Festungshaft in Helsinki

Unter Entsetzensschreien kippt der Mast um und fällt mit einem hohlen Aluminium-Scheppern auf das Nebenboot und rutscht dann halb ins Wasser. Eine blonde Finnin, die versucht hat, den Mast aufrecht zu halten, kämpft bis zum Schluss und wird dafür mit einem kühlen Bad im Hafen von Suomenlinna belohnt. Die Szene findet am ‚Ausrüstungspier‘ des Segelclubs gegenüber statt, sechs Leute helfen mit, da kann so einen Mast auch nur mit Muskelkraft stellen, oder? Offensichtlich nicht. Der Mast der kleinen Jolle ist zwar leicht genug, dass ihn zwei Leute tragen können, aber ihn auf einem wackeligen Boot aufzustellen, das ist wohl komplizierter. Im Ohr höre ich meinen Nachbarn Wastl: „Wenn es doch nur irgendein Gerät gäbe, was bei so etwas helfen könnte…“ Ihr ahnt es: das Gerät gibt es. An der Ausrüstungspier steht auch ein Mastkran (sieht aus wie eine sehr stabile freistehende Leiter, von der oben ein Drahtseil hängt, welches von unten mit einer quietschenden Winde gekurbelt werden kann). Offensichtlich ist der Mastkran nur für Weicheier, und diese Quietschen nervt. Während die Finnin ihren Pulli auswringt wird der Mast aus dem Wasser geborgen, die verschiedenen Leinen gerichtet, und er doch an den Mastkran gehängt. Hafenkino der anderen Art.

Mast stellen

Suomenlinna, das ist die Festung im Hafen von Helsinki und unser heutiger Schlafplatz. https://de.wikipedia.org/wiki/Suomenlinna . Den Tipp haben wir von Tero bekommen, den wir gestern im Hafen von Ingå bzw. Inkoo getroffen haben. Wir fragten den Helsinkianer Tero nach seiner Empfehlung für eine Marina in Helsinki, denn auf Google Maps finden sich mehrere. Suomenlinna ist eigentlich auf einigen vorgelagerten Inseln gebaut, theoretisch also unpraktisch für einen Bummel durch die Stadt, aber „eines der beliebtesten Ausflugziele der Stadt“, und nur mit dem Schiff zu erreichen (ja, auch mit den Fähren, die alle 15 Minuten fahren sollen). Wir räsonieren – wir werden noch öfters durch Helsinki kommen, auf dem Weg von/zum Flughafen – vielleicht ergibt sich da mal Zeit für etwas Sightseeing, und dann mit der Fähre zur Festung? Das macht doch auch keinen Sinn. Also endet die erste Hälfte unserer ersten finnischen Woche. Es ist Montagabend. Wie üblich kommt nun die Rückblende – wie kamen wir hierher?

Am Samstag kommen wir Abends in Jussarö an, es liegen ein paar anderen Schiffe im Hafen, aber wir haben viel Platz um längsseits an den Steg zu gehen. Der Hafen ist noch nicht betreut – Vorsaison. Wir fragen andere Gäste, wie das jetzt läuft – Man könne wohl etwas irgendwohin überweisen. Auf meiner Erkundung des Hafens sehe ich einige Hinweistafeln, die auf Finnisch und Schwedisch über irgendwas Auskunft geben. Englisch? Fehlanzeige. Aber ich sehe auch keine IBAN, keinen Eurobetrag. Stellt Euch an dieser Stelle ein Achselzucken vor. Jussarö ist eine kleine Insel, vor langen Jahren gab es hier ein Bergwerk, danach eine militärische Beobachtungsstation, heute ist die Hälfte Naturschutzgebiet und die andere Seite Naherholungsgebiet. Very nice. Im Bereich des Hafens stehen zwei verrostete, nicht angemeldete Autos, man erkennt, wo mit Beginn der Saison vielleicht ein Café und der Hafenmeister wohnen würde, und dann noch ein Plumpsklo im Wald. Es gibt Nudeln mit Pesto.

Am nächsten Tag wagen wir uns in den Schärengarten, wollen nach Barösund oder Ingå. Auf der Karte sieht der Schärengarten gefährlich aus – da wird die Navigation sicher total die Herausforderung. Puh. Es ist einfacher. Überall stehen Kardinalzeichen und Lateraltonnen, sie bezeichnen deutlich einige Fahrwasser durch die tausenden von Inseln und Felsen. Mit Wind von hinten fahren wir durch den Barösund.

Die. Schärenlandschaft. Ist. Traumhaft.

Gut, eigentlich sind es halt immer wieder steinige, bewaldete Inseln. Auf jedem steht mindestens ein Ferienhaus mit eigenem Anleger. Das ist weniger elitär als man meinen sollte – Straßen machen auf einer Insel mit einem Achtel Quadratkilometer halt keinen Sinn – man kommt also mit dem Boot zum Ferienhaus. Ein Geologe könnte den Barösund sicher erklären, irgendeine Falte in der Erdoberfläche, die nun eine relativ gerade und enge Trennung zwischen Inselbereichen bietet, überall tief genug für unser Schiff. Kurz überlegen wir, in dem Hafen von Barösund-City zu bleiben, aber Ingå bleibt interessanter. Wir suchen ja auch einen preiswerten Hafen, um die Seestern drei Wochen liegen zu lassen, und am besten mit vernünftiger Verkehrsanbindung zum Flughafen Helsinki. Ingå wäre da gar nicht falsch.

Der Hafen von Ingå ist laut Beschreibung 2,40m tief; „technical depth 3m“. Wahrscheinlich soll das bedeuten, dass er regelmäßig auf 3m ausgebaggert wird, um immer 2,40m zu gewährleisten. Wir tuckern in den Hafen – wo sollen wir nur anlegen? Bei der ersten Schleife benimmt sich die Seestern seltsam, reagiert nicht auf’s Steuer. Ein kurzer Blick auf den Tiefenmesser: 1,70m – OK, wir hängen im Schlick. Schnell Rückwärtsgang, wir kommen frei, und probieren es auf der anderen Seite vom Steg. Auch hier kommt die Seestern nicht ganz in die geplante Parkposition. Wieder zeigt der Tiefenmesser 1,70m. Auch egal – wir bleiben mit der Nase zwei Meter vom Steg entfernt, können über einen Finger an der Seite aussteigen. Von wegen 2,40m.

[kurz der technische Einschub: Die Seestern hat laut offiziellen Daten einen Tiefgang von 2,10m. Ob das mit allen Einbauten und mitgeführtem Bier auch stimmt? Gemessen wir das mit Ultraschall kurz vor dem Kiel, und in dem entsprechenden Instrument wird dann noch der Abstand vom Ultraschallgeber zur Wasseroberfläche eingerechnet. Eigentlich haben wir das mal versucht genau einzustellen, aber… Außerdem kann es natürlich bei Schlick oder zB Seegras sein, dass dieses den Ultraschall zurückwirft, aber man noch durchpflügen kann. Manchmal erschreckt uns auch ein Fisch, der unter dem Tiefenmesser durchschwimmt.]

Es ist schon 21:00, es findet sich kein Hafenmeister mehr. Auch hier – Hinweisschilder auf Finnisch und Schwedisch, das war’s. Wir fragen uns durch – das Café dort übernimmt aktuell das Kassieren der Gebühren. Es macht morgen um 10:00 wieder auf. Wir unterhalten uns mit unserem Nachbarn Tero – ihm haben sie 25€ für die Übernachtung abgeknöpft, der volle Preis obwohl wegen der Vorsaison weder Toiletten noch Duschen aufhaben. Wir planen den nächsten Tag. Wenn wir früh aufbrechen, dann schaffen wir es bis Helsinki. Echt schade, dass wir dann keine Hafengebühr zahlen können.

So brechen wir am Montag um neun auf, folgen einem Fahrwasser nach Helsinki, und das ganze unter Segel – zwar nur Leichtwindsegel, aber wir sind ja nicht auf der Flucht. Es geht durch unzählige Inseln. Erwähnte ich schon, dass mir die Schären gefallen? Um 16:00 legen wir in Suomenlinna an.

Wie Ihr mittlerweile sicher auf Wikipedia nachgelesen habt, wurde Suomenlinna im 18. Jahrhundert erstmals von den Schweden befestigt, die es natürlich nicht Suomenlinna (Finnen-Festung) nannten, sondern Sveaborg (Wer hat es erraten? Schwedenburg). Noch heute heißt die Anlage auf Schwedisch (2. Amtsprache in Finnland) Sveaborg. Also vollzieht sich mit der Übersetzung auch gleich ein Besitzerwechsel. Das finde ich total witzig, bis mir auffällt, dass es bei Südtirol eigentlich auch so ist. Bis 1973 wurde die Inselgruppe vorwiegend militärisch genutzt, jetzt hat es eine interessante Mischnutzung. Es wohnen dort einige Leute, es hat ein Gefängnis, viel Tourismus mit Läden und Museen, einem U-Boot und Raum für Kultur und Kulturpflege. Denkt dabei an den Kunstpark Ost – leerstehende Industriegebäude werden zB preiswert an Vereine zur Erhaltung von historischen Schiffen vergeben, die in den ehemalig militärischen Trockendocks liebevoll ihre Wracks pflegen. Dadurch gibt es auch Ecken, die eher an Schrottplatz erinnern. Es gefällt uns dort ganz gut, wir bleiben am Ende zwei Nächte, ohne jemals die Fähre nach Helsinki Downtown zu bemühen.

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