Die Klauen des Winters haben Stockholm noch nicht freigegeben – der Hafen ist noch von einer dicken Eisschicht bedeckt, der die Schifffahrt unmöglich gemacht. So ein Ärger, denn die bösen Dänen in Kopenhagen, bei denen ist schon eisfrei, und die schippern jetzt in der Ostsee herum, und gefährden damit die schwedischen militärischen Ambitionen. Da kommt Admiral Hans Wachtmeister eine gute Idee. Er überzeugt König Karl XI davon, in der neu zu Schweden gefallenen Provinz Blekinge einen weitaus südlicher gelegenen Flottenstützpunkt zu gründen. So entsteht 1679 Karlskrona. Die Gästemarina ist jüngeren Baujahrs; nach einem frühen Start in Utklippan laufen wir um 10 Uhr morgens ein. Mein Job ist es, im Marine- und Freizeitladen unsere neue Frischwasserpumpe zu kaufen, Terje hat sie dort für uns zurückgelegt. Außerdem erstehe ich eine Gastlandflagge für Schweden und auch gleich für das folgende Lettland.
Für Interessierte: Schiffe führen in der Regel die Flagge ihres Herkunftslandes entweder am Heck oder am Besanmast. Damit gibt sich die Seestern als deutsches Schiff zu erkennen. Würden wir ein Seegefecht verlieren, würden wir durch das Einholen der Flagge unsere Niederlage eingestehen, aber das ist der Seestern noch nie passiert. Um anzuerkennen, dass man sich in fremden Gewässern befindet, und vorhat, sich hier als Gast aufzuführen (also keine schwedischen Schiffe anzugreifen), hisst man noch an der Steuerbordsaling die Gastlandflagge. Vergisst man das, beleidigt man nach Seemannsbrauch das Gastland. Ein Schwede hat uns erklärt, dass es praktisch nicht gaaaanz so tragisch sei, keine Gastlandflagge zu haben, aber mit einer dänischen einzulaufen – das könnte die oben angeführten Rivalitäten wieder neu entfachen.
Wie viele Städte, die wir auf unserer Reise sehen werden, ist auch Karlskrona von der Unesco als Welterbe und damit wertvoll befunden wurde; besonders der (ehemalige) Marinestützpunkt. Auf dem mittlerweile nicht mehr militärisch genutztem Teil gibt es nun eine Marinemuseum – nix wie hin. Als besondere Attraktion wird der Wrack-Tunnel genannt – aus dem Museum führt ein Tunnel unter das Wasser und man kann in echt alte Wracks ansehen. In meinem Kopf habe ich Bilder der Titanic, wie sie nun aus tausenden Digitalfotos zusammengesetzt wurde; in dem Tunnel ist es aber eher trübes Wasser und einige schwer zu erkennende vermooste Balken. Immerhin ist es echt, ein Fisch schwimmt vorbei und beobachtet mich interessiert. Fazit: der Tunnel sieht im Reiseführer viel besser aus als in echt. Dennoch verbringe ich einige Stunden hier, bevor wir uns auf dem Schiff wieder treffen, um zu kochen (Nach vorherigen Erfahrungen in Skandinavien haben wir uns für diese Reise auf’s selber kochen geeinigt, denn Restaurants der unteren oder mittleren Preiskategorie sind nach deutschem Empfinden noch immer sehr teuer, und bieten dafür keine adäquate Leistung. Wenn in Skandinavien Essen gehen, dann gleich richtig edel – da fällt es nicht so auf).
Für Frank und mich sind das nun zwei Wochen Segelurlaub, aber unsere Mitreisenden haben jeweils nur eine Woche, mit einer kleinen Überschneidung in der Mitte. Mit Doro haben wir uns geeinigt, dass wir uns am Samstag in Kalmar treffen, die Strecke dorthin halbieren wir grob in Bergskvarna. Was für ein Nest – aber irgendwie nett. Da noch immer Vorsaison ist, liegen drei Segelboote längsseits an der Gästepier, die eigentlich für ein gutes Dutzend Boote nebeneinander gedacht ist. Größter Aufreger ist der Selbstmord von Corinnas Handy. Als sie an Land geht, springt es aus der Tasche in den kleinen Spalt zwischen der Seestern und der Hafenmauer. Wahrscheinlich fühlte es sich vernachlässigt. Wer den Schaden hat, der braucht für den Spott nicht zu sorgen, der kommt hier in den Bilder. Wir verlängern einen Kescher mit der Rettungsstange, und Corinna und Ihr Mann versuchen den Hafenboden damit abzukratzen. Immerhin sollte das Gerät bei doppelter Tiefe ca. 30 Minuten wasserdicht sein. Leider sind weder die abendlichen Versuche noch die am nächsten Tag bei besserem Licht, von Erfolg gekrönt.
Am nächsten Morgen machen wir uns auf nach Kalmar, und nicht nur wir. Auch Doro, die am Donnerstag nach Malmö geflogen ist, und dort am Freitag noch Remote-Office machen musste, ist auf den Weg nach Kalmar, allerdings per Zug. Ein schicksalhaftes Treffen bahnt sich an. Gemeinsam erkunden wir die Stadt. Kalmar hat eine historische Festung, die den mittelalterlichen Hafen schützte, heute dient sie der Edelgastronomie und als Selfie-Hintergrund. Endlich mal ein Gruppenfoto.
Damit sind wir das erste Mal mit Übernachten zu fünft auf der Seestern. Es klappt so, aber langsam wird’s schon eng. Über Wochen wäre es wohl nichts. Corinna und JUB überlegen sich ihre Abreise – wir könnten morgen an die Nordspitze von Öland fahren, und übermorgen nehmen die beiden dann ein Ruf-Bus und andere öffentliche Verkehrsmittel wieder zurück nach Kalmar – so schafft man sich erinnerungswürdige Komplikationen für die Reise. Und so kommt es dann auch – wir haben noch einen schönen Segeltag, bis wir am Abend in Nabbelund ankommen. Ein ehemaliger Fähranleger in einer geschützten Bucht, schon etwas zerfallen, aber für ein paar Segelschiffe wird’s schon reichen. Wie fast überall funktioniert der Hafen auch als Stellplatz für Wohnmobile. Nur der Weg zur Dusche ist etwas beschwerlich. Offensichtlich ist ein Möwenjunges ausgebüchst, und sitzt nun auf der Straße. Die Eltern sind etwas überfordert, es wieder in Richtung Nest zu bewegen, und verteidigen das Kleine nachdrücklich gegen jegliche Fressfeinde, wie eben schmutzige Segler.
Am nächsten Tag verlassen und morgens Corinna und JUB, und wir machen uns auf den Weg auf die nächste Insel. Für den ersten Teil der Strecke geben wir noch das Motorboot, aber dann kommt etwas Wind auf, und wir Segeln bis kurz vor Visby auf Gotland. Ich kenne die Insel hauptsächlich aus der schwedischen Krimiserie „Kripo Gotland“, aber in unserem Umfeld wird niemand ermordet, und es ermitteln keine Schauspieler. Muss aber daheim mal ein wenig in der Mediathek gucken, ob ich ein paar der Schauplätze erkenne. Wahrscheinlich wird die Serie aber auf einer Soundstage in Schwedisch-Hollywood gedreht. Wir probieren mal wieder ein schwedisches Restaurant – nicht sooo schlecht, aber ich schätze wir werden weiter recht häufig an Bord kochen. Die Stadt selbst ist knuffig, witzige kleine Häuser, alte Steine und Kirchruinen. Aber der Hafen ist unverhältnismäßig teuer, und so beschließen wir, einen Hafen weiter nach Norden zu fahren, in die Metropole Lickershamn. Früher wohl ein verschlafener Fischershafen, heute noch verschlafener mit ehemaligen Fischerhütten, die üblichen Wohnmobile, und ein fast leerer Hafen. Es ist warm und sonnig, ohne Wind wird’s Zeit für kurze Hosen. In einem seltenen Anfall von Putzwillen, beschließe ich das Cockpit mal sauber zu machen. Obwohl ich ungern putze, macht das Planschen Spaß; eimerweise Wasser über’s Schiff zu kippen. Leider kommt mir dabei der Eimer – auf einem Schiff Pütz genannt – aus. Ich gebe mich aber nicht so schnell geschlagen, am nächsten Morgen engagiere ich einen Taucher. Am Abend dann noch einen Sunset mit Tequila Sunrise – die Eiswürfel müssen genutzt werden. Ich versuche eine Zeitraffer-Aufnahme des Sonnenuntergangs zu machen, aber wie bei so etwas üblich verreckt der Akku gerade als die Sonne im Meer versinkt.
Das mit dem Taucher ist kein Witz – der Kollege ist ein Profi mit Support von Land – dort steht der Kompressor, mit einer langen geschlängelten Leitung wird er versorgt, kann sogar mit den Kollegen reden. Als ich auf dem Weg zur Dusche bin, sehe ich ihn, begrüße ihn freundlich mit „Das wäre jetzt aber nicht nötig gewesen, mit so einem Aufwand wegen unserer Pütz zu kommen“. Er schaut irritiert, eigentlich wird er für die Sanierung des Kais bezahlt. Aber er hört sich mein Unglück an, meint pragmatisch, dass so ein Eimer ja auch einfach nicht ins Meer gehört, als ich vom Duschen zurückkomme steht er wieder an Deck. Als ‚Bezahlung‘ bringe ich den zwei Arbeitern auf der Hafenmauer drei Dosen polnischen Biers; sie bedanken sich erfreut und wiederholt. Offensichtlich teilen Sie den Biergewinn auch dem Taucher mit, auch wenn ich den Wortlaut nicht verstehe, vernehme ich fröhliches Gelächter aus der Tiefe (also aus dem Lautsprecher, der aus der Tiefe gespeist wird). Wir legen ab, ohne den Taucher zu zerhäckseln, und machen uns auf den Weg um die Nordspitze Gotlands. Nachdem die Segelei der letzten Tage jeweils nur auf Segel setzten und ein paar Stunden später Segel bergen beschränkt haben, gibt es heute tatsächlich ein paar Manöver, wir müssen etwas gegen den Wind ankreuzen, für eine Strecke ganz im Norden machen wir auch ganz faul den Motor an – das Kreuzen ist zäh, besonders bei der Welle, und wir wollen ja auch noch ankommen. Nachdem wir den nördlichsten Punkt unseren Reise erreicht haben, biegen wir nach Süden in den Farösund ein, zwischen Gotland und der vorgelagerten Insel Farö. Hier ist keine Welle, und wir Segeln durch das eher enge, betonnte Fahrwasser. Am südlichen Ende des Sunds biegt dieser ein wenig gegen den Wind ab, und wir müssen alle paar hundert Meter wenden. Ich bin etwas feig, den Motor lasse ich im Leerlauf mitlaufen, denn wenn man eine Wende verkackt, ist die nächste Untiefe nicht weit. Aber wir schaffen die gesamt Strecke, ohne den Gang einzulegen, und segeln bis kurz vor dem Ziel der Wind einschläft.
Als Übernachtungsplatz haben wir uns Valleviken ausgesucht – ein ehemaliger Kalkhafen, der schon mal bessere Zeiten gesehen hat. Auf dem Gelände neben dem Hafen stehen neben den obligatorischen Wohnmobilen auch einige Boote, die so aussehen, als wären sie schon lange nicht mehr im Wasser gewesen, und ein paar düstere Lagerhallen aus bunt gemischten Materialien. Wenn man hier trüberes Wetter abwartet, könnte es gut als Kulisse für den nächsten Gotland-Krimi dienen. Aber der Hafen liegt günstig, um am nächsten Tag den Sprung nach Lettland zu wagen.