Islas Cies und Isla Ons

Mit lauten Schreinen und aggressiven Sturzflugmanövern verteidigt die Möwe ihre Jungen. Die sitzen kurz hinter der Mauer am Aussichtspunkt des Leuchtturmes – einen dämlicheren Platz hat sich die Möwe wohl nicht aussuchen kann, wenn sie keine Menschen mag. Andererseits hat sie hier ein wenig das Hausrecht. Der Parque Nacional „Illas Atlánticas de Galicia“ soll ja ein geschützter Ort für die Vogelbrut sein. Etwas später setzt sich ein Pärchen auf die Mauer, die dort ihre Sandwiches essen. Der Fokus der Möwe verändert sich etwas; vielleicht gibt’s da ja was abzugreifen? Es gibt.

Drei der vier Rías Baixas haben vorgelagerte Inseln bzw. Inselgruppen. Sehr nützlich, da es natürliche Wellenbrecher sind, die das Meer in den Rías ruhiger werden lassen. Etwas abgelegen, deshalb eher wenig bewohnt; und hübsch. Dann haben wahrscheinlich noch ein paar Kaulquappennummerierer ein paar seltene Vogelarten gefunden, die hier brüten, und so wurde ein Nationalpark geschaffen, der auch dem lokalen Tourismus neue Impulse gab. Vom Status gleichwertig wie Cabrera neben Mallorca (Macht das Licht aus, wenn Ihr geht), aber nach unseren Meinung nicht gaaaanz so schön. Dafür ist das Anmelde-prozedere etwas komplizierter. Erst einmal muss man ein Navigations-Permit beantragen, theoretisch mit Formular zum ausfüllen, unterschreiben, einscannen, und dann per email schicken. Frank bastelt das mit der Unterschrift virtuell, und am nächsten Tag bekommen wir das Parkvisa. Damit kann man dann für einzelne Nächte eine Ankererlaubnis beantragen, die dann online genehmigt wird. Allerdings muss man sie als Papier mitführen, falls eine Kontrolle kommt. Wegen Corona und der befürchteten Papierschlacht haben wir sogar einen Drucker an Bord. Fluchend reinigt Frank die verstopften Tintendüsen, und nach einer knappen Stunde haben wir ein lesbares Dokument ausgedruckt. Vor der Isla de Cies bleiben wir zwei Nächte. Am ersten Tag ist das Wetter nur mittelprächtig; ein fauler Tag. Aber am zweiten Tag – ein Sonntag – ist das Wetter toll. Wir rudern an Land, bekommen im Café an der Anlegemole (für die Ausflugsfähren) einen Kaffee (Warnung vor den Möwen: „Management accepts no responsibility for stolen food“), und machen uns dann getrennt auf den Weg. Wir sind gegen 10 Uhr an Land gegangen, deshalb ist der Weg zum Leuchtturm noch halbwegs einsam. Betonung auf halbwegs. Auch der Playa de Rodas (nach einer Umfrage von „The Guardian“ der schönste Strand der Welt) war noch nicht überlaufen. Aber oben am Leuchtturm genieße ich die Aussicht, unter anderem auf die großen Ausflugsdampfer, die mittlerweile in der Bucht anlegen. Auf dem Rückweg zu Strand und Bier bin ich geneigt, selbst im Freien mein Maskerl anzulegen. Bevor wir zurück zum Schiff rudern, springe ich nochmal kurz ins Wasser – vom Strand aus geht es, und dann – schon etwas daran gewöhnt – auch noch einmal kurz vom Schiff aus. Aber der Atlantik hat hier ungefähr 14°C – kein morgendliches Baden jeden Tag wie auf den Balearen.

Die Isla Ons besuchen wir am Donnerstag der nächsten Woche. Hier ist der Ankerplatz etwas schwieriger (Hat der Anker jetzt im Sand wirklich Halt gefunden, oder hängt er mit der Spitze eher zufällig an einem Stein fest?), deshalb besuchen wir die Insel einzeln, und einer bleibt immer als Ankerwache am Schiff. Die Isla Ons ist eher aus Sicht der Vegetation interessant – Eukalyptus- und Farnwälder, auf der anderen Seite Nadelbäume. Ons hat einen kleinen Ort, genug für einen Snack und ein Bier. Eine kleine Anekdote zu dem Bild von dem Schild des Nationalparks: Ich mache das Bild, so weit so gut. Dann kommen zwei Männer von der Guardia Civil auf mich zu, die im Schatten neben dem Schild standen. Einer redet zu schnell auf mich ein, zeigt auf mein Foto, gestikuliert mit seinem Mobiltelefon. Ich verstehe – er will, dass ich ein Foto von seinem Kollegen und ihm mache, und offensichtlich kenne ich mich mit Fotografieren aus. Nein, dass war’s doch nicht. Langsam verstehe ich wirklich: Es ist wohl verboten, Polizisten zu fotografieren. Ich will’s ihm zeigen. Offensichtlich bin ich harmlos genug, er besteht nicht darauf, dass ich es lösche, aber ich insistiere: „Guck her, Ihr seid gar nicht drauf“ (300mm Zoom Objektiv). „Oh – buena camera“, meint er und zieht lachend von dannen.

Rías Baixas

Oh Leute von Baiona, lasst Euch von unseren Abenteuern erzählen! So muss sich Kapitän Pinzón von der Pinta gefühlt haben, als er am 28. Februar 1493 in Baiona einlief. Er kam tatsächlich vier Tage vor Kolumbus (der in Lisboa) an, und somit waren die Leute von Baiona die ersten, die von „Amerika“ erfuhren. Unsere Ankunft in Baiona wird mit weniger Aufmerksamkeit und mehr Routine begangen, keiner fragt uns nach neuen Entdeckungen. Stattdessen werden wir nach Schiffspapieren und Ausweisen gefragt, und die Marinagebühr kassiert. Dafür müssen wir uns auch nicht lange feiern lassen, sondern können gleich durch die Altstadt zu einer geeigneten Kneipe gehen. Wir sind wieder in Spanien! Ich kann die Sprache wieder – also so etwas; in Galizien wird auch Galego gesprochen, eine Mischung aus Portugiesisch und Spanisch. Galizien ist die Region nördlich von Portugal, und die untere Hälfte hat an der Atlantikküste vier große Rías, die Rías Baixas. Eine Mischung aus Flussmündung und Fjord, jedenfalls tiefe Einschnitte ins Land mit viel Ankermöglichkeiten. Der Revierführer preist die als eines der besten Segelreviere an der Westküste der iberischen Halbinsel an, und ich würde ihm zustimmen. Wir machen in knuffigen Orten fest, die jeweils ihren unspektakulären Charme haben. Es hat Ankerbuchten, schöne Strände, Nationalparks auf vorgelagerten Inseln, viele Restaurants und Kneipen, Muscheln und andere Spezialitäten. Ich muss zugeben, ich kann jetzt für keinen einzelnen Ort oder Sehenswürdigkeit ein flammendes Plädoyer halten, aber um mal die Seele baumeln zu lassen…

In Baiona ist die markanteste Sehenswürdigkeit ein Nachbau der Pinta. Das Schiff war gar nicht so groß – größer als die Seestern, aber ein Ausflugsdampfer auf dem Tegernsee ist ein größeres Kaliber. Der Eintritt für die Pinta kostet 2€ (3€ mit einem kleinen Museum in der Stadt), und ist somit angemessen. Wie gesagt, wer extra deswegen aus Deutschland angeflogen käme, der wäre enttäuscht, aber auf dem Rückweg vom Mittagessen eine kurzweilige halbe Stunde. Am nächsten Tag fahren wir in den Cies Archipel, ein Nationalpark vor der Ría de Vigo – ein kurzer Schlag von Baiona aus. Die Isla Cies – wo wir zwei Nächte bleiben – bekommt einen eigenen Artikel, der eher fotolastig wird.

Danach fahren wir weiter – wir wollen nach Pontevedra. Die Stadt hat im (Land-)Reiseführer einer der beiden Sterne von Galizien, und hat eine eigene Ría. Schnell stellen wir allerdings fest, dass die Stadt selber verlandet ist, und die näheren Häfen sind auch nicht so attraktiv. Am Ende fahren wir nach Portonovo, in eine preiswerte Marina. Noch preiswerter wird die Marina, indem wir in der Bucht daneben ankern, und erst am nächsten Tag in die Marina fahren. Hier wird wirklich für die Nacht gezahlt, und so können wir kurz nach dem Anlegen um neuen frisch duschen und unseren Tag gestalten. Unser Plan, dort einen Mietwagen zu nehmen und nach Pontevedra und Santiago de Compostela zu fahren, geht mangels Mietwagenangebote nicht auf. Wir disponieren um, und fahren mit dem Bus. Wir haben uns extra erkundigt, wann der letzte Bus zurück geht, aber das wird dann irrelevant. Pontevedra ist zwar nicht hässlich, aber eigentlich sind wir nach zwei Stunden und drei Sehenswürdigkeiten durch. Wir fahren dann noch in den benachbarten Ort Combarro, der für seine Kornspeicher berühmt ist, trinken auch dort noch ein Bier, und erwischen dann den Bus – wir haben Glück, wir bekommen die letzten zwei Plätze, ganz hinten in der Mitte einer Horde Schulkinder in der Pubertät. Es läuft schlechte Musik, und wir sorgen uns um Maskenpflicht und Mindestabstände.

Vor der nächsten Ría liegt wieder eine Nationalpark-Insel. Sie heißt Ons, und erfordert auch wieder eine Anmeldung, eine Genehmigung zur Einfahrt, und eine separate Ankergenehmigung. Auch das absolvieren wir brav, und auch dazu gibt es einen separaten Eintrag.

Vor der nächsten Ortschaft probieren wir wieder eine Ankermöglichkeit, diesmal in der Ría Arousa. Diese Ría ist weltweit bekannt für ihre Muscheln – die sogar eine anerkannte Herkunftsbezeichnung haben, und diese Muscheln werden auf großen Farm-flößen, Viveros genannt, gezüchtet. Anfangs halten wir uns noch von den Farmen fern, aber nachdem wir ungefähr zehn Motorboote kreuz und quer durch die Flöße haben fahren sehen, biegen wir auch ein, und segeln auf direktem Weg zum Ankerplatz. Auch etwas spannend, wenn man nicht nur nach Wind und Kurs fährt, sondern tatsächlich Hindernis-Slalom. Am nächsten Morgen geht es weiter nach Muros. Das Wetter brüllt nicht gerade „Sommerurlaub“, als wir Muros in Sicht bekommen, denke ich mir, dass wir auch in Irland sein könnten. Alles schön grün, und graue Steinhäuser. Wir haben uns mittlerweile im Internet über Muscheln schlau gemacht – die Region, isb. Ría Arousa, hat sogar eine geschützte Herkunftsbezeichnung für ihre Muscheln. Die Muscheln sind auch erstaunliche Tierchen – sie können einen Polymer-Kleber herstellen, mit dem sie sich an diversen Objekten anheften können, und sind deshalb auch für die Wissenschaft interessant. Das Tolle ist wohl, dass sich biologisches an anorganische Materialien kleben kann. Ich dachte nicht, dass das so besonders ist. Sekundenkleber kann doch auch Finger zusammenkleben? Als wir am Abend Hunger bekommen, interessieren uns allerdings andere Facetten der Schalentiere. Also finden wir in Muros ein entsprechendes Restaurant, und probieren uns durch ein paar verschiedene Arten durch. Muros wurde uns von Louise und Patrick wärmstens empfohlen, und wir nutzen die Stadt, um am nächsten Morgen nach Santiago de Compostela zu fahren – auch das soll ein separater Beitrag werden. Am Sonntag, den 4. Juli, verlassen wir Muros. Der Spaß hört auf, ab jetzt nennt sich das Segelrevier ‚Die Todesküste‘.

Leixões

Trip-Advisor schlägt vor, in Leixões eine Stunde zu bleiben. Wir sind letztlich über eine Woche dort geblieben. Nicht, weil Leixões so viel zu bieten hat, aber wir haben auch noch ein paar Sachen am Schiff zu erledigen, Porto ist letzten Endes nicht weit (die Busfahrt dorthin und zurück kostet weniger als die Mehrkosten der Marina von Porto selber). Die Marina Douro in Porto selber ist wegen Tiden schwieriger zu erreichen, und auch nicht wirklich zentral. Die letzten vier Tage halten uns auch die Wellen im Hafen – mehr dazu später.  

Wir fahren in die Marina am Morgen ein, nachdem wir die Nacht vor Anker verbracht haben. Das Boot neben uns ist die Zara, belgisch beflaggt. An Bord ist Patrick und seine englische Frau Louise. Die beiden sind mit erheblich strafferem Zeitplan unterwegs, und überführen ihr Schiff von Sardinien nach Belgien. Wir laden sie am ersten Abend auf ein kleinen Schluck Wein bei uns ein, der letzten Endes etwas größer wird. Wir sehen die beiden immer wieder, sie sind es auch, die uns den Tipp mit dem Markt geben – mit lebend Vieh. Insgesamt sind die Tage, die wir in und vor Porto verbringen, nicht mit dem besten Wetter gesegnet. So verbringen wir neben zwei Kultur-Tagen im Dourotal und in Porto selber auch ein paar recht faule Tage. Wer mich kennt, weiß wie sehr mich solche Untätigkeit stört, aber ich trage es mit Fassung, bleibe lange im Bett, lese viel.

Eigentlich hatten wir ja auch noch viel größere Pläne: Albert hat sich angekündigt. Wir kannten uns aus Osram-Zeiten, und Albert verfolgt meinen Blog. Dabei kamen wir ins Gespräch, und er gab zu erkennen, dass er gerne mal segeln würde. Gesagt, getan. Albert landet am Samstag in Porto, trotz Ryanair-Flug. Er will bis Vigo mitsegeln, also nach Spanien. Am Telefon hatten wir besprochen, dass er hofft, drei Tage mitzusegeln. Das würde nach Vigo problemlos reichen, und vielleicht noch zu etwas mehr. Dass es nur drei Tage ins Spiel bringt, hatten wir so verstanden: Wer weiß, ob ihm Segeln Spaß macht, oder wir uns überhaupt verstehen. Also planen wir sofort nach seiner Ankunft. Zuerst die schlechten Nachrichten von uns: Das Wetter, besonders die Wellen, sehen nicht so aus dass wir am Montag loskämen. Einem Anfänger gleich mal auf drei Meter große Atlantikwellen und Gegenwind loszulassen ist nicht fair, und Spaß macht es uns auch nicht. Wann hätte er denn sein Rückflug gebucht? Ach, noch gar nicht? Wann muss er denn wieder zurück sein? Donnerstag abend, spätestens. Wie bitte? Wir hatten mit einer Woche gerechnet. Hmmm. Das wird jetzt nicht einfach, denn wir zweifeln auch daran, dass eine Weiterfahrt am Dienstag sinnvoll ist, und dann müsste er sich noch in Vigo um einen PCR-Test für den Rückflug kümmern. Vielleicht macht es mehr Sinn, in Leixões zu bleiben, und das Segelerlebnis mit einfachen Ausfahrten zu gestalten? Keine tollen Aussichten für Albert, aber immerhin. Wir beschließen, erstmal am Sonntag nach Porto selber zu fahren. Frank und ich sind ja Blitzbesichtigungen von Städten schon gewohnt. Dieser Ausflug, und die Bilder davon, im Beitrag vor diesem.

Am Montag macht sich Albert auf, in Porto einen PCR-Test und einen Rückflug zu organisieren. Dabei offenbaren sich ein paar Probleme, das größte davon, dass Ryanair am Donnerstag nicht nach München West (Memmingen) fliegt. Nach langem Überlegen bucht Albert geknickt einen Flug für Dienstag früh, und der geht morgens um sechs und über London. Optimal ist anders. Also besteht Alberts Segelerfahrung aus einer sehr ausführlichen technischen Einweisung in die Seestern: „Also, wenn wir jetzt segeln würden, dann ziehen wir an dieser Leine, und das Vorsegel rollt sich aus“, und „Das ist unser GPS-Navigationsgerät – guck mal: da sieht man die AIS Signale der anderen Schiffe“.

Es kommt noch schlimmer: Opodo als Portal bestätigt den gesamten Flug Porto-London-Memmingen, Ryanair tut das nicht. Kurz vor Mitternacht (also sieben Stunden vor Abflug) kommt dann ein Mail, dass Ryanair ihn nicht mit nach London nehmen wird. Ein Anruf bei der Opodo Hotline führt wie üblich an einen Computer „Geben Sie Ihre 75-stellige Buchungsnummer ein“, und Opodo behauptet: „Your reservation is confirmed“. Am nächsten Morgen um vier setzen wir Albert in ein Taxi und wünschen ihm viel Glück. Er wird nicht über London fliegen. Aber immerhin ergattert er einen Ryanair-Flug am Abend um 18:00, nonstop nach Memmingen. Warum ihm der nicht gleich angeboten wurde? Heaven knows. Immerhin ist Albert ein positiver Mensch. Er beteuert mehrmals, dass es ihm trotzdem Spaß gemacht hat, und es ok ist, so wie’s war. Nun ja, ein paar Tage den Kopf ganz woanders, und das bei wahrscheinlichem Urlaubsentzug.

Es wird bis Donnerstagmorgen dauern, bis wir Leixões verlassen. Am Ende ist die Marina voll; lauter Segler, die weiter nach Norden wollen. Man tauscht sich aus, keiner will bei den Wellen gegenan raus. Dass mir die Tage dennoch nicht als Katastrophe in Erinnerung bleiben, hat mehrere Gründe. Ein paar Elemente:

Auch wenn Leixões nicht aufregend ist, der Markt war wirklich witzig. Frischer Fisch (wir haben den Thunfisch probiert), Unmengen Gemüse, und extrem frische Kaninchen und Hühner. So frisch, dass sie einen aus dem Käfig noch treuherzig ansehen. Wie verzichten auf das Angebot der Verkäuferin, eines für uns zu schlachten.

Das Restaurant A Margarida. Gegenüber der Marina ist eine Gasse mit Restaurants Wand an Wand. Alle haben Tische auf der Straße, die meisten einen Holzkohlegrill. Es duftet nach Röstaromen, Fisch und Fleisch. Auf gut Glück suche ich eines aus, um ein Bier zu trinken. Das Bier kam in einer Minute, die Rechnung dauerte eine Viertelstunde. Gut, besser als anders herum, aber überzeugt bin ich dennoch nicht. Derweil hat Frank auf Google in der gleichen Gasse eine Empfehlung aufgetan, eben das „A Margarida“. Wir beschließen endlich die berühmten sardinhas grelhadas – gegrillte Sardinen – zu probieren. Ich persönlich Teile Fische in vier Gruppen ein, je nach Verspeisungsaufwand:

4 – Steak: wie Thunfisch, eben wie ein Steak zu grillen, kein Thema mit Gräten
3 – echter Fisch: wie Forelle, es  liegt etwas auf den Teller, welches wie ein Fisch aussieht, man muss sich mit der Fisch-Anatomie und Gräten auseinandersetzen.
1 – Winzlinge: wie Chanquetes oder Anchovies, einfach essen und kauen.

Sardinen gehören in Gruppe 2. Zu groß, um sie einfach zu kauen, aber auch zu klein, um sie sorgfältig zu zerlegen. Zur Sicherheit fragen wir den Kellner. Er empfiehlt, sie einfach mit den Fingern zu essen, „Entschuldigung, darf ich? „; greift sich eine der Sardinen, rupft das Filet mit den Fingern frei, und legt sie auf Franks Teller.

Diese pragmatische Art wird uns in dem Lokal mehrmals begegnen. Vorspeisen werden nicht bestellt, sie kommen einfach. Wird euch schon schmecken. Kotelett mit Reis bestellt? Egal. Scheibenpommes waren gerade da, und passen eh viel besser. Und das Gemüse mit Knoblauch? Passt auch super dazu. Zwei Gläser Wein zum Essen? Hier ist die Flasche, wir schaun mal. Differenzierte Bestellung mittags, mit Bier und Wein? Die Rechnung weist „ein Stück Mittagessen, 20€“ aus. Ich mag solche Läden. Bei Mama wurde auch nicht a la Carte bestellt. Außerdem machen sie eine leckere Nachspeise: wie Creme Brulée, aber auf einem größeren, flacheren Teller – mehr karamellisierter Zucker. So futtere ich mich glücklich durch Leixões.

Außerdem sehen wir in dem Ort die beiden letzten Gruppenspiele Deutschlands in der EM. Beim Sieg gegen Portugal bin ich mal gebremst jubelnd unterwegs (außerdem ist der Bildschirm klein und nur durch’s Fenster zu sehen – ich bekomme die Tore nicht wirklich mit, bis sich der Spielstand ändert und die Wiederholung zu sehen ist). Beim letzten Spiel – Unentschieden gegen Ungarn – braucht es länger, bis ich kapiere warum Deutschland Gruppenzweiter ist, und besonders warum die Gruppendritten Portugiesen nicht total unglücklich sind. Moderne Kommunikationsmedien erklären es mir.

Am Ende verbringen wir einige Zeit mit Louise und Patrick, die auch ein guter Gradmesser bezüglich der Sinnigkeit den Hafen zu verlassen sind. Patrick versteht wohl Englisch, spricht aber lieber Französisch, und unterstreicht seine Aussagen mit viel Mimik. „Ihr wollt da raus? Oh la la“, und wackelt dabei demonstrativ mit den Händen. Viel zu viel Welle, das macht keinen Spaß. Am Donnerstagmorgen gibt es dann einen echten Exodus aus dem Hafen. Wir stehen früh auf, verlassen um sechs den Hafen, und kurz nach uns sehen wir auf AIS eine komplette Flotille an Segelyachten den Hafen nach Norden verlassen, mit dabei die Zara von unseren beiden Belgiern. Hier an der portugiesieschen Westküste ist guter Wind auch manchmal einfach ‚kein Wind‘, also keine großer Widerstand während wir nach Norden dieseln. Wir hatten an einem der Abende zuvor vereinbart, dass wir – wenn möglich – mal Fotos unserer Schiffe unter Fahrt machen, und die dann austauschen. Kurz vor der Ría de Vigo, wo wir die Ortschaft Baiona ansteuern, holt die Zara bei unseren kläglichen Segelversuchen auf, und wir erhalten ein paar Fotos der Seestern, mit gesetzten Segeln. Wir wünschen den beiden – die ein paar Tage später den Sprung über die Biskaya wagen – viel Glück, und werden in Kontakt bleiben. Am Ende des Tages sind wir jedenfalls in Spanien, ein paar Tage später wird Portugal wieder zum Virus-Varianten-Risikogebiet erklärt.

Portwein in Porto

Nach unserer Rückkehr aus dem Dourotal waren wir ja noch ein wenig in Porto selber. Dabei haben wir Reiseführer gelesen, und festgestellt, dass Porto zwar eine knuffige, schöne Stadt ist, aber es jetzt nicht so viele absolute Sehenswürdigkeiten vom Typ, „been there, done that“ gibt. Also fahren wir am Sonntag mit Albert in die Stadt, besuchen das wichtigste, und sitzen danach noch entspannt am Fluss, Bier und Wein trinkend, bevor unser abendliches Portwein-Tasting mit Fado-Konzert ansteht. Insgesamt ein eher Foto-lastiger Tag.

Ein wirkliches Highlight ist der Palácio da Bolsa, erbaut auf dem Höhepunkt der erfolgreichen Handelstätigkeit der Stadt, und protzige Darstellung des wirtschaftlichen Erfolges. Auch hier wurde geschnitzt, was das Zeug hält.

Am Nachmittag gehen wir an den Douro, und danach über die Ponte de Dom Luís I an das südliche Ufer – die Vila Nova de Gaia. Abends sind wir in den Weinkellern von Cálem, wo es erst eine Tour durch die Keller gibt – mit der dritten Erklärung, wie Portwein hergestellt wird. Danach ein Fado-Konzert, welches sich besonders bei den portugiesischen Gästen großer Beliebtheit erfreut – es wir kräftig mitgesungen. Danach noch ein kleines Gläschen normaler Wein, und zurück zum Schiff.

Vitória

Vitória ist für mich der Höhepunkt des Ausfluges in die Weinbaugebiete des Douro. Anmutig, wunderschöne grün-graue Augen, weiches braunes Haar. Vitória ist die Rezeptionistin des Casa dos Barros / Vintage Theory Weingutes in Sabrosa. Sie begrüßt uns alle freundlich, aber ich bin mir sicher – mich mag sie besonders. Sie ist freundlich aber auch fordernd, nahbar und anschmiegsam. Nicht sehr groß, aber das macht sie auf patente Art wett. Sie springt mit einem Satz auf das Weinfass neben mich und kuschelt schnurrend weiter. Vitória ist die Sommeliatze des Weingutes, und begleitet die offiziellen Tour.

Wir haben von Porto aus einen Tagesausflug gebucht: Minibus ins Douro-Tal, Weintasting, Bootfahrt, und nicht selber zurückfahren müssen. Wir sind zu fünft im Auto, und Silvia, die fahrende Führerin. Ein holländisches Mutter-Tochter Gespann, deren Namen ich mir mit Antje und Femke gemerkt habe. Antje kann nicht so gut Englisch, Femke übersetzt. Femke ist ein beeindruckender Anblick – muskelbepackt und sieht insgesamt hart aus. Ich möchte ihr nicht in einer dunklen Gasse begegnen. Außerdem dabei: Giulia aus Italien. Giulia ist sehr kommunikativ, und erkennt schnell Muster. Bei den meisten Erklärungen von Silvia zieht sie sofort eine Parallele zu Ihrer Heimat (Modena, die Heimat von Ferrari) und teilt sie erfreut der Gruppe mit. Ja – solche Hügel gibt es in ihrer Heimat auch, nur etwas anders. So entwickelt sich ein interessanter Dialog vorne im Minibus, Frank und ich rollen nur noch mit den Augen. Kurz hinter Porto erklärt Silvia, dass hier sehr viel Eukalyptus wächst, da dieser recht schnell wächst, und vor einem Jahrhundert schleunigster Aufforstungsbedarf vorlag. Der Eukalyptus wurde aus Australien eingeführt, aber – und hier nimmt Silvia meine Frage vorweg – es gibt trotzdem keine Koala-Bären.

Um die Weintour auf neun Stunden aufzublasen gibt’s am Vormittag noch einen Stop in Almarante. Die Stadt wäre bei Sonnenschein bestimmt recht malerisch, aber es regnet. So mümmel ich mich unter meine Kapuze, und wir nutzen die ‚Stunde zur freien Verfügung‘ für ein Kaffee und ein Test der dort berühmten Süßwaren. Silvia erzählt, dass die Nonnen in früheren Zeiten eine Kuppelproduktion betrieben: Sie wuschen Wäsche, die sie dann mit Eiweiß stärkten, und aus dem Eigelb fabrizierten sie durch die Zugabe von Zucker und wenig sonst Süßwaren. Offensichtlich gibt es davon fünf Modelle, wir bestellen sie alle und ein Messer. Puh, Zeit für ein Leberwurstbrot. Aber die Nonnengeschichte ist nicht die wichtigste zu Almarante. Laut Silvia wurde die Stadt von einem São Gonçalo gegründet, der in Portugal ein Heiliger ist. Er brachte das Christentum in die Stadt, verheiratete die in wilder Ehe lebenden Paare und kümmerte sich um deren Seelenheil. Allerdings, so die Legende, kümmerte er sich auch intensiv um unverheiratete Damen, und deshalb ist er NUR in Portugal ein Heiliger. Wegen diesem Teil der Geschichte wird ein Gedenk-Kuchen angeboten, dessen Form nicht gerade subtil auf die Manneskraft des Heiligen hinweist.

Das erste Weingut ist in Sabrosa, und dort begegne ich Vitória. In Sabrosa steht das Geburtshaus von Fernão de Magalhães, uns als Magellan bekannt, der als erster die Welt umrundete. Frisch aus Sevilla gebildet, frage ich, ob das nicht eigentlich Juan Sebastián Elcano wäre, da Magellan sich von irgendwelchen Eingeborenen umbringen hat lassen? Ja meint Silvia, aber die Expedition geführt hätte immerhin Fernão, und Elcanos Geburtshaus könnte sie halt hier nicht bieten.

Wir hatten eigentlich gehofft, dass die Weintour sich auch mit ’normalem‘ Wein beschäftigt, aber in und um Porto dreht sich alles um Portwein. Vintage Theory bietet neben etwas Käse (der für Vitória interessanter ist) drei Portweine, zehn, zwanzig und dreißig Jahre alt. Er erklärt das Verfahren, und damit ihr merkt, dass ich aufgepasst habe, gebe ich es hier schnell wieder. Die Trauben werden normal angebaut, allerdings Sorten, von denen ich noch nie gehört habe (das gilt aber auch für den normalen Wein). In mühsamer Handarbeit werden sie geerntet – das Douro Tal besteht hauptsächlich aus Steillagen – und danach noch einmal besonders ausgelesen. In großen Granitbecken – Lagar genannt – werden sie dann von Fuß zertreten, mit einer kleinen Pause dazwischen zweimal. Beim zweiten Mal haben die menschlichen Weinpressen wohl schon bessere Laune (vielleicht eine Brotzeit mit Wein bekommen), die ernste Arbeit wird dann von Musik und Tanz im Lagar begleitet. Der Wein vergärt spontan, mit den Hefen die sich auf den Trauben finden. Ich habe noch eine weitere Theorie, woher biologische Gärbeschleuniger kommen könnten, aber die teile ich jetzt mal nicht mit Euch. Der Wein darf zu einem Teil vergären, aber bevor der ganze Zucker abgebaut wird, wird er mit einem Fünftel Weingeist mit 77% versetzt, welcher den Hefen den Garaus macht. Der Portwein hat dann 20% Alkohol, und wird je nach Qualität unterschiedlich gelagert. Am Ende hat man dann einen süßen Desertwein, der aber tatsächlich recht lecker ist, wenn man sich auf ihn einlässt.

In dem Weingut bekommen wir auch Mittagessen, und dazu je einen weißen und roten ’normalen‘ Wein. Danach geht die Fahrt weiter durch eine kurvige Straße nach Pinhão direkt am Douro. Der Regen hat sich mittlerweile verzogen, die Sonne scheint. In dem kleinen Ort besteigen wir ein umgebautes Boot, mit dem früher der Portwein nach Porto zum Versand gebracht wurde. Der Etappenreiseführer bietet uns verbotenerweise (Corona-Regel, eigentlich) etwas Portwein im Pappbecher an, der aus einer eher inoffiziellen Flasche kommt. Wir sitzen in der Sonne im Bug des Bootes, und wir erfahren warum Femke so gebaut ist, wie sie ist. Sie war beim Militär, und dort Sportausbilderin. Nun wohnt sie mit Ihrem Mann in England, und stellt Lieferungen vom Supermarkt zu. Sie hat ihre Mutter seit über einem Jahr nicht gesehen, deshalb sind ihr jetzt die 10 Tage Quarantäne in England wurscht. Giulia erzählt, dass sie Projektmanagerin sei, und von überall auf der Welt arbeiten könne. Scheinbar aber nicht besonders erfolgreich, sie wohnt in Porto im Hostel. Nach einer Stunde an Bord ist die Fahrt fertig, und Silvia bringt uns zum zweiten Portweingut, der Firma Croft. Wieder die gleiche Erklärung, aber etwas andere Weine. Auf dem Rückweg nach Porto wird es dann still im Minibus, die letzte Stunde haben wohl alle geschlafen.

Zurück in Porto um 18:00 ziehen Frank und ich noch los, um ein herbes Bier nach dem süßen Wein zu zischen. Zum Essen treffen wir zufällig Antje und Femke, und unterhalten uns noch ein wenig. Danach versuchen wir, noch ein konventionelles Wein-Tasting zu organisieren. Unser eigentlicher Gedanke war ja, verschiedene Weine zu probieren, und von besonders guten Angeboten ein paar Flaschen an Bord zu nehmen, um nicht ständig Wein nach Etikett zu kaufen. Ganz geht der Plan nicht auf – aber Wein trinken wir trotzdem. Dann wieder mit dem öffentlichen Bus nach Leixões zurück.

Fog – Nebel des Grauens

Bleiern liegt der Nebel auf dem Wasser. Es hat keinen Wind, eine gemächliche Atlantikdünung hebt uns langsam an und lässt uns dann wieder sanft hinab. Irgendwo da vorne muss das Geisterschiff sein. Angestrengt starre ich nach vorne. Der Übergang vom grauem Wasser zur grauen Luft verschwimmt. Ich könnte nicht einmal sagen, wie weit man sehen kann; es fehlen die an Land üblichen Marken (wie 50m auseinander liegende Pfosten neben der Straße). Eigentlich sagt mir mein Gefühl, dass man schon eine Seemeile weit sieht, aber die Nicht-Sichtbarkeit des Geisterschiffs belehrt mich eines anderen. Unser Radar – den wir damit das erste Mal ‚im Ernst‘ brauchen – sagt einen Kontakt ungefähr eine halbe Seemeile voraus an. Gespannt schaue ich in den Nebel, ungefähr in dem Winkel weg vom Bug, der auf dem Radarschirm zu sehen wäre. Anfangs ist es eher die Vermutung, dass dort ein dunkles Objekt auftaucht, und dann beginnt man es zu sehen. Ein altes Holzschiff mit zerfledderten schwarzen Segeln, die von den Rahen des Dreimasters hängen. An Bord fratzenhafte, grimmige Gestalten in zerrissenen Uniformen, mit Messern zwischen den Zähnen und Säbeln in den Händen. Ach ne, falscher Film. Es ist ein weißes Fischerboot, eigentlich groß genug, dass es mit AIS ausrüstungspflichtig wäre. Ein Schuft, wer sich Böses (verbotenes Fischen?) dabei denkt.

Wir sind auf dem Weg von Lissabon nach Porto. Unglücklicherweise für Nikita ist an ihrem letzten Tag guter Segelwind für die Weiterfahrt nach Norden angesagt, den wollen wir nutzen, und sie muss sich ein Hotel suchen. „Subject to the requirements of the service“ wurde das in „Master and Commander“ genannt – Segeln geht vor. Wir haben die Marina früh verlassen, auf der Südseite des Tejo hängt Nebel. Leider ist der Wind nicht sooo toll wie vorhergesagt, dennoch schaffen wir es am Abend bis zu den Islas das Berlenga, vor Peniche. Nach einem gescheiterten Ankerversuch in einer engen Bucht schnappen wir uns mit dem Segen einiger Locals eine Ankerboje, direkt unter dem Forte de São João Baptista. Es ist mittlerweile schon fast dunkel, aber morgen früh, im Licht der aufgehenden Sonne gibt das bestimmt ein tolles Foto. Es war dann ein Satz mit X – schon beim Aufstehen um 6:00 herrscht dicker Nebel, und komplette Flaute. Ich mache den Radar an, werfe die Leine von der Boje los, und fahre unter Motor nach Norden. Dann kam das Geisterschiff.

Die Seestern tuckert weiter. Da die Sicht offensichtlich nur ca. 0,3 Meilen weit geht (gute 500m), bleibe ich am Steuer und beobachte das Nichts. Noch trauen wir dem Radar nicht vollständig. Plötzlich flattert es vor mir, und eine Taube landet auf unserer Sprayhood, Ringe an beiden Füßen. Eigentlich mag ich Tauben nicht (Zwischengedanke: Es soll ja Paare geben, die als Kosenamen ‚Täubchen‘ verwenden. Was meinen die damit eigentlich? ‚Du Flugratte‘?), aber wahrscheinlich ist der Vogel erschöpft (wir sind fast 18km von Land, außerdem kreist eine Möwe auffällig oft um das Schiff), da will ich mal mein Karma nicht noch weiter belasten als mit all den Insekten, die ich erschlage, und den anderen Tieren, die ich esse. Scheu ist Antoni (genannt: Toni, die Taube) nicht. Sie lässt sich fotografieren, rutscht dann unsere Windschutzscheibe hinab und läuft auf dem Deck hin und her. Sie entdeckt den geschützten Platz unter unserem Beiboot, trippelt aber danach am Cockpit vorbei und stellt sich zwischen die Fender, die an unserer Heckreling befestigt sind. Als ich mich von Frank ablösen lasse, sitzt sie dort noch immer. Wir recherchieren beide ein wenig. Die Ringe machen es hochwahrscheinlich, dass es sich um eine Brieftaube handelt. Diese können Tausende Kilometer weit fliegen, haben irgendwelche magnetischen Kristalle am Schnabel, mit denen sie sich orientieren. Dennoch – dass Antonia etwas apathisch dahockt und ständig blinselt, ist auf einer Seite, die Frank im Internet findet, ein Zeichen dafür, dass sie durstig ist. Frank bringt ihr ein Schälchen mit Wasser, und nach einigem Plätschern kapiert der Vogel auch, dass das was zum Trinken ist. Von dem Wasser scheint sie Durchfall zu bekommen, und kackt unser Deck voll. Danke, Antonia. Sie ist immer noch an Bord, als wir den Hafen von Figueria da Foz anlaufen, lässt sich durch nichts irritieren. Weder davon, dass Frank vor zwei Stunden Segel gesetzt hat, noch dass wir vorm Anlegen die Fender, zwischen denen sie sitzt, abbinden, um sie an die Seite des Schiffs zu hängen. Während des Anlegemanövers und dem Ankerschluck bleibt sie auch weiter an Bord. Wir versuchen ihr noch ein paar eingeweichte Reiskörner oder Brotkrumen schmackhaft zu machen, finden eine Hotline des deutschen Brieftauben-Zuchtverbandes um eine ‚verlorene‘ Brieftaube zu melden, haben schon den portugiesischen Verband gefunden, aber da geht niemand mehr ans Telefon. Kurz darauf erledigt sich das Thema – Antonia flattert davon und landet auf einem Dach in der Stadt.

Figueira da Foz ist keine aufregende Stadt, wir essen und trinken etwas, und machen uns am nächsten Morgen wieder auf – es hat weiterhin Flaute und Nebel, und wir tuckern weiter in Richtung Porto. Im Umfeld von Porto gibt es zwei Marinas – eine teure im Fluss Douro, die man nur bei Flut ansteuern sollte, und eine billige in Leixoes, dem Industriehafen. Wir wollen erstmal in Leixoes halten, da der optimale Zeitpunkt für die Flussmarina sowieso vorbei ist, und da es mittlerweile schon dunkel ist, ankern wir einfach im Hafenbecken neben der Marina bis zum nächsten Morgen. Welcome (close) to Porto.

Lisboa

Macht die Augen zu, und lest weiter. Hmmm, das ist jetzt vielleicht ein klitzekleiner Logikfehler. Ihr dürft also erst lesen, aber dann die Augen zu machen, und es sich vorstellen dabei. Ihr seid eben in eines der alten Fahrgeschäfte auf der Wiesn gestiegen, in die Wilde Maus. Ratternd führt die Kette von dem Einsteigeplatz auf die eigentliche Bahn, und dort greift – ohne viel Dämpfung – die Zugkette ein, die den Wagen an den höchsten Stelle der Bahn führt. Das ganze klackt und rattert, keine „Sanftanlauf-Vorrichtung“. Das Rattern der Zugkette geht weiter, aber gleichzeitig kommt jetzt noch ein anderes Gefühl dazu: unvermittelte, drastische Seitenbeschleunigungen, wo der Wilde-Maus-Wagen plötzlich die Richtung ändert. Gut, diese Geräusch- und Gefühlskulisse, die stellt Ihr Euch weiter vor…

Mit einem Rumms geht die Tür zu, nicht wie die gedämpften Küchenschubladen, die sich dann still den letzten Zentimeter zuziehen, sondern wie ein Holzdeckel, der auf eine hundert Jahre alte Truhe fällt. Der Bahnführer ruckt an seinem Fahrstufenschalter, in der Kiste darunter bekommen die alten Motoren die erste Runde Strom. Die Tram fährt ebenso ruckartig los, wie der Fahrstufenschalter die Position wechselt. Beim zweiten Mal ist man darauf vorbereitet, hangelt sich von Griff zu Griff und steuert auf den Sitz zu, der in der Mitte des Wagens noch frei ist. Das Fenster ist offen. Nicht offen, wie das gekippte Fenster in der Münchner U-Bahn, sondern einen halben Meter nach oben gezogen, mit freiem Blick nach außen. Schilder warnen davor, sich auf (sic) das Fenster zu lehnen, dennoch machen es die ganzen Passagiere, die in kurzen Hosen mit Sonnenbrand drunter in der Bahn sitzen. Handies im Video-Modus werden aus dem Fenster gehalten, aber Vorsicht: die alten Mauern und das eine oder andere Gerüst kommen bis zu zehn Zentimeter an die Wägen heran. Der Innenraum ist holzgetäfelt, in einer Goldschrift kann man erkennen, dass man in Wagen 566 sitzt, 20 Sitzplätze und 38 ‚zu Fuss‘. Die Tram wirft sich den Berg hinauf, in engen Radien quietscht es fürchterlich, und die Steigung ist ordentlich. Die meisten Radfahrer würden absteigen. Meist ist die Strecke zweigleisig ausgeführt, aber in manchen Teilen der Stadt sind die Gassen zu eng – da wartet man den Gegenverkehr ab, die Strecke wird eingleisig, und die Tram hat an beiden Seiten nur noch 40 cm, Passanten müssen sich in Hauseingänge flüchten. Wir fahren mit der Tram 28E den Berg hinauf durch den Stadtteil Alfama. Technisch sind die Dinger sicherlich völlig antiquiert, aber es ist klar: auch aus touristischer Sicht kann man sie nicht ersetzen. Wie oft wird die Trambahn hier wohl auf ihrer Fahrt fotografiert? Eine neue Pendolino Straßenbahn von Siemens Mobility würde vor Neid erblassen („aber ich, ich bin doch viel schöner, designter, stromlinienförmiger, komfortabler – warum bringt mir niemand die gleichen Zuneigung entgegen?“). Tja, aus dem gleichen Grund warum ich auf der Wiesn noch gerne Wilde Maus fahre, obwohl es den aufregenderen Siebenfach Looping gibt.

Die Fahrten in der Tram sind für mich DAS Highlight in Lissabon – auch wenn verwinkelte Gassen, imposante Kirchen, blaue Azulejo Fliesenbilder, tolle Aussichten und viele Bars, Cafés und andere Etablissements mit kühlen Getränken auf uns warten. Wir liegen in der Doca de Alcântara, die der Innenstadt am nächsten gelegenen Marina, und verbringen ein paar Tage in Lissabon. An unserem ersten ganzen Tag sind wir kurz nach neun unterwegs, kaufen ein 24 Stunden Ticket und fahren mit Zug und Tram zum Largo de Craça. Wir steigen noch ein paar Meter zum Miradouro da Senhora do Monte, machen Panoramabilder, gehen dann zu Fuß noch weiter zu einem anderen Aussichtspunkt, und besuchen dann das Mosteiro de São Vicente de Fora. Hier ist jede Wand mit Azulejos verziert, und mit den vielen Kreuzgängen des ehemaligen Klosters sind das viele Wände. Am Ende der Tour noch schnell auf’s Kirchdach. Es ist mittlerweile Mittags, und die Sonne macht sich bemerkbar. Noch vom Kirchendach aus machen wir ein Café aus, wo wir kurz darauf noch Essen. Wir versuchen uns danach aufzuraffen, aber es ist einfach zu warm. So schlendern wir 50 Meter weiter in einen Park mit Aussicht, an einem Kiosk holen wir in langsamen Abständen kühle Getränke, und lassen so den heißen Teil des Nachmittags vergehen. Um unser 24h Ticket zu nutzen, fahren wir zwei Stationen mit der Tram zum nächsten Aussichtspunkt (wenn man das Warten mitrechnet, wäre zu Fuß doppelt so schnell gewesen), und sind dann beleidigt, als Google für den Weg zum nächsten Programmpunkt keine Straßenbahnfahrt ausspuckt, sondern uns einfach ein paar Treppen hoch zum Castelo de São Jorge schickt. Vor der Tür noch ein leichter Snack im Conqvistador, und dann die Tour der Festung, die mal der Kern von Lisboa war (von Mauren erbaut, im zwölften Jahrhundert in der Reconquista (die’s auch hier gab) von den Christen wieder eingenommen). Alte Steine, und – wer hätte es gedacht – einen tollen Blick auf die Stadt. Wir fahren noch sinnlos ein paar Stationen bergauf mit der Tram, um dann stetig bergabgehend ein Restaurant zu finden. Gut, kein Power-Kultur-Trip, aber entspannend war’s schon.

Die nächsten beiden Tage machen wir eher ‚zur freien Verfügung‘. An einem fahren Frank und Nikita nach Setubal, um Delphine zu sehen, ich treibe mich in der Stadt umher. Zu Fuß zur Praça do Comércio, mit der Straßenbahn nach Alfama hoch, dort lasse ich meine Haare schneiden – der erste professionelle Haarschnitt in über einem Jahr (aber Elke machte es auch gut). Ich probiere mich durch die Karte des Conqvistadores, eine urige Kneipe am Castelo.

Am nächsten Tag (unserem letzten in Lisboa) fahre ich ca. eine Stunde nach Frank nach Belém, sehe mir dort den berühmten Torre de Belém an, und ein etwas zusammengewürfeltes Museum der portugiesischen Streitkräfte. Nach einem leichten Mittagessen fahre ich quer durch die Stadt in den Parque das Nações, wo das Oceanário de Lisboa ist. Es ist ein riesiges Aquarium, dessen Eintrittserlöse auch zum Schutz des Meeres verwendet werden. Ich finde, man sollte ein wenig wissen, worüber man die ganze Zeit fährt. Fotos hiervon separat. Am Abend finden wir wieder zusammen, essen im berühmten Chapitô à Mesa zu Abend.

Sintra

Jetzt, wo wir einen etwas preiswerteren Hafen vor den Toren Lissabons gefunden haben, kommt uns die Idee, dass wir von hier aus einen Ausflug nach Sintra machen könnten. Sintra ist im Reiseführer unter Lissabon beschrieben, da von dort aus leicht mit dem Zug zu erreichen. Aber von unserer Marina noch schneller. Außerdem wird so die Marina-Rochade in Lisboa einfacher. Wir organisieren ein Mietwagen und fahren nach Sintra. Die Stadt war mal tatsächlich mal Hauptstadt – vor vielen Jahrhunderten, da sie einen guten Blick über die Halbinsel westlich von Lisboa bietet, später wurde sie eher zu ‚Sommerpalast‘ relegiert. Es gibt drei besondere (Stern im lonely planet) Sehenswürdigkeiten in der Stadt, für die ich hier eher ein paar Fotos sprechen lasse. Erst einmal die Stadt und Umgebung:

Palácio Nacional de Sintra

Eine ursprünglich maurische Burg wurde wiederholt ausgebaut, und enthält deshalb einen wild an verschiedenen Stilen, die jeweils typisch für ihre Epoche sind. Die beiden auffälligen konischen Türme sind übrigens die Kamine der Küche – da wurde ordentlich gekocht.

Castelo dos Mouros

Ursprünglich im zehnten Jahrhundert gebaut, wurde sie auch nach deren Obsoleszenz als optischer Leckerbissen erhalten. Vor den Mauren hausten dort übrigens schon Menschen, die allerdings außer ein paar Skeletten und Vorratsgruben im Stein wenig hinterlassen haben.

Palácio Nacional de Pena

Die wilde Mischung an Stilen liegt hier nicht an wiederholten Ausbauten in verschiedenen Epochen. Der Palast wurde komplett im neunzehnten Jahrhundert errichtet, „aus dem eigenen Vermögen“ des Königs Ferdinand II. aus dem Haus Sachsen-Coburg-Gotha. Erstaunlich, was der König mit seinem Nebenberuf – wahrscheinlich als Schreiner – so verdient hat. Ich werde unweigerlich an die Phantasieschlösser von Ludwig II. erinnert, und offensichtlich gibt es da auch ein paar konkrete Verbindungen. Jedenfalls ist es das „bedeutendste Bauwerk der portugiesischen Romantik“.

The Mystery Woman – Codename: Nikita

In Lagos machen wir einen Crew-Wechsel. Doro hat uns für den Komfort eines schnöden Hotels verlassen, dafür kommen Udo und ‚Mystery Woman‘.

Udos Geschichte ist traurig und schnell erzählt: Ich hatte vorgehabt, ihn am späten Nachmittag noch aus Faro abzuholen – so hätte er mit uns Abendessen können. Während ich am Strand in der Sonne lag, und mich geistig auf den Abend vorbereitete, rief Udo an. Er wurde am Gate in Memmingen von Ryanair zurückgewiesen. Offensichtlich verlangt Portugal für die Einreise einen sogenannten „RT-PCR Test“. Udo hat aber nur einen normalen. Die Kollegin am Gate ließ nicht mit sich verhandeln, und er und mehrere andere Fluggäste wurden abgewiesen. Im Laufe der nächsten Tage machen wir uns schlau. Das RT steht für ‚Real time‘ und würde ein Quantifizierung der Virenlast erlauben, wenn man wollte (Hat mir ein befreundeter Arzt erklärt). Aber die Informationen im Internet sind nicht ganz eindeutig. Man findet „RT-PCR Test“, aber nirgends einen klaren Hinweis was denn ein ‚Nicht RT‘ PCR Test wäre. Auf anderen Seiten werden die Begriffe eher austauschbar verwendet. Es dämmert uns: fast alle in Deutschland durchgeführten PCR-Tests werden nach dem RT Verfahren durchgeführt, aber es steht halt nicht überall drauf. Jedenfalls nicht auf Udos negativem Befund. Das wird jetzt ein interessanter Streit: ist Ryanair schuld, weil sie das nicht wussten, und haben ihn zu Unrecht abgelehnt? Oder hätte sich Udo die (später erhaltene) Bescheinigung des Labors, dass ihr PCR Test selbstverständlich ein RT-PCR Test sei, halt früher organisieren müssen? Die Meinung an Bord: Ryanair war überbucht, und hat das als Ausrede genommen, die überzähligen Gäste loszuwerden. Mal sehen, wie das mit Udos Beschwerde läuft.

Aber nun zu ‚Mystery Woman‘. Niemand darf wissen, dass sie an Bord ist, nicht einmal, dass sie in Portugal ist. Kriminelle Aktivitäten? Flucht vor dem KGB? Eine Attentäterin? Ein geheimer Auftrag? Wir ergreifen Vorsichtsmaßnahmen. Als erstes bekommt sie einen Codenamen: „Nikita“, nach dem Film von Luc Besson. Nicht sehr kreativ, aber immerhin hält es die Spannung aufrecht. Wenn an Deck ein Foto gemacht wird, muss Nikita unter Deck – nicht, dass sie sich in dem blitzenden Chrom unserer Winschen spiegelt, wissen wir doch alle, dass Geheimdienste aus den 10 Pixeln, die das auf einem Foto ausmacht, mit mehreren Durchläufen ein genaues Bild erstellen können. Jedenfalls fliegt Nikita nach Lissabon, provoziert einen Streik der Bahnarbeiter um dann unauffällig mit anderen Leuten mit dem Taxi nach Lagos zu fahren – eine Meisterin der Verwirrung und Vertuschung. Dennoch vereinbaren wir ein geheimen Treffpunkt (Im Lazy Jack’s an der Marina), und wir nehmen sie im Schutze der Dunkelheit an Bord. Am nächsten Vormittag laufen wir aus – Ziel Lisboa.

Die Fahrt nach Norden an der portugiesischen Küste ist nicht besonders einladend. An der Küste gibt es einen relativ konstanten Wind aus Nord. Da das Ganze dann offener Atlantik ist, kann sich auch eine beständige Welle aufbauen. Aus Nord. Und dann gibt’s noch etwas Strömung. Wer errät’s? Aus Nord. Wir sehen das natürlich nur als Herausforderung, konsultieren Windfinder, und erschrecken irgendwann vor der eigenen Courage als wir aus der Abdeckung von Cabo Sao Vicente kommen. Es pfeift ordentlich, und die Wellen schütteln uns durch. Plan B. Am darauffolgenden Tag soll der Wind etwas nachlassen, also fahren wir in zurück in die uns bekannte Ankerbucht am Cabo Sagres. Die ganze Nacht pfeift es, aber unser Anker und der Ankergrund sind gut. Wir liegen sicher.

Am nächsten Morgen ist der Wind laut Windfinder weniger. Gefühlt nicht, aber was wollen wir tun? An der Algarve zu bleiben ist keine langfristige Option. Also Segel mit ordentlich Reff gesetzt, und los geht’s. Bei der Abfahrt verrät unser Navi: 57 Seemeilen bis Sines, der erste sichere Hafen auf der Strecke. Wir beginnen das mühsame Kreuzen nach Norden (also im Zick-Zack gegen den Wind, so dass er immer schräg von vorne kommt). Etwas weiter draußen sollte der Wind für uns etwas günstiger sein, aber die Wellen werden auch größer. Insgesamt fahren wir recht lange Schläge.

Es ist gut, dass Nikita ihren geheimen Auftrag offensichtlich nicht auf der Seestern ausführen muss. Obwohl sie schon öfters segeln war, hat ihr Gleichgewichtssinn wohl nicht mit atlantischen Wellen gerechnet. Sie hat – glaube ich – keine große Freude an der Fahrt. Frank und ich teilen uns also zu zweit die Wachen auf, Nikita liegt als Häufchen Elend erst auf dem Sofa, dann auf der Cockpit-Bank an der frischen Luft, und zuletzt auf dem Fußboden in dem Gang zu ihrer Kabine. Das ist jetzt keine Schikane unsererseits, um Gequälte noch mehr zu quälen – der Fußboden ist recht nah am Schwerpunkt des Schiffes, deshalb sind dort die Rollbewegungen weniger zu spüren als würde man zB an der Mastspitze sein. So geht es den Tag durch, und den längsten Teil der Nacht. In der Nacht nimmt der Wind deutlich ab, aber den Wellen macht es Spaß – sie schaukeln fröhlich weiter. Kurz nach Beginn meiner Wache hat der Wind so weit abgenommen, dass wir praktisch keine Fahrt mehr auf das Ziel zu machen können. Resigniert rolle ich das Vorsegel weg, starte den Motor, und lasse den Autopilot die Seestern weiter nach Sines lenken. In ungefähr zwanzig Stunden haben wir 39 Seemeilen in Richtung auf unser Ziel zurückgelegt. Also ein Schnitt von ca. 3,6km/h. Beeindruckend, oder?

Während der Fahrt sehen wir kaum andere Schiffe. Die Berufsschiffahrt hat keinen Grund, so nah an der Küste zu fahren, und zum Spaß sind nicht allzu viele unterwegs. Am Ende immerhin noch ein Schiffskontakt: Während ich parallel zur Küste auf den Hafen zufahre, sehe ich auf dem AIS ein Kontakt von See kommend. Ich spiele mit dem Gerät: es ist die „Hoegh Gallant“, ein 241m langer Tanker, die mit 10,5 Knoten ankommt, und unserem Schiff gefährlich nahekommen würde, wenn beide Kurs und Geschwindigkeit beibehalten. Ich bin hin und her gerissen: a) als Motorschiffe untereinander müsste er mir ausweichen b) ist es sinnvoll, bei 110.000 Tonnen gegen 13 auf diese Regel zu bestehen? c) er fährt auf die Nahe Küste zu – wahrscheinlich wird er bald bremsen oder den Kurs ändern d) Will ich mich darauf verlassen? Ich ändere den Kurs, so dass ich klar hinter ihm vorbeifahren würde, und beobachte weiter. Wie geahnt, er wird langsamer; ich fahre dennoch hinter ihm vorbei, und dann dreht er auch in Richtung Hafen, also parallel zu mir, dann sogar wieder in Richtung auf meinen Kurs. Fahre ich jetzt einen Kurs, der mich zwischen ihn und eine Kaimauer bringt? Ohgottohgottohgott. Ich greife zur Funke und rufe ihn an. Mein Gefühl beim Funken ist immer etwas zwiegespalten. Wenn man auf Kanal 16 etwas von sich gibt, das hören alle. Die Küstenfunkstellen, die Rettungswachen, jedes Schiff mit ordentlich besetztem Steuerstand, also auch die ganzen anderen Segler, die man dann im Hafen sieht. Viele von denen haben da Routine, ein gutes Gespür dafür, was auf den Kanal gehört, wie man sich ausdrückt (Gut, es gibt auch andere, die spielen Musik oder unterhalten sich länger wohin zum Bier [auf dem Not- und Anrufkanal!]). Und ich vermute, dass die Berufsschiffer auf uns Segler herabschauen wie eben Profis auf jede Gruppe, die zu einem Großteil aus Dilettanten besteht. Also immer etwas nervös, auf den Knopf drücken, auf ruhig bestimmte Telefonstimme achten, jetzt bloß nicht verhaspeln. Wie immer bisher völlig problemlos. Der Funker der Hoegh Gallant gibt mir die Auskunft, dass sie jetzt hier Ankern werden, und bestätigt, dass wir uns nicht ins Gehege kommen, wenn ich an seiner Backbordseite vorbeifahre. Ich tuckere weiter und mache ein paar Handyfotos in der aufkommenden Morgendämmerung.

Unter Motor brauchen die letzten 18 Seemeilen nur noch drei Stunden – schaukeln tut es aber immer noch, und zwar fast unangenehmer – Segelwind stabilisiert das Schiff in seiner Lage, unter Motor kommt man sich mehr vor wie ein Spielball der Wellen. Dann fahren wir endlich in den Hafen von Sines ein. Dieser besteht aus zwei Teilen: der große Industriehafen für Erdöl und andere Massengüter (zB Chemie – schon seit einigen Stunden riecht es wie Mannheim), und einem kleinen inneren Hafen mit Strand, ein paar Fischerbooten, und der Marina. Eigentlich hatten wir geplant, dort erst zu ankern, bis die Marina aufmacht, aber als wir die Gästeliegeplätze klar erkennen, beschließen wir einfach dort zu parken, wo sie uns wahrscheinlich sowieso hingeschickt hätten. Es ist kurz nach halb sieben Uhr morgens. Wie es die Tradition verlangt, erst einmal ein Anlegebier. Allerdings nur für Frank und mich. Nikita wehrt sich gegen die Tradition des Anlegeschlucks und macht sich einen Pfefferminztee. Danach legen sich alle erst einmal schlafen, fest vertäut und ohne schaukeln.

Die Stadt Sines ist ’nothing to write home about‘. Nikita und Frank erkunden die Stadt ab dem Nachmittag, ich schreibe Blog (nicht diesen hier) und lasse es mir faul gehen. Irgendwann werde ich auf Aktivität auf dem Steg neben dem Schiff aufmerksam. Drei Männer in Tauchanzügen, und zwei Gitterboxen voller Wein. Wirklich: Wein. Ich muss es mir auch erst bestätigen lassen, sie werden die Weinflaschen hier im Hafenbecken versenken. Einer der Taucher kann genug Englisch, um es so halbwegs zu erklären: Der Wein wird hier werbewirksam gereift: bei relativ konstanten kühlen Temperaturen, im Dunkeln, ohne Sauerstoff, und unter einem Druck von ca. 1 bar. Soso. Eine derart gereifte Flasche Wein soll ca. 40 Euro kosten. Als ich zu erkennen gebe, dass das jetzt nicht so mein Budget wäre, isb. für Wein, den ich nicht kenne, biete der Kollege an, mich mal probieren zu lassen, eine ‚inoffizielle‘ Flasche. Bevor es aber so weit kommt, werde ich genötigt, mich meinen beiden Mitseglern auf ein Sundowner-Bier auf einer Terrasse über der Stadt anzuschließen. Am nächsten Morgen geht’s weiter, wir haben erst die Hälfte der Strecke nach Lissabon geschafft.

Eigentlich ist Sines der einzige wirklich gute Hafen zwischen der Algarve und Lisboa. Die anderen bieten keinen tollen Schutz oder sind einfach immer mit Dauerliegern voll. Aber auch um unserem Gast eine weitere Nachtfahrt zu ersparen, finden wir ungefähr auf halber Strecke einen Ankerplatz, der vielleicht ginge. Er befindet sich hinter einem Gewirr aus Sandbänken und unmarkierten Fahrrinnen. Häufig sind in der Karte Tiefen von 2m eingezeichnet, das ist etwas wenig für uns (2,10 Tiefgang). Aber es ist ja gerade kein ‚Spring-Niedrigwasser‘, also müssten überall noch 30cm Wasser mehr sein. Gaaaanz vorsichtig tuckern wir über die Sandbänke. Einmal (am nächsten Morgen) sitzt die Seestern auch kurz auf, aber harmlos. Durch Fallböen an den Klippen bläst ein kräftiger Wind – draußen auf dem Meer war davon nichts zu spüren. So Ankern wir wieder, während es draußen schauderlich pfeift – aber der Anker hält.

Am nächsten Tag geht’s weiter nach Lisboa. Leider ist das etwas komplizierter: Es gibt in Lisboa zwar 5 Marinas, in die wir reinpassen würden, aber die vier stadtnahen sind alle voll. Eine davon – die Marina Alcantara vertröstet uns immer wieder auf „morgen“. Vielleicht hätten sie dann Platz für uns. Dann gibt es noch eine weitere Marina, am Parque de Nacoes, aber die ist sehr tidenabhängig. Einfahrt eigentlich nur in den zwei Stunden vor Hochwasser. Das wäre etwas ungünstig, heute. Also einigen wir uns auf eine Marina kurz vor Lissabon, in Oeiras. Wie häufig zeigt hier der Gott des Windes seinen seltsamen Humor. Auf den letzten Meilen dorthin schläft der Wind ein, wir müssen den Motor anmachen; kurz vor dem Hafen frischt es wieder gewaltig auf. Die Hafeneinfahrt ist sowieso tricky (sie ist recht eng, und davor fließt der Rio Tejo mit ordentlich Tidenströmung – da gibt es dann einen kritischen Moment wo der Bug schon im stillen Wasser der Einfahrt ist, aber das Heck des Schiffes noch im Strom ist. Heftiges Gegenlenken und ordentlich Fahrt ist angesagt. Aber am Ende liegen wir sicher und freuen uns auf ein paar Tage in und um Lisboa.