Eigentlich stimmt das nicht – so freundlich wurden wir gar nicht verabschiedet. Um 20:30 beginnt der Wirt, sehr subtile Signale zu senden, dass er jetzt gerne zumachen würde. Er schaltet das Außenlicht aus, unter dem wir auf der Terrasse sitzen. Er macht die Fensterläden der Kneipe zu (dazu müssen Frank und ich jeweils ein wenig vorrücken, damit der Laden hinter unserem Rücken geschlossen werden kann. Er kommt vorbei, und fragt ob er unsere (halbvollen) Weingläser mitnehmen kann. Wir bieten an, dass wir sie einfach stehen lassen, aber er murmelt etwas von Wind, und so verhandeln wir 7,5 Minuten (Als Durchschnitt von unserem Angebot von 10 Minuten und seinem von 5 Minuten). Um kurz vor neun sind unsere Gläser leer, er räumt sie ab, sperrt den Laden ab, und springt in seinen Truck. Wir sind alleine in der größten Ortschaft der Insel, Puerto Cabrera, fünf Außenlaternen an irgendwelchen Häusern beleuchten die Kulisse. Wir laufen noch 10 Minuten umher, dann machen wir unser Dinghy klar und fahren wieder zu Seestern.
Wir sind auf Cabrera, für Boaties jeder Art eines der Highlights beim Urlaub in Mallorquinischen Gewässern. Der Parque Nacional del Archipelago de Cabrera befolgt im Sommer die Regel „willst Du gelten, mach Dich selten“. ‚Wildes‘ Ankern ist verboten, man kann eine der wenigen ausgelegten Bojen in der großen Bucht der Hauptinsel online reservieren. In der Saison kommen Ausflugsboote aus Mallorca, es gibt eine blaue Grotte, und die Insel ist ansonsten wirklich relativ unberührt. Man kann dann die Bojen maximal für einen Tag reservieren. In 200x war ich hier schonmal, mit einem Charterschiff, da hatten wir uns glücklich geschätzt, dass wir auch für eine zweite Nacht nochmal spontan reservieren. Aktuell ist die Lage etwas entspannter. Bei geschätzten 30 ausgelegten Bojen sind wir nun alleine.
Am Dienstagmorgen haben wir Cala Figuera verlassen. Der Hafen ist nach Osten offen, der Wind für die nächsten Tage ist aus Osten angesagt, da würde es mit einlaufenden Wellen dort sehr ungemütlich. Wir verziehen uns auf die andere Seite des Südzipfels von Mallorca. Nahe der Colonia di Sant Jordi ist eine riesigen Strandbucht mit geschlossenem Hotel. Das Wetter ist leider etwas trüb geworden, und deutlich kühler. Wir hatten kurz überlegt, eine Marina aufzusuchen, aber warum eigentlich? Wir haben genug zu Essen und Trinken, Strom erzeugen wir auch selbst, und Wasser ist auch noch genug da (in Flaschen und im Tank). In der Bucht haben wir noch gutes Internet, und das ist heute und vielleicht noch morgen essenziell. In den USA wird gewählt, und wir wollen live erleben, wie die amerikanische Bevölkerung Deppen-Donald in hohem Bogen aus dem Amt wählt. Da auch Ihr nicht unter einem Stein lebt, seht Ihr das Problem: a) es dauert viel länger und von b) hohen Bogen ist nichts zu spüren. So bleiben wir bis Freitagmorgen in der Bucht, aktualisieren in regelmäßigen Abständen die Wahlprognosen, und sind ansonsten etwas antriebslos. Draußen ist es nicht einladend, und bei dem kühlen Wind ins Wasser gehen? Brrrr. Die US Wahl bringt mich auf eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Ich bleibe am Dienstag (also dann Mittwochmorgen) bis nach 4:00 wach; keine Entscheidung. Um 7:30 am Morgen gucke ich wieder ins Schlaukasterl: Die aktuelle Prognose zeigt zwar mehr Wahlleute für Biden, aber bei den aktuellen Zwischenergebnissen in den anderen Staaten wird er es nicht schaffen. Echt jetzt?!? Ich such mir schon mal ein paar Memes mit dem Zitat von Max Liebermann „Ick kann gar nicht so viel fressen, wie ick kotzen möchte“, die passen zu der Situation und meiner Stimmung, dann drehe ich mich nochmal um und schlafe weiter. So geht es den Mittwoch und Donnerstag weiter. Aktuell (während ich das schreibe, Freitagabend MEZ) wird Biden in genügend Staaten mit jeweils hauchdünnen Mehrheiten gewinnen, um im Electoral College mit einem komfortablen Vorsprung zu gewinnen, und Trump wütet vor sich hin. Meine Gedanken (und sie sind nicht originell): Krass wie unglaublich gespalten diese vereinigten Staaten weiterhin sind; und knapp die Hälfte der Wähler in den USA finden die Performance von Donald in den letzten vier Jahren nicht so unterirdisch, dass sie ihn tatsächlich wieder wählen. 20.000 Lügen – that’s my man? Wer weiß, vielleicht sind zwei Monate einfach nicht genug Abstand. Immerhin – sowohl Colorado als auch Arizona werden für Biden gezählt – ich habe nicht bei den größten Deppen gewohnt.
Anyway, für Freitagmorgen haben wir uns dann vorgenommen – unabhängig von der US-Wahl – die Bucht zu verlassen, und nach Cabrera zu fahren. Vielleicht morgen ein wenig auf der Insel umherlaufen, mal sehen, und irgendwann weiter nach Westen, erst Ibiza und Formentera, dann Festland-Spanien – wenn’s bis dahin erlaubt ist. Der Wind ist ideal dafür, direkt von der Seite, wir fahren mit über sieben Knoten Richtung Cabrera. Kurz nach 13:00 legen wir an der Boje an, trinken ein Bier, kochen Spaghetti mit Thunfisch, und machen ein kleines Nickerchen. Der Nationalpark hat mir auf Anfrage erklärt, dass eine Kantina/Bar im Hafen aufhätte, also machen wir unser Beiboot (Dinghy) klar, und fahren so um 18:30 rüber. Aus Gründen, die ich selber nicht genau erklären kann, liebe ich dieses ‚End of the world‘ feeling. Der Hafenkai eher verlassen. Ein paar Schautafeln, und Gebäude, die in der Saison sicher eine Funktion hätten – aber nur hinter einer Tür ist etwas Licht zu vermuten, als wir ankommen. In der Bar sind Anfangs vier Gäste; wie stören deutlich, weil sie sich nicht sicher sind, ob wir die Masken tragen, weil es die Regel ist, oder weil wir überzeugt sind, und schlimmer noch – würden wir petzen? Ein einsames Ankerlicht in der Bucht markiert die Seestern, ein rot blinkendes Licht das Ende der Mole, fünf Außenlichter die Gebäude des Ortes, und die Beleuchtung der Hafekneipe – aber die ist nun ja aus.
Das Foto von Christian in der einsamen beleuchteten Bar, Edward Hopper lässt grüßen
Habt ihr den Sekt schon geöffnet? Biden for president ??
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