Eine Dusche. Meine Dusche. Ein Traum. Die letzte Woche habe ich jeweils Unterkünfte mit einfachen Zimmern genommen, Toilette und Dusche jeweils am Gang. Meist ganz ok, aber die letzte Nacht über dem Irish Pub in Geelong waren sie eher räudig, es gab außerdem kein Handtuch im Zimmer, und so fahre ich schmutzig los und beschließe, in Melbourne etwas mehr für meine Unterkunft auszugeben. Das gelingt mir. Im Tolarno Hotel in St Kilda, einem Vorort von Melbourne, werde ich fündig. Ich dusche erst einmal lange und ausgiebig und erfreue mich auch so an der positiven Veränderung zur Nacht davor.
Rein zufälligerweise spielt heute Springsteen in Melbourne, im AAMI Park. Ich beschließe, mal vorbeizuschauen, vielleicht ergibt sich ja was. Jedenfalls setze ich mir ein Budget, ich will ja nicht übertreiben. Der AAMI Park liegt an der Olympic Avenue. Es dauert ein wenig, bis ich kapiere, dass in Melbourne in 1956 auch eine Olympiade war, und das hier kein ausgelagertes Areal derer in Sydney im Jahr 2000 ist. Das Stadion selber ist relativ neu, liegt schön gelegen am Yarra Fluss. Es gibt noch Karten an der Abendkasse, sogar für die Arena, hinterer Teil, für 120 AU$. Der Verkäufer beruhigt mich, noch genug, und so probiere ich, ob ich vielleicht auch eine Karte für den Front of Stage Bereich bekomme. Niemand steht mit ‚Selling Tickets‘ Schilder umeinander, und so spreche ich einige Leute an. Ein Paar fragt fast misstrauisch: „And who are you?“, worauf ich mit „Chris, from Germany“ vorstelle. David und BJ aus Kanada lassen sich meine Situation schildern und geben dann zu, dass sie sogar zwei Karten übrig haben, und ja, sie wären bereit sich von einer zu trennen. Es beginnen die schwierigen Preisverhandlungen. David meint, wenn es noch Karten für 120 Dollar gibt, dann will er hundert, und ich möge zwanzig für die Armenküche spenden, deren Vertreter hier überall sammeln. ‚Ist David noch ganz frisch?‘, denke ich mir (die Front of Stage Karte kostet original 230), aber OK. Ich gebe David seine hundert und spende einer verdutzten Dame mit lauter Münzen in der Sammelbox fünfzig Dollar. Ich hatte heute Glück, erkläre ich ihr, das will ich teilen. Beim genauen Hingucken ist meine Karte offensichtlich eine Freikarte gewesen, aber das ändert nichts, ich komme einwandfrei ins Stadion. Da ich später dran bin, stehen schon einige umher, dann halt nicht so nah an der Bühne. Ich schaue mich etwas um, und entdecke jemanden drei Meter vor der Bühne, der unter einem Pappschild mit seinem Liederwunsch Schatten sucht. ‚Campion‘ steht als Logo auf der Rückseite. Hm, so ein Pappkarton hatte Charlie in Adelaide doch auch, und tatsächlich – ich drängle mich zu Charlie und Steven vor, werde seiner Familie vorgestellt, und habe wieder ein Platz recht nah an der Bühne. In Melbourne spielen vor Bruce noch zwei Bands, so auch Hunters & Collectors, die in Australien wohl recht bekannt sind, und auch mir gut gefallen. Neben mir steht Ian aus Tasmanien, sein Schild fordert „Bring the E-Street-Band to Tazzie“, auf einer Karte der entsprechenden Insel. Ich lasse mir ein paar Tipps geben, was man dort ansehen kann, und bekomme sie auf den Umrissen erklärt. Um kurz vor acht geht’s los. Da niemand meine letzte Konzertbeschreibung gelobt hat, nur kurz: Bruce eröffnet das Konzert mit der bombastischen Version von ‚Born in the USA‘, wirkt zwar am Anfang etwas komisch, erschöpft oder zerstreut, setzt sich an den Bühnenrand, erzählt ein paar Geschichten (wie auf der Live ’75-85 – das hatte ich noch nie), rappelt sich dann aber, spielt die gesamte ‚Born to Run‘, und hört erst nach 3 Stunden und 45 Minuten auf. Ich bin wieder begeistert – wo sind die nächsten Konzerte?
Am nächsten Tag – nach einer ausgiebigen Dusche – knöpfe ich mir Melbourne vor. Es scheint sinnvoll zu sein, öffentlich in die Stadt zu fahren, besonders da vor meinem Hotel die Trambahn vorbeifährt. Ich mache einen Plan, damit ich nicht den Reiseführer mitschleppen muss, wähle vorsichtig die notwendige Ausrüstung aus, um Ballast zu vermeiden, und mache mich auf die Socken. Als erstes versuche ich ein Ticket zu kaufen. Der Preis der Tageskarte überrascht mich nicht mehr, aber zu deren Nutzung muss man erst eine spezielle Melbourne Karte zum berührungslosen Bezahlen kaufen – die man nicht zurückgeben kann. Der Verkäufer meint, in meiner Situation wäre es billiger, mit dem Taxi zu fahren, oder doch die eher teuren Parkgebühren in der Stadt in Kauf zu nehmen. Also zurück zum Auto. Dabei reift in mir die Erkenntnis, dass dieses ungeahnte Möglichkeiten eröffnet. Im Reiseführer hatte ich einen Einschub über den Stadtteil Footscray gesehen, über dessen vorwiegend vietnamesischen Einwanderer und die leckeren Läden für Pho. Na dann, gehe ich halt mal in Australien eine vietnamesiche Nudelsuppe essen, die hat mir langsam wirklich gefehlt. Im Hung Vuong Restaurant bekomme ich auch tatsächlich eine sehr gute Pho Bo und einen original vietnamesischen Tischnachbar. Er isst seine Suppe mit fettem Suppenfleisch und erklärt mir wahrscheinlich die Vorzüge davon. Tatsächlich verstehe ich fast nichts von dem, was er mir erzählt, aber er freut sich dennoch über mein aufmerksames Zuhören; ich mache mir derweil Gedanken über das Wesen der Kommunikation, und was genau daran befriedigend ist.
Nach erfolgter Stärkung mache ich mich auf den Weg zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten in downtown Melbourne. Das erste Parkhaus ruft 18 AU$ pro Stunde auf, erschreckt lege ich den Rückwärtsgang in der Einfahrt ein. Ich fahre noch 800 Meter weiter, und finde eine Parkbucht mit Ticketautomat. Natürlich habe ich nicht genug Kleingeld, ein Laden in der Nähe wechselt auch nach freundlicher Ansprache nicht, also gebe ich 20 Dollar für einen Orangensaft für 3,50 und verlange das Wechselgeld in Münzen; immerhin habe ich jetzt ein Depot im Auto. Dann auf Schusters Rappen die Besichtigung des CBD (Central Business District, hat länger gebraucht bis ich das erfahren habe). Im Führer haben hier zwei Sachen einen Stern: Federation Square und Hosier Lane. Federation Square wurde über den Bahngleisen des Hauptbahnhofs erbaut, ansprechende moderne Architektur, offene Flächen mit Bänken, Cafés, und Melbourniten. Es gäbe auch zwei Museen, aber die haben keinen Stern. Also weiter auf der CBD-Walking Tour. Hosier Lane und deren ‚exciting street art‘ entpuppt sich als eine mit Graffiti bedeckte Gasse zwischen ein paar alten Häusern. Nun gut, ein späteres Nachlesen ergibt, dass nichts anderes behauptet wurde. Weiter geht’s. Zwei kleine, beschauliche Kirchen, und dann eine Kreuzung mit einem erheiternden Spektakel. An allen vier Ecken stehen mindestens drei Polizisten, weitere stehen auf der Kreuzung und fuchteln mit den Armen, weisen verunsicherte Autofahrer in die richtigen Bahnen. Das Aufgebot passt zu einer konkreten Bedrohung durch Terroristen, aber alles ist ganz entspannt. Ich frage einen der Polizisten, ob das hier ein ‚Accident Black Spot‘ sei, und er antwortet lachend: ‚Ja, jedenfalls solange wir hier sind‘. Auf weiteres Nachfragen erklärt er, dass die meisten hier Polizeianwärter sind, die lernen, Verkehr zu regeln. Auf meinen Einwand, ob es nicht mit ausgeschalteter Ampel weniger verwirrend wäre, meint er, dass am ersten Tag die Ampeln an bleiben, damit die Anwärter ein Gefühl für das Timing bekommen, es soll also ampelsynchron verlaufen. Meine weitere Tour führt mich am Parlament vom Bundesstaat Victoria vorbei, durch Chinatown (die besser Chinastreet heißen würde), und dann durch die Sehenswürdigkeiten Bourke Street Mall, Royal Arcade und Block Arcade. Dabei muss ich mir vergegenwärtigen, dass der Reiseführer nicht nur für Europäer geschrieben ist. Mei, das ist halt eine Fußgängerzone mit modernen Läden, und zwei überdachte Einkaufstrassen wie sie fast jede europäische Stadt hat. Ich beschließe, dass ich damit Melbourne abhaken kann: eine an sich schöne Stadt, ich könnte mir durchaus vorstellen, hier zu wohnen und mich wohl zu fühlen (keine Sorge, mehr noch kann ich mir das in München vorstellen), aber kein Tourismus Feuerwerk. Vielleicht wäre hier auch Begleitung wichtiger gewesen, aber alleine habe ich wirklich keine Lust, mich in die ‚Schlangen vor den angesagtesten Restaurants der Stadt‘ zu stellen, um dann das neueste in ‚Modern Oz‘ Küche zu probieren. Ich beende die walking Tour mit einem Bier auf Ponyfish Island (der Kulturstrand an der Corneliusbrücke lässt grüßen), und sammle dann mein Auto ein. Auf dem Heimweg um 18:30 eine australische Alkoholkontrolle. Jeweils vier Autos werden an die Seite gewunken, kein Geplänkel wo man war, ob man was getrunken hat, ob man einen Führerschein hat; jedem wird bei laufendem Motor und runtergelassenen Scheibe der Alkoholtester hingehalten, einmal kurz pusten bitte, „That’s excellent sir, hope you have a great day“, und weiter geht’s. Das Bier auf Bier auf Ponyfish Island hatte also tatsächlich so wenig Alkohol wie Geschmack, ich hab’s geahnt.
Ponyfish beer is like making Love in a canoe?
Yeah, fucking close to water 😉