Macht die Augen zu, und lest weiter. Hmmm, das ist jetzt vielleicht ein klitzekleiner Logikfehler. Ihr dürft also erst lesen, aber dann die Augen zu machen, und es sich vorstellen dabei. Ihr seid eben in eines der alten Fahrgeschäfte auf der Wiesn gestiegen, in die Wilde Maus. Ratternd führt die Kette von dem Einsteigeplatz auf die eigentliche Bahn, und dort greift – ohne viel Dämpfung – die Zugkette ein, die den Wagen an den höchsten Stelle der Bahn führt. Das ganze klackt und rattert, keine „Sanftanlauf-Vorrichtung“. Das Rattern der Zugkette geht weiter, aber gleichzeitig kommt jetzt noch ein anderes Gefühl dazu: unvermittelte, drastische Seitenbeschleunigungen, wo der Wilde-Maus-Wagen plötzlich die Richtung ändert. Gut, diese Geräusch- und Gefühlskulisse, die stellt Ihr Euch weiter vor…
Mit einem Rumms geht die Tür zu, nicht wie die gedämpften Küchenschubladen, die sich dann still den letzten Zentimeter zuziehen, sondern wie ein Holzdeckel, der auf eine hundert Jahre alte Truhe fällt. Der Bahnführer ruckt an seinem Fahrstufenschalter, in der Kiste darunter bekommen die alten Motoren die erste Runde Strom. Die Tram fährt ebenso ruckartig los, wie der Fahrstufenschalter die Position wechselt. Beim zweiten Mal ist man darauf vorbereitet, hangelt sich von Griff zu Griff und steuert auf den Sitz zu, der in der Mitte des Wagens noch frei ist. Das Fenster ist offen. Nicht offen, wie das gekippte Fenster in der Münchner U-Bahn, sondern einen halben Meter nach oben gezogen, mit freiem Blick nach außen. Schilder warnen davor, sich auf (sic) das Fenster zu lehnen, dennoch machen es die ganzen Passagiere, die in kurzen Hosen mit Sonnenbrand drunter in der Bahn sitzen. Handies im Video-Modus werden aus dem Fenster gehalten, aber Vorsicht: die alten Mauern und das eine oder andere Gerüst kommen bis zu zehn Zentimeter an die Wägen heran. Der Innenraum ist holzgetäfelt, in einer Goldschrift kann man erkennen, dass man in Wagen 566 sitzt, 20 Sitzplätze und 38 ‚zu Fuss‘. Die Tram wirft sich den Berg hinauf, in engen Radien quietscht es fürchterlich, und die Steigung ist ordentlich. Die meisten Radfahrer würden absteigen. Meist ist die Strecke zweigleisig ausgeführt, aber in manchen Teilen der Stadt sind die Gassen zu eng – da wartet man den Gegenverkehr ab, die Strecke wird eingleisig, und die Tram hat an beiden Seiten nur noch 40 cm, Passanten müssen sich in Hauseingänge flüchten. Wir fahren mit der Tram 28E den Berg hinauf durch den Stadtteil Alfama. Technisch sind die Dinger sicherlich völlig antiquiert, aber es ist klar: auch aus touristischer Sicht kann man sie nicht ersetzen. Wie oft wird die Trambahn hier wohl auf ihrer Fahrt fotografiert? Eine neue Pendolino Straßenbahn von Siemens Mobility würde vor Neid erblassen („aber ich, ich bin doch viel schöner, designter, stromlinienförmiger, komfortabler – warum bringt mir niemand die gleichen Zuneigung entgegen?“). Tja, aus dem gleichen Grund warum ich auf der Wiesn noch gerne Wilde Maus fahre, obwohl es den aufregenderen Siebenfach Looping gibt.
Die Fahrten in der Tram sind für mich DAS Highlight in Lissabon – auch wenn verwinkelte Gassen, imposante Kirchen, blaue Azulejo Fliesenbilder, tolle Aussichten und viele Bars, Cafés und andere Etablissements mit kühlen Getränken auf uns warten. Wir liegen in der Doca de Alcântara, die der Innenstadt am nächsten gelegenen Marina, und verbringen ein paar Tage in Lissabon. An unserem ersten ganzen Tag sind wir kurz nach neun unterwegs, kaufen ein 24 Stunden Ticket und fahren mit Zug und Tram zum Largo de Craça. Wir steigen noch ein paar Meter zum Miradouro da Senhora do Monte, machen Panoramabilder, gehen dann zu Fuß noch weiter zu einem anderen Aussichtspunkt, und besuchen dann das Mosteiro de São Vicente de Fora. Hier ist jede Wand mit Azulejos verziert, und mit den vielen Kreuzgängen des ehemaligen Klosters sind das viele Wände. Am Ende der Tour noch schnell auf’s Kirchdach. Es ist mittlerweile Mittags, und die Sonne macht sich bemerkbar. Noch vom Kirchendach aus machen wir ein Café aus, wo wir kurz darauf noch Essen. Wir versuchen uns danach aufzuraffen, aber es ist einfach zu warm. So schlendern wir 50 Meter weiter in einen Park mit Aussicht, an einem Kiosk holen wir in langsamen Abständen kühle Getränke, und lassen so den heißen Teil des Nachmittags vergehen. Um unser 24h Ticket zu nutzen, fahren wir zwei Stationen mit der Tram zum nächsten Aussichtspunkt (wenn man das Warten mitrechnet, wäre zu Fuß doppelt so schnell gewesen), und sind dann beleidigt, als Google für den Weg zum nächsten Programmpunkt keine Straßenbahnfahrt ausspuckt, sondern uns einfach ein paar Treppen hoch zum Castelo de São Jorge schickt. Vor der Tür noch ein leichter Snack im Conqvistador, und dann die Tour der Festung, die mal der Kern von Lisboa war (von Mauren erbaut, im zwölften Jahrhundert in der Reconquista (die’s auch hier gab) von den Christen wieder eingenommen). Alte Steine, und – wer hätte es gedacht – einen tollen Blick auf die Stadt. Wir fahren noch sinnlos ein paar Stationen bergauf mit der Tram, um dann stetig bergabgehend ein Restaurant zu finden. Gut, kein Power-Kultur-Trip, aber entspannend war’s schon.
Die nächsten beiden Tage machen wir eher ‚zur freien Verfügung‘. An einem fahren Frank und Nikita nach Setubal, um Delphine zu sehen, ich treibe mich in der Stadt umher. Zu Fuß zur Praça do Comércio, mit der Straßenbahn nach Alfama hoch, dort lasse ich meine Haare schneiden – der erste professionelle Haarschnitt in über einem Jahr (aber Elke machte es auch gut). Ich probiere mich durch die Karte des Conqvistadores, eine urige Kneipe am Castelo.
Am nächsten Tag (unserem letzten in Lisboa) fahre ich ca. eine Stunde nach Frank nach Belém, sehe mir dort den berühmten Torre de Belém an, und ein etwas zusammengewürfeltes Museum der portugiesischen Streitkräfte. Nach einem leichten Mittagessen fahre ich quer durch die Stadt in den Parque das Nações, wo das Oceanário de Lisboa ist. Es ist ein riesiges Aquarium, dessen Eintrittserlöse auch zum Schutz des Meeres verwendet werden. Ich finde, man sollte ein wenig wissen, worüber man die ganze Zeit fährt. Fotos hiervon separat. Am Abend finden wir wieder zusammen, essen im berühmten Chapitô à Mesa zu Abend.