„Du da! Raus aus dem Bus!“ Auch wenn ich kein Farsi spreche, so bin ich mir doch sicher, dass genau dieses die an mich gerichtete Aufforderung ist. Wir stehen schon länger an dieser Mautstation, mitten in der Wüste zwischen Teheran und Isfahan, deswegen trifft mich das Ansinnen jetzt überraschend – ich werfe Laptop, Handy und Kamera in meinen Rucksack und stolpere aus dem Bus. Ich bekomme meine Reisetasche in die Hand gedrückt, und verstehe nur Bahnhof. Allerdings verstehe ich auch, dass das nicht der Busbahnhof ist. Ich hatte schon in Teheran leichte Zweifel, dass das glatt gehen würde. Amon hatte mir angeboten, mich zum Busbahnhof zu begleiten, aber ich hatte zur Wahrung meines Stolzes abgelehnt – Ein Busticket kaufen werde ich wohl hinbekommen. So fragte ich am Busbahnhof in der Argantin-Square einen Verkäufer der Tickets nach Isfahan anpries nach dem Bus nach Kashan. Ja genau, der hier, nickt er erfreut, und gibt mir zu verstehen, dass der Bus auf dem Weg nach Isfahan halt in Kashan anhält, das wäre auf dem Weg. Ich kaufe das Ticket, der Verkäufer beruhigt den verwirrt dreinblickenden Busfahrer als ich ‚Kashan‘ wiederhole, und ich nehme meinen Platz ein. Sicherheitshalber frage ich einen adrett gekleideten Perser im Bus, ob das stimmen könnte, und er bestätigt – der Bus hält in Kashan. In Kashan werde ich von einem Fremdenführer betreut werden, und ich denke, es ist am besten, wenn sich der Busbegleiter (die gibt’s auch hier) und er kurzschließen, dass mich Badshah zur richtigen Zeit am richtigen Ort abholen kann. Ich gebe dem Begleiter mein Telefon, er bellt kurz etwas hinein, legt auf, und gibt mir das Telefon zurück, als wäre es ein alter, toter Fisch. Offensichtlich sind meine Sorgen total unbegründet, allen anderen ist klar, wo der Bus hält. Etwas später im Bus kommt der Begleiter aber doch zu mir, und fragt mich etwas. Ich verstehe ihn nicht, und so kritzelt er etwas auf einen Zettel. Dummerweise bin ich nicht nur taub für persisch, sondern auch blind – geschrieben hilft es mir auch nicht. Ich wähle wieder Badshahs Nummer, und die beiden reden etwas länger miteinander. Eine halbe Stunde später ruft Badshah an, und will nochmal mit dem Begleiter reden. Jetzt ist alles klar, denke ich, und bleibe weitere zwanzig Minute in diesem Glauben, eben bis zu der Mautstelle zehn Kilometer außerhalb von Kashan. Hier schaut mich ein Verkehrspolizist belustigt an, als hinter mir der Bus wieder anfährt. Ich suche mir etwas Schatten, um in Ruhe nachzudenken, da kommt mir ein Mann entgegen. „Mr. Christian?“ Badshah schimpft mich ein wenig, warum ich nicht den Bus NACH Kashan nehme, das wäre doch viel einfacher gewesen, und ich schäme mich ein wenig. Er zeigt mir dennoch den Fin-Garten, ein alten Hamam, zwei historische Häuser reicher Geschäftsleute und eine sehenswerte Moschee mit Koranschule. Allerdings ist er nicht so motiviert wie meine Reiseführer in Teheran. Er erklärt etwas, zeigt mir ein paar Ecken, teilt mir dann zwanzig Minuten zu, um alles zu fotografieren, und verzupft sich auf einen Schwatz mit dem Ticketverkäufer.
Während ich in Teheran einfach ein normales Hotel hatte, der 3-4 Sterne Kategorie, hat mein Reisebüro in Kashan meinen Auftrag ‚einfachere, lokale‘ Hotels vorbildlich in die Tat umgesetzt. Aus einem eher historischem Haus in der Altstadt wurde ein Hostel/Hotel eingerichtet. Vom Aufbau sehr ähnlich wie die zuvor besichtigten historischen Häusern reicher Geschäftsleute, nur dass die Erbauer dieses Hauses wohl nicht so reich waren – so fehlen halt die reichhaltigen Verzierungen. Es ist dem älteren Aufbau geschuldet, dass mein Zimmer kein eigenes Bad hat, aber immerhin bleibt es so von geführten Touristengruppen verschont. Ein Geheimtipp ist es offensichtlich aber auch nicht mehr, deshalb finden sich einige Traveller, die auf den authentisch anmutenden Sofas im Innenhof herumsitzen. Ich sehe sogar eine Chinesin – ohne Kopftuch! Die ‚Sofas‘ sind zwei mal zwei Meter große Holzplattformen, die mit einem weichen Teppich und einigen Kissen ausgelegt sind. Natürlich zieht man zur Nutzung die Schuhe aus, so erfreut man sich an Mitreisenden, die den ganzen Tag in solidem Schuhwerk unterwegs waren.
Azita, meine Reiseführerin aus Teheran, studiert in Kashan. Als sie bei unserer Tour meine Route durch den Iran erfährt, hatte sie sofort vorgeschlagen, dass wir uns ja dort treffen könnten. Ein Date?!? Per Telefon und SMS verabreden wir uns an einem zentralen Platz in der Stadt. Ich mache mich zu früh auf die Socken – der Platz ist am Ende viel näher als ich dachte – und so schlendere ich gemütlich durch die Straßen. Kashan wurde mir als konservativere und religiösere Stadt beschrieben, und sie ist tatsächlich von den Vibes anders als Teheran. Neben der Gasse zu meinem Hotel ist eine Institution, von der ich später erfahre, dass es eine ‚Kaderschule‘ ist. Auf den zwei Stufen zum Eingang ist eine amerikanische und eine israelische Fahne aufgemalt. So werden sie von jedem Schüler mindestens zweimal täglich mit Füßen getreten. Tatsächlich sehen die beiden Fahnen recht traurig aus, aber das liegt eher daran, dass die Farbe nicht besonders abriebfest ist. Wie oft muss sie wohl erneuert werden, um täglich geschmäht zu werden? Der Gedanke verselbstständigt sich – es muss jemanden im Iran geben, der in größeren Stückzahl die Fahnen der Erzfeinde aufmalt oder auch näht, nur damit man etwas hat, was man in einem inszenierten Wutanfall verbrennen kann. Und wo bekommen die Wutbürger die Fahnen her? Gibt es einen Laden mit ‚Demonstrationszubehör‘?
Auf dem zentralen König Kamal Platz – ميدان كمال الملك warte ich ein wenig, eine halbe Stunde wegen meiner schlechten Zeitplanung und weitere 15 Minuten wegen Azitas schlechter Zeitplanung. Das Straßenbild ist hier anders als in Teheran, und es liegt hauptsächlich an den Frauen. Die Teheraner Hidschab-Mode hat hier noch nicht richtig eingeschlagen – die meisten Frauen tragen hier einen schwarzen Tschador, eng an das Gesicht anliegend. (Begriffsklärung: Hidschab: die Verhüllung im allgemeineren, also auch als Kopftuch. Tschador: großer Umhang {in Wikipedia findet sich, dass die Übersetzung eigentlich ‚Zelt‘ sei}, Niqab: bedeckt noch Nase und Mund, Burka: kompletter Schleier. Weder Niqab noch Burka sind im Iran üblich.) Ich sehe auf dem belebten Platz in 45 Minuten nur sieben Frauen im entspannten Kopftuch, die Siebte ist mein Date.
Azita geht mit mir durch den Bazaar, und danach durch ein paar verwinkelte Ecken der Altstadt. An einem Gebäude weist sie mich auch den offensichtlichen Davidstern an einer Tür hin. Ich bin überrascht, die mögen sich doch nicht, dachte ich, also so gar nicht, dachte ich. Aber nein – mir wird erklärt dass der offizielle Hass des Staates nicht der Religion gilt, sondern nur dem zionistischen Drängen des Staates Israel und anderer Imperialisten. Tatsächlich werde ich auch in anderen Städten auf Synagogen und andere Spuren des Judentums hingewiesen. Wir landen dann in einem Restaurant (wieder in einem historischen Innenhof) und trinken ein paar süße, alkoholfreie Getränke, man stelle sich etwas Holundersirup in stillem Wasser vor. Cocktails fände ich zwar passender für Begleitung und Anlass, aber ich will ja flexibel sein.
Die Getränke sind auch nicht das interessante an dem Abend. Ich bin neugierig, Azita auskunftsfreudig, und so erfahre ich einiges mehr über Lebensrealitäten in der Islamischen Republik Iran. Eine Anekdote dreht sich um das Studentenwohnheim, in welchem sie an der Universität wohnt. Dort wohnen nur Frauen, klar. Als alleinstehende Frau erst nach 21:00 heimzukommen wird sehr ungern gesehen, weswegen wir den Abend leider auch um 20:30 beenden müssen. Als sie mal – von Teheran kommend – erst nach neun Uhr Einlass begehrte war der Pförtner schockiert. Ob ihr Vater wüsste, dass sie sich so spät alleine rumtreibt? Ja, das wüsste er. Er (der Pförtner), glaubt das nicht, er müsse den Vater anrufen, schließlich gäbe es eine kollektive Verantwortung für die Sittlichkeit auch einer 30-jährigen Frau. Im Laufe des Telefonats und Diskussion kommt dann noch raus, dass Azita gar nicht mehr bei den Eltern wohnt, obwohl sie nicht verheiratet ist, und ihr Vater dem zugestimmt hat – der Verfall der Sitten ist allgegenwärtig. Als die Zeit des Abschieds naht, packt Azita ein zweites, erheblich züchtigeres, Kopftuch aus ihrer Tasche und nimmt ein Taxi zum Wohnheim; ich schlendere wieder in mein Hotel. Dort findet sich noch eine bunte Gruppe, die auch Hunger hat, und wir ziehen in die Stadt, um kein Restaurant zu finden. Nachdem wir länger durch die Stadt laufen, ohne was Vernünftiges zu finden, landen wir in einem Fast-Food-Hühnchen-Laden. Ich hätte Azita auch dafür nach einem Tipp fragen sollen.
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