Bleiern liegt der Nebel auf dem Wasser. Es hat keinen Wind, eine gemächliche Atlantikdünung hebt uns langsam an und lässt uns dann wieder sanft hinab. Irgendwo da vorne muss das Geisterschiff sein. Angestrengt starre ich nach vorne. Der Übergang vom grauem Wasser zur grauen Luft verschwimmt. Ich könnte nicht einmal sagen, wie weit man sehen kann; es fehlen die an Land üblichen Marken (wie 50m auseinander liegende Pfosten neben der Straße). Eigentlich sagt mir mein Gefühl, dass man schon eine Seemeile weit sieht, aber die Nicht-Sichtbarkeit des Geisterschiffs belehrt mich eines anderen. Unser Radar – den wir damit das erste Mal ‚im Ernst‘ brauchen – sagt einen Kontakt ungefähr eine halbe Seemeile voraus an. Gespannt schaue ich in den Nebel, ungefähr in dem Winkel weg vom Bug, der auf dem Radarschirm zu sehen wäre. Anfangs ist es eher die Vermutung, dass dort ein dunkles Objekt auftaucht, und dann beginnt man es zu sehen. Ein altes Holzschiff mit zerfledderten schwarzen Segeln, die von den Rahen des Dreimasters hängen. An Bord fratzenhafte, grimmige Gestalten in zerrissenen Uniformen, mit Messern zwischen den Zähnen und Säbeln in den Händen. Ach ne, falscher Film. Es ist ein weißes Fischerboot, eigentlich groß genug, dass es mit AIS ausrüstungspflichtig wäre. Ein Schuft, wer sich Böses (verbotenes Fischen?) dabei denkt.
Wir sind auf dem Weg von Lissabon nach Porto. Unglücklicherweise für Nikita ist an ihrem letzten Tag guter Segelwind für die Weiterfahrt nach Norden angesagt, den wollen wir nutzen, und sie muss sich ein Hotel suchen. „Subject to the requirements of the service“ wurde das in „Master and Commander“ genannt – Segeln geht vor. Wir haben die Marina früh verlassen, auf der Südseite des Tejo hängt Nebel. Leider ist der Wind nicht sooo toll wie vorhergesagt, dennoch schaffen wir es am Abend bis zu den Islas das Berlenga, vor Peniche. Nach einem gescheiterten Ankerversuch in einer engen Bucht schnappen wir uns mit dem Segen einiger Locals eine Ankerboje, direkt unter dem Forte de São João Baptista. Es ist mittlerweile schon fast dunkel, aber morgen früh, im Licht der aufgehenden Sonne gibt das bestimmt ein tolles Foto. Es war dann ein Satz mit X – schon beim Aufstehen um 6:00 herrscht dicker Nebel, und komplette Flaute. Ich mache den Radar an, werfe die Leine von der Boje los, und fahre unter Motor nach Norden. Dann kam das Geisterschiff.
Die Seestern tuckert weiter. Da die Sicht offensichtlich nur ca. 0,3 Meilen weit geht (gute 500m), bleibe ich am Steuer und beobachte das Nichts. Noch trauen wir dem Radar nicht vollständig. Plötzlich flattert es vor mir, und eine Taube landet auf unserer Sprayhood, Ringe an beiden Füßen. Eigentlich mag ich Tauben nicht (Zwischengedanke: Es soll ja Paare geben, die als Kosenamen ‚Täubchen‘ verwenden. Was meinen die damit eigentlich? ‚Du Flugratte‘?), aber wahrscheinlich ist der Vogel erschöpft (wir sind fast 18km von Land, außerdem kreist eine Möwe auffällig oft um das Schiff), da will ich mal mein Karma nicht noch weiter belasten als mit all den Insekten, die ich erschlage, und den anderen Tieren, die ich esse. Scheu ist Antoni (genannt: Toni, die Taube) nicht. Sie lässt sich fotografieren, rutscht dann unsere Windschutzscheibe hinab und läuft auf dem Deck hin und her. Sie entdeckt den geschützten Platz unter unserem Beiboot, trippelt aber danach am Cockpit vorbei und stellt sich zwischen die Fender, die an unserer Heckreling befestigt sind. Als ich mich von Frank ablösen lasse, sitzt sie dort noch immer. Wir recherchieren beide ein wenig. Die Ringe machen es hochwahrscheinlich, dass es sich um eine Brieftaube handelt. Diese können Tausende Kilometer weit fliegen, haben irgendwelche magnetischen Kristalle am Schnabel, mit denen sie sich orientieren. Dennoch – dass Antonia etwas apathisch dahockt und ständig blinselt, ist auf einer Seite, die Frank im Internet findet, ein Zeichen dafür, dass sie durstig ist. Frank bringt ihr ein Schälchen mit Wasser, und nach einigem Plätschern kapiert der Vogel auch, dass das was zum Trinken ist. Von dem Wasser scheint sie Durchfall zu bekommen, und kackt unser Deck voll. Danke, Antonia. Sie ist immer noch an Bord, als wir den Hafen von Figueria da Foz anlaufen, lässt sich durch nichts irritieren. Weder davon, dass Frank vor zwei Stunden Segel gesetzt hat, noch dass wir vorm Anlegen die Fender, zwischen denen sie sitzt, abbinden, um sie an die Seite des Schiffs zu hängen. Während des Anlegemanövers und dem Ankerschluck bleibt sie auch weiter an Bord. Wir versuchen ihr noch ein paar eingeweichte Reiskörner oder Brotkrumen schmackhaft zu machen, finden eine Hotline des deutschen Brieftauben-Zuchtverbandes um eine ‚verlorene‘ Brieftaube zu melden, haben schon den portugiesischen Verband gefunden, aber da geht niemand mehr ans Telefon. Kurz darauf erledigt sich das Thema – Antonia flattert davon und landet auf einem Dach in der Stadt.
Figueira da Foz ist keine aufregende Stadt, wir essen und trinken etwas, und machen uns am nächsten Morgen wieder auf – es hat weiterhin Flaute und Nebel, und wir tuckern weiter in Richtung Porto. Im Umfeld von Porto gibt es zwei Marinas – eine teure im Fluss Douro, die man nur bei Flut ansteuern sollte, und eine billige in Leixoes, dem Industriehafen. Wir wollen erstmal in Leixoes halten, da der optimale Zeitpunkt für die Flussmarina sowieso vorbei ist, und da es mittlerweile schon dunkel ist, ankern wir einfach im Hafenbecken neben der Marina bis zum nächsten Morgen. Welcome (close) to Porto.