Marko ist unser Ansprechpartner für die Bootsüberwinterung. Man muss etwas wortklauberisch sein, dabei – man kann ihn wirklich ansprechen. Wieder und wieder. Manchmal antwortet er. Seltener, als man ihn anspricht. Vor dem Beginn der Saison hatten wir folgenden … Dialog: (? – Gibt’s dafür einen speziellen Begriff, zwischen Monolog und Dialog? So 1,5-a-log?). Wir wollten wissen, wie denn die Planungen wären, wann das Boot ins Wasser kommt, usw. Irgendwann hörten wir auf zu fragen; forderten: „Wir wollen am 18.5. vor Kärdla aus losfahren – please make it happen“. Die Antwort darauf: ein gelber Daumen hoch. Wunsch registriert, oder ‚Verlass Dich drauf‘ – wer will das schon so genau wissen? Irgendwann kam noch eine Nachricht „We will probably launch the boat on 15.05 {Mittwoch} and the masts the next day“. Der ursprüngliche Plan war es, am Donnerstag nach Estland zu fliegen, aber ich bin ja flexibel. Flug nach Tallinn am Montag, am Dienstag noch Zeit mit Unwägbarkeiten nach Kärdla zu kommen, am Mittwoch früh noch das Unterwasserschiff inspizieren und eine Opferanode anzubringen, und dann kann’s losgehen. (Opferanode – das gibt’s wirklich. Ein Klumpen preiswertes und elektrochemisch unedles Material ‚opfert‘ sich, dass es selber wegrostet und nicht der teure Messing-Propeller). Geplant, gebucht, mit dem Bus sollte ich sogar am Montag um 21:00 da sein – wenn alles klappt.
Montag früh mit Air Baltic nach Riga, weiter nach Tallinn. Alles pünktlich (is man ja nimmer gewohnt, von der Bahn). Am Flughafen in Tallinn schaue ich noch nach dem ’sagenumwobenen‘ Flug, der direkt nach Kärdla gehen soll. Google findet ihn nicht als regulärer Flug, und wenn man googelt, kommen ein paar Pressemeldungen, und eine Meldung, dass der Flug von Air Jamaica angeboten wird. Diese Pressemeldung spricht von 25€ für den Flug. Punkt. Ich versuche es am Ticketschalter im Flughafen: „But of course, sir. Yes, 25€. Yes, it leaves in 2 hours. Yes, there’s space for you.“ Ich lasse die 13€ Busfahrt verfallen und buche den Flug. Der Ticketagent meint noch, dass es nur 15kg Freigepäck hat, und meine zusätzlichen Kilos (Gepäck, nicht ich!) je 3€ kosten, aber davon weiß die Frau am Schalter nichts, oder es ist ihr wurscht. Wir fahren mit dem Bus an die hinterste Ecke des Flughafens, wo eine zweimotorige Turboprop Saab 340 auf uns wartet. Dem grundsätzlichen Hang zur Geheimniskrämerei folgend ist die Maschine weiß lackiert, und trägt kein Airline-Logo. Auf den ersten Blick sieht die Maschine etwas mitgenommen aus, auf den zweiten sogar ziemlich mitgenommen. Aber mei, eine Flugbegleitende und ein Pilotierender trauen der Maschine auch. Wir rollen zur Startbahn, die Motoren dröhnen, meine Uhr meint „Gefährliche Lautstärke erkannt – zu lange in dieser Umgebung kann Ihren Ohren schaden“. Aber 25 Minuten später landen meine 8 Mitpassagiere und ich auf dem Kärdla Metropolitan Airport. Als erfahrener Flugreisender halte ich Ausschau nach dem Baggage Claim, bis ich bemerke dass meine Tasche – und nur meine Tasche – auf kleinem Leiterwagen von der Ground-Handling Crew hinter mir zum gleichen Gebäude gefahren wird. Als ich anbiete, die Tasche selber zu nehmen, werde ich auf das Terminal-Gebäude verwiesen. Ordnung muss sein. Am Parkplatz steht ein Bus, der mich als einzigen Passagier für 2€ zum Hafen fährt. Unterwegs habe ich noch eine Unterkunft gebucht – als wir im September das Schiff hier abgaben, gab es ein paar schicke Bungalow-Container direkt am Hafen.
Im Hafen sieht’s dann anders aus. Die Bungalows sind offensichtlich für den Winter weiter nach Süden gezogen, und noch nicht wiedergekommen. Dafür sehe ich ein mir bekanntes Schiff im Hafen dümpeln. WTF? Noch während der Reise hatte mich ein Mail von Marko erreicht, ‚probably on Tuesday‘, und jetzt ist Montagabend, und die Seestern schwimmt. Damit hat sich der erste Grund für meine verfrühte Anreise erledigt.
Aber egal, erstmal Unterkunft finden. Im Hafengebäude gibt es ein Ferienwohnung, Zugang per Schlüsselkasten. Hm, 6290 hilft nicht. Vielleicht wo anders? Ich irre ein wenig um das Gelände, rufe schließlich beim Wirt (=Hafenmeister) an. Der PIN für den Schlüsselkasten? Ja klar, 2023. Ich Dummerchen, das hätte ich ahnen müssen, dass die PIN in der Mail nur zur Tarnung diente. Noch schnell etwas arbeiten (habe die frühere Abreise mit dem Versprechen erlangt, auch von Estland aus zu arbeiten), und dann ab in die Stadt. Auf dem Weg zu einem mir bekannten Lokal erkenne ich ein griechisches Lokal. Sieht zwar geschlossen aus, aber nein – die Türe lässt sich öffnen; „Kali Spera!“ Haben sogar griechisches Bier, passend zu unserem Schiff, bzw. dessen Kaufort. Weil der Wirt etwas bei meiner Bestellung verbaselt, bekomme ich noch ein Bier mit auf den Weg.
Am Dienstagmorgen schnappe ich mir die in Deutschland noch gekaufte Opferanode und gehe zur Werft. Dort drücke ich mein Überraschen über das schwimmende Schiff aus, und halte zur Untermauerung die Anode anklagend hoch. „Oh, don’t worry, the old was finished, so Boris installed a new one“. Den Wahrheitsgehalt zu überprüfen bräuchte jetzt einen Tauchgang in der eiskalten Ostsee – wird schon stimmen, doppelschwör. Ich frage auch nach dem fehlenden Niedergangschott (für Landratten: Haustür vom Schiff), und bekomme ein frisch geschliffenes Schott vorgelegt. Es ist unlackiert, weil ‚wir nicht Bescheid gesagt hätten, ob wir es lackiert, geölt, oder Natur haben wollen‘. Das ist halb richtig. Eigentlich hatten wir nur um ein ANGEBOT gebeten, was es denn kosten WÜRDE, unseren Cockpittisch und Niedergang etwas hübscher zu machen. Das Angebot kam nie, die Arbeiten sind jetzt halt ausgeführt. Welches mich zum Titel bringt. Die Arbeiter auf der Werft sind durchaus schnell, freundlich und wirken kompetent. Aber das ganze Management… Ein paar Beispiele:
- Wir hatten letzten Sommer eine Grundberührung. Nichts tragisches, laut Werft „a few scratches“. Foto davon? Wie, traut Ihr uns nicht? Don’t worry.
- Sollte man das gekratzte Antifouling dort ausbessern? Die Werft bietet ein völlig anderes Produkt, als unser teuer in Griechenland aufgebrachtes Coppercoat. Gibt’s in Estland kein Coppercoat? Keine Ahnung, was nun passiert ist.
- Bitte Angebot für Motor-Service, Getriebeölwechsel. Ach, das haben wir schon gemacht.
- Verhandlungen über ein neues Süllbord (Holzleiste unter der Reling) ziehen sich so lange hin, bis unsere Anfrage mit ‚dieses Jahr klappt es eh nicht mehr‘ beschieden wird.
Whatever, wenn wirklich alles getan wurde, was so für ein Boot getan werden muss (Opferanode, Ölwechsel), dann ist’s ja wohl auch OK. Bin gespannt auf die Rechnung. Ich frage Boris, wie es jetzt weiter geht. Er meint, um 15:00 kommt der Kran, der die Masten auf’s Schiff bringt, bis dahin könnte ich das Schiff von der Nordseite des Hafens bis zur Südpier bringen. Gut meine ich, gehe in meine FeWo, und arbeite noch etwas. Eine halbe Stunde später geht Boris zu unserem Schiff, Brumm, und parkt um. Ach, wisst Ihr was, macht doch einfach.
Mir kommt wieder in Sinn, was Frank (der evtl. von einem Freund zitiert) immer sagt: „Man hat das Gefühl, das viele der Leute, die im Umfeld der Hobby-Schifffahrt ihr Geld verdienen, es trotzdem eher als Hobby betreiben“. Da gibt es Gästehäfen, bei denen unsere Anfrage unbeachtet im SPAM verschwindet. Angebote scheinen eher was für Spießer zu sein. „Auf Lager“ bedeutet nicht, dass es bald versendet wird. Noch immer warten wir auf eine Rückmeldung von der Firma, die uns mit digitalen Karten versorgen will. Ein Trauerspiel.
Um 15:00 kommt tatsächlich der Kran, in 40 Minuten stehen beide Masten auf dem Schiff – noch nicht ausgerichtet und unter Spannung, aber drauf auf der Seestern. Noch während ich mein Handy einsammle, welches ein Zeitraffer-Video machen sollte, legt Boris mit der Seestern ab und fährt an einen anderen Steg. Ich komme mir richtig nützlich vor. Offensichtlich bekommt noch ein anderes Schiff seinen Mast, und der Kran scheint pro Stunde richtig teuer zu sein. Boris braucht immerhin zwei Anläufe, um die Seestern an den Steg zu bringen (Mit Backbord anlegen ist auch nicht die Schokoseite), und ich nehme ihm eine Leine ab. Sobald das Schiff so halbwegs am Steg liegt (ich habe die Leine noch in der Hand), meint er: „I’ll leave you to take care of the lines“, und eilt zum anderen Schiff. Puh, der Kran muss wirklich teuer sein. Morgen früh kommen die Segel, die richtige Spannung auf die Wanten, usw…
Frank konnte nicht vor Donnerstag fliegen; ich habe also drei Tage Vorsprung. Ich überlege, hier auf Hiiumaa ein Auto zu mieten, oder zumindest ein Fahrrad. Das Fahrrad kostet 20 € am Tag. Noch während ich überlege, fällt mir ein, dass wir ja ein Bordfahrrad haben, welches ich auch nach einem ersten Schreck in der Backskiste finde. Stimmt, da hatten wir ja ein Platz dafür gefunden, zuvor lag es immer am Fußende meiner Koje. Mit dem Rad fahre ich am Abend in die Stadt. Ja, Stadt. Kärdla (dt: Kertel) ist die größte und auch einzige Stadt auf der Insel Hiiumaa. Es gibt sogar ZWEI Supermärkte, in einem kaufen ich mir ein paar Getränke. Es werden auf Google auch immer wieder Restaurants angezeigt. Man geht dann dahin, und denkt sich: „Oh, heute geschlossen“. Stimmt aber nicht unbedingt. Hier müsste eine Kneipe sein. Sieht zu aus. Vielleicht da oben, im ersten Stock, von der Außentreppe aus? Ich glaub’s ja nicht, gehe mal hoch, wenn ich schon da bin. Tatsächlich. Hier ist ’ne Kneipe. Die hat auf. Gut, ist nur ein Gast drin, und der geht auch bald. Danach gibt es hier ein Personal zu Gast Verhältnis von 2:1. Vielleicht liegt es an meinem Nicht-Beherrschen der estnischen Sprache. Vielleicht bedeutet „SISSEPÄÄS II KORRUS“ ja: ‚Kommt rein, sieht zwar geschlossen aus, aber nein, hier steppt der Bär’*. To be fair, während ich sitze, werden noch zwei weitere Tische besetzt, wahrscheinlich von Leuten, die SISSEPÄÄS II KORRUS verstehen.
Ich radle heim, und schreibe diesen Blog auf meiner Terrasse mit Blick auf den Sonnenuntergang, ein Bild welches ich aber vor habe, als ‚Remote Office Working‘ zu verkaufen.
*Ich hab’s geprüft, das wäre „Tuleb sisse, tundub suletud, aga ei, karu tantsib siin“