Die Reise zum Traum
Irgendwann im Sommer 2016 erreicht mich eine kryptische Mail von Ramsi – er hätte sich einen Dosenquetscher gekauft. Angehängt ist auch ein Foto – eine Metallkonstruktion mit Hebel, die tatsächlich so aussieht, als können sie eine Blechdose zu einer dicken Scheibe zusammenquetschen. Doch interessant ist nicht das Gerät – ganz offensichtlich ist es neben einem Niedergang montiert, der Treppe die in ein Segelboot hineinführt. Fünfzehn Minuten später kommt eine weitere Mail, welches ein Problem an dem Dosenquetscher schildert: Er hänge an einem Schiff – einer Najad 343, welches in Hindeloopen am Ijsselmeer liegt, welches nun mit Dosenquetscher Ramsi gehört, und ob wir ihm helfen könnten, das Segelschiff im nächsten Jahr nach Berlin zu überführen.
Und so kommt es, dass ich mich zu Ostern 2017 in die Niederlande begebe, um bei einer Schiffsüberführung mitzuhelfen. Ich arbeite zu der Zeit hauptsächlich in Hamburg, so setze ich mich Karfreitag in den Zug und fahre nach Enschede, wo ich in einen Mietwagen mit gelben Kennzeichen (aber ohne Wohnwagen) umsteige. Ich hatte von den Niederlanden bislang nur einmal Amsterdam gesehen, jetzt will ich Windmühlen und Tulpenblüte nachholen. Am Sonntag dann die ausgeklügelte Logistik: Auto in Leeuwarden abgeben, mit Zug nach Hindeloopen, Schlüssel vom Auto meiner Freunde im Bootsladen abholen (die sind in der Woche vor Ostern über die Stehende-Mast-Route durch West-Friesland gefahren), mit Auto nach Emden zum Bahnhof, dort Frank und Christian abholen, und dann weiter nach Delfzijl. In Deflzijl (oder Deliziös, wie es die Autokorrektur gerne nennt) treffen wir Karin, Ramsi und Familie, Crewwechsel ist angesagt. Nach dem familienfreundlichen Herumtuckern auf Kanälen kommt jetzt der Männertörn – von der Emsmündung zum Nordostseekanal. Die Familie muss derweil mit dem von mir gebrachten Auto zurück nach Berlin. Ein gemeinsames Abendessen in Delfzijl – wo ziemlich der Hund begraben ist – und ab in die Koje, denn wir müssen uns hier bei der Abfahrt nach den Gezeiten richten.
Der Wecker klingelt um 4:30 – das soll Urlaub sein?!? Es ist noch arschkalt, wir mümmeln uns in das Ölzeug, und legen in der Dunkelheit ab. Die Yachtliegeplätze in Delfzijl liegen am Ende des langgezogenen Industriehafens, so fahren wir erstmal eine halbe Stunde zwischen sehr großen Schiffen auf einer Seite und einem Deich voller Windräder auf der anderen Seite um überhaupt auf die Emsmündung zu kommen. Der Industriehafen bedient hauptsächlich Chemiewerke, und so riecht es auch.
Es ist mein erstes Mal an der Nordsee, und das Revier ist naturgemäß anders als die, wo ich meine Erfahrungen sammelte. So ist auf der Seekarte neben dem Fahrwasser in Richtung Ostfriesland eine riesige Wiese eingezeichnet. Wenn ich neben dem Schiff gucke, ist dort aber nur meilenweit Meer. Ich hab‘ auch selber nicht lange gebraucht, es zu kapieren – die Wiese ist eine große grüne Fläche auf der Seekarte, und bedeutet damit Stellen, die bei Niedrigwasser trockenfallen können. Nennt sich halt Wattenmeer, und jetzt, wo wir das gerade ablaufende Hochwasser nutzen, um uns nach Borkum zu spülen, ist eben alles mit Wasser bedeckt. Aber in den Karten der Adria gibt es fast keine grünen Stellen, deshalb ist meine erste Reaktion eben … falsch. Das wird mir im Laufe des Törns noch öfters passieren, dass ich mir erst bewusstmachen muss, wie hier die Karte zu lesen ist. Um die Mittagszeit erreichen wir Borkum, der erste Tag ist vollbracht.
Im Hafen von Borkum liegt ein paar Stege weiter der Seenotrettungskreuzer „Alfried Krupp“ und seine gelangweilte Besatzung. Jedenfalls ist die Besatzung einem gemütlichen Schnack (man bemerke die regional angepasste Formulierung) nicht abgeneigt, und wir greifen ein paar Tipps ab. So sieht es aus, als könne man bei Hochwasser nordwestlich von Borkum über den Borkumer Riff eine Abkürzung fahren (2-3 Meter Wassertiefe bei Niedrigwasser plus ca 2 Meter wegen der Flut – da passen wir doch mit unserem Tiefgang drüber). Die Mannschaft der DGzR ermuntert uns nicht zu diesem Plan, aber meint auch eher pragmatisch: „Wenn Ihr morgen dort die kabbeligen Wellen seht, wollt Ihr da sowieso nicht mehr durchfahren“. Sie werden recht haben.