Was aus dem Archiv – von 2003 an war ich recht häufig in Russland. Hat mir nicht so gefallen. Teilweise fühlte ich mich etwas … alleine. Damals gab es noch keine Blogs, aber einen gewissen Mitteilungsbedarf hatte ich dennoch. Also schrieb ich e-mails, an einen großen Verteilerkreis, und hoffte dass jemand zurückschreibt. Diese Mails habe ich jetzt ausgebuddelt, und teile sie mit Euch. Ich habe außer hanebüchenen Rechtschreibfehlern nichts verändert – wegen der Authentizität, nicht weil ich zu faul bin!
An: schreib_dich_frei@osram.de
Ihr dürft mal wieder mein Dampf-Ablass-Ventil spielen….
Samstag Abend
Fußball – Deutschland spielt gegen Lettland, noch jedenfalls nicht erfolgreich. Ist nicht so aufregend. Wer mich und meinen grenzenlosen Enthusiasmus für Fußball kennt, kann sich vorstellen, dass es mir alleine deutlich weniger Spaß macht, weil ich dabei keinen Kenner traktieren kann („die Schweden kontrollieren das Spielfeld“ – „Ach, ich dachte das machen die Schiedsrichter?“). Interessant ist der russische Kommentator. Man hört immer so einzelne Fetzen die man versteht – und die Namen. Allerdings auf russisch dekliniert: „Ballackom – Kringsov – Lahma“. Das Llama hab ich auf dem Spielfeld allerdings noch nie gesehen, vielleicht hat es die Rasenpflege vorher gemacht. (Oder einer der Spieler spuckt?) Irgendwie passt es zu den Russen, dass sie eigene grammatikalische Fälle für ballabgebende, foulende oder gefoult-werdende Spieler haben. Muss mal sehen, was sie für eine Endung für Tor-schießende Spieler haben. Allerdings, wenn das Spiel so weiter geht, erfahr‘ ich’s nie. Zwischendrin mal eine ernste Frage – wofür ist denn der Kapitän? Hat der Sonderrechte oder ‑pflichten (außer bei entsprechendem Münzwurf die Richtung zu wählen)?
Heute Vormittag war спартакыад – Spartakiade, oder das Sommersportfest. 300 Betriebsangehörige spielen verbissen Fußball, enthusiastisch Volleyball und sich kugelnd vor Lachen Paar-Sackhüpfend-Staffellauf. Außerdem Tauziehen, Kindermalwettbewerb, Kinder-zusammen-im-Hula-Reifen-Rennen und sonst noch einiges. Eigentlich muss man sie für so was mögen. Der Sportplatz eine Katastrophe, Asphaltrennbahn mit Schlaglöchern (und darauf 2×300+500m gemischter Staffellauf), Reste einer Betontreppe lassen erkennen, dass da mal eine Tribüne war, bei den Toren muss ich unweigerlich wieder an die Blindenwerkstatt denken, die die wohl gemacht haben. Aber die Stimmung genial, die Kantinenmannschaft brutzelt Schaschlik und bietet Piroggen an, und am Ende eine echt liebevolle Siegerehrung. Erinnerungen an Aldo-Busch werden wach. Dr. Kunzmann musste mit der Mannschaft der Administration Tauziehen (die wurden zweiter, gewannen ein 5l Partyfass Bier); ich wurde zur moralischen Unterstützung eingeteilt. Um meiner Rolle als Spezialist-von-OSRAM gerecht zu werden; wurde ich dann noch in die Jury vom sportivem Tanzen eingeteilt. Vier Teams von Kindern Tanzen um die Wette. Am genialsten waren die zwei dreijährigen, die vor Angst fast starr auf dem Feld standen; während Ihre Eltern soufflierend am Rand sich die Seele aus dem Leib hopsten. Nach einiger Zeit haben sie kapiert, worum’s ging und sogar einen Purzelbaum gemacht. Gemeinsamer dritter Platz mit einem anderen Team mit olympischem Gedanken. Danach ein Vodka-Picknick im Keller des energetischen Institutes, denen wohl irgendwie der Sportplatz gehört. Musste nach der Rückkehr ins Hotel erst mal drei Stunden schlafen. Hicks!
Nebenfrage für Deutschkenner, nachdem ich mich fast mit dem deutschem Kaufmann hier in die Haare bekam: Meine Behauptung, dass die Wortpaarung „[das] kostet teuer“ irgendwo zwischen ‚grammatikalisch verboten‘ und ‚einfach falsch, Schwachsinn, kein Deutsch‘ ist doch richtig? Oder???
Mittlerweile Mittwoch.
Ich wollte noch ein paar Worte über die Arbeit verlieren, aber eigentlich….. nix hat sich gebessert. Eher das Gegenteil. Gelebtes Murphy’s Gesetz. Wenn man sich konsequent an dem bayerischen Sprichwort orientiert, in dem es um ausgeschüttetes Kraut geht, hätte ich gedacht, ich bin mittlerweile krautlos. Falsch. Weit gefehlt. Wenn ich bei meiner These bleibe, die machen’s entweder gar nicht oder falsch, dann hat die zweite Version gesiegt. Der Kompressorenraum – sozusagen das Herzstück eines Mitarbeiters bei der PF-B – sieht zum Fürchten aus. Von ’neuem Wind‘ wenig zu spüren. Die von mir als völlig falsch bezeichneten Wandaufhängungen sind mittlerweile durch zusätzliche Stempen zum Boden verstärkt worden. Erhöht sowohl die Stabilität als aus das konsequente Gefühl von Pfusch und Bastelei. Ich hatte in meinen Käfer-billig-fahren-also-selber-basteln-egal-wie’s-aussieht-„Formfollowsfunction“-Zeiten mehr Stolz in mein handwerkliches Geschick, als die hier. Sprüche von meinem Chef (in München weilend) – „Da muss man einfach ständig daneben stehen“ sind auch nicht angebracht. Hab‘ ich das letzte Mal versucht. Man kann daneben stehen (neben der Baustelle, nicht neben sich selbst) und aus voller Kehle NEIN schreien, es hilft nicht. Immerhin bin ich mittlerweile zum Einzelbüro aufgerückt. Auch schön. Man kann nach einem Fertigungsrundgang still weinen, und keiner merkt’s. Die zweite Woche ist jetzt ruhiger – komme langsam in so eine Geduldsphase: „Vorschlag: streicht doch die Eisenträger an, bevor ihr sie in 6,50m Höhe aufhängt. Es ist einfacher sie am Boden zu streichen, als vom Gerüst aus.“ Das wiederhole ich täglich seit 7 Tagen, solange bis sie auch den letzten Träger unlackiert an die Decke gewuchtet haben. Morgen dürften sie fertig sein (und dann haben sie ja noch lange Zeit, die ganzen Träger vom Gerüst aus zu streichen. In konsequenter Weiterentwicklung des Handwerkerstolzgedankens werden dabei auch der Fußboden und unvorsichtige Arbeiter weiß gepunktet).
Wenigstens ist die Zeit hier gezählt. Morgen Nachmittag fahre ich nach Moskau – ich hab‘ meinen Chef überzeugt, dass der Besuch einer Messe – irgendeiner Messe – eine gute Idee wäre. Freitag also die Fachmesse „Neftegas“ für die Öl- und Gasindustrie in Moskau.
Bin ab Samstag früh wieder in München – Einladungen in den Biergarten werden gerne angenommen…
Bis dann, Chris