Wir sind doch hier im Heimatland der Pizza, oder? Gut, das wäre Neapel, aber das ist von hier aus nicht sehr weit. Gestern hatten wir ja versucht, zwei Diavola zu bestellen. War dann Sardellen mit Zwiebeln. In der Annahme, dass ‚Diavola‘ eben nicht genormt ist, probieren wir’s heute mit Capriciosa – das waren doch Schinken, Pilze, Oliven und Artischocken, oder? Und dann noch ein weiterer Anlauf zu dem Wunsch von gestern: „per favore, una pizza con Salami Piccante i Pepperoni“. Der Marinero schaut mich verwirrt an, und fragt „Diavolo, si?“ Alles klar, sehr fein. Die Pizza kommt. Wieder gut, aber das was wir als Capriciosa vermuten hat keine Artischocken, dafür ein halber Wiener Würstchen; die Diavola ist irgendwie scharf, aber Salamischeiben sind nicht zu erkennen.
Lucretio – der gestern Nacht noch die Tüte mit den Leckerli geklaut hat – kommt wieder vorbei. Offensichtlich will er hauptsächlich spielen, bettelt nicht mal besonders nach Pizza. Wir bereiten ihm ein Schälchen mit verdünnter Milch zu, aber er springt zielstrebig auf unsere Sprayhood und verfolgt die krabbelnden Finger von unten. Es dauert lang, bis wir ihn für die Milch begeistern können. Interessanterweise ist das Gegrabbel nur interessant, solange es unter dem Stoff ist; er verfolgt den Schatten bis zur Kante, aber sobald erkennbar ein Finger dort auftaucht, wendet er sich ab. Nicht Angst, komplettes Desinteresse. Eben hat sich ein Fischer an der Hafenmauer neben den Boot niedergelassen. Bäh – wenn man das Hafenwasser sieht, was macht man dann mit einem Fisch den man darin fängt? Ihn zur Sondermülldeponie bringen? Egal. Der Fischer ist interessanter als wir, Lu geht gucken. Wahrscheinlich kommt er heute Nacht wieder, ich glaube auf unserer Sprayhood schläft sich’s gut.
Heute also ein altes Lied und ein neues als Titel – Heino und The Smiths. Wir sind wieder in Sizilien eingelaufen. Dachten diesmal, alles schlauer gemacht zu haben. Da wir eigentlich überzeugt sind, dass in Siracusa die ‚Genehmigung‘ eigentlich eher ein Aufgeben der Behörden war, oder das Versehen eines nicht ganz Eingeweihten, haben wir diesmal die Unterlagen mit Protokollierung der täglichen Fiebermessung mit dem Hinweis verschickt ‚wir gehen davon aus, dass wir nichts weiter unternehmen müssen, und an Land gehen können‘. Hat auch keiner widersprochen. Jaaa, der Marinero hatte auf italienisch was von Quarantäne erzählt, und ’stay on board‘, aber mein italienisch ist nicht so gut, und der wirkte jetzt auch eher wie der Leinenhelfer und nicht wie der Chef. Umso überraschter sind wir, als am nächsten Mittag zwei junge Admirale der italienischen Marine an unser Schiff kommen. Obwohl, ein Admiral hat wahrscheinlich mehr Lametta, aber blitzweiße Uniform, inklusive weißer Schuhe, sehr fancy. „Parli italiano?“ No, aber wir einigen uns auf BSE – bad simple english. Er erklärt uns „you cannot go to the city, sorry“. Wir erklären, dass wir alle Dokumenti geschickt haben, es damit auch in Siracusa ging, why problem now? Er zuckt mit Schultern, sorry, no Medico, aber hinterlässt eine Telefonnummer. In Marsala wollen wir Letizia treffen, eine Arbeitskollegin, die extra einen teuren Flug nach Sizilien gebucht hat, um kostenlos nach Sardinien mitzufahren. Eine Schweizerin aus dem Tessin, so kann sie Hoch-Italienisch. Wenn sich Leute hier untereinander unterhalten ist der Effekt für sie wahrscheinlich wie für einen ostfriesischer Fischer, der sich an einem schwäbischen Stammtisch niederlässt. Sie schafft es, jemand bei der Gesundheitsbehörde zu erreichen – Dottore Antonio Rigoletto (oder so ähnlich, aber das kann ich mir nicht merken). Offensichtlich gibt es ein neuen sizilianisches Gesetz, ab 30.9. gültig (angekommen sind wir am 28.9., diese Unterhaltung fand am 29. statt), das wieder etwas andere Formulare vorsieht. Er schickt ein paar davon per e-mail. Wirkt jetzt nicht so, als ob das Formular auf Sportboote zugeschnitten ist. Ein paar Schmankerl: – Hatten Sie bei der Reise überdurchschnittlich viele Krankheitsfälle? – Gab es bei Todesfällen (außer durch Unfall) Anzeichen von ungewöhnlichen Infektionen? Bitte Aufstellung beifügen. – Haben sie kranke Haustiere an Bord? – Was für Maßnahmen wurden gegen H1N1 Viren ergriffen? Am Ende füllen wir das Dokument aus, scheint einfacher als über die rechtliche Einordnung von etwas rückwirkend erlassenen Gesetzen zu diskutieren. Parallel reden wir mit der deutschen Botschaft – lassen wir unser Steuergeld mal für uns arbeiten. Update: Dottore Rigoletto hat ein Dokument geschickt mit ‚allowed free pratique‘. Nicht ganz sicher, ob das jetzt das endgültige ist, aber wir sehen schon mal zu, dass wir’s ausgedruckt bekommen. Wir tragen es dann ggf. wie eine Monstranz vor uns her, wenn wir in die Stadt gehen. Immerhin ist ein Wappen oben, und mehrere Stempel unten drauf. Zur Sicherheit fragen wir nochmal bei der Botschaft nach. Sie teilen uns fix per e-mail mit, dass sie mit Dr. Rigoletto gesprochen hatten, aber…
Bestellt waren zwei Pizza Diavola, von einem unbekannten Restaurant direkt ans Boot. Als der Pizzabote kam, gesellte sich auch sofort eine Katze dazu. Die Pizza riecht lecker. Findet auch die Katze. Als der Bote sie kurz auf die Hafenmauer stellt, um Wechselgeld herauszukramen sieht die rotbraune Katze ihre Chance, greift die Kartons an. Der Bote, der Marinero und ich zischen und scheuchen um die Wette, aber sie bleibt beharrlich. Ich rette die Pizzen auf unsere Solarpanele, welches mit beleidigtem Maunzen quittiert wird. Frank und ich setzen uns an unseren Cockpittisch und essen. Von der Hafenmauer miaut es wieder. Ob sie sich traut? Nach einigen Hemmungen erst ein Pfote auf die Gangway, dann zwei, dann ein langer Satz und sie steht auf unserem Deck. Miaut heftig. Ich hole uns Wein, und suche dabei ein paar Leckerlies für die Katze (ich hatte mal in Kalamata eine Tüte gekauft). Kurz unterbricht die Katze das Miauen, um ein paar Bröckerl runterzuschlingen. Frank und ich machen uns derweil an unsere Pizza. Diavola – ist das eigentlich genormt? Nun, entweder haben wir zwei falsche Pizzen bekommen, oder in Marsala ist die Pizza Diavola mit Zwiebeln und Sardellen. Trotzdem OK. Die Katze bekommt noch ein paar Leckerli. Wir versuchen dann, unsere Autorität dadurch zu behaupten, dass die Katze nicht ins Cockpit darf. Obwohl da Kissen sind, und weniger Wind. Leckerlies. Irgendwann setzt sich Frank an den PC, um den Kampf gegen die sizilianische Corona-Bürokratie weiterzuführen, und Lucretia (so haben wir sie genannt) erkundet das Schiff. Irgendwann springt sie auf unser Sprayhood (ein halbes Cabrioverdeck, welches das Cockpit vor Gischt von vorne schützt), und ich brauche für den Abend kein weiteres Entertainment. Wenn man im Cockpit steht, kann man locker über die Sprayhood gucken; ich raschel mit den Fingern von unten an dem Stoff. Lucretias Jagdinstinkt ist sofort geweckt. Adrenalingeladen verfolgt sie die Beule im Stoff. Dann kitzel ich sie durch den Stoff am Hinterlauf. Wie von der Tarantel gestochen fährt sie auf, wendet im Flug, und springt mit den Vorderpfoten auf die vermeintliche Beute. Die Beute macht sich aber wieder am Fuß hinten zu schaffen. Uns beiden wird nicht langweilig, ich probiere noch ein paar Varianten, ein Leuchtpunkt mit der Taschenlampe, mit zwei Händen gleichzeitig, Lucretia jagt Phantome – tollt wild umher, auch als ich gar nicht mehr kitzel. Dabei stelle ich auf fest, dass es wohl eher Lucretius ist. Zwischendrin ein bisserl raufen, und dann wieder kraulen und schnurren. Nach einer knappen Stunde reichts, Lucretius trollt sich wieder an Land. Frank ist mittlerweile mit seiner bösen Mail fertig, kommt noch auf ein Glas Wein oder zwei rauf. Als Lucretius wieder am Schiff vorbeiläuft, krabbel ich wieder an der Plane – diesmal lässt er sich nicht lange bitten. Nochmal das gleiche Spiel. Dabei entdeckt Lucretius auch noch die Plane, die wir als Sonnenschutz über das ganze Deck gespannt haben. Hier reichen schon Schatten und etwas Windgeruckel, und Lu tobt. Irgendwann sind wir müde, ich gebe ihm noch ein paar Leckerli, er beginnt schon zu gehen – aber nein, there’s unfinished business up there. Nach zehn wilden Hin- und Her-Attacken auf der Sonnenplane ist er erschöpft, atmet heftig. Er rollt sich auf der Plane zusammen, und ratzt weg. Irgendwann denken wir uns „ach mei“. Jetzt schläft Lu auf unseren Plane, und wir sind im Bett, ich schreibe Blog. Ich guck nochmal – ja, immer noch eine verdächtige Beule in der Plane.
Ich hatte ja überlegt, ob ich einfach den Text zu dem anderen „puh!“ Eintrag nachliefere. Aber so wird’s eigentlich klarer, und vielleicht wird der andere Beitrag mal von einem Kritiker entdeckt und wegen seiner „prägnante Emotion“ gelobt. „puh!“ habe ich auf dem Handy geschrieben, als der harte Teil der Nacht endlich vorbei war. Der Wind hatte nachgelassen (weil näher an der Küste, aber auch einfach weil ca. 3:00, und der heftigste Teil damit vorbei war), wir waren vom sizilianischen Mobilfunknetz abgedeckt, hatten die aktuelle Windprognose geprüft, und beschlossen, dass nun unter Motor weiter zu fahren eine sinnvolle Lösung war, und nicht einfach die feige. Was war ich dann beruhigt. Nicht dass die Nacht wirklich gefährlich gewesen wäre, oder wir Angst hatten, aber … immer der Reihe nach. Es ist Sonntag, der 27.9.2020, Frank hat heute Geburtstag, aber ist eh nicht so das Party-Animal. Ich glaube es taugt ihm, größere Teile des Tages außerhalb der Abdeckung des Mobilfunknetzes zu verbringen. Wir müssen Malta verlassen, und uns wieder nach Sizilien aufmachen, da wir am Dienstag dort eine Mitfahrerin aufsammeln. Der Samstag war von den Windprognosen so, dass es wirklich dämlich gewesen wäre, über die Straße von Malta zu Segeln, aber am Sonntag sagen die Prognosen ein Abflauen des Windes vorher, aber so, dass noch genug zum Segeln da ist. Wir stehen um halb sieben auf, organisieren noch ein paar Sachen, und laufen um 9:00 aus dem Hafen Mgarr auf Gozo aus. Wie vorhergesagt kommt der Wind anfangs aus Süd, und wir fahren parallel zur sizilianischen Küste, aber auf der maltesischen Seite. So wollen wir möglichst viel Höhe gewinnen, um dann – wenn der Wind auf West dreht – gut nach Norden Richtung Marsala zu segeln. Nach ca. drei Stunden verschwindet die Abdeckung von Gozo vor den Wellen aus Süd, und es beginnt ordentlich zu schaukeln. Mittagessen besteht aus einem abgerissenen Stück Brot und etwas Salami, am Steuer reingemampft. Da die Nacht etwas kurz war (a bisserl rein’gefeiert‘, also Rum getrunken), fangen wir recht schnell mit dem Schichtsystem an. Einer hat Wache, der andere schläft. Der Wachhabende hat seinen AIS MOB Notsender in der Tasche (war für mich ein Geburtstagsgeschenk); würde man ins Wasser fallen funkt der ein Notsignal an unser Schiff, inklusive Position. Die Südwindphase ist easy – es ist Tag, die Wellen noch nicht schlimm, hauptsächlich noch lange Dünung der Tag zuvor. Am späten Nachmittag verabschiedet sich der Wind mit einem plötzlichen Flautenloch (das Auge des Sturms, oder zumindest des starken Windes); es fängt an aus Kübeln zu schütten. Frank, der am Steuer steht, wird patschnass bevor ich ihm sein Ölzeug bringen kann. Wir fahren weiter unter Motor, es wird dunkel. Da es weiter schaukelt, wird von Hand gesteuert, und langsam kommt der angesagte Westwind auf. Irgendwann zupft mich Frank wach (unsere bewährte Lösung – der Schlafende hat eine Schnur um’s Handgelenk, und kann damit von dem hintern Steuer wachgezupft werden), ob ich mal auf dem Plotter unten die AIS Kontakte checken kann, ob uns da was zu nahe kommt. Steuern ist inwischen so anspruchsvoll, dass man nicht mehr nebenher das Navi am Steuerstand bedienen kann. Der AIS Kontakt ist kein Problem, aber ich könnte noch schnell bei einer Wende helfen. Im Schlafgewand mit Rettungsweste und Lifebelt komme ich ins Cockpit. In den letzten paar Minuten hat der Wind ordentlich zugenommen, wir sind jetzt bei zwischen 25 und 30 Knoten, das ist schon „steifer Wind“ mit 7 Beaufort. Es pfeift, wir brüllen uns aus 1,5 Meter Entfernung im Cockpit an. Wir haben noch das ganze Vorsegel draußen, die Kräfte, die jetzt an den Schoten ziehen, sind enorm. Wenn man jetzt seine Finger falsch in die Schot (Seil, welches das Segel nach hinten zieht) bekommt, sind sie ab, oder zumindest dunkelblau. Wir verbocken die Wende, beschließen derweil zu reffen, reduzieren also die Segelfläche. Alles geht jetzt nur noch mit Winsch und Kurbel, von Hand lässt sich da nix mehr ziehen. Nach intensiven Minuten ist unser Vorsegel nur noch bettlakengroß, die Seestern schiebt aber dennoch ordentlich Lage (vom Wind zur Seite gekippt), und es scheppert und rumpelt. Das bittere dabei: Auch wenn alles pfeift und windet – man würde denken jetzt wird man immerhin mit ordentlich Speed belohnt – durch die Wellen wird man nur langsamer. Frank bleibt noch zwei Stunden, bis Mitternacht, am Steuer und bekommt somit das heftigste des Wetters ab. Ein denkwürdiges Geburtstagsende; Festmahl des Tages: zwei Kanten Brot, ein Rad Salami und ein Stück Schokolade. Ich versuche derweil unten etwas zu schlafen. Bei unseren Wendeversuchen hat sich das Schiff ordentlich auf die Seite gelegt; obwohl wir versucht hatten, alles ordentlich zu verstauen, hat sich ein beträchtlicher Teil des Hausrats auf dem Boden verteilt. Wir lassen alles liegen, was nicht zerbrechen kann. In der Spüle gurgelt ab und zu etwas Wasser hoch, man sollte das Seeventil schließen, aber das ist so schlecht erreichbar; ich beobachte das schwappende Wasser und beschließe, dass es keine Gefahr darstellt. Die Geräuschkulisse unter Deck ist intensiv. Man hört das Wasser am Schiff vorbeirauschen. Wegen der Krängung und den Wellen sind auch öfters die Bullaugen im Rumpf unter Wasser, hier fließt das Wasser nicht schön vorbei, sondern gurgelt hörbar. Ab und zu flattert das Vorsegel, wenn in einem Wellental die Anströmung plötzlich verschwindet oder abgelenkt wird. Am Steuern hört sich das halt wie laut flatternder Stoff im Wind an. Unter Deck hört man hauptsächlich das Ruckeln am Rig. Harte, dumpfe, metallische Schläge, nicht zu überhören. Zu anderen Zeiten kollidiert man mit einer Welle, oder Wellen entziehen dem Schiff das Wasser in dem es schwimmt, und man kracht laut eine Etage tiefer auf’s Wasser. Alle paar Minuten trifft man so in eine Welle, dass es am luvseitigen (also dem Wind zugewandten) Bug kräftig nach oben spritzt, das Wasser verteilt sich dann wie ein Wolkenbruch laut prasselnd über das ganze Schiff. Bei der Gelegenheit müssen wir feststellen – die Hallberg-Rassy ist ein sehr solides Schiff – es ist zwar laut, aber Sorgen hat man keine. Allerdings – die SEESTERN ist nicht ganz dicht. An vielen Ecken tropft es rein, unsere neuen Polster bekommen ihre wahre Belastungsprobe, und sind wohl mittlerweile als eingeweiht zu bezeichnen. Ein paar der Tropfen sind selbsverschuldet. So ist die Luke über meinem Salonbett (unserem – bei dem Wind ist es der einzige Ort am Schiff wo man sich hinlegen kann, durch die Lage in ein „V“ zwischen Liegefläche und Rücklehne gebettet) zwar zu, aber nicht komplett verriegelt. Bei jedem Prasseln verteilt sich ungefähr ein Stamperl Seewasser über meinen Bauch und die Rückenlehne. Das lässt sich abstellen, aber auch an anderen Ecken finden sich Tropfspuren. Allerdings – sich im Schiff zu bewegen ist gerade sehr anstrengend, und ich kann mich jetzt nicht motivieren, mit einer Taschenlampe die Ursachen zu ergründen. To do: in einer Marina, wo das Wasser im Preis inkludiert ist, alle Verdachtspunkte mal ordentlich anspritzen. Obwohl die Geräuschkulisse und das Restadrenalin dem Schlaf nicht zuträglich sind, nicke ich wohl irgendwann ein. Wieder werde ich durch ein Zupfen geweckt. Frank brüllt mich an, ich soll mich mal um ein AIS Kontakt kümmern. Ich schaue auf unseres Gerät unten am Navitisch, ja da ist was, fünf Meilen entfernt, würde uns bedenklich nahe kommen. Frank brüllt mein schlaftrunkenes ich an, ich soll ihn anfunken. Tatsächlich sind die Regeln ja so, dass ein Motorschiff unserem Segelschiff ausweichen muss. Das gilt auch für 400m lange Containerschiffe. Ich habe mir den Namen nicht wirklich gemerkt, irgendwas arabisches, was ich sicherlich verhuntze, sagen wir mal „Al-Jumerai“. Ich funke auf dem Not- und Anrufkanal 16 „Al-Jumerai, Al-Jumerai, Al-Jumerai, this is Seestern, come in please“. Ganz falsch habe ich es wohl nicht ausgesprochen, denn er meldet sich zurück. Wir wechseln auf Kanal 6, ich erkläre ihm, dass wir ein Segelboot unter Segeln sind, fünf Meilen vor seinem Steuerbordbug, und wir uns gefährlich nahe kommen würden. Er antwortet freundlich, ja, jetzt sieht er uns, don’t worry, they will take care. Über hunderttausend Tonnen Stahl ändern den Kurs, die Al-Jumerai fährt weit vor unserem Bug vorbei. Frank, der schon mehrere Angebote der Ablösung abgelehnt hat, meint nun, dass die Ablösung jetzt gut tun würde. Wir haben zwar kein festes Schichtsystem, aber um 0:00 sind auch vier Stunden Wache vorbei. Ich verpacke mich in mein komplettes Ölzeug, schiebe mir noch eine Handvoll Brot in den Rachen, und gehe hinters Steuer. Jetzt also das Spektakel von der Perspektive auf Deck. Ich sehe noch die Al-Jumerai vor uns vorbeiziehen. Frank meint noch, dass der Wind OK wäre, schon viel, aber wir fahren dafür die richtige Segelfläche, allerdings wären die Wellen echt ‚zum Fürchten‘. Dass kann ich bestätigen, auch wenn das Heftigste schon vorbei ist. Man fährt in der Nacht nach der Windanzeige, wir würden gerne ‚Hart am Wind‘ fahren, also so weit gegen den Wind wie es nur geht, denn wir wollen ja nicht nur nach Norden Richtung Sizilen, sondern nach Nordwesten auf Marsala zu. Übertreibt man es dabei, fährt man zu weit in den Wind, das Vorsegel fängt an zu ‚killen‘ (flattern), und Frank hört das Rigging hämmern statt zu schlafen. Fällt man hingegen ab (Wind von der Seite statt von schräg vorne), segelt es sich ruhig. In die falsche Richtung. Also ein ständiger Kompromiss. Ich versuche den Zeiger der Windanzeige auf 45° zu halten. Hört sich ja nicht so schwer an, oder? Aber da waren ja noch die Wellen. Wellenhöhen sind schwer zu schätzen, nachts um so mehr. Und natürlich ist da die Gefahr, seine Erlebnisse mit noch ein paar Metern mehr etwas dramatischer klingen zu lassen. Am Anfang meiner Wache hätte ich mal vier Meter geschätzt (im Wellental hat man überhaupt keine Küste mehr gesehen), Frank meinte das ein, zwei Wellen von der Seite einfach über das Schiff gebrochen wären, vielleicht 4-6 Meter inklusiver der Schaumkrone, so etwas hätte er noch nicht erlebt. Ich weiß es nicht. Aber am Vortag sprach ein Malteser von Wellen, „two stories high“, und das wären dann auch so die Größenordnung. Die Wellen, jedenfalls, kommen schräg auf das Schiff zu, und sind durch die verschiedenen Windrichtungen der letzten Zeit auch nicht schön aus einer Richtung. Man sieht also aus dem linken Augenwinkel, dass da was großes schwarzes neben dem Schiff ist. Schildkrötengleich versucht man sich in sein Ölzeug zu ducken, aber diese Welle ist harmlos. Sie macht für den SEESTERN den Aufzug, auf dem Kamm kann der Wind so richtig zupacken, gleichzeitig will die SEESTERN nach links, um die Welle runterzusurfen. Gegenruder, da bleibst! Dann flattert das Vorsegel halt, auch weil im Tal das Segel nicht mehr gut gefüllt wird. Wenn man dann im Wellental angekommen ist – was war das für ein Tal? Ein lieblich, sanftes – alles gut. Ein eher tiefer Einschnitt – der Bug des Schiffes kollidiert mit der Welle, Gischt spritzt auf, von den roten und grünen Positionslampen am Bug beleuchtet. Häufig erkennt man am Geräsuch, dass es jetzt gleich richtig über Deck kommt. Also Kopf runter, von der Welle abgewendt, es prasselt von hinten auf die Kapuze. Manchmal merkt man’s nicht, dann prasselt die Welle auf die Brille. Die Wellen zupfen auch direkt am Ruder, wollen es einem entreißen, und meistens steuert man irgendwie nach Gefühl. Nebenbei bekommt man im Dunkeln etwas von der ‚Wellenlandschaft‘ mit. So irritieren mich irgendwelche Wellenberge, die – schwarzen Autos gleich – vor der erleuchteten Küste vorbeifahren. Gerade aus dem Augenwinkel ist der erste Gedanke, dass da ein unbeleuchtetes Fischerboot an einem vorbeigefahren ist. Dann kommt wieder eine Abfolge von Wellen, die passen perfekt zum Schiff. Für ein paar Sekunden fühlt man sich wieder als Chef, schaut auf die Windex. Hört sich übrigens auch einfacher an, als getan. Die Anzeige ist ungefähr zweieinhalb Meter vor der Steuerstand über dem Niedergang montiert, düster beleuchtet, und kurzsichtig mit Brille voller Tropfen… Immerhin – man sieht die Küste schon ganz gut, irgendwo auf der Höhe von Agrigento, und es scheinen auch keine Schiffe mehr unseren Weg zu kreuzen. Das jedenfalls sagte das Navi eben, doch plötzlich geht es aus. Kein Navi, kein AIS, doof. Allerdings – der Wind scheint etwas weniger zu werden. Ich fahre noch etwas weiter – die Sicht ist gar nicht so schlecht, wenn man nicht im Tal ist, aber dann zupfe ich Frank wach. Wir schaffen es nicht, den Fehler in der Nacht zu beheben. Wir einigen uns, dass ich noch etwas nach Sicht auf die Küste zufahre, und wir dann weiter überlegen. Frank legt sich nochmal kurz hin. Der Wind lässt weiter nach, deshalb durchaus erträglicher, aber so langsam wirken sich Schlaf- und Essensmangel aus. Außerdem ist mir kalt. Ich gebe zu – ich denke voller Sehnsucht an mein warmes, trockenes, kuscheliges Bett zu Hause – was mache ich hier? Geht das jetzt ein Jahr so weiter? Frank wurschtelt unter Deck umher, berichtet dann, dass es noch immer keine gefährlichen Schiffe gibt, der Wind jetzt und hier eher nachlässt, aber es auch an der Küste keine großen geschützen Buchten gibt, wo man sich mal kurz ablegen könnte. Nach einigen Überlegungen kommen wir zu dem Schluss, das Vorsegel wegzurollen, den Motor anzumachen, Mr. Autopilot das Schiff Richtung Marsala fahren zu lassen, und dabei kann ich auch entspannter sein – mal selber runterschauen auf das noch funktionierende Navi, und im Windschutz der Sprayhood die Umgebung zu beobachten. Anyway – da kam der letzte Eintrag, „puh!“ einfach von Herzen.
Kalypso ist die bekannte Göttin und Nymphe, die Odysseus
sieben Jahre lang festhielt, bevor sie ihm erlaubte, zu seiner Frau Penelope
auf Ithaka heimzukehren. Was muss das für eine Frau gewesen sein, den Helden
der Saga so hörig zu machen, dass sie ihn festhalten konnte, bis ihr Zeus
befahl Odysseus gehen zu lassen. Versprechungen der Unsterblichkeit haben auch
nicht geholfen; der Held wollte heim. Es gibt natürlich verschiedene
Erklärungen dafür. Frank erklärt es etwas derb sexuell, es könnte auch sein, dass
die beiden nicht gemeinsam in Kalypsos Grotte auf Gozo gelebt haben, sondern
dass Odysseus dort eingesperrt war. Ich bleibe mal bei der reizenden Göttin und
Nymphe. Mittlerweile ist Kalypso etwas in die Jahre gekommen (wie ist das mit
der Unsterblichkeit, bleibt man dann auch ewig jung und knackig?), und betreibt
eine kleine Boutique am Eingang ihrer Grotte. Die Boutique hat heute zu, ob
wegen Corona oder Nebensaison ist mir unbekannt, und auch die Grotte ist
geschlossen, wegen ‚geologischer Gegebenheiten‘. Könnte also einstürzen.
Anyway, der beauty spot auf Gozo, der kleinen Schwester der Insel Malta, hat
einen schönen Ausblick auf den Al-Ramla Beach/Bucht, also Haken dran und
weiter.
Wir sitzen den Tag auf Gozo fest. Die Vorhersage hat ab
Freitagabend heftigen Wind vorhergesagt, der den ganzen Samstag anhalten soll.
Also haben wir unser Schiff in der Marina von Mgarr festgebunden, dem
Haupthafen von Gozo. Meine Aufgabe war es, zu erörtern ob sich Gozo aus
touristischen Aspekten lohnt, und ein schneller Internet-Surf am Morgen ergab:
ja, am einfachsten vielleicht mit dem Auto. Wir bekommen einen sehr klapprigen
Chevrolet Spark, dessen Fahrwerk schon lange unter den Straßen von Gozo leidet.
Linksverkehr, au ja!
Unser erster Stopp ist der Tempel von Ggigantija (wie so oft in dem Blog behalte ich mir vor, Fakten und richtige Schreibweisen von Orten später zu korrigieren, aber beim Blogschreiben möchte ich im Flow bleiben). Wahrscheinlich auf 3600 bis 3200 v.Chr. datiert, sind es mit die ältesten freistehenden Gebäude der Welt (relativ frei, an einigen Stellen massiv von einem Baugerüst unterstützt). Alte Steine, seeeehr alte Steine. Weiter geht’s nach Victoria, der wichtigsten Stadt der Insel und deren Verwaltungszentrum. Hier suchen wir das am besten bewertete Restaurant der Stadt auf, Casa Vostra, sehr toll gemacht vom Ambiente her, aber die Pizza war jetzt nicht so der Bringer. Danach auf die Zitadelle, Rundumblick über die Insel, der witzige Hinweis auf die „Low Battery“ – wo sich dann aber keine Lademöglichkeiten befanden, und eine Kirche mit beeindruckendem Interieur. Hier war immerhin schon Königin Elizabeth, als Malta noch sehr an England hing. Haken dran – what’s next? Die Bucht Ramla l-Hamra, bekannt für ihren roten Sand- das bedeutet schon der Name auf Maltesisch. Die Wellen drücken recht hässlich in die Bucht, Baden heute strengstens verboten. Segeln wäre auch nicht schön. Also weiter zur Höhle der Kalypso, und dann weiter an der Nordküste der Insel. Neben der Ortschaft Marsalforn sind einige Salinen in die flachen Felsen des Ufers gehauen, heute werden sie vom Meer üppig mit Salzwasser gefüllt. Bäh, sind das große Wellen, gut dass wir da nicht draußen sind. Teilweise ist die Küstenstraße von Wellen überspült, aber es ist ja nur ein Mietwagen. Dann noch nach Wied Il-Mielah, ein Tal welches an seinem Ende am Meer ein natürliches Felsentor hat. Bis vor ein paar Jahren eher unbekannt, weil das Azure Window an der Westseite der Insel viel berühmter war, aber das ist leider 2017 eingestürzt.
Dann sputen wir uns noch, um die Basilika Ta Pinu zu sehen – wie häufig, wenn Langschläfer Chris auf Sightseeing macht, bekommen wir gerade noch ein paar effektvolle Fotos im Abendlicht hin, und dann ist Schluss. Wir plündern noch schnell einen Lidl, und fahren zurück nach Mgarr. Dort bringt die Google-Empfehlung endlich mal ein Restaurant, wo das Essen richtig lecker ist. Bislang war es meist hauptsächlich das Ambiente was gepasst hat. Nachts dann auf dem Schiff planen wir den nächsten Tag, um Mitternacht versuche ich „Happy birthday“ anzustimmen, werde aber schleunigst gebremst. Oh well, dann halt noch einen Rum, und gut ist.
Noch ein paar Beobachtungen zu Malta / Gozo. Wenn wir abends
aus der Marina in Richtung Restaurants gingen, war die gesamte Promenade
rappelvoll – wohl von Locals, die hier mit Klappstühlen und –tischen ein
Picknick machen. Als am zweiten Tag der Wind etwas heftiger ist, sitzen die
Leute in der Parkgalerie der Marina (die Straße führt darüber lang). Hauptsache
draußen.
Was für mich überraschend war, ist die Sprache. Ich kenne einige Leute, die auf Malta zu Sprachreisen (füe Englisch) waren, und als ehemalige britische Kolonie war ich sicher, dass man dort nur Englisch spricht. Und obschon alle auch Englisch konnten, war alles zweisprachig ausgeschildert. Was ich da gelesen habe konnte ich gar nicht richtig einordnen. Es wirkte wie eine wilde Mischung aus Rumänisch, Baskisch und Arabisch mit eingearbeiteten englischen Begriffen. Es wirkt auch so, als hätten die Malteser bei ihrer Sprache ein Sonderangebot für all die Buchstaben genutzt, die in anderen Sprachen selten gebraucht werden, viele Q und X. Ich habe dann auf Wikipedia nachgesehen: Maltesisch ist eine eigenständige Sprache, die im wesentlichen auf Arabisch zurückzuführen ist. Bemerkenswerterweise die einzige semitische Sprache, die mit lateinischen Buchstaben geschrieben wird, mit einer kleinen Ergänzung: „Ħ/ħ“, gesprochen als gehauchtes „h“. Man will es Tastaturenherstellern ja nicht zu einfach machen.
Wahrscheinlich möchte sich Karl rächen, rächen für seine ganzen Artgenossen, die von uns schon verspeist wurden. Todesmutig nimmt er Anlauf, und wirf sich der SEESTERN entgegen. Leider leidet Karl an totaler Selbstüberschätzung, denn Karl ist ein ca. 5cm langer Kalamari. Was aber wirklich beeindruckend ist, ist wie hoch Karl springen kann. Das kleine Fensterchen unserer Sprayhood ist wahrscheinlich ungefähr 2 Meter über der Wasseroberfläche, und auch noch in der Mitte des ca. 4m breiten Schiffs. Jedenfalls landet Karl dort mit einem deutlichen Flatsch. Er merkt wohl schnell, dass das nix für ihn ist, und macht sich in die Hose (hätte er eine an – so verteilt er etwas Sepia-Tinte auf dem Fenster). Wir fotografieren ihn, und werfen ihn wieder ins Wasser. Wachse noch etwas, Karl, dann sprechen wir weiter.
Wir sind an der Südküste Maltas unterwegs. Es hat genug Wind, und wenig Welle, so kreuzen wir Richtung Nordwesten. Hinter uns liegt ein Tag in Valletta, und ein Segeltag an die Südostspitze von Malta. Die Marina di Valletta, die unser Schiff beherbergt, haben wir hauptsächlich wegen der Lage gewählt, direkt unterhalb der beeindruckenden Altstadt von Valletta. Das ist aber tatsächlich das beste an der Lage. Wir machen uns am Morgen auf die Suche nach einem Kaffee und einem Croissant. Tatsächlich sind wir an zwei anderen Marinas im Naturhafen von Marsamxett vorbei, bevor wir endlich einen entsprechenden Laden finden. Ob’s an der Nachsaison liegt, oder an Corona (oder beidem), sehr viele Läden haben zu. Wir probieren den öffentlichen Bus aus, 2 Euro für jeden in die Altstadt. Frank war vor ein paar Jahren schon hier, deshalb muss ich mehr besichtigen. Aber vielleicht erst einmal ein Bier im Queen Victoria Pub? Ja klar, es ist Dienstag, und wir haben Urlaub. Ich suche dann das Fort St. Elmo auf. Ein Schicksalsfort für die Insel. Von den Rittern der Maltesern nach langer Belagerung durch die Osmanen im Jahr 1565 verloren, ist es nun eine Gedenkstätte und Museum. Die Schlacht war für die Osmanen allerdings sehr verlustreich, und es gab weitere Forts der Malteser. Sinngemäß wird der osmanische Führer im Museum zitiert: „Allah, wenn der Preis für den Sohn so hoch ist, wie hoch wird dann der Preis für den Vater sein?“ Seit dem Abend zuvor hat sich die Stadt beruhigt, sie schwankt nicht mehr so sehr. Als ich fertig bin, treffen wir uns wieder auf ein Getränk mit Blick über die Stadt. Schnell noch einen Markt suchen, wir haben uns zwar in Sizilien mit wirklich guten Weinen eingedeckt, aber so mal schnell was als Absacker für den Abend fehlt uns. Nach dem Essen noch einen der seltenen Convenience-Stores geplündert, und wir haben auch wieder Anleger-Biere. Am Tag darauf fahren wir an die Ostseite der Insel. Hier soll es ein paar sehr schnuckelige Buchten haben, und mit Marsaxlokk auch ein „arabisch geprägtes Fischerdorf“. Wir finden die Buchten, sie sind schnukelig, aber auch nur vom Meer aus zu erreichen. Das ist natürlich ein großer Bringer beim Segeln – keine lästigen Landeier. Im Umkehrschluss bedeutet es aber auch, dass man von dort aus abends nicht in das nächste Dorf laufen kann. Frank erkundet schwimmend die Bucht, ich passe auf’s Schiff auf. Leider steht auch etwas Dünung in die Bucht, also Wellen von vergangenem Wetter. Es wäre eine unruhige Nacht, mit ordentlich Geschaukel. Vielleicht doch lieber in den Hafen von Marsaxlokk? Gesagt, getan. Leider ist auf der Seite des arabisch geprägten Fischerdorfs kein Platz mehr in der Bucht, deshalb wählen wir die andere Seite, Birzebbuga. Hier schnappen wir uns eine verlassene Boje und liegen sicher. Direkt hinter dem Schiff ist der Malta Freeport. Ich gebe gerne zu: nicht wahnsinnig romantisch, aber wir sind nun mal zwei technikinteressierte Segler. Wie ein kleiner Junge am Fenster, wenn nebenan eine Baustelle ist, sitzen wir in der Pflicht, und schauen dem Betrieb zu. Es liegen mehrere größere Containerschiffe im Hafen und die Containerbrücken laufen auf Hochtouren. Das größte ist die APL CHANGI, knapp vierhundert Meter lang. Offensichtlich ist sie aus LeHavre gekommen, und sie teilt sich den Hafen mit der Monte Allegre der Reederei Hamburg Süd und CMA CGM Nerval. Gegen 23:00 legt die Monte Allegre ab, eine größere Aktion mit zwei Schleppern. Interessant, das mal so zu beobachten. Die Schlepper, die sie von der Kaimauer bugsieren nehmen dann gleich den neuen Ankömmling in Empfang, und schieben die CMA CGM Leo an die Hafenmauer. Ich könnte Stundenlang zusehen, aber langsam werde ich müde. Am Morgen ist die APL Changi weg, aber die MSC Jeongmin wird gerade an ihrem ehemaligen Platz festgemacht. Witzig: Birzebbuga wird als ‚Resort-Town‘ angepriesen. Erholung für Schiffs-Spotter vielleicht, aber der Blick auf den Containerhafen ist vielleicht nicht für jedermann. Wir legen ab und fahren an der blauen Grotte vorbei – diese wäre wohl mit einem kleinen Boot beeindruckender, mit der SEESTERN trauen wir uns nicht in die Höhle, und auf Dinghi zu Wasser lassen haben wir keine Lust. Also fahren wir weiter, zu unseren schicksalshaften Begegung mit Karl. Wir wollen eigentlich noch an ein paar bekannten Badebuchten im Westen von Malta vorbeischauen, aber diese sind sehr touristisch. Am Strand lauter Landratten, und im Wasser einige Quallen. Haben wir das nötig? Nein. Wir fahren weiter zu unserem Tagesziel – die Bucht Dwejra an der Südwestspitze von Gozo. Fast kreisförmig mit 300 Metern Durchmesser ist sie in die Klippen eingefressen, Klippen die fast die gesamte Südküste der Insel uns beide zu dem Adjektiv ‚abweisend‘ verleiten. Am Ausgang der Bucht steht ein großer Felsen, „Fungus Rock“ wegen der seltenen dort wachsenden Flechten genannt. Wir sind also fast komplett von Felsen umgeben. Erstaunlicherweise: Mobilfunk klappt noch immer, auch wenn wir hier kein einziges Licht sehen. Wir Ankern dreist genau in der Mitte der Bucht, gehen noch etwas schwimmen, und dann gibt’s Abendessen. Mal sehen, ob es klappt, ein paar Fotos mit hochzuladen.
Es ist toll, was man mit so einem Segelschiff alles an Geld spart. Normalerweise würde so eine Reise nach Malta einen Flug benötigen, Fahrt zum und vom Flughafen, oder zumindest eine Fähre von Sizilien. Die Seestern fährt uns kostenlos rüber. Endlich haben wir mal Glück mit dem Wind. Wir haben zwei Tage in Marzameni verbracht. An einem haben wir uns der ‚Arbeit‘ gewidmet, also der Dinge, die wir in Deutschland nicht ganz fertig bekommen haben, am zweiten einiger kleiner Dinge am Schiff. Ich übe mich mit Nadel und Faden, und tausche das Fall für unser Besan-Segel. Am Nachmittag versuchen wir unsere Backskiste neu zu organisieren. Irgendwie ist sie voll, es ist alles drin, aber als wir in Marzameni anlegten, haben wir auch nicht schnell die richtige Festmacherleine gefunden. Am nächsten Tag wollen wir Richtung Malta aufbrechen, warten dazu im Naturhafen von Porto Palo auf den richtigen Wind. Dort verbessern wir weiter, Frank baut einen Inverter ein (macht aus 12V Batteriestrom 230V Wechselstrom, womit man zB Laptops laden kann), und ich ersetze die vergammelte Waschtischarmatur im hinteren Bad. Dabei beobachten wir genau Windfinder. Ursprünglich war die Vorhersage für guten Wind in der Nacht, wir wollten also um 22:00 los, um dann früh morgens in Valetta zu sein. Als wir abends nochmal schauen, scheint es so, als ob im Laufe des nächsten Nachmittags guter Wind wäre, aber noch nicht nachts. Wir einigen uns darauf, um 6:00 aufzustehen, etwas mit Motor zu fahren, um dann ab späten Vormittag Segeln zu können. Die Vorhersage stimmt nicht. Schon kurz nach der Abfahrt weht der Wind mit 9 Knoten statt der angekündigten Flaute – normalerweise macht das bei der Seestern noch keinen Spaß, aber wir haben ja genug Zeit. Also setzen wir die Segel, und sind positiv überrascht. Die SEESTERN schnurrt mit über fünf Knoten ruhig davon – mehr wäre auch mit Motor kaum gegangen. Wir sind wirklich überrascht, hatten wir uns doch gemerkt, dass unter 10 Knoten gar nix geht, und erst so ab 15-18 der Spaß beginnt. Ob’s das frisch behandelte Unterwasserschiff ist, die Segel, die frisch gepflegt wurden, oder auch einfach nur dass es fast gar keine Wellen hat: Wir segeln, und zwar zügig. Ich stehe ein wenig am Steuer, übe mal wieder das Fahren nach dem Wind, dann übernimmt Frank und ich lege mich ab – die Nacht war kurz. Als ich wieder aufwache, sitzt Frank entspannt im Cockpit, nicht mehr in der Nähe des Steuerrads. Das ist mittschiffs festgeklemmt, die Segel sind optimal eingestellt, und die SEESTERN fährt einfach – wir hatten zwar schon öfters gehört, dass das der Vorteil einer Ketch wäre, dass man mit dem Besansegel das Schiff super stabilisieren könne, aber diesmal funktionierts wirklich. Auch als Frank unter Deck geht, um eine Mütze Schlaf nachzuholen, läuft’s weiter. Ich sitze tatenlos daneben, und die Logge zeigt weiterhin zwischen 6 und 7 Knoten Fahrt. So wird der Tag nicht sehr anspruchsvoll, aber entspannend bis dort hinaus. Erst vier Meilen vor Valetta dreht jemand den Wind ab (es ist 17:00, die Vorhersage hatte hier 15 Knoten Wind vorgesehen), und wir fahren mit einer Unmenge anderer Boote in den Hafen von Marsamxett ein. Offensichtlich war der Montag ein Feiertag, und es trieb die ganzen Maltesen auf’s Wasser. Und was da alles schwimmt – wir kommen uns plötzlich eher ärmlich vor, so wie wenn man vom Land kommt, wo der alte Benz noch was hermacht, und damit dann auf der Maximilianstraße Eindruck schinden will. Die Marina di Valetta liegt am Ende des Hafens und ist gut windstill geschützt. Nach dem Anlegen brauchen wir also sofort eine Dusche, und dann machen wir uns auf in die Stadt. Man sollte sich übrigens nicht davon täuschen lassen, dass Valetta mit all ihren Festungen recht solide aussieht – es täuscht wirklich. Wie viele Hafenstädte ist auch diese Stadt sehr wackelig, und schwankt unaufhörlich. Beim Essen sinnieren Frank und ich dann über „die teuerste Art, kostenlos von A nach B zu kommen“. Wir haben heute kaum Diesel verbraucht, müssen nichts für ein Hotelzimmer zahlen; eigentlich eine günstige Art, Urlaub zu machen. Gut, wir wollen jetzt mal nichts darüber sagen, was diese Pfütze von Liegeplatz kostet (vielleich auch selber schuld, die dem Stadtzentrum am nächsten gelegene Marina zu wählen), und auch was das Schiff an sich kostet … wir sind im Urlaub!
Mittlerweile ist es fast dunkel. In Schleichfahrt tuckern wir rückwärts in die Parklücke. Die Herausforderung diesmal: die Lücke ist etwas enger, an Backbord die Josephine, eine Beneteau, und an Steuerbord eine 47 Jahre alte Swan. Der Marinero hat schon die Muring eingesammelt, und will sie Frank geben (Leine von einem fetten Betonklotz im Hafenbecken, womit man das Schiff quasi vom Steg wegzieht. Die Murings liegen die ganze Zeit im Hafenbecken, und sind deshalb nach einiger Zeit besonders lecker anzufassen). Das ist üblich, macht einem aber ein wenig das Schul-Anlege-Manöver kaputt, bei dem man erst die Heckleinen festmacht, und dann einfach den Gang vorwärts einlegt, um sich vom Steg wegzuhalten. Und nun ist Frank auf dem Vorschiff mit der Muring beschäftigt, und kann natürlich nicht hinten helfen. Wir vereinbaren in der Nachbesprechung eine klarere Kommunikation bezüglich der notwendigen Länge der Muring. Ich muss am Steuer bleiben, da man nur hier mit Gas geben usw. das Schiff irgendwie im Griff hat. Immerhin sind die Marineros zu zweit und helfen aktiv mit. Wir kennen Sie ja auch schon vom vorherigen Anlegemanöver. Am Ende geschafft, Anleger V3.0 wird mit einem Bier zelebriert.
Tatsächlich sind wir schon vor über einer Stunde in den Hafen von Marzamemi eingelaufen. Ich hatte die Marina von aus Siracusa angerufen, sie hatten uns einen Platz zugesagt, „meldet Euch einfach auf Kanal 6 wenn Ihr da seid“. Die letzten zwei Stunden der Fahrt hierher waren etwas anstrengender. Kein Wind, aber bestimmt vier Meter hohe Dünung von dem Sturm der aktuell im Ionischem Meer tobt, und die Dünung direkt von der Seite. Nicht gefährlich, aber das Schiff schaukelt kräftigst nach links und rechts, und unter Deck fliegt alles umeinander. Ob wir’s nochmal lernen? Egal, wenn beim Ablegen kein Wind und keine Welle angesagt ist, sollten wir das Schiff hochseetauglich aufräumen, anstatt einer Packung Cocktail-Tomaten hinterherzujagen, die auf dem Boden hin- und her kullern. Auf den großen Wellen surfen wir in Richtung Hafeneinfahrt. Mir geht durch den Kopf, dass es ab und an so Horrorgeschichten gibt, von Booten die gerade in so einem Moment einen Motoraussetzer hatten, und dann wenig heldenhaft an den Wellenbrechern des Hafens havariert sind. Unser Motor hält durch, wir fahren mit Vollstoff in den Hafen und bremsen dort ähnlich heftig. Jetzt erst einmal ein paar Kringel im Hafen, damit Frank das Schiff für’s Anlegen vorbereiten kann. Fender aushängen, Leinen bereitlegen, ich funke derweil auf Kanal sechs. Von verschiedenen Stegen winken mir zwei Leute zu, wir klären, dass ich mit dem im roten Hemd funke. Wir tuckern zu dem Liegeplatz, ganz am Ende vom Steg. Eigentlich nicht AM Ende, sondern noch weiter draußen. Am Ende liegen wir mit einer Querleine schräg zum Steg, an Murings die für ein viel kleineres Schiff gedacht sind. Das ist ja Kacke hier. Um an Land zu kommen, müssen wir über die Nussschale neben uns krabbeln, und dann über deren Gangway an den Steg. Rothemd beruhigt uns – bald wir ein besserer Platz frei. Frank traut dem Braten nicht, lässt sich den besseren Platz zeigen. Der wäre vom Regen in die Traufe. Rothemd, der fließend italienisch spricht, entschuldigt sich, verrückter Tag heute, drei Schiffe kamen ohne Reservierung, aber wir hätten ja schon gesprochen, dafür special price. Am Ende hätten wir dort wohl kostenlos liegen bleiben können. Aber, da hätten wir wohl nicht ruhig geschlafen. Außerdem – und das hatte ich bei meinem Anruf nicht realisiert, in dem Hafenbecken gibt es drei konkurrierende Marinas. Wir telefonieren fix mit der zweiten, die Frank schon von Mailkontakt her kennt. Ja, die haben Platz, sie hätten uns ja auch beim Einlaufen zugewinkt, das war der Kollege im schwarzen T-Shirt. Wir verabschieden uns von Liegeplatz V1.0, Rothemd entschuldigt sich wieder, drei Schiffe ohne Reservierung, verrückter Tag, molto sorry. Warum, wenn sie am Ende tatsächlich auf die Liegegebühr verzichtet hätten, sie uns nicht einfach gleich an die andere Marina vermittelt haben, erschließt sich mir nicht. Wir legen wieder ab, und suchen die nächste Parklücke auf. Die ist am Steg für Superyachten, zumindest größere als unsere. Auf der einen Seite ein schwarzes Monster, der seine Fender so hoch aufgehängt hat, dass sie ungefähr in Kopfhöhe sind, wenn wir daneben auf Deck stehen. Ihren Zweck, Kontakt zwischen unser beider Schiffe zu vermeiden, erfüllen sie jedenfalls nicht. Ich hab mächtig Schiss, mit unseren Solarpanelen einen Kratzer in den schwarzen Lack zu machen. Am Ende liegen wir, halbwegs. Leider ist die Muring zu kurz, oder eher unser Boot. Mit dem letzten Zipfel der Muring sind wir vorne Fest, die Lücke hinten zum Steg bleibt recht weit. Die Marineros fragen, ob’s nur heute Nacht wäre? Nein, doch eher zwei. Hmmm, vielleicht fahrt Ihr dann besser doch in unsere Lücke am Steg dort hinten. Langsam wird’s Routine. Bevor wir das Anlegebier auspacken, duscht Frank sich mitsamt Klamotten ab, auf denen der Schlick von mittlerweile sechs Murings verteilt ist.
Was ist sonst passiert? Wir haben in Siracusa – bis wir den
Mietwagen abgeben müssen – noch versucht, eine Gasflasche zu organisieren,
deutlich komplizierter als man es meinen würde, und am Ende sind wir erfolglos.
Viel von der Stadt gesehen, aber kein Gas. Dafür haben wir den Markt von
Siracusa gefunden. Wir segeln nach Süden, wollen, dass Luisa ein paar Fotos der
segelnden Seestern macht. Das funktioniert nicht so gut, statt dessen ankern
wir vor dem Stadtstrand und Luisa und Janina schwimmen zu uns raus. Eine Cola
Zero für die Mädels zum Abschied, ein paar Runden ums Schiff schwimmen, dann
verabschieden wir uns, wir müssen ja noch das Anlegen üben.