Der Taxifahrer, der mich zum Ostbahnhof fährt fragt nach meinem Ziel. Er kommt aus Istanbul und freut sich über meine Wahl. Also noch schnell etwas Türkisch lernen im Taxi. Ich merke mir: Merhabba=Grußformel. Täschegür iderem=Danke (noch komplizierter ging’s nicht?). Gülle Gülle=Auf Wiedersehen.
Vor lauter Hektik bin ich über eine Stunde zu früh am Flughafen, noch ein letztes Weißbier in Bayern. 20 Sekunden nach take-off ist München im Nebel verschwunden.
Ankunft in Istanbul um 23:40, alles läuft glatt, Passkontrolle ist zügig fertig, Gepäck ist sofort da, ein Taxi schnell gefunden, die Diskussion ob des Taxameters bleibt aus, und ab geht’s in die Stadt. Nur an bekannten Radarfallen wird das Tempo gedrosselt, der Taxifahrer bedauert. Die Route passt auch zu meiner aus Google Maps bezogenen geistigen Vorstellung. Als der Fahrer von der Hauptstraße abbiegt, dem Wegweiser nach Sultanahmed folgend (so heißt mein Hotel, aber auch der ganze Stadtteil), beginne ich an der Weisheit meiner Entscheidung zu zweifeln, das günstigere Hotel bei HRS zu nehmen. Es ist finster, alle Läden verrammelt, und die wenigen Leute sehen alles andere als vertrauenserweckend aus, ebenso wie die Herbergen. So winden wir uns durch dunkle Gassen – worauf habe ich mich da eingelassen? Na ja, ich wollte es ja etwas ursprünglicher, fange ich halt gleich mal an zu üben. Doch dann beginnt die Straße breiter zu werden, die Häuser protziger, die Hotels marmorgetäfelt und angestrahlt. Das Taxi hält. Das Hotel heißt „Irgendwas Sultanahmed“. Auf meiner Reservierung fehlt das „Irgendwas“. Taxifahrer diskutiert mit Portier, beiden gucken auf meinen Reservierungszettel, der Chauffeur ruft das Hotel an und lässt sich’s erklären. Aus der Traum von der Marmortäfelung, denn weiter geht’s durch dunkle Gassen. Doch dann biegen wir nach rechts ab (Einbahnstraßenschilder werden in Istanbul offensichtlich anders aufgehängt und zeigen gegen die Fahrtrichtung) und schon sind wir da. „Good evening, Chris!“
Zimmer 104 kann den Altbau nicht leugnen, der Teppich hat auch schon einiges erlebt. Aber sonst wirkt alles sauber. Dass es dunkel ist, überrascht um 1:00 morgens nicht, aber irgendwas ist komisch – da fehlt ein Fenster. Die sind ja allgemein überbewertet, so können keine Mücken reinkommen, toll. Kühle Frischluft leider auch nicht. Müde bin ich aber genug, also Augen zu und d…. äh schlafen. Am nächsten Morgen frage ich nach einem Zimmer mit Fenster, und bekomme mein Upgrade. Börsenspezialisten würden allerdings eher von ein ‚Seitwärtsbewegung in der Übernachtungssituation‘ sprechen, denn das neue Zimmer hat kein Bad mehr. Egal, Frischluft ist mir wichtiger, und ich habe einen Blick auf die linke Hälfte von einem Minarett der blauen Moschee (von der Dachterrasse sieht man die ganze blaue Moschee, und von meinem Fenster aus eine andere, die halt im Weg ist).
Nach erfolgtem Umzug mache ich mich auf in die Stadt. Das Hotel ist wirklich super zentral gelegen. Nach zwei Minuten bin ich auf der Achse zwischen der Hagia Sofia und der blauen Moschee, nicht schlecht. Es wuselt. Leckere Gerüche strömen aus den Lokalen. Chinesen fotografieren sich gegenseitig mit Kulturdenkmälern im Hintergrund. Ich höre Englisch, Amerikanisch, Russisch. Das bekommt man halt, wenn man sich mitten in der Touristenattraktion niederlässt.
Der gemeine Türke, so wurde mir gesagt, sei gar nicht gemein, sondern sehr freundlich. Tatsächlich werde ich schon bald angesprochen, wo ich denn her käme. Aus München. Ah, mein Gesprächspartner hat einen Bruder in Ingolstadt, besucht fleißig das Oktoberfest. Eine gemeinsame Basis ist gefunden. Nach einiger Zeit stellen wir fest, dass er neben einem Bruder auch noch einen Laden für Teppiche und Lederjacken hat. Was ist das eigentlich mit den Teppichen hier? Gut, die Türkei ist bekannt für Teppiche. Aber Deutschland ist zB bekannt für seine Fenster. Das wusste schon Angela M., die auf die Frage welche Empfindung Deutschland in ihr weckt, antwortete: „Kein anderes Land kann so dichte und so schöne Fenster bauen“. Da hat sie zwar nicht unrecht, auch wenn es vielleicht staatstragender gewesen wäre, Goethe oder Bach ins Feld zu führen, aber stelle ich mich deshalb auf den Marienplatz und frage arglose Touristen nach Eingangsgeplänkel, ob sie nicht in meinen Fensterladen kommen wollen? Ich mache das nicht. Aber vielleicht hat ja der Bruder in Ingolstadt, der Opa in Berlin oder der Onkel aus Nürnberg, der dort einen McD oder Burger King leitet, von der dramatischen Teppichlosigkeit in Deutschland erzählt. Oder der typische Einkaufzettel in Istanbul sieht so aus: ‚Eier, Mehl, Milch, einen Teppich und zwei Pfund Auberginen‘. Mir bleibt es vorerst ein Rätsel.
Dem Teppichverkäufer entfliehend mache ich mich auf in die Richtung, in der ich den Bosporus vermute. Die Stadt ändert sich merklich. Die Restaurant- und Hoteldichte sinkt, und auf meinem Weg wird’s langsam ursprünglicher. Eine Gasse entlang einer Festungsmauer macht einen Knick, führt durch einen Torbogen, und plötzlich trennt mich nur noch eine sechsspurige Straße vom Bosporus. Da die Fußgängerampel gerade grün ist, bin ich flugs drüben. Segeltechnisch gedacht, heute hätte man vom schwarzen Meer ins Mittelmeer mit ca. 10 Knoten vor dem Wind segeln können, es weht ein wunderschöner Wind mit 4Bft. Zum Segeln wäre er wunderschön, zum Bummeln ist er etwas kühl. Aber vielleicht wird er hier ja auch von ‚Landeffekten‘ abgelenkt, das wäre hier wohl der Topkapi-Effekt. Vor dem Wind kuscheln sich zwischen den Felsblöcken des Wellenbrechers Katzenfamilien aneinander. Wovon die armen Tiere hier nur leben? Etwas weiter das goldene Horn umrundend sehe ich Scharen von Anglern. Die Katzen leben also vom Fischfang… [anderer Leute]. Die Katzen bei den Anglern kuscheln auch nicht mehr in Felsritzen, sondern umschmeicheln die Sportfischer fordernd aktiv.
Beim weiteren Streifzug durch die Stadt formuliere ich innerlich ein Gerüst für die nächsten Tage, labe mich an Kebab, genieße den überall feilgebotenen Tee, lasse mir die Haare scheren, organisiere ein türkische Internet-SIM-Karte und eine weitere Speicherkarte für meine Elektroschrottsammlung. Morgen wird die große Kamera ausgepackt, und das Sightseeing-proper kann beginnen.
Na, das deckt sich ja zu 100% mit meinen Erfahrungen, nur dass ich mir ein Hotel hab empfehlen lassen und den Upgrade aufgrund ausgefallenem Flughafentransfer (wer landet auch schon in Sabiha Gökcen statt Atatürk???) noch in der selben Nacht bekommen habe. Und mein freundlicher Türke hatte ein Geschäft für Silberschmuck… naja war ja auch mit meiner Mama unterwegs…
Nett, von Dir zu hören, und viel Spass am Bosporus!
Klingt toll! Da werd ich fast neidisch wenn ich denke was du noch alles erleben wirst….wieso fast neidisch???
Sausack
Take care
Christian