Der „Lonely Planet“ schreibt über die Stadt Русе/Ruse: „as if a little chunk of Vienna had broken off and floated down the Danube“. Das weckt Assoziationen, dass die Stadt wie ein Kleinod der KuK Monarchie ist. Es könnte aber auch anders interpretiert werden. Ich stelle mir folgendes Gespräch zwischen dem Burgermeister von Wien und einem Mitarbeiter vor:
Mitarbeiter : Herr Bürgermeister, Herr Bürgermeister, da ist ein Bröckerl vom 24. Bezirk abgebrochen und schwimmt jetzt die Donau runter! Was sollen wir nun tun?
Bürgermeister: Samma doch froh! So leicht kriegen wir die grattlige Ecke mit den ganzen Sandlern nie wieder los! Aber san’s bloß staad, sonst bekommen wir noch ne Anzeige wegen unerlaubten Müllentsorgung.
Nach einem kurzen Rundgang durch die Stadt tendiere ich zu zweiter Version. Wieso bin ich in Rousse (eine etwas edlere Schreibweise, die gerne genommen wird, um noch etwas Charme anzudichten)? In gewisser Weise ist es eine Trotzreaktion auf meinen ersten ablehnenden Eindruck von Bulgarien. Da hatte ich gedacht ich verlasse dieses Land so schnell wie möglich. Nachdem Sofia gar nicht so schlimm war, wollte ich Buße tun, und noch ein weiteres Ziel in Bulgarien ansteuern. Noch zur Debatte hätte Veliko Târnovo gestanden, aber da waren die Verkehrsverbindungen etwas schwieriger, besonders da ich eigentlich Zug fahren wollte. Und so entschied ich mich für eine von Bulgariens elegantesten Städte (noch so eine unqualifizierte Beschreibung) anstatt der mittelalterlichen Festung Tsarevets. Außerdem, Urlaub an der Donau hört sich doch Klasse an.
Von der Busstation nehme ich ein Taxi zu dem vom Reiseführer empfohlenen Hotel. Der Fahrer versucht mir einen Pauschalpreis aufzuschwatzen, aber ich kann Ihn zur Nutzung des Taxameters bewegen. So kostet mich die Fahrt nur acht anstatt zehn Lev. Auf dem auf dem Rückweg kostet mich die gleiche Strecke nur drei Lev, es würde mich interessieren was der Fahrer für Tarifmerkmale in sein Gerät eingegeben hat. Wahrscheinlich 17 Leute mit Übergepäck.
Ich hab nix gebucht – ist ja Nebensaison. So gehe ich zuversichtlich an die Rezeption, und frage der Form halber, ob sie denn möglicherweise ein kleines Zimmerchen für mich hätten. Nein. Immerhin darf ich deren WLAN benutzen um im Internet ein anderes Hotel zu suchen. Ich finde das Grandhotel Riga, mit vier Sternen und exzellente Bewertung. Also klicke ich auf Buchen und mache mich auf den Weg. Das Hotel ist ein 15 stöckiger Klotz. Das Dekor lässt vermuten dass er noch zu kommunistischer Zeit gebaut wurde. Allerdings sieht es in der Lobby gar nicht schlecht aus, und das Personal hinter der Theke ist sehr hilfsbereit und nett. Ich bekomme sogar ein Upgrade in die Junior Suite. In dem Zimmer kann man tanzen, und so wie der Teppich aussieht haben das dort auch schon einige Leute gemacht. Auch das Bad und die Badewanne sind riesig, aber das luxuriöse Platzangebot wird getrübt durch himmelschreiende Verarbeitungsmängel.
Der einzige der drei Zügen die täglich nach Bukarest fahren, fährt um 14:35 Uhr. Im Reiseführer steht man soll früh da sein, wegen Karte kaufen und Passkontrolle. Als ich ankomme, finde ich nur einen Schalter offen. Dort gibt es aber keine internationalen Karten. Der richtige Schalter macht aber bald auf. Eine kundenorientierte Fahrkartenverkäuferin schlürft ans Fenster und hört sich meinen Wunsch an. Sie schaut konzentriert in in Ihren Computer; das Buchungssystem sieht verblüffend wie Facebook aus. Die scrollt ein wenig auf dem Bildschirm hin und her aber findet dort auch keine Karte für mich. Deshalb wechselt sie in ein anderes System und beginnt zu tippen. Den Fahrpreis rundet sie großzügig auf, aber da auch sie kein Englisch versteht, diskutiere ich nicht weiter. Zehn Euro nach Bukarest sind auch o. k.
Rumänien sieht auf den ersten Blick auch nicht anders aus. Auch hier möchte ich nicht tot über den Zaun hängen. Nach einiger Zeit kommt am Zugfenster eine skurrile Landschaft vorbei. Gleichmäßig über das ganze Land verteilt sind Ölförderanlagen, vom Typ nickende Heuschrecke. Um die Pumpen mit Strom zu versorgen, stehen Masten von Überlandleitungen wie ein karger Wald dazwischen. Nach 3 Stunden Fahrt bin ich in Bukarest.
Mein Hotel, preiswert und in Bahnhofsnähe, erweist sich als wesentlich besser als ich erwartet hätte. Ich mache mich mit der Metro auf den Weg in die Stadt.
Von Sigi habe ich ein Restaurant Tipp bekommen. Das Caru’cu bere ist schnell gefunden, erweist sich aber nicht als Geheimtipp. Fairerweise muss man sagen, dass das Sigi auch nie behauptet hat. Während ich 20 Minuten auf mein Tisch warte, treffe ich zwei amerikanische Soldaten, Fallschirmspringer aus den Südstaaten, die beide Joe heißen. Beide sind in Stuttgart stationiert. Während ich White Joe mit seinem Akzent kaum verstehe, ist Black Joe extrem vielseitig interessiert. (Ob die Unterscheidung politisch korrekt ist , möchte ich nicht beurteilen, aber so haben sie sich selbst vorgestellt). Ich rede mit Black Joe über den interessantesten Artikel den ich seit einiger Zeit gelesen habe, eine Empfehlung von Frank. Es geht dabei um künstliche Intelligenz, und ich kann ihn nur empfehlen: So gehen sie dahin, meine Vorteile.
So ist das Bier süffig, die Unterhaltung interessant und das Essen reichlich. Ich fahre mit der Metro zurück, müsste beim Umsteigen aber 20 Minuten warten, und das für nur eine Station. Das geht auch zu Fuß. An der Oberfläche orientiere ich mich, und frage eine Frau nach dem Weg. Sie hätte mich offensichtlich nicht für einen verrückten, und da sie den gleichen Weg hat, nimmt sie mich mit. Sie kann passabel englisch und wir unterhalten uns etwas. Was ich denn in Bukarest mache, fragt sie. Als ich „Urlaub“ antworte, guckt sie etwas komisch, im Oktober? Jetzt hält sie mich doch für verrückt, aber wohl immer noch nicht für gefährlich.
Am nächsten Tag wandere ich ein wenig durch die Stadt. Ich sehe die ehemalige kommunistische Parteizentrale, von deren Balkon Ceaucescu am 22. Dezember 1989 seine letzte Rede hielt. Auf YouTube finde ich Videos, wo er offensichtlich erzürnt ist, dass seine ihn liebenden Untertanen ihn ausbuhen. Drei Tage später wurde er in einem kurzen Prozess diverser Verbrechen für schuldig gesprochen und gleich danach mit seiner Frau auf dem Hof erschossen. Ich habe im Internet kein Indiz dafür gefunden, dass ihm jemand eine Träne nachweint. Zuletzt sehe ich noch den Palast des Parlaments, nach dem Pentagon das zweitgrößte Gebäude der Welt.
Doch jetzt zu meinen Eindrücken: ich hatte Bilder im Kopf , dass Rumänien ein bitterarmes Land ist. Ich erwartete obdachlose Straßenkinder, die in den Kanälen der Fernwärme leben und Klebstoff schnüffeln um ihren Hunger zu vergessen. Ich war auf unzählige, magere, streunende Hunde gefasst. Ich hatte meine Wertsachen strategisch am Körper verteilt, um Taschendieben keine leichte Beute zu sein. Auch mit einer Vielzahl von bettelnden (Sinti und) Roma hatte ich gerechnet. Auch Kommentare von Freunden und anderen Reisenden (watch out for the Gypsy pickpockets / Bukarest ist hässlich / dead dogs verywhere), schienen dies zu bestätigen.
Nichts davon kann ich aus eigener Erfahrung wiederholen (auch wenn ich nicht in den Kanälen der Fernwärme war). Bukarest ist sauber und modern, nicht überall hübsch, aber in den Gegenden wo ich war auch nicht furchtbar. Ich habe nur einen einzigen Hund gesehen, der nicht an einer Leine war, und der hatte eine Marke am Ohr. Die meisten Menschen waren gepflegt und attraktiv, zumindestens die Frauen, denn auf die Männer achte ich nicht so. Nach einiger Zeit habe ich auch aufgehört mein iPhone ständig zu verstecken, denn ein möglicher Taschendieb hätte auch bei allen anderen Passanten eine gute Chance gehabt. Ich habe mich jedenfalls in Bukarest erheblich wohler gefühlt als in Bulgarien. Auf Wikipedia habe ich mich dann auch noch etwas informiert. Ich hatte irgendwie gedacht das Rumänien, das ja auch mal im Warschauer Pakt war, dem restlichen Ostblock kulturell sehr ähnlich wäre. Weit getäuscht: slawische Völker gibt es nördlich und südlich von Rumänien, aber im Land kaum. Auch die Ähnlichkeit zwischen dem Begriff ‚Sinti und Roma‘ und dem Eigenbegriff ‚Romania‘ ist rein zufällig.
So gehen sie dahin, meine Vorteile. Reisen bildet, again what learned.