Viele von Euch wissen schon lange, dass ich als Kind in Spanien gewohnt habe – und die, die’s noch nicht wussten, wissen es jetzt. Von 1975 bis 1979, im Alter von 5-9. Die Situation damals beschrieben, mit Analogie zu München: Wir haben erst in Arroyo de la Miel (Höhenkirchen) und dann in Benalmadena Costa (Siegertsbrunn) gewohnt. Die Küstenstraße (Rosenheimer Landstr.) war damals noch nicht so gut ausgebaut, die Autopista del Mediterraneo (A8) gab es noch gar nicht. Mein Vater hat in Málaga (München) gearbeitet, ich bin auf der deutschen (preussischen) Schule in den Bergen nahe Marbella (Prien am Chiemsee) gegangen. Jeden Morgen mit dem Schulbus (Simon Gruber Busreisen) über eine Stunde über Landstraßen in die Schule. Meine Schulfreunde waren in der ganzen Provinz Málaga (Oberbayern & Salzburger Land) verstreut, ein Kindergeburtstag benötigte 50-150 km Taxifahrt von Mama. Dort wo ich wohnte, kannte ich nicht viele gleichaltrige Kinder, den die sprachen alle Spanisch (bayrisch), und ich war irgendwie ein Exot (a Preiss, hoid). Entsprechend eines neun-jährigen war mein selbstständiger Aktionsradius noch nicht groß. Ich bin also nicht mal schnell in die Bodega El Pimpi (Weißes Bräuhaus) gefahren um Tapas (Weißwürste) zu essen, und kenne auch Marbella nur von Ausflügen mit den Eltern.
Dennoch macht es mir Spaß, hier rumzufahren (wir haben einen Fiat Panda gemietet). Ich erkenne viele der Ortsnamen wieder, denn die konnte ich schon damals aus dem Fenster des Schulbusses lesen. Es hat sich viel getan hier. Damals waren die Bäume klein und die Häuser groß, und heute ist’s umgekehrt. Es gab auch weniger Häuser, insgesamt. Die deutsche Schule (die auch Internats-Betrieb hatte), stand alleine auf einem Berg, heute ist sie dicht umbaut. Nachdem ich die Mädels nach Málaga zurückgebracht habe, habe ich mich auf die Suche gemacht. Es gab an der Küstenstraße (wo ich jeden morgen auf den Schulbus gewartet hab) ein markantes Gebäude, der Nachtclub „Madrigal“ in einer dreieckigen Form mit abgerundeter Spitze. Es war die rechte Straße hoch, gaanz weit (für einen Siebenjährigen). Die Straße wurde umbenannt, die Mauern um die Grundstücke sind höher geworden, aber vielleicht ist es das Haus dort? Die Dachform, die man über die Mauer erspäht, könnte passen… Nahe der Küstenstraße scheint man sich auf low-budget und low-quality englische Touristen spezialisiert zu haben. Die Bodegas heißen hier fast alle ‚Pub‘, und es gibt auffällig viele Strip-Clubs und Tabledance-Schuppen; Schilder werben für ‚No 1. for hen-parties and stag-nights‘. Ich glaube das war damals nicht so, aber falls doch – wahrscheinlich bin ich deshalb so ein harter Hund mit Street Credibility geworden. Dass zweite Haus (eigentlich in meiner Timeline das erste) gibt es nicht mehr. Ich finde die Straße, auch ein vom gleichen Architekten gebautes Haus direkt an der Straße, aber wir haben am Ende einer längeren Einfahrt etwas ab von der Straße gewohnt. Ich treffe ein paar Leute auf der Straße und quatsche sie an, alleine schon damit sie nicht beunruhigt sind von dem Fremden, der hier Fotos macht – ich bin kein Einbrecher. Sie schütteln alle den Kopf: „Vor vierzig Jahren hier? Krass.“ Aber ein paar der älteren Leute wohnen immerhin schon lange genug hier, um sich zu erinnern, dass es mal vier solche Häuser gab, aber einige wurden halt abgerissen und modern ersetzt. Auch dass ein paar Häuser weiter in die Richtung eine ‚crazy cat lady‘ wohnte, können sie noch bestätigen. Das war Jo, und sie hat jeden Tag die Katzen der Nachbarschaft mit Fisch gefüttert (ich denke, sie hatte ein Abkommen mit dem Fischmarkt zur Zweitverwertung der nicht mehr ganz frischen Reste), und mir mein erstes Haustier, einen Kater namens Bruno vermittelt. Sie ist vor drei Jahren gestorben, meint die freundliche Spanierin.
Überhaupt Spanisch: Als Kind konnte ich es gut, so gut wie halt ein neun-jähriger eine Sprache kann. Bestimmte Themengebiete waren einfach nicht notwendig. Ankerkette? Wanten? Vorstag? Besansegelfall? Keine Ahnung, wie das auf Spanisch heißt – viele Deutsche wissen ja auch heute nicht, was das auf Deutsch bedeutet. Der Rest meiner Spanischkenntnisse kommen langsam wieder. Ich kann zwar immer noch keine Verbformen, aber ein Teil des Vokabulars kommt wieder. Für geduldige Spanier reichts es zum Kommunizieren aus. Übermütig habe ich gestern beschlossen, mein Spanisch mit Lesen zu verbessern; ich habe mir das erste Harry Potter Buch in der Kinderedition gekauft. Musste auf den ersten Seiten ungefähr jeweils 15 Wörter nachschlagen, um’s zu kapieren. Dann nutzte ich die ‚Schau-ins-Buch‘ Funktion von Amazon.co.uk. So werde ich wohl durch’s erste Kapitel kommen. Danach – vielleicht das Buch in Englisch als Kindle-Edition?
An das Autofahren hier muss ich mich auch noch etwas gewöhnen – nicht das die Spanier wild fahren würden. Aber wie halt Straßen gebaut und beschildert sind, ist etwas verwirrend. Linksabbiegen ist häufig rechts rausfahren, auf die Querstraße links abbiegen, und dann mit Ampel quer über die Hauptstraße. Fährt man etwas nach Gefühl, muss man sich von Málaga nach Marbella links halten, um an der Küste zu bleiben. Blöd nur, dass kurz vor Marbella das links halten gelöst ist mit rechts rausfahren, und dann unter der Straße wieder nach links. Die Küstenstraße ist für den meisten Teil eine ‚autobahnähnlich ausgebaute Bundesstraße‘. Es gibt meist Ausfahrten, dann ein kleiner Kreisverkehr, und (würde man gerade durch den Kreisverkehr fahren) wieder die Einfahrt auf die große Straße. Der Kreisverkehr ist beschildert, noch gut von der großen Straße zu sehen. Bis man sich dran gewohnt hat, bekommt man immer einen Schreck: Man ist auf der Straße nach Málaga, hat die Ausfahrt nicht genommen, und sieht dann fast aus dem Augenwinkel das Hinweisschild ‚zweite Ausfahrt im Kreisverkehr nach Málaga‘. Scheiße, denkste Dir, da hätte ich rausmüssen, bis Dir auffällt, dass diese Option einfach wieder auf Deine Straße führt, alles gut. Allgemein ist die Platzierung der Schilder etwas anders, also der Abstand zu der gemeinten Straße. Bin schon oft eine Straße zu früh abgebogen, weil das Schild für die nächste Kreuzung so nah an dieser nahen stand. Aber egal – so bekommt man kostenlos eine kleine Stadtrundfahrt in Viertel, die man sonst nicht gesehen hätte.
Gab es in den Siebzigern schon Tapas? Ich glaube nicht. Aber ich hatte als Kind auch Phasen, wo ich beim Essen nicht gerade abenteuerlustig war (Eine gewisse Zeit habe ich immer ein einfaches Omelett bestellt, irgendwann dann ein Chuleta de Cerdo {Schweineschnitzel} egal ob’s auf der Karte stand oder nicht), deshalb wollte ich sie vielleicht einfach nicht probieren. An ein paar Spezialitäten erinnere ich mich dennoch: Gambas al Pil Pil (Krabben in heißem Öl mit Chili und Knoblauch), Chanquetes (streichholzgroße frittierte Minifische), Coquinas (eine kleine Muschelart). Wenn ich die auf einer Karte sehe – ein walk down memory lane.
Chanquetes