Ein kurzes Pfeifen, ein lautes Zischen, mit stampfenden Geräuschen setzt sich die 118 Jahre alte Dampflokomotive in Gang. Kurz hinter dem Bahnhof beginnt eine kräftige Steigung, da müssen wir hoch. Als damals die Landvermesser dem Minenbesitzer sagten, dass man über diese Berge keine Eisenbahn bauen könne hat er sie kurzerhand gefeuert: „Find a way, or make one!“ Durch Zufall erfuhr er von einem neuen System aus der Schweiz, eine Zahnradbahn nach dem System Dr. Abt, und so kam die erste Zahnradbahn nach Tasmanien. Sie transportierte durch einen gemäßigten Regenwald Kupfererz von Queenstown, im Westen des Landes, über ein paar Berge an die Küste nach Strahan. In Queenstown wird mittlerweile seit über 100 Jahren maximalinvasiv Kupfer abgebaut, nachdem es mit einem anfänglichen Goldrausch nicht geklappt hat. Die verwüsteten Hänge von Mt. Lyell sind ein noch heute sprechendes Zeugnis, auch der Queens River ist noch rot von den erosionsbedingten Auswaschungen, und nach den Ausführungen des Zugerklärers giftig von den Chemikalien die dort Jahrzehnte eingesetzt wurden. Jetzt wird natürlich alles besser, der neue Eigentümer betreibt keinen Tagebau mehr, hält sich an alle Umweltauflagen, beseitigt Sünden der Vergangenheit – für die er gar nicht verantwortlich ist – und unterstützt die West Coast Wilderness Railway finanziell. Ich freue mich, dass alles gut wird und fotografiere die tiefe Schlucht neben den Schienen.
Eigentlich ist Tasmanien ja im Vergleich zu Australien recht klein, aber hier sieht es ganz anders aus als gestern um Cradle Mountain. Cradle Mountain ist eine der Hauptattraktionen dieser Insel, ein alpin anmutender Nationalpark, der sich vorzüglich zum Wandern eignet. Ich habe leider für eine ausgiebige Tour keine Zeit und begnüge mich mit einem zweistündigen Rundweg um den Dove Lake. Im Laufe des Spaziergangs kommt auch die Sonne raus, majestätisch erheben sich Cradle Mountain und seine Nebengipfel über dem See.
Nach einem kurzen Stop an einem der drei Bahnhöfe an der Strecke, wo der geneigte Gast sich Erfrischungen und Junk Food kaufen kann, geht es weiter. Der letzte Wagen hat eine offene Plattform am Ende, hier stehe ich mit einem Mitreisenden. Als der Zug um eine Kurve fährt, lehnt er sich zur Seite raus, um ein Foto zu machen. Sofort kommt die Zugbegleiterin angeschossen, und ermahnt ihn, sich bitte nicht rauszulehnen, damit er sich nicht verletze, die Böschungen sind recht nah am Zug. Reumütig verspricht er, es nicht wieder zu tun. Ich bin beruhigt, wieder ein Menschenleben gerettet. Man könnte natürlich auch auf den Gedanken kommen, dass der Herr Augen im Kopf hat, und bei den zehn Stundenkilometer Fahrt einer möglichen Böschung rechtzeitig ausweicht. Eigentlich bin ich nicht beruhigt, nicht ruhig, eher innerlich erregt. Die Episode ist symptomatisch für meinen Eindruck von Australien bislang.
Ich muss zugeben, dass Australien ein wenig hinter meinen Erwartungen zurückbleibt. Das mag gerne an meinen Erwartungen liegen, diese sind geprägt von den klassischen Werbe- und Filmmotiven. Ich hatte sehr entspannte Menschen vor Augen, die sich in einem Pub im Outback über jeden Fremden freuen, und unendliche Weiten, mit roten Sand und brav von der Straße zurückbleibenden Kängurus. Man trinkt Foster (tut man nicht, ich habe heute nach sechs Wochen das erste Mal bewusst diese Biermarke wahrgenommen). In meinem Bild ist alles an Australien entspannt, auch die Preise.
Über die unglückliche Konstellation von hiesigem Preisniveau und der Wechselkurs zum Euro hatte ich mich ja bereits ausgelassen, aber das ist es nicht alleine. Ich vermisse die Entspanntheit. Dafür, dass die in Australien wirklich sehr viel Platz für große Karos hätten, wirkt das alles ein wenig – kleinkariert. Ich finde, hier in Australien treffen sich schrullige englische Traditionen mit versuchter deutscher Gründlichkeit, und das Ganze gepaart mit einer amerikanischen Angst vor Haftungsklagen. Ich habe mittlerweile mit vielen Leuten darüber diskutiert, anderen Touristen, Eingewanderte und Eingeborenen (also, weiße, hier Geborene – Aboriginies sind mir noch kaum welche untergekommen), und fast alle bestätigen meinen Eindruck. Ein paar Episoden, keine für sich schlimm, aber in ihrer Summe gehen sie mir mittlerweile reichlich auf den Keks.
- Im Cradle Mountain National Park werde ich von der Rangerin gebeten, mich für meine Wanderung einzutragen. Eine tolle Sache für längere Wanderungen und Expeditionen in widrigem Wetter. Für den fünf Kilometer langen, ein Meter breiten Spazierweg, der zum größten Teil über eine Boardwalk führt, finde ich es etwas übertrieben. An dem Weg gibt es einen Aussichtspunkt, ein größerer Felsen ohne Aussichtsplattform-Sicherungen. Statt dessen ein kindersicheres Tor, mit dem Hinweis, dass man sich hier ‚Substantial Hazards‘ aussetzt. Ich suche nach dem Buch, wo man den Haftungsausschluss unterschreiben muss, finde es aber nicht.
- Auf Fitzroy Island will ich mir für drei Stunden Tauchflossen und einen Anzug gegen Quallen ausleihen. Ich muss vorher zwei DIN A4 Seiten ausfüllen, wo ich auf die Gefahren vom Schwimmen hingewiesen wurde, und den Verleiher von jeglicher Verantwortung entbinde. Auf eine Kaution, dass ich die Dinger auch zurückbringe wird hingegen verzichtet.
- In Rockhampton will ich ein Steak essen. Wie üblich in Pub-ähnlichen Restaurants wird an der Theke bestellt und bezahlt, man bekommt eine auffällige Nummer zum an den Tisch nehmen. Da es ein schöner Abend ist, will ich rausgehen. Mir wird erklärt, dass man mir das Steak draußen nicht servieren darf, da könnten Leute rauchen. Es würde mir freistehen, drinnen auf das Steak zu warten, und es dann raus zu nehmen.
- Ich habe noch nie so viele Leute mit Warnwesten gesehen. Offensichtlich erfordert jegliche Tätigkeit im öffentlichen Raum eine solche. Mich wundert, dass Restaurant-Bedienungen keine tragen müssen.
- Hildegard und Walter haben einen kleinen Pool im Garten, dieser ist gesondert eingezäunt. Ich äußere meine Vermutung, dass die Sondereinzäunung nicht ihre Idee war. Offensichtlich habe ich einen wunden Punkt getroffen, mir wird berichtet dass ein öffentlicher Inspektor auch moniert hatte, dass die Feder der selbstschließenden Tür nicht effektiv genug wäre. Argumente, dass es hier im Haus keine kleinen Kinder gibt, gelten nicht. Interessanterweise kann man am Darling Harbour in Sydney – und hier laufen massenweise Kinder rum – jeder einfach von der Hafenmauer ins Wasser spazieren – es gibt nicht einmal ein Warnhinweis, dass das Wasser nass ist.
- Fast jede Straßenbaustelle in Australien erfordert drei Mitarbeiter. Zwei an jedem Ende, die einen Lollipop mit „Stop/Slow“ halten, und (das hat mir Walter erklärt) einen Supervisor, der einspringen muss, wenn einem der beiden schlecht wird. An einer Baustelle gibt es noch zusätzlich ein Lotsenfahrzeug, was vor den jeweils die Gefahrenzone durchfahrenden Autos herfährt. Zusätzlich werden Mitarbeiter eingesetzt, die auch tatsächlich etwas bauen.
- Ich habe selten einen solchen Schilderwald erlebt, mit irrsinnig viel Prosa. Diese Spur ist für Busse reserviert, aber nur während Schulzeit von 8:00-10:37 und von 13:42 bis 15:17, außer es ist Vollmond, dann dürfen hier auch Taxis fahren, aber nur wenn deren Fahrziel weiter als 7,3 km entfernt ist (OK, das war nicht der Wortlaut, aber ihr versteht, was ich meine).
- Auf einer einsamen Landstraße am Waterfall Way ist eine Kreuzung. Die Straße ist stark befahren, in der letzten Viertelstunde habe ich vielleicht sechs Autos gesehen. Aber die Kreuzung ist nach allen Regeln der Kunst aufmarkiert – die beiden Spuren der Hauptstraße werden mit Sperrflächen sauber getrennt, dann gibt es die Linksabbiegerspur, eine kleine Haltelinie, eine gebogene gestrichelte Linie, dass der Abbiegende die optimale Linie in die Seitenstraße findet, deren Haltelinien natürlich auch akkurat gekennzeichnet sind. Die Kreuzung erinnert mich an eine Modelleisenbahn – die Stadt besteht aus fünf Häusern, aber da man von Faller das Set ‚Strassenmarkierungen‘ gekauft hat, prangt zwischen den fünf Häusern eine Kreuzung wie am Kuhdamm.
- Der Weg vom Surfshop zum Strand in Agnes Waters führt über eine Strafe. Wie werden ermahnt, den Zebrastreifen zu nutzen, aber trotzdem auf Autos zu achten. Und in Australien halten Autos wirklich an Zebrastreifen, es dient nicht wie in den Ländern Südostasiens lediglich zu Konzentration der Unfälle an einem Ort.
- In Sydney warte ich auf den Bus. Die Australier haben das Anstellen von den Engländern übernommen, sind vorbildlich. Eine Schlange steht säuberlich aufgereiht ca. ein Meter vom Bordstein aufgereiht. Wenn einer der fünf möglichen Busse kommt, treten diejenige einen Schritt vor, die diesen Bus brauchen, und besteigen ihn bei entsprechendem Platzangebot. Der Rest tritt in die Schlange zurück. Ich möchte nicht wissen, wie viele Feinde ich mir gemacht hab, als ich von der falschen Seite in das Bushäuschen gegangen bin, und den Fahrplan studiert habe. Dankenswerterweise hat mir Bernie das Prinzip erklärt, bevor ich gelyncht wurde. Gefördert wird diese Disziplin von zwei Mitarbeitern, einem Studenten und einem Bürger mit offensichtlich indischem Migrationshintergrund. Sie bringen in Erfahrung, ob noch Platz im Bus ist und geben dann die Bewegung der Warteschlange frei. Erfrischend, in München würde halt der Busfahrer plärren: “ Jetzt wartet’s halt auf den nächsten Bus, seht’s ihr’s ned, dass der hier voll ist?“
- Drei Menschen an Baustellen, zwei an Bushaltestellen, das Prinzip setzt sich leider nicht überall fort. Das Mautsystem in Sydney und anderen Großstädten hat sich offensichtlich zum Ziel gesetzt, ganz ohne Mitarbeiter auszukommen, und vertraut nur auf Videomaut. Auf einer Website könnte ich mich anmelden, ‚bitte geben Sie einen Benutzernamen und Password für Ihren MyToll Account ein‘, aber möglicherweise hat das schon die Mietwagenfirma erledigt, die Mitarbeiter widersprechen sich hierzu. Ich habe keine Lust, und sage meinem Navi, dass ich keine Mautstraßen mag.
- Mit einigen meiner Gesprächspartner habe ich mich über diese ganze Regeln und deren Einhaltung unterhalten. Die Strafen sind drakonisch, möglicherweise um auch dort zu wirken, wo halt seltener ein Ordnungshüter wacht. Offensichtlich können schon zwei Geschwindigkeitsübertretungen von jeweils 4 km/h zum Verlust des Führerscheins. Die potenziellen Strafen werden auch gerne direkt mit an die Schilder geschrieben. Das erleichtert auch die Lesbarkeit unheimlich. Am Flughafen stelle ich fest, dass das Betreten des Sicherheitsbereiches mit einer Waffe eine Strafe von 10.000 AU$ bedeuten kann. Summierte Strafen für die Abgabe von Alkohol an unter achtzehnjährige sind allerdings bei bis zu 18.000 Dollar (für den Minderjährigen, die Bedienung und das Management).
- Am Flughafen von Cairns wird an der Sicherheitskontrolle hinter mir ein Pilot besonders auf Sprengstoff kontrolliert. Ich schaue das ganze kopfschüttelnd an, und der Pilot raunt mir danach zu, dass er kein Sprengstoff bräuchte, um mit einem Flugzeug Unfug anzustellen.
Auch wenn es nicht wirklich fair ist, ein Graffiti an einem Schild auf Fitzroy Island hat meine Stimmung getroffen: Unter den originalen Hinweisen an der Pier „no diving“ und „no fishing“, hat jemand gekritzelt „no cheerful whistling“. Der stete Tropfen der oben geschilderten Erfahrungen nagt wirklich an meinem Urlaub in Australien. Ich fühle mich meine Intelligenz und mein Urteilsvermögen beleidigt, dieses Land nimmt mich nicht für voll, und auch seine Bewohner nicht. Von dem erwarteten ‚Pioneer Spirit‘ – der auch immer wieder gerne bei Sehenswürdigkeiten wie der West Coast Wilderness Railway beschworen wird – spüre ich: nichts.
Um auch eine positive Note anklingen zu lassen: das ganze Micromanagement und die ganzen Regeln haben auch eine positive Seite: Ich habe nirgendswo auf der Welt so viele gepflegte öffentliche Einrichtungen gesehen. An jedem Rastplatz oder Strand sind saubere öffentliche Toiletten, fast überall finden sich kostenlose öffentliche Grills (Im Park in Melbourne könnte man sich einfach ein Steak mitbringen, alle hundert Meter steht ein Gasgrill), an der Strandpromenade von Cairns ist ein riesiges, kostenloses Freibad, die Cairns Esplanade Lagoon. Fast alle Städte wirken proper und gepflegt, selbst solche, in denen ich nicht tot überm Zaun hängen will. Die Landschaften sind grandios und weitläufig. Ich könnte mir lebhaft vorstellen, mich beim Wohnen in Australien sauwohl zu fühlen, aber momentan bin ich im Urlaub nicht begeistert. Bewusst und unbewusst habe ich so meinen Aufenthalt gestrafft, Anfang April bin ich wieder im ‚wilden‘ Südostasien.
Eure Meinung hierzu würde mich wirklich interessieren – wer nicht öffentlich kommentiere möchte kann mir auch gerne einfach so schreiben.
Hmmm….interessant!
Also wir haben während inseres 3-wöchigen Urlaubs Australien sehr genossen auch wenn ich alle Deine Punkte bestätigen kann. Gut, wir kamen aus Korea und hatten plötzlich diese saubere Umgebung und die scheinbar westliche Welt in Tateinheit mit Supermärkten etc. die man kennt und Menschen die einen in Englisch auf Anhieb verstehen….
Ein Erklärungsversuch: Wenn man aus dem super-entspannten, flip-flop igen asiatisch quirligen Indochine kommt, dann verstärkt das ganz sicher den beschriebenen Zustand….glaube ich. Des weiteren denke ich dass Australien zu gross ist für Alleine-Urlaub. Man verbringt grade wenn man alles mit dem Auto erkundet bei diesen unvorstellbar riesen Distanzen viel, viel Zeit im Auto. Wir als Familie im campervan, das ist ok…
Da passiert dann auch nicht immer viel, aus Indochine hattest Du dauernd Gewusel um Dich rum, hattest von Leuten erzählt die Du kennengelernt hattest…nicht so in down under….
Vielleicht zu viel Zeit zum Nachdenken?
Geniess Asien, wir beneiden Dich!
Tja, das ist die Zukunft, der nanny-state. Wobei die Anglophonen da schon weiter sind als wir. Da dürfen Kindergartenkinder kaum noch raus, weil sie könnten draussen ja unkontrollierbaren Risiken ausgesetzt sein, wie eine Biene oder eine Wespe oder sowas. Führt dann zum (kontrollierbaren?) Risiko der Bewegungsarmut und Adipositas… ob das so viel besser ist? Neulich hab ich sogar ein Kleinkind mit Helm im Kinderbuggy gesehen… sicher ist sicher…