- und Normal-). Ich habe zwar dicke Handschuhe, aber damit kann ich das Fotografier-Telefon nicht bedienen. Also mit nackter Hand fotografieren und filmen, aber nach ca. 10 Minuten ist Schluss – die Finger frieren ab. Dann wieder in eine der Lounges, auftauen, und dann kommt wieder ein Programmpunkt. Die Führung durchs Schiff – mit viel Temperament von Mario moderiert – ist ausführlicher als ich es gedacht hatte, und geht auch über die Brücke, durch den laufenden Maschinenraum und die Technikzentrale. Man geht schon recht nah an den ganzen Schaltern vorbei, ein Schelm, der… aber ich doch nicht. Es wird auch versprochen, dass man danach selbstständig all die Ecken in Ruhe erkunden könne.

Um 14:50 gibt es dann für die schwarz Bebänderten das Buffet Lunch, was ähnlich wie das Hotelrestaurant noch lange auf einen Michelin Stern warten muss. Sehr lange. Dafür schaffe ich das Essen in fünf Minuten, und da stecken wir schon im Eis fest. Na gut, das war geplant.

Die Gangway wird aufs Eis gelegt, die Crew verteilt Begrenzung-Verkehrshütchen, und wir dürfen aufs Eis, Selfie mit Sampo. Vom Bug hängt auch eine Festmacherleine als Selfieutensil. Es ist aber auch wirklich cool. Fotos vom Schiff, Fotos von Chris, Fotos von Chinesen mit Schiff – nach 10 Minuten spüre ich Ringfinger und kleinen Finger der linken Hand gar nicht mehr. Kurz darauf gibt es noch den für 15€ dazugebuchten Ice-breaker Drink. Ein Shot Vodka aus einem Glas aus Eis. Ich habe das Glas als Souvenir mitgenommen, aber jetzt im Hotel finde ich es nicht mehr.

Es gibt noch eine weitere Attraktion der Tour – „Ice Floating“. In denselben sieben Armband-Gruppen dürfen wir gelbe Überlebensanzüge anziehen, watscheln damit vom Schiff, und dürfen uns ins freie Wasser hinter der Sampo gleiten lassen. Der Anzug besteht aus einem Guss Neopren (ist das noch Neopren, wenn es sich nicht vollsaugt?), und wenn ich mir schon in Skiunterwäsche, zwei Pullis und Anorak wie das Michelin-Männchen vorkomme – das Ding spottet jeder Beschreibung. Mich würde interessieren, ob die Dinger nur für Touristen gemacht sind, oder ob Profis darin auch arbeiten können müssen.

Jedenfalls schließe auch ich um 16:30 Geld und Handy in ein Wertfach und lasse ich mir in einen Anzug helfen, der um das Gesicht herum dicht abschließt. Dann vom Schiff watscheln, und sich mit etwas Hilfe ins Wasser gleiten lassen. Das Ding ist so voller Luft, dass es keine weitere Schwimmhilfe braucht. Man liegt am Rücken, und nur da ist es etwas kühl, da sich die isolierende Luftschicht dann woanders hin bewegt. Theoretisch dürfte man ein wenig schwimmen, also am Rücken liegend mit den Armen wedeln, aber da ich in der letzten Gruppe bin, ist das Schwimmbecken schon wieder voller Eisbrocken. Ich schaffe es vielleicht einen Meter von der Kante weg, aber dann sind mir Eisschollen im Weg. Nach ca. fünf Minuten reicht es mir, und ich begebe mich mit einem eleganten Aufschwung wieder aufs feste Eis. Ausgehalten hätte ich es viel länger, in einer Überlebenssituation schätze ich sogar ’ne Stunde. Aber – wir sind die letzte Gruppe, und jetzt wird’s dunkel – es wird schon alles andere auf dem Eis abgebaut, und so aufregend war es dann auch nicht in einer Gummipuppe im Wasser zu liegen. Wegen dem Handy-Wertfach gibt es keine Fotos von mir im Wasser.

Ich hatte meine Fototasche auf der Brücke gelassen, da sie nicht in das kleine Wertsachenfach gepasst hätte. Nur deshalb traue ich mich, an der mittlerweile geschlossene Tür der Brücke zu klopfen. „Klar, komm rein, kannst auch auf der Brücke bleiben“. Und so darf ich bis kurz vor dem Anlegen auf der Brücke bleiben, und mich ab und zu mit dem Kapitän unterhalten. Navigation im Dunkeln ist immer spannend. Wir legen an, bekommen ein Diplom; Bustransfer zurück ins Hotel – sehr cooles Abenteuer.

Hier noch ein paar weitere technische Details:

  • Die Sampo wurde nach nur 25 Jahren aus dem regulären Dienst genommen, weil sie nicht dick genug war (ja, auch das gibt’s). Frachtschiffe wurden dann einfach breiter, und die Sampo hätte ihnen nicht mehr genug Platz gemacht.
  • Wie wir schon bei unseren Fahrten mit der Seestern feststellen mussten – verdammt flach hier. Deshalb hat sich die Sampo auch brav an die Fahrwasser gehalten. Das von mir erhoffte schlagen einer neuen Schneise durch unberührtes Eis fand also nicht im großen Stil statt.
  • Die freigemachte Fahrrinne friert zügig wieder zu. Kapitän: „Morgen früh könntest Du hier wieder ohne weiteres drüber laufen“. Aber natürlich erkennt man den Bereich, der schon mal geräumt wurde.
  • Tatsächlich wird das Eis in mehrfach gebrochenen Rinnen deutlich dicker als das ursprüngliche.
  • Die Sampo könnte 140cm dickes Eis durchbrechen. ‚Lost in translation‘ war, ob das im Auslieferungszustand war, oder heute, wo sie nur noch zwei Propeller hat, und nur zwei von vier Motoren funktionieren. Die Sampo funktioniert Diesel-Elektrisch – Vier Dieselmotoren treiben acht Generatoren, die bei Auslieferung vier Fahrtmotoren antreiben (das lässt sich besser regeln)
  • Der Bootsmann meint, dass das heutige Eis auch ohne weiteres von der Wasaline-Fähre zwischen Vaasa und Umeå gebrochen werden könne.
  • Als ich frage, wie oft dieser Hafen Veitsiluoto von regulären Handelsschiffen angefahren wird, meint er vielleicht ein oder zwei – pro Winter.
  • Der elegante Aufschwung aus dem Eis wurde wie folgt erklärt: Loungig längs neben die Eiskante schwimmen. Den näheren Arm lässig aufs Eis legen. Das entferntere Bein über das andere auf das Eis legen. Den entfernteren Arm dem Helfer reichen, und sich dann mit eigener Kraft daran hochziehen und aufs Eis rollen. Die Helfer hatten es irgendwann etwas eiliger; zweiten Arm gereicht und ich werde aufs Eis gezogen. Es erging mir immer noch besser als manch anderen, die einfach an der Rettungsschleife ihres Anzugs mit Gewalt aufs Eis gerupft wurden; vielleicht auch weil der Tourist das mit den verschiedenen Armen und Beinen nicht wirklich verstanden hat.
  • Wenn man sich mit nassem Anzug von allen Vieren vom Eis erheben will, klebt man genau so an wie mit der Zunge am Laternenmast – es tut einem selber nur weniger weh, sich wieder fortzureißen.

Die Links unten links
Sampo – MacGuffin der finnischen Mythologie – wunderbar erklärt in der englischen Wikipedia.
MacGuffin – Ein Gegenstand wie der Sampo – es ist unklar, was genau es eigentlich ist, aber es ist wichtig, dass die Helden darum kämpfen müssen. Mein Lieblings-MacGuffin ist der leuchtende Aktenkoffer aus Pulp Fiction.
Sampo (Eisbrecher) – bei Wikipedia

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