Ich hatte ja überlegt, ob ich einfach den Text zu dem anderen „puh!“ Eintrag nachliefere. Aber so wird’s eigentlich klarer, und vielleicht wird der andere Beitrag mal von einem Kritiker entdeckt und wegen seiner „prägnante Emotion“ gelobt. „puh!“ habe ich auf dem Handy geschrieben, als der harte Teil der Nacht endlich vorbei war. Der Wind hatte nachgelassen (weil näher an der Küste, aber auch einfach weil ca. 3:00, und der heftigste Teil damit vorbei war), wir waren vom sizilianischen Mobilfunknetz abgedeckt, hatten die aktuelle Windprognose geprüft, und beschlossen, dass nun unter Motor weiter zu fahren eine sinnvolle Lösung war, und nicht einfach die feige. Was war ich dann beruhigt. Nicht dass die Nacht wirklich gefährlich gewesen wäre, oder wir Angst hatten, aber … immer der Reihe nach.
Es ist Sonntag, der 27.9.2020, Frank hat heute Geburtstag, aber ist eh nicht so das Party-Animal. Ich glaube es taugt ihm, größere Teile des Tages außerhalb der Abdeckung des Mobilfunknetzes zu verbringen. Wir müssen Malta verlassen, und uns wieder nach Sizilien aufmachen, da wir am Dienstag dort eine Mitfahrerin aufsammeln. Der Samstag war von den Windprognosen so, dass es wirklich dämlich gewesen wäre, über die Straße von Malta zu Segeln, aber am Sonntag sagen die Prognosen ein Abflauen des Windes vorher, aber so, dass noch genug zum Segeln da ist. Wir stehen um halb sieben auf, organisieren noch ein paar Sachen, und laufen um 9:00 aus dem Hafen Mgarr auf Gozo aus. Wie vorhergesagt kommt der Wind anfangs aus Süd, und wir fahren parallel zur sizilianischen Küste, aber auf der maltesischen Seite. So wollen wir möglichst viel Höhe gewinnen, um dann – wenn der Wind auf West dreht – gut nach Norden Richtung Marsala zu segeln. Nach ca. drei Stunden verschwindet die Abdeckung von Gozo vor den Wellen aus Süd, und es beginnt ordentlich zu schaukeln. Mittagessen besteht aus einem abgerissenen Stück Brot und etwas Salami, am Steuer reingemampft. Da die Nacht etwas kurz war (a bisserl rein’gefeiert‘, also Rum getrunken), fangen wir recht schnell mit dem Schichtsystem an. Einer hat Wache, der andere schläft. Der Wachhabende hat seinen AIS MOB Notsender in der Tasche (war für mich ein Geburtstagsgeschenk); würde man ins Wasser fallen funkt der ein Notsignal an unser Schiff, inklusive Position.
Die Südwindphase ist easy – es ist Tag, die Wellen noch nicht schlimm, hauptsächlich noch lange Dünung der Tag zuvor. Am späten Nachmittag verabschiedet sich der Wind mit einem plötzlichen Flautenloch (das Auge des Sturms, oder zumindest des starken Windes); es fängt an aus Kübeln zu schütten. Frank, der am Steuer steht, wird patschnass bevor ich ihm sein Ölzeug bringen kann. Wir fahren weiter unter Motor, es wird dunkel. Da es weiter schaukelt, wird von Hand gesteuert, und langsam kommt der angesagte Westwind auf. Irgendwann zupft mich Frank wach (unsere bewährte Lösung – der Schlafende hat eine Schnur um’s Handgelenk, und kann damit von dem hintern Steuer wachgezupft werden), ob ich mal auf dem Plotter unten die AIS Kontakte checken kann, ob uns da was zu nahe kommt. Steuern ist inwischen so anspruchsvoll, dass man nicht mehr nebenher das Navi am Steuerstand bedienen kann. Der AIS Kontakt ist kein Problem, aber ich könnte noch schnell bei einer Wende helfen. Im Schlafgewand mit Rettungsweste und Lifebelt komme ich ins Cockpit. In den letzten paar Minuten hat der Wind ordentlich zugenommen, wir sind jetzt bei zwischen 25 und 30 Knoten, das ist schon „steifer Wind“ mit 7 Beaufort. Es pfeift, wir brüllen uns aus 1,5 Meter Entfernung im Cockpit an. Wir haben noch das ganze Vorsegel draußen, die Kräfte, die jetzt an den Schoten ziehen, sind enorm. Wenn man jetzt seine Finger falsch in die Schot (Seil, welches das Segel nach hinten zieht) bekommt, sind sie ab, oder zumindest dunkelblau. Wir verbocken die Wende, beschließen derweil zu reffen, reduzieren also die Segelfläche. Alles geht jetzt nur noch mit Winsch und Kurbel, von Hand lässt sich da nix mehr ziehen. Nach intensiven Minuten ist unser Vorsegel nur noch bettlakengroß, die Seestern schiebt aber dennoch ordentlich Lage (vom Wind zur Seite gekippt), und es scheppert und rumpelt. Das bittere dabei: Auch wenn alles pfeift und windet – man würde denken jetzt wird man immerhin mit ordentlich Speed belohnt – durch die Wellen wird man nur langsamer. Frank bleibt noch zwei Stunden, bis Mitternacht, am Steuer und bekommt somit das heftigste des Wetters ab. Ein denkwürdiges Geburtstagsende; Festmahl des Tages: zwei Kanten Brot, ein Rad Salami und ein Stück Schokolade.
Ich versuche derweil unten etwas zu schlafen. Bei unseren Wendeversuchen hat sich das Schiff ordentlich auf die Seite gelegt; obwohl wir versucht hatten, alles ordentlich zu verstauen, hat sich ein beträchtlicher Teil des Hausrats auf dem Boden verteilt. Wir lassen alles liegen, was nicht zerbrechen kann. In der Spüle gurgelt ab und zu etwas Wasser hoch, man sollte das Seeventil schließen, aber das ist so schlecht erreichbar; ich beobachte das schwappende Wasser und beschließe, dass es keine Gefahr darstellt. Die Geräuschkulisse unter Deck ist intensiv. Man hört das Wasser am Schiff vorbeirauschen. Wegen der Krängung und den Wellen sind auch öfters die Bullaugen im Rumpf unter Wasser, hier fließt das Wasser nicht schön vorbei, sondern gurgelt hörbar. Ab und zu flattert das Vorsegel, wenn in einem Wellental die Anströmung plötzlich verschwindet oder abgelenkt wird. Am Steuern hört sich das halt wie laut flatternder Stoff im Wind an. Unter Deck hört man hauptsächlich das Ruckeln am Rig. Harte, dumpfe, metallische Schläge, nicht zu überhören. Zu anderen Zeiten kollidiert man mit einer Welle, oder Wellen entziehen dem Schiff das Wasser in dem es schwimmt, und man kracht laut eine Etage tiefer auf’s Wasser. Alle paar Minuten trifft man so in eine Welle, dass es am luvseitigen (also dem Wind zugewandten) Bug kräftig nach oben spritzt, das Wasser verteilt sich dann wie ein Wolkenbruch laut prasselnd über das ganze Schiff. Bei der Gelegenheit müssen wir feststellen – die Hallberg-Rassy ist ein sehr solides Schiff – es ist zwar laut, aber Sorgen hat man keine. Allerdings – die SEESTERN ist nicht ganz dicht. An vielen Ecken tropft es rein, unsere neuen Polster bekommen ihre wahre Belastungsprobe, und sind wohl mittlerweile als eingeweiht zu bezeichnen. Ein paar der Tropfen sind selbsverschuldet. So ist die Luke über meinem Salonbett (unserem – bei dem Wind ist es der einzige Ort am Schiff wo man sich hinlegen kann, durch die Lage in ein „V“ zwischen Liegefläche und Rücklehne gebettet) zwar zu, aber nicht komplett verriegelt. Bei jedem Prasseln verteilt sich ungefähr ein Stamperl Seewasser über meinen Bauch und die Rückenlehne. Das lässt sich abstellen, aber auch an anderen Ecken finden sich Tropfspuren. Allerdings – sich im Schiff zu bewegen ist gerade sehr anstrengend, und ich kann mich jetzt nicht motivieren, mit einer Taschenlampe die Ursachen zu ergründen. To do: in einer Marina, wo das Wasser im Preis inkludiert ist, alle Verdachtspunkte mal ordentlich anspritzen. Obwohl die Geräuschkulisse und das Restadrenalin dem Schlaf nicht zuträglich sind, nicke ich wohl irgendwann ein.
Wieder werde ich durch ein Zupfen geweckt. Frank brüllt mich an, ich soll mich mal um ein AIS Kontakt kümmern. Ich schaue auf unseres Gerät unten am Navitisch, ja da ist was, fünf Meilen entfernt, würde uns bedenklich nahe kommen. Frank brüllt mein schlaftrunkenes ich an, ich soll ihn anfunken. Tatsächlich sind die Regeln ja so, dass ein Motorschiff unserem Segelschiff ausweichen muss. Das gilt auch für 400m lange Containerschiffe. Ich habe mir den Namen nicht wirklich gemerkt, irgendwas arabisches, was ich sicherlich verhuntze, sagen wir mal „Al-Jumerai“. Ich funke auf dem Not- und Anrufkanal 16 „Al-Jumerai, Al-Jumerai, Al-Jumerai, this is Seestern, come in please“. Ganz falsch habe ich es wohl nicht ausgesprochen, denn er meldet sich zurück. Wir wechseln auf Kanal 6, ich erkläre ihm, dass wir ein Segelboot unter Segeln sind, fünf Meilen vor seinem Steuerbordbug, und wir uns gefährlich nahe kommen würden. Er antwortet freundlich, ja, jetzt sieht er uns, don’t worry, they will take care. Über hunderttausend Tonnen Stahl ändern den Kurs, die Al-Jumerai fährt weit vor unserem Bug vorbei. Frank, der schon mehrere Angebote der Ablösung abgelehnt hat, meint nun, dass die Ablösung jetzt gut tun würde. Wir haben zwar kein festes Schichtsystem, aber um 0:00 sind auch vier Stunden Wache vorbei. Ich verpacke mich in mein komplettes Ölzeug, schiebe mir noch eine Handvoll Brot in den Rachen, und gehe hinters Steuer. Jetzt also das Spektakel von der Perspektive auf Deck. Ich sehe noch die Al-Jumerai vor uns vorbeiziehen. Frank meint noch, dass der Wind OK wäre, schon viel, aber wir fahren dafür die richtige Segelfläche, allerdings wären die Wellen echt ‚zum Fürchten‘. Dass kann ich bestätigen, auch wenn das Heftigste schon vorbei ist.
Man fährt in der Nacht nach der Windanzeige, wir würden gerne ‚Hart am Wind‘ fahren, also so weit gegen den Wind wie es nur geht, denn wir wollen ja nicht nur nach Norden Richtung Sizilen, sondern nach Nordwesten auf Marsala zu. Übertreibt man es dabei, fährt man zu weit in den Wind, das Vorsegel fängt an zu ‚killen‘ (flattern), und Frank hört das Rigging hämmern statt zu schlafen. Fällt man hingegen ab (Wind von der Seite statt von schräg vorne), segelt es sich ruhig. In die falsche Richtung. Also ein ständiger Kompromiss. Ich versuche den Zeiger der Windanzeige auf 45° zu halten. Hört sich ja nicht so schwer an, oder? Aber da waren ja noch die Wellen. Wellenhöhen sind schwer zu schätzen, nachts um so mehr. Und natürlich ist da die Gefahr, seine Erlebnisse mit noch ein paar Metern mehr etwas dramatischer klingen zu lassen. Am Anfang meiner Wache hätte ich mal vier Meter geschätzt (im Wellental hat man überhaupt keine Küste mehr gesehen), Frank meinte das ein, zwei Wellen von der Seite einfach über das Schiff gebrochen wären, vielleicht 4-6 Meter inklusiver der Schaumkrone, so etwas hätte er noch nicht erlebt. Ich weiß es nicht. Aber am Vortag sprach ein Malteser von Wellen, „two stories high“, und das wären dann auch so die Größenordnung. Die Wellen, jedenfalls, kommen schräg auf das Schiff zu, und sind durch die verschiedenen Windrichtungen der letzten Zeit auch nicht schön aus einer Richtung. Man sieht also aus dem linken Augenwinkel, dass da was großes schwarzes neben dem Schiff ist. Schildkrötengleich versucht man sich in sein Ölzeug zu ducken, aber diese Welle ist harmlos. Sie macht für den SEESTERN den Aufzug, auf dem Kamm kann der Wind so richtig zupacken, gleichzeitig will die SEESTERN nach links, um die Welle runterzusurfen. Gegenruder, da bleibst! Dann flattert das Vorsegel halt, auch weil im Tal das Segel nicht mehr gut gefüllt wird. Wenn man dann im Wellental angekommen ist – was war das für ein Tal? Ein lieblich, sanftes – alles gut. Ein eher tiefer Einschnitt – der Bug des Schiffes kollidiert mit der Welle, Gischt spritzt auf, von den roten und grünen Positionslampen am Bug beleuchtet. Häufig erkennt man am Geräsuch, dass es jetzt gleich richtig über Deck kommt. Also Kopf runter, von der Welle abgewendt, es prasselt von hinten auf die Kapuze. Manchmal merkt man’s nicht, dann prasselt die Welle auf die Brille. Die Wellen zupfen auch direkt am Ruder, wollen es einem entreißen, und meistens steuert man irgendwie nach Gefühl. Nebenbei bekommt man im Dunkeln etwas von der ‚Wellenlandschaft‘ mit. So irritieren mich irgendwelche Wellenberge, die – schwarzen Autos gleich – vor der erleuchteten Küste vorbeifahren. Gerade aus dem Augenwinkel ist der erste Gedanke, dass da ein unbeleuchtetes Fischerboot an einem vorbeigefahren ist. Dann kommt wieder eine Abfolge von Wellen, die passen perfekt zum Schiff. Für ein paar Sekunden fühlt man sich wieder als Chef, schaut auf die Windex. Hört sich übrigens auch einfacher an, als getan. Die Anzeige ist ungefähr zweieinhalb Meter vor der Steuerstand über dem Niedergang montiert, düster beleuchtet, und kurzsichtig mit Brille voller Tropfen…
Immerhin – man sieht die Küste schon ganz gut, irgendwo auf der Höhe von Agrigento, und es scheinen auch keine Schiffe mehr unseren Weg zu kreuzen. Das jedenfalls sagte das Navi eben, doch plötzlich geht es aus. Kein Navi, kein AIS, doof. Allerdings – der Wind scheint etwas weniger zu werden. Ich fahre noch etwas weiter – die Sicht ist gar nicht so schlecht, wenn man nicht im Tal ist, aber dann zupfe ich Frank wach. Wir schaffen es nicht, den Fehler in der Nacht zu beheben. Wir einigen uns, dass ich noch etwas nach Sicht auf die Küste zufahre, und wir dann weiter überlegen. Frank legt sich nochmal kurz hin. Der Wind lässt weiter nach, deshalb durchaus erträglicher, aber so langsam wirken sich Schlaf- und Essensmangel aus. Außerdem ist mir kalt. Ich gebe zu – ich denke voller Sehnsucht an mein warmes, trockenes, kuscheliges Bett zu Hause – was mache ich hier? Geht das jetzt ein Jahr so weiter? Frank wurschtelt unter Deck umher, berichtet dann, dass es noch immer keine gefährlichen Schiffe gibt, der Wind jetzt und hier eher nachlässt, aber es auch an der Küste keine großen geschützen Buchten gibt, wo man sich mal kurz ablegen könnte. Nach einigen Überlegungen kommen wir zu dem Schluss, das Vorsegel wegzurollen, den Motor anzumachen, Mr. Autopilot das Schiff Richtung Marsala fahren zu lassen, und dabei kann ich auch entspannter sein – mal selber runterschauen auf das noch funktionierende Navi, und im Windschutz der Sprayhood die Umgebung zu beobachten. Anyway – da kam der letzte Eintrag, „puh!“ einfach von Herzen.
Archiv des Autors: Chris
puh!
Wirbelwind Sightseeing in Gozo
Kalypso ist die bekannte Göttin und Nymphe, die Odysseus sieben Jahre lang festhielt, bevor sie ihm erlaubte, zu seiner Frau Penelope auf Ithaka heimzukehren. Was muss das für eine Frau gewesen sein, den Helden der Saga so hörig zu machen, dass sie ihn festhalten konnte, bis ihr Zeus befahl Odysseus gehen zu lassen. Versprechungen der Unsterblichkeit haben auch nicht geholfen; der Held wollte heim. Es gibt natürlich verschiedene Erklärungen dafür. Frank erklärt es etwas derb sexuell, es könnte auch sein, dass die beiden nicht gemeinsam in Kalypsos Grotte auf Gozo gelebt haben, sondern dass Odysseus dort eingesperrt war. Ich bleibe mal bei der reizenden Göttin und Nymphe. Mittlerweile ist Kalypso etwas in die Jahre gekommen (wie ist das mit der Unsterblichkeit, bleibt man dann auch ewig jung und knackig?), und betreibt eine kleine Boutique am Eingang ihrer Grotte. Die Boutique hat heute zu, ob wegen Corona oder Nebensaison ist mir unbekannt, und auch die Grotte ist geschlossen, wegen ‚geologischer Gegebenheiten‘. Könnte also einstürzen. Anyway, der beauty spot auf Gozo, der kleinen Schwester der Insel Malta, hat einen schönen Ausblick auf den Al-Ramla Beach/Bucht, also Haken dran und weiter.
Wir sitzen den Tag auf Gozo fest. Die Vorhersage hat ab Freitagabend heftigen Wind vorhergesagt, der den ganzen Samstag anhalten soll. Also haben wir unser Schiff in der Marina von Mgarr festgebunden, dem Haupthafen von Gozo. Meine Aufgabe war es, zu erörtern ob sich Gozo aus touristischen Aspekten lohnt, und ein schneller Internet-Surf am Morgen ergab: ja, am einfachsten vielleicht mit dem Auto. Wir bekommen einen sehr klapprigen Chevrolet Spark, dessen Fahrwerk schon lange unter den Straßen von Gozo leidet. Linksverkehr, au ja!
Unser erster Stopp ist der Tempel von Ggigantija (wie so oft in dem Blog behalte ich mir vor, Fakten und richtige Schreibweisen von Orten später zu korrigieren, aber beim Blogschreiben möchte ich im Flow bleiben). Wahrscheinlich auf 3600 bis 3200 v.Chr. datiert, sind es mit die ältesten freistehenden Gebäude der Welt (relativ frei, an einigen Stellen massiv von einem Baugerüst unterstützt). Alte Steine, seeeehr alte Steine. Weiter geht’s nach Victoria, der wichtigsten Stadt der Insel und deren Verwaltungszentrum. Hier suchen wir das am besten bewertete Restaurant der Stadt auf, Casa Vostra, sehr toll gemacht vom Ambiente her, aber die Pizza war jetzt nicht so der Bringer. Danach auf die Zitadelle, Rundumblick über die Insel, der witzige Hinweis auf die „Low Battery“ – wo sich dann aber keine Lademöglichkeiten befanden, und eine Kirche mit beeindruckendem Interieur. Hier war immerhin schon Königin Elizabeth, als Malta noch sehr an England hing. Haken dran – what’s next? Die Bucht Ramla l-Hamra, bekannt für ihren roten Sand- das bedeutet schon der Name auf Maltesisch. Die Wellen drücken recht hässlich in die Bucht, Baden heute strengstens verboten. Segeln wäre auch nicht schön. Also weiter zur Höhle der Kalypso, und dann weiter an der Nordküste der Insel. Neben der Ortschaft Marsalforn sind einige Salinen in die flachen Felsen des Ufers gehauen, heute werden sie vom Meer üppig mit Salzwasser gefüllt. Bäh, sind das große Wellen, gut dass wir da nicht draußen sind. Teilweise ist die Küstenstraße von Wellen überspült, aber es ist ja nur ein Mietwagen. Dann noch nach Wied Il-Mielah, ein Tal welches an seinem Ende am Meer ein natürliches Felsentor hat. Bis vor ein paar Jahren eher unbekannt, weil das Azure Window an der Westseite der Insel viel berühmter war, aber das ist leider 2017 eingestürzt.
Dann sputen wir uns noch, um die Basilika Ta Pinu zu sehen – wie häufig, wenn Langschläfer Chris auf Sightseeing macht, bekommen wir gerade noch ein paar effektvolle Fotos im Abendlicht hin, und dann ist Schluss. Wir plündern noch schnell einen Lidl, und fahren zurück nach Mgarr. Dort bringt die Google-Empfehlung endlich mal ein Restaurant, wo das Essen richtig lecker ist. Bislang war es meist hauptsächlich das Ambiente was gepasst hat. Nachts dann auf dem Schiff planen wir den nächsten Tag, um Mitternacht versuche ich „Happy birthday“ anzustimmen, werde aber schleunigst gebremst. Oh well, dann halt noch einen Rum, und gut ist.
Noch ein paar Beobachtungen zu Malta / Gozo. Wenn wir abends aus der Marina in Richtung Restaurants gingen, war die gesamte Promenade rappelvoll – wohl von Locals, die hier mit Klappstühlen und –tischen ein Picknick machen. Als am zweiten Tag der Wind etwas heftiger ist, sitzen die Leute in der Parkgalerie der Marina (die Straße führt darüber lang). Hauptsache draußen.
Was für mich überraschend war, ist die Sprache. Ich kenne einige Leute, die auf Malta zu Sprachreisen (füe Englisch) waren, und als ehemalige britische Kolonie war ich sicher, dass man dort nur Englisch spricht. Und obschon alle auch Englisch konnten, war alles zweisprachig ausgeschildert. Was ich da gelesen habe konnte ich gar nicht richtig einordnen. Es wirkte wie eine wilde Mischung aus Rumänisch, Baskisch und Arabisch mit eingearbeiteten englischen Begriffen. Es wirkt auch so, als hätten die Malteser bei ihrer Sprache ein Sonderangebot für all die Buchstaben genutzt, die in anderen Sprachen selten gebraucht werden, viele Q und X. Ich habe dann auf Wikipedia nachgesehen: Maltesisch ist eine eigenständige Sprache, die im wesentlichen auf Arabisch zurückzuführen ist. Bemerkenswerterweise die einzige semitische Sprache, die mit lateinischen Buchstaben geschrieben wird, mit einer kleinen Ergänzung: „Ħ/ħ“, gesprochen als gehauchtes „h“. Man will es Tastaturenherstellern ja nicht zu einfach machen.
Der Kraken greift an.
Wahrscheinlich möchte sich Karl rächen, rächen für seine ganzen Artgenossen, die von uns schon verspeist wurden. Todesmutig nimmt er Anlauf, und wirf sich der SEESTERN entgegen. Leider leidet Karl an totaler Selbstüberschätzung, denn Karl ist ein ca. 5cm langer Kalamari. Was aber wirklich beeindruckend ist, ist wie hoch Karl springen kann. Das kleine Fensterchen unserer Sprayhood ist wahrscheinlich ungefähr 2 Meter über der Wasseroberfläche, und auch noch in der Mitte des ca. 4m breiten Schiffs. Jedenfalls landet Karl dort mit einem deutlichen Flatsch. Er merkt wohl schnell, dass das nix für ihn ist, und macht sich in die Hose (hätte er eine an – so verteilt er etwas Sepia-Tinte auf dem Fenster). Wir fotografieren ihn, und werfen ihn wieder ins Wasser. Wachse noch etwas, Karl, dann sprechen wir weiter.
Wir sind an der Südküste Maltas unterwegs. Es hat genug Wind, und wenig Welle, so kreuzen wir Richtung Nordwesten. Hinter uns liegt ein Tag in Valletta, und ein Segeltag an die Südostspitze von Malta. Die Marina di Valletta, die unser Schiff beherbergt, haben wir hauptsächlich wegen der Lage gewählt, direkt unterhalb der beeindruckenden Altstadt von Valletta. Das ist aber tatsächlich das beste an der Lage. Wir machen uns am Morgen auf die Suche nach einem Kaffee und einem Croissant. Tatsächlich sind wir an zwei anderen Marinas im Naturhafen von Marsamxett vorbei, bevor wir endlich einen entsprechenden Laden finden. Ob’s an der Nachsaison liegt, oder an Corona (oder beidem), sehr viele Läden haben zu. Wir probieren den öffentlichen Bus aus, 2 Euro für jeden in die Altstadt. Frank war vor ein paar Jahren schon hier, deshalb muss ich mehr besichtigen. Aber vielleicht erst einmal ein Bier im Queen Victoria Pub? Ja klar, es ist Dienstag, und wir haben Urlaub. Ich suche dann das Fort St. Elmo auf. Ein Schicksalsfort für die Insel. Von den Rittern der Maltesern nach langer Belagerung durch die Osmanen im Jahr 1565 verloren, ist es nun eine Gedenkstätte und Museum. Die Schlacht war für die Osmanen allerdings sehr verlustreich, und es gab weitere Forts der Malteser. Sinngemäß wird der osmanische Führer im Museum zitiert: „Allah, wenn der Preis für den Sohn so hoch ist, wie hoch wird dann der Preis für den Vater sein?“ Seit dem Abend zuvor hat sich die Stadt beruhigt, sie schwankt nicht mehr so sehr. Als ich fertig bin, treffen wir uns wieder auf ein Getränk mit Blick über die Stadt. Schnell noch einen Markt suchen, wir haben uns zwar in Sizilien mit wirklich guten Weinen eingedeckt, aber so mal schnell was als Absacker für den Abend fehlt uns. Nach dem Essen noch einen der seltenen Convenience-Stores geplündert, und wir haben auch wieder Anleger-Biere.
Am Tag darauf fahren wir an die Ostseite der Insel. Hier soll es ein paar sehr schnuckelige Buchten haben, und mit Marsaxlokk auch ein „arabisch geprägtes Fischerdorf“. Wir finden die Buchten, sie sind schnukelig, aber auch nur vom Meer aus zu erreichen. Das ist natürlich ein großer Bringer beim Segeln – keine lästigen Landeier. Im Umkehrschluss bedeutet es aber auch, dass man von dort aus abends nicht in das nächste Dorf laufen kann. Frank erkundet schwimmend die Bucht, ich passe auf’s Schiff auf. Leider steht auch etwas Dünung in die Bucht, also Wellen von vergangenem Wetter. Es wäre eine unruhige Nacht, mit ordentlich Geschaukel. Vielleicht doch lieber in den Hafen von Marsaxlokk? Gesagt, getan. Leider ist auf der Seite des arabisch geprägten Fischerdorfs kein Platz mehr in der Bucht, deshalb wählen wir die andere Seite, Birzebbuga. Hier schnappen wir uns eine verlassene Boje und liegen sicher. Direkt hinter dem Schiff ist der Malta Freeport. Ich gebe gerne zu: nicht wahnsinnig romantisch, aber wir sind nun mal zwei technikinteressierte Segler. Wie ein kleiner Junge am Fenster, wenn nebenan eine Baustelle ist, sitzen wir in der Pflicht, und schauen dem Betrieb zu. Es liegen mehrere größere Containerschiffe im Hafen und die Containerbrücken laufen auf Hochtouren. Das größte ist die APL CHANGI, knapp vierhundert Meter lang. Offensichtlich ist sie aus LeHavre gekommen, und sie teilt sich den Hafen mit der Monte Allegre der Reederei Hamburg Süd und CMA CGM Nerval. Gegen 23:00 legt die Monte Allegre ab, eine größere Aktion mit zwei Schleppern. Interessant, das mal so zu beobachten. Die Schlepper, die sie von der Kaimauer bugsieren nehmen dann gleich den neuen Ankömmling in Empfang, und schieben die CMA CGM Leo an die Hafenmauer. Ich könnte Stundenlang zusehen, aber langsam werde ich müde. Am Morgen ist die APL Changi weg, aber die MSC Jeongmin wird gerade an ihrem ehemaligen Platz festgemacht. Witzig: Birzebbuga wird als ‚Resort-Town‘ angepriesen. Erholung für Schiffs-Spotter vielleicht, aber der Blick auf den Containerhafen ist vielleicht nicht für jedermann. Wir legen ab und fahren an der blauen Grotte vorbei – diese wäre wohl mit einem kleinen Boot beeindruckender, mit der SEESTERN trauen wir uns nicht in die Höhle, und auf Dinghi zu Wasser lassen haben wir keine Lust. Also fahren wir weiter, zu unseren schicksalshaften Begegung mit Karl.
Wir wollen eigentlich noch an ein paar bekannten Badebuchten im Westen von Malta vorbeischauen, aber diese sind sehr touristisch. Am Strand lauter Landratten, und im Wasser einige Quallen. Haben wir das nötig? Nein. Wir fahren weiter zu unserem Tagesziel – die Bucht Dwejra an der Südwestspitze von Gozo. Fast kreisförmig mit 300 Metern Durchmesser ist sie in die Klippen eingefressen, Klippen die fast die gesamte Südküste der Insel uns beide zu dem Adjektiv ‚abweisend‘ verleiten. Am Ausgang der Bucht steht ein großer Felsen, „Fungus Rock“ wegen der seltenen dort wachsenden Flechten genannt. Wir sind also fast komplett von Felsen umgeben. Erstaunlicherweise: Mobilfunk klappt noch immer, auch wenn wir hier kein einziges Licht sehen. Wir Ankern dreist genau in der Mitte der Bucht, gehen noch etwas schwimmen, und dann gibt’s Abendessen.
Mal sehen, ob es klappt, ein paar Fotos mit hochzuladen.
Kostenlos nach Malta
Es ist toll, was man mit so einem Segelschiff alles an Geld spart. Normalerweise würde so eine Reise nach Malta einen Flug benötigen, Fahrt zum und vom Flughafen, oder zumindest eine Fähre von Sizilien. Die Seestern fährt uns kostenlos rüber. Endlich haben wir mal Glück mit dem Wind.
Wir haben zwei Tage in Marzameni verbracht. An einem haben wir uns der ‚Arbeit‘ gewidmet, also der Dinge, die wir in Deutschland nicht ganz fertig bekommen haben, am zweiten einiger kleiner Dinge am Schiff. Ich übe mich mit Nadel und Faden, und tausche das Fall für unser Besan-Segel. Am Nachmittag versuchen wir unsere Backskiste neu zu organisieren. Irgendwie ist sie voll, es ist alles drin, aber als wir in Marzameni anlegten, haben wir auch nicht schnell die richtige Festmacherleine gefunden. Am nächsten Tag wollen wir Richtung Malta aufbrechen, warten dazu im Naturhafen von Porto Palo auf den richtigen Wind. Dort verbessern wir weiter, Frank baut einen Inverter ein (macht aus 12V Batteriestrom 230V Wechselstrom, womit man zB Laptops laden kann), und ich ersetze die vergammelte Waschtischarmatur im hinteren Bad. Dabei beobachten wir genau Windfinder. Ursprünglich war die Vorhersage für guten Wind in der Nacht, wir wollten also um 22:00 los, um dann früh morgens in Valetta zu sein. Als wir abends nochmal schauen, scheint es so, als ob im Laufe des nächsten Nachmittags guter Wind wäre, aber noch nicht nachts. Wir einigen uns darauf, um 6:00 aufzustehen, etwas mit Motor zu fahren, um dann ab späten Vormittag Segeln zu können. Die Vorhersage stimmt nicht. Schon kurz nach der Abfahrt weht der Wind mit 9 Knoten statt der angekündigten Flaute – normalerweise macht das bei der Seestern noch keinen Spaß, aber wir haben ja genug Zeit.
Also setzen wir die Segel, und sind positiv überrascht. Die SEESTERN schnurrt mit über fünf Knoten ruhig davon – mehr wäre auch mit Motor kaum gegangen. Wir sind wirklich überrascht, hatten wir uns doch gemerkt, dass unter 10 Knoten gar nix geht, und erst so ab 15-18 der Spaß beginnt. Ob’s das frisch behandelte Unterwasserschiff ist, die Segel, die frisch gepflegt wurden, oder auch einfach nur dass es fast gar keine Wellen hat: Wir segeln, und zwar zügig. Ich stehe ein wenig am Steuer, übe mal wieder das Fahren nach dem Wind, dann übernimmt Frank und ich lege mich ab – die Nacht war kurz. Als ich wieder aufwache, sitzt Frank entspannt im Cockpit, nicht mehr in der Nähe des Steuerrads. Das ist mittschiffs festgeklemmt, die Segel sind optimal eingestellt, und die SEESTERN fährt einfach – wir hatten zwar schon öfters gehört, dass das der Vorteil einer Ketch wäre, dass man mit dem Besansegel das Schiff super stabilisieren könne, aber diesmal funktionierts wirklich. Auch als Frank unter Deck geht, um eine Mütze Schlaf nachzuholen, läuft’s weiter. Ich sitze tatenlos daneben, und die Logge zeigt weiterhin zwischen 6 und 7 Knoten Fahrt. So wird der Tag nicht sehr anspruchsvoll, aber entspannend bis dort hinaus. Erst vier Meilen vor Valetta dreht jemand den Wind ab (es ist 17:00, die Vorhersage hatte hier 15 Knoten Wind vorgesehen), und wir fahren mit einer Unmenge anderer Boote in den Hafen von Marsamxett ein. Offensichtlich war der Montag ein Feiertag, und es trieb die ganzen Maltesen auf’s Wasser. Und was da alles schwimmt – wir kommen uns plötzlich eher ärmlich vor, so wie wenn man vom Land kommt, wo der alte Benz noch was hermacht, und damit dann auf der Maximilianstraße Eindruck schinden will. Die Marina di Valetta liegt am Ende des Hafens und ist gut windstill geschützt. Nach dem Anlegen brauchen wir also sofort eine Dusche, und dann machen wir uns auf in die Stadt.
Man sollte sich übrigens nicht davon täuschen lassen, dass Valetta mit all ihren Festungen recht solide aussieht – es täuscht wirklich. Wie viele Hafenstädte ist auch diese Stadt sehr wackelig, und schwankt unaufhörlich. Beim Essen sinnieren Frank und ich dann über „die teuerste Art, kostenlos von A nach B zu kommen“. Wir haben heute kaum Diesel verbraucht, müssen nichts für ein Hotelzimmer zahlen; eigentlich eine günstige Art, Urlaub zu machen. Gut, wir wollen jetzt mal nichts darüber sagen, was diese Pfütze von Liegeplatz kostet (vielleich auch selber schuld, die dem Stadtzentrum am nächsten gelegene Marina zu wählen), und auch was das Schiff an sich kostet … wir sind im Urlaub!
Mal ein paar Fotos
Marzamemi V3.0
Mittlerweile ist es fast dunkel. In Schleichfahrt tuckern wir rückwärts in die Parklücke. Die Herausforderung diesmal: die Lücke ist etwas enger, an Backbord die Josephine, eine Beneteau, und an Steuerbord eine 47 Jahre alte Swan. Der Marinero hat schon die Muring eingesammelt, und will sie Frank geben (Leine von einem fetten Betonklotz im Hafenbecken, womit man das Schiff quasi vom Steg wegzieht. Die Murings liegen die ganze Zeit im Hafenbecken, und sind deshalb nach einiger Zeit besonders lecker anzufassen). Das ist üblich, macht einem aber ein wenig das Schul-Anlege-Manöver kaputt, bei dem man erst die Heckleinen festmacht, und dann einfach den Gang vorwärts einlegt, um sich vom Steg wegzuhalten. Und nun ist Frank auf dem Vorschiff mit der Muring beschäftigt, und kann natürlich nicht hinten helfen. Wir vereinbaren in der Nachbesprechung eine klarere Kommunikation bezüglich der notwendigen Länge der Muring. Ich muss am Steuer bleiben, da man nur hier mit Gas geben usw. das Schiff irgendwie im Griff hat. Immerhin sind die Marineros zu zweit und helfen aktiv mit. Wir kennen Sie ja auch schon vom vorherigen Anlegemanöver. Am Ende geschafft, Anleger V3.0 wird mit einem Bier zelebriert.
Tatsächlich sind wir schon vor über einer Stunde in den Hafen von Marzamemi eingelaufen. Ich hatte die Marina von aus Siracusa angerufen, sie hatten uns einen Platz zugesagt, „meldet Euch einfach auf Kanal 6 wenn Ihr da seid“. Die letzten zwei Stunden der Fahrt hierher waren etwas anstrengender. Kein Wind, aber bestimmt vier Meter hohe Dünung von dem Sturm der aktuell im Ionischem Meer tobt, und die Dünung direkt von der Seite. Nicht gefährlich, aber das Schiff schaukelt kräftigst nach links und rechts, und unter Deck fliegt alles umeinander. Ob wir’s nochmal lernen? Egal, wenn beim Ablegen kein Wind und keine Welle angesagt ist, sollten wir das Schiff hochseetauglich aufräumen, anstatt einer Packung Cocktail-Tomaten hinterherzujagen, die auf dem Boden hin- und her kullern. Auf den großen Wellen surfen wir in Richtung Hafeneinfahrt. Mir geht durch den Kopf, dass es ab und an so Horrorgeschichten gibt, von Booten die gerade in so einem Moment einen Motoraussetzer hatten, und dann wenig heldenhaft an den Wellenbrechern des Hafens havariert sind. Unser Motor hält durch, wir fahren mit Vollstoff in den Hafen und bremsen dort ähnlich heftig. Jetzt erst einmal ein paar Kringel im Hafen, damit Frank das Schiff für’s Anlegen vorbereiten kann. Fender aushängen, Leinen bereitlegen, ich funke derweil auf Kanal sechs. Von verschiedenen Stegen winken mir zwei Leute zu, wir klären, dass ich mit dem im roten Hemd funke. Wir tuckern zu dem Liegeplatz, ganz am Ende vom Steg. Eigentlich nicht AM Ende, sondern noch weiter draußen. Am Ende liegen wir mit einer Querleine schräg zum Steg, an Murings die für ein viel kleineres Schiff gedacht sind. Das ist ja Kacke hier. Um an Land zu kommen, müssen wir über die Nussschale neben uns krabbeln, und dann über deren Gangway an den Steg. Rothemd beruhigt uns – bald wir ein besserer Platz frei. Frank traut dem Braten nicht, lässt sich den besseren Platz zeigen. Der wäre vom Regen in die Traufe. Rothemd, der fließend italienisch spricht, entschuldigt sich, verrückter Tag heute, drei Schiffe kamen ohne Reservierung, aber wir hätten ja schon gesprochen, dafür special price. Am Ende hätten wir dort wohl kostenlos liegen bleiben können. Aber, da hätten wir wohl nicht ruhig geschlafen. Außerdem – und das hatte ich bei meinem Anruf nicht realisiert, in dem Hafenbecken gibt es drei konkurrierende Marinas. Wir telefonieren fix mit der zweiten, die Frank schon von Mailkontakt her kennt. Ja, die haben Platz, sie hätten uns ja auch beim Einlaufen zugewinkt, das war der Kollege im schwarzen T-Shirt. Wir verabschieden uns von Liegeplatz V1.0, Rothemd entschuldigt sich wieder, drei Schiffe ohne Reservierung, verrückter Tag, molto sorry. Warum, wenn sie am Ende tatsächlich auf die Liegegebühr verzichtet hätten, sie uns nicht einfach gleich an die andere Marina vermittelt haben, erschließt sich mir nicht. Wir legen wieder ab, und suchen die nächste Parklücke auf. Die ist am Steg für Superyachten, zumindest größere als unsere. Auf der einen Seite ein schwarzes Monster, der seine Fender so hoch aufgehängt hat, dass sie ungefähr in Kopfhöhe sind, wenn wir daneben auf Deck stehen. Ihren Zweck, Kontakt zwischen unser beider Schiffe zu vermeiden, erfüllen sie jedenfalls nicht. Ich hab mächtig Schiss, mit unseren Solarpanelen einen Kratzer in den schwarzen Lack zu machen. Am Ende liegen wir, halbwegs. Leider ist die Muring zu kurz, oder eher unser Boot. Mit dem letzten Zipfel der Muring sind wir vorne Fest, die Lücke hinten zum Steg bleibt recht weit. Die Marineros fragen, ob’s nur heute Nacht wäre? Nein, doch eher zwei. Hmmm, vielleicht fahrt Ihr dann besser doch in unsere Lücke am Steg dort hinten. Langsam wird’s Routine. Bevor wir das Anlegebier auspacken, duscht Frank sich mitsamt Klamotten ab, auf denen der Schlick von mittlerweile sechs Murings verteilt ist.
Was ist sonst passiert? Wir haben in Siracusa – bis wir den Mietwagen abgeben müssen – noch versucht, eine Gasflasche zu organisieren, deutlich komplizierter als man es meinen würde, und am Ende sind wir erfolglos. Viel von der Stadt gesehen, aber kein Gas. Dafür haben wir den Markt von Siracusa gefunden. Wir segeln nach Süden, wollen, dass Luisa ein paar Fotos der segelnden Seestern macht. Das funktioniert nicht so gut, statt dessen ankern wir vor dem Stadtstrand und Luisa und Janina schwimmen zu uns raus. Eine Cola Zero für die Mädels zum Abschied, ein paar Runden ums Schiff schwimmen, dann verabschieden wir uns, wir müssen ja noch das Anlegen üben.
Kein Ragu in Ragusa
Es regnet in Strömen. Katzen und Hunde, wie die Engländer sagen würden. Auf den Straßen Siziliens sind tiefe Pfützen, aus dem Kanaldeckel an der Marina in Siracusa quillt das Wasser wie ein kleiner Geysir 50cm nach oben. Es regnet für uns seit ca. 18:00, da haben wir das Weingut Planeta in der Nähe von Avola verlassen. Wir, das sind seit Dienstagmittag Luisa, Janina, Frank und ich. Janina und Luisa werden noch eine gute Woche in Sizilien verbringen, ganz schnöde an Land. So wie Janina in den 10 Minuten auf unserem gut vertäutem Boot reagiert hat, vielleicht auch ganz gut so. Wir haben uns ein Auto gemietet, und sie am Dienstag vom Flughafen in Catania abgeholt. Insgesamt haben wir 48 Stunden einen rollenden Untersatz, und den nutzen wir jetzt aus. Wir sind ein wenig am Etna rumgekurvt, haben lokale Spezialitäten gekostet, Kultur (alte Steine) angesehen, und waren einkaufen, Wein und andere weniger wichtige Dinge. Eigentlich ganz angenehm, dass es nicht mehr so heiß ist, aber den ganzen Regen hätte es nicht gebraucht.
Es hat ja gut gepasst – auch wenn ich mittlerweile überzeugt bin, dass es Janina aus eigener Kraft nach Avola geschafft hätte – so konnten wir die Gentlemen spielen und dabei die Insel erkunden. Nach einem direkten Preisvergleich dreier Autovermieter (zu Fuß, ohne Internet) haben wir einen Opel Corsa bekommen, 50€ am Tag inklusiv der No-worries-Versicherung. Die Vermiet-Frau grinst, als wir die 50 Kratzer an dem schon 100.000 km gelaufenen Auto dokumentieren wollen: Don’t worry, you’re insured anyway, it doesn’t matter if there are 51 scratches afterwards. In einem Einkaufszentrum neben dem Flughafen von Catania organisieren wir eine unlimited-Internet SIM Karte, holen die Dame vom Flughafen ab, und fahren in die Innenstadt von Catania um dort die „besten Arancini der Insel“ zu kaufen. Ich freue mich über die Vollkasko Versicherung und kann richtig italienisch durch die Stadt kurven. Arancini sind fritierte Reisbällchen, nein BÄLLE, mit ordentlich geschmolzenem Käse und anderen Geschmäckern drin. Zwei pro Person einzuplanen war echt übertrieben; es sind immer noch welche im Kühlschrank. Dann weiter an die Hänge des Etna; leider ist die Sicht nicht mehr so gut, deswegen können wir zwar feststellen, dass es wohl beeindruckend ist, aber ob die Fotos ähnliches sagen? Am Ende müssen wir uns beeilen, wer mich kennt, kann sich vorstellen wie schlimm es für mich ist, Bergstraßen zügig zu fahren 😉
Der Grund für unsere Eile sind alte Steine in Siracusa – das griechische und römischen Theater. Wir schaffen es gerade noch so, dass wir 45 Minuten haben, die Ruinen zu besichtigen. Hier wiehert der Amtsschimmel: offiziell gilt das Gelände als Museum, im Museum ist Maskenpflicht, also müssen auch wir… Eigentlich hasse ich ja solche Deppen, aber hier tragen auch wir die Masken eher als Kinnschutz. Da wir bei der Besichtigung den Hocheffizienzmodus eingeschaltet haben, sind wir sogar nach 30 Minuten fertig. Coronabedingt ist eine klare Einbahnregel abgeschnürt, viele der Nebenwege nicht zugänglich. So kann ich auf der Bühne des griechischen Theaters keinen Text deklamieren. In Messini bei Kalamata ging das noch; da ich in den griechischen Klassikern nicht so firm bin, habe ich dort Teile von Loriots Adventsgedicht aufgesagt. Dann waren wir noch etwas essen in Siracusa, und danach habe ich Luisa und Janina in ihre Ferienwohnung in Avola gebracht, ca 3o Minuten südlich von Siracusa. Für den nächsten Tag haben wir einen ‚Mini-Führung‘ im Weingut COS organisiert.
Stephan und ich haben den Cerasuelo de Vittoria vom Weingut C.O.S. vor über 10 Jahren kennengelernt. Wir waren in der Pfalz mal so richtig schlemmen, und der Sommelier hatte diesen Wein empfohlen. Klar, die Erinnerung schreibt mit goldener Feder, aber damals hätte ich geschworen, dass dieses der beste Rotwein ever (in meinen Preisregionen) war. Ich wollte schon immer dorthin. Gesagt, getan. Leider haben sie an dem Mittwoch schon eine größere Gruppe angenommen, aber wir möglichst früh kommen, können sie noch was einschieben. Wir stehen als um kurz vor sieben auf, holen um acht die Mädels ab, und sind nach zwei Stunden auf dem Weingut. Nicht unglaublich beeindruckend. Ein paar kleinere Häuschen in the middle of nowhere. Unser Guide nimmt uns freundlich in Empfang, läuft fix mit uns zu den Reben, erklärt Region, Terroir, Wetter und deren Philosophie. Dann ein schneller Blick in den Amphorenkeller (Ein Teil der Weine wird in Amphoren statt in Fässern ausgebaut), Weinkeller, und dann ab zum Tasting. 20 Euro pro Person kostet der Spaß, keine Anrechnung auf späteren Kauf, und so wirklich billig sind die Weine auch nicht. Um etwas fair zu sein, sie haben uns wirklich eingeschoben, da wir das Auto nur noch an dem Tag hatten. Aber dennoch – 20 Euro für fünf Pfützen Wein im Glas – schon etwas arrogant. Wir errinern uns an eine andere Weinführung hier in Sizilien, beim Weingut Planeta… war da nicht auch irgendwo hier ein Schild? Wir finden heraus, dass wir am späten Nachmittag noch in deren Dependance an der Ostküste begrüßt werden würden.
Auf dem Weg dorthin zurück liegt die Stadt Ragusa, erbaut beiderseits einer tiefen Schlucht. Wichtiger Tourismus-Magnet in diesem Teil Siziliens. Natürlich sind wir nicht so blöd, die Touristenfallen am Domplatz zu besuchen. Trip-Advisor wird uns schon den richtigen Weg weisen. Leider geht das nicht so glatt. Die Orientierung erschwert durch schlechten GPS Empfang in engen Gassen, und das Schlaukasterl berücksichtigt auch nicht, welche Läden aufgrund von Corona nur eingeschränkt Betrieb haben. Wir irren länger durch die Stadt, es beginnt zu regnen, die Mädels werden hangry (ein wunderschönes Portmanteau aus hungry und angry), und wir eilen zum Auto zurück. Eine teuflische Einbahnstraßenregelung kostet uns weitere 15 Minuten, und als wir endlich ein Lokal finden, ist es etwas zu kalt, das Essen zwar schön präsentiert aber geschmacklich eher wenig raffiniert. Wenn selbst mein Humor nicht hilft, Luisa aufzuheitern – Ihr könnt Euch vorstellen, wir kritisch die Situation war. Etwas besser wird’s beim Weingut Planeta. Auch hier sind wir eher ‚eingeschoben‘, aber der Verkäufer erzählt bereitwillig über die Weine, und macht einige Flaschen auf, die uns interessieren. Frank und ich decken uns für die nächste Etappe der Reise ein.
Mittlerweile haben sich meine Eindrücke über Sizilien verfestigt – wie Irland vor dreißig Jahren, nur dass die Vegetation viel mehr nach Dürre aussieht. Überall stehen verlassene Gebäude in verschiedenen Verfalls-Zuständen, auch an bewohnten Gebäuden bröckelt der Putz gewaltig. Teilweise fühlen wir uns an Havanna erinnert. Das Straßennetzt ist … interessant. Vielleicht liegt es auch an einer etwas eigenwilligen Google-AI, aber unser Weg scheint völlig chaotisch. Wenig Hauptverkehrsstrßen, die von Zubringern gespeist werden. Unser Weg führt uns über alle möglichen Straßen, auch diese in sehr unterschiedlichen Erhaltungszusänden. Also große Straße, plötzlich dort in diesen Feldweg einbiegen, fünf Kilometer hier, dann rechts auf die vierspurige Straße, dann ein Kreisverkehr, mehrere Links-Recht Schikanen in der nächsten Ortschaft, und weiter gehts. Häufig wird die Straße von Natursteinmauern eingegrenzt. Als es am Abend noch windig wird, und anfängt zu regnen, fühle ich mich endgültig in einem dürren Irland.
Am Ende machen wir noch den Lidl-Chauffeur für die beiden Damen, bringen sie nach Hause, und machen uns auf den Weg zurück zum Schiff. Es schüttet. Wir tragen nur das notwendigste zum Schiff. Mit dabei – zwei Ladungen gewaschene Wäsche (die FeWo hatte eine Maschine), leider noch recht feucht. Wir verwandeln unseren Salon in einen Trockenkeller, und da wir Landstrom haben, lassen wir den Heizlüfter laufen.
Wir erfahren, dass sich auf dem Seegebiet, wo wir vor vier Tagen bei Flaute nach Sizilien gedampft sind, aktuell ein heftiger Sturm zusammenbraut (wer das aktuell liest: bei www. windfinder.com ansehen), mit angesagten Winden von 160km/h, der sich nun nach Griechenland bewegt. Vielleicht haben wir Glück gehabt, und die Seestern gerade rechtzeitig vor der Zerstörung im Hafen von Kalamata gerettet?
Mittlerweile hat es aufgehört zu regnen, die Wäsche ist erheblich trockener, ich habe das Boot noch etwas festgezurrt, und deshalb kommt der Blog jetzt in Netz, und ich in die Kiste.
Wir lagen vor Madagaskar Siracusa
Wir lagen vor Madagaskar Siracusa und hatten die Pest den Corona-Verdacht an Bord. Die Bürokratie, besonders wegen Covid-19, wird die Reise noch spannend machen. Eigentlich verlangt Italien bei der Einreise aus Griechenland einen negativen Test, der weniger als 72 Stunden alt ist. Doof für uns, denn wir sind halt ungefähr 72 Stunden unterwegs. Frank hat aber in Erfahrung bringen können, dass die Besatzung von Schiffen von gewissen Regeln ausgenommen sein kann, die Italien erlassen hat. So sind die ja öfters länger unterwegs. Alternativ kann der Schiffsarzt auch regelmäßig bei der Besatzung Fieber messen, dieses ordentlich dokumentieren, und das gilt dann auch. Gesagt, getan, wir messen täglich Fieber und tragen unsere Werte in Dokumente ein. Luisa taugt von uns allen am besten als kaltblütige Mörderin (jedenfalls von der Körpertemperatur). Die Unterlagen schicken wir dann an die Sanitätsbehörde irgendwo in Sizilien, und die erlaubt, dass wir an Land gehen. Easy.
Dennoch liegen wir 36 Stunden in dem großen Naturhafen von Syracuse vor Anker und warten auf die Freigabe. Unser Schicksal teilen wir mit sechs anderen Schiffen: Fünf Segelschiffen und der 270 Meter langen Norwegian Spirit, einem bunt beleuchteten Kreuzfahrtschiff was seit fünf Tagen hier vor Anker liegt. Nachts sieht man die Besatzung auf einer riesigen Leinwand Fußball gucken. Wahrscheinlich ist deren Covid-Problem halt ein anderes, nämlich Arbeitslosigkeit. Auf Marine Traffic kann man sehen, dass sie vorher in Augusta war, dem größten Erdölhafen in Italien. Wenigstens billig tanken. An der Pier liegt ihr Schwesterschiff, die Norwegian Dawn, und auch die scheint nicht besonders beschäftigt. Seitdem wir in Funkreichweite der Küste sind unterhalten wir uns mit dem „Siracusa Harbour Control“. Erst will er uns gar nicht im Hafen haben. Warum, das geht im Rauschen unter. Eine Stunde später versuchen wir’s nochmal, mit neuer Strategie: wir wurden schließlich angewiesen, in den Hafen zu kommen, und uns dort zu melden. Emails müssten auch vorliegen. Man spürt es, auf der anderen Seite der Funkverbindung rascheln die Papiere. Na gut, kommt in den Hafen, und ankert in Zone „B (Bravo)“ – die ist in unseren Unterlagen aber nicht eingezeichnet. Er erklärt eher unseemännisch „links neben der Norwegian Spirit, bei den anderen Seglern“. Wir prüfen die AIS Signale im Hafen – ja da ist eine „Norwegian Spirit“, Passagierschiff mit 270 Metern. Gut, wenn man’s weiß, kann man das Trumm nicht übersehen, aber von weiten hätte es auch ein Hotelkomplex sein können. Also werfen wir unseren Anker zwischen die anderen Boote, und machen erstmal einen Wein auf. Sonntag früh hoffen wir auf Nachricht. Von alleine kommt am Morgen keine Nachricht. Am Nachmittag probieren wir’s wieder mit Mobiltelefonen, bekommen einen neuen Dottore in Sanitätsbehörde genannt, der nur italienisch kann. Mit Whatsapp und Google Translate erklären wir unser Problem. Er wird sich sofort kümmern. Nach zwei Stunden versuchen wir ihn nochmal anzurufen, erreichen aber niemanden. Immerhin kommt schnell eine Nachricht „Ihre Akte wird bearbeitet“, kurz darauf eine zweite, in dem man sich für die Verzögerung entschuldigt. Es wird Abend, es kommt kein erlösendes e-mail. Gut, hoffen wir mal auf Montagmorgen. Überraschenderweise ist das Wetter angenehm kühl, tatsächlich gewittert es den ganzen Sonntag.
Am Montagmorgen – die Nummer der deutschen Botschaft ist schon rausgesucht – rufen wir nochmal beim Harbour-Master an. Ja, kein Problem, fahrt in die Marina, und meldet Euch da. Es ist zwar noch nicht klar, ob alles OK ist, aber immerhin schonmal an Land wäre ja ein Fortschritt. Also ab in die Marina, in die hinterste Parklücke eingewiesen und nicht gaaaaanz souverän eingeparkt, aber wir sind da. Frank nimmt alle Papiere und meldet sich bei der Rezeption. Die versteht wenig Englisch, und unser Problem sowieso nicht. Wir reden nochmal mit dem Hafenmeister, lassen uns bestätigen, dass wir uns nun frei bewegen können, drei Zeugen, OK, jetzt reichts. Vielleicht hätte es noch ein Dokument gegeben, aber wir geben auf und gehen in die Stadt, die erste Pizza und Vino auf italienischem Boden.
Insgesamt waren wir nun ungefähr 60 Stunden von Kalamata unterwegs, auf unserem Dampfer. Am Samstagmorgen haben wir die Flaute genutzt, und 70 Seemeilen von Land entfernt Pause gemacht. Badespaß und gute Laune. Irgendwie ein komisches Gefühl, wirklich mutterseelenalleine im Meer ins Wasser zu springen. Wie tief ist es dort? 1000 Meter? Ich verzichte darauf, auf den Boden des Schwimmbeckens zu tauchen. Das Wasser ist warm und unglaublich klar. Mal sehen ob man die Situation auf Fotos irgenwie erahnen kann.
Am Nachmittag konnten wir ungefähr zwei Stunden Segeln. Zwar nur halb so schnell wie unter Motor, aber immerhin kann Luisa nur bestätigen, dass wir ein Segelboot haben, und nicht nur ein Motorboot mit Masten. Etwas später am Nachmittag wurde es dann auch nochmal etwas spannender. Bei bestem Wetter fahren wir auf eine Wolkenwand zu. Wir sehen eine Windhose, die aus den Wolken nach unten geht. Sie verschwindet, eine weitere bildet sich, es blitzt ein wenig, es donnert. Langsam realisieren wir, dass das nicht etwas über dem sizilianischen Festland ist, was uns nichts angeht. Wir schalten unser Radar ein, wir fahren auf zwei Gewitterzellen zu, ca. 3 Seemeilen entfernt. Blitz. Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig… Wie war das mit den Sekunden? 300 Meter in der Sekunde, also ist das Gewitter jetzt noch zweieinhalb Kilometer weg. Noch stehen wir im Cockpit, halten uns an den Wanten und Stagen fest. Die zu zählenden Sekunden werden weniger, wir gehen von den Metallteilen weg, und setzen uns unter unsere Sprayhood. Einmal kommen wir nicht einmal bis dreiundzwanzig. Der Donner kommt dann nicht nur schnell, er ist auch ziemlich laut. Vielleicht das nächste Mal so eine Gewitterzelle etwas aktiver umfahren, gerade weil man sie auf dem Radar vortrefflich sehen kann. Das nennt sich wohl Erfahrung.
Jetzt wollen wir mal sehen, ob’s in Syracuse ein vernünftigen Cocktail gibt. Morgen kommt eine Freundin von Luisa, die beiden machen dann auf eigene Faust Sizilien unsicher, und wir sehen mal, wie viel Nerv uns Corona noch kosten wird.
Social Distancing
Social Distancing ist das Gebot der Stunde. Mindestabstände schützen, das wird einem ja immer eingebleut. Wenn das so, ist – machen wir. Der nächste Haushalt ist aktuell ca. 50 Seemeilen entfernt, und heißt Symphony Spirit. Die Symphony Spirit ist ein 130 Meter langer Frachter, und das aufregendste an meiner Wache. Um Mitternacht hat mich Frank geweckt, jetzt bin ich dran. Unser Kartenplotter zeigt ja andere Schiffe mit AIS an, und dieser ist direkt auf unserer gesteckten Route. Route ist vielleicht etwas hoch gegriffen. Wir fahren einfach nach Westen, auf Sizilien zu. Wir sind endlich unterwegs! Zwar doch mit einem Tag Verspätung, und dann nochmal mit sechs Stunden. Aus der Marina Kalamata, die uns nun doch fast zwei Jahre eine Art zweite Heimat war, mit Kurs nach Süden, um den westlichsten Finger des Peleponnes herum, dann gerade nach Syracuse. Ca 72 Stunden, das meiste über’s offene Meer. Bibber. Leider spielt der Wind nicht wirklich mit. Die Seestern bewegt sich erst richtig ab 10 Knoten Wind, und aktuell haben wir ungefähr sieben. Und die noch aus der völlig falschen Richtung. Gut dass wir vollgetankt haben. Fast 400 Liter Diesel müssten für 100 Stunden reichen, wir kämen also auch ganz ohne Wind aus, um nach Sizilien zu kommen. Natürlich würden wir lieber Segeln, aber unter Motor fahren hat auch Vorteile – Die Lichtmaschine erzeugt konstant Strom, und so schaltet man einfach den Autopilot an, und lässt das Schiffe alleine 275 Grad steuern. So beschränkt sich die Wache darauf, in regelmäßigen Abständen nach neuen AIS Kontakten zu gucken, und eine Rundumblick zu machen, falls da draußen Schiffe unterwegs sind, die kein AIS haben. Immerhin kam uns heute eines entgegen, eine andere Segelyacht unter Motor auf dem Weg nach Griechenland. Also wahrscheinlich eine Segelyacht. Wie im Lehrbuch sah ich nur ein grünes Licht, und darüber das weiße ‚Dampferlicht‘. Die Symphony Spirit ist mittlerweile so nah gekommen, wie sie uns kommen wird. Es waren am Ende doch vier Seemeilen Abstand. Also keine Maskenpflicht.
Auf der Nachtwache, mitten auf dem Meer, ist der Sternenhimmel ein Erlebnis. So klar habe ich die Milchstraße selten gesehen. Dann ist allerdings der Mond aufgegangen, ein irrwitziges Stück Apfelsine direkt überm Horizont. Auf seiner Reise nach oben verliert sich die orangene Farbe, jetzt einfach einer halber Mond hinter dem Schiff. Leider hat sich’s damit mit der Milchstraße erledigt.
So – zweite Nachwache, am Samstagmorgen. Es ist vier Uhr morgens, jedenfalls wäre es das noch in Griechenland. Mittlerweile sind wir näher an Italien, also eigentlich drei. Ich muss leider zugeben: wir sind gar nicht Segeln. Der Wind hat noch weiter abgenommen, besteht eigentlich nur noch aus Motor-Fahrtwind. Dass er auf den Instrumenten ab und zu in die Höhe schnellt, liegt eher an den Wellen – das Windrädchen ist an der Mastspitze montiert, wenn eine Welle (Dünung, also Wellen von vergangenem Wind) das Schiff zur Seite legt, wandert die Mastspitze aus, und so zeigt es kurz mehr Wind an. Allerdings hat die Dünung auch deutlich nachgelassen; kein Wunder bei dem (kein) Wind. Gestern musste ich den Laptop noch festhalten, auf dem Tisch, und habe ihn vor meinem Rundumblick quasi ‚aufgeräumt‘, heute nacht kann er auf sich selber aufpassen. Auch der Schiffsverkehr ist weniger geworden. Frank hat mir bei der Wachübergabe ein Phantomschiff auf der Backbordseite übergeben, Phantom weil dessen AIS Signal immer wieder an und aus geht. Gut, vielleich geht’s mit unserem genauso – mit zerknirschten Zähnen haben wir festgestellt, dass es wohl irgendwo an der Antenne einen Wackelkontakt gab, und mein viel beworbenes Marinetraffic.com uns weiter im Hafen von Kalamata gezeigt hat, obwohl wir schon an der Südespitze des Peleponnes waren. My apologies. Auch der Rundumblick auf der Suche nach Schiffen ohne AIS ergibt nichts. Das war auch schon den ganzen Tag so. Man sieht nichts, außer dem Meer. Da hilft auch kein gutes Fernglas. Immerhin, so habe ich schon 20 Minuten nach Beginn meiner Schicht den Laptop rausgeholt, und kann mal ein paar Zeilen schreiben.
Wie sieht die Nachtwache aus: Wir haben einen Schichtplan aufgestellt, für drei Schichten. Dabei hat jeder von uns entweder Freiwache, Bereitschaft, oder Wache. Im wesentlichen immer Vier-Stunden-Schichten, mit zwei verkürzten Schichten am Nachmittag, damit nicht immer die gleiche Person die gleiche Schicht hat. Nach den Erfahrungen bisher (totale Übermüdung) lag der Fokus darauf, dass die Freiwache mindestens sechs zusammenhängende Stunden hat, also Zeit wirklich schlafen zu gehen. Gut, das kann auch mal von 12 Uhr mittags bis 18:00 sein, aber so ist es halt. Aktuell ist allerdings auch die Bereitschaftswache mit tiefen Schlaf verbunden; es ist unwahrscheinlich dass ich Hilfe brauchen werde, dem Schiff beim geradeaus fahren zuzugucken. Nur etwas spooky bleibt es, wie alleine man hier ist. Würde man jetzt über Bord gehen, würde das keiner merken, und damit würde es wohl den sicheren Tod bedeuten, die 100 Seemeilen nach Syracuse wird keiner von uns schwimmen. Wir haben uns deshalb auf Sicherheitsmaßnamen festgelegt: Nachts wird ab Niedergang (die Haustür des Schiffes) Rettungsweste getragen. Damit ist das zu suchende Ziel nicht nur ein Kopf, sondern ein grell oranger Kragen mit reflektierenden Streifen, und das Opfer schwimmt länger. An den Automatikwesten (blasen sich erst nach Kontakt mit Wasser auf, und sind somt nicht ganz so nervig zu tragen) tragen wir meist einen Lifebelt (einen Gurt mit Karabinern) mit dem man sich am Schiff einpicken kann, der ist auch eingehängt weil er nun schonmal da ist. Auch an meiner Weste hängt mein Geburtstagsgeshenk vom letzten Jahr, ein Mann-über-Bord Peilsender der bei Kontakt mit Wasser meine Position funkt. Wobei mir gerade bei den jetzigen Bedingungen wirklich die Phantasie fehlt, wie man aus unserem Mittelcockpit rausfallen könnte – so als hätte man nicht nur Angst, nachts aus dem Bett zu fallen, sondern auch noch aus dem Schlafzimmer. Aber so wird’s zur Routine, und bei schwererem Wetter macht das schon Sinn. Wir haben auch festgelegt, dass man das Cockpit nicht verlässt, ohne dass jemand Bescheid weiß – auf dem Deck wird nicht unbeobachtet rumgekrabbelt. Wie Ihr seht – wir verfolgen die beliebte Enge Hose & Gürtel & Hosenträger-Strategie.
Wie geht’s dem Schiff?
⦁ Der Motor schnurrt, läuft jetzt seit 43 Stunden ununterbrochen. Die Tankanzeige bewegt sich kaum. Leider liegt das wohl nicht an der Sparsamkeit des Motors, sondern eher an einer falschen Kalibrierung. Immerhin wissen wir nach diesem Trip, wieviel der Motor wirklich in der Stunde verbraucht. Als Faustwert nehmen wir fünf Liter, im Internet habe ich mal 3,7 Liter bei den aktuell anliegenden 1800 Umdrehungen gefunden, aber das müsste auch vom Schiff abhängen.
⦁ Unser AIS meldet ab und zu einen Fehler im Steh-Wellen-Verhältnis bei der Antenne. Wahrscheinlich durch ein Wackelkontakt in einem der Stecker ist die Antenne nicht mehr auf den Sender abgestimmt. Frank freut sich schon, dem Fehler nachzugehen.
⦁ Die erste Gasflasche ist leer. Leider ist uns das gestern erst aufgefallen, als wir kochen wollten, da war wir schon auf schaukeliger See waren, und es wurde dunkel. Leider hat die Ersatzflasche einen anderen Anschluss, also mussten wir heute erst einmal den Regler provisorisch umbauen. In einem weiteren Schritt kommt an das System noch ein elektrischer Gasabschalter dazu, mit dem man die Flasche von der Küche aus trennen kann.
⦁ Wir haben in Kalamata unsere mechanische Windsteueranlage montiert, und erstmals ausprobiert, die ohne Strom das Schiff nach dem Wind steuern können soll. Leider funktioniert sie halt nur mit Wind, und nicht wenn der Propeller das Schiff antreibt und das Wasser am Heck verwirbelt.
Aber sonst ist das Schiff bereit, auch wenn die Länge der to-do Liste das nicht sofort erkennen lässt. Wir sind ja am Montagmorgen in München losgefahren, Luisa (Franks Nichte), Frank und ich. Jeder mit 20kg Gepäck, und Handgepäck, was schon über dem Limit war. Mit dabei so spannende Sachen wie eine Waschtischarmatur für das hintere Bad, größere Mengen an Medikamenten und anderem medizinischem Material, und am Ende noch ein Drucker, wegen der Bürokratie und der Notwendigkeit dafür Dokumente auszudrucken. Mehr dazu später.
Also wir in Kalamata ankamen, war der neue Sonnenschutz des Segelmachers bereits auf dem Schiff montiert, eine weitere Korrektur der Befestigung der Gangway war durchgeführt. Nur vom Polsterer haben noch ein paar Restthemen gefehlt. Wir hatten per DHL insgesamt fast 70 kilo in drei Paketen nach Kalamata geschickt, die letzten beiden am 28. August. Leider war am 7.9. erst eines angekommen. Wir hatten uns einen Mietwagen genommen, konnte also nochmal kräftig den Lidl plündern, haben Wasser und Diesel aufgefüllt. Leider noch immer zu warm, als dass man richtig arbeiten konnte (Lust dazu hatte). Unser Plan war es eigentlich, schon am Mittwoch abzulegen, aber als am Dienstag das DHL Tracking gerade einmal meldete, dass das letzte Paket „in Griechenland“ angekommen sei, haben wir uns von dem Plan verabschiedet. So sind wir am Dienstag noch zu den Ruinen von Messini gefahren, etwas Kultur schadet ja auch nicht. Mit dem Polsterer bleiben wir in Kontakt – er soll noch Vorhänge für unsere Luken liefern (beim ersten Wurf hatte er Länge und Breite verwechselt), und Kissenbezüge, in denen wir unsere Bettdecken reintun könnten (aktuell braucht hier niemand eine Steppdecke, und als „Kissen“ kann man sie immerhin draußen rumliegen lassen. Er meint, er sollte alles bis Freitag fertig haben. Wir erklären ihm, dass wir am Mittwoch weg sind. Er schreibt „Will you take the boat with you???“. Am Ende hat es nicht geklappt. Vorhänge und Bezüge werden jetzt nach München geschickt. Insch’allah.
Überraschend kommt das letzte DHL Paket am Mittwoch morgen, und wir legen die Abfahrt für Donnerstagmorgen um sechs fest. Ganz schaffen wir das nicht, noch ein paar Last-Minute Besorgungen, unseren alten Staubsauger an unseren Mechaniker verschenken, zumindest noch die Muster Steppbettdecke vom Polsterer zurückbekommen, aber um 12 Uhr mittags werfen wir die Leinen los. Unser Segeljahr beginnt.
(Hinter dem Schiff beginnt es dem Morgen zu grauen, der Laptop beschwert sich über niedrigen Akkustand – damit wäre das wohl der erste Blogeintrag. Veröffentlichung in Sizilien geplant. Über die Bürokratie erzähle ich demnächst.)