Der Wind bläst aus Ost-Nordost. Alle Segel sind gesetzt, und wir fahren nach Norden. Hinter uns schwindet Estland langsam am Horizont. Auf nach Finnland. Unser ursprünglicher Plan war es, von Kärdla nach Tallinn zu fahren, und von dort aus nach Helsinki überzusetzten, dabei hätten wir evtl. noch einen Gast an Bord gehabt. Gast kam nicht, Wind war ungünstig, also fällt Tallinn aus, und Helsinki machen wir irgendwie anders.
Aber vielleicht nochmal der Reihe nach. Mittwoch um acht kamen tatsächlich die Segel, Boris zieht unsere Wanten und Stage auf die richtige Spannung an, und ein Elektriker schließt die verschiedenen Kabel, die aus dem Mast kommen, an. Ich helfe beim Segelanschlagen mit, aber ich glaube ich werde eher geduldet, als dass man sich über die Hilfe freut. Kurz vor zehn ist das Schiff fertig, ein Kollege von ihm wäscht es noch kurz, und ich gehe in mein Remote-Office. Für Donnerstag ist am Vormittag etwas Arbeit mit Calls angesagt, und mittags miete ich mir ein Auto, um die Insel zu erkunden. Man ist wirklich entspannt hier. Die Anmietung besteht daraus, dass der Werkstattinhaber meinen Führerschein mit dem Handy fotografiert, mir 30€ in bar abnimmt, und auf einen Honda irgendwas auf dem Hof zeigt: „Schlüssel steckt“. Ich habe mich akribisch auf die Sightseeingtour vorbereitet: https://hiiumaa.ee/de/sehenswuerdigkeit/ , und mir zwei Leuchttürme ausgeguckt. Dabei kommt man etwas rum, und bekommt sicher ein Gefühl für die Insel. Das Gefühl, es erweist sich zwischen Entschleunigung und begrabenem Hund. Die Sehenswürdigkeiten Website hat recht: man kann „denken oder nicht denken – modern ausgedrückt – meditieren“. An der Nordwestspitze steht der Leuchtturm Tahkuna, 1871 von Russland auf der Weltausstellung in Paris gekauft, bestehend aus vorgefertigten gusseisernen Elementen. Auf dem Weg dorthin ein paar Bunker einer sowjetischen Küsten-Artilleriebatterie, die mittlerweile fast vollständig im Wald eingewachsen sind. Den Leuchtturm darf man für eine Gebühr von 4€ erklimmen, die Ticketverkäuferin ist eine klare Kandidatin für den ’stressigsten Job von Hiiumaa‘. Geschätzt alle 30 Minuten kommt einer oder mehrere Touristen, kaufen ein Ticket, und die Verkäuferin kann weiter mit ihrem Handy spielen. Ich erklimme den 42m hohen Turm, bin allein. Wahnsinnig viel zu sehen gibt es nicht. Auf einer Seite Meer, auf der anderen Wald. Dazwischen etwas Strand. Das war’s. Es gibt noch ein Denkmal für die „Kinder als Opfer der Estonia Katastrophe“. Dann fahre ich weiter, zum Leuchtturm Kõpu. Er steht auf dem höchsten Berg von Hiiumaa (68m), und ist architektonisch an eine Pyramide angelegt. Tatsächlich blickt der Turm auf eine fast 500-jährige Geschichte zurück, es ist der drittälteste Leuchtturm der Welt, der noch steht. Anfangs war es gar kein Leuchtturm, sondern nur ein Turm der als Landmarke diente. Da ich auf dem Weg dorthin nichts anderes als Wald gesehen habe, spare ich mir diesmal den Rundumblick und stromre einfach etwas darum umher. Ich fahre zurück nach Kärdla, und kaufe schon einmal 50 Liter Bier in Dosen. Danach zum Flughafen, Frank abholen. Frank fliegt ja auch mit Anonymous Airlines, hat eine Stunde Verspätung weil das blöde Flugzeug nicht anspringt, aber zwei Stunden später sitzen wir beim Griechen und trinken einen Ouzo.
Eigentlich wollen wir den Freitag ganz ruhig angehen lassen – wir haben ja Urlaub, und müssen nicht heute fahren. Wir organisieren von der Werft noch eine Putzkraft, die unser Schiff mal durchsaugt und wischt, und Frank fährt einkaufen. Aus Angst vor finnischen Bierpreisen bunkern wir hier in Estland nochmal ordentlich Bier, die Kassierin staunt nicht schlecht, als Frank mit dem dritten Einkaufswagen (sie waren aber auch wirklich klein) voller Bier durch die Kasse fährt. Beim Mittagessen prüfen wir nochmal die Windvorhersage – oh Schreck. Heute Nachmittag steht der Wind noch günstig, um ans estnische Festland zu fahren, morgen kommt der Wind eher aus Ost. Plötzlich werden wir hektisch. Zum Schiff fahren, Klappfahrrad einladen, Mietwagen tanken und abgeben, mit Klapprad wieder zum Schiff, Leinen los – die Reise beginnt. Etappenziel ist Dirhami – das dritte Mal für uns in diesem Hafen. Der Wind ist nicht besonders stark, deshalb kommen wir diesmal zu spät für das Fischrestaurant.
Am nächsten Morgen werfen wir den Plan mit Tallinn über den Haufen – der Wind ist echt ungünstig um nach Osten zu segeln, aber nach Finnland – dazu ist er ideal. Na gut, dann fahren wir eben an der finnischen Küste nach Helsinki, und danach wieder zurück. Von einer finnischen Yacht im Hafen lassen wir uns ein paar Tipps geben, was ein guter erster Hafen nach der Überfahrt wäre (Optionen, von West nach Ost: Hangö, Byxholmen und Jussarö), und los geht’s. Um 19:00 legen wir bei bestem Wetter in Jussarö an, Willkommen in Finnland.