Der Angriff kommt überraschend und trifft mich völlig unvorbereitet. Von zwei Seiten werde ich von den Vietnamesen in die Zange genommen; ich habe keine Chance. „Excuse me, sir, can we talk to you?“ Pfue (Name vom Autor verhunzt) und Tang setzen sich zu meiner beiden Seiten auf die Parkbank wo ich eben im Reiseführer mein nächstes Besichtigungsziel gesucht habe. Pfue scheint einen Fragenkatalog zu haben, der nicht zu sehr von meinen Antworten abzuhängen scheint. Sie will wissen, wie ich heiße, woher ich komme, wie alt ich bin, wie lange ich schon in Hanoi/Vietnam bin. Tang ist schüchterner, bekommt gegen seine plappernde Kollegin kaum ein Wort in die Unterhaltung eingebracht. Dabei hätte er das Englisch üben nötiger als sie. Es kommt mir vor, als ob sie von der Schule/Uni den Auftrag haben, Sonntags durch Hanoi zu streifen und Touristen aufzureißen. Pfue war noch nie in Hoi An, aber vielleicht ist es ihr Traum dort einmal zu arbeiten. Sie fragt, ob sie mir von der Stadt erzählen darf aus der ich gerade komme, und rezitiert Straßennamen, einen Teil der Geschichte der Stadt und an welchem Fluss sie liegt. Als Pfue fragt, „How do you like Vietnamese people?“ bekomme ich meinen Humor gerade noch rechtzeitig in den Griff. „Oh, very tasty“ lag schon auf der Zunge und war im Begriff den Mund zu verlassen. Gerade rechtzeitig ändere ich meine Antwort in ‚very friendly‘, womit Pfue zufrieden ist. Ich wende mich verstärkt nach rechts, damit Tang auch eine Chance hat. „What about your chop?“. Ich habe gelernt, solche Gespräche mit einigen Lügen zu vereinfachen. My chop ist Ingenieur für Lüftungsanlagen, lässt sich leichter erklären als ehemaliger Angestellter und zukünftiger Selbstständiger für Nachhaltigkeitsfragen. Eine Familie adoptiere ich meist schnell aus meinem Freundeskreis, leider hat meine Frau keinen Urlaub bekommen. Und ich bin hier für drei Wochen Urlaub und nicht auf Weltreise. Dann wird noch fotografiert: Tang und Chris, Pfue und Chris, Pfue und Tang. Kichernd bedanken sich die beiden und ziehen weiter. Insgesamt fünfmal widerfährt mir ähnliches heute.
Heute bummele ich Seiten 62-70 meines Reiseführers ab, rund um den Hoan Kiem See. Sehenswürdigkeiten: Eine Insel im See, mit Tempel bebaut und Schildkrötenlegenden behaftet. Verschiedene Prunkbauten aus französischer Kolonialzeit, wie die Oper und sehr mondäne Hotels, die heute wieder im alten Glanz und modernen Preisen erstrahlen. Das moderne Hanoi Hilton, und das alte Hanoi Hilton. Das ‚alte‘ Hanoi Hilton war ein sarkastischer Spitzname amerikanischer Piloten für das Hoa Lo Gefängnis, in dem erst französisch-koloniale Unterdrücker aufrichtige vietnamesische politische Gefangenen quälten, und während des Krieges amerikanische kriegsverbrecherische Piloten von den weltoffenen Vietnamesen bestmöglich behandelt wurden, inklusive Weihnachtsfeiern, Volleyballturnieren und ständiger ärztlicher Betreuung. Außerdem noch die Kathedrale Saint Joseph, und zwei kleinere Tempel. Der Rückweg zum Hotel führt mich durch belebte Einkaufsstraßen, jeder Meter Straßenfront beherbergt einen Laden mit irgendwelchen Konsumgütern. Jeder Meter? Nein, in der Pho Hang Ngang 48, wo Ho Chi Minh im zweiten Stock die Unabhängigkeitserklärungsrede von Vietnam schrieb, ist unten kein Laden, sondern revolutionäre Kargheit. Nebenan gibt’s wieder Levi’s – es lebe der Konsum.
Insgesamt wirkt Hanoi schon ein wenig ernster als Saigon, etwas enger, bedrückender. Kann aber auch am Wetter liegen, das ist auch ein wenig ernster als in Saigon. Ich brauche tatsächlich manchmal meine Fleece-Jacke. Die Vietnamesen sind hingegen in Daunenanoraks eingemummelt, außer sie posieren gerade in schulterfreien Kleidern für Hochzeitsfotos. Besonders am See und vor teuren Hotels sehe ich ständig Brautpaare, auf dem Platz vor dem Sofitel Metropole Hotel wird den Damen auf dem Bürgersteig noch der letzte Beauty-Schliff gegeben. Also nicht wundern, wenn in den Bildern demnächst einige Brautpaare erscheinen.
Auch merke ich hier, dass ich alt werde: Zum ersten Mal ist mir hier über die Straße geholfen worden. In Hanoi, wie in ganz Vietnam, gibt es alle möglichen fliegenden Händler, die ihre Waren meist an einer Bambusstange über der Schulter tragen. Im vorderen Körbchen ist der Holzkohlegrill, im hinteren die komplette Küche, oder was auch immer für das Gewerbe notwendig ist. Eine so ausgestattete Gebäckverkäuferin wittert ihre Chance, als ich beim Überqueren der Hai Ba Trung etwas zögere. Eben wollte ich kein Gebäck, aber wenn sie als mein Retter im Straßendschungel glänzen kann, bekomme ich sicherlich Hunger? Am Ende scheint sie überrascht, wie zügig ich doch über die Straße komme, sie kaum hinterher. Hunger habe ich zwar schon, aber schon gestern hat mir so ein ausgebackenes Teigteilchen nicht geschmeckt. So muss ich meine Retterin enttäuschen, und finde eine Garküche, die eine leckere Pho Variante macht (mit Schweinebratenscheiben, Erdnüssen und recht wenig Flüssigkeit).
Haha….das erlebnis hatten wir in asien ständig….kids und studenten die mit einem fragenkatalog auf langnasen jagd gehen…wir dachten immer dies ist sicher ein Auftrag aus der Schule/Uni…war aber immer nett und mit viel gekicher…und auch wir hatten unseren Spass….
Wir empfanden Hanoi und die vietnamensen auch als anders iVgl zum Süden, so wie Süd Italien zu Mailand vielleicht? und ja…es war KALT…lol….