Tl;dr: Diabolischer Plan, mit vier Frauen auf einer Insel zu stranden, scheitert.
„Wir sind vor vier Jahren in Griechenland aufgebrochen, nur um heute hier mit Euch den Abschluss von Mia und Kalle zu feiern“. Die Adressaten würdigen das Engagement, und auch die Wertschätzung, die es ausdrückt. Sie sind bereit, gewissen Logikfehler zu übersehen, zB dass vor vier Jahren die heute zu würdigende Ausbildung noch gar nicht begonnen, vielleicht nicht einmal geplant war. JUB würdigt die Formulierung nicht mehr, hat bereits verschiedene Abwandlungen davon gehört und rollt nur mit den Augen.
Wir sind bei Katri und ihrer Familie, einer alte Bekannte von JUB, die mittlerweile in Vaasa mit Ehemann Rainer und den (weitestgehend) erwachsenen Kindern Kalle, Lea, Lasse, Mia und Silas wohnt. Der Abschluss wird finnisch mit einem ‚Open House‘ gefeiert, deshalb waren auch wir willkommen. JUB hatte mit Katri zu Beginn seiner Reise Kontakt aufgenommen, und wir wollten uns das nicht entgehen lassen – eine echte finnische Feier in einer echt finnischen Familie; „am Samstag, 6.7. abends in Vaasa“ wurde zu einem Eckpunkt unserer Planung. Gut, ganz typisch sind sie vielleicht nicht – alle reden Deutsch, oder zu mindestens Schwäbisch. Katris Mutter war Finnin, sie wuchs aber in Baden-Württemberg auf, und zog irgendwann vor mehr als zwanzig Jahren nach Finnland. Vielleicht ist auch der Freundeskreis etwas deutsch geprägt, die meisten Gäste sind mindestens dreisprachig und wechseln behände zwischen Finnisch, Englisch und Deutsch.
Ich unterhalte mich mit Kenneth, einem Nachbarn, der nebenbei ein Wassertaxi betreibt, und lasse mir Tipps für den Archipelago rund um Vaasa geben. [Fazit: wunderschön, aber mit unserer Größe und Tiefgang gibt es eigentlich nur noch fünf lohnende Ziele]. Jenna ist eine Ausbildungsbegleiterin von Mia, und Jennifer kommt aus Dublin. Irgendwann sind die meisten Gäste weg, obwohl es erst später Nachmittag ist (Wie das hier oben täuscht, es war schon 21:00), und wir reden noch lange mit der halben Familie, während von oben ab und zu Nebengeräusche von Fußballguckenden zu hören sind.
Wir fühlen uns wohl, und bieten gerne einen kleinen Bootsausflug an. Am Sonntag ist eher schlechtes Wetter angesagt, und in der zweiten Tageshälfte und Nacht streicht ein Sturm über die Stadt; gut, dass wir nicht draußen sind.
Wir haben am Freitagabend im Hafen des „Vaasan Merenkyntäjät“ angelegt, eine Empfehlung von Katri, die hier den Kommodore kennt. Das ist der finnische Segelklub, nicht bei der „Wasa Segelförening“, die den nächsten Hafen betreiben. Diese Unterscheidung wird später noch wichtig. Neben uns liegt die SERENITY, eine Yacht aus Jakobstad, also eine Tagesreise die Küste hinauf. Wie immer, wenn wir Ortskundige finden, belagern wir ihn mit Google Maps und bereitwillig gibt er uns Tipps – zB einen Privathafen auf Lilla Furuskäret bei Köklot, der für uns tief genug wäre. Privat? Keine Sorge, beruhigt er uns, er wäre da irgendwie im Vorstand, wir wären willkommen. Auf der anderen Seite liegt die TIDE mit deutscher Flagge. Wir treffen Christoph, und schauen uns gemeinsam das letzte Viertel des Spieles Deutschland gegen Spanien an (1:2, schade). Es läuft auf dem Laptop der finnischen Fernsehsender YLE, aber mit ‚Svenskt Referat‘. JUB kann ja etwas Schwedisch, und ich verstehe genug, um zu wissen, wann ich auf das Bild achten muss. Es kann auch sein, dass es mit einer VPN Verbindung nach Deutschland geklappt hat. Als das Spiel vorbei ist, muss Christoph zu seinem Schiff zurück; seine portugiesische Freundin hat gekocht. Wir bieten an, dass sie auch das Spiel Portugal gegen Frankreich bei uns ansehen (wir haben eine unlimited Datenkarte, Christoph krebst mit einem etwas restriktiven Tarif daher), und er nimmt gerne an. Auch Portugal verliert, kein Glück auf der SEESTERN, obwohl wir einen Siegerlök haben. Der Siegerlök ist ein Topf Schnittlauch (eigentlich Graslök), wie er auch 10 Jahre zuvor bei der WM immer auf dem Schiff rumstand, als wir auf einer Charteryacht vor Stockholm segelten – und da wurde Deutschland Weltmeister.
Am Montag um 11:00 kommen die „Vier Frauen“, also Katri, ihre Zwillingsschwester Laura, und die zwei Töchter Lea und Mia. Rainer und die drei Jungs müssen arbeiten. Kurze Sicherheitseinweisung – Schwimmwesten, Feuerlöscher, Funkgerät – und los geht’s. Als Ziel haben wir den Privathafen ausgesucht, Katri kennt die Insel und Rainer wird alle am Abend abholen. Vor dem Hafen muss jede unserer neuen Crewmitglieder unter Motor einen Kringel drehen und den Gashebel ausprobieren, und dann setzen wir Segel und fahren nach Norden. Die Vorhersage hatte weniger Wind vorhergesagt, aber statt entspannter 12-15 Knoten zeigt die Windex bis zu 25. Da wir den Wind eher von hinten haben aber dennoch entspannt. Wir fahren unter der Replotbron durch, der längsten Brücke Finnlands. Es scheint unseren Gästen Spaß zu machen, wer gerade nicht steuert räkelt sich auf dem Vordeck.
Ich bin etwas nervös wegen des Hafens – die üblichen Quellen geben wenig Details zu Tiefen usw. preis, und so habe ich schon etwas Bammel. Da wir zu sechst sind, kann ich Laura als sprechenden Tiefenmesser einteilen, aber alles kein Problem. Anlegen ist mit Boje an einem Steg, es helfen uns neue Bekannte – Ein Paar mit Dackeln, die wir am Donnerstag in Storkors fiskehamn bei Korsnäs getroffen haben, und ein Finne, den wir am Sonntag beim Laufen in die Stadt getroffen haben. Der Anleger klappt, Gin Tonic als Welcome-Drink für alle, und Katri schickt Reiner die Koordinaten für die Abholung. Hmmmm. Irgendwie ist der Hafen auf einer kleinen Insel. Hmmmm. Wirklich eine Insel. Das könnte schwierig werden, mit dem Auto. Hmmm. Wie konnte das passieren? Es stellt sich heraus, dass wir im privaten Hafen der Segelförening sind. Oh Schock – wir sind bei den Schweden! Der Hafen der finnischen „Vaasan Merenkyntäjät“, den Katri sofort auf dem Handy erkannte, ist ganz in der Nähe, aber halt mit Straße eher am Festland. Es werden Alternativen geprüft, Rainer erst einmal vom Abholen gebremst. Die beiden Töchter (die vielleicht besser Schwedisch können) reden mit den finn-schwedischen Seglern und bestägtigen, dass man hier nur mit dem Schiff hin (und weg) kommt.
Wir könnten zu dem Privathafen der Merenkyntäjät, aber ein Gespräch mit dem Kommodore ergibt, dass das nur mit genauen Ortskenntnissen funktioniert, keine gute Idee. Wir könnten unser Dinghi klarmachen, die Frauen ans Festland fahren, und sie schlagen sich dann durch den Wald zu einer Straße durch. Wir könnten alle auf dem Schiff übernachten, und am nächsten Tag gemeinsam zB nach Jakobstad fahren, von da aus ginge ein Zug – das wäre der spontane diabolische Plan. Oder wir fahren eine gute Stunde zurück zu dem Gasthafen an der Replotbron – wegen genau dieser Brücke gut mit dem Auto zu erreichen, und auch ein einfacher Hafen zum Anlegen. Am Ende entscheiden wir uns dazu. Wir verlassen den sehr lauschigen Hafen – wäre wirklich schön gewesen – und fahren Richtung Replot. Der Wind weht aus der gleichen Richtung, und somit auf dem Rückweg direkt von vorne – ein ganz anderes Gefühl. Wir versuchen es kurz mit Segeln, aber mittlerweile hat sich auch eine ordentliche Welle aufgebaut. Also mit Motor direkt gegenan. Ich werden ein paar Mal kräftig geduscht, als die Gischt einer Welle über das Schiff weht. „Hat sonst jemand Lust auf’s Steuern?“ frage ich halb im Spaß, aber sofort meldet sich Lea. Also duschen wir fortan gemeinsam (ich sitze bei Neulingen immer kurz dahinter, um alles im Blick zu behalten). Nach einer halben Stunde deutet Mia klar an, dass sie nun auch das Erlebnis der Meerwasserdusche haben möchte, und es wird gewechselt. Derweil ärgert Murphy Laura – sie wartet mit gezücktem Mobiltelefon auf eine Welle mit Gischt, gibt irgendwann auf, und zwanzig Sekunden später hat die Steuerfrau wieder eine Ladung Wasser im Gesicht.
Als wir im Hafen direkt neben der Replotbron ankommen, wartet Rainer schon. Gruppenfoto, wieder ein Anleger, und dann kochen wir noch gemeinsam – Wahnsinn wie gut Pellkartoffeln mit Quark nach so einem Tag schmecken. Ein sehr gelungener Tag, überhaupt ein gelungener Aufenthalt. Ich mag sie, die Finnen.
Chris du kannst wirklich schreiben. Haben uns totgelacht! Das war so ein schöner tag.
Liebe grüße
Hi Chris,
jetzt endlich auch von mir der längst versprochene Kommentar! Und ja, ich kann Mia nur zustimmen – Du hast den tollen Tag sehr humorvoll und unterhaltsam geschildert!
Zum Glück gab es dieses kleine „Kommunikationsproblem“ und das daraus resultierende Anlanden auf einer Insel…denn sonst wäre uns ja der zweite Gin Tonic entgangen! 😂
Vielen Dank, dass ich dabei sein durfte!
Liebe Grüße von (Sockeninfluenzerin 😅) Laura