Die besondere Rolle Istanbuls als Brücke zwischen den Kontinenten wird hier immer wieder betont. HIER treffen Europa und Asien zusammen! Auch wenn so eine touristische Aussage mal ganz entspannt ein paar tausend Kilometer Ural ignoriert, so sind die Gegebenheiten hier doch so, dass ich zu Fuß nach Asien gehen könnte – und damit auch meinerseits die stundenlange Flüge unter den Tisch fallen lasse, die ich tatsächlich dazu brauche. Ein schöner, symbolischer Akt, die Bosporusbrücke zu Fuß zu überschreiten, oder?
Aber dazu musste ich erstmal aufstehen. An meinem ersten Abend hier konnte ich das Netbook doch noch so dressieren, wie ich es wollte – vorerst wird es also weder türkisch noch burmesisch mit mir reden. Und so ein Post, der schreibt sich auch nicht von selbst. Außerdem habe ich Urlaub, da ist Ausschlafen doch erlaubt? Also habe ich den auf 8:00 gestellten Wecker ausgemacht und bin um 10:30 wieder aufgewacht. Soviel also zu der Stadtrundfahrt um 10:00. Dann eben als erstes die ebenfalls geplante Bosporus Rundfahrt. Am Donnerstag hatte ich ein paar Flyer neben dem Hotel gesehen, Rundfahrt für 25€. Hört sich doch ganz vernünftig an, also auf zur Tat – aber ob das Angebot wirklich das Beste ist? Ich schlendere mal ein wenig Richtung Anlegestelle, komme an einem weiteren Reisebüro vorbei: 15€, 40% gespart! Leider bequatscht der Eigentümer gerade eine andere Touristin, so dass ich Nimmersatt weiterlaufe. Nach weiteren 300m ist der Preis auf 8€ gefallen, aber jetzt will ich’s wissen. Auch wenn’s unwahrscheinlich ist, dass an den Schiffen selber Karten verkauft werden, riskiere ich’s. Am Ende werde ich belohnt: „two hour tour, ten Lira, come, come, please!!!“ Es geht also auch für ca. 3,50€, wobei ich zugegebenermaßen den Kilometer laufen musste statt von einem Shuttlebus gefahren zu werden.
An Bord beginne ich zu zweifeln, ob das mit die-Bosporus-Brücke-zu-Fuß-überqueren wirklich so eine gute Idee ist. Wer hatte mir erzählt, dass es hier schön warm sein würde? STIMMT NICHT. Gut, offensichtlich immer noch 10° wärmer als in München, aber auf dem Wasser und mit Fahrtwind ist es richtig zapfig. Das ist auf der Brücke, die wir bald unterfahren, sicherlich nicht anders – die riesige, 15m² große, türkische Fahne weht jedenfalls waagrecht von der Brücke weg. Vielleicht suche ich mir einen anderen symbolischen Akt – aber in der Überschrift bleibt’s. Nach der Rundfahrt schnappe ich mir erst ein Balik Ekmek (Danke, Andrea, für den Tipp!) und dann die Straßenbahn – gefüllt wie die U-Bahn kurz vor der Theresienwiese – und nutze damit eine Alternative in mein Viertel zu kommen. Dort wartet die Hagia Sofia auf mich.
Die Hagia Sofia übt fast den größten Reiz aller Sehenswürdigkeiten Istanbuls auf mich aus; alleine den Namen finde ich faszinierend. Als Kirche gebaut, nach der Eroberung durch die Ottomanen als Moschee umgewidmet ist sie seit 1934 ein Museum. Die gigantische Kuppel ist im Jahr 562 fertiggestellt worden – das ist 1451 Jahre her. Das Ding stand schon 6 Jahrhunderte, als jemand auf die Idee kam München zu gründen. Gut, filigran ist anders. Die Mauern sind einige Meter dick, und außen scheinen großzügig in verschiedenen Epochen Verstärkungen angebracht zu sein, die dem Sakralbau etwas von ‚vereinigten Hüttenwerke‘ verleihen. Dennoch verfehlt das Bauwerk seine Wirkung nicht. Ich bin tatsächlich tief beeindruckt, versuche das auf Fotos zu bannen, aber noch bin ich nicht ganz glücklich. Überhaupt hat mir das Wetter bislang einen Strich durch die fotografische Rechnung gemacht.
Am nächsten morgen bringe ich die Disziplin auf, pünktlich um 10:00 bei der Stadtrundfahrt zu sein (mitten in der Nacht, obwohl ich Urlaub hab). Der Cabrio-Doppeldecker-Bus ist nicht das ideale Vehikel heute. Unten hat’s wegen der bescheuerten Aufteilung nur Platz für ca. 10 Leute, das obere Deck bietet rollbare Seitenscheiben aus milchigem, zerkratzten Plastik; die gehen gar nicht. Also bleibt’s offen, und es wird kalt. Beim Überqueren der Brücke geht der Wind durch Mark und Bein, am Ende der Fahrt bin ich komplett durchgefroren. Witzig ist das an sich gut gemeinte Audiokommentarsystem. Das Bild unten zeigt jedenfalls ‚das Stadion von Beşiktaş Istanbul, einem der erfolgreichsten Fußballvereine der Türkei‘, meint die fröhlich von Band plappernde Stimme. Sogar ich kenne den Namen Beşiktaş, und es wundert mich, dass die auf so einem holprigen Platz spielen. Auch dass der Taksim-Platz für irgendetwas außer Flanieren bekannt ist, fällt unter den Tisch.
Nach Rückkehr, wärmendem Tee und scharfen Kebap steht die blaue Moschee auf dem Programm. Ähnlich groß wie die Hagia Sofia, aber halt nicht annähernd so alt. Der Islam ist hier auffällig weltoffen. Am Eingang packt jeder Besucher seine Schuhe unter olfaktorischer Begleitung in eine Plastiktüte, es werden entspannt Kopftücher ausgeteilt, und zu kurze Röcke oder Leggings werden mit einer Mischung aus Kellnerschürze und Wickelrock verdeckt. Aus Unterhaltungen höre ich, dass es die auch für Männer mit kurzen Hosen gibt, aber heute haben die Männer alle zu viel Anstand, es gibt keinen Bedarf. Sehr nett finde ich die Einladung in der Moschee zu dem Islam Information Center: „… whether you are a visting Christian, Jew, Hindu, Atheist, Agnostic […] come in just to say hello, or have a friendly talk […] ask questions, basic or advanced. […] And you will have a friend in Turkiye.“
Am Abend beschließe ich, den Tageswärmehaushalt nochmal aufzufüllen, und ein Hamam aufzusuchen. Ganz in der Nähe meines Hotels ist ein solcher, aus dem 17. Jahrhundert. Das Alter glaubt man ihm sofort, aber hygienetechnisch bestimmt auf dem neuesten Stand. Na ja, bei dem was ich an Reise vor habe darf man wohl nicht so etepetete sein, also mal rin ins Vergnügen. Das Prozedere sieht so aus: von Strassenkleidung in Handtuch wechseln, 15 Minuten Sauna (mit umwickeltem Handtuch), neben Marmorbecken hocken und sich mit einer Schüssel abspülen, vom Hamamisten mit Schrupphandschuh gereinigt werden, auf Marmorblock gelegt, abgeseift und massiert werden, in anderen Raum mit Marmorbecken setzen und warten, auf heißem Stein legen und schwitzen, wieder mit Schüssel abspülen – fertig, und wieder umziehen. Ich wünschte, so eine Beschreibung hätte es irgendwo gegeben. Tatsächlich wartet man ständig auf Gesten des Hamamisten, was man denn als nächstes tun muss. Der ist nicht so amused, dass er hier auf einen Rutsch sechs Touristen komplett ohne Ahnung als Kunden hat. Verächtliche Blicke, weil ich zu blöd bin, mich auf die Stufe neben dem Marmorbecken zu setzen (Nein, nicht anlehnen!), nicht kapiere wofür die Plastikschüssel ist (Hier eintunken, und dann über Kopf und Arme schütten, kann doch nicht so schwer sein). Er bedeutet mir, mich auf den marmornen Altar in die Mitte zu legen, und gestikuliert mich wild an, wenn ich mich umdrehen muss. Die tatsächlichen Aufmerksamkeiten sind entspannend, aber danach schickt er mich in einen Nebenraum wo ich erstmal warte. Mit anderen Besuchern (Südafrika, England, Griechenland, 2x Ulm) rätseln wir, wie’s nun weitergeht. Ob er uns in diesem Raum einfach vergisst? Irgendwann holt er mich aber wieder in den Raum mit dem Knetblock, ich darf mich auf den Marmorboden daneben legen. Ich fühle mich wie ein Schnitzel auf dem heißen Stein. Die beiden Ulmer haben bosnische Wurzeln und reden (wegen 30% gemeinsamen Wortstamms, meinen sie) überzeugend auf den Wärter ein, er antwortet auch, aber sie geben dann zu dass sie eigentlich auch nix verstehen. Irgendwann bin ich als Schnitzel offensichtlich durch, ich werde nochmal abgespült und bin fertig. Auch meine Wertsachen haben’s überlebt, ob ich da mal entspannter werde?
Morgen gehe ich im großem Bazaar fünf Teppiche kaufen, und auf denen fliege ich dann am Abend weiter nach Myanmar.