Der Hyundai County ist die mittlere von drei Transportoptionen für Touristen. Zwischen dem ausgewachsenen Reisebus und Minivans angesiedelt, bietet der kleine Bus Regelplätze für fünfundzwanzig Passagiere. Die in Vietnam sind einheitlich dunkel und hell beige gestrichen, und tragen auf der Seite meist das Logo des Reiseveranstalters. Auf der Strecke von Hanoi nach Halong liefern sich an diesem morgen ca. zwanzig dieser Busse ein kleines Rennen. Immer wieder sieht man den Bus von Oriental Sails, Elizabeth Tours oder Dynasty. Gegen Ende der vierstündigen Fahrt winkt man den Passagieren in den anderen Bussen zu, wenn man sie überholt, und zieht ein übertrieben trauriges Gesicht, wenn man überholt wird. Ein Ausflug an die Bucht des herabsteigenden Drachens – auf hochdeutsch: Halong Bay – ist per se nichts Exklusives. Um 8:00 sollte mich der Bus im Hotel abholen, um 7:45 erreichen mich gleichzeitig meine Frühstücksnudelsuppe und die Nachricht, dass der Bus schon da sei. Er wird drei Minuten warten müssen, bis ich die Fleischscheibchen und die Nudeln aus meiner Suppe vor dem Ertrinken gerettet habe. Danach noch eine kleine Stadtrundfahrt durch Hanoi, bis wir alle Gäste am Hotel eingesammelt haben.
Kevin, unser Reiseleiter, spricht so gut Englisch, dass er sogar Humor kann. Er erzählt von den Mopeds, wettet mit Passagieren, wie viele es davon in Hanoi gibt (ich glaube ihm nicht, dass es drei Mal so viele Mopeds wie Einwohner hat, auch wenn er persönlich behauptet vier zu besitzen). Kevin erzählt und erzählt, von Vietnam, seiner Frau, Korruption, seinen Kindern, dem Krieg, seiner Freundin und unserem Reiseziel. Im Morgengrauen beobachte ich das Treiben auf der Straße. Diese ist gut ausgebaut, ein Zaun in der Mitte trennt die beiden Fahrspuren, ist aber auch ein kleines zusätzliches Hindernis für die Schulmädchen, die auf die andere Seite wollen. Auf halber Strecke gibt es eine Biopause, die Strategie kenne ich. Wir biegen von der Straße auf einen Hof mit Marmorfiguren, ein Gebäude von der Größe eines mittleren Baumarkts beherbergt edle Toiletten. Um zu ihnen zu gelangen, muss man durch Ansammlungen von Marmorfiguren, Seidenkleidern, Schmucktheken, fünfzig junge Damen, die von Hand Kissenbezüge besticken, Kissenbezüge und andere Stickereisachen, Lackschälchen, Jadeschnitzereien, und ein großes Fressparadies. Abfahrt ist erst in zwanzig Minuten, währenddessen wird der Bus gewaschen. Dann geht’s weiter, durch das Delta des Roten Flusses. Hier kommt man noch an Städten vorbei, die noch wachsen, und erkennt eine Besonderheit vietnamesischer Baukunst: Offensichtlich sind laufende Meter Straßenfront aus irgendeiner Sicht ein erheblicher Faktor – hier sieht man Häuser, vier Vollgeschosse hoch, bestimmt fünfzehn Meter tief, aber nur zweieinhalb Meter breit. Die wirken – alleinstehend – völlig absurd. Teilweise sind sie kunstvoll verziert, ich würde sagen: Kitschig. Ornamentierte Säulen, ganze Säulenhöfe, und Kuppeln auf den Dächern die gut zu einem Schloss aus dem 18. Jahrhundert passen würde. Nach insgesamt fünf Stunden erreichen wir die Stadt Halong, wo unser Schiff uns erwartet. Die Ohrstöpsel werden entfernt, ich lerne Naomi aus London kennen, die sich dachte, auch gut mal ein halbes Jahr nicht Sekretärin zu sein. Später gesellen sich zu uns noch Carrie und Corinne aus Southern California (das Southern war ihnen wichtig), und Eleonore, eine in New York studierende Französin. Die Überfahrt ist mit einem kleinen Landungsschiff, welches wir während der Fahrt hinter uns her schleppen werden.
Es gibt einen Welcome Drink, ein Glas des Orangenfruchtsaftgetränk, der hier überall als Saft angeboten wird. Der Salon ist vielseitig dekoriert. Ein paar Sträucher biegen sich unter der Last blinkender LED-Ketten, ein Christmas Merry (sic) Weihnachtsmann klebt an einem Fenster, in einer Nische hängen die ausgeschnittenen Buchstaben ‚Happy New Year‘ und ein paar Halloweenkürbisse hängen auch in der Ecke. Den Osterhasen haben wir bis zum Schluss vergeblich gesucht. Um den Bezug zur großen Seefahrt herzustellen, steht ein Pappmodell der Titanic auf der Kommode. Alles wird gut. Dann ein ausgiebiges Mittagessen, noch etwas Getucker, und wir fahren in eine Bucht, die bereits von gefühlten fünfzig Schiffen belegt ist. Landungsboot, Tropfsteinhöhle, Kayakfahrt, Kevin führt ein strenges Regiment. Danach wieder auf’s Schiff, wieder ein complimentary drink (diesmal ein Tee, aber es werden leckere frische Früchte dazu gereicht), während unser Schiff die Nachtbucht ansteuert. Dort sind’s nur drei Boote unseres Kalibers. Draussen ist es mittlerweile ziemlich kalt, also bleiben wir nach dem ebenso ausgiebigen Abendessen lieber drinnen. Es kommt aber (für mich) keine Riesenstimmung auf, außerdem habe ich seit dem Tag Schnupfen, und als die nette Naomi und Eleonore sich verzupfen, schließe ich mich an.
Am nächsten Morgen trennen sich unsere Wege. Offensichtlich besteht so eine Fahrt in die Halong Bay aus Bausteinen: A) der eben geschilderte erste Tag. B1) Mitteltag bei drei-Tagestour, wenn danach auf der Insel CatBa übernachtet wird. B2) Mitteltag bei drei-Tagestour, wenn danach auf dem Schiff übernachtet wird. C1) Rückfahrt zum Bus nach Halong City mit anderem Schiff. C2) Besuch eines schwimmenden Dorfes, Kochkurs, Mittagessen, Rückkehr zum Bus. Das Schiff selber macht jeden Tag das gleiche: Mittags von der Stadt in die Bucht, Morgens wieder in die Stadt. Ich habe A+C2 gebucht, Naomi leider A+B2+C2. Der Ausflug zu dem schwimmenden Fischerdorf ist nett und fotogen, der Kochkurs verdient den Namen nicht (Fünf fertige Zutaten in Reispapier einrollen, fertig ist die ‚fresh spring roll‘), dafür das echte Mittagessen ausgiebig und lecker. Danach die Rückfahrt nach Hanoi, dort noch ein Tag Sightseeing, und das war’s mit Vietnam.
[ich musste das jetzt kurz machen, der Rest meiner Crew ist eben gelandet, und ich will das schnell veröffentlichen.]