Telania

Wir sitzen in Ciutadella de Menorca im Restaurante Aquarium beim Mittagessen, als sich eine interessante Szene entwickelt, an der ich Euch teilhaben lassen möchte. Am Tisch schräg neben uns sitzt ein interessantes Paar. Wäre ich jetzt kein moderner Mann, mit allen Wassern des Genderings und der Gleichberechtigung gewaschen, hätte ich vielleicht andere Schlüsse gezogen, aus dem älteren Mann mit der attraktiven jungen Frau, aber nein – das würde ich nie tun. Politisch korrekt trug sich alles sicherlich wie folgt zu:

Telania ist erfolgreiche Unternehmerin, und stellt nachhaltige Funktionskleidung her. Sie ist sich auch nicht zu schade, als Markenbotschafterin aufzutreten, und ist deshalb entsprechend gekleidet. Sie trägt ein weißes Kleid, dessen Hauptfunktion es ist – ähnlich wie eine neon-gelbe Warnweste – Aufmerksamkeit zu erzeugen. Neben der wärmenden Funktion, die sicherlich im Vordergrund steht, ist es eine weitere Funktion, einen Blick auf die anderen Teile der Kollektion durchschimmern zu lassen, in diesem Fall dem nachhaltigen (weil ressourcenschonenden) Bikini. Die Arme ist offensichtlich von Stechinsekten geplagt worden, beide Lippen sind geschwollen. Sie begleitet heute ihren Vater ins Restaurant, der seiner Tochter beweisen möchte, wie cool er ist – Bermudas und Wildlederslipper. Ganz schafft er es nicht (cool zu sein), er wird etwas hektisch als der Ober nicht SOFORT seinem Zahlungswunsch nachkommt. Telania ist es nicht gewohnt, auf Lakaien zu warten, und schlendert (bzw. catwalks) schon mal los. Papa trinkt noch fix ihr Weinglas aus. Telania geht an Bord ihrer – selbstbewusst nach sich selber benannten – Yacht, einer Princess V50 (wer’s Googlen möchte – eine protzige Motorhölle deren Reiz sich uns nicht erschließt). Normalerweise hat Telania sicherlich eine Crew von fünf Leuten, muss sich nicht um die Details kümmern, aber heute (sie ist eine gute Arbeitgeberin) hat sie denen frei gegeben und verbringt etwas Quality Time mit Papa, der vor vierzig Jahren bestimmt mal einen Tretbootführerschein gemacht hat. Papa gibt der Tochter noch ein paar gute Ratschläge zum Ablegen, und geht dann selber vor, um die Murings loszumachen. Ist leider nicht mehr so flink, der Papa, deshalb federt die Yacht in ihre Achterleinen ein, sobald die Murings nach vorne weg sind. Das Schiff treibt auf den Betonkai zu. Telania (die Frau) übernimmt eine tragende Rolle – sie trägt einen der Fender und hält ihn dorthin, wo das Schiff an Land einschlagen würde. Papa hat mittlerweile das Steuer übernommen, über 1000 PS und Bug- und Heckstrahlruder halten Telania (die Yacht) nun in Position. Deshalb ist es auch nicht weiter tragisch, dass sie die falsche Achterleine zuerst lösen – das Hafenwasser wird lautstark aufgequirlt, aber dann zieht sie auch die zweite Leine an Bord. Uns fällt auf, dass die Funktionswäsche für solche Aktivitäten nur bedingt geeignet ist. Wir (und die fünf anderen Tische im Restaurant) stellen die Beobachtung wieder ein, während die Yacht aus dem Hafen tuckert.

Ein wenig wundern uns Frank und ich – wir sind heute im Hafen geblieben, weil der Wind durchaus etwas heftig sein sollte, und aus der falschen Richtung, nämlich direkt aus Westen. Ciutadella liegt im Westen von Menorca, das heißt vor dem Hafen wird sich die Welle gut aufgebaut haben, und so eine Motoryacht mit ihrem flachen, auf Geschwindigkeit optimierten Rumpf dürfte da ganz hässlich schaukeln. Aber offensichtlich ist etwas Vater-Tochter-Bonding halt wichtiger.

Fünfzehn Minuten später – wir haben gerade unseren Kaffee bekommen – taucht eine bekannt aussehende Yacht wieder am Kai auf. Papa ist offensichtlich frustriert, wird später dem Marinero gestenreich erklären, dass es zu wellig war. Das einzige, was Papa beim Anlegen vernünftig macht, ist sich nur langsam auf das festgemachte Segelschiff, die Hermine, neben seinem Platz treiben zu lassen. Seine Tochter übernimmt wieder eine tragende Rolle, trägt den Fender dorthin, wo der größte Schaden zu erwarten sei. Der Marinero kommt, wäre bereit die Achterleinen zu übernehmen, doch welche Achterleinen? Die liegen irgendwo auf dem Boden des Steuerstandes. Papa sammelt den Knäuel, geht damit auf die Badeplattform, gibt dem Marinero ein Ende, und macht dann das andere an seiner Klampe fest. Seelenruhig ist er nicht mehr, fünf Tische freuen sich über’s Entertainment. Der Marinero hat – wie üblich – eine der Muringleinen gehoben, Papa nimmt sie, und macht sie persönlich vorne fest. Schade, dass es die Seite ist, die ihn nicht von der Hermine wegzieht. Der Marinero ist mittlerweile auf die Yacht gesprungen, um die Achterleine selber zu befestigen, zieht damit das Heck der beiden knutschenden Schiffe auseinander. Dass der Marinero an Bord kommt, um zu helfen, ist eher selten, dass er es aus Eigeninitiative macht schon fast ein Affront. Egal. Die zweite Muring (weg von der Hermine) wird übergeben, Papa macht sie fest, und bittet dann den Marinero, ob er ihm helfen kann. Leider nicht zu erkennen, ob es ihm an Kraft mangelt, das Ding anzuziehen, oder ob er den Knoten nicht kann. Telania – die als Unternehmensführerin den Wert begreift, Untergebene aus Fehlern lernen zu lassen – steht etwas teilnahmslos am Heck und hält den Fender dorthin, wo die Yacht zwischendrin droht, an die Hafenmauer zu dotzen. Hafenkino – das Highlight eines jeden Segelurlaubs.

Wie schon angekündigt – heute ist Mietwagen-Tag, wir haben uns Menorca angesehen. Mir gefällt die Insel, eher ruhig und entspannt. Wir besuchen ein paar der Buchten, die wir uns am Vortag vom Meer aus angesehen haben, in der Südostecke der Insel. Als erstes Binibequer Vell – ein 1972 erbautes Feriendorf, welches absichtlich auf ältlich gemacht wurde – und das tatsächlich gelungen. Verwinkelte kleine Gassen zwischen den Ferienwohnungen, absichtlich etwas krumm und schiefe Wände – das ganze vermittelt tatsächlich etwas authentisch historischen Flair. Hat offensichtlich damals auch ein paar Preise eingeheimst. Dann noch die Calas Binisafua und Binidali – in beide haben wir gestern mit der Seestern reingespechtet, heute hätten wir dieses mit der heftigen Brandung nicht gewagt. Es tut auch gut, einfach mal ein wenig herumzukraxeln.

Nach Ciutadella fahren wir noch in das Naturreservat Es Grau im Nordosten der Insel – ein paar Fotos in den letzten Sonnenstrahlen gemacht, und dann wieder nach Mahon zu unserem Schiff zurück. Heute sind wir wegen des Abendessens unentschlossen – erst ein Cocktail im Wepi – direkt gegenüber vom Schiff, dann wollen wir das gleiche im Alquimista probieren – hier gab’s die letzten beiden Abende lecker Tapas und Wein in einem Laden, den man nicht wirklich als stylisch bezeichnen kann. Leider hat der am Sonntag zu. Also wieder am Hafen in die andere Richtung. Im Latitude 40 probieren wir auch den lokalen Traditionscocktail, Pomada, eine (theoretisch 50:50 Mischung aus Gin und Zitronenlimonade), aber sind nicht beeindruckt. Entweder enthält unser Glas erheblich weniger Gin als im Führer beschrieben, oder das ist ein teuflisches Getränk, mit dem Frauen Männer unbemerkt betrunken machen könnten. Gut, dass wir die Seestern direkt neben einem rot blinkenden Seezeichen geparkt haben, da findet man sie auch Nachts schnell wieder. Morgen noch fix in den Supermercado, und dann geht’s auf nach Mallorca.

Übrigens – Menorca ist nachts ganz schön gefährlich geworden: Ab 23:00 sind nur noch Kriminelle und Polizisten unterwegs. Da wir nun mal keine Polizisten sind, wären wir wohl Kriminelle, würden wir uns auf die Straße wagen. Spanien hat als Reaktion auf die zweite Corona-Welle eine Ausgangssperre von 23:00 bis 06:00 erlassen. Es bleibt spannend.

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