Kein Ragu in Ragusa

Es regnet in Strömen. Katzen und Hunde, wie die Engländer sagen würden. Auf den Straßen Siziliens sind tiefe Pfützen, aus dem Kanaldeckel an der Marina in Siracusa quillt das Wasser wie ein kleiner Geysir 50cm nach oben. Es regnet für uns seit ca. 18:00, da haben wir das Weingut Planeta in der Nähe von Avola verlassen. Wir, das sind seit Dienstagmittag Luisa, Janina, Frank und ich. Janina und Luisa werden noch eine gute Woche in Sizilien verbringen, ganz schnöde an Land. So wie Janina in den 10 Minuten auf unserem gut vertäutem Boot reagiert hat, vielleicht auch ganz gut so. Wir haben uns ein Auto gemietet, und sie am Dienstag vom Flughafen in Catania abgeholt. Insgesamt haben wir 48 Stunden einen rollenden Untersatz, und den nutzen wir jetzt aus. Wir sind ein wenig am Etna rumgekurvt, haben lokale Spezialitäten gekostet, Kultur (alte Steine) angesehen, und waren einkaufen, Wein und andere weniger wichtige Dinge. Eigentlich ganz angenehm, dass es nicht mehr so heiß ist, aber den ganzen Regen hätte es nicht gebraucht.
Es hat ja gut gepasst – auch wenn ich mittlerweile überzeugt bin, dass es Janina aus eigener Kraft nach Avola geschafft hätte – so konnten wir die Gentlemen spielen und dabei die Insel erkunden. Nach einem direkten Preisvergleich dreier Autovermieter (zu Fuß, ohne Internet) haben wir einen Opel Corsa bekommen, 50€ am Tag inklusiv der No-worries-Versicherung. Die Vermiet-Frau grinst, als wir die 50 Kratzer an dem schon 100.000 km gelaufenen Auto dokumentieren wollen: Don’t worry, you’re insured anyway, it doesn’t matter if there are 51 scratches afterwards. In einem Einkaufszentrum neben dem Flughafen von Catania organisieren wir eine unlimited-Internet SIM Karte, holen die Dame vom Flughafen ab, und fahren in die Innenstadt von Catania um dort die „besten Arancini der Insel“ zu kaufen. Ich freue mich über die Vollkasko Versicherung und kann richtig italienisch durch die Stadt kurven. Arancini sind fritierte Reisbällchen, nein BÄLLE, mit ordentlich geschmolzenem Käse und anderen Geschmäckern drin. Zwei pro Person einzuplanen war echt übertrieben; es sind immer noch welche im Kühlschrank. Dann weiter an die Hänge des Etna; leider ist die Sicht nicht mehr so gut, deswegen können wir zwar feststellen, dass es wohl beeindruckend ist, aber ob die Fotos ähnliches sagen? Am Ende müssen wir uns beeilen, wer mich kennt, kann sich vorstellen wie schlimm es für mich ist, Bergstraßen zügig zu fahren 😉
Der Grund für unsere Eile sind alte Steine in Siracusa – das griechische und römischen Theater. Wir schaffen es gerade noch so, dass wir 45 Minuten haben, die Ruinen zu besichtigen. Hier wiehert der Amtsschimmel: offiziell gilt das Gelände als Museum, im Museum ist Maskenpflicht, also müssen auch wir… Eigentlich hasse ich ja solche Deppen, aber hier tragen auch wir die Masken eher als Kinnschutz. Da wir bei der Besichtigung den Hocheffizienzmodus eingeschaltet haben, sind wir sogar nach 30 Minuten fertig. Coronabedingt ist eine klare Einbahnregel abgeschnürt, viele der Nebenwege nicht zugänglich. So kann ich auf der Bühne des griechischen Theaters keinen Text deklamieren. In Messini bei Kalamata ging das noch; da ich in den griechischen Klassikern nicht so firm bin, habe ich dort Teile von Loriots Adventsgedicht aufgesagt. Dann waren wir noch etwas essen in Siracusa, und danach habe ich Luisa und Janina in ihre Ferienwohnung in Avola gebracht, ca 3o Minuten südlich von Siracusa. Für den nächsten Tag haben wir einen ‚Mini-Führung‘ im Weingut COS organisiert.
Stephan und ich haben den Cerasuelo de Vittoria vom Weingut C.O.S. vor über 10 Jahren kennengelernt. Wir waren in der Pfalz mal so richtig schlemmen, und der Sommelier hatte diesen Wein empfohlen. Klar, die Erinnerung schreibt mit goldener Feder, aber damals hätte ich geschworen, dass dieses der beste Rotwein ever (in meinen Preisregionen) war. Ich wollte schon immer dorthin. Gesagt, getan. Leider haben sie an dem Mittwoch schon eine größere Gruppe angenommen, aber wir möglichst früh kommen, können sie noch was einschieben. Wir stehen als um kurz vor sieben auf, holen um acht die Mädels ab, und sind nach zwei Stunden auf dem Weingut. Nicht unglaublich beeindruckend. Ein paar kleinere Häuschen in the middle of nowhere. Unser Guide nimmt uns freundlich in Empfang, läuft fix mit uns zu den Reben, erklärt Region, Terroir, Wetter und deren Philosophie. Dann ein schneller Blick in den Amphorenkeller (Ein Teil der Weine wird in Amphoren statt in Fässern ausgebaut), Weinkeller, und dann ab zum Tasting. 20 Euro pro Person kostet der Spaß, keine Anrechnung auf späteren Kauf, und so wirklich billig sind die Weine auch nicht. Um etwas fair zu sein, sie haben uns wirklich eingeschoben, da wir das Auto nur noch an dem Tag hatten. Aber dennoch – 20 Euro für fünf Pfützen Wein im Glas – schon etwas arrogant. Wir errinern uns an eine andere Weinführung hier in Sizilien, beim Weingut Planeta… war da nicht auch irgendwo hier ein Schild? Wir finden heraus, dass wir am späten Nachmittag noch in deren Dependance an der Ostküste begrüßt werden würden.
Auf dem Weg dorthin zurück liegt die Stadt Ragusa, erbaut beiderseits einer tiefen Schlucht. Wichtiger Tourismus-Magnet in diesem Teil Siziliens. Natürlich sind wir nicht so blöd, die Touristenfallen am Domplatz zu besuchen. Trip-Advisor wird uns schon den richtigen Weg weisen. Leider geht das nicht so glatt. Die Orientierung erschwert durch schlechten GPS Empfang in engen Gassen, und das Schlaukasterl berücksichtigt auch nicht, welche Läden aufgrund von Corona nur eingeschränkt Betrieb haben. Wir irren länger durch die Stadt, es beginnt zu regnen, die Mädels werden hangry (ein wunderschönes Portmanteau aus hungry und angry), und wir eilen zum Auto zurück. Eine teuflische Einbahnstraßenregelung kostet uns weitere 15 Minuten, und als wir endlich ein Lokal finden, ist es etwas zu kalt, das Essen zwar schön präsentiert aber geschmacklich eher wenig raffiniert. Wenn selbst mein Humor nicht hilft, Luisa aufzuheitern – Ihr könnt Euch vorstellen, wir kritisch die Situation war. Etwas besser wird’s beim Weingut Planeta. Auch hier sind wir eher ‚eingeschoben‘, aber der Verkäufer erzählt bereitwillig über die Weine, und macht einige Flaschen auf, die uns interessieren. Frank und ich decken uns für die nächste Etappe der Reise ein.
Mittlerweile haben sich meine Eindrücke über Sizilien verfestigt – wie Irland vor dreißig Jahren, nur dass die Vegetation viel mehr nach Dürre aussieht. Überall stehen verlassene Gebäude in verschiedenen Verfalls-Zuständen, auch an bewohnten Gebäuden bröckelt der Putz gewaltig. Teilweise fühlen wir uns an Havanna erinnert. Das Straßennetzt ist … interessant. Vielleicht liegt es auch an einer etwas eigenwilligen Google-AI, aber unser Weg scheint völlig chaotisch. Wenig Hauptverkehrsstrßen, die von Zubringern gespeist werden. Unser Weg führt uns über alle möglichen Straßen, auch diese in sehr unterschiedlichen Erhaltungszusänden. Also große Straße, plötzlich dort in diesen Feldweg einbiegen, fünf Kilometer hier, dann rechts auf die vierspurige Straße, dann ein Kreisverkehr, mehrere Links-Recht Schikanen in der nächsten Ortschaft, und weiter gehts. Häufig wird die Straße von Natursteinmauern eingegrenzt. Als es am Abend noch windig wird, und anfängt zu regnen, fühle ich mich endgültig in einem dürren Irland.
Am Ende machen wir noch den Lidl-Chauffeur für die beiden Damen, bringen sie nach Hause, und machen uns auf den Weg zurück zum Schiff. Es schüttet. Wir tragen nur das notwendigste zum Schiff. Mit dabei – zwei Ladungen gewaschene Wäsche (die FeWo hatte eine Maschine), leider noch recht feucht. Wir verwandeln unseren Salon in einen Trockenkeller, und da wir Landstrom haben, lassen wir den Heizlüfter laufen.
Wir erfahren, dass sich auf dem Seegebiet, wo wir vor vier Tagen bei Flaute nach Sizilien gedampft sind, aktuell ein heftiger Sturm zusammenbraut (wer das aktuell liest: bei www. windfinder.com ansehen), mit angesagten Winden von 160km/h, der sich nun nach Griechenland bewegt. Vielleicht haben wir Glück gehabt, und die Seestern gerade rechtzeitig vor der Zerstörung im Hafen von Kalamata gerettet?
Mittlerweile hat es aufgehört zu regnen, die Wäsche ist erheblich trockener, ich habe das Boot noch etwas festgezurrt, und deshalb kommt der Blog jetzt in Netz, und ich in die Kiste.

Wir lagen vor Madagaskar Siracusa


Wir lagen vor Madagaskar Siracusa und hatten die Pest den Corona-Verdacht an Bord. Die Bürokratie, besonders wegen Covid-19, wird die Reise noch spannend machen. Eigentlich verlangt Italien bei der Einreise aus Griechenland einen negativen Test, der weniger als 72 Stunden alt ist. Doof für uns, denn wir sind halt ungefähr 72 Stunden unterwegs. Frank hat aber in Erfahrung bringen können, dass die Besatzung von Schiffen von gewissen Regeln ausgenommen sein kann, die Italien erlassen hat. So sind die ja öfters länger unterwegs. Alternativ kann der Schiffsarzt auch regelmäßig bei der Besatzung Fieber messen, dieses ordentlich dokumentieren, und das gilt dann auch. Gesagt, getan, wir messen täglich Fieber und tragen unsere Werte in Dokumente ein. Luisa taugt von uns allen am besten als kaltblütige Mörderin (jedenfalls von der Körpertemperatur). Die Unterlagen schicken wir dann an die Sanitätsbehörde irgendwo in Sizilien, und die erlaubt, dass wir an Land gehen. Easy.
Dennoch liegen wir 36 Stunden in dem großen Naturhafen von Syracuse vor Anker und warten auf die Freigabe. Unser Schicksal teilen wir mit sechs anderen Schiffen: Fünf Segelschiffen und der 270 Meter langen Norwegian Spirit, einem bunt beleuchteten Kreuzfahrtschiff was seit fünf Tagen hier vor Anker liegt. Nachts sieht man die Besatzung auf einer riesigen Leinwand Fußball gucken. Wahrscheinlich ist deren Covid-Problem halt ein anderes, nämlich Arbeitslosigkeit. Auf Marine Traffic kann man sehen, dass sie vorher in Augusta war, dem größten Erdölhafen in Italien. Wenigstens billig tanken. An der Pier liegt ihr Schwesterschiff, die Norwegian Dawn, und auch die scheint nicht besonders beschäftigt. Seitdem wir in Funkreichweite der Küste sind unterhalten wir uns mit dem „Siracusa Harbour Control“. Erst will er uns gar nicht im Hafen haben. Warum, das geht im Rauschen unter. Eine Stunde später versuchen wir’s nochmal, mit neuer Strategie: wir wurden schließlich angewiesen, in den Hafen zu kommen, und uns dort zu melden. Emails müssten auch vorliegen. Man spürt es, auf der anderen Seite der Funkverbindung rascheln die Papiere. Na gut, kommt in den Hafen, und ankert in Zone „B (Bravo)“ – die ist in unseren Unterlagen aber nicht eingezeichnet. Er erklärt eher unseemännisch „links neben der Norwegian Spirit, bei den anderen Seglern“. Wir prüfen die AIS Signale im Hafen – ja da ist eine „Norwegian Spirit“, Passagierschiff mit 270 Metern. Gut, wenn man’s weiß, kann man das Trumm nicht übersehen, aber von weiten hätte es auch ein Hotelkomplex sein können. Also werfen wir unseren Anker zwischen die anderen Boote, und machen erstmal einen Wein auf. Sonntag früh hoffen wir auf Nachricht. Von alleine kommt am Morgen keine Nachricht. Am Nachmittag probieren wir’s wieder mit Mobiltelefonen, bekommen einen neuen Dottore in Sanitätsbehörde genannt, der nur italienisch kann. Mit Whatsapp und Google Translate erklären wir unser Problem. Er wird sich sofort kümmern. Nach zwei Stunden versuchen wir ihn nochmal anzurufen, erreichen aber niemanden. Immerhin kommt schnell eine Nachricht „Ihre Akte wird bearbeitet“, kurz darauf eine zweite, in dem man sich für die Verzögerung entschuldigt. Es wird Abend, es kommt kein erlösendes e-mail. Gut, hoffen wir mal auf Montagmorgen. Überraschenderweise ist das Wetter angenehm kühl, tatsächlich gewittert es den ganzen Sonntag.
Am Montagmorgen – die Nummer der deutschen Botschaft ist schon rausgesucht – rufen wir nochmal beim Harbour-Master an. Ja, kein Problem, fahrt in die Marina, und meldet Euch da. Es ist zwar noch nicht klar, ob alles OK ist, aber immerhin schonmal an Land wäre ja ein Fortschritt. Also ab in die Marina, in die hinterste Parklücke eingewiesen und nicht gaaaaanz souverän eingeparkt, aber wir sind da. Frank nimmt alle Papiere und meldet sich bei der Rezeption. Die versteht wenig Englisch, und unser Problem sowieso nicht. Wir reden nochmal mit dem Hafenmeister, lassen uns bestätigen, dass wir uns nun frei bewegen können, drei Zeugen, OK, jetzt reichts. Vielleicht hätte es noch ein Dokument gegeben, aber wir geben auf und gehen in die Stadt, die erste Pizza und Vino auf italienischem Boden.
Insgesamt waren wir nun ungefähr 60 Stunden von Kalamata unterwegs, auf unserem Dampfer. Am Samstagmorgen haben wir die Flaute genutzt, und 70 Seemeilen von Land entfernt Pause gemacht. Badespaß und gute Laune. Irgendwie ein komisches Gefühl, wirklich mutterseelenalleine im Meer ins Wasser zu springen. Wie tief ist es dort? 1000 Meter? Ich verzichte darauf, auf den Boden des Schwimmbeckens zu tauchen. Das Wasser ist warm und unglaublich klar. Mal sehen ob man die Situation auf Fotos irgenwie erahnen kann.
Am Nachmittag konnten wir ungefähr zwei Stunden Segeln. Zwar nur halb so schnell wie unter Motor, aber immerhin kann Luisa nur bestätigen, dass wir ein Segelboot haben, und nicht nur ein Motorboot mit Masten. Etwas später am Nachmittag wurde es dann auch nochmal etwas spannender. Bei bestem Wetter fahren wir auf eine Wolkenwand zu. Wir sehen eine Windhose, die aus den Wolken nach unten geht. Sie verschwindet, eine weitere bildet sich, es blitzt ein wenig, es donnert. Langsam realisieren wir, dass das nicht etwas über dem sizilianischen Festland ist, was uns nichts angeht. Wir schalten unser Radar ein, wir fahren auf zwei Gewitterzellen zu, ca. 3 Seemeilen entfernt. Blitz. Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig… Wie war das mit den Sekunden? 300 Meter in der Sekunde, also ist das Gewitter jetzt noch zweieinhalb Kilometer weg. Noch stehen wir im Cockpit, halten uns an den Wanten und Stagen fest. Die zu zählenden Sekunden werden weniger, wir gehen von den Metallteilen weg, und setzen uns unter unsere Sprayhood. Einmal kommen wir nicht einmal bis dreiundzwanzig. Der Donner kommt dann nicht nur schnell, er ist auch ziemlich laut. Vielleicht das nächste Mal so eine Gewitterzelle etwas aktiver umfahren, gerade weil man sie auf dem Radar vortrefflich sehen kann. Das nennt sich wohl Erfahrung.
Jetzt wollen wir mal sehen, ob’s in Syracuse ein vernünftigen Cocktail gibt. Morgen kommt eine Freundin von Luisa, die beiden machen dann auf eigene Faust Sizilien unsicher, und wir sehen mal, wie viel Nerv uns Corona noch kosten wird.

Social Distancing

Social Distancing ist das Gebot der Stunde. Mindestabstände schützen, das wird einem ja immer eingebleut. Wenn das so, ist – machen wir. Der nächste Haushalt ist aktuell ca. 50 Seemeilen entfernt, und heißt Symphony Spirit. Die Symphony Spirit ist ein 130 Meter langer Frachter, und das aufregendste an meiner Wache. Um Mitternacht hat mich Frank geweckt, jetzt bin ich dran. Unser Kartenplotter zeigt ja andere Schiffe mit AIS an, und dieser ist direkt auf unserer gesteckten Route. Route ist vielleicht etwas hoch gegriffen. Wir fahren einfach nach Westen, auf Sizilien zu. Wir sind endlich unterwegs! Zwar doch mit einem Tag Verspätung, und dann nochmal mit sechs Stunden. Aus der Marina Kalamata, die uns nun doch fast zwei Jahre eine Art zweite Heimat war, mit Kurs nach Süden, um den westlichsten Finger des Peleponnes herum, dann gerade nach Syracuse. Ca 72 Stunden, das meiste über’s offene Meer. Bibber. Leider spielt der Wind nicht wirklich mit. Die Seestern bewegt sich erst richtig ab 10 Knoten Wind, und aktuell haben wir ungefähr sieben. Und die noch aus der völlig falschen Richtung. Gut dass wir vollgetankt haben. Fast 400 Liter Diesel müssten für 100 Stunden reichen, wir kämen also auch ganz ohne Wind aus, um nach Sizilien zu kommen. Natürlich würden wir lieber Segeln, aber unter Motor fahren hat auch Vorteile – Die Lichtmaschine erzeugt konstant Strom, und so schaltet man einfach den Autopilot an, und lässt das Schiffe alleine 275 Grad steuern. So beschränkt sich die Wache darauf, in regelmäßigen Abständen nach neuen AIS Kontakten zu gucken, und eine Rundumblick zu machen, falls da draußen Schiffe unterwegs sind, die kein AIS haben. Immerhin kam uns heute eines entgegen, eine andere Segelyacht unter Motor auf dem Weg nach Griechenland. Also wahrscheinlich eine Segelyacht. Wie im Lehrbuch sah ich nur ein grünes Licht, und darüber das weiße ‚Dampferlicht‘. Die Symphony Spirit ist mittlerweile so nah gekommen, wie sie uns kommen wird. Es waren am Ende doch vier Seemeilen Abstand. Also keine Maskenpflicht.
Auf der Nachtwache, mitten auf dem Meer, ist der Sternenhimmel ein Erlebnis. So klar habe ich die Milchstraße selten gesehen. Dann ist allerdings der Mond aufgegangen, ein irrwitziges Stück Apfelsine direkt überm Horizont. Auf seiner Reise nach oben verliert sich die orangene Farbe, jetzt einfach einer halber Mond hinter dem Schiff. Leider hat sich’s damit mit der Milchstraße erledigt.
So – zweite Nachwache, am Samstagmorgen. Es ist vier Uhr morgens, jedenfalls wäre es das noch in Griechenland. Mittlerweile sind wir näher an Italien, also eigentlich drei. Ich muss leider zugeben: wir sind gar nicht Segeln. Der Wind hat noch weiter abgenommen, besteht eigentlich nur noch aus Motor-Fahrtwind. Dass er auf den Instrumenten ab und zu in die Höhe schnellt, liegt eher an den Wellen – das Windrädchen ist an der Mastspitze montiert, wenn eine Welle (Dünung, also Wellen von vergangenem Wind) das Schiff zur Seite legt, wandert die Mastspitze aus, und so zeigt es kurz mehr Wind an. Allerdings hat die Dünung auch deutlich nachgelassen; kein Wunder bei dem (kein) Wind. Gestern musste ich den Laptop noch festhalten, auf dem Tisch, und habe ihn vor meinem Rundumblick quasi ‚aufgeräumt‘, heute nacht kann er auf sich selber aufpassen. Auch der Schiffsverkehr ist weniger geworden. Frank hat mir bei der Wachübergabe ein Phantomschiff auf der Backbordseite übergeben, Phantom weil dessen AIS Signal immer wieder an und aus geht. Gut, vielleich geht’s mit unserem genauso – mit zerknirschten Zähnen haben wir festgestellt, dass es wohl irgendwo an der Antenne einen Wackelkontakt gab, und mein viel beworbenes Marinetraffic.com uns weiter im Hafen von Kalamata gezeigt hat, obwohl wir schon an der Südespitze des Peleponnes waren. My apologies. Auch der Rundumblick auf der Suche nach Schiffen ohne AIS ergibt nichts. Das war auch schon den ganzen Tag so. Man sieht nichts, außer dem Meer. Da hilft auch kein gutes Fernglas. Immerhin, so habe ich schon 20 Minuten nach Beginn meiner Schicht den Laptop rausgeholt, und kann mal ein paar Zeilen schreiben.
Wie sieht die Nachtwache aus: Wir haben einen Schichtplan aufgestellt, für drei Schichten. Dabei hat jeder von uns entweder Freiwache, Bereitschaft, oder Wache. Im wesentlichen immer Vier-Stunden-Schichten, mit zwei verkürzten Schichten am Nachmittag, damit nicht immer die gleiche Person die gleiche Schicht hat. Nach den Erfahrungen bisher (totale Übermüdung) lag der Fokus darauf, dass die Freiwache mindestens sechs zusammenhängende Stunden hat, also Zeit wirklich schlafen zu gehen. Gut, das kann auch mal von 12 Uhr mittags bis 18:00 sein, aber so ist es halt. Aktuell ist allerdings auch die Bereitschaftswache mit tiefen Schlaf verbunden; es ist unwahrscheinlich dass ich Hilfe brauchen werde, dem Schiff beim geradeaus fahren zuzugucken. Nur etwas spooky bleibt es, wie alleine man hier ist. Würde man jetzt über Bord gehen, würde das keiner merken, und damit würde es wohl den sicheren Tod bedeuten, die 100 Seemeilen nach Syracuse wird keiner von uns schwimmen. Wir haben uns deshalb auf Sicherheitsmaßnamen festgelegt: Nachts wird ab Niedergang (die Haustür des Schiffes) Rettungsweste getragen. Damit ist das zu suchende Ziel nicht nur ein Kopf, sondern ein grell oranger Kragen mit reflektierenden Streifen, und das Opfer schwimmt länger. An den Automatikwesten (blasen sich erst nach Kontakt mit Wasser auf, und sind somt nicht ganz so nervig zu tragen) tragen wir meist einen Lifebelt (einen Gurt mit Karabinern) mit dem man sich am Schiff einpicken kann, der ist auch eingehängt weil er nun schonmal da ist. Auch an meiner Weste hängt mein Geburtstagsgeshenk vom letzten Jahr, ein Mann-über-Bord Peilsender der bei Kontakt mit Wasser meine Position funkt. Wobei mir gerade bei den jetzigen Bedingungen wirklich die Phantasie fehlt, wie man aus unserem Mittelcockpit rausfallen könnte – so als hätte man nicht nur Angst, nachts aus dem Bett zu fallen, sondern auch noch aus dem Schlafzimmer. Aber so wird’s zur Routine, und bei schwererem Wetter macht das schon Sinn. Wir haben auch festgelegt, dass man das Cockpit nicht verlässt, ohne dass jemand Bescheid weiß – auf dem Deck wird nicht unbeobachtet rumgekrabbelt. Wie Ihr seht – wir verfolgen die beliebte Enge Hose & Gürtel & Hosenträger-Strategie.
Wie geht’s dem Schiff?
⦁ Der Motor schnurrt, läuft jetzt seit 43 Stunden ununterbrochen. Die Tankanzeige bewegt sich kaum. Leider liegt das wohl nicht an der Sparsamkeit des Motors, sondern eher an einer falschen Kalibrierung. Immerhin wissen wir nach diesem Trip, wieviel der Motor wirklich in der Stunde verbraucht. Als Faustwert nehmen wir fünf Liter, im Internet habe ich mal 3,7 Liter bei den aktuell anliegenden 1800 Umdrehungen gefunden, aber das müsste auch vom Schiff abhängen.
⦁ Unser AIS meldet ab und zu einen Fehler im Steh-Wellen-Verhältnis bei der Antenne. Wahrscheinlich durch ein Wackelkontakt in einem der Stecker ist die Antenne nicht mehr auf den Sender abgestimmt. Frank freut sich schon, dem Fehler nachzugehen.
⦁ Die erste Gasflasche ist leer. Leider ist uns das gestern erst aufgefallen, als wir kochen wollten, da war wir schon auf schaukeliger See waren, und es wurde dunkel. Leider hat die Ersatzflasche einen anderen Anschluss, also mussten wir heute erst einmal den Regler provisorisch umbauen. In einem weiteren Schritt kommt an das System noch ein elektrischer Gasabschalter dazu, mit dem man die Flasche von der Küche aus trennen kann.
⦁ Wir haben in Kalamata unsere mechanische Windsteueranlage montiert, und erstmals ausprobiert, die ohne Strom das Schiff nach dem Wind steuern können soll. Leider funktioniert sie halt nur mit Wind, und nicht wenn der Propeller das Schiff antreibt und das Wasser am Heck verwirbelt.
Aber sonst ist das Schiff bereit, auch wenn die Länge der to-do Liste das nicht sofort erkennen lässt. Wir sind ja am Montagmorgen in München losgefahren, Luisa (Franks Nichte), Frank und ich. Jeder mit 20kg Gepäck, und Handgepäck, was schon über dem Limit war. Mit dabei so spannende Sachen wie eine Waschtischarmatur für das hintere Bad, größere Mengen an Medikamenten und anderem medizinischem Material, und am Ende noch ein Drucker, wegen der Bürokratie und der Notwendigkeit dafür Dokumente auszudrucken. Mehr dazu später.
Also wir in Kalamata ankamen, war der neue Sonnenschutz des Segelmachers bereits auf dem Schiff montiert, eine weitere Korrektur der Befestigung der Gangway war durchgeführt. Nur vom Polsterer haben noch ein paar Restthemen gefehlt. Wir hatten per DHL insgesamt fast 70 kilo in drei Paketen nach Kalamata geschickt, die letzten beiden am 28. August. Leider war am 7.9. erst eines angekommen. Wir hatten uns einen Mietwagen genommen, konnte also nochmal kräftig den Lidl plündern, haben Wasser und Diesel aufgefüllt. Leider noch immer zu warm, als dass man richtig arbeiten konnte (Lust dazu hatte). Unser Plan war es eigentlich, schon am Mittwoch abzulegen, aber als am Dienstag das DHL Tracking gerade einmal meldete, dass das letzte Paket „in Griechenland“ angekommen sei, haben wir uns von dem Plan verabschiedet. So sind wir am Dienstag noch zu den Ruinen von Messini gefahren, etwas Kultur schadet ja auch nicht. Mit dem Polsterer bleiben wir in Kontakt – er soll noch Vorhänge für unsere Luken liefern (beim ersten Wurf hatte er Länge und Breite verwechselt), und Kissenbezüge, in denen wir unsere Bettdecken reintun könnten (aktuell braucht hier niemand eine Steppdecke, und als „Kissen“ kann man sie immerhin draußen rumliegen lassen. Er meint, er sollte alles bis Freitag fertig haben. Wir erklären ihm, dass wir am Mittwoch weg sind. Er schreibt „Will you take the boat with you???“. Am Ende hat es nicht geklappt. Vorhänge und Bezüge werden jetzt nach München geschickt. Insch’allah.
Überraschend kommt das letzte DHL Paket am Mittwoch morgen, und wir legen die Abfahrt für Donnerstagmorgen um sechs fest. Ganz schaffen wir das nicht, noch ein paar Last-Minute Besorgungen, unseren alten Staubsauger an unseren Mechaniker verschenken, zumindest noch die Muster Steppbettdecke vom Polsterer zurückbekommen, aber um 12 Uhr mittags werfen wir die Leinen los. Unser Segeljahr beginnt.
(Hinter dem Schiff beginnt es dem Morgen zu grauen, der Laptop beschwert sich über niedrigen Akkustand – damit wäre das wohl der erste Blogeintrag. Veröffentlichung in Sizilien geplant. Über die Bürokratie erzähle ich demnächst.)