(von meiner Timeline VOR dem letzten Beitrag zu lesen)
Als Thomas Lambert das erste Mal die Türkei besuchte, musste er wahrscheinlich nicht lauter geschäftstüchtigen Taxifahrer abwehren, Teppichverkäufer besänftigten, oder Restaurantbesitzer mit „maybe tomorrow“ vertrösten. Tatsächlich begrüßten ihn die Türken eher mit Artilleriebeschuss und Gewehrsalven. Thomas Charles Lambert vom Stamm der Tuhoi, Lance Corporal mit der Dienstnummer 16/16 des ‚Native Contingent‘ des Australia New Zealand Army Corps ging am zweiten Tag der Gallipoli-Kampagne, am 26. April 1915, in der ANZAC Cove an Land. Gute hundert Jahre später besuche ich mit seinem Enkel Kingston und dessen Frau Marion diverse Kriegsschauplätze auf der Gallipoli Halbinsel. Genaue Hintergründe könnt Ihr auf Wikipedia nachlesen, aber es ging darum, die Dardanellen Meeresenge zu kontrollieren, um den Russischen Tsaren mit Kriegsmaterial zu versorgen, oder ihm dieses eben zu verwehren. Der Ausgang ist bekannt: Die Türken, damals noch als Otomanisches Reich, gewannen die Schlacht(en), verloren aber den Krieg zusammen mit dem Deutschen Reich.Aber langsam – Ausgangspunkt der verschiedenen Touren ist die Stadt Çanakkale (Hat nichts mit Kanacken zu tun, spricht sich eher wie Schnakseln aus). Ich komme mit dem Bus an, vertraue auf Nebensaison, und bekomme ein Zimmer im Kervansaray Hotel. Ich erkunde die Stadt – was mache ich hier, und wie komme ich wieder weg? Ich entscheide mich für zwei Tage mit Touren und ein Busticket nach Edirne. Die Blitztourismus-Tour ist Troja und das ANZAC Schlachtfeld an einem Tag, Interessiertere buchen für den zweiten Tag weitere Schlachten hinzu. Ich mache den Vertiefungstag als erstes, weil sich da gerade eine Gruppe gebildet hat (eben Kingston und Marion).
Die Gallipoli Kampagne ist für drei Länder sinnstiftend. Die Türken, weil sie gewonnen haben (was keiner erwartet hatte), und für Australien und Neuseeland, weil sie dort als ANZAC Corps erstmals als von England unterscheidbare Einheit aufgetreten sind, und sich in Einzelunternehmungen nicht blamiert haben. Die Engländer hatten den Oberbefehl (und würden die Kampagne am liebsten vergessen) und die Franzosen haben auch mitgespielt.
Es beginnt mit einem Besuch des Forts/Museums in Çanakkale, wo auch der Minenleger Nusret liegt. Die Meeresenge ist hier 1300m breit, alle paar Minuten fährt ein großer Frachter vorbei. Am 18. März 2015 griffen englische und französische Schiffe die Küstenbefestigungen an; leider wurden dabei einige Minen nicht von den Minensuchbooten gefunden, sondern von den größeren Schiffen. Zwischen den Auffinden einer Mine und dem Untergang verging zB für die französische Bouvet nur drei Minuten. Insgesamt verloren die Alliierten an dem Tag sechs größere Schiffe, und man überlegte sich einen anderen Plan. Die Türken erklären dieses mit einer Multimedia-Show, der Schiffsbewegungen auf ein Modell der Halbinsel projiziert. Am Ende wird die gesamte Wasserstraße mit einer wehenden türkischen Fahne beleuchtet. Es ist keine Überraschung, dass der 18.3. von den Türken ausgiebig gefeiert wird.
Dann geht’s per Fähre auf die andere Seite, auf die europäische Halbinsel Gallipoli, wo der Krieg an Land an drei Schauplätzen stattfand, die ich hier stichpunktartig schildern will:
Schauplätze:
- Cape Helles: Südspitze der Halbinsel, Friedhöfe und Hauptdenkmäler für Türken, Franzosen und Engländer, Schlüsselbegriffe: SS River Clyde, Sudd-el-Bar Festung
- ANZAC Bucht (heißt mittlerweile offiziell so, auch auf Türkisch): Westseite der Insel, Landungsort der Australier und Neuseeländer, Friedhöfe und Hauptdenkmäler für Türken, Australier und Neuseeländer: Schlüsselbegriffe: Lone Pine Hill, the Nek, Chanuk Bair
- Suvla Bay: Nördlich von ANZAC, Landung am 6. August durch weitere Engländer, um die verfahrene Situation der anderen Schauplätze mit einem Überraschungsangriff in Bewegung zu bringen. Das wollen die Engländer noch viel mehr vergessen, denn der General Stopford verordnete seinen Truppen nach erfolgreicher Landung ohne erhebliche Gegenwehr erst einmal eine Teepause, damit die Türken mit Verstärkungen ihre Verteidigung organisieren konnten.
Weitere Fakten:
- Fast alle Landgewinne erzielten die Alliierten in den ersten Tagen, danach gab’s einen zähen Stellungskrieg.
- Die Alliierten zogen sich im Dez 1915-Jan 1916 zurück; viele Soldaten konnten nicht begraben werden, und blieben auf den Schlachtfeldern zurück (bis zum Ende des Krieges, als die Engländern als Sieger kamen, und die Knochen beerdigten)
- Einer der Befehlshaber auf türkischer Seite war Mustafa Kemal, später Atatürk, der hier um Held wurde und 8 Jahre später die moderne Türkische Republik gründete.
- Insgesamt starben über 100.000 Soldaten auf beiden Seiten durch direkte Kampfhandlungen, unzählige (wie Kingstons Großvater) wurden verletzt oder krank.
Eindrücke:
- Kingston war selber in den Neuseeländischen Streitkräften. Das ergibt interessante Gesprächsthemen, und auch besondere Momente, zB als er sich den Respekt der türkischen Matrosen durch die korrekte Ehrerbietung zur türkischen Flagge auf der Nusret verdient.
- Viele der Friedhöfe sind direkt auf den Schlachtfeldern. Man bekommt einen Eindruck der Enge, wenn der Führer erklärt, dass die türkischen Stellungen dort hinter der Friedhofsmauer waren, die Englischen hier an den Grabsteinen.
- Es fehlen hier die endlosen Gräberreihen. Meist gibt es ein paar Gedenksteine, bei vielen steht „believed to be buried in this cemetary“, aber für die meisten war’s ein Massengrab und ein Namen auf der Marmortafel. Am konsequentesten bei den Franzosen umgesetzt: Vier gemauerte Gräber, jedes beschriftet mit den Worten ‚hier liegen die Überreste von 3000 unbekannten französischen Soldaten‘
- Oft zitiert wird ein Teil einer versöhnlichen Rede von Atatürk aus dem Jahre 1934: „Those heroes that shed their blood and lost their lives … You are now lying in the soil of a friendly country. Therefore rest in peace. There is no difference between the Johnnies and the Mehmets to us where they lie side by side here in this country of ours … You, the mothers who sent their sons from faraway countries, wipe away your tears; your sons are now lying in our bosom and are in peace. After having lost their lives on this land they have become our sons as well.“
Insgesamt eine beeindruckende Tour, eine Pilgertour für Kiwis und Ozzies. Das merkt man auch an den Namen der Hotels und Kneipen. Alleine in Çanakkale sind mir auf 100 Metern 3 Hotels aufgefallen, die ANZAC im Namen tragen.
Übrigens wurde auch diese Tourismus-Entscheidung meinerseits durch ein paar Lieder beeinflusst. „And the Band played Walzing Mathilda“, mir hauptsächlich von den Pogues bekannt, bezieht sich auf das Schicksals eines Australiers in Suvla Bay (und ist damit historisch ungenau, denn da waren die ANZACs nicht), und das irisch-traditionelle „The Foggy Dew“ (zB von Sinead O’Connor und den Chieftains) singt: “ ‚twas better to die ’neath an Irish Sky, than at Suvla or Sudd-el-Bar“ (Die Iren, damals noch unter englischer Flagge, fühlten sich dort verheizt, das Dublin Regiment und das Munster Regiment wurden nach riesigen Verlusten zu den ‚Dubsters‘ zusammengelegt).
Happy Birthday!
Ich würde ja gerne sagen, ich hebe gerade einen Raki auf dich, aber es ist doch nur ein König Ludwig Dunkel 🙂
wie wäre es mit einem bulgarischen Rotwein?